Kategorie-Archiv: Gesundheits-Sachbücher

Warum das menschliche Gehirn viel besser ist als KI – Der Neurologe Prof. Dr. Volker Busch begeistert mit seinen Thesen beim Sommerempfang der Heilberufe

Austausch auf dem Neroberg in Wiesbaden (v. l. n. r.): Prof. Dr. med. Volker Busch (Impulsvortrag), Dr. Heike Winter (Präsidentin Psychotherapeutenkammer Hessen), Dr. Doris Seiz (Präsidentin Landeszahnärztekammer Hessen), Diana Stolz (Hessische Ministerin für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, CDU), Dr. Edgar Pinkowski (Präsident Landesärztekammer Hessen), Ursula Funke (Präsidentin Landesapothekerkammer Hessen), Prof. Dr. Sabine Tacke (Präsidentin Landestierärztekammer Hessen) und Stephan Allroggen (Vorstandsvorsitzender Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen) Foto: Jörg Puchmüller
Austausch auf dem Neroberg in Wiesbaden (v. l. n. r.): Prof. Dr. med. Volker Busch (Impulsvortrag), Dr. Heike Winter (Präsidentin Psychotherapeutenkammer Hessen), Dr. Doris Seiz (Präsidentin Landeszahnärztekammer Hessen), Diana Stolz (Hessische Ministerin für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, CDU), Dr. Edgar Pinkowski (Präsident Landesärztekammer Hessen), Ursula Funke (Präsidentin Landesapothekerkammer Hessen), Prof. Dr. Sabine Tacke (Präsidentin Landestierärztekammer Hessen) und Stephan Allroggen (Vorstandsvorsitzender Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen) Foto: Jörg Puchmüller

Auf dem diesjährigen Sommerempfang der Heilberufe, zu dem die Körperschaften der hessischen Heilberufe am 10. Juli 2024 unter dem Titel „Mensch vs. Maschine – Warum starke Köpfe die KI nicht fürchten brauchen “ eingeladen hatten, begeisterte der Gastredner Prof. Dr. Volker Busch die gut 150 Gäste im Wiesbadener Opel-Bad.

Prof. Dr. Sabine Tacke, Präsidentin der Landestierärztekammer Hessen, eröffnete den Abend und unterstrich, dass es längst nicht mehr zur Debatte stünde, ob man in der Medizin KI wolle oder nicht. Anwendungen, die auf diesen Technologien fußen, seien bereits allgegenwärtig und die Frage sei vielmehr, wie man sich jetzt und künftig dazu verhalte. Hierzu erhoffe sie sich neue und wissenschaftlich fundierte Anhaltspunkte.

Gesundheitsministerin Diana Stolz betonte, dass die Landesregierung den Fortschritt von KI zur Optimierung von Diagnostik und Therapie begrüße. „Die Zunahme von Rechenleistung und Datenmengen eröffnet dem Gesundheitswesen ganz neue Möglichkeiten für die Gesundheitsversorgung. Schon heute spielt KI eine immer größere Rolle und in der medizinischen Bildgebung kommt sie mittlerweile regelmäßig zum Einsatz. Darüber hinaus kann KI das Gesundheitspersonal z. B. bei Routinearbeiten oder Verwaltungsangelegenheiten entlasten und unterstützen.“

„Mensch vs. Maschine – Warum starke Köpfe die KI nicht fürchten brauchen “

Prof. Dr. Volker Busch, Neurologe, Psychiater und Wissenschaftler am Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Regensburg eröffnete sein Plädoyer für Natürliche Intelligenz mit der These „Der Mensch ist viel mehr“ als KI.

Prof. Dr. Volker Busch, Neurologe, Psychiater und Wissenschaftler. Soeben erschien sein neues Buch "Kopf hoch" im Droemer-Knaur Verlag München. © Foto Diether von Goddenthow
Prof. Dr. Volker Busch, Neurologe, Psychiater und Wissenschaftler. Soeben erschien sein neues Buch „Kopf hoch“ im Droemer-Knaur Verlag München. © Foto Diether von Goddenthow

Korrelieren ist nicht Denken

Während Künstliche Intelligenz (KI) zwar größere Datensätze überblicken und erheblich rascher als der Mensch Muster erkennen und etwa aus Wetterdaten, Röntgenbildern usw. Ergebnisse generieren könne, habe dies mit menschlicher Intelligenz recht wenig zu tun. Denn KI „korreliere“ nur und „denke nicht“. Korrelieren habe mit Denken nichts zu tun, so Busch. Korrelieren und große Datenzusammenhänge überblicken und darin Muster zu identifizieren, bedeute nicht, „zu verstehen was passiert.“ Das sei „der fundamentale Unterschied“ zwischen KI und menschlichem Gehirn. Aber leider sei dies vielen mit Google aufgewachsenen jüngeren Menschen gar nicht klar.

