HONORÉ DAUMIER. DIE SAMMLUNG HELLWIG – Städel präsentiert Frankreichs Meister der politischen Karikatur, Genre-Zeichnung und Malerei des 19. Jahrhunderts

Das Städel Museum präsentiert anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Städelschen Museums-Vereins ab dem 24. Januar 2024 eine Ausstellung mit Werken des französischen Künstlers Honoré Daumier (1808–1879). Sie sind Teil der herausragenden privaten Sammlung des Frankfurter Mäzens Hans-Jürgen Hellwig, die zu den bedeutendsten Daumier-Sammlungen außerhalb Frankreichs gehört. © Foto: Diether von Goddenthow
Das Städel Museum präsentiert anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Städelschen Museums-Vereins ab dem 24. Januar 2024 eine Ausstellung mit Werken des französischen Künstlers Honoré Daumier (1808–1879). Sie sind Teil der herausragenden privaten Sammlung des Frankfurter Mäzens Hans-Jürgen Hellwig, die zu den bedeutendsten Daumier-Sammlungen außerhalb Frankreichs gehört. © Foto: Diether von Goddenthow

Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Städelschen Museums-Vereins präsentiert das Städel Museum Frankfurt vom 24. Januar 2024 bis 12. Mai 2025 die grandiose Ausstellung „Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“ mit Ikonen der politischen Karikatur und einzigartigen Genre-Zeichnungen des französischen 19. Jahrhunderts,

Es sei ein großer Tag für das Städel-Museum, ein historischer Tag. Denn, so Städeldirektor Philipp Demandt beim Pressegespräch am 23.01.2024, käme es nicht häufig vor, dass man auf einen Schlag eine Sammlung von gut 4200 Kunstwerken erhielte, „die ein Museum im Bereich eines Künstlers, in diesem Fall „Honoré Daumier“, auf einen Schlag zu einem der Zentren der internationalen Forschung um diesen Künstler“ machten.
Zu verdanken hat der Städelverein die Schenkung der privaten  Daumier-Sammlung dem Frankfurter Anwalt, Kulturpolitiker und Mäzen  Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig und seiner Frau Brigitte. Mit 4.200 Lithografien und Holzstichen, 19 Zeichnungen, zwei Gemälden und 36 Bronzeplastiken gehört Hellwigs Daumier-Sammlungen zu den vollständigsten und bedeutendsten außerhalb Frankreichs. Die Privatsammlung besticht durch ihre einzigartige Qualität und bildet die ganze Breite des künstlerischen Gesamtwerks von Honoré Daumier ab. Das Städel Museum stellt in seinem Grafik-Flügel mit einer Auswahl von rund 120 die spannendsten Werke der Sammlung Hellwig vor und macht sie erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

(v.li.:) Astrid Reuter, Leiterin der Graphischen Sammlung bis 1800 am Städel Museum und Kuratorin der Ausstellung, Anwalt, Kulturpolitiker, Sammler und Mäzen Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig sowie Städel Direktor Philipp Demandt beim Pressegespräch. © Foto: Diether von Goddenthow
(v.li.:) Astrid Reuter, Leiterin der Graphischen Sammlung bis 1800 am Städel Museum
und Kuratorin der Ausstellung, Anwalt, Kulturpolitiker, Sammler und Mäzen Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig sowie Städel Direktor Philipp Demandt beim Pressegespräch. © Foto: Diether von Goddenthow

