Kategorie-Archiv: Senckenberg Naturmuseum

„Als der Wald wunderbar wurde“ – Drei Museen präsentieren ab 16.03.24 die Drei-Wälder-Schau: „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“

waelder - 16 03 -11 08 24-wDes Menschen Waldsehnsucht, seine Liebe und  wachsende  Sorge um die Natur sind keine Erfindungen heutiger Ökobewegungen, sondern  haben ihre geistigen Wurzeln in der Epoche der Romantik um 1800. Wie  sich seither unser Verhältnis zur Natur weiterentwickelt hat und wie die zahlreichen Facetten des einst neuen Naturverständnisses  damals und heute miteinander zusammenhängen,  zeigt  vom 16. März bis 11. August 2024   erstmals umfassend die Ausstellung:  „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“. 

Diese große Drei-Wälder-Schau ist ein  Gemeinschaftsprojekt  vom  Deutschen Romantik-Museum, Senckenberg Museum  und Museum Sinclair-Haus. Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die Ausstellungsmacherinnen Anne Bohnenkamp-Renken, Brigitte Franzen, Kathrin Meyer und Nicola Lepp (Kuratorische Gesamtleitung) kompetent und fantasievoll diesem  komplexen wie emotional aufgeladenen Thema. Ein Begleitprogramm  mit Naturexkursionen, Wanderungen, Vorträgen sowie Vorort-Aktionen, lädt dazu ein Natur neu zu erfahren.

Deutsches Romantik-Museum

Entsprechend des Ursprungs heutiger   Natur- und Klimaschutz- Bewegungen  beginnt die Sonderausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 logischerweise im Deutschen Romantik-Museum.   Mit einem Fokus auf die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis zur Gegenwart werden hier die ersten sechs Kapitel erzählt, wie:   „Natur als Subjekt Wald als Du“, „Der ganze Wald“, „Waldumbau“, „Waldumbau (tierlich)“, „Der Wald von Nahem“ sowie „Rechte des Waldes“.

Die Entdeckung der Natur als Subjekt – Wald als Du

Von Alexander von Humboldt (1769 - 1859)  ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat. Er ist mit dem Naturphilosophen Friedrich Schelling ein  Vater des modernen ökologischen Bewusstseins: "Die Natur muss gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Tiere zergliedern, er wird Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein", Brief von Humboldt an Goethe vom 3.01.1810. Bild: Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern. Ein Naturgemälde der Anden, 1807, © Foto Diether von Goddenthow
Von Alexander von Humboldt (1769 – 1859) ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat. Er ist mit dem Naturphilosophen Friedrich Schelling ein Vater des modernen ökologischen Bewusstseins: „Die Natur muss gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Tiere zergliedern, er wird Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein“, Brief von Humboldt an Goethe vom 3.01.1810. Bild: Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern. Ein Naturgemälde der Anden, 1807, © Foto Diether von Goddenthow

Den Ursprung des Paradigmenwechsels im 18. Jahrhundert,  die Natur jetzt auch verstärkt in ihren Wechselwirkungen als Verflechtungsgeschichte zu begreifen, wird  in  der eher  unscheinbar wirkenden Prolog-Vitrine der Ausstellung aufgegriffen, unter anderem mit einem Original-Exemplar der Naturphilosophie von Friedrich Schelling: „Ideen zu einer Philosophie der Natur“, die 1797 erscheint. Schelling formuliert diesen sehr wichtigen Gedanken, dass die Natur nicht als ein Objekt zu denken ist, welches dem Menschen gegenübersteht, sondern dass die Natur ein Subjekt ist, in das der Mensch sozusagen eingelassen ist. Als einer  bedeutenden Denker seiner Zeit  Schelling als einer der ersten die Natur  als eigenständig fühlendes Wesen. Das war revolutionär und ein Affront gegen die – den Primat der Vernunft hochhaltenden – Aufklärung eines Immanuel Kant. „Also wir haben einen fundamentalen Perspektivenwechsel, der auch das aufklärerische Naturverhältnis auf eine besondere Weise konterkariert“, erklärt Kuratorin Nicola Lepp. Die Schelling‘sche Naturphilosophie inspiriert romantische Schriftsteller, Denker, Naturforscher in der Zeit in besonderer Weise, dass nämlich nur in dieser gegenseitigen Bezogenheit dieser unterschiedlichen Erkenntniskräfte Welt und Natur erkannt werden könne.

Prolog-Vitrine mit Günderodes Skizze, Goethes Papptetraeder u. Schellings Werk Naturphilosophie. © Foto Diether von Goddenthow
Prolog-Vitrine mit Günderodes Skizze, Goethes Papptetraeder u. Schellings Werk Naturphilosophie. © Foto D. von Goddenthow

Zwei weitere, erst auf den zweiten Blick  spektakuläre  Exponate  zeigen, wie sehr der romantische Ansatz, Natur anders zu denken, von Schriftstellern und Künstlern im Übergang ins 19. Jahrhundert aufgesogen wurde.  Wir finden hier neben Schellings Werk eine kleine Skizze der Romantik-Schriftstellerin Caroline von Günderode. Sie hatte sich um 1800, angelehnt an Schellings Naturphilosophie, mit der Frage befasst, welche geistigen und welche Erkenntnisvermögen wir eigentlich brauchen, um unsere Welt zu erkennen. Und da spielen eben solche – im heutigen Zeitgeist ganz selbstverständlich gebrauchten – Begriffe wie Intuition, Instinkt, Sensibilität bereits schon eine wichtige Rolle, so die Kuratorin.  Die in Günderodes Schema dargestellte Dreiecksfigur verkörpere eine romantische Abkehr von den klassischen Dualismen; Objekt und Subjekt, Natur und Kultur. Günderode fügte als Drittes die „Synthese“ hinzu. Und „etwas Ähnliches“, so Nicola Lepp, „machte dann etwa knapp 20 Jahre später Johann Wolfgang von Goethe, der diese hier kleinen Papptetraeder entwirft als Sinnbild  für die vier Kräfte des menschlichen Vorstellungsvermögens: Phantasie, Sinnlichkeit, Vernunft und Verstand“. Diese stehen heute noch im Weimarer Goethemuseum auf seinem Schreibtisch. Während Kant sagt, es gäbe die Vernunft, den Verstand und die Sinnlichkeit, „besteht Goethe  darauf, dass die Phantasie als Vierte zu diesen menschlichen Vermögen, diesen Erkenntniskräften hinzugezählt werden muss“ so Nicola Lepp,

„Wälderwissen“

Nicola Lepp, kuratorische Gesamtleiterin erklärt am Bild "Chimborazo" das revolutionäres Naturbild Humboldts, der als erster die Natur als einen lebenden Organismus verstand. Er ist der Vater der Ökologie. © Foto Diether von Goddenthow
Nicola Lepp, kuratorische Gesamtleiterin erklärt am Bild „Chimborazo“ das revolutionäres Naturbild Humboldts, der als erster die Natur als einen lebenden Organismus verstand. Er ist der Vater der Ökologie. © Foto Diether von Goddenthow

Im sich anschließenden Kapitel Wälderwissen stoßen Besucher nicht wie vielleicht vermutet auf Joseph von Eichendorff, den Schriftsteller der Romantik schlechthin, sondern auf den Naturforscher und Forschungsreisenden  Alexander von Humboldt. Von Humboldt  ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat, indem er aufzeigt, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, aber auch das Klima  und Böden aufeinander bezogen sind, erklärt die Kuratorin. „Humboldt, den wir heute als Vordenker der Ökologie denken können,  zeichnet den Wald  als ein natürliches Gefüge, was aber eingelassen ist in klimatische Bedingungen, biologische Bedingungen, in Bodenkultur usw“.  Zu sehen ist von Humboldts wunderbare Ölzeichnung von 1806 mit dem „Chimborazos “ in den Anden. Er gilt damals als höchster Berg der Welt galt. Diesen setzt Humboldt in ein Verhältnis zu Bergen und Natur auf der ganzen Welt, und man findet auf dem Bild sehr klein,  mit der bereit liegenden Lupe, „den Brocken im Harz, den er  zu den Anden in Beziehung gesetzt wird“, so Nicola Lepp.

Goethe malt anhand  von  Humboldt’s Beschreibung dessen Chimborazo-Bild nach. Er nennt es  jedoch „Die Höhen und Tiefen der alten und neuen Welt“. Die neue Welt  rechts, ist die Humboldt’sche Andenwelt, links davon sozusagen die westliche Welt. Während Humboldt als Naturforscher   die empirische Ebene  noch sehr stark hervorhebe,  „tritt das bei Goethe zurück, und Goethe geht stärker auf die Anschauung“.  Dieses Spannungsfeld zwischen Empirie und Anschauung sei etwas,  „was das romantische Waldverhältnis auch sehr stark prägt“,  erläutert Nicola Lepp.

Der ganze Wald

Johann Wilhelm Schirmer (1807 - 1863) schuf sein Werk "Deutscher Urwald", 1828 © Foto Diether von Goddenthow
Johann Wilhelm Schirmer (1807 – 1863) schuf sein Werk „Deutscher Urwald“, 1828 © Foto Diether von Goddenthow

In den Wäldern, die die romantischen Künstlerinnen und Künstler in Wissenschaft, Literatur, Malerei und Musik entwerfen, sind Menschen erst dann zuhause, wenn sie in sie eintauchen und sich ihnen anverwandeln. Eine solche intime Zwiesprache mit der Natur ereignet sich vorzugsweise in der „Waldeinsamkeit“: ein Wort, das der Schriftsteller Ludwig Tieck 1797 für seine Erzählung Der blonde Eckbert erfunden hat. Der Wald wird nun zu einem – wenn auch als zutiefst zwiespältig empfundenen – Sehnsuchtsraum. Die poetischen Wälder der Romantik sind nicht mehr die von Menschen gemiedenen Schreckensorte. Es sind auch nicht die von intensiver menschlicher (Ver-)Nutzung gezeichneten realen Wälder. Vielmehr ent- steht der Wald als ein Spür- und Gefühls- raum, in dem sich Verbindungen zwischen Menschen und der lebendigen Mitwelt ent- werfen und erproben lassen. Dabei verschwinden die Grenzen zwischen den verschiedenen Künsten und den Wissenschaften: Das neue Wald- und Naturbild umfasst das Denken ebenso wie das Fühlen und die Einbildungskraft.

Ausstellungsimpression mit einem Wolf als wunderbares Tierpräparat. Allerdings galt der Wolf noch zur Zeit der Romantiker als gefährlich  und bedrohlich. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungsimpression mit einem Wolf als wunderbares Tierpräparat. Allerdings galt der Wolf noch zur Zeit der Romantiker als gefährlich und bedrohlich. © Foto Diether von Goddenthow

Waldumbau

Um 1800 erreicht eine andere Beschäftigung mit dem Wald ihren Höhepunkt. Parallel zu den Suchbewegungen der Künste etabliert sich um 1800 die klassische Forstwissenschaft an staatlichen Fachschulen und Universitäten als eine eigenständige Disziplin und ordnet die Wälder neu. Wie deren poetische Gestaltung war auch diese neue Wissenschaft eine Reaktion auf den schlechten Zustand, in dem sich die Wälder in ganz Europa befanden. Eine exzessive Nutzung vor allem als Brennstoff für den Bergbau, als Viehweide und als Bauholz hatte ihnen stark zugesetzt und sie teilweise zum Verschwinden gebracht. Die bewaldete Fläche liegt in Deutschland um 1800 weit unter dem heutigen Niveau von etwa einem Drittel. Die junge Wissenschaft macht aus der Frage des Waldes eine Rechenaufgabe. Unsere heutigen Wälder sind in vielerlei Hinsicht ein Produkt dieser auf den Ertrag ausgerichteten. Holzwirtschaft – ein Ergebnis menschlichen Tuns. Die Fläche an Primärwald, also an von menschlicher Einflussnahme unberührtem Wald, liegt in Deutschland bei lediglich 0,1 Prozent der Waldfläche.

Waldumbau (tierlich)

Einer der gefürchtetsten Bewohner des Waldes ist heute der Buchdrucker, ein in Europa verbreiteter Borkenkäfer. Schon die Forstleute um 1800 hatten mit ihm ein Problem. Denn die abgestorbenen Bäume, die die Käfer hinterlassen, unterlaufen die nachhaltigen Planungen des Waldbaus und machen die Holzernte unberechenbar. Sie stören unsere Erwartung, im Wald uns selbst zu begegnen. Wälder haben schön und für uns dazu sein. Diese Einstellung hat die Romantik in unseren Köpfen verankert. Doch ob Käfer Schädlinge sind, ist eine Frage der Perspektive. Forstinsekten sind zunächst einmal Teil der Lebensgemeinschaft in den Wäldern gemäßigter Zonen. Nicht Wälder, sondern Bäume bringen sie zum Absterben. Wir können sie auch als Lehrmeister verstehen, die uns bei der dringend angezeigten Umbauarbeit der Wälder unterstützen. Die Lebensgemeinschaften, die sich auf den von ihnen bearbeiteten Flächen ansiedeln – sei es durch forstwirtschaftliche Praktiken oder durch natürliche Verjüngung – sind jedenfalls deutlich widerstandsfähiger und artenreicher als die Wälder, die sie heimsuchen.

Der Wald von Nahem

Diorama von auf Totholz lebenden Stachelbartpilzen, hergestellt von Klaus und Liese-Lotte Wechsler. Links im Hintergrund: Goethes Mikroskop /1780 - 1793), von Louis Francois Dellebarre. Es konnte bereits Objekte um das 80-fache vergrößern. Gothe nutzte es zum Studium von Kleinstlebewesen. Bereits um 1840 war es möglich, Mikroskope für eine 500-fache Vergrößerung zu bauen. © Foto Diether von Goddenthow
Diorama von auf Totholz lebenden Stachelbartpilzen, hergestellt von Klaus und Liese-Lotte Wechsler. Links im Hintergrund: Goethes Mikroskop /1780 – 1793), von Louis Francois Dellebarre. Es konnte bereits Objekte um das 80-fache vergrößern. Gothe nutzte es zum Studium von Kleinstlebewesen. Bereits um 1840 war es möglich, Mikroskope für eine 500-fache Vergrößerung zu bauen. © Foto Diether von Goddenthow

In den Mikrokosmen der Wälder, in Baumrinden, am Waldboden oder in der Erde, werden die lebendigen Austauschprozesse in der Natur besonders augenfällig. An der Grenze zwischen über- und unterirdischer Welt zeigen sich die steten Wachstums- und Zerfallsvorgänge, die jeden Wald und jedes Leben ausmachen. Vom Großen zum Kleinsten sind alle, die dort versammelt sind, unablässig im Umbau und Austausch. Die Vorstellung der Natur als eines lebendigen Gesamtorganismus, der sich im dauerhaften Wandel befindet, ist schon älter. Emphatisch gestaltet wird sie aber erst gegen Ende des 18, Jahrhunderts, als sich abzeichnet, dass sich die Fülle neuer Entdeckungen nicht mehr in der Statik mechanistischer Weltbilder abbilden lässt. Dabei setzt die Suche nach den Wechselwirkungen in der Natur ein Interesse am Konkreten voraus – am je einzelnen Standort mit seinen spezifischen Bedingungen. Dieses Interesse bildet die Voraussetzung für ein Denken, das wir heute als ökosystemisch bezeichnen.

Rechte des Waldes

DSCF6804 plakat eigentumsrechte der Natur 250 (c) diether v goddenthowDass Menschen Rechte an Wäldern beanspruchen – das Recht der Jagd, der Weide, der Holzernte oder der Erholung – ist nicht neu. Doch kann umgekehrt auch ein Wald selbst Rechte haben? „Lebendiger Wald“ nennen Angehörige des Kichwa-Volkes in Sarayaku ihren Lebensraum im Amazonas-Regenwald. Für sie ist der Mensch Teil dieses von physischen und spirituellen Wesenheiten bevölkerten Kosmos. Die Lebensrechte jener komplexen, belebten Natur – „Pachamama“ genannt – wurden 2008 in die ecuadorianische Verfassung aufgenommen. Weltweit folgen immer mehr Gesetzesinitiativen diesem Beispiel. Schon in der Romantik wurde kritisiert, dass die Elemente der Natur in unserem Rechts- und Wirtschaftssystem als bloße Objekte gelten. Die Argumente, die heute für einen Bruch mit dieser abendländischen Tradition vorgetragen werden, sind vielfältig und beziehen sich auf ethische, rechtsphilosophische, biologische und anthropologische Hintergründe. Haben sie das Zeug, den Gang der Geschichte zu verändern?

