Die Ausstellung HOME SWEET HOME. Zuhause sein von 1900 bis heute (21. April bis 30. Juni 2024) beleuchtet das alltägliche Tun, Erleben und Erfahren im Zuhause.
Die eigenen vier Wände sind für die meisten Menschen der Mittelpunkt des Lebens. Über hundert Exponate – Papierarbeiten, Gemälde, Fotografien, Videos und Skulpturen – zeigen Erwachsene und Kinder bei verschiedenen Beschäftigungen oder in Alltagssituationen. Den privaten Rückzugsort positiv erleben zu können, hat in allen Lebensphasen eine herausragende Relevanz: Hier ist man aufgewachsen, hier verrichtet man seine Arbeit im Haushalt, am Schreibtisch oder im Atelier, verbringt seine Freizeit, erfährt Glück, Liebe, Schutz und Geborgenheit. Hier kann man genesen und im Idealfall sterben.
An dem eigentlich geschützten Ort müssen nicht wenige Menschen aber auch Not erleben oder Bedrohung und Gewalt erfahren. Anhand ausgewählter Werke zeigt die Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim neben der positiv besetzten Seite des Zuhauses auch deren negative Umkehrung.
Im Kulturforum Ingelheim – Altes Rathaus werden in fünf Kapiteln über hundert Werke vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart präsentiert, die das Thema Zuhause von 1900 bis heute veranschaulichen.
Die Werkliste umfasst Arbeiten u.a. von Max Beckmann, Paula Modersohn-Becker und den Brücke-Künstlern bis zu Thomas Wrede, Stefan Kürten, Herlinde Koelbl, Anja Niedringhaus, Norbert Tadeusz, Patricia Waller oder Csaba Nemes.
Mit HOME SWEET HOME kuratiert die Kunsthistorikerin Dr. Katharina Henkel als neue Leiterin der Internationalen Tage ihre erste Ausstellung.
Der DAM Preis 2024 geht an die beiden Jungarchitekten Gustav Düsing und Max Hacke für das „Studierendenhaus der TU Braunschweig“. Das Studierendenhaus wurde unter 104 Bauwerken aus Deutschland in einem gestaffelten Juryverfahren ausgewählt1. Die beiden Architekten, Gustav Düsing und Max Hacke, sowie die Universität freuen sich über die Auszeichnung des Deutschen Architekturmuseums (DAM). Die beiden Architekten haben auch den Deutschen Architekturpreis, den BDA Preis Niedersachsen und den HeinzeArchitekturAWARD für das Studierendenhaus erhalten.
Hinweis:Das DAM-Preisträger-Modell sowie die spannendsten Bauten des DAM-Preis 2024 können in der gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Architektur-Museum zu den üblichen Öffnungszeiten besichtigt werden.
Zur Vorgeschichte gehört ein ungewöhnliches und nachahmenswertes Wettbewerbsverfahren, das an der Architekturfakultät unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden ausgeschrieben und selbst organisiert wurde. Seit 2007 werden mit dem DAM Preis jährlich herausragende Bauten in Deutschland ausgezeichnet. 2024 wird der Preis vom Deutschen Architekturmuseum (DAM) bereits zum achten Mal in enger Zusammenarbeit mit JUNG als Kooperationspartner vergeben.
Besonders hatte die Jury die wundervoll leichte, offene und dennoch relativ schallisolierte Raumgestaltung im Studierendenhaus auf dem Campus der Technischen Universität. Die filigrane Struktur des Gebäudes ist zudem äußerst nachhaltig, denn die Stahl-Glas-Konstruktion mit zehn Zentimeter dünnen Stahlrohren und einem eigens entwickelten
Knotenpunkt, ausgestattet mit Steckschuhen zur Einbringung von Stahlrohrprofilen, ist vollständig demontier- und wiederverwendbar, aber auch bei nachträglichem Platzbedarf jederzeit erweiterbar.
Das etwa 1.000 Quadratmeter große zweigeschossige Haus mit Arbeitsplätzen für bis zu 160 Studierende auf dem Campus der TU Braunschweig sei einem Wettbewerb zu verdanken, der 2015 unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Architektur-Fakultät initiiert wurde, um dringend notwendige Arbeitsplätze für Architekturstudierende zu schaffen, erläuterte Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architektur-Museums. „Die Idee dahinter war, innerhalb des geschützten Rahmens des Fachbereichs dem Architekturnachwuchs eine Chance zu bieten, da kaum noch offene Architekturwettbewerbe existieren und sich die jungen Architekten und Architektinnen nicht mehr bewähren können. Etwa 20 Assistentinnen und Assistenten nahmen teil, die Arbeit von Gustav Düsing und Max Hacke wurde von der Jury ausgewählt und mithilfe eines lokalen Ingenieurbüros auch realisiert.“, erklärte Schal. Zudem sei das Gebäude eines der seltenen realisierten Beispiele für zirkuläres Bauen, „denn keine Verbindung wurde geklebt, sondern ausschließlich revidierbar geschraubt.“ Außerdem beantworte das Stahl-Glas-Haus viele wichtige Fragen an das Bauen von heute: „Wie wollen wir arbeiten? Wie sehen die »Dritten Orte« aus, weder allein dem Wohnen noch dem Arbeiten vorbehalten, dafür Orte der Interaktion und des Zusammentreffens? Wer organisiert solch ein Zusammensein, welche Art von Gruppen bilden sich heraus? Das alles lässt sich hervorragend im Studierendenhaus beobachten, das gern und fast immerzu genutzt wird: an sieben Tagen von 8 bis 22 Uhr“, so Schmal.
DAM PREIS 2024 – Die Finalisten
Auf einer gesonderten Juryfahrt Ende August 2023 wurden die fünf gewählten finalen Bauensembles von der Jury vor Ort besichtigt:
FLORIAN NAGLER ARCHITEKTEN – Dante II, München
GUSTAV DÜSING & MAX HACKE – Studierendenhaus der TU Braunschweig
INNAUER-MATT ARCHITEKTEN – Kunstraum Kassel
JUNE14 MEYER-GROHBRÜGGE & CHERMAYEFF – Baugruppe Kurfürstenstraße, Berlin
NALBACH + NALBACH – Kantgaragenpalast, Berlin
DIE BAUTEN IM AUSLAND
Nicht in der Auswahl für den DAM Preis, aber seit vielen Jahren ein fester Bestandteil dieser Übersicht zur deutschen Gegenwartsarchitektur, sind die Bauten von Architekturbüros aus Deutschland in anderen Ländern: Sie befinden sich dieses Mal in Holland und Mexiko. Ersteres ist ein langgestrecktes Wohnhaus für eine Familie am Rand von Venray, das sowohl mit der regionalen ländlichen Bautypologie als auch mit Bezügen zu barocken Lustschlössern spielt. In Mexikos Hauptstadt ist unter Einbeziehung der historischen Fassade und der lokalen Hofhaustradition ein Mehrfamilienhaus entstanden.
FLORIAN NAGLER ARCHITEKTEN Dante II, München
Die Überbauung des Parkplatzes am Reinmarplatz – Dante II – ist das Nachfolgeprojekt der Parkplatzüberbauung am Dantebad von 2016. Mit dem Projekt sollte zügig weiterer Wohnraum zur Verfügung gestellt werden.
Um so viele der vorhandenen Parkplätze wie möglich erhalten zu können, wurde zunächst eine Konstruktion aus Stahlbetonstützen und Unterzügen errichtet, worauf dann die eigentliche Wohnbebauung als Holzkonstruktion ruht. Das Haus berührt nur mit vier Treppenhäusern und den daran angelagerten Technik- und Abstellräumen den Grund. Geparkt wird sowohl im Hof als auch unter dem Haus. Die 144 Wohnungen werden von den Treppenhäusern über Laubengänge erschlossen. Vor jeweils drei Wohnungen ist der Laubengang zu einem kleinen Erker ausgeweitet, der als Treffpunkt und Freibereich für die Bewohner dient.
Außerdem gibt es eine großzügige Dachterrasse mit Spielflächen und Liegedecks. Die Stahlbetonkonstruktion wurde in einer Kombination aus Fertigteilen und Ortbeton hergestellt. Der Holzbau wurde mit hohem Vorfertigungsgrad errichtet, wobei Wand-, Decken- und Fassadenelemente bereits mit weitestgehend fertigen Oberflächen montiert wurden. Auch die vollständig installierten Bäder reduzierten die für die Montage des gesamten Gebäudes benötigte Zeit auf ein knappes Jahr. Die farbige Fassade ist so gegliedert, dass die Konstruktion und der Montageprozess noch ablesbar sind. Das Haus fügt sich so ganz selbstverständlich in die Umgebung mit ihren überwiegend farbigen Putzbauten.
INNAUER-MATT ARCHITEKTEN Kunstraum Kassel
Die neue Ausstellungshalle wurde in den Innenhof der denkmalgeschützten Kunsthochschule, ein Bau von Paul Friedrich Posenenske, gesetzt und greift damit auf einen Standort zurück, der bereits 1962 für eine mögliche Erweiterung vorgesehen war.
Die Halle mit rund 450 Quadratmetern Ausstellungsfläche soll als studentisches »Ausstellungslabor« ebenso dienen wie zur Herstellung von großformatigen Kunstwerken. Sie kann zu allen Seiten gleichermaßen geöffnet werden, hat keine Rückseite und respektiert dadurch den Bestandsbau. Die dunkel gehaltene Fassadengestaltung setzt sich deutlich in Material und Farbe vom Gebäudebestand ab.
Die überall sichtbare, vom Tragwerk klar gegliederte Gebäudestruktur ist hingegen ein deutlicher Bezug zum denkmalgeschützten Bestand. Der klare, stützenfreie Innenraum macht die gewünschten Nutzungsvarianten – von der ungeteilten Halle bis zum in zahlreiche einzelne Räume geteilten Arbeitsoder Ausstellungsbereich – möglich. Eine Besonderheit sind die im oberen Wandbereich angeordneten Lichtlinsen. Diese 864 eigens für das Projekt entwickelten gewölbten Glaselemente bringen umlaufend gleichmäßig diffuses Licht in den Innenraum.