Honoré Daumier sei nicht der bekannteste, „aber der komplexeste Künstler des französischen 19. Jahrhunderts“, so Demandt. Dieser Künstler bilde eine Epoche ab, „die im Prinzip fast das ganze 19. Jahrhundert umspannt.“ Selbst für Historiker sei diese Abfolge von Fehden, Krisen, Revolutionen, Demokratie- und Republik-Versuchen, von Monarchie-Putschen, Epidemien und vielen anderen Umbrüchen nicht wirklich zu überblicken. Dieses 19. Jahrhundert verstehen zu wollen, sei ungefähr so, als versuche man, den Metroplan von Paris plus alle Bus- und Nachtlinien auf einem Handy zu übermessen, veranschaulicht der Städeldirektor. Aber das Frankreich des 19. Jahrhunderts sei auch eine spannende Zeit, die von großen Innovationen wie der Elektrizität, das Telegrafenwesens, der Entwicklung der modernen Zeitungskultur, der Fotografie und natürlich auch von der ersten Eisenbahn geprägt  und eine unglaublich komplexe spannende Zeit von Erfolgen und Rückschlägen gewesen sei.  „Honoré Daumier hat diese Zeit, dieses 19. Jahrhundert, wie kein anderer Künstler in Frankreich begleitet, durchlebt, beobachtet und kommentiert.“, so Demandt.

Europäischer „Binnenmarkt des Geistes und der Kunst“

Honore Daumier "Ein JuliHeld. Mai 1831. Nach der  blutigen  "JuliRevolution 1830",  sucht ein mit einem Flickenmantel aus Pfandscheinen bekleideter einsamer Invalide Erlösung in der Seine.© Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier „Ein JuliHeld. Mai 1831. Nach der blutigen „JuliRevolution 1830″, sucht ein mit einem Flickenmantel aus Pfandscheinen bekleideter einsamer Invalide Erlösung in der Seine.© Foto: Diether von Goddenthow

Gestützt auf über 60 Jahre Daumier-Forschung,  resümiert  Hellwig, dass „die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts blutiger als die in jedem anderen Lande in Europa“ war.   Allein 25 000 bis 50 000 Franzosen ließen in der Französischen Revolution von 1789 ihr Leben, 3,5 Million Tote forderten die napoleonischen Kriegen durch Europa , blutige Julirevolution 1830 (drei Tage Barrikadenkampf – Les Trois Glorieuses),  3000 Arbeiter starben in der Februar-Revolution 1948, und gut 30 000  bis 50 000 Tote forderte der Pariser Kommunarden-Aufstand im März 1871. Bittere Not, Hunger und Armut  beherrschten das Leben  breiter Bevölkerungsschichten während des 19. Jahrhunderts. All diese Themen habe Daumier immer wieder als Anklage gegen die Obrigkeit  in seinen Blättern aufgegriffen und angeprangert.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, so Hellwig, „dass im 19. Jahrhundert die Länder in Europa nebeneinander hergelebt hätten“. Es gab damals in Europa „eine Art Binnenmarkt des Geistes und der Kunst“, der erst mit Beginn des ersten Weltkriegs 1914 ein Ende gefunden habe, und der selbst im Zuge der europäischen Einigung „noch nicht so wieder entstanden ist.“ Die französische Revolution von 1798 habe ausgestrahlt auf ganz Europa, wo der republikanische Gedanke heimisch geworden sei; ebenso die 1830er Julirevolution, die zur Unabhängig von Belgien geführt habe. Und die 1848 habe bei uns zur 1948/49er Revolution und „Reichsverfassung“ in der Paulskirche geführt.
Daumier, 1808 geboren, war im Alter von 22 Jahren selbst an den Barrikadenkämpfen beteiligt. Man sieht es an seinem Selbstporträt, gleich vorne in der Ausstellung. Er trägt hier rechts am unteren Rand der Stirn noch eine Narbe, die er bei diesem Barrikadenkampf erlitten habe, so Hellwig.

