„Man könnte ja auch sagen, die Insekten nerven. Was wir beim ‚Manchmal-Nerven‘ gerne vergessen, ist, dass sie eigentlich ständig für uns da sind, und wir ständig auf sie angewiesen sind“, eröffnet Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt, gemeinsam mit Senckenberg-Direktorin Dr. Brigitte Franzen sowie ISOE-Leiterin Dr. Marion Mehring und Ausstellungskurator Maximilian Bugert den Presse-Rundgang durch die neue Sonderausstellung „Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“ vom 29.09.2023 bis 01.12.2024.
Die in die drei Bereiche „Gefahren und Chancen für Stadtinsekten“, „Kleine Helfer“ und „Erforschung der Stadtinsekten“ gegliederte Ausstellung lädt dazu ein, die faszinierenden kleinen Lebewesen und ihre oftmals dem städtischen Umfeld angepassten Lebensweisen in Frankfurt kennenzulernen und (wert-)schätzen zu lernen. Zudem sind die Bürger von jung bis alt dazu eingeladen, diese kleinen Wesen gemeinsam mit Wissenschaftlern im Rahmen des Projektes „SLInBio“ zu erforschen . Denn die Ausstellung ist zugleich Teil des großen interdisziplinären Forschungsprojektes „SLInBio – Städtische Lebensstile und die Inwertsetzung von Biodiversität: Libellen, Heuschrecken, Hummeln und Co“ unter Leitung des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE). Beteiligt an diesem deutschlandweit einmaligen Projektverbund sind neben ISOE und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum auch die Goethe-Universität, NABU Frankfurt am Main e.V., BioFrankfurt – Das Netzwerk für Biodiversität e.V., Palmengarten der Stadt Frankfurt sowie Grünflächenamt und Umweltamt der Stadt Frankfurt.
„In Frankfurt und Umgebung kommen erstaunlich viele Insekten vor und sie erfüllen Aufgaben, die auch für uns Menschen nützlich sind. Die Insekten übernehmen wichtige Funktionen, denn sie sind Bestäuber, Aasbeseitiger und natürliche Schädlingsbekämpfer und vieles mehr. Für eine intakte Natur und damit auch für den Menschen sind sie unersetzlich“. erläutert Dr. Brigitte Franzen, Direktorin des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt.: „Wir möchten mit der Ausstellung ein Gefühl der Wertschätzung für diese kleinen Helfer und ihre Leistungen wecken, die zu oft unbeachtet bleiben.“
Die Ausstellung zeigt, dass in Städten wie in Frankfurt ganz unterschiedliche Insektengruppen auf engem Raum ein Mosaik aus ganz verschiedenen Lebensräumen bilden können. Diese Habitatstrukturen mitsamt ihrer Bewohner werden beispielhaft vorgestellt: Brachflächen, ursprüngliche Waldstücke, wie der Frankfurter Biegwald, städtische Parks und botanische Gärten, Streuobstwiesen, private Gärten aber auch die Innenstadt bieten unterschiedlichsten Insekten einen Lebensraum. „Um einen Überblick über die hier lebenden Insekten zu bekommen, waren die Ergebnisse des Projekts „Biotopkartierung“, das im Auftrag des Umweltamtes der Stadt Frankfurt am Main durch das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt erfolgt ungeheuer hilfreich,“ sagt Kurator der Ausstellung Maximilian Bugert und erläutert weiter: „Seit 1985 wurden hier Wildnisflächen in der Mainmetropole untersucht. Viele der dabei gefundenen Arten, zeigt das Senckenberg Naturmuseum in seiner Schau.