Deutsches Romantik-Museum
Großer Hirschgraben 21
60311 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 138 80-0
E-Mail: info@freies-deutsches-hochstift.de

Museum Sinclair-Haus – Als der Wald wunderbar wurde
Das Museum Sinclair Haus Bad Homburg, beteiligt sich mit den Kapiteln: In die Wälder!, Erdlebenbilder und Waldangst – Waldlust an der Drei-Wälder-Ausstellung:  Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024  © Foto Diether von Goddenthow
Das Museum Sinclair Haus Bad Homburg, beteiligt sich mit den Kapiteln: In die Wälder!, Erdlebenbilder und Waldangst – Waldlust an der Drei-Wälder-Ausstellung: Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024 © Foto Diether von Goddenthow

Das Museum Sinclair-Haus,  Bad Homburg, setzt sich schwerpunktmäßig künstlerisch mit der „Wälder-Thematik“ auseinander. Besucher  erwarten hier insgesamt drei Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ (16. März bis 11. August 2024).  Im Erdgeschoss: „In die Wälder“ und in der oberen Etage „Erdlebenbilder“ und „Waldangst – Waldlust“. Sie sollen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart öffnen helfen

In die Wälder! – Der Wald wird wunderbar

Impression der Ausstellung "Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024"  © Foto Diether von Goddenthow
Impression der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024″ © Foto Diether von Goddenthow

Bei „In die Wälder“ geht es um den Blick, „wie wir uns quasi Wäldern sinnlich nähern, vor allen Dingen eben in den Künsten, einfach aus dem Grund, dass auch in der Romantik die Künste quasi der Raum sind, wo diese neuen Naturbilder, diese neuen Naturverständnisse experimentell durchgespielt werden können.“, erklärt Museums-Direktorin Kathrin Meyer beim Presserundgang. Wie schon Anne Bohnenkamp-Renken bei ihrer Begrüßung gesagt habe, füge die Romantik „diesem Instrumentellen, dem zweckhaften Blick oder dem wissenshungrigen Blick der Aufklärung, die Stimmung dazu. Man könnte auch sagen, der Wald wird wunderbar“ in der Romantik“, erklärt Kathrin Meyer die Perspektive der Betrachtung auf die künstlerischen Positionen u. a. von: Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes Meyer-Brandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo sowie weitere Fotografien und historische Drucke.

Der „Wald wird wunderbar in der Romantik“ von einem Ort, der vielleicht früher auch noch mit Schrecken besetzt war und mit zweckhaften Verwendungs- und zergliedernden Wissenschafts-Blick wahrgenommen wurde, „ zu einem Ort, der auch faszinierend ist, an dem wir das Wunderbare finden, in dem wir Dinge finden, die wir sonst auch nirgendwo finden können. Und dieses Wunderbare trägt auch, glaube ich, bis heute unseren Blick auf den Wald sehr stark“, erläutert die Kuratorin. Der Wald als kultureller Ort sei beispielsweise assoziiert mit Mythen, Erzählungen oder Sagen oder werde in Filmen bis hin zu Tatortfolgen auf eine ganz bestimmte Weise aufgeladen. Das alles nähmen wir – wie durch eine Brille betrachtet, die wir nicht absetzen könnten – mit, wenn wir in den realen Wald gingen, so Kathrin Meyer. Im realen Wald fänden wir eben dort dann auch „ein Ökosystem vor, was in seinem eigenen Recht existiert. Und diese Blickverschiebung, diese Dopplung, einerseits den Wald als ein kulturelles Gebilde zu sehen, andererseits ihn als Naturraum in seinem eigenen Recht zu begreifen“, sei, wozu viele zeitgenössische Künstler bis heute versuchten Position zu beziehen, „was in der Romantik eben ein wichtiger Schritt war, zu sagen, die Natur ist adressierbar, ist ein Gegenüber, ist ein Subjekt, schaut auch zurück“, erläutert die Kuratorin.

"Obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht  versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert Museums-Direktorin Kathrin Meyer Mariele Neudeckers Werk „And the world changed colur: breathing yellow“ © Foto Diether von Goddenthow
„Obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert Museums-Direktorin Kathrin Meyer Mariele Neudeckers Werk „And the world changed colur: breathing yellow“ © Foto Diether von Goddenthow

Empfangen werden die Besucher von Mariele Neudeckers „Wald-Aquarium“ „And the world changed colur: breathing yellow“, wozu ein idealer Wald Vorlage war. Neudecker setze hier unseren kulturell geprägten Blick von Wald in Szene mit diesem Tank, der mit Wasser gefüllt ist. Dieser Wald ist eine Illusion. Und obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert die Kuratorin ihre Perspektive.

Visavis an der Wand finden wir einen geschickt platzierten Text der Romantik-Schriftstellerin Bettina von Arnim aus dem Briefroman „Günderode“: „Ach wenn ich mich so umseh, wie sich alle Zweige gegen mich strecken und reden mit mir, das heißt küssen meine Seele und alles spricht. Alles was ich anseh, hängt sich mit Lippen an meine Seelenlippen und dann die Farbe, die Gestalt, der Duft, alles will sich geltend machen (…)“, es ist wunderbarer Text, der auch die Legend von Neudecker moderner Waldposition sein könnte.

Baumdüfte aufnehmen, um mit Bäumen zu kommunizieren

Am Desk der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis können Besucher Duftproben von Bäumen aufnehmen und versuchen, draußen  in deren Kommunikationsraum einzudringen, das heißt, eventuell eine neue Verbindung zu ihnen aufzunehmen. © Foto Diether von Goddenthow
Am Desk der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis können Besucher Duftproben von Bäumen aufnehmen und versuchen, draußen in deren Kommunikationsraum einzudringen, das heißt, eventuell eine neue Verbindung zu ihnen aufzunehmen. © Foto Diether von Goddenthow

Ein besonderes Highlight befindet sich mit der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis im folgenden Raum. Es handelt sich dabei um eine Art Duftstation der Bäume. Die Künstler haben ihr interaktives Wälder-Kunstwerk auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt, nämlich dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die Duft-Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, mit dem sich Besucher etwas betupfen können, um als Mensch draußen vor dem Museum mit Linde oder Zeder möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können.
Viele weitere Waldzugänge

Weitere spannende Positionen laden im ersten Kapitel „In die Wälder!“ Besucher zu neuen Sichtweisen und Beziehungen zu Wäldern ein, und „den“ Wald vielleicht in neuem Licht zu begegnen.

Erdlebenbilder

Carl Blechen (1798 - 1840) Waldinneres mit abgebrochenen Ästen © Foto Diether von Goddenthow
Carl Blechen (1798 – 1840) Waldinneres mit abgebrochenen Ästen © Foto Diether von Goddenthow

Im nächsten Kapitel Waldbilder liegt ein Schwerpunkt in der Gegenüberstellung von historischen und modernen Positionen. In der Romantik bilden Künstler das Gesehene so ab, wie sie das Gesehene empfunden haben. Sie bilden Wälder nicht naturgetreu ab, sondern imaginieren sie im Schaffensprozess im Zusammenspiel von Beobachtung, Gefühl und Wissen neu. Der Dresdner Arzt und Maler Carl Gustav Carus prägt 1835 den Begriff „Erdlebenbilder“, um die romantische Malerei von der traditionellen Landschaftsmalerei abzusetzen. Ein Erdlebenbild umfasst mehr als das Auge sehen kann: die Empfindungen der Künstler:innen, ihr naturkundliches Wissen und ihre Interpretation der Naturräume, die sie in Bilder übersetzen. Das „Erdleben“ setzt Carus analog zum „Menschenleben“. Wir verstehen „Erdlebenbilder“ von damals und heute in dieser Ausstellung als Zeugnisse von Momenten, in denen beide zusammentreffen. Diese Bilder formulieren immer auch ein Verhältnis zu Wäldern, eine Sichtweise der Natur oder eine Frage.

"Wir erlauben uns mit dieser Wand noch einmal die Schönheit der Wälder zu zitieren. Denn wir wissen alle: wir schützen immer das, was wir lieben und jedes einzelne dieser Bilder ist einfach ein Zeugnis dafür, dass sich Künstler ganz intensiv mit den Wäldern auseinandergesetzt haben, über eine lange Zeit, und auch eine gewisse Liebe.", erläutert Kuratorin und Museumsleiterin Kathrin Meyer bei ihrer Presseführung durch's Museum Sinclair-Haus. © Foto Diether von Goddenthow
„Wir erlauben uns mit dieser Wand noch einmal die Schönheit der Wälder zu zitieren. Denn wir wissen alle: wir schützen immer das, was wir lieben und jedes einzelne dieser Bilder ist einfach ein Zeugnis dafür, dass sich Künstler ganz intensiv mit den Wäldern auseinandergesetzt haben, über eine lange Zeit, und auch eine gewisse Liebe.“, erläutert Kuratorin und Museumsleiterin Kathrin Meyer bei ihrer Presseführung durch’s Museum Sinclair-Haus. © Foto Diether von Goddenthow

Natur und Mensch sind miteinander verknüpft und aufeinander bezogen – das ist längst wissenschaftlich bewiesen, aber im urbanen Alltag kaum zu spüren. Dieses Kapitel zeigt Kunstwerke, die Verflechtungen zwischen Menschen und Wäldern erkunden und diese damit auf vielfältige Weise wahrnehmbar machen. Was sind Wälder für den Menschen – und was ist der Mensch für die Wälder?

Waldangst – Waldlust

Scherenschnitt aus "Hänsel und Gretel", die sich im Wald verliefen und von nun von der Hexe ins Knusperhäuschen gelockt werden. © Foto Diether von Goddenthow
Scherenschnitt aus „Hänsel und Gretel“, die sich im Wald verliefen und von nun von der Hexe ins Knusperhäuschen gelockt werden. © Foto Diether von Goddenthow

Im Wald der Romantik regiert nicht allein das Wunderbare, sondern auch die Angst, sich selbst, den Verstand oder das Leben zu verlieren. In den Märchen und Erzählungen spiegelt sich das spannungsreiche Verhältnis des Menschen zur umgebenden lebendigen Welt. Auch heute setzen Erzählungen und Bilder die Wälder als „Landschaften der Angst“ in Szene. Denn er bleibt in seiner Andersartigkeit undurchdringlich und unverfügbar – zumindest als Idee, denn real ist inzwischen jeder Wald für den Menschen potenziell nutzbar oder zerstörbar.

Auch der humoristische Umgang mit den Waldängsten und der Sorge um den Wald,  wird in der Ausstellung gezeigt. Auf dieser Karikatur  in den "Fliegenden Blättern" werden die Machtverhältnisse umgedreht: Der erboste Baum zersägt den Waldarbeiter. Es war eine versteckte Anklage gegen die Übernutzung des Waldes vor 200 Jahren © Foto Diether von Goddenthow
Auch der humoristische Umgang mit den Waldängsten und der Sorge um den Wald, wird in der Ausstellung gezeigt. Auf dieser Karikatur in den „Fliegenden Blättern“ werden die Machtverhältnisse umgedreht: Der erboste Baum zersägt den Waldarbeiter. Es war eine versteckte Anklage gegen die Übernutzung des Waldes vor 200 Jahren © Foto Diether von Goddenthow

 

 

 

In der Gegenwart erhält die Angst durch die Klima- und Biodiversitätskrisen noch eine andere Dimension: die vor dem Verlust des Waldes. „Solastalgie“ bezeichnet das Gefühl, das wir beim Verlust vertrauter Naturräume empfinden. Das Kapitel lotet beide Seiten aus: den Wald als Schauplatz der Auseinandersetzung mit Angst vor der Natur sowie die existenzielle Angst, eine Seelenlandschaft unwiederbringlich zu verlieren.

Museum Sinclair-Haus,
Löwengasse 15, Eingang Dorotheenstraße
61348 Bad Homburg v.d. Höhe
T +49 (0) 6172 5950 500
Mo-Fr, 9-14 Uhr
museum@kunst-und-natur.de

Senckenberg Naturmuseum 
Die Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 ist thematisch breit aufgestellt. So widmet sich das Senckenberg-Naturmuseum auch den Tieren der Wälder, heimischen wie weltweit, insbesondere den bedrohten Arten. Unter der Rubrik "Die Wälder der Menschenaffen" wird über die Gründe des immer enger werdenden Lebensraum von Gorillas und  Orang-Utans berichtet. © Foto Diether von Goddenthow
Die Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 ist thematisch breit aufgestellt. So widmet sich das Senckenberg-Naturmuseum auch den Tieren der Wälder, heimischen wie weltweit, insbesondere den bedrohten Arten. Unter der Rubrik „Die Wälder der Menschenaffen“ wird über die Gründe des immer enger werdenden Lebensraums von Gorillas und Orang-Utans berichtet. © Foto Diether von Goddenthow

Im Senckenberg Naturmuseum können die Besucher ihre Tour durch die 13 Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 fortsetzen, angefange mit den Abschnitten  „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“.  Eine  Art „Wanderkarte“ durchs Museum hilft  dabei, die in die Dauerausstellungen eingebetteten Sonderbereiche zu entdecken. Im Senckenberg-Museum kann man dabei zudem frühe, mehrere Millionen Jahre alte Baumversteinerungen sehen sowie Wald-Lebewesen weit entfernter Erdzeitalter wie die Dinosaurier oder die Urpferde und Primaten aus der Grube Messel, oder auch heutige Waldbewohner von den heimischen Vögeln bis hin zu den Gorillas der Regenwälder des Kongobeckens.

Ein wesentlichen Schwerpunkt legt das Senckenberg Naturmuseum  auf die Wissens-Vermittlung und den OutTeach-Bereich. So gibt es parallel zu den innerhäuslichen Ausstellungskapiteln ein vielfältiges Vermittlungs- und Bildungsprogramm, „was wir eben auch in Zusammenarbeit mit den Vermittlungsabteilungen der drei Häuser gemacht haben“, erläutert Senckenberg-Direktorin und Co-Kuratorin Dr. Brigitte Franzen.

Man werde nicht nur in den Häusern sein, sondern raus gehen in die Natur, in die Wälder, in den Stadtraum. „Zum einen tun wir das zum Beispiel in klassischen Formaten wie Wanderungen, Exkursionen usw. Wir werden sozusagen auch in Goethes Fußspuren laufen, und den Stadtwald uns angucken. Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen, und wir werden aber auch einfach in die Stadt gehen“, schwärmt Co-Kuratorin Katarina Haage, die für die Vermittlung zuständig ist.

Die „Waldseele“ kommt per Lastenrad in die Stadtteile

Co-Kuratorin Katarina Haage: "Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen" und in die Stadtteile Frankfurts gehen: "Zusammen mit den Gestaltern von Raumlabor haben wir das Wälder-Mobil kreiert. Das besteht gerade aus einem Lastenfahrrad, aber eigentlich aus zwei Lastenfahrrädern, mit denen wir unterwegs sein werden. Und mit den wir sozusagen, mit den Leuten ins Gespräch kommen wollen über das Thema Wälder. Und vor allem auch über deren Bilder vom Wald, über deren Vorstellungen  von Wäldern, die vielleicht ihren Wünschen, ihren Ängsten um die Wälder". © Foto Diether von Goddenthow
Co-Kuratorin Katarina Haage: „Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen“ und in die Stadtteile Frankfurts gehen: „Zusammen mit den Gestaltern von Raumlabor haben wir das Wälder-Mobil kreiert. Das besteht gerade aus einem Lastenfahrrad, aber eigentlich aus zwei Lastenfahrrädern, mit denen wir unterwegs sein werden. Und mit den wir sozusagen, mit den Leuten ins Gespräch kommen wollen über das Thema Wälder. Und vor allem auch über deren Bilder vom Wald, über deren Vorstellungen von Wäldern, die vielleicht ihren Wünschen, ihren Ängsten um die Wälder“. © Foto Diether von Goddenthow

Begleitet wird das Senckenberg-Team  bei ihren Städte-Exkursionen  „von dieser wunderschönen grünen Waldseele“, zeigt Katrin Haage auf eine Art riesiges grünes „Waldmonster“, dass extra für die Presse zur Veranschaulichung vor  Museum aufgeblasen wurde.  Dabei handelt es sich um ein Kunstobjekt, das das Team „‘Raumlabor‘ für uns geschaffen hat“. Dieses grüne Fantasie-Geschöpft hat drei Tentakel. Über die könne man tatsächlich auch mit der Waldseele interagieren. „Es kommen vielleicht mal Töne raus, man kann vielleicht mal anfassen, man kann auch etwas erriechen. Man kann also seine Sinne benutzen, um sozusagen mit ihr Kontakt aufzunehmen. Und wir nutzen sie aber eben auch um mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, so Katarina Haage. Dieses Waldmobil solle natürlich Aufmerksamkeit auf sich ziehen, neugierig machen. Man wolle, so die Co-Kuratorin, mit dem „Waldmobil“ quasi unangekündigt in Stadtteilen erscheinen, und man hoffe hierdurch vor allen Dingen die Menschen anzutreffen, „die jetzt gar nicht unbedingt mit uns rechnen, die gar nicht unbedingt sich an dem Tag, in dem Moment mit dem Thema Wälder beschäftigen wollten“.

Stationen der Wälder-Ausstellung

Der Weg durch die in die Dauerausstellung eingebetteten Stationen im Naturmuseum führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen.

Dresden Frankfurt Dance Company. © Foto Diether von Goddenthow
Dresden Frankfurt Dance Company. © Foto Diether von Goddenthow

Die Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis setzt das Thema tänzerisch-performativ um. Die Performance lädt an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen. Eindrückliches dokumentarisches Material zum Joseph Beuys Projekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – das als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt und schon damals einen aktivistischen Ansatz hatte – sowie Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.

