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goEast 2022 _ Gewinner:innen beim Festival des mittel- und osteuropäischen Films: Hauptpreis für VERA TRÄUMT VOM MEER // Beste Regie für SANFT

Archivbild © Diether v. Goddenthow
Archivbild © Diether v. Goddenthow

VERA TRÄUMT VOM MEER (VERA ANDRRON DETIN, Kosovo/ Albanien/ Nordmazedonien 2021, Regie: Kaltrina Krasniqi, Produzent: Shkumbin Istrefi) gewinnt die mit 10.000 Euro dotierte Goldene Lilie bei der 22. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden. In diesem Thriller muss sich Vera nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen stellen und um grundlegende Rechte kämpfen. Die internationale Jury unter dem Vorsitz von Jasna Đuričić begründete ihre Entscheidung wie folgt: „Die Goldene Lilie für den besten Film geht an einen Film über den Kampf einer Frau gegen eine primitive männliche Welt und eine heruntergekommene Männlichkeit, die leider immer noch an der Macht ist.“

Die Preisverleihung in der Caligari FilmBühne bildete den Abschluss einer ereignisreichen und emotionalen Festivalwoche bei goEast. Nach 7 Tagen voller Filmkunst, Virtual Reality, zahlreichen Diskussionen, Vorträgen und Ausstellungen, bei der 87 Filme gezeigt wurden und mehr als 200 Gäste aus der internationalen Filmbranche Wiesbaden besuchten, wurden die Siegerfilme des Wettbewerbs, aus dem East-West Talent Lab und dem Work-in-Progress-Wettbewerb für XR gekürt und Preise im Gesamtwert von 30.500 Euro verliehen.

Das Regieduo Anna Nemes und László Csuja gewann mit SANFT (SZELÍD, Ungarn/ Deutschland, 2022) den Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie, der mit 7.500 Euro dotiert ist. Im Zentrum des Films steht Bodybuilderin Edina, die für Miss Olympia trainiert und dabei zu vielen Opfern bereit ist. „Die Filmemacher:innen erzählen mit ihrem vielschichtigen filmischen Ansatz eine Geschichte, die sorgfältig auf Details achtet und so das Porträt einer Frau voller Würde erschafft. Eine Frau, die sich nach Anerkennung und Liebe sehnt.“, so die Jury.

TAUBES GESTEIN (TERYKONY, Ukraine 2022, Regie: Taras Tomenko) wurde mit dem von der Central and Eastern European Online Library neu ausgelobten CEEOL Preis für den besten Dokumentarfilm, der mit 4.000 Euro dotiert ist, ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm wurde an der russisch-ukrainischen Front gedreht und fokussiert auf ein 14-jähriges Mädchen, das täglich inmitten der Schrecken des Kriegs lebt. Die Jury nennt den Film „ein Tribut an die jungen Menschen, die in den Ruinen unserer Welt leben.“

Mit einer lobenden Erwähnung wurde „ein Flüchtlings-Roadmovie, das uns daran erinnert, dass der Krieg überall ist“ ausgezeichnet: DER FALKE (STRAHINJA BANOVIć, Serbien/ Luxemburg/ Frankreich/ Bulgarien/ Litauen, 2021, Regie: Stefan Arsenijević)

Der Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI in der Kategorie Spielfilm ging an PILGER (PILIGRIMAI, Litauen 2021, Regie: Laurynas Bareiša): „Der Preis der Internationalen Filmkritik für den Besten Spielfilm geht an einen komplexen Film, der auf vielen verschiedenen Ebenen funktioniert und in dem auf vielfältige Weise der aktuelle, schreckliche Krieg mitklingt. Er ist eine mutige Erkundung persönlicher Trauer und der verschiedenen Formen, die diese annehmen kann, außerdem zeigt er dezent, wie sich die Spuren von Gewalt für immer in eine Gemeinschaft einprägen. Gleichzeitig fesselt uns der Film recht unkonventionell als Kriminalfilm und Roadmovie.“

