Drei Tage lang, vom 28. bis 30. September 2018, feiert Frankfurt die offizielle Eröffnung seiner bereits seit 9. Mai 2018 zugänglichen Altstadt. Gegen 9.30 Uhr durchtrennte Oberbürgermeister Peter Feldmann symbolisch das über den Krönungsweg gespannte rote Samtband. Der Festakt mit zirka 800 geladenen Gästen aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft fand anschließend in der Paulskirche statt. Professor Dr. Christoph Mäckler, Architekt und Vorsitzender des Frankfurter Gestaltungsbeirates, hielt eine vielbeachtete Festrede.
Oberbürgermeister Feldmann: „Ein Stück Stadt realisiert, das die Menschen in ihrem Herz berührt!“
Begonnen hatten die Feierlichkeiten der Altstadt-Eröffnung gegen 9.30 Uhr mit der Durchtrennung eines über den Krönungsweg gespannten roten Samtbandes, bevor der eigentliche Festakt gegen 10 Uhr – mit einer Gedenkminute für die Opfer der Zerstörung der Altstadt im 2 Weltkrieg – in der Paulskirche begann. Die Eröffnung sei „das Ereignis des Jahres“, sagte Feldmann. „Mit der Altstadt haben wir ein Stück Stadt realisiert, das die Menschen in ihrem Herz berührt. Ganz Frankfurt wartet seit Jahren auf diesen Tag“, sagte Feldmann „Wir geben heute der Stadt Herz und Seele zurück“. Der Oberbürgermeister räumte ein, dass er zunächst nicht zu den Befürwortern zählte, sich aber – wie inzwischen viele andere auch – von der Richtigkeit des Projektes habe überzeugen und anrühren lassen.
Mit besonderer Hingabe hätten die Frankfurter Bürger das Projekt begleitet, dafür gekämpft. Denn es entspreche einem tief empfundenen Bedürfnis der Frankfurter nach Identität: Es sei ein Quartier geworden, das durch architektonische Harmonie und Aufenthaltsqualität besteche. Von den 35 Häusern entstanden 15 getreu ihren Vorgängern, die anderen in modernen Formen, welche sich in das Ensemble einpassen. Die ursprüngliche Frankfurter Altstadt, die zu den größten Fachwerkvierteln in Deutschland gehörte, wurde im März 1944 durch Bombenangriffe völlig zerstört. 1974 entstand auf dem Areal das Technische Rathaus, ein schmuckloser Betonbau. Dieser wurde 2010 abgerissen.
In der wiederaufgebauten Altstadt fänden die Frankfurter die Balance von Emotionalität und deren historischen Spuren. Das mache das Projekt so besonders!, beschrieb der Oberbürgermeister den einzigartigen Charakter des neuen Altstadt-Stadtteils zwischen Römer und St. Bartholomäus-Dom. Er führe zu den Wurzeln der Frankfurter Gesellschaft zurück, denn die Altstadt sei auch Ausgangspunkt der 800-jährigen Frankfurter Messegeschichte und Internationalität, an dem Händler ihre Geschäfte abgewickelt hätten.
„Die lebenswerte Stadt“ – Festvortrag von Prof. Christoph Mäckler anlässlich der Eröffnungsfeier in der Paulskirche
Neue Altstadt hat Vorbildfunktion
Der Neubau des Stadtviertels DomRömer in Frankfurt am Main habe weit über die Grenzen der Stadt hinaus inzwischen Vorbildfunktion, sowohl hinsichtlich „der Idee, ein Stück Stadt, in dem Geschichte stattgefunden hat, wieder erlebbar zu machen.“,
als auch für den klugen Einsatz einer Organisationsstruktur mit klug ausgewählten unterschiedlichen, sich gegenseitig respektierenden Akteuren, durch die ein derartiges Bauvorhaben erst realisierbar würde, lobte Professor Dr. Christoph Mäckler die inzwischen aus dem Altstadt-Projekt erwachsene positive vorbildhafte Eigendynamik in seinem Festvortrag „Die lebenswerte Stadt“ anlässlich der Eröffnung der neuen Altstadt in der Paulskirche am 28.9.2018
Die Menschen haben den ungestalteten Zeilen- und Siedlungsbau satt
Am Beispiel des DomRömer-Areals werde sehr deutlich, dass es offenbar ein Bedürfnis in unserer Gesellschaft gäbe, städtischen Raum, den öffentlichen Raum unserer Straßen und Plätze, zu gestalten. „Oder wie ist es zu verstehen, dass die städtische Politik ein technisches Rathaus, kaum 40 Jahre alt, für viele Millionen abreißen lässt, ohne aus dem Römer gejagt zu werden?“, so Mäckler. Es gebe in der Bevölkerung eine positive Empfindung für den öffentlichen Raum, ohne dass der Bürger in der Lage wäre zu sagen, wie man ihn herstellen könne. Sicher sei nur, „er lebt lieber in einem wohl geordneten, gestalteten städtischen Raum, als in einem ungestalteten Zeilen- oder Siedlungsbau, wie wir ihn deutschlandweit in unseren neuen Vorstädten finden“, schrieb der bekannte Architekturprofessor unter großem Beifall seinen Kollegen ins Stammbuch.