Gezeigt werden in der Ausstellung auch seltene Zeitungsdokumente, z.B. (li.) die ab dem 4. November 1935 von Charles Philipon herausgegebene Wochenzeitschrift La Caricature, die Ende August 1835 verboten wurde. (re.) Zwei aufgeschlagene Exemplare von "Le Charivari" , die Philipon bereits am 1.Dez. 1832 als satirische Tageszeitung ins Leben gerufen hatte. Mit "charivari" war ein karnevaleskes lärmendes Durcheinander gemeint. Auf der dritten Seite, des vierseitigen Blattes mit Theater- und Literaturkritiken sowie politischen Artikeln, erschien jeweils eine Lithografie. Daumier war einer der zentralen satirischen Lithographen. © Foto: Diether von Goddenthow
Gezeigt werden in der Ausstellung auch seltene Zeitungsdokumente, z.B. (li.) die ab dem 4. November 1935 von Charles Philipon herausgegebene Wochenzeitschrift La Caricature, die Ende August 1835 verboten wurde. (re.) Zwei aufgeschlagene Exemplare von „Le Charivari“ , die Philipon bereits am 1.Dez. 1832 als satirische Tageszeitung ins Leben gerufen hatte. Mit „charivari“ war ein karnevaleskes lärmendes Durcheinander gemeint. Auf der dritten Seite, des vierseitigen Blattes mit Theater- und Literaturkritiken sowie politischen Artikeln, erschien jeweils eine Lithografie. Daumier war einer der zentralen satirischen Lithographen. © Foto: Diether von Goddenthow

Ebenso habe „die französische Kunst, Stichworte „Künstlerkolonie Barbizon“ und  „französischer Impressionismus“,  die Kunst im übrigen Europa enorm beeinflusst, so Hellwig. Paris war Europas Zentrum der damaligen Avantgarde.  Selbst vom Zeitungswesen gingen europaweite Impulse aus, etwa von der satirischen Tageszeitung Le Charivari, in der viele von Daumiers Karikaturen veröffentlicht wurden. Charivari war nach dem Verbot von La Caricature 1835  zum Hauptorgan des republikanischen Verlegers Philipon geworden. Dieses Satire-Blatt fand europaweit Nachahmer, etwa in den Satirezeitschriften Charivari Belge und im Londoner Punsh (The London Charivari). So wurde etwa die berühmte Bismarck-Karikatur „Der Lotse geht von Bord“ vom  John Tenniel zuerst im Londoner Punsh veröffentlicht.
Bei Daumier gings umgekehrt. Seine frühen Blätter seien Anleihen bei Goya.

Daumiers Parlamentarier-Köpfe sind figurale dreidimensionale Satire-"Zeichnungen". © Foto: Diether von Goddenthow
Daumiers Parlamentarier-Köpfe sind figurale dreidimensionale Satire-„Zeichnungen“. © Foto: Diether von Goddenthow

In den „Parlamentarier-Köpfen“ habe Daumier die in vier Bänden von 1775 bis 1778 in Frankreich erschienenen physiognomischen Studien des Schweizer Wissenschaftlers Johann Caspar Lavatas verarbeitet.

Auch hat sich Daumier 1839 von „Spitzwegs armen Poeten“ inspirieren lassen und diesen 8 Jahre später 1847, als „Anklage gegen den Halunken von Vermieter, der das Dach nicht repariert“, gezeichnet. Es gab also in der Kunst und Geisteswissenschaft keine Grenzen.

Honoré ist nicht nur als Karikaturist, als grandioser Zeichner bekannt geworden, er ist auch ein bedeutender Maler und auch ein Bildhauer. Es ist ungewöhnlich für diese Zeit des 19. Jahrhunderts, dass ein Künstler in gleich drei bzw. vier Medien reüssiert hat. Es ist ein Künstler mit einer spannenden Biografie.

Daumiers Anfänge – Kleine Schaffens-Biographie

Altersportrait Honoré Daumier 1894 nach Foto von Felix Valotton.
Altersportrait Honoré Daumier 1894 nach Foto von Felix Valotton.