Wälderwissen

Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar ... In dieser Vitrine mit insbesondere auch in Hessen beheimateten Vögel können sich Besucher über wichtige von Wald und Flur informieren. © Foto Diether von Goddenthow
Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar … In dieser Vitrine mit insbesondere auch in Hessen beheimateten Vögel können sich Besucher über wichtige von Wald und Flur informieren. © Foto Diether von Goddenthow

Schon in der Romantik wurde erkannt, dass ungebremste Abholzung zur Verarmung der Wälder führt. Unser Verständnis des Naturraums Wald ist heute von der Notwendigkeit geprägt, ihn nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Im 19. Jahrhundert erweitert sich durch Forst- und Naturwissenschaft das Wälderwissen weltweit rasant und wird berechenbar. Gleichzeitig wird das indigene Wissen der Waldbewohner zurückgedrängt. Man beginnt dennoch, es als Ressource auszubeuten. In der westlichen Welt verliert der Wald das Geheimnisvolle und Bedrohliche und wird zum Erholungsraum. Gleichzeitig sind die Wälder Lebensräume für tausende von Lebewesen, z. B. für Vögel. Die positiven Wirkungen gesunder Wälder und Naturphänomenen wie Gerüchen, Windrauschen, Wassergeplätscher und Vogelstimmen auf Puls und Blutdruck, Atmung und Hormonhaushalt sind heute wissenschaftlich und weltweit nachgewiesen. Wirtschaftliche Verhältnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse, kulturelle, gesellschaftliche sowie politische Einflüsse prägen das spezifische „Wälderwissen“.

Das „Wir“ und die Wälder

Alte Wildnis im Herzen Frankfurts. © Foto Diether von Goddenthow
Alte Wildnis im Herzen Frankfurts. © Foto Diether von Goddenthow

Frankfurt hat die größten innerstädtischen Waldgebiete Deutschlands. Ihr Zustand macht nach Dürrejahren und Trockenheit in der Wachstumsperiode nicht nur den Förstern Sorge. Der Schutz der Stadtbäume und die Proteste bei der Rodung von Waldflächen beschäftigt  die  Stadtgesellschaft.  Am  Dienstag  nach  Pfingsten  feiern  wir  den „Wäldchestag“. Seine Wurzeln gehen zurück ins 14. Jahrhundert. Auch Spuren von „Urwäldern“ existieren noch: z. B. die „Reliktwälder“, Biegwald und Teufelsbruch. Sie sind wichtige Untersuchungsfelder für stadtökologische Forschung. Seit 1985 beobachtet die Senckenberg Forschungsgruppe Biotopkartierung die städtischen Ökosysteme; ab 2000 auch den Stadtwald. Sein Zustand hat sich dramatisch verschlechtert.

Der Wäldestag, 1871. Der Frankfurter Maler und Zeichner Johann Heinrich Hasselhorst hält in seinem Ölgemälde eine ausgelassene Feier im Frankfurter Stadtwald dar.  Er zeigt den Wald auch als einen  beliebten  Freizeitort . © Foto Diether von Goddenthow
Der Wäldestag, 1871. Der Frankfurter Maler und Zeichner Johann Heinrich Hasselhorst hält in seinem Ölgemälde eine ausgelassene Feier im Frankfurter Stadtwald dar. Er zeigt den Wald auch als einen beliebten Freizeitort . © Foto Diether von Goddenthow

Die Identifikation mit den Wäldern hat in Deutschland Tradition, von der „deutschen Eiche“, dem brünftigen Hirschen bis zum Volkslied reichen die Symbole. Im Nationalsozialismus instrumentalisierte man den Wald als Ausdruck einer rassistischen und antisemitischen Naturkultur. Das hat auch die Waldforschung der Zeit beeinflusst.

Leben und Sterben der Wälder

Die Präsentation von Original-Protest-Schildern bei der Besetzung und Räumung des Fechenheimer Waldes steht symbolisch für die bundesweit immer wieder Aufflammenden Proteste gegen Waldvernichtung, um dem  menschenverursachten Sterben von  Wäldern etwas entgegenzusetzen. © Foto Diether von Goddenthow
Die Präsentation von Original-Protest-Schildern bei der Besetzung und Räumung des Fechenheimer Waldes steht symbolisch für die bundesweit immer wieder Aufflammenden Proteste gegen Waldvernichtung, um dem menschenverursachten Sterben von Wäldern etwas entgegenzusetzen. © Foto Diether von Goddenthow

Wälder sind lebende Systeme. Sie unterliegen natürlichen und menschengemachten und technischen Prozessen von Werden und Vergehen. In den 1980er Jahren wurde das Waldsterben mit dem „Sauren Regen“ erstmals offensichtlich. Wälder sind heute weltweit bedroht und damit auch die Artenvielfalt. Kreisläufe bestimmen die Komplexität des Lebens und Sterbens. Abgestorbene Bäume heißen Totholz und wimmeln von Leben. Insekten, Pilze und Flechten ernähren sich vom zerfallenden Holz und nutzen es als Lebensraum. Am Ende bleibt fruchtbare Erde, die den Grund für neue Bäume und die Lebensgemeinschaft Wald bildet. Weil neu aufwachsende Pflanzen, insbesondere Bäume, CO2 binden, ist es entscheidend, diese Ökosystemleistungen global zu schützen. Auch die Geowissenschaften beziehen sich auf ehemalige Wälder. Die Rekonstruktion des Lebens und das Verständnis von Evolution gewinnt mit Fossilien wichtige Informationen. Gleichzeitig sind heutige Kohlelagerstätten, mithilfe geologischer Forschung entdeckt, Überreste von Wäldern vor Jahrmillionen.

Wälder modellieren

Impression Wald und Moose. © Foto Diether von Goddenthow
Impression Wald und Moose. © Foto Diether von Goddenthow

Die systematische naturwissenschaftliche Beschreibung und Erfassung der Arten beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts mit Carl von Linné. Die sich parallel ausbildende Forstwirtschaft systematisiert das Wissen über Wälder im 19. Jahrhundert. In der Romantik wandelt sich der wirtschaftlich genutzte Wald zum Sehnsuchtsort. So wird er zur ideellen und idealisierten Gegenwelt der weltweiten Ausbeutung der Wälder. Musik, Malerei, Philosophie und Literatur bilden die oft als „magisch“ empfundenen Natur- und Selbsterfahrungen in Wäldern ab. Dabei spielten sowohl die Wälder der Umgebung als auch weit entfernte Wälder in kolonisierten Gebieten als Referenz eine Rolle. Forscher:innen sammeln und untersuchen Daten aus Wäldern global und lokal im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktion und Klima. Ziele sind das Verständnis grundlegender Prozesse, die Bewertung von Ökosystemleistungen und die Entwicklung von Szenarien und Maßnahmen für zukünftige nachhaltige Anpassungen in der Klimakrise.

Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
T +49 69 7542-0
Fax: +49 69 7542 1437
info@senckenberg.de

(Dokumentation: Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Wälder. Von der Romantik in die Zukunft – ab 16.03.2024 im Deutschen Romantik-Museum, Senckenberg Naturmuseum Frankfurt sowie im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg

Drei Museen im Rhein-Main-Gebiet nehmen sich vom 16. März bis 11. August 2024 in der Sonderausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ gemeinsam der Wälder an: Das Deutsche Romantik-Museum, das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg kooperieren in einem großen mehrteiligen Ausstellungsprojekt. Die transdisziplinäre Ausstellung verknüpft wissenschaftliche, ökologische und ästhetische Zugänge von damals und heute. Mit Exponaten aus den Künsten, der Kultur- und Forstgeschichte sowie den Naturwissenschaften spannt die Schau den Bogen von der Epoche der Romantik über die Gegenwart bis in die Zukunft. Vor dem Hintergrund von Klima- und Biodiversitätskrisen bringt die Ausstellung am Beispiel des hochromantischen Themas „Wald“ frühe Ansätze zur Entwicklung anderer Naturverhältnisse in einen Dialog mit aktuellen Fragestellungen.

Die Ausstellung ist in 13 Themeninseln organisiert, die sich über alle drei Museen verteilen. Das neue Verständnis der Natur in der Romantik mit seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart steht im Fokus der Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum. Im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt erwarten Sie aktuelle Perspektiven der Naturwissenschaften im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Relevanz im Austausch mit künstlerischen Forschungen. Das Museum Sinclair-Haus stellt die Künste beider Epochen in den Mittelpunkt und erkundet, wie Mensch-WaldVerbindungen im Möglichkeitsraum der Kunst imaginiert werden. Weitere Informationen unter waelder-ausstellung.de sowie auf den Webseiten der drei Museen.

Deutsches Romantik-Museum Ökologisches Denken und Naturethik

Im Deutschen Romantik-Museum können sich die Gäste auf eine facettenreiche Reise durch die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis in die Gegenwart begeben. Welches Naturverständnis die romantischen Künstler und Schriftstellerinnen, Wissenschaftler und Komponistinnen um 1800 in ihren Wald-Arbeiten entwarfen und wie aktuell dieses ist, steht im Zentrum des ersten Kapitels „Der ganze Wald“. In einem dichten Gefüge aus Bildern und Noten, Texten und Dingen, bewegter Schrift und Musik kann der romantische Wald hier mit Augen und Ohren erfahren werden. Diesen Imaginationen stellt die Ausstellung den realen Zustand der Wälder um 1800 zur Seite. Das zweite Kapitel „Waldumbau“ erzählt von ihrem schlechten Zustand in dieser Zeit, und macht nachvollziehbar, dass die Wälder, durch die wir heute streifen, ein Produkt forstwirtschaftlicher Praktiken sind, die damals entwickelt wurden. Den nicht menschlichen, den „(tierlichen) Waldumbau“ behandelt das dritte Kapitel. Es betrachtet und belauscht den Borkenkäfer und seine Verwandten, die sich, wenn wir die Perspektive verändern, als Lehrmeister für den dringend gebotenen Umbau zu einem klimaresilienten Mischwald verstehen lassen. Das vierte Kapitel erkundet den „Wald von Nahem“. Es führt in den faszinierenden Mikrokosmos der Moose, Pilze und Flechten und in den unsichtbaren Unterwald. Die Nahsicht lässt die Komplexität von Ökosystemen erahnen. Das fünfte Kapitel der Ausstellung fragt, ob nicht nur Menschen, sondern auch Wälder Rechte haben. Rechte der Natur sind seit einigen Jahren in verschiedenen Verfassungen verankert worden. Ob ihre Anerkennung, die mit einer Pflicht zur Fürsorge für die Natur verbunden ist, einen Weg aus der Not der Wälder weist?

Mit künstlerischen Arbeiten u. a. von Rodrigo Arteaga, Nicholas Bussmann, Flechten, Anne Duk Hee Jordan, Markus Maeder, Antje Majewski, David Monacchi, Chris Shafe, Marieken Verheyen.

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt Wissen über den Wald

Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt lädt zu einem außergewöhnlichen Waldspaziergang ein: Eine Wanderkarte leitet durch die Kapitel „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“, die in der ersten und zweiten Etage des Museums – eingebettet in die Dauerausstellung – zu entdecken sind. Der Weg führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen. Die Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis setzt das Thema tänzerisch-performativ um. Die Performance lädt an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen. Eindrückliches dokumentarisches Material zum Joseph Beuys Projekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – das als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt und schon damals einen aktivistischen Ansatz hatte – sowie Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.

Mit künstlerischen Arbeiten von Ursula Biemann, Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis, Joseph Beuys Estate, Elisabeth Schultz, Jakob Kudsk Steensen.

Museum Sinclair-Haus Wälder der Künste

Im Museum Sinclair-Haus gehen die Besucherinnen und Besucher auf eine sinnliche Wald-Erkundungsreise: Die drei Ausstellungskapitel öffnen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart. Im Kapitel „In die Wälder!“ spricht das Zusammenspiel von Texten aus der Romantik und zeitgenössischen Kunstwerken wie bei einem Waldbesuch unterschiedliche Sinne an. Die Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer-Brandis etwa basiert auf der Tatsache, dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die DuftIdentität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, das Besuchende benutzen können, um als Mensch möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können. Das zweite Kapitel „Erdlebenbilder“ (dieser romantische Begriff sollte klarstellen, dass es der Landschaftsmalerei der Zeit um mehr ging als Natur darzustellen) zeigt Waldbilder in den Medien Zeichnung, Malerei, Fotografie, Musik und Datenvisualisierung. Sie erzählen davon, wie faszinierend Wälder auf Menschen wirken, wie (bild-)gewaltig und zugleich zerbrechlich diese vielschichtigen Ökosysteme sind. Das dritte und letzte Ausstellungskapitel „Waldangst – Waldlust“ lockt in den Wald als Ort des Schauderns. Das Kapitel hat zwei Teile: Im ersten führen Märchen, Bilder und Objekte aus der Kunst und Populärkultur auf die Spuren menschlicher Urängste. Der zweite Teil dieses Kapitels dreht den Blick um: Hier steht die Sorge um die Zukunft der Wälder im Mittelpunkt – und die Frage, was trösten und Hoffnung schenken kann. Was können wir von der Romantik für unsere heutigen Beziehungen zu Wäldern lernen?

Mit künstlerischen Arbeiten u. a. von Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes MeyerBrandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo.

Ein Wildtier kehrt zurück: Die Kontroverse Wolf – Vortrag mit Dr. Carsten Nowak und Axel Gomille am 25.1.2024 im Senckenberg Naturmuseum

Luigi der Mainzer Wolf (Naturhistorisches Museum  Mainz). © Foto: Diether von Goddenthow
Luigi der Mainzer Wolf (Naturhistorisches Museum Mainz). © Foto: Diether von Goddenthow

Ein Wildtier kehrt zurück: Die Kontroverse Wolf
Abendvortrag des Fördervereins Senckenberg am 25. Januar mit Dr. Carsten Nowak und Axel Gomille

Frankfurt, 18.01.2024. Im Frühjahr 2000 wurden im Nordosten von Sachsen zum ersten Mal – seit der Ausrottung des Wolfes durch den Menschen um 1850 – in Deutschland wieder wildlebende Wolfswelpen geboren. Inzwischen leben in fast allen Bundesländern Wölfe. Auch in Hessen wurde das Wildtier etwa im Taunus, im Spessart und dem Vogelsberg nachgewiesen. Der Förderverein Senckenberg lädt am Donnerstag, den 25. Januar zum Abendvortrag „Ein Wildtier kehrt zurück: Die Kontroverse Wolf“ mit Dr. Carsten Nowak, Leiter der Wildtiergenetik am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, sowie Zoologe, Filmemacher, Buchautor und Tierfotograf Axel Gomille ein.

Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland gilt den einen als großer Erfolg für den Naturschutz und als wichtiger Bestandteil der heimischen Biodiversität. Bei anderen führt die Ausbreitung der Wildtiere zu Skepsis und Unmut. Ängste und alte Ressentiments, wie auch Rufe nach einer Aufweichung des Artenschutzes nehmen zu. Erst kürzlich einigten sich die Umweltminister*innen der Länder auf einen schnelleren und einfacheren Abschuss von Wölfen nach Nutztierübergriffen.

Referent Dr. Carsten Nowak, Leiter der Wildtiergenetik am Senckenberg-Standort in Gelnhausen, ist verantwortlich für die genetische Untersuchung von Wolfsproben aus ganz Deutschland. Zoologe Axel Gomille hat sich als Filmemacher, Buchautor und Tierfotograf einen Namen gemacht. Sein jüngstes Buch erschien 2022 unter dem Titel „Deutschlands wilder Osten – Im Land von Kranich, Wolf und Adler“.

Ist ein konfliktarmes Zusammenleben mit den Raubtieren möglich? Welche Rolle nimmt die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in der „Wolf-Frage“ ein? Und wie könnten Lösungen für die Zukunft aussehen? Die beiden Vortragenden ordnen während der Abendveranstaltung die aktuellen Debatten rund um das Thema „Wolf“ in Deutschland ein und beleuchten die – teilweise hitzig geführte – öffentliche Diskussion aus wissenschaftlicher und journalistischer Sicht.

Veranstaltung: Ein Wildtier kehrt zurück: Die Kontroverse Wolf
Datum: Donnerstag, 25. Januar 2024, 19:00 Uhr (Einlass: 18:30 Uhr)
Ort: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, Arthur von Weinberg-Haus (Grüner Hörsaal, Robert-Mayer-Straße 2, 60325 Frankfurt)

Der Förderverein Senckenberg bittet um Anmeldung unter info@foerderverein.senckenberg.de

Die Teilnahme ist kostenfrei.

Mehr Informationen unter: https://www.senckenberg-foerderverein.de/veranstaltungen-1/

Die Kraft der Bilder Der Anthropologe Philippe Descola stellt sein Buch „Die Formen des Sichtbaren“ bei Senckenberg vor

die-formen-des-sichtbaren_9783518587997_cover-250Frankfurt am Main, 13.10.2023. Eine Yupik-Maske aus Alaska, eine Malerei der Aborigines, eine Miniaturlandschaft aus der Song-Dynastie, ein holländisches Interieurgemälde aus dem 17. Jahrhundert: Was ein Bild zeigt oder gerade nicht zeigt, enthüllt ein bestimmtes figuratives Schema, das durch die formalen Mittel und durch die Anordnung, mit der es seine Wirkungskraft entfaltet, gekennzeichnet ist. Der bedeutende französische Anthropologe Philippe Descola stellt am 21. Oktober sein Buch „Die Formen des Sichtbaren – eine Anthropologie der Bilder“ in einer Diskussion mit Peter Geimer, Leiter des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris, im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt vor.