Das Gebäude wurde als reiner Holzbau erstellt, der die heutigen energetischen und ökologischen Anforderungen insbesondere bezüglich Nachhaltigkeit erfüllt. Für die Stützen, Balken und Riegel kam Brettschichtholz zum Einsatz.
JUNE14 MEYER-GROHBRÜGGE & CHERMAYEFF Baugruppe Kurfürstenstraße, Berlin
Die Struktur des Baugruppenhauses besteht aus sechs Türmen, die sich vertikal und horizontal überschneiden. Sie folgen jeweils versetzt den beiden nicht orthogonalen Straßenverläufen und verzahnen sich durch die entstehenden Vor- und Rücksprünge mit dem Stadtraum und dessen Akteuren. Jede Wohnung hat einen sehr hohen Raum und optional mehrere niedrigere Räume, die auch zwischen den Wohnungen gemeinsam genutzt werden können. Dieses einfache Prinzip ermöglicht unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten in Bezug auf Größe und räumliche Konfiguration.
Das Haus möchte neue Alternativen für unser Zusammenleben bieten und flexibel auf individuelle Bedürfnisse und Absprachen reagieren können, wobei die Architektur das Teilen nicht vorschreibt, sondern nur ermöglicht. Auch in den Wohnungen selbst sind die Bewohner herausgefordert, ihren Lebensstil selbst zu gestalten, da die Räume keine Nutzungen vorgeben und Privatheit auf differenzierte Weise angeboten wird. Das Haus verbindet sich nicht nur im Erdgeschoss mit der Stadt, die räumliche Verschränkung und Transparenz führen zu einer Auflösung und Verschmelzung von öffentlich und privat, von innen und außen, von Mitbewohner und Nachbar. Die gemeinschaftlichen Gartenflächen im Hof und auf dem Dach wurden frei von den üblichen Infrastrukturen gehalten, um besonders qualitätsvolle Räume zu schaffen. Das Haus ist aus wenigen robusten Elementen gebaut, wobei besonders auf einen sparsamen Materialeinsatz und eine simple Konstruktion geachtet wurde.
NALBACH + NALBACH Kantgaragenpalast, Berlin
Die Kantgarage gilt als Deutschlands bedeutendste Großgarage der Zwischenkriegsmoderne und als die älteste mit Doppelhelix in Europa. Das Treppenhaus im französischen Schloss Chambord war das Vorbild für die Doppelhelix-Betonwendelrampe, bei der sich der Gegenverkehr niemals begegnen konnte. Die Stellplatz-Boxen hatten abschließbare Falt-Drehtore der Firma Heinrichs. Im Jahr 2013 drohte der Abriss der Hochgarage. Das denkmalpflegerische Grundkonzept für die Sanierung beruht auf dem möglichst umfangreichen Erhalt der Originalsubstanz. Auf den Rampen können heute als »Art Walk« wechselnde Ausstellungen präsentiert werden. Der Stahlbetonskelettbau mit einer Deckenstärke von nur elf Zentimetern ist mit Mauerwerk ausgefacht und im historischen Sinne konstruktiv ablesbar. Sämtliche tragende Elemente wurden mit zwei Zentimeter starkem Betonputz versehen. Die historische Befahrbarkeit aller Geschosse ist optisch durch die Glastürelemente am Ende der Rampen erlebbar.
Das sanierte Gebäude ist von dem Gedanken durchwoben, die alten Funktionen ablesbar zu erhalten und dennoch neues Leben in einer neuen Funktion zu ermöglichen. Der alte Boden erinnert an die alte Fahrbahn, die gesamte Farbgebung innen und außen wurde gemäß dem Farbbefund wiederhergestellt. Die Originalfassade an der Kantstraße wurde komplett ausgebaut, werkseitig restauriert und mit transluzentem historischen Drahtglas versehen. Das Filigrane der Profile der Einfachverglasung wurde vollkommen erhalten. Eine zweite gläserne Fassade im Inneren übernimmt dagegen die technischen Anforderungen aus der neuen Nutzung. DIE LONGLIST
Für die Longlist des DAM Preis nominiert wurden 104 Bauwerke aus Deutschland, die aus einer umfangreichen Recherche stammen, an der ein Beirat aus Experten beteiligt war. Dieser bestand aus Christina Beaumont, Uwe Brösdorf, Matthias Dreßler, Florian Fischer, Gerhard Greiner, Florian Heilmeyer, Christian Holl, David Kasparek, Gert Lorber, Katharina Matzig, Elina Potratz, Ilka Ruby, Dilek Ruf, Heiner Stengel, Finn Warncke und Uta Winterhager. Außerdem wurden Projekte von den Architektenkammern der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg- Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen vorgeschlagen. Grundsätzlich bestand für die Nominierung der Bauten keine Einschränkung auf eine bestimmte Bautypologie, Mindestgröße oder Bausumme. Die nominierten Bauwerke für den DAM Preis 2024 sollten zwischen Ende 2021 und Frühjahr 2023 fertiggestellt sein.
Neu seit 2017 ist, dass alle Bauten dieser Nominierungsliste, geographisch sortiert, jährlich im Architekturführer Deutschland vorgestellt werden. Die Ausgabe 2024, von DOM publishers verlegt, ist bereits im Handel. Gleichzeitig ist die Longlist auch im Internet unter dam-preis.de einsehbar. Über die Jahre entsteht so zusätzlich ein digitales Archiv bemerkenswerter Gebäude in Deutschland.
DIE SHORTLIST
Eine Expertenjury unter Vorsitz von Barbara Ettinger-Brinckmann bestimmte aus dem Feld der Longlist 24 Projekte für die engere Wahl der Shortlist zum DAM Preis 2024. Eine Auswahl von zwei Bauten deutscher Architekten im Ausland kommt außer Konkurrenz hinzu.Knapp die Hälfte der Bauten sind Projekte am und mit dem Bestand, was häufig auch umfassende Renovierungen einschließt. Da wird ein Museum im Zuge seiner Generalsanierung reorganisiert und erhält neue lichte Raumfolgen, eine Schule im Duktus des Bestands ergänzt, eine ehemalige Bahnverwaltung durch Umbau zu modernen Büros und ein ehemaliges Spezialitätenrestaurant entrümpelt und zur luftigen Mehrzweckhalle. Flexibilität ist ein anderes wichtiges Thema, sei es, mit Wohnungszuschnitten auf verschiedene Lebensformen zu reagieren oder – noch offener – zwischen unterschiedlichen Nutzungen zu wechseln, wenn ein zunächst als Bürobau geplantes Haus mit wenig Aufwand in ein Wohngebäude umgebaut werden kann. Den zumindest temporär beliebten Rückzug aufs Land spiegeln drei höchst individuelle Ferienhäuser.
Ausstellung
Übersicht der in der DAM-Preis-2024-Ausstellung auf Infotafeln und zum Teil ergänzend als Modell ausgestellten Bauten:
AFF ARCHITEKTEN
Lew-Tolstoi-Schule, Berlin
AMUNT ARCHITEKTEN MARTENSON UND NAGEL THEISSEN
TRENT – Haus am See, Westerau
JUNE14 MEYER-GROHBRÜGGE & CHERMAYEFF FINALIST
Baugruppe Kurfürstenstraße, Berlin
KO / OK
Doppelgiebel, Leipzig
MODULORBEAT
Blaue Stunde, Berlin
NALBACH + NALBACH FINALIST
Kantgaragenpalast, Berlin
Das DAM-Preisträger-Modell sowie die hier aufgelisteten Bauten können in der Ausstellung „DAM-Preis 2024″ im Deutschen Architektur-Museum besichtigt werden:
Öffnungszeiten:
Montag Geschlossen
Dienstag 12:00 – 18:00
Mittwoch 12:00 – 19:00
Donnerstag – Freitag 12:00 – 18:00
Samstag – Sonntag 11:00 – 18:00
31. März, 1. Apr, 1. Mai, 9. Mai, 19. Mai, 20. Mai, 30. Mai, 3. Okt, 26. Dez 11:00 – 18:00
Eintrittspreise
Eintritt DAM: EUR 5,–
Eintritt DAM ermäßigt: EUR 3,–
Eintritt für Geflüchtete und Inhaber des Frankfurt-Passes (mit Nachweis): EUR 1,
Frankfurt am Main, 31.1.2024. Beim gestrigen Jahrespressegespräch hat Museumsdirektor Jan Gerchow das Programm des Historischen Museums Frankfurt für das Jahr 2024 vorgestellt. Dazu gehören neben der noch bis 1. April 2024 laufenden Schau „Barbara Klemm – Frankfurt Bilder“ u.a. die großen Sonderausstellungen „Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024“ sowie „Bewegung! Frankfurt und die Mobilität“.
Direktor Gerchow, der im Juli nach über 19 Jahren in den Ruhestand gehen wird, zeigte sich hocherfreut über die steigenden Besuchszahlen in 2023: Mit annährend 153.000 Besuchen kommt das HMF den Zahlen von 2019 wieder nahe. Es ist zu erwarten, dass in 2024 die 163.000 Besuche von 2019 übertroffen werden können. Vor allem in den letzten beiden Monaten des Jahres 2023 gab es mit 15.000 und 17.000 Besuchen eine markante Steigerung. Das ist unter anderem der Schau mit Barbara Klemms Frankfurt-Bildern zu verdanken.