Busch untermauerte seine These, dass der Mensch viel mehr sei, mit einschlägigen Beispielen. Eine Medizin-Software habe beispielsweise nur dann Hautkrebs zu 99,9 Prozent erkannt, wenn auf Bildern mit Hautveränderungen der zur Tumorgrößenbestimmung verwendete Maßbandschnipsel abgebildet war. Da sie nicht denken kann, hatte sie einfach „Maßbandschnipsel“ plus „Hautveränderung“ gleich „bösartig“ korreliert. Beim Test an menschlicher Haut, wo die Maßband-Orientierung fehlte, versagte die dermatologische KI mit einer Trefferquote von 60 Prozent jämmerlich. Eine Kuherkennungssoftware habe die Rinder nur erkannt, wenn diese auf einer grünen Wiese standen. Kühe am Strand erkannte die Software nicht, da nur Tier mit grünem Hintergrund zu „Kuh korreliert“ wurde. Mit hellem Strand funktionierte das schon nicht mehr

KI-Schwachstelle: Gefahr falscher Zusammenhänge

Eine weitere Schwachstelle von KI besteht auch darin, falsche Zusammenhänge herzustellen. Bekannt ist beispielsweise die Geschichte eines Google-Bots von 2016 mit der unsinnigen Schlagzeile „Speiseeis verursacht Sonnenbrand“. Da hatte die Software einfach eine Art Dreisatzlogik versucht: Wenn im Sommer mehr Speiseeis gegessen wird und es mehr Sonnenbrände gibt, dann verursacht Speiseeis mehr Sonnenbrand. So ähnlich wie der Volksglaube, die Störche brächten die Kinder, da während im Frühsommer die Anzahl der Storchenpopulation steigt, auch die Geburtenrate hochschnellt.

Was das Gehirn der KI überlegen macht

Obgleich das menschliche Gehirn im Vergleich zu einem der größten Hochleistungs-Computer in Garching mit einer Geschwindigkeit von 100 Petaflops lediglich  1 Petaflop leiste, arbeite es effizienter und sei  dem Computer haushoch überlegen, so Busch. Denn der Mensch kann in Kontexten denken: „Wir können Sinn und Verstand hinein addieren, wir können denken“, zumindest im Prinzip. Denn auch wir machten Dummheiten, und es wäre ziemlich dämlich zu behaupten, der Mensch denke fehlerfrei.

Was aber mache Menschen gegenüber der Ki intelligenter? Was mache es aus, dass der „Mensch viel mehr ist“ als KI?, fragte Busch und gab zugleich selbst die Antwort: Es sei „unsere Fähigkeit, nicht nur Zusammenhänge in großen Daten zu finden“, sondern , „dass wir Denkenwissen addieren und ergänzen“, wozu unter anderem „Lebenserfahrungen, die wir gemacht haben, logische Schlussfolgerungen ziehen zu können, Fantasie und Gefühle zu entwickeln“ gehörten.

Maschinen besitzen kein Arbeitsgedächtnis

Hirnphysiologisch betrachtet, sei, sehr vereinfacht dargestellt, der Präfrontale Cortex mit Vorderlappen, auch Arbeitsgedächtnis genannt,  für unser Denken verantwortlich. Das Arbeitsgedächtnis könne man sich wie eine „Bühne vorstellen“, so Busch. Auf dieser Bühne  werden all die Daten und das „was Sie da so wahrnehmen: Ihre Erfahrungen, Ihre Gefühle, Ihre Fantasie, Ihre Kombinatorik – zusammengebracht, dies alles miteinander in Bezug gesetzt und zu einem Ergebnis geführt, so der Neurologe. Dieser Ort korreliere mit unserer Intelligenz, aber leider auch mit dem, was verloren ginge, wenn wir älter werden. Je „breiter Ihre Bühne ist, desto höher ist Ihr IQ“, wobei bekanntermaßen ab zirka dem 30. Lebensjahr ein paar Blanken von der Bühne abgebaut würden.

Der Hippocampus ist unser Bibliothek von Erfahrungs-Wissen

Etwas wettgemacht werde der Verlust im Arbeitsspeicher durch unsere Erfahrungsbibliothek, dem Hippocampus (Seepferdchen). Man könne sich den „Hippocampus als eine riesige Bibliothek an Wissen und Erfahrung vorstellen“. In dieser „Bibliothek“, so Busch, sei alles drin,  was Menschen an Erfahrungen gemacht haben, etwa wie man koche, segle, Gitarre spiele, oder auch die beruflichen, handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten, Fremdsprachen, Erfahrungen mit Mitmenschen – alles sei da gespeichert. „Und soll ich Ihnen etwas sagen: Es gibt nach allem, was wir wissen, keine Begrenzung nach oben! Die Bibliothek ist nie voll! Unsere Erfahrungen sind nie maximal. Es werden zur Not immer noch Regale angebaut“, ermutigt Busch sein gebannt zuhörendes Publikum. Das menschliche Gehirn nutze sich nicht ab wie ein Computer. Im Gegenteil: Je mehr wir es gebrauchen, umso besser werden wir. Beim Computer wäre das genau umgekehrt, zudem habe er keine  Arbeitsgedächtnis und könne natürlich auch keine neuen Eindrücke und Erfahrungswissen miteinander in Verbindung bringen, also das vollbringen, was das menschliches Denken kennzeichne.

Allein der Mensch ist zu intuitivem Denken fähig

Während KI-Software mit Daten gefüttert werden müsse, mache der Mensch  seine Erfahrungen selbst. Ein Computer kann das nicht. Als Besonderheit könne beim Menschen  das Sammeln von Erfahrungswissen, von Weltwissen, in bestimmten Entscheidungssituationen auch manchmal dazu führen,  „dass wir Entscheidungen treffen, die gegen die Datenlage sprechen. Und genau das macht uns erfolgreich“, ist Busch überzeugt. Diese Fähigkeit, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, obwohl zunächst alle Fakten  dagegen zu sprechen scheinen oder eine bestimmte Entscheidung nicht hergeben, nennen wir Intuition. Zu intuitivem Denken ist allein der Mensch fähig.