Bilder ermöglichen uns einen Zugang zu dem, was unterschiedliche menschliche Lebensformen ausmacht. Gestützt auf einen globalen und historisch weit ausgreifenden Vergleich von Werken einer atemberaubenden Vielfalt, entwickelt Philippe Descola in seinem Buch Buch „Die Formen des Sichtbaren – eine Anthropologie der Bilder“ die Grundlagen für eine Anthropologie der menschlichen Bildkunst.

Die bildliche Darstellung ist laut Descola nicht allein der Fantasie derer überlassen, die die Bilder erschaffen. Wir stellen nur dar, was wir wahrnehmen, oder uns vorstellen, und wir stellen uns nur vor und nehmen nur wahr, was uns die Gewohnheit zu unterscheiden gelehrt hat. Der visuelle Pfad, den wir bei der Abbildung der Welt einschlagen, hängt für Descola daher davon ab, welcher der vier Regionen des von ihm entdeckten ontologischen Archipels wir angehören: Animismus, Naturalismus, Totemismus oder Analogismus. Jeder von ihnen entspricht eine bestimmte Art, die Welt zu begreifen, ihre Kontinuitäten und Diskontinuitäten wahrzunehmen.

Philippe Descola, geboren 1949, ist emeritierter Professor für Anthropologie am Collège de France, Directeur d’Études an der École des Hautes Études en Sciences Sociales EHESS und gilt als einer der bedeutendsten französischen Anthropologen der Gegenwart. In seinen Forschungen entwickelt er eine vergleichende Anthropologie, die sowohl die Humanwissenschaften als auch die Reflexion über die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit revolutioniert hat. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit der Goldmedaille des Centre national de la recherche scientifique (CNRS), der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung Frankreichs. Sein Buch „Die Formen des Sichtbaren. Eine Anthropologie der Bilder“ gewann 2021 den Prix Fondation Martine Aublet.

Lesung: Philippe Descola „Die Formen des Sichtbaren“
Datum: Samstag, 21. Oktober 2023, 19.30 Uhr
Ort: Senckenberg Naturmuseum Frankfurt, Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt

Durch den Abend führt Peter Geimer, Leiter des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris.
Begrüßung: Brigitte Franzen, Direktorin des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt. Übersetzung ins Deutsche: Marianne Crux

Ticktes unter https://sgn.one/descola (15 Euro / Ermäßigt 10 Euro)

Am Abend ist ein Büchertisch vorhanden.

Eine Veranstaltung des Institut français Deutschland in Kooperation mit dem Senckenberg Naturmuseum und mit dem IFRA-SHS / Institut français Frankfurt.

„Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“ Sonderausstellung im Senckenberg Naturmuseum vom 29. 09. 2023 bis 01. 12. 2024

Das Modell einer Hainschwebfliege ist der Blickfang in der Sonderausstellung Stadt-Insekten - Frankfurts kleine Helfer"  vom 29. September 2023 bis 1. Dezember 2024 im Senckenberg Naturmuseum. © Foto Diether von Goddenthow
Das Modell einer Hainschwebfliege ist der Blickfang in der Sonderausstellung Stadt-Insekten – Frankfurts kleine Helfer“ vom 29. September 2023 bis 1. Dezember 2024 im Senckenberg Naturmuseum. © Foto Diether von Goddenthow

„Man könnte ja auch sagen, die Insekten nerven. Was wir beim ‚Manchmal-Nerven‘ gerne vergessen, ist, dass sie eigentlich ständig für uns da sind, und wir ständig auf sie angewiesen sind“, eröffnet Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt, gemeinsam mit Senckenberg-Direktorin Dr. Brigitte Franzen sowie ISOE-Leiterin Dr. Marion Mehring und Ausstellungskurator Maximilian Bugert den Presse-Rundgang durch die neue Sonderausstellung „Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“ vom 29.09.2023 bis 01.12.2024.

Die in die drei Bereiche „Gefahren und Chancen für Stadtinsekten“, „Kleine Helfer“ und „Erforschung der Stadtinsekten“ gegliederte Ausstellung lädt dazu ein, die faszinierenden kleinen Lebewesen und ihre oftmals dem städtischen Umfeld angepassten Lebensweisen  in Frankfurt kennenzulernen und (wert-)schätzen zu lernen.  Zudem sind die Bürger von jung bis alt dazu eingeladen, diese kleinen  Wesen gemeinsam  mit  Wissenschaftlern  im Rahmen des Projektes „SLInBio“ zu erforschen . Denn die Ausstellung ist zugleich  Teil des großen interdisziplinären Forschungsprojektes „SLInBio – Städtische Lebensstile und die Inwertsetzung von Biodiversität: Libellen, Heuschrecken, Hummeln und Co“ unter Leitung des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE). Beteiligt an diesem deutschlandweit einmaligen Projektverbund sind neben  ISOE und dem Senckenberg  Forschungsinstitut und Naturmuseum  auch die Goethe-Universität, NABU Frankfurt am Main e.V., BioFrankfurt – Das Netzwerk für Biodiversität e.V., Palmengarten der Stadt Frankfurt sowie  Grünflächenamt und Umweltamt der Stadt Frankfurt.

Dr. Brigitte Franzen, Direktorin des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt, Dr. Marion Mehring, Leiterin des Forschungsfelds Biodiversität und Gesellschaft am ISOE, Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und Mitglied des Senckenberg-Direktoriums und Kurator Maximilian Bugert stellen im Raum der Vielfalt im Senckenberg-Naturmuseum die neue Ausstellung „Stadt-Insekten“ vor. © Foto Diether von Goddenthow
Dr. Brigitte Franzen, Direktorin des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt, Dr. Marion Mehring, Leiterin des Forschungsfelds Biodiversität und Gesellschaft am ISOE, Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und Mitglied des Senckenberg-Direktoriums und Kurator Maximilian Bugert stellen im Raum der Vielfalt im Senckenberg-Naturmuseum die neue Ausstellung „Stadt-Insekten“ vor. © Foto Diether von Goddenthow

„In Frankfurt und Umgebung kommen erstaunlich viele Insekten vor und sie erfüllen Aufgaben, die auch für uns Menschen nützlich sind. Die Insekten übernehmen wichtige Funktionen, denn sie sind Bestäuber, Aasbeseitiger und natürliche Schädlingsbekämpfer und vieles mehr. Für eine intakte Natur und damit auch für den Menschen sind sie unersetzlich“. erläutert Dr. Brigitte Franzen, Direktorin des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt.: „Wir möchten mit der Ausstellung ein Gefühl der Wertschätzung für diese kleinen Helfer und ihre Leistungen wecken, die zu oft unbeachtet bleiben.“

Die Ausstellung zeigt, dass in Städten wie in Frankfurt ganz unterschiedliche Insektengruppen auf engem Raum ein Mosaik aus ganz verschiedenen Lebensräumen bilden können. Diese Habitatstrukturen mitsamt ihrer Bewohner werden beispielhaft vorgestellt: Brachflächen, ursprüngliche Waldstücke, wie der Frankfurter Biegwald, städtische Parks und botanische Gärten, Streuobstwiesen, private Gärten aber auch die Innenstadt bieten unterschiedlichsten Insekten einen Lebensraum. „Um einen Überblick über die hier lebenden Insekten zu bekommen, waren die Ergebnisse des Projekts „Biotopkartierung“, das im Auftrag des Umweltamtes der Stadt Frankfurt am Main durch das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt erfolgt ungeheuer hilfreich,“ sagt Kurator der Ausstellung Maximilian Bugert und erläutert weiter: „Seit 1985 wurden hier Wildnisflächen in der Mainmetropole untersucht. Viele der dabei gefundenen Arten, zeigt das Senckenberg Naturmuseum  in seiner Schau.

Neues Insekten-Leben auf Brachflächen

Hat sich rasch in unwirtlichen Brachflächen Frankfurts angesiedelt: Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens): wunderschön, wenn sie ihre hellblauen Flügel öffnet. © Foto Diether von Goddenthow
Hat sich rasch in unwirtlichen Brachflächen Frankfurts angesiedelt: Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens): wunderschön, wenn sie ihre hellblauen Flügel öffnet. © Foto Diether von Goddenthow

Dazu gehört auch die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens): wunderschön, wenn sie ihre hellblauen Flügel öffnet, aber ansonsten fast unsichtbar, da hervorragend getarnt. Die in ganz Europa unter Schutz stehende Art ist auf Frankfurts Brachflächen regelmäßig anzutreffen. Das „Chamäleon“ unter den Insekten kann die Körperfarbe in ein bis zwei Tagen der Umgebung anpassen. „Nicht genutzte Brachflächen werden in der Stadt in kurzer Zeit von der Natur erobert. Sie verändern sich aber auch schnell, so dass verschiedene Pflanzen und Insekten dort einen Lebensraum finden. Erst gibt es dort offene Böden, die zum Beispiel einen Lebensraum für erdnistende Bienen oder die Ödlandschrecke bieten, dann wachsen niedrige Stauden und Gräser bis Gehölze und Bäume hinzukommen, die dann meistens wieder gerodet werden“, erklärt Bugert.

„Alte Wildnis“, wo der Heldbock krabbelt 

"Alte Wildnis" wo der Heldbock und viele andere Insekten krabbeln. © Foto Diether von Goddenthow
„Alte Wildnis“ wo der Heldbock und viele andere Insekten krabbeln. © Foto Diether von Goddenthow

Langlebigere Lebensräume in Frankfurt sind Waldgebiete, wie der Biegwald – ein Stück „alter Wildnis“ zwischen Bockenheim und Rödelheim. Dort krabbelt beispielsweise der Heldbock (Cerambyx cerdo) auf ursprünglichen, dickstämmigen Eichen. Er gilt deshalb als „Urwaldrelikt“ und gehört – mit einer Größe von einem kleinen Finger – zu den größten Käfern Europas. Er ist vom Aussterben bedroht und gilt als streng geschützt. In der Ausstellung können Besuchende dem Heldbock helfen zu überleben, indem sie ihm „Trittsteine“ anbieten, um von einem Lebensraum zum anderen zu gelangen.

Als optisches Highlight zieht das  überproportional, im Maßstab von 40:1  erstellte Modell einer  Hainschwebfliege die Besucher beim Betreten der Ausstellung sofort unweigerlich in ihren Bann und  ins Thema „Stadt-Insekten“ hinein. Fast wie Blick durch ein Horoskop präsentiert sich die genial gestaltete Fliegenskulptur den Besuchern. Zunächst glaubt man, dass es sich bei dem „Wesen“ um eine Wespe handeln könnte. Denn  die Hainschwebfliege ähnelt mit ihrem gelb-schwarz geringelten Hinterleib ein wenig einer großen Wespe, oder gar einer kleineren Hornisse. Die sich von Nektar ernährende Hainschwebfliege verfügt jedoch, anders als die Wespen, über keinen Giftstachel. Sie ist für Menschen absolut harmlos, und ungeheuer nützlich als Bestäuber sehr vieler Pflanzen, sogar von Petersilie. Das dürfte besonders die Frankfurter freuen, da Petersilie bekanntermaßen eines der sieben benötigten Grüne-Soße-Kräuter ist. Zudem vertilgt die  Hainschwebfliege Blattläuse. Früher hätte man gesagt: Die Hainschwebfliege ist ein absoluter Nützling, was jedoch, ganzheitlich drauf geschaut, Blödsinn ist, da es keine wirklichen Schädlinge gibt. Alle Insekten sind in ihrer Gesamtheit für unser aller Ökosystem  wichtig und wert geschützt und unterstützt zu werden.

Für Wespen die Maus auf dem Teller so lecker wie ein Schnitzel

Ein wenig augenzwinkernd haben die Ausstellungsmacher hier Wespen in zwei Aktionen "serviert", einmal die Wespe als Aasfresser, die sich über einen Mäusekadaver hermacht, und zum anderen als  für Ausflugsgäste lästiger Schnitzel-Gourmet. © Foto Diether von Goddenthow
Ein wenig augenzwinkernd haben die Ausstellungsmacher hier Wespen in zwei Aktionen „serviert“, einmal die Wespe als Aasfresser, die sich über einen Mäusekadaver hermacht, und zum anderen als für Ausflugsgäste lästiger Schnitzel-Gourmet. © Foto Diether von Goddenthow

Als weiterer Eyecatcher dürfte  auch die Installation einer auf den ersten Blick  „typischen“ Gartentisch-Garnitur“  Besucher in ihren Bann ziehen. Erst auf den zweiten Blick offenbar sich, was wirklich auf den Tellern liegt:  eine tote Maus, an der sich die  Wespen genauso laben, wie an dem  Schnitzel mit grüner Soße auf dem zweiten Teller. Was viele nicht wissen: Wespen sind nicht nur Bestäuber, sondern auch Aasfresser, und  helfen, Kleintier-Kadaver (in Städten) zu beseitigen. Zudem fangen Wespen Mücken, um ihre Brut damit zu füttern. Wespen am Hause halten Mücken fern.

„Kleine Helfer“

Kleine Helfer - Steuobstwiesen. © Foto Diether von Goddenthow
Kleine Helfer – Steuobstwiesen. © Foto Diether von Goddenthow

Was Insekten noch alles für uns  leisten, wird im Ausstellungsbereich „Kleine Helfer“ besonders auch am Beispiel der Streuobstwiesen klar. Ohne Bestäuber sähe die Qualität der Apfelernte anders aus. Frankfurter Kulturgüter wie der Apfelwein oder, wie erwähnt, die Grüne Soße wären seltene, kostspielige Güter. Insgesamt neun Symbole erinnern in der Ausstellung immer wieder daran, welche Systemleistungen Insekten kostenlos für uns bereitstellen: vom Bestäuben, über das Recyceln von Materialien, als Futter für andere Tiere bis zur Erholung. Auf der Parkbank in der Ausstellung können Besuchende zum Beispiel die Schönheit und Vielfalt der sechsbeinigen Helfer ganz bewusst genießen und dabei entspannen: Über einen Beamer werden Bilder von Frankfurter Stadtinsekten projiziert. Auch eigene Fotos können dafür per E-Mail an stadtinsekten@senckenberg.de eingeschick werden; sie werden regelmäßig in der Ausstellung ergänzt.

Bei aller Vielfalt sind die Stadtinsekten aber auch einigen Gefahren ausgesetzt, sei es durch Lichtverschmutzung bei der Straßen- und Gebäudebeleuchtung oder durch mit Pestiziden belastete Baumaterialien, die ins Grundwasser gelangen. „Für die Erhaltung der Insektenvielfalt ist auch die Stadtgesellschaft gefragt“, sagt Prof. Dr. Andreas Mulch, Leiter des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und Senckenberg-Direktoriumsmitglied und erläutert: „Das Verhalten der Menschen hat direkten Einfluss auf die Vielfalt von Libellen, Schmetterlingen, Bienen und anderen Insekten. Die Forschung des Projekts SLInBio soll helfen, Maßnahmen zu identifizieren, durch die die Insektenvielfalt in der Stadt gefördert werden kann. In der Ausstellung thematisieren wir die Forschung und geben erste Anregungen.“ „Um Insekten zu schützen, braucht es ein breites Bündnis und Wissen, wie wichtig Insekten für uns als Gesellschaft sind. Das loten wir im Forschungsprojekt SLInBio aus“, sagt Projektleiterin Dr. Marion Mehring vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung. „Die Ausstellung ist ein zentrales Element unserer Forschungsarbeit, die nach den Auswirkungen städtischer Lebensstile auf die Insektenvielfalt fragt.“

In dem Kooperationsprojekt SLInBio wird unter anderem auch von Senckenberg-Entomologen untersucht, wie es konkret um die Insektenvielfalt in den privaten Gärten Frankfurts steht. Dazu haben sie 16 Hausgärten und Kleingartenparzellen in Frankfurt untersucht. Dort nahmen sie DNA-Proben von Insektenspuren auf Blütenköpfen, Blättern sowie aus dem Wasser um nachzuweisen, welche Insekten dort vorkommen. Die Auswertungen sind noch nicht abgeschlossen, doch die ersten Ergebnisse zeigen bereits, dass die Gärten selbst in Großstädten wie Frankfurt insektenreich sein können.

Wer mithelfen möchte, mehr über die Insektenvielfalt in Hessen herauszufinden, kann über das Projekt „Insekten Hessen“ (https://portal.insekten-hessen.de) eigene Beobachtungen mit dem Mobiltelefon dokumentieren und hochladen. Ein Zähler in der Ausstellung zeigt die aktuellen Zahlen der gemeldeten Insektenarten, der Individuen und der Personen, die mitmachen.

„Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“
29. September 2023 bis 01. Dezember 2024
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.

Weitere Informationen  unter: museumfrankfurt.senckenberg.de

Senckenberg Naturmuseum
Senckenberganlage 25,
60325 Frankfurt am Main

Eintritt
Erwachsene (ab 18 Jahre) 12,00 €
Kinder, Schüler*innen, Jugendliche
ab 6 Jahre
4,50 €
Familie: 2 Erwachsene und
bis zu 3 Kinder von 6-17 Jahren
30,00 €

Öffnungszeiten
Mo., Di., Do., Fr. 9:00 – 17:00 Uhr
Mi. 9:00 – 20:00 Uhr
Sa., So., Feiertage 9:00 – 18:00 Uhr

Senckenberg zeigt: „Floralia: Merian – Schultz – Crespo“- Drei Frauen zwischen Kunst und Erforschung der Pflanzen

© Senckenberg Naturmuseum
© Senckenberg Naturmuseum

Vom 8. September bis 3. Dezember 2023 zeigt das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt die einzigartige Ausstellung „Floralia: Merian – Schultz – Crespo“ -Drei Frauen zwischen Kunst und Erforschung“ mit brillanten historischen Zeichnungen und Malerei von Motiven aus der Pflanzen- und Insekten-Welt.