Die Sonderausstellung „Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024“(29. Mai – 22. September 2024) wird rund 40 Fotografinnen in ihrer Auseinandersetzung mit der Stadt zeigen. Wie kaum eine andere deutsche Großstadt zog Frankfurt national wie international Fotografinnen an. Dazu gehören Namen wie Ella Bergmann-Michel, Gisèle Freund, Ilse Bing, Nini und Carry Hess, Abisag Tüllmann, Mara Eggert, Barbara Klemm. Leben und Werk dieser fotografierenden Frauen bilden 180 Jahre Entwicklung ab, von der Frühzeit über die Fotoateliers des Kaiserreichs bis hin zu modernen Kunsthochschulen.
Die Projekte der zweiten Jahreshälfte verdeutlichen das breite Themenspektrum des Historischen Museums: So wird die seit 25 Jahren arbeitende „Bibliothek der Generationen“ zum Ausgangspunkt der partizipativen Ausstellung „Zeitzeugenschaft? Ein Erinnerungslabor“ (19. September 2024 – 4. Mai 2025). Das 25. Jubiläum ist Anlass, die Bedeutung von Zeitzeugenschaft und die Weitergabe von Erinnerungen umfänglich zu beleuchten, auch mit Videos von ShoahÜberlebenden im Rahmen der Wanderausstellung aus dem Jüdischen Museum Hohenems „Ende der Zeitzeugenschaft?“
Mit einer interaktiven Werkstatt punktet die Ausstellung im Jungen Museum.„Umwelt, Klima & DU“lädt Menschen ab 7 Jahren ein, selbst Forschungen zu den Themen Klima, Biodiversität, Nachhaltigkeit und umweltbewusste Stadt anzustellen.
Zum 350-jährigen Jubiläum des Bankhauses Metzler zeigt das HMF im Sammlermuseum eine Kabinett-Ausstellung mit Dokumenten, Bildern und Textilien aus Bankbesitz (8. März – 23. Juni 2024), ergänzt durch eine Thementour zu 30 Exponaten in der stadtgeschichtlichen Dauerausstellung „Frankfurt Einst?“. Die Geschichte beider, der Stadt Frankfurt als Finanzplatz sowie der Privatbank, sind eng miteinander verknüpft. Gezeigt werden auch private Schenkungen der Familie Metzler an die Stadt Frankfurt, symbolisiert vom goldenen Prunkbecher des Ratssilbers, aus dem 1903 Kaiser Wilhelm II. trank.
Mit welcher Mobilitätskultur wollen wir leben? Fragt gegen Jahresende die Sonderausstellung „Bewegung! Frankfurt und die Mobilität“ (21. November 2024 – 14. September 2025) und erforscht die Zusammenhänge von Stadt und Mobilität in Frankfurt und Rhein-Main. Dabei werden Wandel, aktuelle Herausforderungen und subjektive Perspektiven sichtbar.
Schließlich startet das HMF in diesem Jahr ein auf drei Jahre angelegtes Projekt, das die zahlreichen bereits existierenden digitalen Angebote zur Geschichte der Stadt verbinden und für junge User leichter nutzbar machen wird. Die „Offenen Bildungsressourcen“ (Open Educational Resources) betreffen allein in Frankfurt 100.000 junge Menschen an Schulen und 74.000 an Hochschulen.
Öffnungszeiten
Montag geschlossen, Dienstag bis Sonntag: 11 bis 18 Uhr (Schulklassen können – mit Anmeldung und in Begleitung von Lehrpersonal – von Dienstag bis Freitag ab 9 Uhr das HMF und das JuM besuchen)
Eintrittspreise Dauerausstellung: 8 €/4 € ermäßigt Wechselausstellung: 10 €/5 € ermäßigt
Museum Vollpreis: 12 €/6 € ermäßigt Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei!
Studie bestätigt intrinsische Grenze der Wettervorhersage und zeigt verantwortliche Prozesse auf – Prognosen für mittlere Breiten können jedoch noch deutlich verbessert werden
Hochwasser und Überflutungen, aber auch Hitzewellen und Dürren: Unwetterkatastrophen und Klimaextreme fordern nicht nur Menschenleben, sondern verursachen Jahr für Jahr Sachschäden in Milliardenhöhe. Wettervorhersagen und Schutzvorkehrungen haben daher für die Gesellschaft eine enorme Bedeutung und werden in Zukunft noch wichtiger werden. Allerdings gelangt die Vorhersagbarkeit des Wetters an eine natürliche Grenze – die ist allerdings bisher nicht erreicht. „Wir haben noch großes Potenzial, um die Wetterprognosen für die mittleren Breiten weiter zu verbessern“, sagt Privatdozent Dr. Michael Riemer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Aber ab einem bestimmten Punkt sind die Möglichkeiten ausgeschöpft.“ Riemer hat mit Kollegen untersucht, wie gut Wettervorhersagen im günstigsten Fall sein können. Den Berechnungen zufolge wäre ein Zugewinn von vier bis fünf Tagen bei der Prognose möglich.
Wettervorhersagen sind zuverlässiger geworden
In unseren mittleren Breiten kann die allgemeine Wetterlage derzeit für sieben bis zehn Tage im Voraus recht gut vorhergesagt werden. Das war nicht immer so. Die Qualität der Prognosen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich verbessert: Heute ist eine 7-Tages-Vorhersage in etwa genauso gut wie eine Vorhersage für vier Tage vor 30 Jahren. Höhere Computerleistungen und neue Beobachtungen haben in der Vergangenheit zu der verbesserten Vorhersage beigetragen, aber trotzdem sind die Prognosen in manchen Fällen noch ausgesprochen schlecht. Dies liegt nicht nur an Schwächen der Vorhersagemethoden, sondern weil in einer chaotischen Atmosphäre manche Wetterlagen per se schwer vorhersagbar sind. Großräumige Sturmtiefs lassen sich zum Beispiel etwa sieben Tage im Voraus feststellen, bei Gewittern ist der Zeitraum wesentlich kürzer. Und je weiter die Prognosen nach vorne blicken, desto größer sind die Vorhersagefehler.
Welche Prozesse sind für die Grenzen der Vorhersagbarkeit entscheidend?
Dass es eine Grenze der Vorhersagbarkeit gibt, wird bereits seit den 1960er Jahren erforscht. Denn im Gegensatz zu den Gezeiten oder der Bahn von Planeten wohnt dem System Atmosphäre ein intrinsisches Limit inne, eine natürliche, ultimative Grenze der Vorhersagbarkeit. „Die Forschung kam immer wieder zu den gleichen Ergebnissen: Die Vorhersagbarkeit beträgt im besten Fall rund zwei Wochen“, so Michael Riemer, Meteorologe am Institut für Physik der Atmosphäre der JGU.
Zusammen mit seinen Kollegen Dr. Tobias Selz und Prof. Dr. George Craig von der Ludwig-Maximilians-Universität München konnte er bestätigen, dass ein solches intrinsisches Limit existiert. Des Weiteren hat das Forscherteam untersucht, welche Prozesse dafür verantwortlich sind. „Die Vorhersagen werden“, so Riemer, „zurzeit am stärksten durch Fehler bei den Anfangsbedingungen beeinträchtigt. Wenn wir diese Anfangsbedingungen, mit denen wir unsere Computermodelle füttern, verbessern, dann werden auch die Vorhersagen besser.“
Schmetterlingseffekt spielt bisher für Wetterprognose keine Rolle
Das Team konnte anhand quantitativer Schätzungen zeigen, dass dazu die großskaligen Faktoren besser erfasst werden müssten, also Wind, Winddruck, Temperatur und der Strahlstrom. „Wir erreichen das intrinsische Limit, also die systemimmanente Grenze, wenn wir die Anfangsfehler hier um 80 bis 90 Prozent reduzieren“, so Riemer. Dadurch könnte der Zeitraum, für den zuverlässige Vorhersagen möglich sind, um vier bis fünf Tage gestreckt werden. Ist dieser 90-Prozent-Rahmen ausgeschöpft, ändert sich der Mechanismus und es sind nicht mehr die großskaligen Faktoren maßgeblich. Ab diesem Punkt dominiert der Schmetterlingseffekt das Geschehen. „Erst jetzt kommen Gewitter als Hauptträger des Schmetterlingseffekts ins Spiel.“ Dieser Effekt ist jedoch so klein, dass selbst ein schweres Gewitter die Zuverlässigkeit einer Wettervorhersage für die nächsten Tage derzeit nicht beeinflussen würde.
Potenzial ist nicht ausgeschöpft: Investitionen in die Beobachtung der Atmosphäre lohnenswert
Der Schmetterlingseffekt geht auf den US-amerikanischen Meteorologen Edward Lorenz zurück, der vor rund 60 Jahren postuliert hat, dass die Vorhersagbarkeit eines komplexen Systems wie der Atmosphäre begrenzt ist. Störungen, die zu klein sind, um beobachtet zu werden, können wachsen und das Wetter nach einer gewissen Zeit komplett verändern. „Die einzelnen Gewitterzellen sind im Grunde die Schmetterlinge in unserer Studie“, so Riemer. „Aber für eine Verbesserung der Vorhersagen müssen wir zunächst die großen Einflussfaktoren ins Visier nehmen.“ Hier würde es sich lohnen, die Beobachtung und Vermessung der Atmosphäre zum Beispiel mithilfe von Satelliten zu verbessern. Das Potenzial der Wettervorhersage ist also noch nicht ausgereizt und könnte in den kommenden Jahrzehnten noch erheblich verbessert werden.
Das vom 17. bis 24. März in Wiesbaden veranstaltete 20, Deutsche FernsehKrimi-Festival 2024 wirft bereits seine Schatten voraus: Die Nominierungen des Film- und des Serienwettbewerbs stehen fest und erste Promis haben bereits ihr Kommen zugesagt.
Alle Produktionen, darunter sechs Premieren, werden im Rahmen der Festivalwoche vom 17. bis 24. März 2024 in Anwesenheit zahlreicher prominenter Kreativer in der Caligari FilmBühne Wiesbaden gezeigt. Im Wettbewerb um den Deutschen FernsehKrimi-Preis gehen zehn Filme ins Rennen. Insgesamt wurde eine Rekordzahl von 60 Produktionen für die Vorauswahl eingereicht.