In der Kategorie Dokumentarfilm zeichnete die FIPRESCI-Jury, deren Mitglieder Senem Erdine, Konstanty Kuzma und Alik Shpilyuk waren, TAUBES GESTEIN (TERYKONY, Ukraine 2022, Regie: Taras Tomenko) aus: „Der Preis der Internationalen Filmkritik für den Besten Dokumentarfilm geht an einen Film, der uns auf allen Ebenen überzeugte: künstlerisch, kinematographisch, menschlich, persönlich und politisch. Wir möchten besonders auf die Fähigkeit des Filmemachers hinweisen die Protagonistin empathisch und respektvoll zu behandeln und gleichzeitig sanft und beschützend zu sein.“

Der Merck-Innovationspreis für XR, dotiert mit 3.500 Euro, wurde im Work-in-Progress-Wettbewerb mit 8 teilnehmenden Projekten durch eine Jury, bestehend aus Antoinette Engel, Paola Gazzani Marinelli und Alexandra Gérard an ARCTIC RECALL (Russland, Regie: Anna Tolkacheva) verliehen: „Wir denken, dass das Projekt umsetzbar und an einem wichtigen Punkt in der Produktion ist. Diese 6DoF-Experience wird eine ausgedehnte, poetische Fantasie der Arktis bieten und diesen Raum durch volumetrische Collage für Besucher:innen zugänglich machen. So macht es die dortige Kultur, die Menschen, die Landschaft und die aktuellen Probleme lebendig. In einer Region, in der Künstler:innen oft alleine arbeiten und sich außerhalb einfach zugänglicher Netzwerke befinden, ist dieser Preis um so wichtiger.” Eine lobende Erwähnung bekam das Projekt IF THESE STREETS COULD TALK (Ungarn, Regie: Barna Szász). „Die zeitgemäße, ortsbasierte, interaktive und dokumentarische AR-Experience erweckt die unsichtbare Geschichte von Budapests jüdischem Viertel zum Leben“, so die Jury.

Im East-West Talent Lab, das mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung durchgeführt wurde, fand heute Vormittag der Project Market Pitch vor einer dreiköpfigen Jury, bestehend aus Dr. Catherine Colas, Vera Lacková und Alex Shiriaieff statt. Hier gewann das Projekt I DON’T WANT von Hanis Bagashov aus Nordmazedonien das Renovabis-Recherchestipendium (3.500 Euro) für dokumentarische Vorhaben zu den Themen Menschen- und Minderheitenrechte. „Das sehr intime Familienporträt enthält so problematische Themen wie Religion, Tradition und Ausgrenzung. Die Jury entschied sich einstimmtig, da es nicht nur das vielversprechendste Filmprojekte war, sondern auch der beste Pitch“, begründete die Jury ihre Entscheidung. Der mit 1.500 Euro dotierte Current Time TV Award (USA) ging ebenfalls an I DON’T WANT von Hanis Bagashov, in der Hoffnung, dass der Preis dem Film helfen würde sein verdientes Publikum zu erreichen, während der Pitch the doc-Award im Wert von 500 Euro dem vielversprechenden Sozialdrama ELENA IN DELEYNA (Bulgarien, Regie: Elena Stoycheva) verliehen wurde.

Die Wahl des goEast Medienpartners 3sat, der seit Beginn des Festivals in jedem Jahr den Ankauf für einen Film des Programms anbietet, fiel 2022 auf den Wettbewerbsfilm KLONDIKE (Ukraine/ Türkei, 2022, Regie: Maryna Er Gorbach). Die Jury von 3sat begründete Ihre Entscheidung folgendermaßen: „In ebenso eindringlichen wie vielschichtig komponierten Bildern, die an klassische Malerei und Western-Szenarien erinnern, erzählt KLONDIKE vom Widerstand einer schwangeren Frau gegen die brutalen Realitäten eines Kriegs, in dem die Konfliktparteien in ihrem Kampf um die „richtige“ Zugehörigkeit Familien auseinanderreißen und die Lebensgrundlage der Menschen zerstören. Die meisterliche Inszenierung, die spannungsvoll und irritierend zwischen Realismus, surrealen Momenten und allegorischer Kraft oszilliert, und nicht zuletzt das brillante Schauspiel von Oxana Cherkashyna als Irka verleihen der Geschichte vom Überleben im Krieg ihre stille Wucht. Durch seine Menschlichkeit und universelle Aussage wird der Film auch noch weit jenseits aktueller Berichterstattung und Breaking News über die Grausamkeit des Krieges Bestand und Relevanz haben.“ Der Film soll zum goEast Festival 2023 bei 3sat seine TV-Premiere feiern.