Honoré Daumier wurde 1808 in Marseille geboren, zog 1816 mit seiner Familie nach Paris, wo er erst Laufbursche für einen Gerichtsvollzieher und dann Buchhändlerlehrling wurde. Er stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Sein Vater war Glaser und Rahmenmacher, der nach Paris gegangen war, um sein Glück zu machen als Theaterdichter, war gescheitert und völlig verarmt. Honoré Daumier musste die Eltern samt 9 Geschwister ernähren. Das hat er seit Anfang der 1820er Jahre bereits das getan. Wohl durch Kontakte seines Vaters, erhielt der künstlerisch begabte Honoré zumindest zuvor für kurze Zeit Zeichenunterricht bei dem Maler, Archäologen und Konservator Alexandre Lenoir. Darüber hinaus besuchte er unabhängige Zeichenschulen wie die Académie Suisse, wo er sich unter anderem dem Aktstudium widmete. Von Bedeutung für die herausragende Lichtführung und Körpersprache seiner Darstellungen sollten jedoch vor allem seine häufigen Besuche im Musée du Louvre werden. Er war vor allem ein hochkreativer Autodidakt. Er war kein akademisch ausgebildeter Künstler. Erste Lithografien entstanden in den 1820er-Jahren, von 1825 bis 1830 absolvierte er eine Lehre in der Werkstatt von Zéphirin Belliard.

In Zeiten von Zensur hat Daumier nur zahme Blätter angefertigt, hier z.B. Der schöne Narziss. © Foto: Diether von Goddenthow
In Zeiten von Zensur hat Daumier nur zahme Blätter angefertigt, hier z.B. Der schöne Narziss. © Foto: Diether von Goddenthow

Honoré Daumier hat lithografisch, also steinzeichnerisch, gearbeitet , wird veröffentlicht 1829 und 1872. Das sind 43 Jahre, in denen er künstlerisch tätig war. In diesen 43 Jahren gab es nur 10 Jahre, also ein ganz klein bisschen mehr als ein Viertel der Gesamtzeit seines Schaffens, keine politische Zensur, so Hellwig. In diesen 10 Jahren hat er praktisch ausschließlich die politische Karikatur geschaffen. Sobald die Zensur kam, hat er das ganz aufgehört oder nur noch zahme Blätter im Bereich der Genre-Karikatur angefertigt.

Der geniale vielseitige Künstler Daumier
Astrid Reuter, Leiterin der Graphischen Sammlung bis 1800 am Städel Museum und Kuratorin der Ausstellung, über den Künstler und den kunsthistorischen Wert der Sammlung Hellwig: „Honoré Daumier war ein herausragender Zeichner. Neben seinem druckgrafischen Œuvre schuf er auch Plastiken und ab Mitte der 1840er Jahre eine zunehmende Zahl eigenständiger Zeichnungen und Gemälde, in denen sich die Ausdrucksstärke, Vielgestaltigkeit und der Erfindungsreichtum seiner Kunst zeigen. Sein Werk ist geprägt von seinem Anspruch einer kritischen Zeitgenossenschaft und erweist sich dabei zugleich immer wieder als zeitlos aktuell. In Künstlerkreisen wurde Daumier geschätzt und früh gesammelt, allen voran von Edgar Degas, Paul Cézanne oder Max Liebermann. Bis heute besteht in Privatsammlerkreisen ein anhaltendes Interesse an Daumier. Hans-Jürgen Hellwig reiht sich mit seiner Sammlung in diese Tradition ein.“

Wer sich die Bilder ein wenig genauer anschaut, wird sofort merken, „wie genial diese Bildempfindungen sind. Wie da jemand arbeitet, der treffsicher charakterisiert, der weiß zu überzeichnen, der die Anatomie tatsächlich aus dem FF beherrscht, und sofort eine Vorstellung von der Verfasstheit der Personen, um die es geht, entwickelt“, so die Kuratorin. Daumier sei ein Künstler, „der kühne Perspektiven wagt, der die Perspektiven umdreht, der Anschnitte wagt, wo wir von der Bühne nur noch die Schauspieler zur Hälfte sehen, und eigentlich schauen wir auf die Zuschauer.“

Honore Daumier "Zwei Trinker" © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier „Zwei Trinker“ © Foto: Diether von Goddenthow

Daumier ist ein wandelbarer Künstler, der die Medien seiner Zeit in unterschiedlicher Weise nutzt. Mit seinem Bild die „Zwei Trinker“ beispielsweise, spielt er mit Feder und Pinsel und in Schwarz, Braun, Rot und Weiß. Flackerndes Licht erhellt die ratlos wirkenden Gesichter der beiden Männer, die einander mit gebeugtem Rücken am Tisch gegenübersitzen und wirklich im Dunst ihrer Zigarren eingehüllt sind, und die Einsamkeit der Großstadt spiegeln, und „Themen anklingen lässt, die die Künstler der nachfolgenden Generationen noch lange beschäftigen“.