Intuitives Denken hilft auch, klug zu entscheiden

Beispielsweise habe er, so Busch, als junger Mediziner auf einer Babyintensivstation erlebt, wie wertvoll menschliches Bauchgefühl helfen könne, klug zu entscheiden: Während er als diensthabender Jung-Arzt auf einen Notruf der erfahrenen Kinderkrankenschwester Agnes hin in der Säuglingsstation alle Parameter vorhandener Kontroll-Apparate, an dem der Säugling angeschlossen war. kontrolliert und für unauffällig befunden hatte, habe Schwester Agnes darauf bestanden, dass „mit dem Baby irgendetwas nicht stimmt“. Und Schwester Agnes, die aus ihrer Intuition heraus gehandelt hatte, „hatte recht, nicht nur einmal, sie hatte fast immer recht gehabt“, so Busch. Denn die erfahrene Krankenschwester habe etwas erfasst, „was Maschinen oder KI nicht erfassen können. Das ist zum Beispiel das Bewegungsverhalten von Kindern. Ein Kind bewegt sich anders, wenn es krank ist. Da ist das Hautkolorit: Kinder haben eine ganz andere Hautfarbe, wenn sie krank sind. Die Fäzis riechen anders, wenn sie krank sind“. Das seien alles Dinge, so Busch, die eine KI nicht erkenne, aber ein Mensch mit entsprechender Erfahrung schon. Schwester Agnes habe „schon lange keine Bücher mehr gelesen, aber ihre Erfahrungsbibliothek sei gut gefühlt gewesen“, während er als Jung-Arzt viele Bücher gelesen hatte, „aber seine Erfahrungsbibliothek noch leer gewesen“ sei.
„Diese Lebenserfahrung spülen wir ins Arbeitsgedächtnis auf unsere Bühne, und verbinden sie mit neuen Informationen, vermischen sie auf dieser Bühne, und dadurch entsteht das Einordnen, das Denken, Verstehen und Bauchgefühl“, erläutert der Neurologe am eigenen Beispiel, wie er allmählich immer mehr wertvolles Erfahrungswissen sammeln konnte, wodurch er erst der gute Arzt wurde, der er ist.

Intuition ist immer an Erfahrung gebunden

Intuition sei immer erfahrungsbasiert, und keine kosmische Eingebung, für die sie die Menschen manchmal hielten. Intuition basiere auf einer Erfahrung, „die wir gemacht haben, die irgendwann sagt: hier stimmt etwas nicht. Das könne beispielsweise ein Grund dafür sein, dass manch „ein Chirurg im OP nochmal aufmache“, ein „Zöllner jemanden an der Grenze rauswinke“, ohne dass es eine sachliche Begründung gäbe. Intuition sei keine Einbildung. Einbildung liege beispielsweise vor, wenn wir, ohne entsprechende Vorerfahrungen glauben, aus dem Bauch heraus das „Richtigere“ zu erkennen. Einbildung wäre beispielsweise, wenn heute jemand erzähle, er habe 2019 schon die Corona-Krise vorausgesehen. Denn niemand hatte bis zum Ausbruch von Corona eine derartige „Pandemieerfahrung“ gemacht. Doch „Intuition ist immer an Erfahrungen gebunden! Schwester Agnes hatte sie. Ich nicht!“, so Busch, rückblickend selbstkritisch ehrlich!

70 Prozent intuitiver Entscheidungen stimmen

Natürlich können Intuitionen auch mal trügerisch und falsch sein. Sie seien “keine innere Stimme, der man immer vertrauen könne“. Wissenschaftliche Studien schätzten, so Busch, dass lediglich 70 Prozent der Bauchentscheidungen korrekt seien. Diese ließen sich jedoch durch systematisches allabendliches Reflektieren seiner Tagesentscheidung noch um 10 Prozent verbessern. Mehr aber ginge kaum: Das läge mitunter daran, dass viele Situationen einfach neu seien, in denen dann Erfahrungswissen wenig nütze. Aber auch zu starke Gefühle könnten das Bauchgefühle kaputt machen, etwa bei heftiger Verliebtheit, oder auch zu starken negativen Emotionen wie Ängsten. Zu starke emotionale Zustände wirken eher realitätsverzerrend, Menschen könnten beispielsweise „Blind vor Liebe“, „Blind vor Wut“ sein, sich von „der Angst aufgefressen“ fühlen.

Der Preis für Technikgläubigkeit ist Verlust an Erfahrungswissen

Je mehr „die“ Technik uns Menschen „die“ Arbeit erleichtere oder abnähme, was ja erst einmal begrüßenswert sei, wachse jedoch auch die Gefahr, dass menschliches Erfahrungswissen zurück- oder verlustig ginge, womit unsere Abhängigkeit von KI-Software und Apparaten wachse. Mit seiner 25jährigen Erfahrung als Hirnforscher in der Psychiatrie glaube er, so Busch, dass „man für alles im Leben immer einen Preis zahlt“, ob es die Art sei, wie wir uns ernährten, wie wir mit unserem Lebenspartner umgingen, unsere Freunde behandelten. Irgendwann kommt es irgendwo an, und wirkt zurück, im positiven wie im negativen Sinn. „Und ich glaube, ganz ehrlich, dass wir auch einen Preis zahlen müssen für diese fantastische multimediale Welt, für diese vielen Informationen, und all den tollen Sachen, die damit verbunden sind“, befürchtet Busch.