Frankfurt am Main, 7.9.2023. Drei außergewöhnliche Frankfurterinnen, drei Epochen, eine Leidenschaft: Maria Sibylla Merian (1647–1717), Elisabeth Schultz (1817–1898) und Ulrike Crespo (1950–2019) stehen für die Beobachtung der Pflanzenwelt (Flora) und ihre Dokumentation. Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zeigt eine Auswahl ihrer eindrucksvollen Zeichnungen und Malereien sowie druckgrafischen und experimentell-fotografischen Arbeiten. Die Analyse der Flora ist ein wichtiges Gebiet der Biodiversitätsforschung. Gleichzeitig sind Pflanzendarstellungen in der Kunst ein reizvolles Motiv. In Frankfurt haben es diese drei Persönlichkeiten zur Meisterschaft der künstlerisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Bildgebung gebracht. Die Ausstellung stellt ihre Werke epochenübergreifend gegenüber und beleuchtet das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Die Schau wird gefördert von der Crespo Foundation.

Rot leuchten die zarten Blütenköpfe des filigran und naturgetreu gezeichneten Klatschmohns. Auf den blau-lila, an Hortensien erinnernden Blütenblättern lassen Regentropfen ganz eigene Muster und Farbmischungen entstehen. Eine Raupe erklimmt die Goldgelbe Lilie, auf deren Blättern verschiedene Insekteneier und Puppen liegen, während darüber schon der geschlüpfte Falter thront. Elisabeth Schultz, Ulrike Crespo und Maria Sibylla Merian sind die Schöpferinnen dieser außergewöhnlichen, exemplarisch herausgegriffenen Pflanzenportraits – Ulrike Crespo bezieht natürlichen Regen mit ein, in Merians Fall wird dabei sogar das Zusammenspiel der Tiere und ihrer Futterpflanze im Ökosystem dargestellt.

„Die Verbindung einer künstlerischen mit einer forschenden Tätigkeit ist das Besondere an den Werken der drei – von uns in der neuen Sonderausstellung portraitierten – Frauen. In ihren Werken kommt eine Neugier, ein Drang zum Entdecken und ein geduldiges Befassen mit Details in Naturräumen und Beobachten von Zusammenhängen zum Ausdruck“, erläutert Kuratorin und Museumsdirektorin Dr. Brigitte Franzen und fährt fort: „Anhand ihrer Arbeiten zeigt die Ausstellung die Blickweisen und Untersuchungsinteressen der drei Frauen über die jeweiligen Zeitalter des Barock, der Industrialisierung und der Postmoderne hinweg und beleuchtet dabei das Verhältnis von Natur, Wissenschaft und Kunst.“

Von Maria Sibylla Merian werden mehrere Originalexemplare ihres berühmten Raupenbuches „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung“, (unkoloriert, koloriert und Umdruckexemplar) präsentiert. In detailreich komponierten Darstellungen veranschaulichte sie den Zyklus eines Insekts: vom Ei über die Raupe und das Stadium der Puppe bis hin zum Falter – arrangiert um die und auf der jeweiligen Nahrungspflanze. Diese Darstellungsform war ihre künstlerische Erfindung. Allen ihren Arbeiten gingen empirische Beobachtungen voraus. Sie studierte die Insekten, ihre Entwicklung und ihren natürlichen Lebensraum, begann die Tiere zu züchten und systematisch zu erforschen. Ihre Tätigkeit als zeichnende Naturkundlerin beziehungsweise naturkundlich forschende Künstlerin war eine Ausnahme in ihrer Zeit. An einer Medienstation können Besuchende digital durch das Raupenbuch sowie Merians Buch mit Surinamischen Pflanzen und Insekten „Dissertatio De Generatione Et Metamorphosibus Insectorum Surinamensium“ blättern. Darüber hinaus sind bisher nahezu unbekannte, Merian zugeschriebene Originalzeichnungen von Pflanzen mit Tieren sowie Handmalereien von Insekten, Schnecken und Blumen nach Georg Hoefnagel zu sehen.

Elisabeth Schultz widmete ihre künstlerische Arbeit der vollständigen Dokumentation der Frankfurter Flora. Über 40 Jahre hinweg entstand ein bis heute einzigartiges Kompendium von über 1200 Gouachen, mit dem die Künstlerin einen „Atlas der wildwachsenden Pflanzen aus der Umgebung von Frankfurt am Main“ schuf. Rund 40 Blätter aus diesem Gesamtwerk, dass sie der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung nach ihrem Tod vermachte, sind erstmals in der Ausstellung zu sehen. Versehen sind die Werke mit den botanischen Bestimmungen im Lateinischen wie auch den deutschen Trivialnamen. Obwohl Schultz weder den genauen Fundort noch das Funddatum vermerkte, gibt ihre Arbeit einen Einblick in die Frankfurter Pflanzenwelt zu ihrer Lebzeit. „Ihre Darstellung erinnert an Vorgehensweisen in Herbaren, Sammlungen konservierter, meist getrockneter und gepresster Pflanzen, bei der alle Teile einer Pflanze zergliedert und auf einem Papierbogen zusammengebracht werden“, erklärt Prof. Dr. Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. So stellt Schultz auch Blätter umgedreht dar, um die Unterseite erkennen zu lassen, oder knickt ganze Pflanzenteile ab, wenn sie für die Darstellung auf einer Seite zu groß sind. „Ihre Werke erfüllen dabei wissenschaftliche Standards botanischer Zeichnungen, wie Vollständigkeit, Realitätsgebundenheit und faktische Authentizität“, führt Tockner aus. Gleichzeitig folgen sie einer eigenen Bild- und Lichtregie, bei der mit künstlerischen Stilmitteln Plastizität und Räumlichkeit erzeugt werden, denn ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Zeichenlehrerin. 1897 wurde Schultz als erste Frau zum Ehrenmitglied der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, heute Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, ernannt.

Von Ulrike Crespo wird eine Auswahl ihrer „Rainflowers“ gezeigt. Die Arbeiten sind untrennbar mit „Glenkeen Garden“ verbunden, einem Landschaftspark mit verschiedenen gärtnerisch gestalteten und natürlich belassenen Zonen, den die Künstlerin gemeinsam mit ihrem Partner Michael Satke an der Küste in West Cork, Irland in langjähriger Arbeit angelegt hat. Sie nähert sich den Pflanzen fotografisch und experimentell. Die individuellen Blütenstände oder Blätter sind ihr Material, das sie im Fall der „Rainflower“-Serie, die über 200 Blätter umfasst, direkt auf die Scanfläche eines Farbkopierers arrangiert, um den Ausdruck anschließend dem Wetter auszusetzen. Die durch Regenwasser unterschiedlich stark aufgelösten Farben verleihen ihren Werken die besonderen, abstrakten Effekte. Im darauffolgenden Transformationsprozess scannt Crespo die Motive erneut ein, um den bildnerischen Prozess digital abzuschließen. Ihre „Rainflowers“ rücken das Spiel von exakter digitaler Aufzeichnung und zufälligen, durch die Naturelemente entstehenden Mustern ins Zentrum. Das endgültige Format der Motive dieser Serie behandelt die Künstlerin sehr offen, je nach Ort und Funktion, als wandfüllende Arbeit oder als Fotoobjekt. Die Ausstellung zeigt die kleinformatigen „Originalvorlagen“, die für die finalen Bilder wiederum eingescannt wurden, mehrere großformatige ungerahmte Drucke sowie ein Motiv als Fototapete, das über eine ganze Wand des Ausstellungsraumes gezogen ist.

Alle drei Frauen verbindet neben ihrer kenntnisreichen Blickweise auf das Feld der Botanik ihr besonderes Interesse an der Publikation ihrer Darstellungen in Form von Büchern oder Kompendien. Die Veröffentlichung der eigenen Arbeit kommt bis heute einer Art „Ritterschlag“ im Wissenschafts- und Kunstsystem sowie in der öffentlichen Wahrnehmung gleich. Merian und Schultz ermöglichte die künstlerische Auseinandersetzung mit der Natur einen Zugang zur Beschäftigung mit diesem – in ihrer Zeit von Männern dominierten und Frauen lange verwehrten – naturwissenschaftlichen Feld. Immer noch spielen das Zeichnen, das bildliche Dokumentieren und das Erstellen von Infografiken in den Naturwissenschaften eine zentrale Rolle zur Erfassung der beobachteten Welt. Die Publikationen der drei Künstlerinnen ermöglichen bis heute eine Verbreitung ihrer Werke. In der Ausstellung werden auch historische Hintergründe sowie die unterschiedlichen Produktionsprozesse vergleichend reflektiert.

„Floralia: Merian – Schultz – Crespo“
8. September bis 3. Dezember 2023
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt

Öffnungszeiten
Mo., Di., Do., Fr. 9:00 – 17:00 Uhr
Mi. 9:00 – 20:00 Uhr
Sa., So., Feiertage 9:00 – 18:00 Uhr

Eintritt
Erwachsene (ab 18 Jahre) – 12,00 €
Kinder, Schüler*innen, Jugendliche ab 6 Jahre – 4,50 €
Familie: 2 Erwachsene und bis zu 3 Kinder von 6-17 Jahren – 30,00 €
Minifamilie: 1 Erwachsene*r und 2 Kinder von 6-17 Jahren – 18,00 €

Weitere Informationen finden Sie unter: museumfrankfurt.senckenberg.de

Pflanzenillustrationen und Stadtinsekten – zwei Ausstellungen des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums ab 8.09.2023

© Foto Diether von Goddenthow
© Foto Diether von Goddenthow

Das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum zeigt die beiden Ausstellungen „Floralia: Merian – Schultz – Crespo“ vom 08. September bis 03.Dezember 2023 und „Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“ vom 29. September 2023 bis 01. Dezember 2024

Im September eröffnet das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt gleich zwei Sonderausstellungen: Am 8. September startet mit „Floralia: Merian – Schultz – Crespo“ eine Ausstellung über das Wirken und Werk dreier außergewöhnlicher und naturwissenschaftlich engagierter Frankfurter Künstlerinnen.Gezeigt werden unter anderem mehrere Ausgaben des berühmten Raupenbuchs sowie eine Reihe von bisher noch nie ausgestellten Zeichnungen Maria Sibylla Merians, Gouachen aus der „Frankfurter Flora“ von Elisabeth Schultz und Werke aus der Serie „Rainflowers“ von Ulrike Crespo. Am29. September folgt die Eröffnung der Ausstellung „Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer“, die die nützlichen Winzlinge und ihre Bedeutung im urbanen Raum aus der Nähe beleuchtet.

08.09. – 03.12.2023
Floralia: Merian – Schultz – Crespo
Drei außergewöhnliche Frankfurterinnen, drei Jahrhunderte, eine Leidenschaft: Die Künstlerinnen Maria Sibylla Merian (1647–1717), Elisabeth Schultz (1817–1898) und Ulrike Crespo (1950–2019) stehen für die Beobachtung der Pflanzenwelt (Flora) und ihre künstlerische Dokumentation. Die Analyse der Flora ist ein wichtiges Gebiet der Biodiversitätsforschung. Gleichzeitig sind Pflanzendarstellungen in der Kunst ein reizvolles Motiv. In Frankfurt haben es diese drei Künstlerinnen zur Meisterschaft der künstlerisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Bildgebung gebracht. Die Ausstellung zeigt ihre Werke in einem völlig neuen Zusammenhang und beleuchtet das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Das Projekt wird gefördert durch die Crespo Foundation.

29.09.2023 – 01.12.2024

Eingewandert: Die Tigermücke  wird allmählich auch in Frankfurt heimisch. Modell im Senckenberg-Museum. © Foto Diether von Goddenthow
Eingewandert: Die Tigermücke wird allmählich auch in Frankfurt heimisch. Modell im Senckenberg-Museum. © Foto Diether von Goddenthow

Stadtinsekten – Frankfurts kleine Helfer
Da viele natürliche Lebensräume zunehmend verloren gehen, werden Städte wie Frankfurt Rückzugsorte für Insekten. Die Tiere übernehmen hier wichtige Funktionen, denn sie sind Bestäuber, Aasbeseitiger, natürliche Schädlingsbekämpfer und vieles mehr. Für eine intakte Natur und damit auch für den Menschen sind sie unersetzlich. Die Ausstellung lädt dazu ein, die faszinierenden kleinen Lebewesen in Frankfurt kennenzulernen und gemeinsam mit den Wissenschaftler*innen Senckenbergs zu erforschen. Sie ist Teil des Forschungsprojektes „SLInBio – Städtische Lebensstile und die Inwertsetzung von Biodiversität: Libellen, Heuschrecken, Hummeln und Co“.

Weitere Informationen finden Sie unter: museumfrankfurt.senckenberg.de

„Plastic World“ Die Materialgeschichte und Ästhetik von Plastik in der Bildenden Kunst in der Schirn Kunsthalle Frankfurt ab 22.06.2023

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet vom 22. Juni bis zum 1. Oktober 2023 der bewegten Geschichte von Plastik in der bildenden Kunst erstmals eine große Themenausstellung. Diese eröffnet das breite Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung des Materials von den 1960er-Jahren bis heute. Das Spektrum reicht von der Euphorie der Popkultur über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit; es umfasst Architekturutopien ebenso wie Experimente mit Materialeigenschafte. © Foto Diether von Goddenthow
Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet vom 22. Juni bis zum 1. Oktober 2023 der bewegten Geschichte von Plastik in der bildenden Kunst erstmals eine große Themenausstellung. Diese eröffnet das breite Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung des Materials von den 1960er-Jahren bis heute. Das Spektrum reicht von der Euphorie der Popkultur über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit; es umfasst Architekturutopien ebenso wie Experimente mit Materialeigenschafte. © Foto Diether von Goddenthow

Plastik, das „Wundermaterial“, ist in Verruf geraten. Es ist  ein rohölbasierter, synthetischer Werkstoff, welcher wohl wie kaum ein anderer Gesellschaften  in so kurzer Zeit weltweit beeinflusst und verändert hat, nicht zuletzt auch das Schaffen von  Künstlerinnen und Künstlern, die „das“ Plastik seit den 1960er Jahren mehr und mehr  als idealen Werkstoff für sich entdeckten.

Vor diesem Hintergrund   widmet die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 22. Juni bis zum 1. Oktober 2023 der bewegten Geschichte von Plastik in der bildenden Kunst erstmals eine große Themenausstellung. Dabei versammelt die Schirn 100 Werke von über 50 inter­na­tio­na­len Künst­lern und Künstlerinnnen, die auf unter­schied­lichste Weise mit Kunst­stoff arbei­ten, darun­ter Monira Al Qadiri, Archi­gram, Arman, César, Christo, Haus-Rucker-Co, Eva Hesse und Hans Hollein, Niki de Saint Phalle usw.. Es wird sicht­bar, wie sich der erfolg­rei­che viel­sei­tige Werk­stoff Plas­tik in seiner kurzen Geschichte vom Inbe­griff für Fort­schritt, Moder­ni­tät, utopi­schem Geist und Demo­kra­ti­sie­rung des Konsums zu einer Bedro­hung der Umwelt wandelte.
SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
Römer­berg
D-60311 Frank­furt am Main
Tel +49 69 299882-0
Fax +49 69 299882-240
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Einführung:

Plastic World, Otto Piene, Anemones: An Air Aquarium, 1976, Neuproduktion 2023, Installationsansicht, © Foto Diether von Goddenthow
Plastic World, Otto Piene, Anemones: An Air Aquarium, 1976, Neuproduktion 2023, Installationsansicht, © Foto Diether von Goddenthow

Plastik ist eine Substanz, die Kunst und Gesellschaft in einem kurzen Zeitfenster radikal verändert hat. Plastik ist der Wunderstoff, aus dem man beinahe alle erdenklichen Dinge erstellen kann – vom Turnschuh über den Zahnersatz bis zum Computer. Hart oder flexibel, transparent, opak, gemustert, glatt, zart oder bunt, kann Plastik fast jede Form annehmen. Für die Kunst war und ist Plastik ein Vehikel der Innovation. Seinen großen Durchbruch hatte es dort parallel zu den Konsumwellen seit den 1950er-Jahren mit ihrer Massenproduktion und einer Massenkultur, die sich für Nylonhemden und Tupperware begeisterte. Auf der Suche nach dem Neuen wurde in der Kunst mit den jeweils neuesten verfügbaren Stoffen experimentiert, sei es Plexiglas, Styropor, Silikon, Vinyl oder Polyurethan. Das Gebrauchsmaterial der Industriegesellschaft ist im 20. und 21. Jahrhundert der zentrale Rohstoff für die künstlerische Arbeit. Die bildende Kunst erzählt auf diese Weise eine hoch interessante Materialgeschichte mit nie gekannten Möglichkeiten für die Künstlerinnen und Künstler: Arman benutzt Acrylglas, Cesar Polyurethan, ebenso Lynda Benglis. Alina Szapocznikow kaut Kaugummi, HazMatLab produziert Schleim oder wie Monira Al Qadiri Skulpturen mit dem 3D-Drucker. James Rosenquist zeigt seine Motive auf Polyesterfilm, der kurz zuvor von der NASA für die Raumfahrt entwickelt wurde. PVC-Rohre werden ebenso verarbeitet wie Plastikschläuche, zersägte Schaufensterpuppen, Industrielacke, überhaupt industrielle Werkstoffe, banale Alltagsdinge oder auch deren Überreste, etwa alte Rasierapparate, ausrangierte Kabel oder Computerplatinen.