Die 22. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films fand vom 19. bis 25. April in Wiesbaden statt.
Zu den Höhepunkten gehörten neben einem abwechslungsreichen Wettbewerb und intensiven Begegnungen im Kino die Besuche international gefeierter Filmemacher:innen wie Paweł Łoziński, die Retrospektive von Lana Gogoberidzes Filmwerk in Kooperation mit der Kinothek Asta Nielsen und Lana Gogoberidzes Anwesenheit beim Festival. Das Symposium, das sich unter dem Titel „Wo geht’s hier nach Osten? Godard, Kino und Ideologie“ mit Jean-Luc Godard und seiner Beziehung zu Mittel- und Osteuropa beschäftigte fand online und vor Ort rege Teilnahme. Mit dem Cinema Archipelago, einem Rahmenprogramm, das über die klassische Kinoerfahrung hinausgeht, betrat das Festival, gefördert vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Neuland und ermöglichte u.a. ein erfolgreiches und empowerndes Programm namens Yugoretten – ein Forum für Frauen* aus Ex-Jugoslawien.

Das Festival fand unter den Vorzeichen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine statt, was dazu führte, dass drei russische Filme ersatzlos aus dem Programm genommen wurden. Trotzdem waren einzelne russische Produktionen zu sehen, die keine staatliche Förderung erhalten hatten. Im Mittelpunkt standen ukrainische Filmschaffende und ukrainische Produktionen, von denen drei auch im Wettbewerb zu sehen waren. Ein Filmemacher aus der Ukraine nahm sogar eine 45-stündige Busfahrt auf sich, um seinen Film beim Festival zu präsentieren. Zum Thema des Boykotts russischer Filme gab es am Festivalsamstag ein Podiumsgespräch, bei dem ukrainische Filmschaffende ihre Perspektive und ihre Bedürfnisse erklärten.

Alle Preisträger:innen noch einmal im Überblick:
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  1. Goldene Lilie für den Besten Film
    VERA TRÄUMT VOM MEER (VERA ANDRRON DETIN, Kosovo/ Albanien/ Nordmazedonien 2021, Regie: Kaltrina Krasniqi, Produzent: Shkumbin Istrefi)
  2. Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie
    SANFT (SZELÍD, Ungarn/ Deutschland, 2022, Regie: Anna Nemes und László Csuja)
  3. CEEOL Preis für den besten Dokumentarfilm
    TAUBES GESTEIN (TERYKONY, Ukraine 2022, Regie: Taras Tomenko)
  4. Lobende Erwähnung der internationalen Jury
    DER FALKE (STRAHINJA BANOVIć, Serbien/ Luxemburg/ Frankreich/ Bulgarien/ Litauen, 2021, Regie: Stefan Arsenijević)
  5. Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI (Spielfilm)
    PILGER (PILIGRIMAI, Litauen 2021, Regie: Laurynas Bareiša)
  6. Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI (Dokumentarfilm)
    TAUBES GESTEIN (TERYKONY, Ukraine 2022, Regie: Taras Tomenko)
  7. Merck-Innovationspreis für XR
    ARCTIC RECALL (Russland, Regie: Anna Tolkacheva)
  8. Lobende Erwähnung XR
    IF THESE STREETS COULD TALK (Ungarn, Regie: Barna Szász)
  9. Renovabis-Recherchestipendium
    I DON’T WANT (Nordmazedonien, Regie: Hanis Bagashov)
  10. CurrentTime Award
    I DON’T WANT (Nordmazedonien, Regie: Hanis Bagashov)
  11. Pitch the Doc-Award
    ELENA IN DELEYNA (Bulgarien, Regie: Elena Stoycheva)
  12. 3sat-Ankauf
    KLONDIKE (Ukraine/ Türkei, 2022, Regie: Maryna Er Gorbach)