Es sei ja noch ganz lustig, wenn wir bei Nutzung einer Eierkochen-App vielleicht ein wenig unsere Eierkoch-Kompetenz einbüßten, aber wenn angehende Ärzte eher auf KI als auf sich selbst vertrauen, könnten sie ihre Erfahrungsbibliothek letztlich nur unzureichend füllen. Seit in der Regensburger Neurologie neben dem CT auch ein hochmoderner Kernspin verfügbar sei, was die besten diagnostischen Bilder liefere und wirklich ein großer Fortschritt für Patienten sei, „untersuchen die Assistenzärzte nicht mehr neurologisch. Weil sie es nicht mehr brauchen oder denken, es nicht mehr zu brauchen. Die Röhre sagt dir das schon. Und wehe, es fällt aus. Dann stehen sie wie ein Ochs vorm Berg und können mit dem Reflexhammer dann nicht mehr richtig umgehen!“, so Busch. Das wäre eben der Preis, „den wir bezahlen müssen für neue Technologien, und das ist manchmal der Verlust, Erfahrungen zu machen.“

Wenn verlorengegangenes  Erfahrungswissen gefährlich wird

Aber es ginge noch tiefer, so Busch, was er mit einem Beispiel aus Grönland untermauerte: Dort stiegen seit 2004 die lebensgefährlichen (Jagd-) Unfälle, und zwar seit die jungen Inuit zur Orientierung GPS nutzten. Statt wie einst üblich, erst nach achtjähriger Ausbildung durch einen erfahrenen Jägers allein zur Jagd gehen zu dürfen, hielten immer mehr junge Leute dank Google-Maps das nicht mehr für nötig. Wenn dann in der arktischen Wildnis ihr GPS ausfällt, hätten die Jung-Jäger ein großes Problem, „weil sie nie gelernt haben, Sternenbilder zu interpretieren, Schneegestöber einzuschätzen usw.“, so Busch. Der kulturelle Wandel durch diese Technologien sei so rasant, dass Fachleute inzwischen überzeugt davon seien, „dass das komplette Orientierungswissen der Inuit in zwei Generationen komplett verschwunden sein wird, was über mehrere Jahrhunderte aufgebaut worden ist“, zitiert Busch aus einer wissenschaftlichen Studie eines Kollegen, worüber dieser im Spiegel schrieb.

Mit dem „Auge“ des Menschen durch die „Brille“ von KI

Es ginge ja nicht darum, auf technischen Fortschritt zum Wohle der Menschen zu verzichten. Im Gegenteil: KI und was man damit alles, insbesondere auch in der Medizin im Bereich in der Diagnostik verbessern könne, begrüße er, so Busch. Eine Gefahr sieht der Neurologe jedoch darin, wenn „wir die ganze Zeit unser Denken, unser Fühlen abgeben an eine Technik“, wenn Menschen die technischen Fähigkeiten über die eigenen kognitiven Potentiale stellten. Damit verhindere der Mensch, wertvolles Erfahrungswissen zu sammeln und ausreichend seine eigene „Bibliothek“ zu füllen.
Wenn man hingegen die KI zunächst ihre immensen Potentiale ausspielen lasse, um die Ergebnisse danach denkend zu beurteilen, könnten KI und Mensch gute Freunde werden und sich bestens ergänzen.
Beide seien wichtig. Dabei sei KI, in Metaphern gedacht, jedoch die Brille, die den Blick schärfen, die Kantenschärfe verbessern und mehr Detailgenauigkeit erlauben könne. Aber „sehen“ könne nur der Mensch. „Ich gebe gern zu, dass die Brillen, die wir auf den Markt bringen, immer besser und immer schärfer werden – aber sie ersetzen das Denken nicht“, so Busch. Des Menschen Stärke ist sein „Sehen-Können“ und „unsere Chancen liegen  im Arbeitsgedächtnis: präzise und sorgfältig denken zu können“, erläutert der Neurologe. „Mit scharfen Sinnen die Welt zu beobachten, viel Wissen anzueignen, viel Erfahrung zu sammeln, miteinander auszutauschen, gemeinsam aus Fehlern zu lernen“, sei das, „ was uns auszeichnet“, so Busch. Digitale Assistenzsysteme können uns daher nur ergänzen, nicht aber ersetzen.
Fazit: Der Mensch ist viel besser als KI. Er muss sie nicht fürchten, wenn er lernt mit ihr richtig umzugehen.

Dank an den Redner – Vorrang für natürliche Intelligenz bestätigt!

Dr. Doris Seiz, Präsidentin der Landeszahnärztekammer Hessen, dankte dem Vortragsredner des Abends für seinen äußerst anschaulichen, fundierten wie sehr unterhaltsam präsentieren Vortrag. In ihrem Schlusswort unterstrich die Präsidentin, dass sie grundsätzlich eine Verfechterin natürlicher Intelligenz sei und dieser Vortrag sie in ihrer Sichtweise bestätigt und gefestigt habe. Dennoch sehe sie den immensen Nutzen der KI, gerade auch im medizinischen Bereich. Seiz stellte noch einmal den Wert des Austauschs von Politik und Heilberufen heraus, der bei Gelegenheiten wie dem alljährlichen Sommerempfang des hessischen Bündnisses in entspannter Atmosphäre und angeregt durch wissenschaftliche Impulse auf Augenhöhe stattfinde. Nicht konfrontativ, sondern einzig konstruktiv und in stetigem Diskurs seien die vielen aktuellen Herausforderungen der Heilberufe zu lösen und ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen zu schaffen, so die Präsidentin abschließend.