„Nie war das Deutsche FernsehKrimi-Festival breiter aufgestellt als zu seiner 20. Ausgabe: Öffentlich-rechtliche und private Sender sowie Streamingdienste stellen ihre Filme und Serien vor. In den Wettbewerben konkurrieren Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Über diese Vielfalt freue ich mich sehr. Das verspricht ein außergewöhnlich spannendes Rennen um die tausend Liter Wein zu werden“, sagt Dr. Hendrik Schmehl, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden, mit Blick auf den Hauptpreis des Festivals.
Der Wettbewerb um den Deutschen FernsehKrimi-Preis wird am Dienstag, 19. März, um 18 Uhr eröffnet: Mit der Premiere des Polizeiruf 110 – Der Dicke liebt in Anwesenheit von Hauptdarsteller Peter Schneider. Der erste Fall des Hallenser Ermittlerduos um Peter Kurth und Peter Schneider gewann 2022 den Deutschen FernsehKrimi-Preis.
Im Anschluss begrüßt das Festival um 20.30 Uhr Regisseur und Schauspieler Bjarne Mädel sowie Schauspielerin Katrin Wichmann zur Vorführung des Films Sörensen fängt Feuer. Mädels erste Regiearbeit Sörensen hat Angst wurde 2021 mit dem Deutschen FernsehKrimi-Preis ausgezeichnet.
Weitere acht Fernsehkrimis werden an den darauffolgenden zwei Tagen gezeigt. Die Wettbewerbsfilme 2024 sind:
PREMIERE: POLIZEIRUF 110 – DER DICKE LIEBT (MDR)
Regie: Thomas Stuber, Buch: Clemens Meyer, Thomas Stuber, u.a. mit Peter Kurth, Peter Schneider
SÖRENSEN FÄNGT FEUER (NDR)
Regie: Bjarne Mädel, Buch: Sven Stricker, u.a. mit Bjarne Mädel, Katrin Wichmann
PREMIERE: THERESA WOLFF – LOST (ZDF)
Regie: Hansjörg Thurn, Buch: Hansjörg Thurn, Carl-Christian Demke, u.a. mit Nina Gummich, Aurel Manthei
PREMIERE: BIS IN DIE SEELE IST MIR KALT (ORF/ZDF)
Regie: Daniel Prochaska, Buch: Pia Hierzegger, u.a. mit Jutta Fastian, Pia Hierzegger
TATORT – GEISTERFAHRT (NDR)
Regie & Buch: Christine Hartmann, u.a. mit Maria Furtwängler, Florence Kasumba
PREMIERE: TATORT – VON AFFEN UND MENSCHEN (SRF/Degeto)
Regie: Michael Schaerer, Buch: Stefan Brunner, Lorenz Langenegger, u.a. mit Anna Pieri Zürcher, Carol Schuler
PREMIERE: TATORT – LASS SIE GEHEN (SWR)
Regie: Andreas Kleinert, Buch: Norbert Baumgarten, u.a. mit Richy Müller, Felix Klare
TATORT – ERBARMEN. ZU SPÄT. (HR)
Regie & Buch: Bastian Günther, u.a. mit Margarita Broich, Wolfram Koch
TATORT – WAS IHR NICHT SEHT (MDR)
Regie: Lena Stahl, Buch: Peter Dommaschk, Ralf Leuther, Lena Stahl, u.a. mit Karin Hanczewski, Cornelia Gröschel
ZIELFAHNDER – POLARJAGD (DEGETO/WDR)
Regie: Sebastian Ko, Buch: Dagmar Gabler, u.a. mit Ulrike C. Tscharre, Hanno Koffler
Fünf Serien bewerben sich um den Titel Krimiserie des Jahres. Hier reichten Sender und Streamingdienste neun Produktionen ein.
Die fünf Wettbewerbsserien in der Übersicht:
DER SCHATTEN (ZDFNEO)
Regie: Nina Vukovic, Bücher: Stefanie Veith, Michael Comtesse, nach einem Roman von Melanie Raabe, u.a. mit Deleila Piasko, Andreas Pietschmann
DIE QUELLEN DES BÖSEN (RTL+)
Regie: Stephan Rick, Bücher: Catharina Junk, Elke Schuch nach einer Romanvorlage von Ada Fink, u.a. mit Henriette Confurius, Fahri Yardim
PREMIERE: ZEIT VERBRECHEN (PARAMOUNT+)
Regie & Bücher: Faraz Shariat, Helene Hegemann, Mariko Minoguchi, Jan Bonny auf Grundlage des Kriminal-Podcast der ZEIT von und mit Sabine Rückert (stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT) und Andreas Sentker (Leiter des Ressorts Wissen), u.a. mit Zethphan Smith-Gneist, Lavinia Wilson
DIE SAAT – TÖDLICHE MACHT (ARD DEGETO/NRK)
Regie: Alexander Dierbach, Bücher: Christian Jeltsch, Axel Hellstenius , u.a. mit Heino Ferch, Ingrid Bolsø Berdal
BOOM BOOM BRUNO (WARNER TV SERIE)
Regie: Maurice Hübner, Bücher: Kerstin-Sofie Laudascher, u.a. mit Ben Becker, Vincent zur Linden
„Der Wettbewerb um die Krimiserie des Jahres ist in diesem Jahr eine echte Wucht: Bereits Preisgekröntes steigt mit einer aufregenden Premiere in den Ring, dazu gibt es mordende Wölfe, schillernde Drag Queens, schmierige Lobbyisten. Also wirklich für alle etwas dabei“, freut sich Festivalleiterin Cathrin Ehrlich. Der Serienwettbewerb wird am Montag, den 18. März, ab 17 Uhr ausgetragen.
Das Festival startet am Sonntag, den 17. März, mit der Verleihung des Ehrenpreises. Die Preisverleihung des 20. Deutschen FernsehKrimi-Festivals findet statt am Freitag, den 22. März, um 20 Uhr in der Caligari FilmBühne, Marktplatz 9, in Wiesbaden. Die Moderation der Film- und Seriengespräche übernimmt erneut der renommierte Filmjournalist Knut Elstermann. Der Kartenvorverkauf beginnt am Freitag, 1. März, ab 10 Uhr in der Tourist-Information, Marktplatz 1, 65183 Wiesbaden und auf der Website des Festivals unter www.fernsehkrimifestival.de.
Über das Festival:
Das Deutsche FernsehKrimi-Festival ist eine Veranstaltung des Kulturamtes der Landeshauptstadt Wiesbaden mit Unterstützung durch die Hessen Film & Medien, den Hessischen Rundfunk und die SV SparkassenVersicherung, in Kooperation mit dem Medienzentrum Wiesbaden, dem Wiesbadener Kurier und dem Literaturhaus Villa Clementine. Mehr Informationen unter www.fernsehkrimifestival.de
16 Institutionen aus dem Großraum Frankfurt/Rhein-Main haben sich heute im Römer zu einem neuen Wissenschaftsnetzwerk zusammengeschlossen. Die künftige Zusammenarbeit in der Frankfurt Alliance wurde mit der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding besiegelt.
FRANKFURT. Die Wissenschaftsregion Frankfurt/Rhein-Main zeichnet sich durch eine hohe Dichte von Forschungseinrichtungen aus, die aufgrund gemeinsamer Forschungsinteressen und zahlreicher Kooperationsvereinbarungen bereits auf vielfache Weise miteinander verbunden sind. Um den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden und gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten, soll die Zusammenarbeit intensiviert werden: Zu diesem Zweck haben sich nun in einem ersten Schritt 16 Institutionen zur Frankfurt Alliance zusammengetan. Dieses Bündnis umfasst Institute der vier großen Wissenschaftsorganisationen in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main, sowie eine Bundeseinrichtung und die Goethe-Universität und soll durch Vernetzung und gemeinsame Rahmenbedingungen, Synergien schaffen und einer zunehmenden Segregation von Arbeitsprozessen und Forschungsthemen entgegenwirken.
Die Frankfurt Alliance bietet somit den Rahmen für gemeinsame Forschung und die Transformation der Wissenschaftsstrukturen, indem sie die Bedingungen für gemeinsame Forschung vereinfacht, bestehende Hemmnisse in den jeweiligen Administrationen durch übergreifende Regelungen abbaut, gemeinsame Strukturen und Infrastrukturen etabliert und gegenüber der Politik mit Nachdruck für die Interessen der exzellenten Frankfurter Wissenschaftler auftritt. Darüber hinaus sollen gemeinsame Aktivitäten eine engere Verflechtung der Institutionen fördern. Die Vision ist es, die Region Frankfurt/Rhein-Main als einen führenden Forschungsstandort in Europa weiter auszubauen und ihre internationale Anerkennung und ihre Attraktivität für Spitzenforschung noch zu erhöhen.
An der Frankfurt Alliance sind beteiligt:
DIPF – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation
Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE
Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF)
Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN)
GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung
Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP)
Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT)
Max-Planck-Institute für Biophysik (MPIBP), für empirische Ästhetik (MPIEA), für Herz- und Lungenforschung (MPIHL), für Hirnforschung (MPIBR) und für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie (MPILHLT)
Ernst Strüngmann Institut (ESI)
Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung – Standort Frankfurt (DKTK)
Goethe-Universität Frankfurt
Timon Gremmels, Hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur: „Wissenschaft und Forschung sind essentiell, um die Transformationsprozesse unserer Zeit zu meistern und gleichzeitig unsere Demokratie zu sichern. Dies gelingt umso besser, wenn die Kräfte vereint werden. Die Frankfurt Alliance wird die hervorragende Forschungs- und Transferarbeit in Frankfurt und der Rhein-Main-Region noch wirkungsvoller und sichtbarer machen – von der Internationalisierung über die Forschungsinfrastrukturen bis zur Personalgewinnung. Letzteres ist gerade angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um die besten Köpfe in der Wissenschaft ein wichtiger Schritt. Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur unterstützt die Frankfurt Alliance deshalb in diesem und im kommenden Jahr insgesamt mit mehr als einer halben Million Euro.“
Die erste gemeinsame öffentliche Veranstaltung der Frankfurt Alliance wird am 28. September ein Wissenschaftsfestival in der Frankfurter Innenstadt sein: Dann werden sich die beteiligten Institutionen auf dem Roßmarkt der Öffentlichkeit präsentieren.
Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Städelschen Museums-Vereins präsentiert das Städel Museum Frankfurt vom 24. Januar 2024 bis 12. Mai 2025 die grandiose Ausstellung „Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“ mit Ikonen der politischen Karikatur und einzigartigen Genre-Zeichnungen des französischen 19. Jahrhunderts,
Es sei ein großer Tag für das Städel-Museum, ein historischer Tag. Denn, so Städeldirektor Philipp Demandt beim Pressegespräch am 23.01.2024, käme es nicht häufig vor, dass man auf einen Schlag eine Sammlung von gut 4200 Kunstwerken erhielte, „die ein Museum im Bereich eines Künstlers, in diesem Fall „Honoré Daumier“, auf einen Schlag zu einem der Zentren der internationalen Forschung um diesen Künstler“ machten.
Zu verdanken hat der Städelverein die Schenkung der privaten Daumier-Sammlung dem Frankfurter Anwalt, Kulturpolitiker und Mäzen Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig und seiner Frau Brigitte. Mit 4.200 Lithografien und Holzstichen, 19 Zeichnungen, zwei Gemälden und 36 Bronzeplastiken gehört Hellwigs Daumier-Sammlungen zu den vollständigsten und bedeutendsten außerhalb Frankreichs. Die Privatsammlung besticht durch ihre einzigartige Qualität und bildet die ganze Breite des künstlerischen Gesamtwerks von Honoré Daumier ab. Das Städel Museum stellt in seinem Grafik-Flügel mit einer Auswahl von rund 120 die spannendsten Werke der Sammlung Hellwig vor und macht sie erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Honoré Daumier sei nicht der bekannteste, „aber der komplexeste Künstler des französischen 19. Jahrhunderts“, so Demandt. Dieser Künstler bilde eine Epoche ab, „die im Prinzip fast das ganze 19. Jahrhundert umspannt.“ Selbst für Historiker sei diese Abfolge von Fehden, Krisen, Revolutionen, Demokratie- und Republik-Versuchen, von Monarchie-Putschen, Epidemien und vielen anderen Umbrüchen nicht wirklich zu überblicken. Dieses 19. Jahrhundert verstehen zu wollen, sei ungefähr so, als versuche man, den Metroplan von Paris plus alle Bus- und Nachtlinien auf einem Handy zu übermessen, veranschaulicht der Städeldirektor. Aber das Frankreich des 19. Jahrhunderts sei auch eine spannende Zeit, die von großen Innovationen wie der Elektrizität, das Telegrafenwesens, der Entwicklung der modernen Zeitungskultur, der Fotografie und natürlich auch von der ersten Eisenbahn geprägt und eine unglaublich komplexe spannende Zeit von Erfolgen und Rückschlägen gewesen sei. „Honoré Daumier hat diese Zeit, dieses 19. Jahrhundert, wie kein anderer Künstler in Frankreich begleitet, durchlebt, beobachtet und kommentiert.“, so Demandt.
Europäischer „Binnenmarkt des Geistes und der Kunst“
Gestützt auf über 60 Jahre Daumier-Forschung, resümiert Hellwig, dass „die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts blutiger als die in jedem anderen Lande in Europa“ war. Allein 25 000 bis 50 000 Franzosen ließen in der Französischen Revolution von 1789 ihr Leben, 3,5 Million Tote forderten die napoleonischen Kriegen durch Europa , blutige Julirevolution 1830 (drei Tage Barrikadenkampf – Les Trois Glorieuses), 3000 Arbeiter starben in der Februar-Revolution 1948, und gut 30 000 bis 50 000 Tote forderte der Pariser Kommunarden-Aufstand im März 1871. Bittere Not, Hunger und Armut beherrschten das Leben breiter Bevölkerungsschichten während des 19. Jahrhunderts. All diese Themen habe Daumier immer wieder als Anklage gegen die Obrigkeit in seinen Blättern aufgegriffen und angeprangert.
Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, so Hellwig, „dass im 19. Jahrhundert die Länder in Europa nebeneinander hergelebt hätten“. Es gab damals in Europa „eine Art Binnenmarkt des Geistes und der Kunst“, der erst mit Beginn des ersten Weltkriegs 1914 ein Ende gefunden habe, und der selbst im Zuge der europäischen Einigung „noch nicht so wieder entstanden ist.“ Die französische Revolution von 1798 habe ausgestrahlt auf ganz Europa, wo der republikanische Gedanke heimisch geworden sei; ebenso die 1830er Julirevolution, die zur Unabhängig von Belgien geführt habe. Und die 1848 habe bei uns zur 1948/49er Revolution und „Reichsverfassung“ in der Paulskirche geführt.
Daumier, 1808 geboren, war im Alter von 22 Jahren selbst an den Barrikadenkämpfen beteiligt. Man sieht es an seinem Selbstporträt, gleich vorne in der Ausstellung. Er trägt hier rechts am unteren Rand der Stirn noch eine Narbe, die er bei diesem Barrikadenkampf erlitten habe, so Hellwig.
Ebenso habe „die französische Kunst, Stichworte „Künstlerkolonie Barbizon“ und „französischer Impressionismus“, die Kunst im übrigen Europa enorm beeinflusst, so Hellwig. Paris war Europas Zentrum der damaligen Avantgarde. Selbst vom Zeitungswesen gingen europaweite Impulse aus, etwa von der satirischen Tageszeitung Le Charivari, in der viele von Daumiers Karikaturen veröffentlicht wurden. Charivari war nach dem Verbot von La Caricature 1835 zum Hauptorgan des republikanischen Verlegers Philipon geworden. Dieses Satire-Blatt fand europaweit Nachahmer, etwa in den Satirezeitschriften Charivari Belge und im Londoner Punsh (The London Charivari). So wurde etwa die berühmte Bismarck-Karikatur „Der Lotse geht von Bord“ vom John Tenniel zuerst im Londoner Punsh veröffentlicht.
Bei Daumier gings umgekehrt. Seine frühen Blätter seien Anleihen bei Goya.
In den „Parlamentarier-Köpfen“ habe Daumier die in vier Bänden von 1775 bis 1778 in Frankreich erschienenen physiognomischen Studien des Schweizer Wissenschaftlers Johann Caspar Lavatas verarbeitet.
Auch hat sich Daumier 1839 von „Spitzwegs armen Poeten“ inspirieren lassen und diesen 8 Jahre später 1847, als „Anklage gegen den Halunken von Vermieter, der das Dach nicht repariert“, gezeichnet. Es gab also in der Kunst und Geisteswissenschaft keine Grenzen.
Honoré ist nicht nur als Karikaturist, als grandioser Zeichner bekannt geworden, er ist auch ein bedeutender Maler und auch ein Bildhauer. Es ist ungewöhnlich für diese Zeit des 19. Jahrhunderts, dass ein Künstler in gleich drei bzw. vier Medien reüssiert hat. Es ist ein Künstler mit einer spannenden Biografie.
Daumiers Anfänge – Kleine Schaffens-Biographie
Honoré Daumier wurde 1808 in Marseille geboren, zog 1816 mit seiner Familie nach Paris, wo er erst Laufbursche für einen Gerichtsvollzieher und dann Buchhändlerlehrling wurde. Er stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Sein Vater war Glaser und Rahmenmacher, der nach Paris gegangen war, um sein Glück zu machen als Theaterdichter, war gescheitert und völlig verarmt. Honoré Daumier musste die Eltern samt 9 Geschwister ernähren. Das hat er seit Anfang der 1820er Jahre bereits das getan. Wohl durch Kontakte seines Vaters, erhielt der künstlerisch begabte Honoré zumindest zuvor für kurze Zeit Zeichenunterricht bei dem Maler, Archäologen und Konservator Alexandre Lenoir. Darüber hinaus besuchte er unabhängige Zeichenschulen wie die Académie Suisse, wo er sich unter anderem dem Aktstudium widmete. Von Bedeutung für die herausragende Lichtführung und Körpersprache seiner Darstellungen sollten jedoch vor allem seine häufigen Besuche im Musée du Louvre werden. Er war vor allem ein hochkreativer Autodidakt. Er war kein akademisch ausgebildeter Künstler. Erste Lithografien entstanden in den 1820er-Jahren, von 1825 bis 1830 absolvierte er eine Lehre in der Werkstatt von Zéphirin Belliard.
Honoré Daumier hat lithografisch, also steinzeichnerisch, gearbeitet , wird veröffentlicht 1829 und 1872. Das sind 43 Jahre, in denen er künstlerisch tätig war. In diesen 43 Jahren gab es nur 10 Jahre, also ein ganz klein bisschen mehr als ein Viertel der Gesamtzeit seines Schaffens, keine politische Zensur, so Hellwig. In diesen 10 Jahren hat er praktisch ausschließlich die politische Karikatur geschaffen. Sobald die Zensur kam, hat er das ganz aufgehört oder nur noch zahme Blätter im Bereich der Genre-Karikatur angefertigt.