Mehr politischer Karikaturist als Genre-Künstler
Geprägt vom harten Überlebenskampf seiner ärmlichen Herkunft war Daumier  gegen die beiden  herrschenden Schichten „Adel“ und „Klerus“ eingenommen. Er verabscheute den selbstgefälligen, arroganten französischen feudalen Dreiklassenstaat. Sein damit einhergehendes soziales Mitgefühl und seine soziale Empathie werden in seinen Karikaturen, aber auch in seinen Gemälden, wenn man an die Wäscherin denkt, oder die Mutter, die sich um ihr Kind kümmert, besonders deutlich, erläutert Hellwig.

Honore Daumier: Die Lektüre des Charivari, 1.4.1840. Bereits Daumiers Darstellung war als Werbung für eine Zeitung angelegt, die sehr an den erfolgreichen Kampagnen-Slogan "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erinnert. © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier: Die Lektüre des Charivari, 1.4.1840. Bereits Daumiers Darstellung war als Werbung für eine Zeitung angelegt, die sehr an den erfolgreichen Kampagnen-Slogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erinnert. © Foto: Diether von Goddenthow

Bereits in seinen frühen Werken der 1830er-Jahre erwies sich Honoré Daumier mit seinem Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit als scharfer Kritiker der JuliMonarchie König Louis-Philippes. Seine bildmächtigen Werke erschienen in den von Charles Philipon herausgegebenen Zeitungen La Caricature und Le Charivari. Ihre Breitenwirkung erlangten sie durch die vergleichsweise hohen Auflagen der Blätter. Die zunehmend restriktiven Zensurbestimmungen führten zu Verboten und Strafen, von denen auch Daumier betroffen war.

Bissige Politische  Karikatur vom Feinsten

Folgenreich war Philipons gezeichnete „Verwandlung“‘ des königlichen Kopfes in eine Birne, die zu einem allgegenwärtigen Motiv und von Honore Daumier gerne aufgegriffen wurde.

Honoré Daumier griff  Philipons Idee mit der Birne auf. Er stellte  König Louis-Philippes Kopf birnenförmig dar (La Caricature, 9.1.2834) Das Werk heißt: "Die Vergangenheit, die Gegenwart - die Zukunft", symbolisiert durch die drei verschiedenen, ineinander verschmelzenden Gesichtsausdrücke. Wegen den Kurztextes meinte das Werk aber die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der königlichen Herrschaft. Doch das Werk war noch  hinterfotziger, so Prof. Hans-Jürgen Hellwig. Denn La (bonne) poire – heißt auch der Blödian bzw. Trottel. Tauchte die Birne auf, wusste also jeder Bescheid "Der König ist ein Trottel", und die Zensur war gegen soviel Gewitztheit relativ machtlos. In  den 1990er Jahren verwandelte wohl in dieser Tradition  der intelligenten der französischen  Majestätsbeleidigung  der Künstler Klaus Staeck, Helmut Kohls Kopf in eine Birne.  © Foto: Diether von Goddenthow
Honoré Daumier griff Philipons Idee mit der Birne auf. Er stellte König Louis-Philippes Kopf birnenförmig dar (La Caricature, 9.1.2834) Das Werk heißt: „Die Vergangenheit, die Gegenwart – die Zukunft“, symbolisiert durch die drei verschiedenen, ineinander verschmelzenden Gesichtsausdrücke. Wegen den Kurztextes meinte das Werk aber die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der königlichen Herrschaft. Doch das Werk war noch hinterfotziger, so Prof. Hans-Jürgen Hellwig. Denn La (bonne) poire – heißt auch der Blödian bzw. Trottel. Tauchte die Birne auf, wusste also jeder Bescheid „Der König ist ein Trottel“, und die Zensur war gegen soviel Gewitztheit relativ machtlos. In den 1990er Jahren verwandelte wohl in dieser Tradition der intelligenten der französischen Majestätsbeleidigung der Künstler Klaus Staeck, Helmut Kohls Kopf in eine Birne. © Foto: Diether von Goddenthow