(Dokumentation: Diether von Goddenthow)

Weiter Informationen: Prof. Dr. Volker Busch

Buchtipp:
Prof. Dr. Volker Buch: Kopf hoch!: Mental gesund und stark in herausfordernden Zeiten | Mentale Stärke trainieren. Droemer-Knaur, München 2024

Das Bündnis „Heilen & Helfen“ wurde im Jahr 2007 von den hessischen Körperschaften der Heilberufe ins Leben gerufen, um den Anliegen der Heilberufe mehr Gehör in der Politik und Aufmerksamkeit im gesellschaftlichen Diskurs zu verschaffen. Es setzt sich aus verschiedenen Verbänden und Kammern zusammen: Landesärztekammer Hessen, Landeszahnärztekammer Hessen, Kassenzahnärztliche Vereinigung Hessen, Landesapothekerkammer Hessen, Psychotherapeutenkammer Hessen und Tierärztekammer Hessen. Informationen über das Bündnis Heilen & Helfen und seine Geschichte: www.heilberufehessen.de

„Smartphone-Epidemie“ – Kurzsichtigkeit, IQ-Verlust, Notenverschlechterung – Manfred Spitzer warnt dringend vor einer weiteren Digitalisierung von Kindergärten, Schulen und sonstigen Lernorten

Bärbel Schäfer talkt mit Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer im ARD-Forum auf der 70. Frankfurter Buchmesse am 10. Oktober 2018 über die Risiken und Nebenwirkungen  unkontrollierten Smartphone-Konsums bei Kindern und Jugendlichen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Bärbel Schäfer talkt mit Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer im ARD-Forum auf der 70. Frankfurter Buchmesse am 10. Oktober 2018 über die Risiken und Nebenwirkungen unkontrollierten Smartphone-Konsums bei Kindern und Jugendlichen. © Foto: Diether v. Goddenthow

Manfred Spitzer warnt auf der diesjährigen Buchmesse beim Talk mit Bärbel Schäfer im ARD-Forum dringend vor einer weiteren Digitalisierung von Lernmedien und unkontrolliertem Smartphone-Konsum bis zum 25. Lebensjahr. Seine zentralen, wissenschaftlich abgesicherten Aussagen über Negativfolgen wie Kurzsichtigkeit, IQ-Verlust, Notenverschlechterung und Suchtentwicklung hat Spitzer in seinem neuen, im Klett-Cotta-Verlag erschienen Werk „Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft“ festgehalten. Das 360 Seiten umfassende Werk nennt allein 100 internationale Studien auf 45 Seiten, die belegen, wie gefährlich insbesondere für Kinder und Jugendliche ungezügelter Handykonsum und eine Verdigitalisierung ihrer Lernmittel sind.

Gefahr Kurzsichtigkeit
Die Studien zeigten insgesamt, „dass das Ding (Smartphone) wirklich massive Risiken und Nebenwirkungen macht“, so  der Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer. Beispielsweise wisse man seit drei, vier Jahren, „dass sich bei Heranwachsenden Kurzsichtigkeit entwickelt, wenn sie zu viel in die Nähe auf einen Bildschirm schauten. Wenn das heranwachsende Auge versuche scharf zu stellen, schaffe es das nur durch Längenwachstum, wodurch zwangsläufig Kurzsichtigkeit entstünde, und zwar nur im Alter zwischen 0 und 25 Jahren“, so Spitzer. Zudem sei das Dumme halt, dass das Smartphone, welches das am meisten benutzte digitale Endgerät sei, auch noch den kleinsten Bildschirm habe, „weswegen man es, um zu lesen, besonders nah vor die Augen hält“, so der Neurowissenschaftler.
In Südkorea wären bereits 95 Prozent der Unter20jährigen  kurzsichtig. „Das nennt man Epidemie, und zwar Sehbehinderungs-Epidemie, eine erworbene Sehbehinderung, die normalerweise ein bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft“, erklärt Spitzer. In Europa liege die Kurzsichtigkeitsrate bei den Unter20jährigen mittlerweile bei 30 Prozent und in China, einem ähnlich wie  Korea hoch digitalisiertem Land,  bei 80 Prozent.

Gefahr Suchtpotential
Woran es denn liege, hakt Moderatorin Bärbel Schäfer nach, dass wir sehenden Auges auf eine medizinische Katastrophe zusteuerten und dass junge Menschen ein so emotionales Verhältnis zu ihrem Gerät entwickelten und sagten „das ist mein Leben“?
Unter anderem läge es daran, so Spitzer, dass viele Anwendungen, die auf dem Smartphone laufen, Sucht erzeugten. Das haben Programmierer selbst publiziert. In Südkorea gäbe es bereits 30 Prozent Smartphone-Süchtige, so der Neurowissenschaftler.