goEast informiert über das Festivalprogramm und stellt die Wettbewerbsjury vor

goEast_2022_450goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films zeigt von Dienstag, 19., bis Montag, 25. April, 88 Filme aus 43 Ländern.
Die Besucher:innen können sich auf 15 Deutschlandpremieren, eine internationale Premiere und fünf Weltpremieren freuen sowie auf drei filmhistorische Sektionen, Vorträge, Filmgespräche und ein neues Begleitprogramm, das unter dem Titel „Cinema Archipelago“ neue Rezeptionsräume für das Kino und audiovisuelle Kunstformen eröffnet.
„Das goEast-Team hat sich kreativ und widerstandsfähig an die Pandemie angepasst, und nach zwei Jahren Online-Festival, in denen im vergangenen Jahr nur die anwesenden Jury-Mitglieder die Filme live sehen konnten, bringen wir nun endlich wieder alle im Kino persönlich zusammen: unser Publikum, die Jurys und die Filmemacher.“, sagte Ellen M. Harrington, Direktorin des Deutschen Filminstituts & Filmmuseums – DFF. „goEast ist eine lebendige Gemeinschaft, die von dynamischen Gesprächen und Interaktion lebt, und in diesem Jahr freuen wir uns besonders, mit Natalia Libet ein ukrainisches Jurymitglied begrüßen zu können. Die ukrainische Produzentin musste kriegsbedingt ihren Wohnort Kyjiw verlassen und lebt derzeit in Lwiw. Es ist sehr berührend für mich, dass sie trotz des Krieges in ihrem Heimatland zu unserer Jury gehören wird.“, so Festivalleiterin Heleen Gerritsen.

Im goEast Wettbewerb konkurrieren aktuelle Filmproduktionen um die von einer internationalen Jury verliehenen drei Hauptpreise des Festivals. Im Einzelnen sind das die mit 10.000 Euro dotierte „Goldene Lilie“, der mit 7.500 Euro dotierte Preis für die Beste Regie der Landeshauptstadt Wiesbaden und der neu ausgelobte und mit 4.000 Euro dotierte CEEOL-Preis für den besten Dokumentarfilm. Darüber hinaus vergibt die Internationale Filmkritik FIPRESCI mit einer eigenen Jury zwei Preise.

Die 22. Ausgabe von goEast starte mit einem sehr starken Wettbewerb. Es sei wichtiger denn je, „dass wir uns hier in Deutschland mit den (Film-)Kulturen der Länder aus Mittel- und Osteuropa beschäftigen. Uns verbindet mehr als man denkt. Der Krieg hängt natürlich wie ein dunkler Schatten über dem gesamten Programm, umso mehr freue ich mich über die Anwesenheit einer großen ukrainischen Delegation beim Festival. Und dass wir nach zwei Covid-Jahren überhaupt wieder alle gemeinsam im Kino sein können, ist großartig.“, so die so Festivalleiterin

Knapp 200 Gäste aus der Filmbranche Mittel- und Osteuropas werden zum Festival in Wiesbaden erwartet. Eine besondere Ehre ist der Besuch der 93-jährigen georgischen Regisseurin Lana Gogoberidze, welcher die diesjährige Hommage gewidmet ist. Sie reist mit Tochter und Filmemacherin Salomé Alexi zur weltweit ersten Retrospektive ihrer Arbeiten an und wird sowohl bei Filmgesprächen als auch in einem Werkstattgespräch über ihre 60 Jahre umspannende Schaffenszeit Auskunft geben. Auch das Ende des “post-sowjetischen” Zeitalters, sowie Ost- und Westkonflikte werden in dem Programm diskutiert werden. Im Symposium „Wo geht’s hier nach Osten? Godard, Kino und Ideologie in Mittel- und Osteuropa“ diskutieren zahlreiche Vortragende aus Wissenschaft und Film über Jean-Luc Godards Verhältnis zu Mittel- und Osteuropa und den Einfluss, den das mittel- und osteuropäische Kino auf seine eigenen Filme hatte. goEast zeigt elf Filme Godards in Kombination mit acht Werken mittel- und osteuropäischer Filmschaffender. In weiteren Sektionen wie den Anarcho Shorts oder der RheinMain Kurzfilmrolle werden Kurzfilme verschiedener Genres gezeigt. Auch in der Festivalpräsentation, die dieses Jahr dem Dokufest Kosovo aus Prizren gewidmet ist, werden Kurzfilme gezeigt.