Der geniale vielseitige Künstler Daumier
Astrid Reuter, Leiterin der Graphischen Sammlung bis 1800 am Städel Museum und Kuratorin der Ausstellung, über den Künstler und den kunsthistorischen Wert der Sammlung Hellwig: „Honoré Daumier war ein herausragender Zeichner. Neben seinem druckgrafischen Œuvre schuf er auch Plastiken und ab Mitte der 1840er Jahre eine zunehmende Zahl eigenständiger Zeichnungen und Gemälde, in denen sich die Ausdrucksstärke, Vielgestaltigkeit und der Erfindungsreichtum seiner Kunst zeigen. Sein Werk ist geprägt von seinem Anspruch einer kritischen Zeitgenossenschaft und erweist sich dabei zugleich immer wieder als zeitlos aktuell. In Künstlerkreisen wurde Daumier geschätzt und früh gesammelt, allen voran von Edgar Degas, Paul Cézanne oder Max Liebermann. Bis heute besteht in Privatsammlerkreisen ein anhaltendes Interesse an Daumier. Hans-Jürgen Hellwig reiht sich mit seiner Sammlung in diese Tradition ein.“
Wer sich die Bilder ein wenig genauer anschaut, wird sofort merken, „wie genial diese Bildempfindungen sind. Wie da jemand arbeitet, der treffsicher charakterisiert, der weiß zu überzeichnen, der die Anatomie tatsächlich aus dem FF beherrscht, und sofort eine Vorstellung von der Verfasstheit der Personen, um die es geht, entwickelt“, so die Kuratorin. Daumier sei ein Künstler, „der kühne Perspektiven wagt, der die Perspektiven umdreht, der Anschnitte wagt, wo wir von der Bühne nur noch die Schauspieler zur Hälfte sehen, und eigentlich schauen wir auf die Zuschauer.“
Daumier ist ein wandelbarer Künstler, der die Medien seiner Zeit in unterschiedlicher Weise nutzt. Mit seinem Bild die „Zwei Trinker“ beispielsweise, spielt er mit Feder und Pinsel und in Schwarz, Braun, Rot und Weiß. Flackerndes Licht erhellt die ratlos wirkenden Gesichter der beiden Männer, die einander mit gebeugtem Rücken am Tisch gegenübersitzen und wirklich im Dunst ihrer Zigarren eingehüllt sind, und die Einsamkeit der Großstadt spiegeln, und „Themen anklingen lässt, die die Künstler der nachfolgenden Generationen noch lange beschäftigen“.
Mehr politischer Karikaturist als Genre-Künstler
Geprägt vom harten Überlebenskampf seiner ärmlichen Herkunft war Daumier gegen die beiden herrschenden Schichten „Adel“ und „Klerus“ eingenommen. Er verabscheute den selbstgefälligen, arroganten französischen feudalen Dreiklassenstaat. Sein damit einhergehendes soziales Mitgefühl und seine soziale Empathie werden in seinen Karikaturen, aber auch in seinen Gemälden, wenn man an die Wäscherin denkt, oder die Mutter, die sich um ihr Kind kümmert, besonders deutlich, erläutert Hellwig.
Bereits in seinen frühen Werken der 1830er-Jahre erwies sich Honoré Daumier mit seinem Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit als scharfer Kritiker der JuliMonarchie König Louis-Philippes. Seine bildmächtigen Werke erschienen in den von Charles Philipon herausgegebenen Zeitungen La Caricature und Le Charivari. Ihre Breitenwirkung erlangten sie durch die vergleichsweise hohen Auflagen der Blätter. Die zunehmend restriktiven Zensurbestimmungen führten zu Verboten und Strafen, von denen auch Daumier betroffen war.
Bissige Politische Karikatur vom Feinsten
Folgenreich war Philipons gezeichnete „Verwandlung“‘ des königlichen Kopfes in eine Birne, die zu einem allgegenwärtigen Motiv und von Honore Daumier gerne aufgegriffen wurde.
Daumier verwendete sie u. a. in der Lithografie Le Passé – le présent – l’avenir (1834). Zu den meisterlich ausgeführten Werken gehören die kraftvoll überzeichneten und vergleichsweise großformatigen Darstellungen des Parlaments sowie des Massakers in der Rue Transnonain, le 15 avril 1834 (1834) oder die Lithographie „Gargantua“ (1831),
„Gargantua“
Die vom französischen Dichter Rabelais kreierte Romangestalt des gefräßigen Riesen Gargantua diente Daumier, König Louis-Philippe gleich auf vielfache Weise zu verhöhnen. Allerdings konnte das Blatt nicht mehr publiziert werden, da es die Zensur verbot und Künstler, Verleger sowie Drucker wegen Majestätsbeleidigung zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt wurden. Das war dennoch ein relativ mildes Urteil im Vergleich zu in dieser Zeit üblichen harten Strafen für schwere Majestätsbeleidigung. Selbst aktuell würden Daumier und sein Verleger in heutigen Autokratien bei derartigen Obrigkeitsbeleidigungen oder Gotteslästerungen härter bestraft werden oder ihr „Vergehen“ gar mit den Leben bezahlen müssen.
Wir sehen auf diesem Blatt Daumiers den riesenhaften Vielfraß und Säufer namens Gargantua mit Birnenkopf und Birnenkörper. Er sitzt auf einem Thronsessel. „Livrierte Diener füttern den Gargantua mit den Steuerabgaben der ärmlich gekleideten Bevölkerung, und schaufeln ihm diese am laufenden Band in den Mund. Der Verdauungstrakt tut sein Werk, und Gargantua defäkiert Diplome über Adelsernennungen, Offiziersbeförderungen und ähnliche Urkunden in die Schüssel unter dem Sessel, der eigentlich ein Toilettenstuhl ist. Und hinten aus der „Assemblée nationale“ kommen die Abgeordneten und holen sich ein Diplom nach dem anderen als den königlichen Dank für die Apanage, die sie beschlossen haben. Das ist eine heftige Karikatur, so Prof. Hans Jürgen Hellwig.
In Zeiten von Zensur wich Honoré auf Genrekarikatur aus
Nach der Verschärfung der Zensur 1835 publizierte der Charivari bis zur Februarrevolution 1848 vor allem politisch unverfänglichere Genrekarikaturen. Diese humorigen Alltagsschilderungen sind satirische Betrachtungen des sozialen Lebens und erschienen in teils umfangreichen Serien. Daumier erforschte, analysierte und ergründete das Pariser Kleinbürgertum. Unter seinen Erfindungen ragt insbesondere Robert Macaire in seiner schillernden Vielgestaltigkeit heraus. Wie kaum eine andere Figur verkörpert er das rücksichtslose Gewinnstreben der wirtschaftsliberalen JuliMonarchie. In ihrer Gesamtheit ergeben Daumiers Genrekarikaturen ein groß angelegtes Bild der Gesellschaft seiner Zeit. Aufgrund ihrer Beliebtheit erschienen zahlreiche Motive nicht nur in der Zeitung, sondern wurden auf hochwertigem Papier separat oder auch in thematisch zusammengestellten Alben publiziert.
Von Zeitgenossen wie Eugène Delacroix und Charles Baudelaire wurde Daumier als herausragender Zeichner gerühmt. Das Städel Museum zeigt insgesamt 17 Zeichnungen Daumiers. Leidenschaftlich und experimentierfreudig fand der Künstler immer wieder neue und überraschende formale Lösungen. Er entwickelte seine Zeichnungen in einem kontinuierlichen, offenen Prozess, der in den verschiedenen, ineinander gearbeiteten Schichten der Kompositionen sichtbar wird. Seine Darstellungen offenbaren ein tiefes Interesse am Menschen, seinem Fühlen, seinen Erwartungen und Enttäuschungen, das sich in den ausdrucksstarken Kopfstudien ebenso zeigt wie in den mitunter theatralischen Gesten und Körperhaltungen oder in den schnell und kraftvoll ausgeführten Kompositionsideen.
Ratapoil-Figur
Nach der Flucht König Louis-Philippes in der Folge der Februarrevolution 1848 herrschte für kurze Zeit Euphorie in Paris. Am 24. Februar 1848 wurde die Republik ausgerufen. Mit der autoritären Herrschaft Louis Napoléon Bonapartes – zunächst als Präsident der Zweiten Republik und ab 1852 als Kaiser Napoleon III. – stellte sich jedoch rasch Ernüchterung ein. Demokratische Grundrechte wie das Wahlrecht und die Pressefreiheit wurden zunehmend eingeschränkt. Mit seinem Ratapoil schuf Daumier eine karikaturistische Figur, die sich als Mischung aus hinterhältigem Provokateur und gewalttätigem Grobian erweist. Er steht für das Schlägerkommando aus zwielichtigen Gestalten, das Bonaparte 1849 als „Gesellschaft vom vom 10. Dezember“ ins Leben gerufen hatte, mit der er Druck auf die Abgeordneten ausüben wollte, um seine Wiederwahl zu erzwingen. Die Ratapoil-Figur, so Hellwig, verkörpere einen Dandy mit dem Zirbelbart von Bonaparte und dem Zylinder auf dem Kopf. „Aber: Der Mann ist heruntergekommen, zerknautscht, genauso der Zylinder, und obendrein stützt sich der Ratapoil nicht auf einen feinen Gehstock, sondern auf einen richtigen Schlägerknüppel“, dem Arbeitsutensil der Mitglieder vom 10. Dezember. Daumier hat hier mit dieser einen figuralen Karikatur Ratapoil beide miteinander verschmolzen, Napoleon III und seine Schlägertypen, so Hellwig. Damit konnte Daumier sowohl Napoleon III wie auch dessen Anhänger attackieren. Denn viele ahmten die Figur nach, indem sie den im Ratapoil angebrachten napoleonischen Zirbelbart, einen Zylinder und Gehstock trugen, und als lebendige Anti-Napoleon-Karikaturen in den Pariser Tuilerien flanierten. Da sie immer mehr wurden, änderte schließlich Napoleon III sein Äußeres, erläutert Mäzen Hellwig.
Der Frieden in Europa war zu Lebzeiten Daumiers brüchig, die Kräfteverhältnisse verschoben sich.
Ab 1866 thematisierte der Künstler die Spannungen zwischen Frankreich und Preußen sowie die Konflikte auf dem Balkan, in Italien und an vielen anderen Orten Europas in zahlreichen Darstellungen. Hierfür verwendete er vielfach Personifikationen wie die gebrechliche Dame Diplomatie oder die balancierende Gestalt Europas.