Das Smartphone macht süchtig. Das sei auch seit Sommer 2017 von der WHO als Krankheit anerkannt. „Über Jahre hinweg war es nur für die Forschung anerkannt, um es weiter zu untersuchen. Mittlerweile sind Internet und Computersucht eine anerkannte Krankheit“ und die laufe zumeist über das häufigste benutzte digitale Endgerät, nämlich über das Smartphone, genauso wie die Facebook-Sucht untersucht und bestätigt sei. Es wäre nachgewiesen, dass bei der Facebook-Sucht die gleichen Hirnzentren wie bei der Kokainsucht beteiligt wären. „Wir wissen darüber ganz viel. Ich wollte das Buch schreiben, damit keiner mehr sagen kann: ‚Hey, Sie wussten das alles, und Sie haben nichts gesagt. Wäre doch wichtig gewesen!‘ Jetzt kann keiner mehr sagen: ‚Wir haben’s nicht gewusst!‘“, erklärt Spitzer sein kompromissloses Engagement gegen den leichtfertigen, vom allgemeinen Mainstream und der Bitkom-Industrie befeuerten  Smartphone-Konsum von Kindern und Jugendlichen.

smartphone-epidemie4Die Facebook-Sucht funktioniere beispielsweise über die Verstärkung von bestimmten Verhaltensweisen: „Wir sind neugierige Menschen vor allem auf soziale Sachverhalte“, so Spitzer, und bei Facebook gäbe man Zeit rein und kriege Likes raus! „Menschen mögen gemocht werden – das ist eines unserer Grundbedürfnisse. Genauso sind wir von Grund auf neugierig: wir wollen wissen, was die anderen machen. Und wenn die uns dauernd Nachrichten schicken, gucken wir auch dauernd rein.“, erklärt der Neurowissenschaftler.

Gefahr IQ-Verlust
Es sei mittlerweile sogar wissenschaftlich nachweisen, dass Leute dann einen wesentlich geringeren IQ haben, wenn sie bei ihrer Arbeit ein Smartphone neben sich auf dem Schreibtisch liegen haben, selbst, wenn es ausgeschaltet ist: „Sie könnten es ja einschalten und etwas nachgucken. Und sie müssen dauernd versuchen, aktiv das nicht zu tun. Und weil wir diesen Impuls dauernd unterdrücken müssen, fehlt ihnen der Gehirnschmalz, zum Beispiel, wenn Sie einen IQ-Test machen, was sich so auswirkt, dass einer, der mit einem IQ von Gymnasiasten sein Smartphone auf den Tisch legt, dann bloß noch einen IQ von einem Hauptschüler hat“, erklärt der Neurowissenschaftler. Das habe eine große amerikanische Studie herausgefunden.
Selbst wenn das Smartphone ausgeschaltet in einer Handtasche läge, könne es die Konzentration beeinträchtigen, aber nicht ganz so schlimm, als wenn es auf dem Tisch läge. Auch das wurde untersucht, so Spitzer. Am ‚sichersten‘ sei es natürlich das Smartphone ausgeschaltet im Nachbarzimmer zu lassen, damit man es gar erst nicht sähe.

Gefahr von Lernverhinderung
„Wenn ich mich dem jetzt entziehe, bin ich ja plötzlich gestrig, old school, old fashion und gar nicht mehr vorne, wo angeblich alles passiert“, so Bärbel Schäfer und fragt: „Was antworten Sie denn  denen, die sagen: Sei nicht von gestern, wir müssen nach vorne?“. „Die sollten besser ihre Hausaufgaben machen, so Spitzer, denn es könne doch nicht sein, „dass wir dieses Ding kaufen, nur weil es alle kaufen, nur weil jemand sagt, das sei die Zukunft!“, so der Neurowissenschaftler. Er habe zwar auch Smartphone und Computer, weil es „ein tolles Werkzeug ist, wenn man bestimmte geistige Arbeiten verrichten will“. Aber tauge nicht zum Lernen!  Denn gelernt werde ja nicht durch Downloaden: „Mein Gehirn macht sowas nicht, kann es nicht. Gehirne lernen, indem sie arbeiten. Denn Gehirne müssen arbeiten, und wenn sie dann arbeiten, dann ändern sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Die nennt man Synapsen, und die werden wirklich stärker. Und diesen Prozess nennen wir lernen“, erläutert Spitzer die neuronalen Basics des Lernens und legt noch ein Schippchen drauf: „alles, was ich dem Geist an Arbeit abnehme, verhindert Lernen. weswegen Computer Lernverhinderungsmaschinen sind!“, warnt der Neurowissenschaftler uns schimpft: Es sei daher ein Skandal, dass aber all unsere Schulen wider besseren Wissens dennoch digitalisiert werden sollen.

Gefahr von Notenverschlechterung

Längst sei nachgewiesen, dass, wenn Schulen digitalisiert würden, „der Lernerfolg um zirka 20 Prozent abnimmt“. Dazu gäbe es große, riesige Studien, die Spitzer alle in seinem Buch benennt. Wenn man Pisa-Daten der letzten 10 Jahre analysiere und schaue, wie sich Schüler der etwa 60 miteinander verglichenen Nationen in Pisa verändert haben und wie viel in jedem dieser Länder in digitale IT-Technik an Schulen investiert wurde, sähe man, dass überall dort, wo am meisten in die digitale schulische Infrastruktur gesteckt wurde, die Noten der Schüler am meisten heruntergegangen seien. Australien zum Beispiel investierte im Jahr 2008 rund 2,4 Milliarden mit der Folge, dass hier die Schüler in den PISA-Ergebnissen am heftigsten abgeschmiert sind und sich massiv verschlechtert hätten, so Spitzer. Der Neurowissenschaftler warnt dringend davor, hierzulande entgegen aller neuen Erkenntnisse der Neurowissenschaft   Kitas und Klassenzimmer digital aufrüsten zu wollen, während man in anderen Ländern aufgrund negativer Erfahrungen wie Verschlechterung der Schulnoten zurückrudere. So habe beispielsweise der französische Präsident Macron ab Herbst 2018 ein Smartphone-Verbot an Schulen durchgesetzt.