KURATORIN Dr. Martina Weinhart, Schirn hat gemeinsam mit ihrer Assistentin  Anna Huber eine wunderbare Überblicks-Schau geschaffen. © Foto Diether von Goddenthow
KURATORIN Dr. Martina Weinhart, Schirn hat gemeinsam mit ihrer Assistentin Anna Huber eine wunderbare Überblicks-Schau geschaffen. © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung „Plastic World“ widmet sich diesem zentralen Material der zeitgenössischen Kunst. Es ist Symptom und Symbol unserer Massengesellschaft, die spätestens seit den 1950erJahren auch eine Wegwerfgesellschaft ist. Dabei eröffnet die Ausstellung ein breites Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung von Plastik, die den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext spiegelt und nicht selten Überraschungen birgt. Sie reicht von der Euphorie der Popkultur in den 1960er-Jahren über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Realisme, Architekturutopien, Experimente mit Materialeigenschaften bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit. Die Bestandsaufnahme unseres Plastikzeitalters zeigt in mehreren Kapiteln die Vielfalt der Stoffe, Formen und Materialien in der Kunst, die dieser omnipräsente Stoff in seiner kurzen Geschichte seit den 1960er-Jahren durchlaufen hat. Damals wurde das Plastic Age geboren und damit auch eine Materialkultur, die noch heute dominiert und von der wir uns unter ökologischem Druck gerade zu befreien suchen. Als geschichtsloser Alleskönner war Plastik einmal das Material der Zukunft, inzwischen schaut man eher auf die synthetische Ewigkeit, die wir mit ihm verbringen werden. Plastik ist gekommen, um zu bleiben. Insgesamt hat sich Kunststoff zu einer kulturellen Kraft mit fundamentalem Einfluss entwickelt. Also begeben wir uns auf die Suche nach seiner Ästhetik, denn Plastik ist, um mit Roland Barthes zu sprechen, ,,im Grunde ein Schauspiel, das entziffert werden muss“.

PLASTIC POP
Plastik ist Pop, in Kunst und Design gleichermaßen beliebt und steht in den 1960er-Jahren für den neuen Lifestyle der Jugend, die sich von der konservativen Elterngeneration absetzen will. Plastik ist bunt, hat grelle Farben. Plastik ist schlichtweg das ikonische Material der Zeit. „Everybody’s plastic – but I love plastic. I want to be plastic“, schreibt Andy Warhol und lässt synthetische Silver Clouds (1966) durch den Raum schweben. Merce Cunningham tanzt mit ihnen und baut sie 1968 kongenial in seine Choreografie RainForest ein. James Rosenquist bannt seine Motive auf riesige Vorhänge aus Polyesterfilm, experimentiert spektakulär mit den Materialeigenschaften der Mylar-Folie und erweitert auf diese Weise gleichermaßen die Malerei und den traditionellen Kanon der Kunstgeschichte. Fasziniert von den Banalitäten der Konsumkultur und den Dingen des täglichen Lebens, baut Claes Oldenburg Waschbecken, Eisbeutel oder Lichtschalter aus Vinyl. Thomas Bayrle spiegelt mit seiner Tassentasse (1969/96) die Begeisterung der Pop Art für das neue Material, das auch er als Fetisch der Alltagskultur karikiert. Oyvind Fahlströms raffinierte Umkodierung des Markenzeichens ESSO in LSD persifliert 1967 auf spielerische und provokante Weise die Logokultur der Werbung – und reflektiert nicht zuletzt die Allgegenwärtigkeit der Petrochemie als Basis dieser Kultur.

PLASTIK KÖRPER

In der männlich dominierten Kunst der 1960er-Jahre ist der nach eigenen Wünschen formbare weibliche Körper omnipräsent, etwa bei Tom Wesselmann oder John de Andrea. Dieser Körper findet durch seine direkte Abformung mittels Silikons und in der Ausführung in Polyester eine kongeniale Materialität. Nun ist ein vorher nie gekannter Realismus – der Hyperrealismus – möglich. Zunächst weniger prominent, nehmen sich im Umfeld der Pop Art aber auch Künstlerinnen wie Nicola L., Evelyne Axell, Niki de Saint Phalle und Lourdes Castro der Formen des Körpers an. Kiki Kogelnik dreht den Spieß um. Für ihre Cut-outs schneidet sie häufig die Konturen ihrer männlichen Künstlerkollegen aus. Am Boden liegend dienen sie ihr dafür als Modelle. Nicola L. setzt sich offensiv damit auseinander, wie der weibliche Körper zum Objekt wird. Augenzwinkernd und provokativ macht sie ihn zum variablen Sofamöbel. Evelyne Axell schließlich schafft selbstbewusst weibliche Akte in erotischer Pose. Niki de Saint Phalle macht mit ihren Nanas üppige Frauenfiguren jenseits körperlicher Normen zu Ikonen einer feministischen Kunstgeschichte.

Ausstellungsansicht Plastic World - im Vordergrund: Monira Al Qadiri, Orbital 1, 2022 © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungsansicht Plastic World – im Vordergrund: Monira Al Qadiri, Orbital 1, 2022 © Foto Diether von Goddenthow

OTTO PIENE, ANEMONES: AN AIR AQUARIUM

Nicht selten wird Plastik zu begehbaren Environments geformt. Otto Pienes Anemones: An Air Aquarium (1976) macht die Unterwasserwelt in Form von riesigen aufblasbaren und durchsichtigen Seeanemonen und anderen Unterwasserwesen erfahrbar. Es wurde zuerst 1976 für die Organisation Creative Time in New York produziert. Die zu ihrer Entstehungszeit rein poetische und spielerische Arbeit erhält in ihrer heutigen Rekonstruktion oder Wiederaufführung eine Erweiterung der Perspektive: Die historische Sichtweise von Plastik als gefeiertem Werkstoff für die Kunst wird durch den Diskurs um die Verschmutzung der Meere durch Plastik und Mikroplastik überlagert. Pienes Arbeit veranschaulicht die Ambivalenz des Materials Plastik. Exemplarisch wird in ihr auch die Zeitgebundenheit von Plastik, die es notwendig macht, historische Arbeiten wie diese neu zu produzieren, da die Ursprungsversion durch den Verfall des Vinyls mittlerweile nicht mehr funktionstüchtig und präsentabel ist. Auch dies ist ein Aspekt des Verhältnisses von Natur und Künstlichkeit.

NATUR UND KÜNSTLICHKEIT

Industrielle Werkstoffe werden zur Darstellung oder gar für ein Ersatz-Erlebnis der Natur genutzt – der Gegensatz könnte nicht größer sein. Er beschäftigt eine ganze Reihe von Künstler*innen. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre erkunden Arbeiten im Umfeld der italienischen Arte Povera das Verhältnis von Natur und Künstlichkeit. Man interessiert sich für „arme“, gewöhnliche Materialien, und auch Banales soll zum Kunstwerk werden. Gleichzeitig sind in Italien die neuen synthetischen Materialien durch die Innovationsschübe des überaus lebendigen Designsektors besonders präsent. Dies führt zu einer lebendigen Überschneidung und gegenseitigen Befruchtung der Bereiche Kunst und Design. Vor diesem Hintergrund betreiben Künstler wie Gina Marotta oder Piero Gilardi die Subversion traditioneller Konzepte von Mimesis in der Darstellung der Natur. Wie aus einem riesigen Modellbaukasten fügt Marotta ein künstliches Paradies zusammen: Eden Artificiale (1967-1973). Für seine alternative Natur verwendet er transparentes Acrylglas, den wohl haltbarsten Kunststoff überhaupt. In spielerischer Leichtigkeit präsentiert uns Marotta keimfreie und nüchterne Acrylglas-Abstraktionen einer offensiven NichtNatur. Das genaue Gegenteil ist die ästhetische Strategie des Arte-Povera- Künstlers und Umweltaktivisten Piero Gilardi, der mit seinen Tappeti Ausschnitte aus der Natur entwirft. Sie bestehen aus Polyurethanschaum und erscheinen so täuschend echt, dass sie mit dem bloßen Auge kaum als künstlich zu enttarnen sind. In perfekter Mimikry entstehen ein synthetischer Dschungel oder ein artifizieller Strand. Die „Tappeto-Natura“ zielt in ihrer hyperrealistischen Nachbildung auf die Erfahrung der Betrachter*innen. Sie ist einer relationalen Ästhetik verbunden und auch dem sozialen Anliegen, dem Publikum drängende umweltpolitische Probleme nahezubringen.
Andere greifen die Idee der offensiven Künstlichkeit auf. Der französische Maler Bernard Rancillac bannt das Bild eines Dschungels auf eine gefärbte Acrylglasscheibe. Die Belgierin Evelyne Axell kombiniert für Le Pre (1970) eine Clartex-Platte mit grünem Kunstfell und vereint in flachem Relief eine Frau mit einer Wiese. 1987 verbindet der US-Amerikaner Mike Kelley eine ganze Reihe von niedlichen Plüschtieren zu einem ironischen Plush Kundalini Chakra Set.

 

PLASTIKUTOPIEN

Weltraumforschung, Raumfahrttechnologie und nicht zuletzt die Mondlandung selbst hinterlassen einen tiefen Eindruck in der Popkultur, dem Design und dem utopischen Geist der 1960er-Jahre. Inspirierend wirkt vor allem die Apollo-Mission der NASA mit eigens entwickelten High-TechMaterialien wie etwa der Mylar-Folie für die Raumanzüge mit integriertem Helm. Vor allem die Jugend ist von der coolen technoiden Asthetik fasziniert. Filme wie Barbarella oder 2001: Odyssee im Weltraum (beide 1968) begeistern das breite Publikum. Gleichzeitig prägt eine Atmosphäre des Aufbruchs die Gesellschaft. Im Space-Age-Style kommuniziert das Material Kunststoff einen unerschütterlichen Glauben an die Zukunft und den gesellschaftlichen Wandel. Futuristische, aber auch spielerische und hedonistische Formen scheinen die Regeln der Schwerkraft hinter sich zu lassen. Schwerelosigkeit, Leichtigkeit, Mobilität, Flexibilität und nicht zuletzt das Arbeiten im Kollektiv stehen für diese Zeit.

Die britische Gruppe Archigram entwirft assoziative Bildmontagen mit einer gewisse Nähe zur Pop Art wie etwa Instant City, Glamour (1969), die sie ab 1961 im Magazin Archigram publizieren. Bei ihren Utopien und visionären Modellen geht es um die Idee, nicht um die Ausführung. So ist Air Hab (1966) der Entwurf für eine Klimakapsel, in der die High-TechFantasie durch Kunstgras und Picknickdecke ironisiert wird. In San Francisco gründen Chip Lord und Doug Michels 1968 die Gruppe Ant Farm, Ausdruck einer Gegenkultur, in der die Künstler eher eine Rockband als herkömmliche Architekten sein wollen. Im selben Jahr kommen in Wien Wolf Prix, Helmut Swiczinsky und Michael Holzer zu Coop Himmelb(l)au zusammen. Ein Jahr zuvor schließen sich dort Günter Zamp Kelp, Laurids Ortner und Klaus Pinter zu Haus-Rucker-Co zusammen, später stößt noch Manfred Ortner hinzu.

Utopische Objekte erweitern Körper und Räume und öffnen neue Wege der Wahrnehmung und Kommunikation. Neue Körpererfahrungen im urbanen Raum gehören ebenso dazu wie bewegliche Raumhüllen aus Kunststoff. Hans Hollein schlägt 1969 ein aufblasbares Mobiles Büro vor, Walter Pichler 1964 einen Kleinen Raum, den man mit sich herumtragen kann, fast wie ein Astronaut seinen Helm. Temporäre Architekturen und aufblasbare Strukturen wie bei Graham Stevens spielen eine große Rolle. Erfindungsreich und nonkonformistisch setzt man die Leichtigkeit des Materials gegen verstaubte Traditionen. Wegweisend war der US-Amerikaner Richard Buckminster Fuller, der ein systematisches Zusammenwirken von Technik und sozialen Aspekten unter Verwendung von neuen Materialien untersuchte. Seine geodätischen Kuppeln prägten ganze Generationen. Auch der Niederländer Constant hat mit seinen utopischen Entwürfen für ein ,,Neues Babylon“ entscheidende Impulse geliefert. Die Nähe zwischen Architektur und bildender Kunst zeigt sich in seinen architektonischen Skulpturen wie Konstruktion mit durchsichtigen Flächen (1955), die das synthetische Material für ein freies Spiel utopischer Ideen nutzen.

MATERIALEXPERIMENTE

Im 20. Jahrhundert fanden Kunststoffe den Weg in die Kunst, anfangs in engen Grenzen, verstärkt seit den 1960er-Jahren. Voller Begeisterung für das Neue wurde mit den jeweils aktuellsten verfügbaren Stoffen experimentiert. Plastik kann fast jede Form annehmen, hart oder flexibel sein, transparent, opak, gemustert, glatt oder strukturiert. Die Wahl des Materials ist ein entscheidender Faktor bei der Entstehung eines Werks, und so werden Kunststoffe in ungeheurer Experimentierfreude genutzt: Der französische Bildhauer Cesar faltet MethacrylatFolien zu einer Compression (1970) oder gießt in seinen Expansions Polyurethan in freie Formen. Die Amerikanerin Lynda Benglis integriert die Fragilität von Polyurethanschaum in das Konzept der performativen Schüttungen ihrer Frozen Gestures. Von den Arbeiten bleibt oft nur die Dokumentation. Das gleiche gilt für die Photosculptures (1971) der polnischen Künstlerin Alina Szapocznikow, performativen Skulpturen aus gekauten Kaugummis. Eva Hesse wiederum entwickelt Mitte der 1960er-Jahre ein singuläres künstlerisches Werk zwischen Minimal Art, Surrealismus und Konzeptkunst, in dem der Materialität ein zentraler Platz zukommt. Mit der Bereitschaft der Künstlerinnen, gänzlich neue Wege zu gehen, nehmen die radikalen Experimente von Eva Hesse und Lynda Benglis eine Vorreiterrolle ein, nicht zuletzt im Rahmen einer feministischen Kunstgeschichte.

In Deutschland ,,malt“ Gerhard Hoehme seine informellen Kastenobjekte mit Nylonschnüren oder arrangiert diese zu einem Strahlenfall (1968). Ferdinand Spindel, der sich ganz auf Kunststoff als Material konzentriert, nutzt die Flexibilität von Schaumstoff für Objekte seiner Soft Art. Sein Kollege Joachim Bandau verwendet in seinen Parodien einer Gebrauchsästhetik Materialien wie aus dem Baumarkt-Armaturen, PVC-Rohre, Plastikschläuche, aber auch zersägte Schaufensterpuppen, die er mit Industrielacken überzieht. Hans Haacke schließlich untersucht in Welle mit Unterbrechung (1965) die physikalischen Eigenschaften von Acrylglas und verweist nicht zuletzt auf dessen Nutzung in Forschung und Technik.

Heute trägt das Frankfurter Künstlerinnenkollektiv HazMatLab (Sandra Havlicek, Tina Kohlmann und Katharina Schücke) das Experiment bereits mit einiger Ironie in seinem Namen. Die Künstlerinnen nutzen ungewöhnliche Substanzen wie synthetischen Schleim, industrielle Nagellacke, aber auch das neuere 3D-Druck-Verfahren für ihre kreative Materialforschung.

PLASTIC TRASH

Niki de Saint Phalle © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle © Foto Diether von Goddenthow

Bereits in den 1960er-Jahren interessieren sich Künstler des Nouveau Réalisme wie etwa Cesar oder Arman weniger für das glatte, schöne Material als für das, was am Ende übrig bleibt. In ihren Assemblagen nehmen sie den Konsumrausch der westlichen Welt in den Jahrzehnten nach dem Krieg ins Visier. Dabei spiegeln sie aber eher die dunkle Seite der Wegwerfgesellschaft. Anfang der 1960er-Jahre häuft Arman in seinen Poubelles (Mülleimern) aus Acrylglas das AbfallSammelsurium seiner Zeit an. Er stellt einen Kasten voller alter Rasierapparate aus und konterkariert auf diese Weise die Plastikbegeisterung der Popkultur. Die Nouveaux Réalistes nehmen eine grundsätzliche Umwertung tradierter Vorstellungen vom Kunstwerk und seiner Materialität vor.