Daumier verwendete sie u. a. in der Lithografie Le Passé – le présent – l’avenir (1834). Zu den meisterlich ausgeführten Werken gehören die kraftvoll überzeichneten und vergleichsweise großformatigen Darstellungen des Parlaments sowie des Massakers in der Rue Transnonain, le 15 avril 1834 (1834) oder die Lithographie „Gargantua“ (1831),

„Gargantua“
Die vom französischen Dichter Rabelais kreierte Romangestalt des gefräßigen Riesen Gargantua diente Daumier, König Louis-Philippe gleich auf vielfache Weise zu verhöhnen. Allerdings konnte das Blatt nicht mehr publiziert werden,  da es die Zensur verbot und Künstler, Verleger sowie Drucker wegen Majestätsbeleidigung zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt wurden. Das war dennoch ein relativ mildes Urteil im Vergleich zu in dieser Zeit üblichen harten Strafen für schwere Majestätsbeleidigung. Selbst aktuell würden Daumier und sein Verleger  in heutigen Autokratien bei derartigen Obrigkeitsbeleidigungen oder Gotteslästerungen härter bestraft werden oder ihr „Vergehen“ gar mit den Leben bezahlen müssen.

Honore Daumier: "Gargantua", 1831, durfte nicht publiziert werden und brachte ihm und seinem Verleger samt Drucker 6 Monate Knast auf Bewährung und eine Geldstrafe ein.  © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier: „Gargantua“, 1831, durfte nicht publiziert werden und brachte ihm und seinem Verleger samt Drucker 6 Monate Knast auf Bewährung und eine Geldstrafe ein. © Foto: Diether von Goddenthow

Wir sehen auf diesem Blatt Daumiers den riesenhaften Vielfraß und Säufer namens Gargantua mit Birnenkopf und Birnenkörper. Er sitzt auf einem Thronsessel. „Livrierte Diener füttern den Gargantua mit den Steuerabgaben der ärmlich gekleideten Bevölkerung, und schaufeln ihm diese am laufenden Band in den Mund. Der Verdauungstrakt tut sein Werk, und Gargantua defäkiert Diplome über Adelsernennungen, Offiziersbeförderungen und ähnliche Urkunden in die Schüssel unter dem Sessel, der eigentlich ein Toilettenstuhl ist. Und hinten aus der „Assemblée nationale“ kommen die Abgeordneten und holen sich ein Diplom nach dem anderen als den königlichen Dank für die Apanage, die sie beschlossen haben. Das ist eine heftige Karikatur, so Prof. Hans Jürgen Hellwig.

In Zeiten von Zensur wich Honoré auf Genrekarikatur aus

Nach der Verschärfung der Zensur 1835 publizierte der Charivari bis zur Februarrevolution 1848 vor allem politisch unverfängliche Genrekarikaturen. Diese humorigen Alltagsschilderungen erweisen sich oftmals als satirische Betrachtungen des sozialen Lebens und erschienen in teils umfangreichen Serien. Der Künstler erforschte, analysierte und ergründete das Pariser Kleinbürgertum in unterschiedlichsten Lebenslagen und überführte die mythologischen Geschichten der Antike in einer zeitgenössische Alltäglichkeit. © Foto: Diether von Goddenthow
Unter „Allzumenschliches“ subsumiert die Ausstellung Daumiers humorige Alltagsschilderungen © Foto: Diether von Goddenthow