Marcron habe vielleicht eine große Londoner Studie von Wirtschaftswissenschaftlern über Telefonverbote zwischen 2002 und 2012 an 90 Schulen für 30 000 Schüler  gelesen. Der Effekt war, dass sich innerhalb der fünf Jahre nach dem Handyverbot die Notendurchschnitte im Vergleich der fünf Jahre vor dem Handybot deutlich verbessert hatten.

Gefahr, dass die Lernschwachen noch schwächer werden

Aber die Studie, die aufgrund der enormen Datenmenge Subgruppen-Analysen ermöglicht habe, hätte außerdem gezeigt, dass die Schwächsten, zirka 20 Prozent der Schüler, sich durch Smartphone-Verbot am meisten verbessert hätten. Der Notenschnitt der 20 Prozent besten Schüler änderte sich hingegen  nicht. In den Leistungsgruppen dazwischen ginge es mit der Notenverbesserung wie  in Treppchen. Es stimme also nicht, das man Bildungs-Gegerechtigkeit dadurch schaffe, indem man jedem Hartz-IV-Empfängerkind ein Smartphone oder anderes digitales Endgerät kostenlos zur Verfügung stelle, damit „ein Arbeiterkind den gleichen Zugang zur Bildung habe“, so der Neurowissenschaftler. Das wäre ideologisches Wunschdenken, da Fakt sei: „Wenn sie ‚den Schwachen‘ digitalisieren, wird der noch schwächer, und das ist das Unsozialste, was sie machen können!“
Mit Digitalisierung des Unterrichtes werde vor allem denen geschadet, „die sowieso schon schwach sind. Das ist nachgewiesen, nicht nur in der Studie, die ich gerade erwähnt habe, sondern in fünf, sechs anderen auch“, so Spitzer.

Vorwissen entscheidet über Digitalnutzen
Um überhaupt digitale Medien produktiv nutzen zu können, benötige man weder große Medienkompetenz noch einen Internet-Führer-Schein, sondern entsprechendes Vorwissen, so Spitzer. Denn „je mehr Sie wissen, desto besser können Sie auch googlen. Ihr Vorwissen hilft Ihnen, das, was ihnen Google auf den Bildschirm schmeißt, zu werten. Wenn Sie kein Vorwissen haben, dann nützt Ihnen Google null.“, so der Neurowissenschaftler.

Es sei daher ganz wichtig, dass in Kindheit und Jugend das Gehirn massiv auftrainiert werde, weil es nur so funktioniere. Das kindliche Sprachzentrum, lerne beispielsweise dadurch sprechen, dass mit dem Kind gesprochen werde. Es sauge sozusagen aus dem Gespräch die Information, die Bedeutung des Gesagten, was in den Synapsen abgebildet werde. Der Witz dabei sei, so Spitzer: „Wenn Sie dann noch eine zusätzliche Sprache lernen, werden die Sprachzentren noch trainierter, und wenn sie noch eine weitere Sprache lernen, noch trainierter. Und mein Punkt ist: Wenn einer fünf Sprachen kann, dann lernt er dann besser noch eine sechste, als einer, der nur die Muttersprache kann, weil er schon fünf Sprachen kann.“ Es sei ein Irrglaube, wenn man sage „Meine Sprachzentren sind langsam voll. Ich kann schon fünf Sprachen.“ Daraus folge, dass das Gehirn im Gegensatz zu einer Festplatte, die irgendwann voll ist, umso mehr noch weitere Informationen aufnehmen kann, „je mehr schon da drin ist“.

Es stimme einfach nicht, wenn gesagt werde, die Digital Natives seien gut dran, weil sie Informationen auslagerten und deswegen mehr Platz für anderes in ihrem Gehirn reservierten. „Wenn sie in der Schule kein Englisch lernen, dann haben sie nicht 20 Prozent mehr Platz für Chinesisch, das ist dummes Zeug.  Alles, was sie in ihrer Jugend nicht gelernt haben, erschwert Ihnen weiteres Lernen im Alter, weswegen es so wichtig ist, dass wir im Gegenteil in der Jugend nichts auslagern. Rechtschreiben, Kopfrechnen, auf Bäume klettern, Fußballspielen, sich mit den Händen beweisen, all das ist Lernen, ist wichtig zum Lernen“, so Spitzer. Es wäre zudem für die Hirnentwicklung ganz furchtbar, dass sich in den letzten 30 Jahren der Aktionsradius von Kindern auf 10 Prozent verringert habe.

Apple baut Haftungsansprüchen wegen Smartphone-Risiken vor

Selbst Apple-Chef Tim Cook empfiehlt zu einem maßvolleren Umgang mit Smartphones, weswegen auf den letzten Entwicklerkonferenzen Software vorgestellt wurde, „die uns besser erlaubt, auch unsere eigene Smartphone-Nutzung zu begrenzen und vor allem auch Eltern ermöglicht, den Smartphone-Konsum der Kinder besser zu kontrollieren.“ Der Hintergrund dieser Entwicklung sei gewesen, erläutert Spitzer,  dass im Januar 2018 Apple-Investoren  besorgt auf die gesundheitlichen Nebenwirkungen von Smartphones hingewiesen und angefragt hätten, was  Apple eigentlich täte, wenn 5 Milliarden Nutzer den Konzern verklagten: „dann seid sogar ihr, die reichste Firma der Welt, pleite. Apple hat das sehr ernst genommen, und hat tatsächlich reagiert: Daran sieht man ja auch, wie schlimm es schon ist“, unterstreicht der Neurowissenschaftler.