So auch Christo. Seine Arbeit lebt aus dem Paradox, banale Dinge des Alltags gerade durch ihre Verhüllung sichtbar zu machen. Ein frühes Beispiel ist Look (um 1965): Einen Stapel von Ausgaben des gleichnamigen Magazins umschließt eine Hülle aus Synthetikmaterial. Die Verpackung nimmt in der kapitalistischen Wirtschaft eine zentrale Rolle ein, die Verpackungsindustrie ist ein Motor der Wegwerfgesellschaft. Indem er die Gewichtung von Verpackung und Inhalt austauscht, macht Christo die Verpackung selbst zum Hauptakteur seiner Kunst. Auf diese Weise enthüllt er die Mechanismen unserer Konsumgesellschaft. Heute ersticken wir mehr denn je in Plastikmüll, und so nehmen Künstler*innen den gesamten Lebenszyklus von Plastik ins Visier. Francis Alÿs zeigt in seinem Film Barrenderos (2004) Straßenkehrer bei ihrer nächtlichen Arbeit in Mexico City. Der Müll, den sie entsorgen, besteht hauptsächlich aus Plastikflaschen und anderen Plastikverpackungen. Der Äthiopier Elias Sime fertigt großformatige Materialcollagen aus Dingen, die man auf den Märkten in Addis Abeba oder an anderen Orten des globalen Südens finden kann. Bei näherer Betrachtung enthüllen die abstrakten Arbeiten, dass sie aus Zivilisationsabfall zusammengebaut wurden. Elektroschrott, Computerplatinen aus Kunststoff oder plastikummantelte Kabel fügen sich zu einer besonderen Kartografie unserer Gegenwart zusammen.

ÖKOKRITIK

Das Anthropozän hat seine Spuren hinterlassen. Plastik hat alle Lebenswelten durchdrungen: die Meere ebenso wie die Strände, die Wälder, die Landschaft, den Stadtraum, die Körper der Menschen wie der Tiere. Plastik ist unaufhaltbar und kaum einzugrenzen. Mikroplastik und Nanoplastik findet man in der Tiefsee, in der Arktis und in den Organen von Lebewesen. Die naive Begeisterung für Plastik in all seinen Erscheinungen hat ein Ende gefunden. Die Ölkrisen der 1970er-Jahre, Massenkonsum und Wegwerfgesellschaft sowie deren lnfragestellung bewirkten im Laufe der Zeit eine Umwertung. Vom Symbol für Fortschritt, Modernität, utopischen Geist und Demokratisierung des Konsums wandelte sich Plastik zur ökologischen Zeitbombe. Diesen nachhaltigen Mentalitätswandel der Gesellschaft spiegeln Werke einer jüngeren Künstlergeneration wider. Ihre ökokritischen Arbeiten formulieren Einwände vor allem gegen den übermäßigen Gebrauch von Plastik im Alltag.

Monira Al Qadiri befasst sich mit der Dominanz der Ölindustrie, die ihr aus ihrer Kindheit in Kuwait vertraut ist. Die Petrokultur und ihre globalen Auswirkungen durchdringen ihr gesamtes Werk. Sie hat die unterschiedlichen Formen von Bohrköpfen für Ölbohrungen zum Vorbild für eine Reihe von Skulpturen genommen, die sich wie Preziosen in der Auslage eines Juweliers auf Sockeln drehen. Mit ihrer irisierenden, perlmuttähnlichen Oberfläche erscheinen die Objekte wie majestätische Kronen – Fetische der Golfregion, Trophäen des Anthropozäns. Dennis Siering wiederum hat aus Pyroplastik ein künstlerisches Projekt gemacht. Dabei handelt es sich um an Stränden, auf Schiffen oder in Mülldeponien verbrannte Plastikteile, die auf verschiedenen Wegen in die Ozeane geraten sind. Sie sind durch jahrzehntelange Erosion so geformt, dass sie mit dem bloßen Auge kaum von natürlichen Steinen zu unterscheiden sind. Der dänische Künstler Tue Greenfort, der sich in zahlreichen Projekten mit der Ökologie, der Natur und unserem Umgang mit ihr beschäftigt hat, wirft in seiner jüngsten Arbeit einen Blick auf die Entdeckung von Studierenden der Yale-University, die im Amazonas-Regenwald feststellten, dass ein Pilz mit dem Namen Pestalotiopsis microspora offenbar tatsächlich in der Lage ist, Plastik zu verstoffwechseln. Er konsumiert Polyurethan und wandelt es in organisches Material um. Pinar Yoldaş, die an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft tätig ist, entwickelt seit 2014 An Ecosystem of Excess. Im Zentrum stehen die Ozeane – einstmals Ursprung des Lebens und heute von Plastik durchseucht. Ausgehend vom Great Pacific Garbage Patch, einem riesigen Müllteppich zwischen Hawaii und Kalifornien, kreiert sie ein posthumanes Ökosystem. Dort leben spekulative Organismen, die sich diesen Bedingungen evolutionär angepasst haben und Kunststoffe verarbeiten können. An Ecosystem of Excess ist im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zu sehen.

VERFÜHRERISCHES PLASTIK
Was fasziniert uns eigentlich an dem Material Plastik? Vielleicht die Farben – Rot, Gelb, Grün, Lila –, leuchtend in allen möglichen Schattierungen oder zart, pastellig, transparent? Oder auch die plakative Künstlichkeit der Oberflächen, die Glätte, wenn es neu und unberührt ist, die Reinheit suggeriert, Unschuld, Sauberkeit? Die Welt der cleanen Oberflächen erschlossen die sogenannten Finish Fetish Artists im Kalifornien der späten 1960er-Jahre – inspiriert durch Surfboards, Autolacke und das grelle Licht, das alles bescheint. Craig Kauffman ist einer von ihnen und der erste Künstler, der die industrielle Technik des Vakuumformens von Duroplast in der Kunst anwendet, nachdem er sich 1964 bei Planet Plastics mit dem Verfahren vertraut gemacht hat. Mit seinen minimalistischen Reliefs aus transluzenten und transparenten Materialien ist er ein perfekter Vertreter des L.A.-Look, passend zum sleeken Image der WestCoast-Metropole. Wegen der Perfektion seiner glänzenden, beinahe feucht schimmernden Oberflächen wird diesen Objekten nicht selten eine nahezu erotische sensuelle Qualität bescheinigt.

John de Andrea, Woman Leaning Against Wall, 1978. © Foto Diether von Goddenthow
John de Andrea, Woman Leaning Against Wall, 1978. © Foto Diether von Goddenthow

Ähnliches gilt für die Skulpturen von Berta Fischer, die in Transparenz und Leichtigkeit im Raum schweben. Die Künstlerin verwendet nahezu ausschließlich normierte und handelsübliche Plexiglasplatten in unterschiedlichen Farbtönen, nicht selten Neonfarben, die sich durch die makellose Glätte ihrer Oberflächen auszeichnen. Fischer nutzt die Formbarkeit der Platten durch Hitzeeinwirkung und schickt die einzelnen Segmente durch eine riesige Mangel. Dabei entstehen komplexe Konstruktionen in formalem Reichtum. Künstlichkeit als Konzept bewegt auch Richard Artschwager in seiner Arbeit zwischen Pop Art, Konzeptkunst und Minimalismus. Er ist bekannt für seine möbelähnlichen Objekte, die Materialien wie Resopal oder andere Imitate nutzen – künstliche und billige Baustoffe, die häufig in amerikanischen Haushalten verwendet werden. Dieser Materialfamilie entstammt auch Exclamation Point (Chartreuse) (2008), für das er grüngelbe Plastikbürsten zu einem riesigen, demonstrativ im Raum platzierten Ausrufezeichen kombiniert. Der amerikanische Objektkünstler Paul Thek schließlich konfrontiert in seinen Technological Reliquaries spannungsreich die organische Textur des als Reliquie eingeschlossenen Fleischstücks aus Wachs mit der Glätte des umschließenden Behälters, der in seiner Form und dem neongrünen Plastik so gar nicht zu den üblichen Vorstellungen von einem traditionellen Reliquienschrein passt. Paul Theks Reliquiare schreien den Gegensatz der Materialien geradezu heraus, zwischen dem verrottenden Fleisch und seiner schrillen neonfarbenen Umhüllung in brillanter, scheinbar unverrottbarer Künstlichkeit.

PASCALE MARTHINE TAYOU, L’ARBRE A PALABRES

In seinen oft monumentalen Installationen verwendet Pascale Marthine Tayou aus Kamerun, der heute in Belgien lebt, dünne bunte Plastiktüten, wie man sie zuhauf in seiner afrikanischen Heimat benutzt, oder auch Plastikwannen, -eimer oder -schüsseln, die die Krone eines verstörend schönen künstlichen Baumes formen. Vor dem Hintergrund seiner postkolonialen Erfahrung verweist Tayou plakativ auf den üblichen massenhaften Gebrauch des günstigen Materials (nicht nur) in Afrika und liefert zugleich einen Kommentar über den Zustand unserer Ökosysteme.

Kooperation mit Senckenberg-Naturmuseum  – Pınar Yoldaş zeigt im Saal der Wale die Installation An Ecosystem of Excess

Pathologisch-anatomischen Präparaten zum Verwechseln echt,  präsentiert die Künstlerin Pınar Yoldaş ihre Arbeiten "An Ecosystem of Excess, 2023" im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Man sieht hier schwebend in einer Flüssigkeit präsentiert, künstlerisch kreierte Organsysteme, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. Leider können sich Meerestiere  noch nicht von Plastikmüll ernähren, viele Fische und Seevögel verhungern oftmals qualvoll mit einem plastikmüllgefüllten Magen. Die Werke sollen aufrütteln.© Foto Diether von Goddenthow
Pathologisch-anatomischen Präparaten zum Verwechseln echt, präsentiert die Künstlerin Pınar Yoldaş ihre Arbeiten „An Ecosystem of Excess, 2023″ im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Man sieht hier schwebend in einer Flüssigkeit präsentiert, künstlerisch kreierte Organsysteme, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. Leider können sich Meerestiere noch nicht von Plastikmüll ernähren, viele Fische und Seevögel verhungern oftmals qualvoll mit einem plastikmüllgefüllten Magen. Die Werke sollen aufrütteln.© Foto Diether von Goddenthow

Der Wandtext beschreibt Yoldas Werk: „Das Anthropozän hat seine Spuren hinterlassen. Plastik hat alle Lebenswelten durchdrungen: die Meere ebenso wie die Strände, die Wälder, die Landschaft, den Stadtraum, die Körper der Menschen wie der Tiere. Mikroplastik und Nanoplastik findet man in der Tiefsee, der Arktis und den Organen von Lebewesen. Plastik ist unaufhaltbar, kaum einzugrenzen – und hat sich zudem als ökologische Zeitbombe herausgestellt. Eine jüngere Generation von Künstler*innen formuliert in ökokritischen Arbeiten Einwände gegen den übermäßigen Gebrauch von Plastik im Alltag und reflektiert die Folgen für unsere Umwelt. An der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft entwickelt Pınar Yoldaş seit 2014 die Arbeit An Ecosystem of Excess. Im Zentrum ihrer Installation stehen die Ozeane – einstmals Ursprung des Lebens und heute von Plastik durchseucht. Yoldaş’ Ausgangspunkt ist der Great Pacific Garbage Patch, ein riesiger Müllteppich zwischen Hawaii und Kalifornien. Immer häufiger verenden Meereslebewesen in Fangnetzen der Fischerei oder verwechseln Plastikmüll mit Nahrung. Die verschluckten Kunststoffteile verletzen oder verstopfen ihren Verdauungstrakt. Als Folge verhungern sie trotz voller Mägen. Hier präsentiert Pınar Yoldaş neu entstandene Lebewesen, die auf biologischen Annahmen basieren. Diese erdachte Spezies kann die Energie aus dem künstlichen Material für sich nutzen und Kunststoff verstoffwechseln. Das Werk Plastic Eating Mammal zeigt eine Verschmelzung aus Kalifornischem Schweinswal und den Amazonas-Flussdelfinen. Die neu entstandene Kreatur hat veränderte Körperteile. So haben sich ihr Schädel, Gliedmaßen und die Wirbelsäule weiterentwickelt. Dadurch besitzt das Wesen die Fähigkeit, den Plastikmüll zu verdauen und Fischernetze mit den Zähnen zu durchschneiden. Somit kann es im mit Plastik gefüllten Ozean überleben. Die Künstlerin kreiert ein posthumanes Ökosystem, in dem spekulative Organismen leben. Sie schlägt vor, wie zukünftiges Leben aussehen könnte, wenn es aus den von Plastik verschmutzten Meeren entstehen würde. Das Plastic Eating Mammal kann als Mahnmal für die Belastungen und Herausforderungen gelesen werden, denen die Meeresbewohner im 21. Jahrhundert ausgesetzt sind. Dieser Raum entstand in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt im Rahmen der Ausstellung Plastic World (22.6.– 1.10.2023). Die Themenausstellung beleuchtet die Geschichte der Kunststoffe in der Kunst und eröffnet ein breites Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung von Plastik im Spiegel der Gesellschaft.“

Siehe Senckenberg-Museum

 

Direktor Sebastian Baden © Foto Diether von Goddenthow
Direktor Sebastian Baden © Foto Diether von Goddenthow

KATALOG PLASTIC WORLD, herausgegeben von Martina Weinhart, mit Beiträgen von Heather Davis, Anna Huber, Dietmar Rübel, Pamela Voigt, Friederike Waentig und Martina Weinhart, sowie einem Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden, deutschenglische Ausgabe, 256 Seiten, ca. 190 Abbildungen, 22 × 28 cm, Hardcover, Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-5467-5, 39 € (Schirn), 48 € (Buchhandel)

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
Römer­berg
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„Plastikmüll im Verdauungsappart“ – Pınar Yoldaş präsentiert „An Ecosystem of Excess“ im Senckenberg-Museum – Teil der Ausstellung „Plastic World“ in der Schirn

Pathologisch-anatomischen Präparaten zum Verwechseln echt,  präsentiert die Künstlerin Pınar Yoldaş ihre Arbeiten "An Ecosystem of Excess, 2023" im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Man sieht hier schwebend in einer Flüssigkeit präsentiert, künstlerisch kreierte Organsysteme, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. Leider können sich Meerestiere  noch nicht von Plastikmüll ernähren, viele Fische und Seevögel verhungern oftmals qualvoll mit einem plastikmüllgefüllten Magen. Die Werke sollen aufrütteln.© Foto Diether von Goddenthow
Pathologisch-anatomischen Präparaten zum Verwechseln echt, präsentiert die Künstlerin Pınar Yoldaş ihre Arbeiten „An Ecosystem of Excess, 2023″ im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Man sieht hier schwebend in einer Flüssigkeit präsentiert, künstlerisch kreierte Organsysteme, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. Leider können sich Meerestiere noch nicht von Plastikmüll ernähren, viele Fische und Seevögel verhungern oftmals qualvoll mit einem plastikmüllgefüllten Magen. Die Werke sollen aufrütteln.© Foto Diether von Goddenthow

Frankfurt am Main, 21.06.2023. Unter die Wal-Skelette des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt mischt sich ab dem 22. Juni das Knochengerüst eines außergewöhnlichen Meeresbewohners: eine neue Spezies zwischen Wal und Delfin, deren Verdauungsapparat sich an die Verschmutzung der Meere angepasst hat – sie kann sich von Plastikmüll ernähren. Erschaffen hat dieses Wesen, das nicht wirklich in der Natur existiert, die international tätige Künstlerin Pınar Yoldaş. Das Exponat wird erstmals im Rahmen der Sonderausstellung „An Ecosystem of Excess“ im Frankfurter Naturmuseum gezeigt. Gemeinsam mit fünf hell beleuchteten und mit Wasser gefüllten Vasen, in denen futuristisch anmutende, künstliche Organsysteme schweben, bildet es die neueste Version des gleichnamigen Projekts, das Yoldaş seit 2014 verfolgt. Das Senckenberg Naturmuseum ist mit diesem Projekt Kooperationspartner der Schirn Kunsthalle und der dortigen Ausstellung „Plastic World“, kuratiert von Martina Weinhart.

Schon heute hat Plastik alle Lebensräume erobert: Meere, Strände, Wälder ebenso wie Städte und auch die Körper der Menschen und der Tiere. Im Zentrum der Arbeit von Pınar Yoldaş stehen die Ozeane, einstmals Ursprung des Lebens und nun von Plastik durchdrungen. Welche Lebensformen könnten sich in diesen verunreinigten Ökosystemen entwickeln? Pınar Yoldaş lässt die Evolution weiterlaufen, in einer Umwelt, in der es in manchen Bereichen heute schon mehr Plastik gibt als Plankton.

Das Ergebnis ist eine erdachte Welt, in der Lebewesen mit Organsystemen existieren, die Plastik aufnehmen, verdauen, ausscheiden und umwandeln können. So wie der gezeigte Meeressäuger, der sich auf den ersten Blick in die Gruppe der Walskelette einfügt und ein weiteres Ausstellungsstück des Senckenberg Naturmuseums zu sein scheint. Beim aufmerksamen Betrachten fallen Veränderungen an Schädel, Gliedmaßen und Rückgrat des Tieres auf, das sich an seine Umwelt angepasst hat und mit seinen Zähnen sogar Fischernetze durchbeißen kann. „Pınar Yoldaş, die Künstlerin und Wissenschaftlerin ist, gibt ihren Werken bewusst einen wissenschaftlichen Ausdruck und lässt die Betrachtenden für einige Sekunden glauben, die von ihr geschaffenen Lebewesen und Organsysteme seien tatsächlich real. Sie schafft damit eine besondere Aufmerksamkeit für eine drängende Herausforderung unsere Zeit: Die Problematik der Allgegenwärtigkeit von Plastik und dem, was daraus entstehen könnte, wird auf eine neue Ebene gehoben und Möglichkeiten der Evolution spekulativ vorausgedacht“, erläutert Museumsdirektorin Dr. Brigitte Franzen.