Überschattet wird das diesjährige Festivalprogramm vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Daher ergeben sich einige kurzfristige Programmänderungen. Im März gab das Festival das Ausscheiden dreier russischer Filme aus dem Programm bekannt. Nun wird auch THIS RAIN WILL NEVER STOP von Alina Gorlova nicht beim Festival zu sehen sein. Stattdessen zeigt goEast in der Matinee am Sonntag, 24. April, in der Caligari FilmBühne in Gedenken an den am 2. April 2022 in Mariupol von russischen Soldaten getöteten litauischen Filmemacher Mantas Kvedaravičius (1976-2022) dessen im Jahr 2016 entstandenen Film MARIUPOLIS (Litauen/ Deutschland/ Frankreich/ Ukraine). Kvedaravičius nähert sich in seinem Dokumentarfilm den Menschen der Stadt an, die versuchen, ein normales Leben zu führen – inmitten von Granateneinschlägen und Krieg.

Für Axel Imholz, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden, hat das goEast Filmfestival aktuell besondere Relevanz: „Gerade in Wiesbaden, in dem viele Menschen mit osteuropäischen Wurzeln leben, ist das goEast Filmfestival von Anbeginn zu Hause. Seit 22 Jahren bietet es Einblicke in die gesellschaftlichen Entwicklungen unserer östlichen Nachbarn, oft hoffnungsvoll, mitunter auch ernüchternd. Mit dem russischen Angriff der Ukraine sind wir an einem neuen Tiefpunkt der Ost-West-Beziehungen angekommen. Umso wichtiger ist das vielfältige interdisziplinäre goEast Programm in dieser Zeit. Es bietet nicht nur sehenswerte Filme, z.B. Schätze des postsowjetischen Kinos oder den Film DEUTSCHLAND NEU(N) NULL (FR, 1991) mit dem berühmten Agenten-Darsteller Eddie Constantine, der seine letzten Jahre in Wiesbaden verbrachte. Darüber hinaus gibt es Gelegenheit, an besonderen Orten Wiesbadens, wie z.B. dem Museum Wiesbaden, oder dem Theater im Pariser Hof miteinander ins Gespräch zu kommen“, so Kulturdezernent Axel Imholz.

Anna Schoeppe, Geschäftsführerin von HessenFilm, ist trotz der widrigen Umstände voller Vorfreude auf goEast: „Seit über 20 Jahren bereichert goEast die hessische Festivallandschaft, lockt Menschen aus Wiesbaden, dem Rhein-Main Gebiet, Hessen, Deutschland und Europa ins Kino und begeistert sie für Filme aus Mittel- und Osteuropa. Auch in diesem Jahr hat das Festivalteam Großes geleistet und trotz aller Widerstände, der Trauer und besonderer Herausforderungen ein spannendes und abwechslungsreiches Programm kuratiert, auf das ich mich sehr freue.“

Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der in diesem Jahr das neue und innovative Rahmenprogramm „Cinema Archipelago“ fördert, sieht die Aufgabe des Programms in der Stärkung von Solidarität und Verständnis: „Das goEast Filmfestival bringt ost- und mitteleuropäische Geschichte(n) auf die Kinoleinwände und fördert den Dialog zwischen Ost und West in Europa. Dabei steht in diesem Jahr das Festival unversehens und für uns alle bedrückend im Kontext eines Krieges. Das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V. als Organisator des Filmfestivals nutzt jede Chance, Orte der Begegnung zu schaffen und bietet auch dieses Mal ein hybrides Programm. In diesem Jahr sind in der neuen Sektion ‚Cinema Archipelago‘ eine Vielzahl neuer Begegnungsformate geplant, mit der Absicht, in der direkten wie virtuellen Begegnung solidarisches Erleben, Verständnis und gegenseitige Rücksichtnahme zu erreichen. Nie war die Dringlichkeit eines Verbundes aller Bereiche, des Alltags und des Miteinanders stärker. Wir freuen uns auf dieses Festival und wünschen viel Erfolg!“

Heute erscheint die Website des Festivals im neuen Gewand und nun ist auch das komplette Programm online zu finden. Am 19. April wird goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films zum 22. Mal feierlich eröffnet – mit dem Eröffnungsfilm THE BALCONY MOVIE (Film balkonowy, Polen 2021) des polnischen Regisseurs Paweł Łoziński in der Caligari FilmBühne.