Denn unsere Gesellschaft liebe, das würde im neuen Altstadtquartier deutlich, den städtischen öffentlichen Raum der europäischen Stadt, mit großer Einwohnerdichte und sozialer und funktionaler Mischung, wie wir sie beispielsweise in Stadtteilen wie Bornheim oder Bockenheim finden“, konstatierte Mäckler und stellte die entscheidende Frage: „Warum also planen wir derartige Stadtquartiere nicht? Die vielen Bürgerbeteiligungen, die einer jeden Neubebauung vorangehen, sind nicht in erster Linie Zeichen eines besonderen demokratischen Engagements unserer Gesellschaft, sondern vor allem Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit dem, was wir an öffentlichen Räumen realisieren. Die moderne Stadt unserer Zeit hat keine von Häusern eingefassten Platz- und Straßenräume, in denen sich der Bewohner wohl fühlen würde“.
Bei allen größeren öffentlichen Ereignissen, etwa, wenn Eintracht Frankfurt Bayern München im DFB-Pokal besiege, so werde sie auf dem historischen Römerberg und nicht auf dem Riedberg empfangen. Oder in Paris habe die gewaltige Demonstration Charlie Hebdo im Januar 2015 für Freiheit und Demokratie auch nicht in den Banlieues von Paris, sondern im Herzen der Stadt, auf dem Place de la République stattgefunden, gab Mäckler Beispiele dafür, „dass der öffentliche Raum der europäischen Stadt, jene Straßen- und Platzräume, den Sozialraum unserer demokratischen Gesellschaft bilden.“
Die Fassaden machen den Flair der öffentlichen Räume
Die Außenwände der Innenwände unserer Häuser bildeten den öffentlichen Raum. Es seien „ausschließlich Fassaden, genauer gesagt: es sind die Straßen- und Platzfassanden, ihre Schönheit, Größe und Gestalt, mit denen wir unsere öffentlichen Straßen und Plätze als lebenswerte Stadträume formen“ , erklärte der Festredner und hob hervor, dass „unabhängig von der Bewertung, ob es sich bei den Hausfassaden um Rekonstruktionen oder Neubauten handelt,“ es eben diese Gestaltungselemente seien, welche „die Bedeutung der Altstadtbauten zwischen Dom und Römer“ ausmache. Es sei der städtische Raum mit Hühnermarkt und all den anderen Gassen des Altstadtquartiers, die „neuen städtischen Räume im Herzen der Stadt Frankfurt am Main, die uns Geborgenheit und Aufenthaltsqualität vermitteln“.