Nach der Verschärfung der Zensur 1835 publizierte der Charivari bis zur Februarrevolution 1848 vor allem politisch unverfänglichere Genrekarikaturen. Diese humorigen Alltagsschilderungen sind satirische Betrachtungen des sozialen Lebens und erschienen in teils umfangreichen Serien. Daumier erforschte, analysierte und ergründete das Pariser Kleinbürgertum. Unter seinen Erfindungen ragt insbesondere Robert Macaire in seiner schillernden Vielgestaltigkeit heraus. Wie kaum eine andere Figur verkörpert er das rücksichtslose Gewinnstreben der wirtschaftsliberalen JuliMonarchie. In ihrer Gesamtheit ergeben Daumiers Genrekarikaturen ein groß angelegtes Bild der Gesellschaft seiner Zeit. Aufgrund ihrer Beliebtheit erschienen zahlreiche Motive nicht nur in der Zeitung, sondern wurden auf hochwertigem Papier separat oder auch in thematisch zusammengestellten Alben publiziert.

Von Zeitgenossen wie Eugène Delacroix und Charles Baudelaire wurde Daumier als herausragender Zeichner gerühmt. Das Städel Museum zeigt insgesamt 17 Zeichnungen Daumiers. Leidenschaftlich und experimentierfreudig fand der Künstler immer wieder neue und überraschende formale Lösungen. Er entwickelte seine Zeichnungen in einem kontinuierlichen, offenen Prozess, der in den verschiedenen, ineinander gearbeiteten Schichten der Kompositionen sichtbar wird. Seine Darstellungen offenbaren ein tiefes Interesse am Menschen, seinem Fühlen, seinen Erwartungen und Enttäuschungen, das sich in den ausdrucksstarken Kopfstudien ebenso zeigt wie in den mitunter theatralischen Gesten und Körperhaltungen oder in den schnell und kraftvoll ausgeführten Kompositionsideen.

Ratapoil-Figur

Honore Daumier Ratapoil, 1851 (Modell), Bronze. In dieser Plastik verschmolz Daumier Napoleon III mit dessen brutalen Schlägern, wobei der Schlagstock als Gehstock getarnt ist. © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier Ratapoil, 1851 (Modell), Bronze. In dieser Plastik verschmolz Daumier Napoleon III mit dessen brutalen Schlägern, wobei der Schlagstock als Gehstock getarnt ist. © Foto: Diether von Goddenthow

Nach der Flucht König Louis-Philippes in der Folge der Februarrevolution 1848 herrschte für kurze Zeit Euphorie in Paris. Am 24. Februar 1848 wurde die Republik ausgerufen. Mit der autoritären Herrschaft Louis Napoléon Bonapartes – zunächst als Präsident der Zweiten Republik und ab 1852 als Kaiser Napoleon III. – stellte sich jedoch rasch Ernüchterung ein. Demokratische Grundrechte wie das Wahlrecht und die Pressefreiheit wurden zunehmend eingeschränkt. Mit seinem Ratapoil schuf Daumier eine karikaturistische Figur, die sich als Mischung aus hinterhältigem Provokateur und gewalttätigem Grobian erweist. Er steht für das Schlägerkommando aus zwielichtigen Gestalten, das Bonaparte 1849 als „Gesellschaft vom vom 10. Dezember“ ins Leben gerufen hatte, mit der er Druck auf die Abgeordneten ausüben wollte, um seine Wiederwahl zu erzwingen. Die Ratapoil-Figur, so Hellwig, verkörpere einen Dandy mit dem Zirbelbart von Bonaparte und dem Zylinder auf dem Kopf. „Aber: Der Mann ist heruntergekommen, zerknautscht, genauso der Zylinder, und obendrein stützt sich der Ratapoil nicht auf einen feinen Gehstock, sondern auf einen richtigen Schlägerknüppel“, dem Arbeitsutensil der Mitglieder vom 10. Dezember. Daumier hat hier mit dieser einen figuralen Karikatur Ratapoil beide miteinander verschmolzen, Napoleon III und seine Schlägertypen, so Hellwig. Damit konnte Daumier sowohl Napoleon III wie auch dessen Anhänger attackieren. Denn viele ahmten die Figur nach, indem sie den im Ratapoil angebrachten napoleonischen Zirbelbart, einen Zylinder und Gehstock trugen, und als lebendige Anti-Napoleon-Karikaturen in den Pariser Tuilerien flanierten. Da sie immer mehr wurden, änderte schließlich Napoleon III sein Äußeres, erläutert Mäzen Hellwig.