Goeast

Die Wettbewerbsjury

Das Festivalteam freut sich, 2022 wieder alle Jurymitglieder der internationalen Jury in Wiesbaden begrüßen und die Filme im Kino zeigen zu können. Den Juryvorsitz der goEast-Jury hat in der 22. Festivalausgabe die serbische Schauspielerin Jasna Đuričić, die im bosnischen Kriegsdrama QUO VADIS, AIDA? unter der Regie von Jasmila Žbanić in der Hauptrolle beeindruckte und für ihre Rolle mehrfach ausgezeichnet wurde. Mitglied der Jury ist außerdem die ukrainische Produzentin Natalia Libet. Sie ist bei ESSE Production House and Digital Religion in Kyjiw tätig; ihre Produktionen wurden auf internationalen Filmfestivals gezeigt. Darunter ANNA, der 2019 bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Best Shorts Award ausgezeichnet wurde, und STOP-ZEMLIA, der 2021 bei der Berlinale den Gläsernen Bären für den besten Jugendfilm gewann. Die georgische Regisseurin Salomé Jashi, ein weiteres Jurymitglied, war mit ihren Dokumentarfilmen neben vielen anderen internationalen Festivals auch schon im goEast-Wettbewerb vertreten. Zuletzt lief ihr Film TAMING THE GARDEN in den deutschen Kinos.

Zur Jury gehören darüber hinaus der polnische Journalist, Filmschaffende und Kurator Kornel Miglus und der belarussische Regisseur Aliaksei Paluyan. Miglus ist Filmbeauftragter des Polnischen Instituts in Berlin und leitet seit 2005 das ebenfalls in Berlin ansässige Filmfestival filmPOLSKA. Paluyan studierte in Deutschland und drehte mehrere fiktionale und dokumentarische Kurzfilme. Mit LAKE OF HAPPINESS war er 2020 für den Europäischen Filmpreis nominiert. Sein Dokumentarfilm COURAGE hatte seine Premiere bei der Berlinale 2021 und wurde weltweit auf Festivals gezeigt. Darin porträtiert Paluyan ein zivilgesellschaftlich engagiertes Theaterkollektiv in Belarus, das sich gegen das Regime von Herrscher Lukaschenka auflehnt.

In Zeiten von Krieg und Kulturboykott wenige Wochen vor Festivalbeginn positioniert sich das goEast Filmfestival erneut zum vollständigen Boykott russischer Filmschaffender, der von ukrainischen Institutionen gefordert wird. Die Festivalmacher:innen von goEast haben lange darüber diskutiert, wie mit der Boykottforderung in der aktuellen Kriegssituation umzugehen ist und machen einen Kompromiss: goEast veranstaltet am Samstag, 23. April, um 18 Uhr in Kooperation mit unabhängigen Filmschaffenden, Vertreter:innen verschiedener ukrainischer Institutionen und Festivals ein von Festivalleiterin Heleen Gerritsen moderiertes Panel in der Caligari FilmBühne, wo die ukrainischen Teilnehmer:innen den Boykott aus ukrainischer Perspektive diskutieren und ihre Positionen und Ziele erläutern werden. Insgesamt drei russische Filme im Programm, die staatliche Förderung bekommen, oder von Stiftungen finanziert werden, die an die russische Regierung, d.h. den Präsidenten gebunden sind, werden nicht gezeigt. Die Filme HAUSARREST (Delo, Russland/ Deutschland/ Kanada 2021) von Alexei German Jr. und DONAU (Dunay, Russland 2021) von Lyubov Mulmenko wurden von den Filmschaffenden zurückgezogen. Somit besteht der diesjährige Wettbewerb nur aus 14 Filmen. Ebenso wird es in der Sektion Bioskop eine Lücke geben: Regisseurin Ekaterina Selenkina hat ihren Film UMWEGE (Obkhodniye puti, Russland 2021) aus dem Programm zurückgezogen. Stellungnahmen der russischen Filmemacher:innen sind auf der goEast-Website nachzulesen. Die zurückgezogenen Filme werden nicht ersetzt – in Kriegszeiten sind Lücken im Programm durchaus angemessen.