Formal zunehmend auf die ausdrucksstarke Linie und damit auf ein grafisches Minimum reduziert, weisen seine bildlichen Beiträge vielfach monumentale Kraft und drastische Schärfe auf.
Die Verlegung der Friedhöfe
Die makabre Darstellung einer schwarzen Lokomotive, die geritten wird von einem toten Gerippe mit einer Sense, richtet sich gegen die napoleonische Eisenbahnpolitik. Nach preußischem Vorbild ließ er Eisenbahnen zum rascheren Transport der französischen Truppen an die Grenze bauen. Auf der Straße spottet man über die nun raschere „Die Verlegung der Friedhöfe“, da die Männer künftig als Soldaten dort beerdigt werden würden, wo sie als Soldaten fielen – nämlich auf dem Gefallenenfriedhof an der Front.
Mit der Abmilderung der Pressegesetze 1868 erweiterte sich sein Arbeitsfeld noch einmal maßgeblich. Nach zahlreichen politischen Umbrüchen erlebte Daumier, der lebenslang für republikanisches, liberales Denken einstand, 1870 die Ausrufung der Republik und damit das Ende der Herrschaft Napoleons III. Mit seiner Darstellung der sterbenden Monarchie verabschiedete sich Daumier nach über 40 Jahren künstlerischer Tätigkeit für die Presse von der politischen Bühne.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Hirmer-Verlag ein von Astrid Reuter herausgegebener Katalog in deutscher Sprache. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, Grußwörtern von Sylvia von Metzler und Hans-Jürgen Hellwig sowie Essays von Alexander Eiling, Hans-Jürgen Hellwig, Astrid Reuter, Dorit Schäfer, Martin Sonnabend und Hendrik Ziegler. 239 Seiten, 34,90 Euro (Museumsausgabe).
„Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“
Ausstellungsdauer: 24. Januar bis 12. Mai 2024 Information:www.staedelmuseum.de Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Tickets: Tickets online buchbar unter shop.staedelmuseum.de. Di–Fr, Sa, So + Feiertage 16 Euro, ermäßigt
14 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: 14 Euro pro Person, am Wochenende 16 Euro. Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.
Erstmals präsentieren sich im Rahmen der deutsch-französischen Woche Kinder und Jugendliche mit ihren Perspektiven auf Mainz und die Zukunft mit dem Nachbartand Frankreich in einer AusstelIung im Forum der Volksbank Darmstadt Mainz (Große Bleiche 41 – 45, 55116 Mainz) vom 24.1. bis 23.02.2024.
ln dem Forum der Volksbank Darmstadt Mainz (ehemals Mainzer Volksbank) am Neubrunnenplatz sind vom 24. Januar bis zum 23. Februar 2024 eine Auswahl aus über 500 Arbeiten aus 15 Klassen des OSG zu sehen, die im Kunstunterricht zu dem Thema ,Perspektive Mayence“ entstanden sind. Ergänzt wird die Ausstetlung durch Workshop-Ergebnisse im Haus Burgund, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Überlegungen zur deutsch-französischen Zukunft dargestellt haben. Eine Präsentation von Wheels for Europe, die sich mit Oldtimern, Motorrädern und E-Fahrzeugen seit Jahren für ein geeintes Europa engagieren, rundet das Ausstellungsformat ab.
„Perspektive Mayence“ nimmt dabei eine dreidimensionale Sichtweise auf.
Da ist einmaI der Blickwinkel auf die französische Vergangenheit von Mainz, der verstärkt von den Künstlerinnen und Künstlern des Otto-Schott-Gymnasiums aufgenommen worden ist.
Die zukunftsorientierte Sichtweise haben Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz erarbeitet. Sie sind der Einladung des Hauses Burgund gefolgt und haben ihre Wünsche für ein zukünftiges Zusammenleben zusammengetragen.
Den Brückenschlag zu einem geeinten Europa bildet der gemeinnützige Verein Wheels for Europe. Denn die Passion des Vereins ist die Stärkung des europäischen Gedankens, so wie der ehemalige französische Außenminister Robert Schumann sie mit seiner Erklärung vom 9. Mai 1950 in Mainz ausgedrückt hat:“Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“
Das gemeinsame Engagement für neue lmpulse in der deutschfranzösischen und europäischen Zusammenarbeit hat uns in diesem Ausstellungskonzept zusammengeführt, ist die gemeinsame Zusammenfassung der Ausstellungsinitiatoren Dr. Esther Richthammer – Kunstpädagogin am Otto-Schott-Gymnasium, Walter Strutz – Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Wheels for Europe und Laurent Vieille – Leiter Haus Burgund in Mainz.
Wiesbaden. Als Zeichen des Dankes und der Anerkennung hat Hessens Ministerpräsident Boris Rhein gemeinsam mit seiner Frau Tanja Raab-Rhein mehr als 320 hessische Tollitäten im Wiesbadener Schloss Biebrich empfangen. Der Regierungschef sprach den ehrenamtlichen Fastnachterinnen und Fastnachtern seinen Respekt aus und betonte die gesellschaftliche Bedeutung ihres ehrenamtlichen Engagements. „In der fünften Jahreszeit sind die Närrinnen und Narrhalesen nahezu rund um die Uhr im Zeichen des Frohsinns im Einsatz und verbreiten unser jahrhundertealtes Brauchtum der hessischen Fastnacht. Das ist ein wirklich tolles Engagement, das nicht nur viel Zeit, sondern auch besonders viel Herzblut erfordert“, sagte der Regierungschef. Unter den Gästen der feierlichen Veranstaltung im Schloss waren Prinzenpaare und Kinderprinzenpaare, Hofmarschalle und Hofdamen, Fürstinnen und Fürsten, Zofen und Pagen aus rund 90 Vereinen der Interessengemeinschaft Mittelrheinischer Karneval und des Karnevalverbands Kurhessen.
Die Fastnacht habe auch eine enorm wichtige Bedeutung für das Zusammenleben, erläuterte der Ministerpräsident: Der Einsatz der Fastnachtsvereine reiche von der Organisation von Umzügen über die Gestaltung von Veranstaltungen bis hin zur Pflege der Tradition. „Die Vereine sind Eckpfeiler des hessischen Brauchtums und tragen entscheidend zum Zusammenhalt der Gemeinschaft bei“, sagte Rhein und fügte hinzu: „Durch die Organisation der Festlichkeiten schaffen sie Räume für Begegnungen, bei denen Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, Hintergründe und Lebenssituationen zusammenkommen und gemeinsam feiern können. Das fördert nicht nur den Austausch zwischen den Generationen, sondern stärkt auch das Wir-Gefühl in der Gesellschaft.“
Mehrere tausend Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur waren am Donnerstag, 25. Januar, zum „Jahresempfang der Wirtschaft“ mit Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck in die ausgebuchte Mainzer Rheingoldhalle gekommen. 15 Kammern und Institutionen des Mittelstands, des Handwerks, der freien Berufe und der Landwirtschaft aus Rheinland-Pfalz hatten zum Mainzer Großereignis eingeladen, das als größter Jahresempfang der regionalen Wirtschaft in Deutschland gilt – und als Plattform für den Dialog mit Entscheidern aus Bundes- und Landespolitik. Habeck war im Rahmen seiner Rheinland-Pfalz-Reise als Keynote-Speaker in die Mainzer Rheingoldhalle gekommen, nachdem er zuvor bei Mainzer Großunternehmen wie Schott und Werner & Mertz zu Gast war.
IHK-Präsident Walden für „Praxis-Check“ bei neuen Gesetzen
Die Veranstalter des Jahresempfangs nutzten die Möglichkeit, um die Stimmungslage in der Wirtschaft und ihre Positionen deutlich zu machen: „Viele unserer Betriebe wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagte IHK-Präsident Dr. Marcus Walden in seiner Begrüßung. „Inflation, Energie- und Rohstoffkosten belasten die Bilanzen. Dazu kommen Lieferschwierigkeiten, lähmende Bürokratie und der Arbeitskräftemangel. Vor allem: Es fehlt das Vertrauen, dass Entscheidungen Bestand haben. Weshalb Unternehmen weniger investieren. Darüber müssen wir beim ‚Jahresempfang der Wirtschaft‘ sprechen.“
Besondere Sorge mache den Betrieben die zunehmende Bürokratisierung. Denn, wenn Berichtspflichten das Tagesgeschäft lähmten, „können wir die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen“. Service-Dienstleistung für alle, die jetzt hektisch für ihren Betrieb nachdenken, wieviel Grad das denn sein müssen: mindestens 21 Grad, sagt die Technische Regelung für Arbeitsstätten, die sogenannte ASR 3.5. Und selbst an das Lüften von Toilettenräumen und die Wechselwirkung des Lüftungsvorgangs mit der Raumtemperatur wurde gedacht. Ich zitiere aus der technischen Regelung: „In Toilettenräumen darf die Lufttemperatur durch Lüftungsvorgänge, die durch Benutzer ausgelöst werden, kurzzeitig unterschritten werden“. Ende des Zitats – mehr muss man, glaube ich, nicht dazu sagen.“, so Walden.
Obwohl die Bundesregierung bereits vier Bürokratieentlastungsgesetze auf den Weg gebracht habe, kämen „immer noch mehr neue Vorschriften hinzu als alte wegfallen.“, so der IHK-Präsident, und forderte „einen verbindlichen Praxis-Check für neue Gesetze. Da helfen die Kammern auch gerne mit.“ Großer Applaus. „Ich schätze mal, dass es Herr Habeck genauso sieht“.