Der Frieden in Europa war zu Lebzeiten Daumiers brüchig, die Kräfteverhältnisse verschoben sich.

Honore Daumier. Europäisches Gleichgewicht, le Charivari, 3.4.1847. Wie Fortuna, die Göttin des Glücks, sucht Europa die Balance auf der bereits entzündeten, kugelrunden Granate zu halten. © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier. Europäisches Gleichgewicht, le Charivari, 3.4.1847. Wie Fortuna, die Göttin des Glücks, sucht Europa die Balance auf der bereits entzündeten, kugelrunden Granate zu halten. © Foto: Diether von Goddenthow

Ab 1866 thematisierte der Künstler die Spannungen zwischen Frankreich und Preußen sowie die Konflikte auf dem Balkan, in Italien und an vielen anderen Orten Europas in zahlreichen Darstellungen. Hierfür verwendete er vielfach Personifikationen wie die gebrechliche Dame Diplomatie oder die balancierende Gestalt Europas.

 

 

Formal zunehmend auf die ausdrucksstarke Linie und damit auf ein grafisches Minimum reduziert, weisen seine bildlichen Beiträge vielfach monumentale Kraft und drastische Schärfe auf.

Die Verlegung der Friedhöfe

Die makabre Darstellung einer schwarzen Lokomotive, die geritten wird von einem toten Gerippe mit einer Sense, richtet sich gegen die napoleonische Eisenbahnpolitik. Nach preußischem Vorbild ließ er Eisenbahnen zum rascheren Transport der französischen Truppen an die Grenze bauen. Auf der Straße spottet man über die nun raschere „Die Verlegung der Friedhöfe“, da die Männer künftig als Soldaten dort beerdigt werden würden, wo sie als Soldaten fielen – nämlich auf dem Gefallenenfriedhof an der Front.

Honore Daumier  „Die Verlegung der Friedhöfe“ an die Front, weil die  im 1870-/71er Krieg gegen Preußen per neuer Eisenbahn verlegten Soldaten dort beerdigt werden, wo sie sterben - also nicht mehr daheim. © Foto: Diether von Goddenthow
Honore Daumier „Die Verlegung der Friedhöfe“ an die Front, weil die im 1870-/71er Krieg gegen Preußen per neuer Eisenbahn verlegten Soldaten dort beerdigt werden, wo sie sterben – also nicht mehr daheim. © Foto: Diether von Goddenthow

Mit der Abmilderung der Pressegesetze 1868 erweiterte sich sein Arbeitsfeld noch einmal maßgeblich. Nach zahlreichen politischen Umbrüchen erlebte Daumier, der lebenslang für republikanisches, liberales Denken einstand, 1870 die Ausrufung der Republik und damit das Ende der Herrschaft Napoleons III. Mit seiner Darstellung der sterbenden Monarchie verabschiedete sich Daumier nach über 40 Jahren künstlerischer Tätigkeit für die Presse von der politischen Bühne.

(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

katalog-231206_Stae_Daumier_Cover_160Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Hirmer-Verlag ein von Astrid Reuter herausgegebener Katalog in deutscher Sprache. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, Grußwörtern von Sylvia von Metzler und Hans-Jürgen Hellwig sowie Essays von Alexander Eiling, Hans-Jürgen Hellwig, Astrid Reuter, Dorit Schäfer, Martin Sonnabend und Hendrik Ziegler. 239 Seiten, 34,90 Euro (Museumsausgabe).

„Honoré Daumier. Die Sammlung Hellwig“

© Foto: Diether von Goddenthow
© Foto: Diether von Goddenthow

Ausstellungsdauer: 24. Januar bis 12. Mai 2024
Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

Tickets: Tickets online buchbar unter shop.staedelmuseum.de. Di–Fr, Sa, So + Feiertage 16 Euro, ermäßigt
14 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: 14 Euro pro Person, am Wochenende 16 Euro. Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.