„Was ich sage, ist ja nur das, was in der medizinischen Literatur steht. Daten, die zeigen, dass Kinder in der Schule besserwerden, wenn sie Computer einführen oder Smartphone, Tablets, die gibt es nicht!“, resümiert Spitzer und schimpft mit Recht: „Wenn man weiß, dass dieses Ding (Smartphone) dem Lernen von Schülern massiv schadet, und andere digitale Medien an Schulen auch, dann bin ich doch dagegen, dass erstens die Regierung dafür 5 Mrd. in die Hand nimmt, zweitens, eine Grundgesetzänderung macht, um das Lernen zu stören und gleichzeitig noch die Bildungshoheit den Ländern zu entziehen und sie nach Kalifornien weiterreicht an die reichsten Firmen der Welt, die sich um unsere Kinder nicht kümmern, aber um ihren eigenen Profit. Das ist ein Skandal!“

Pflichtlektüre für alle, der die Lerngesundheit unserer Kinder ernsthaft am Herzen liegt:

smartphone-epidemie4 Manfred Spitzers höchst empfehlenswertes, fundiertes und trotzdem für interessierte Laien sehr lesbares und verständlich geschriebenes Werk „Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft“, Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2018, sollte Pflichtlektüre werden für alle, die politisch, beruflich oder privat mit Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sei es in Kindergarten, Schule, Freizeit oder Zuhause.

(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Zur Person des Autors

Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer. © Foto: Diether v. Goddenthow
Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer. © Foto: Diether v. Goddenthow

Manfred Spitzer, Prof. Dr. Dr., geboren 1958, studierte Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg. Von 1990 bis 1997 war er als Oberarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg tätig. Zwei Gastprofessuren an der Harvard-Universität und ein weiterer Forschungsaufenthalt am Institute for Cognitive and Decision Sciences der Universität Oregon prägten seinen Forschungsschwerpunkt im Grenzbereich der kognitiven Neurowissenschaft und Psychiatrie. Seit 1997 hat er den neu eingerichteten Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Ulm inne und leitet die seit 1998 bestehende Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm. Seit 1999 ist er Herausgeber des psychiatrischen Anteils der Zeitschrift Nervenheilkunde; seit Frühjahr 2004 leitet er zudem das von ihm gegründete Transferzentrum für Neurowissenschaft und Lernen in Ulm und moderiert eine wöchentlich in BR-alpha ausgestrahlte Fernsehserie zum Thema Geist und Gehirn.

Kleines Addendum:

Auch in den Niederlanden weiß man seit Sommer 2018, dass der „Traum von der digitalisierten Schule“ geplatzt ist. Hollands Digital-Schulen waren ein Flop: Was Deutschland aus den Fehlern lernen kann
Siehe auch Vortrag von Peter Hensinger, M.A. bei der GEW in Gelsenkirchen. Er weist nach, dass die Forderung nach digitalisiertem Unterricht nicht von der Erziehungswissenschaft, sondern von der Industrie kommt: Trojanisches Pferd „Digitale Bildung“: Big Brother ist teaching you!,

 

 

 

Wie wir sind – Leben. Eine Anleitung

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Hardcover, Pattloch
01.04.2015, 352 S., 19,99 Euro
ISBN: 978-3-629-13063-1

Der Psychotherapeut Vincent Deary hat ein gutes Buch darüber geschrieben wie Gewohnheitsmenschen ihre Unbehaglichkeit vor   Veränderungsprozessen überwinden und damit sich und ihr Leben dramatisch verbessern können. Man könne gegen die vorherrschenden Kräfte der Gewohnheit, der Trägheit und des allmählichen   Verfalls durchaus erfolgreich angehen. Das erfordere allerdings einiges Engagement, denn die  ersten Schritte seien nichts als Anstrengung, ohne Belohnung,  und  oftmals furchterregend vor dem unbekannten Neuem. Der Versuch, sich an den unbekannten Rhythmus des Neuen anzupassen, setze Menschen innerlich unter Druck, nämlich, so rasch wie möglich zur Normalität zurückzukehren, zu einer neuen Normalität. In derart schwierigen Zeiten sei es dann verständlicherweise oft einfacher, in alten Gewohnheiten Trost zu suchen, auch wenn sie nichts zur Veränderung beitrügen. So begnügten sich viele Menschen mit ihren alten Antworten, obwohl neue erforderlich wären; „wir verharren, obwohl wir uns verändern sollten.“  Deary beschreibt äußerst hilfreich, spannend und fundiert, wie Menschen den Schrecken des Anfangs überwinden, die Anstrengungen des Neubeginns meistern und sich erfolgreicher an veränderte Situationen  in allen Bereichen des privaten und beruflichen Lebens anpassen können.  Ein weises Buch, welches einen, einmal Blut geleckt, nicht mehr loslässt und zum positiven Perspektivwechsel zwingt. Sehr empfehlenswert.

Diether v. Goddenthow (rhein.main.eurokunst.com)