Neues Insekten-Leben auf Brachflächen
Dazu gehört auch die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens): wunderschön, wenn sie ihre hellblauen Flügel öffnet, aber ansonsten fast unsichtbar, da hervorragend getarnt. Die in ganz Europa unter Schutz stehende Art ist auf Frankfurts Brachflächen regelmäßig anzutreffen. Das „Chamäleon“ unter den Insekten kann die Körperfarbe in ein bis zwei Tagen der Umgebung anpassen. „Nicht genutzte Brachflächen werden in der Stadt in kurzer Zeit von der Natur erobert. Sie verändern sich aber auch schnell, so dass verschiedene Pflanzen und Insekten dort einen Lebensraum finden. Erst gibt es dort offene Böden, die zum Beispiel einen Lebensraum für erdnistende Bienen oder die Ödlandschrecke bieten, dann wachsen niedrige Stauden und Gräser bis Gehölze und Bäume hinzukommen, die dann meistens wieder gerodet werden“, erklärt Bugert.
„Alte Wildnis“, wo der Heldbock krabbelt
Langlebigere Lebensräume in Frankfurt sind Waldgebiete, wie der Biegwald – ein Stück „alter Wildnis“ zwischen Bockenheim und Rödelheim. Dort krabbelt beispielsweise der Heldbock (Cerambyx cerdo) auf ursprünglichen, dickstämmigen Eichen. Er gilt deshalb als „Urwaldrelikt“ und gehört – mit einer Größe von einem kleinen Finger – zu den größten Käfern Europas. Er ist vom Aussterben bedroht und gilt als streng geschützt. In der Ausstellung können Besuchende dem Heldbock helfen zu überleben, indem sie ihm „Trittsteine“ anbieten, um von einem Lebensraum zum anderen zu gelangen.
Als optisches Highlight zieht das überproportional, im Maßstab von 40:1 erstellte Modell einer Hainschwebfliege die Besucher beim Betreten der Ausstellung sofort unweigerlich in ihren Bann und ins Thema „Stadt-Insekten“ hinein. Fast wie Blick durch ein Horoskop präsentiert sich die genial gestaltete Fliegenskulptur den Besuchern. Zunächst glaubt man, dass es sich bei dem „Wesen“ um eine Wespe handeln könnte. Denn die Hainschwebfliege ähnelt mit ihrem gelb-schwarz geringelten Hinterleib ein wenig einer großen Wespe, oder gar einer kleineren Hornisse. Die sich von Nektar ernährende Hainschwebfliege verfügt jedoch, anders als die Wespen, über keinen Giftstachel. Sie ist für Menschen absolut harmlos, und ungeheuer nützlich als Bestäuber sehr vieler Pflanzen, sogar von Petersilie. Das dürfte besonders die Frankfurter freuen, da Petersilie bekanntermaßen eines der sieben benötigten Grüne-Soße-Kräuter ist. Zudem vertilgt die Hainschwebfliege Blattläuse. Früher hätte man gesagt: Die Hainschwebfliege ist ein absoluter Nützling, was jedoch, ganzheitlich drauf geschaut, Blödsinn ist, da es keine wirklichen Schädlinge gibt. Alle Insekten sind in ihrer Gesamtheit für unser aller Ökosystem wichtig und wert geschützt und unterstützt zu werden.
Für Wespen die Maus auf dem Teller so lecker wie ein Schnitzel
Als weiterer Eyecatcher dürfte auch die Installation einer auf den ersten Blick „typischen“ Gartentisch-Garnitur“ Besucher in ihren Bann ziehen. Erst auf den zweiten Blick offenbar sich, was wirklich auf den Tellern liegt: eine tote Maus, an der sich die Wespen genauso laben, wie an dem Schnitzel mit grüner Soße auf dem zweiten Teller. Was viele nicht wissen: Wespen sind nicht nur Bestäuber, sondern auch Aasfresser, und helfen, Kleintier-Kadaver (in Städten) zu beseitigen. Zudem fangen Wespen Mücken, um ihre Brut damit zu füttern. Wespen am Hause halten Mücken fern.