„Neben Messwerten hilft manchmal aber vielleicht auch einfach gesunder Menschenverstand. Und das Vertrauen, dass verantwortungsbewusste Unternehmerinnen und Unternehmer vieles auch ohne seitenlange Regelungen richtig machen.“, so Walden. Und hätten die Unternehmer schließlich „alle Verordnungen gelesen, verstanden und erfüllt, folgen endlose Planungs- und Genehmigungsverfahren“, spricht der IHK-Präsident den Unternehmern und Freiberuflern im Saal aus der Seele. Innovationsgeschwindigkeit sähe anders aus!. Statt noch mehr Bürokratie würde dringend „ein klares Bekenntnis zu unserem Industrie- und Innovationsstandort – und zu allem, was Innovation schafft“, gebraucht. Dazu gehörten „Investitionen in die Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung. Und vor allem auch: eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen. Stattdessen verdoppeln die Betreiber der Stromübertragungsnetze in Deutschland zum Jahreswechsel die Entgelte. Das schlägt sich bei jedem Einzelnen von uns und für alle Branchen in der Stromrechnung nieder. Für einen industriellen Mittelständler bedeutet das leicht mehrere Hunderttausend Euro. In Rheinland-Pfalz betrifft das allein gut 13.200 Industriebetriebe, die knapp ein Viertel des Bruttosozialproduktes erwirtschaften. Vertrauensbildende Maßnahmen, die wichtig für alle sind, die investieren wollen und sollen, sehen anders aus“, so der IHK-Präsident. Er rief Robert Habeck zu: „Die Erwartungen an Sie für das Jahr 2024 sind hoch. Sie haben es mit in der Hand, das Vertrauen der Unternehmen in den Standort Deutschland wieder zu stärken.“
Talk – Wie soll Bürokratieabbau mit Lieferkettengesetz gehen?
Bürokratiekritik war auch vorherrschendes Thema der anschließende Talkrunde, die souverän und kenntnisreich von Patricia Küll moderiert wurde. Auf dem Podium der Rheingold-Halle: Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Andreas Creutzmann, Landespräsident der Wirtschaftsprüferkammer und Dr. Wilfried Woop, Präsident der Landeszahnärztekammer. HWK-Präsident Friese, als erster befragt, redet Klartext: „Der Frust ist groß, und der steigt immer mehr an.“ Dabei sei das größte Problem für das Handwerk die wachsende Bürokratie. Erst danach käme der Fachkräftemangel, so Friese, der die bürokratische Absurdität manch überflüssiger Regelung am Genehmigungsverfahren für das Bewegen von einem Kran von A nach B plausibilisiert. Wie ihm ein Kollege aus der Baubranche zugetragen habe, würden Deutschlandweit alle Anträge bewilligt. Doch die Vorlaufzeit bis zur Genehmigung läge bei sechs bis acht Wochen. Wenn aber ohnehin alle beantragten „Kranfahrten“ genehmigt würden, „bräuchte man doch gar keine Anträge zu stellen.“ Er habe oftmals das Gefühl, dass Politiker gar nicht zuhörten.
Andreas Creutzmann, Landespräsident der Wirtschaftsprüferkammer, bestätigte Frieses Ausführungen, was tägliche Praxis der Steuerberater wäre, die dann Lösungen finden müssten. Vor allem, so Creutzmann, wie solle Bürokratieabbau angesichts beispielsweise des neuen „Lieferkettensorgfaltpflichtgesetz“ funktionieren? Inzwischen bereite ja Brüssel noch eine Verschärfung des Lieferkettensorgfaltpflichtgesetzes vor. Geplant sei auch eine indirekte Lieferkettenprüfungspflicht für Unternehmen ab 1000 Mitarbeitern, also die Pflicht, auch die Lieferanten der Lieferanten auf Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen hin zu überprüfen. Und das ganze müsse ja behördlicherseits kontrolliert werden, bedeute also mehr Beamte, mehr Bürokratie. In den Betrieben verlange das Gesetz ein systematisches Risikomanagement und die Unternehmen sollen elektronisch an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle berichten. Und wer solle all die Angaben überprüfen? Gut, für seine Branchen wüchsen die Aufgaben, räumte er auf Nachfrage Particia Külls ein.
Die Ministerpräsidentin Malu Dreyer versicherte, insbesondere an den Handwerks-Präsidenten gerichtet, dass sie die Kritik an der Bürokratie „sehr ernst nimmt“, und alles „aufgenommen würde“. Aber soweit ihr bekannt sei, führe die Landesregierung mit den verschiedenen Kammern intensive im Gespräche, um gemeinsam die Dinge zu erleichtern. Man sei ja in einem Veränderungsjahrzehnt, in dem es darum ginge, die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Rheinland-Pfalz zu erhalten und gut zu gestalten. „Meine Landesregierung setzt sich für stabile Rahmenbedingungen ein und unterstützt im Bundesrat die Initiativen zur Entlastung der Unternehmen“, versicherte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. „Wir setzen in Rheinland-Pfalz ganz stark auf wirtschaftliche Zukunftsfelder wie Wasserstoff, Künstliche Intelligenz und die Biotechnologie. Die Ansiedlung des Unternehmens Eli Lilly in Alzey ist nur eines der Ergebnisse der langjährigen strategischen Forschungspolitik der Landesregierung, mit der wir die Biotechnologie systematisch fördern. Wir wollen mit Ihnen als Unternehmen Gewinner der Digitalisierung werden, mit guter Arbeit und wirtschaftlichen Erfolgen auf traditionellen und neuen Märkten“, so die Ministerpräsidentin.
Politik müsse unternehmerischer Denken – Keynote des Wirtschaftsministers Dr. Robert Habeck
Als Hauptredner Dr. Robert Habeck ans Podium trat, war die Stimmung in der mehrere tausend Gäste fassenden Rheingoldhalle aufgeheizt und die Erwartungen hoch. Doch der Wirtschaftsminister schaffte es quasi im Handumdrehen mit einer Fragestellung zur mentalen Verfassung aus dem Sport am Beispiel der aktuellen Vorabend-Handballer-Niederlage gegen Kroatien die Gemüter im Saal positiv zu pushen: „Will man gewinnen, und hat man Spaß daran, oder will man, nur nicht verlieren?“ Es reiche seiner Meinung nicht, „nicht nur nicht verlieren zu wollen“, sondern es gehe darum, „gewinnen zu wollen!“, motivierte der Wirtschaftsminister.
Er teile die Kritik an der überbordenden Bürokratie und prangerte unter anderem die unglaublichen Restaurant- und Speisekarten-Vorschriften aus dem eigenen Wirtschaftsministerium an: Da konnte beispielsweise ein namhafter Restaurantbesitzer einen Koch aus Hongkong letztlich doch nicht einstellen, weil diesem nach monatelangen Verhandlungen trotz vorliegendem deutschen Arbeitsvertrag der beantragte Aufenthaltstitel verwehrt wurde mit der aberwitzigen Begründung: Im betreffenden Restaurant würde nicht zu 90 Prozent chinesisch gekocht, somit würde auch kein chinesischer Koch benötigt.
Aber wo lägen die Ursachen für diese Flut von Regelungen und Vorschriften – „wie konnte es so weit kommen, dass wir so falsch abgebogen sind?“, fragte der Wirtschaftsminister selbstkritisch. „Wir haben große politische Entscheidungen an die Gerichte ausgelagert“, so Habeck. Er sei auch genervt darüber, dass immer öfter Verwaltungsgerichte darüber entschieden, was Staat und Verwaltungen überhaupt noch machen dürften. Um möglichst jedes Risiko auszuschließen, gebe es praktisch für jeden Fall eine Regel. Und weil aber eine gute Verwaltung keine Fehler machen und vor Gericht nicht verlieren wolle, stecke sie nicht zuletzt deshalb so viel Kraft in exakte Einhaltung von Regeln und Vorschriften, um eine gute Verwaltung zu sein“, was letztlich keinem der Beteiligten so wirklich gefiele, so der Wirtschaftsminister. Erforderte die Politik auf, „mehr Mut zum Risiko und unternehmerisches Handeln“ zu entwickeln. Dafür bekam er großen Applaus. Dazu gehöre jedoch, „dass diejenigen, die ins Risiko gingen, wenn dann mal etwas schiefginge, nicht gleich den vollen Zorn abkriegen“. Das bedeute natürlich nicht, dass Politiker andauernd Fehler begehen sollten. Tatsächlich müsse man aber mutiger werden und sich auch zutrauen, einen Fehler zu machen.
Als zweites großes Thema ging der Wirtschaftsminister auf das Thema Fachkräftemangel ein: Ohne Weltoffenheit und Willkommenskultur gelänge es kaum, zukünftig genügend Arbeitskräfte zu gewinnen. Das gelte insbesondere für Rheinland-Pfalz, das ökonomisch betrachtet über dem deutschen Exportdurchschnitt liege. Dass dies insbesondere auch ein Verdienst von Zuwanderern sei, stützte Habeck mit der Feststellung, dass heute zwölf von insgesamt 45 Millionen Erwerbstätigen Menschen mit Migrationshintergrund seien. Ohne die Migration gäbe es in diesem Jahr 50.000 Auszubildende weniger. 14 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seien Menschen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft hätten. Er habe ja gar nichts gegen einen fröhlichen Patriotismus, etwa bei großen Sportveranstaltungen, so Habeck, aber einen engstirnigen Nationalismus mit Abschottung, Ausgrenzung und hochgezogenen Grenzen sei das Gegenteil von Weltoffenheit. „Wenn wir Weltoffenheit nicht leben, bricht unsere Wirtschaft zusammen“, warnt Habeck. Eine Abschiebung von diesen Menschen, wie es in rechtsextremen Kreisen ventiliert werde, „wäre das Ende unserer Wirtschaft und weltoffenen Demokratie“.
Wie zuvor schon Ministerpräsidentin Malu Dreyer beim Talk betont hatte, freute es auch Robert Habeck, dass in diesen Wochen Hunderttausende bundesweit lautstark auf die Straße gingen, um „ein klares Signal gegen Rechts“ zu setzten.