Auch die ungewöhnlich geformten Organe, die Plastik für die neu entstandenen Spezies nutzbar machen können, werden in Flüssigkeit schwebend in Glasvasen präsentiert – ähnlich wie auch naturwissenschaftliche Feuchtpräparate in einer Aufbewahrungslösung konserviert werden. Mit großer Sorgfalt hat Yoldaş, scheinbar lebensechte, auf biologischen Fakten basierende Organe und Organismen kreiert. Was wie Wissenschaft wirkt, ist tatsächlich aber Kunst.

Inspirationsquelle der Künstlerin war die Entdeckung des sogenannten „Great Pacific Garbage Patch“, eines Teppichs aus mehreren Millionen Tonnen von Kunststoffmüll, der im Nordpazifik treibt und in etwa der Fläche Mitteleuropas entspricht. Einige Lebewesen schaffen es schon heute, den Kunststoff für ihr Überleben zu nutzen: Insekten finden auf dem schwimmenden Plastikteppich Brutstätten für ihre Eier. Auch Bakterien besiedeln die Oberfläche und bilden Biofilme.

Die Menschheit produziert pro Jahr mehr als 400 Millionen Tonnen Plastik. „Selbst der Tiefsee-Boden ist stärker mit Mikroplastik belastet, als bislang angenommen“, berichtet Prof. Dr. Angelika Brandt, Senckenberg-Direktoriumsmitglied und Abteilungsleiterin für Marine Zoologie. Gemeinsam mit einem Forschungsteam hat sie Proben aus dem westpazifischen Kurilen-Kamtschatka-Graben in mehr als 9600 Meter Tiefe analysiert. Keine einzige davon war frei von Mikroplastik. „Ein sauberer Ozean beginnt nicht in der Nordsee, dem Atlantik oder dem Pazifik, sondern bei uns. Denn wir entscheiden, wie wir Wasser nutzen, was wir essen, wie wir Waren transportieren oder wie wir uns verhalten und mit Plastik umgehen. Ein sauberer Ozean ist von zentraler Bedeutung für die Zukunft des Lebens, die biologische Vielfalt und damit auch für uns Menschen“, resümiert die Tiefseeforscherin.

Kooperations-Projekt mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt der Sonderausstellung Plastic-World vom 22. Juni bis 1.0ktober 2023.

 

„Plastic World“ in der Schirn präsentiert Objekte, Installationen, Filme und Dokumentationen und eröffnet ein breites Panorama der künstlerischen Verwendung und Bewertung von Plastik, die den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext spiegeln. Das Spektrum reicht von der Euphorie der Popkultur in den 1960er-Jahren über den futuristischen Einfluss des Space Age und die Trash-Arbeiten des Nouveau Réalisme bis zu ökokritischen Positionen der jüngsten Zeit; es umfasst Architekturutopien und Environments ebenso wie Experimente mit Materialeigenschaften. Zu sehen sind über 100 Werke von rund 50 internationalen Künstler*innen. Die große Installation „An Ecosystem of Excess“ von Pınar Yoldaş ist in diesem Rahmen im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zu sehen.

Ermäßigter Eintritt bei bei Vorlage der Eintrittskarte von Plastic World in der Schirn bis 1. Okt. 2023

Die Bei Vorlage der Eintrittskarte der Schirn Kunsthalle zur Ausstellung „Plastic World“ (22. Juni – 01.Oktober 2023) erhalten Besucher des Senckenberg Naturmuseums Frankfurt ermäßigten Eintritt. Umgekehrt erhalten Besucher mit einer Senckenberg-Eintrittskarte beim Besuch der Ausstellung „Plastic World“  in der Schirn Kunsthalle ebenfalls ermäßigten Eintritt. Die Aktion gilt mit Karten die in dem Zeitraum bis einschließlich 01.Oktober 2023 erworben wurden.

Über die Künstlerin

Impression: Pınar Yoldaş "An Ecosystem of Excess, 2023" im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow
Impression: Pınar Yoldaş „An Ecosystem of Excess, 2023″ im Saal der Wale des Senckenberg-Museums als Beitrag zur Ausstellung „Plastic-World“ (22.Juni bis 01.Oktober 2023) in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow

Pınar Yoldaş (geboren 1979 in Denizli, Türkei) ist eine in den Vereinigten Staaten lebende und arbeitende Architektin, Künstlerin, Designerin und Forscherin. Sie konzentriert sich in ihrer Arbeit auf Themen wie Posthumanismus, das Anthropozän, Neurowissenschaften und feministische Technowissenschaft. Sie ist als Professorin an der University of California San Diego tätig.

Bereits im Alter von fünf Jahren stellte Pınar Yoldaş erstmals ihre Malerei aus und galt damit als jüngste Künstlerin mit eigener Ausstellung in der Türkei. Heute entwirft sie architektonische Installationen, kinetische Skulpturen, Klangkunst, Videoinstallationen und Zeichnungen. Eine ihrer eindrucksvollsten Arbeiten ist das Projekt „An Ecosystem of Excess“, für das sie ein posthumanes Ökosystem aus spekulativen Organismen und ihrer ausgedachten Umwelt schuf. Ihre Arbeit ist an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft angesiedelt.

Pınar Yoldaş wurde mit verschiedenen Stipendien der Künste und Wissenschaften ausgezeichnet, unter anderem von der John Simon Guggenheim Memorial Foundation (New York, USA), der Schering Stiftung (Berlin, Deutschland), der Duke University (North Carolina, USA), der MacDowell Colony (New Hampshire, USA) sowie der UCross Foundation (Washington, USA). Sie hat einen Ph.D. im Studiengang Visual and Media Studies an der Duke University, ein Zertifikat in kognitiver Neurowissenschaft der Duke University sowie einen Master of Fine Arts der University of California Los Angeles. Ihre wissenschaftlichen Forschungsinteressen beinhalten Bio-Art, Interaktionen von Kunst und Neurowissenschaften sowie Umweltaktivismus. Vor ihrer Ausbildung in den Vereinigten Staaten erhielt Pınar Yoldaş einen Bachelorabschluss in Architektur der Middle East Technical University sowie einen Master of Arts der Bilgi Universität in Istanbul und einen Master of Science der Technischen Universität Istanbul.

Ort:
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
Telefon: +49 69 7542 0
Fax: +49 69 7542 1437
E-Mail: info@senckenberg.de

„Looking for Medusa“ Raum-Klang-Installation der Künstlerinnen Linda Weiß und Nina M.W. Queissner vom 2. Juni 2023 bis 15. Januar 2024 im Senckenberg Naturmuseum

Salzkristalle wachsen auf einer korallenartigen Keramik – einem „tentakulären Wesen“ der Installation „Looking for Medusa“. Foto: Linda Weiß
Salzkristalle wachsen auf einer korallenartigen Keramik – einem „tentakulären Wesen“ der Installation „Looking for Medusa“. Foto: Linda Weiß

Frankfurt am Main, 01.06.2023. Korallen und Riffe sehen, hören und fühlen, also multisensorisch erfahren – dazu lädt die Installation „Looking for Medusa“ ab dem 2. Juni 2023 ein. Inspirationsquelle der Künstlerinnen Linda Weiß und Nina M.W. Queissner sind Ovids „Metamorphosen“, in denen der Dichter die mythische Geburt der Koralle aus dem Blut der Medusa erzählt. In einem hypothetischen und experimentell angelegten Lebensraum verschmelzen Skulptur und Klang miteinander. Die Fragilität und die Faszination der Riffe, ihre Gefährdung und ihre Geheimnisse sind der Resonanzboden für das Projekt. Die Installation ist Teil der Ausstellungsreihe „Triff das Riff!“, die das komplexe System Korallenriffe nacheinander aus den drei Perspektiven „Gesellschaft“, „Kunst“ und „Forschung“ beleuchtet. Mit diesem Format erprobt Senckenberg innovative und flexible Ausstellungsformen, um das Museum als Ort des Dialogs und Diskurses zu öffnen sowie aktuelle Entwicklungen und unterschiedliche Sichtweisen in Dauerausstellungen einzubringen.

Auf einer mit Seegras gepolsterten Liegefläche können Besucher*innen dokumentarischen und imaginären Unterwasserklängen lauschen, die Gerüche der getrockneten Wasserpflanzen wahrnehmen und fühlen, wie sich der Klang per Körperschallwandler auf dem Untergrund und dem eigenen Körper ausbreitet. Über ihren Köpfen schweben auf zwei transparenten Platten Keramiken, deren Formen Wasserlebewesen nachempfunden sind. Die Objekte bilden teils farbige Salzkristalle auf der Oberfläche aus, sodass bizarre Muster und Strukturen auf dem Glas entstehen. Umgeben ist dieser Ort in der Korallenriff-Inszenierung des Museums von großen Wandbehängen – besetzt mit phantastischen, organisch anmutenden Strukturen aus Gips, Textil und Leder. Hier und da wirkt es, als ob der Kopf einer Medusa aus dem fleischfarbenen Untergrund hervorbricht. Aus verborgenen Lautsprechern sind Wasserklänge zu hören.

„Für sich genommen ist das Korallenriff eine visuell sehr ausdrucksstarke Skulptur, eine hyperrealistische Konstruktion des Ökosystems Riff in verschiedenen Zuständen. Queissner und Weiß stellen sich der ungewöhnlichen Situation, nicht in einem unbesetzten Ausstellungsraum ein Projekt zu inszenieren. Stattdessen bauen sie neue Lesarten und ‚Kulturen der Natur‘ in den Raum ein. Sie bieten mit „Looking for Medusa“ verschiedene Zugänge zum Verständnis von Korallenriffen an“, sagt Museumsdirektorin Dr. Brigitte Franzen und fährt fort: „Plötzlich ist man umgeben von besonderen Klängen. Wandbehänge bilden einen Raum im Raum, in dem sich phantastische, mit Salz bewachsene Korallenwesen aufhalten. Die Installation hat eine außergewöhnliche Wirkung und ich freue mich darauf zu erleben, wie Besucher*innen den Raum für sich nutzen und den Anstoß aufnehmen, sich mit der Natur der Riffe und deren Interpretationen auseinanderzusetzen.“

In seinen „Metamorphosen“ beschreibt Ovid, wie Perseus der Medusa, dem Wesen mit dem versteinernden Blick und dem Schlangenhaar, den Kopf abschlägt. Als er das Haupt neben sich ablegt, berührt das Medusenblut die dort wachsenden Meerespflanzen und eine Metamorphose beginnt: Die Pflanzen verhärten sich zu Korallenstöcken, die Nymphen im Meer verstreuen. Die zentrale Klangkomposition ist inspiriert von der Geschichte der monströsen Transformation der Medusa zur Koralle. „Auf der Liegefläche kann man in diese Erzählung eintauchen“, sagt Queissner und erläutert weiter: „Die verwendeten Sounds sind eine Mischung aus Originalaufnahmen aus der Natur und im Studio produzierten Klängen. Wir haben uns stark mit den Reaktionen des Korallenriffs in Abhängigkeit von der stofflichen Zusammensetzung des Wassers beschäftigt. Deshalb beziehen sich die Klänge auch auf das Wasser in verschiedenen Bewegungs- und Aggregatzuständen. Die Zuhörer*innen werden eingeladen, in die verschiedenen Klangwelten unter Wasser einzutauchen.“

Um Transformation geht es auch bei den schwebenden Salzkristallexperimenten. Die kleinen Keramiken erinnern an Korallententakel; Weiß hat sie in Petrischalen verschiedenen Salzlösungen ausgesetzt. Die getrockneten Salzkristalle bilden eigene Strukturen auf den „tentakulären Wesen“, wie die Künstlerin sie nennt, und unterscheiden sich in Form und Farbe, je nachdem wie sich das Salz zusammensetzt. „Es ist faszinierend zu sehen, wie das Salzwasser die Körper durchdringt. Sie durchlaufen sozusagen einen Stresstest, und wir können beobachten, wie sie sich dabei transformieren.“ Eine weitere Skulptur ist so platziert, dass einige der salzbewachsenen Körper aus der Nähe erfahrbar werden.

Die Wandobjekte greifen visuelle und inhaltliche Aspekte des Riffs und der Figur der Medusa in ihren Formen und Farben auf. „Wie ausschnitthafte Fundstücke vom Meeresboden dokumentieren sie die Verwandlung der Medusa in steinerne Strukturen, sie oszillieren zwischen dem Marinen und dem Mythologischen,“ erörtert Weiß und sagt weiter: „Die Klänge, die Nina mit Hilfe der integrierten Lautsprecher hinzufügt, erwecken die Szenerie zum Leben.“ Queissner ergänzt: „Die marinen Klanglandschaften verleihen der Fauna und Flora eine Stimme. Ich habe sie mit Hydrophonen in Korallenriffen des südlichen Roten Meeres aufgenommen. Sie spielen mit den qualitativen Eigenschaften des Hörens über und unter Wasser. Die Differenzen dieser Sinneswahrnehmungen sind je nach Medium – Luft oder Wasser – frappierend und produzieren völlig unterschiedliche Klangfarben und -spektren.“

Auf der flexiblen Displayarchitektur des Künstlers Markus Zimmermann, dem „Transformer“, wird der Rechercheprozess zur Entstehung der künstlerischen Arbeit erläutert. Hier finden auch Zitate Raum, die zum Nachdenken über Transformation und Metamorphose anregen. Das multifunktionale Display-Modul ist ein zentrales Element der Ausstellungsreihe „Triff das Riff!“, das schnell und einfach mit neuen Inhalten bespielt werden kann und nahezu vollständig aus recycelten Materialien besteht. So ist es möglich, auf aktuelle Fragestellungen oder Anregungen von Besuchenden zu reagieren und Inhalte anzupassen.

Über die Ausstellungsreihe

„Triff das Riff!“ findet im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes „Temporäre Permanenz (TemPe) – Innovative und flexible Vermittlung aktueller gesellschaftlich relevanter Themen in Dauerausstellungen“ statt. Das Projekt wird stetig weiterentwickelt und vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE) in Bonn in Wirkung und Funktionalität erforscht. Das DIE untersucht, wie sich das komplexe Verhältnis von Inhalten und Form einer Ausstellung auf das Erleben im Museum und auf mögliche Lernprozesse auswirkt. Hierfür ist besonders interessant, den Einfluss der unterschiedlichen visuellen und multisensorischen Elemente der drei verschiedenen Perspektiven von „Triff das Riff!“ zu untersuchen.

Vom 2. Dezember 2022 bis 21. Mai 2023 war die Perspektive Gesellschaft zu sehen. Auf die künstlerische Perspektive von Nina M.W. Queissner und Linda Weiß, die ab 2. Juni 2023 gezeigt wird, folgt die Perspektive der aktuellen Forschung Anfang 2024.

Über die Künstlerinnen

Nina M. W. Queissner (geb. 1990, Darmstadt) hat in Frankreich und Belgien Bildende Kunst, elektroakustische Musik und Klangkunst studiert. Zu ihren künstlerischen Arbeiten gehören Installationen, Videos und Performances sowie Komposition für Kinoton und Radiosendungen. Mithilfe von Aufnahmetechnologien und Komposition von Klanglandschaften entwickelt Queissner eine praxisorientierte Forschung, die die ästhetische Erfahrungsdimension des Klangs in seiner Beziehung zu Landschaft und Umwelt untersucht.

Linda Weiß (geb. 1987, Hanau) studierte Freie Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und schloss 2022 als Meisterschülerin ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ab. In ihren Mixed Media-Installationen verschränkt sich Alltägliches mit sozio-ökologischen Metabolismen. Inspiriert ist ihr Materialumgang von taktilen Praktiken (Fermentieren, Kompostieren, Teig kneten, Recycling) und Methoden der Geistes- sowie Naturwissenschaften.

Das Kuratorinnen- und Projektteam

Die Entstehung der multisensorische Installation „Looking for Medusa“ wurde von der freien Autorin und Kuratorin Dr. Ellen Wagner betreut. Lisa Voigt ist Kuratorin der Ausstellungsreihe „Triff das Riff!“ vom Senckenberg Naturmuseum Frankfurt. Sie betreute und gestaltetet gemeinsam mit Senckenberg-Kollegin Christina Höfling auch die Perspektive Gesellschaft. Die Koordination des Gesamtprojekts liegt bei Katarina Haage, ebenfalls vom Senckenberg Naturmuseum Frankfurt.

Rahmenprogramm:

Interessant sind zudem die weiteren Veranstaltungstermine rund um die Ausstellung „Triff das Riff!“. Eine aktuelle Übersicht und alle weiteren Informationen zu Themen, Terminen und zur Anmeldung finden Sie dann unter: https://museumfrankfurt.senckenberg.de/de/kalender/

Ort:
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
Telefon: +49 69 7542 0
Fax: +49 69 7542 1437
E-Mail: info@senckenberg.de