„Kleine Helfer“
Was Insekten noch alles für uns leisten, wird im Ausstellungsbereich „Kleine Helfer“ besonders auch am Beispiel der Streuobstwiesen klar. Ohne Bestäuber sähe die Qualität der Apfelernte anders aus. Frankfurter Kulturgüter wie der Apfelwein oder, wie erwähnt, die Grüne Soße wären seltene, kostspielige Güter. Insgesamt neun Symbole erinnern in der Ausstellung immer wieder daran, welche Systemleistungen Insekten kostenlos für uns bereitstellen: vom Bestäuben, über das Recyceln von Materialien, als Futter für andere Tiere bis zur Erholung. Auf der Parkbank in der Ausstellung können Besuchende zum Beispiel die Schönheit und Vielfalt der sechsbeinigen Helfer ganz bewusst genießen und dabei entspannen: Über einen Beamer werden Bilder von Frankfurter Stadtinsekten projiziert. Auch eigene Fotos können dafür per E-Mail an stadtinsekten@senckenberg.de eingeschick werden; sie werden regelmäßig in der Ausstellung ergänzt.
Bei aller Vielfalt sind die Stadtinsekten aber auch einigen Gefahren ausgesetzt, sei es durch Lichtverschmutzung bei der Straßen- und Gebäudebeleuchtung oder durch mit Pestiziden belastete Baumaterialien, die ins Grundwasser gelangen. „Für die Erhaltung der Insektenvielfalt ist auch die Stadtgesellschaft gefragt“, sagt Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und Senckenberg-Direktoriumsmitglied und erläutert: „Das Verhalten der Menschen hat direkten Einfluss auf die Vielfalt von Libellen, Schmetterlingen, Bienen und anderen Insekten. Die Forschung des Projekts SLInBio soll helfen, Maßnahmen zu identifizieren, durch die die Insektenvielfalt in der Stadt gefördert werden kann. In der Ausstellung thematisieren wir die Forschung und geben erste Anregungen.“ „Um Insekten zu schützen, braucht es ein breites Bündnis und Wissen, wie wichtig Insekten für uns als Gesellschaft sind. Das loten wir im Forschungsprojekt SLInBio aus“, sagt Projektleiterin Dr. Marion Mehring vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung. „Die Ausstellung ist ein zentrales Element unserer Forschungsarbeit, die nach den Auswirkungen städtischer Lebensstile auf die Insektenvielfalt fragt.“
In dem Kooperationsprojekt SLInBio wird unter anderem auch von Senckenberg-Entomologen untersucht, wie es konkret um die Insektenvielfalt in den privaten Gärten Frankfurts steht. Dazu haben sie 16 Hausgärten und Kleingartenparzellen in Frankfurt untersucht. Dort nahmen sie DNA-Proben von Insektenspuren auf Blütenköpfen, Blättern sowie aus dem Wasser um nachzuweisen, welche Insekten dort vorkommen. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen, doch die ersten Ergebnisse zeigen bereits, dass die Gärten selbst in Großstädten wie Frankfurt insektenreich sein können.
Wer mithelfen möchte, mehr über die Insektenvielfalt in Hessen herauszufinden, kann über das Projekt „Insekten Hessen“ (https://portal.insekten-hessen.de) eigene Beobachtungen mit dem Mobiltelefon dokumentieren und hochladen. Ein Zähler in der Ausstellung zeigt die aktuellen Zahlen der gemeldeten Insektenarten, der Individuen und der Personen, die mitmachen.
„Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“
29. September 2023 bis 01. Dezember 2024
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Weitere Informationen unter: museumfrankfurt.senckenberg.de
Senckenberg Naturmuseum
Senckenberganlage 25,
60325 Frankfurt am Main
Eintritt
Erwachsene (ab 18 Jahre) 12,00 €
Kinder, Schüler*innen, Jugendliche
ab 6 Jahre
4,50 €
Familie: 2 Erwachsene und
bis zu 3 Kinder von 6-17 Jahren
30,00 €
Öffnungszeiten
Mo., Di., Do., Fr. 9:00 – 17:00 Uhr
Mi. 9:00 – 20:00 Uhr
Sa., So., Feiertage 9:00 – 18:00 Uhr