Bei der Ausschreibung des Architektenwettbewerbes wurden Entwürfe für giebelständige Wohn- und Geschäftshäuser mit steilen Schieferdächern und Straßenfassaden unter Verwendung von farbigem Putz und rotem Mainsandstein gesucht. Vor allem die jüngeren Architekten hätten mit Bravour diese Aufgabe gelöst, erinnert sich Mäckler und verweist als Beispiele dafür auf das Eckhaus der Architekten Johannes Götz und Guido Lohmann aus Köln und auf ein Haus des Berliner Architekten Ulrich von Ey. Ihre Häuser sind keine Rekonstruktionen, sondern neue, „moderne Hausentwürfe, die sich in ihrer Architektursprache dem Ort und seiner Geschichte anpassen, ohne sich dabei anzubiedern.“ Und wenn man vom Römer aus am Steinernen Haus in den Krönungsweg des neuen Stadtquartiers mit dem St. Bartholomäus Dom im Hintergrund schaue, sehe man an dessen Beginn das Giebelhaus „Zu den drei Römern“ der Architekten Jordi und Keller. Bei genauerer Betrachtung findet man „Eckfenster in der Giebelfassade, die im mittelalterlichen Fachwerksbau baukonstruktiv nicht möglich waren“. Erst als zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Stahlbeton zur Verfügung stand, „findet sich das Eckfenster in der Fassade und man kann sagen, dass dieses Eckfenster symbolisch für die frühe Moderne in der Architektur der zwanziger Jahre steht“, erklärt der Festredner ein für Laien nicht sofort identifizierbares Detail als Beispiel wie sich im Haus „Zu den Drei Römern“ „die Moderne mit dem Typus der mittelalterlichen Architektur“ verbindet, wie Neues auf Altem aufbaue und für den Betrachter zu einem gewohnten Bild und etwas Selbstverständlichem, dem Orte Angemessenen, verschmelze, so Mäckler.
Abschiednehmen vom ewigen Gestern der Moderne
Zahlreiche der 35 Häuser des neuen Altstadt-Quartiers, wie auch das rote Haus von Mäcklers Schweizer Kollegen Meinrad Morger, seien etwas Besonderes, weil sie nicht in das vorherrschende Denken unserer Zeit passten, so der Festredner. Denn die Moderne der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland sei eine Reaktion auf das Kaiserreich und eine revolutionäre Architektur gewesen, „doch der Kaiser hat“, so Mäckler, „vor 100 Jahren abgedankt und wenn wir modern sein wollen, so müssen wir uns einer neuen Revolution widmen.“
Die neue Revolution bestehe nicht in noch mehr Altstädten. Aber „all jenen Architekten, die sich noch immer im Gestern der Moderne bewegen und sich jeder Weiterentwicklung von Architektur und Städtebau verwehren, weil sie das Denken mit der Diplomprüfung eingestellt haben“, widmete Mäckler, augenzwinkernd, ein Zitat des Architekten, Architekturkritikers und Kulturpublizisten Adolf Loos aus dem Jahre 1908:
„Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das niemanden zu gefallen hat.
Das Kunstwerk ist eine Privatangelegenheit des Künstlers. Das Haus ist es nicht.
Das Kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne dass ein Bedürfnis vorhanden wäre.
Das Haus deckt ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist niemandem verantwortlich, das Haus einem jeden.
Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.
Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.
Das Kunstwerk weißt der Menschheit neue Wege und denkt an die Zukunft. Das Haus denkt an die Gegenwart.
Der Mensch liebt alles, was seiner Bequemlichkeit dient. Er hasst alles, was ihn aus seiner gewonnenen und gesicherten Position reißen will und belästigt. Und so liebt er das Haus und hasst die Kunst.“
Quelle: Christoph Mäckler in:Festvortrag „Die lebenswerte Stadt“ 28.09.2018, zit.n.: Loos, Adolf, Das Werk des Architekten, 1910.
Für die musikalische Umrahmung mit Mozart Divertimento D Dur, KV 136, und dem Nena Song „Leuchtturm“, symbolisch für alt und modern stehend, sorgte die „Neue Philharmonie Frankfurt“.
(Diether v. Goddenthow/Rhein-Main.Eurokunst)
Programm des dreitägigen „Altstadtfestes“
Die neue Altstadt – Das große Begleitbuch
Die Stadt Frankfurt hat ein wunderbares Begleitbuch in zwei Bänden über die Entstehung (Bd.1) und mit der Beschreibung jeden einzelnen Hauses des Quartiers (Bd.2) herausgegeben. Dieses von Matthias Alexander kuratierte Werk dokumentiert und kommentiert das gesamte Altstadtprojekt von der Planung, politischen Diskussion bis hin zu Baubeginn, Durchführung und Vollendung. Die großformatige Edition besticht durch aufwendiges Layout und eine Vielzahl bisher nicht veröffentlichter Abbildungen.
Matthias Alexander (Hg.)
Die Neue Altstadt. Frankfurter Societäts-Medien GmbH, Frankfurt September 2018
448 Seiten, ISBN: 978-3-95542-307-0,
50,00 Euro im regionalen Buchhandel oder direkt über den Verlags-Shop: https://societaets-verlag.de/produkt/die-neue-altstadt/