22. goEast Festival des mittel- und osteuropäischen Films findet vom 19. bis 25. April in Wiesbaden, Frankfurt und in der Rhein-Main-Region statt

goEast_2022_450ffm. Zum 22. Mal bringt goEast mittel- und osteuropäisches Filmschaffen nach Wiesbaden, ins Kino des DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum und in weitere Städte der Rhein-Main-Region. Von Dienstag, 19., bis Montag, 25. April, zeigt das Festival ein umfangreiches Programm aus Filmvorführungen, Workshops, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen.

„Alle Augen sind gerade auf das goEast Filmfestival gerichtet, welches international einer der wichtigsten Schauplätze für das Kino aus Mittel- und Osteuropa darstellt und seit Jahren die gesellschaftspolitischen Entwicklungen der Region beobachtet und einem breiten Publikum vermittelt. Mitten im Ukraine-Krieg ist die Rolle des Festivals als Vermittlungs- und Diskursort noch einmal auf andere Weise herausfordernd“, erklärt Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig.

Der Krieg in der Ukraine ist im Wettbewerbsprogramm des Festivals allgegenwärtig. In dem Dokumentarfilm „Terykony“ berichtet Taras Tomenko eindrücklich von den Schrecken an der russisch-ukrainischen Front. Inmitten von Schutthaufen, Ruinen und der blanken Verwüstung streift die 14-jährige Nastya mit ihren Freunden umher. Im Familiendrama „Klondike“ entwirft die ukrainische Filmregisseurin und Drehbuchautorin Maryna Er Gorbach eine sehr persönliche Perspektive auf den Krieg in der Ukraine. Im Zentrum des Anti-Kriegs-Films steht ein Paar, das ein Kind erwartet, aber die Kampfzone nicht verlassen möchte. Der Wille nach einem selbstbestimmten Leben ist laut den Festivalmachern das verbindende Thema im diesjährigen Wettbewerb mit Beiträgen aus Kosovo, Armenien, Ungarn, Weißrussland und vielen weiteren Ländern.

Die Filme russischer Filmschaffender, die staatliche Förderung bekommen haben, oder von Stiftungen finanziert wurden, die an die russische Regierung, das heißt den Präsidenten, gebunden sind, werden nicht gezeigt. Die russischen Filmemacherinnen Alexei German Jr. und Lyubov Mulmenko haben ihre Wettbewerbsbeiträge zurückgezogen. „Die zurückgezogenen Filme werden nicht ersetzt – in Kriegszeiten sind Lücken im Programm durchaus angemessen“, erklärt die goEast-Auswahlkommission: „Solange die Russische Föderation diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, steht die Auswahlkommission hinter der Entscheidung des Festivals, keine staatlich finanzierten russischen Filme zu zeigen. Business as usual ist nicht möglich. Für einen vollumfänglichen kulturellen Dialog müssen erst die Waffen schweigen. Die Stimmen ukrainischer Filmemacher*innen zu hören, muss Priorität sein.“

Als Kompromiss veranstaltet das Festival am Samstag, 23. April, um 18 Uhr in Kooperation mit unabhängigen Filmschaffenden, Vertretern verschiedener ukrainischer Institutionen und Festivals ein von Festivalleiterin Heleen Gerritsen moderiertes Panel in der Caligari FilmBühne in Wiesbaden, wo die ukrainischen Teilnehmer den Boykott aus ukrainischer Perspektive diskutieren und ihre Positionen und Ziele erläutern.

Das komplette Programm ist unter filmfestival-goEast.de oder im goEast-Programmheft zu finden. Geflüchtete aus der Ukraine bekommen freien Eintritt in das Kino des Deutschen Filmmuseums & Filminstituts.

22. goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films (19. bis 25. April 2022) Erste Programmdetails für die nächste Festivalausgabe

goEast_2022_450Zum 22. Mal bringt goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films Werke mittel- und osteuropäischer Regisseur:innen nach Wiesbaden und in die Rhein-Main-Region. Mit großer Besorgnis blicken die Macher:innen von goEast auf die neuesten geopolitischen Entwicklungen um Russland und die Ukraine. Das Festivalteam ist mit den Gedanken bei den vielen Partner:innen, Festivalfreund:innen und Filmschaffenden aus beiden Ländern, die es bei der kommenden Festivalausgabe endlich wieder in Wiesbaden begrüßen möchte. Nachdem die vergangenen beiden Ausgaben zum großen Teil online stattfinden mussten, wird es in diesem Jahr hoffentlich viele gut besuchte Kinovorstellungen geben. Vom 19. bis 25. April 2022 lädt das vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum veranstaltete Festival in Wiesbaden, Frankfurt, Darmstadt, Gießen und Mainz dazu ein, das mittel- und osteuropäische Kino in Filmvorführungen, -gesprächen und bei Begegnungen mit Filmschaffenden kennenzulernen. Ergänzend dazu gibt es auch in diesem Jahr eine Reihe von Online-Angeboten.

Wo geht’s hier nach Osten? – Godard, das Kino und Ideologie in Mittel- und Osteuropa. Das goEast Symposium

Im Symposium untersucht goEast Themen, Regionen und Strömungen im mittel- und osteuropäischen Kino. 2022 ist es einer besonderen Beziehung gewidmet: Der französisch-schweizerische Filmemacher Jean-Luc Godard hat sich wie kaum ein anderer westlicher Regisseur ausführlich mit Osteuropa beschäftigt, sowohl inhaltlich und formal als auch ideologisch und politisch. Der heute 91-jährige Godard revolutionierte in den 1960er Jahren das französische Kino und war ein herausragender Vertreter der Filmbewegung „Nouvelle Vague“. Bei Filmen wie PRAVDA / PRAWDA (FR, DE, 1970) und LES ENFANTS JOUENT À LA RUSSIE / DIE KINDER SPIELEN RUSSISCH (FR, CH, 1993) wird bereits in den Titeln der Osteuropabezug deutlich, doch auch in anderen Werken gibt es Referenzen, z. B. zu russischer Literatur und sowjetischen Filmemacher:innen.

Das Symposium wird 2022 von den Filmwissenschaftlern Vinzenz Hediger und Daniel Fairfax von der Goethe-Universität Frankfurt kuratiert. Sie laden weitere Expert:innen ein, um Godards wechselseitige Beziehung mit dem Osten in Vorträgen und Diskussionen zu beleuchten. Die Filmauswahl aus Godards Werk erstreckt sich über einen Schaffenszeitraum von 43 Jahren, von 1967 bis 2010, und umfasst Kurz- und Langfilme, dokumentarische und fiktionale Arbeiten. Hinzu kommen vom Regisseur selbst ausgewählte, mittel- und osteuropäische Filme, die ihn beeinflussten.

Bekannte Klassiker wie LA CHINOISE / DIE CHINESIN (FR, 1967), LE VENT D’EST / OSTWIND (IT, FR, DE, 1969) oder FILM SOCIALISME (FR, CH, 2010) laufen neben wenig gezeigten Werken wie JE VOUS SALUE SARAJEVO (CH, 1993). Ein weiteres Highlight ist der Film ALLEMAGNE ANNÉE 90 NEUF ZÉRO / DEUTSCHLAND NEU(N) NULL (FR, 1991) mit dem berühmten Agenten-Darsteller Eddie Constantine, der seine letzten Jahre in Wiesbaden verbrachte.

30 Jahre „post-sowjetisches“ Kino – Spezialprogramm

30 Jahre nach der offiziellen Auflösung der Sowjetunion am 26. Dezember 1991 lud die Europäische Filmakademie (EFA) goEast Festivalleiterin Heleen Gerritsen ein, gemeinsam mit Filmexpert:innen aus Mittel- und Osteuropa eine Liste von 30 wegweisenden „post-sowjetischen“ Filmen der vergangenen drei Jahrzehnte zu erstellen. Aus dieser fast unmöglichen Aufgabe entstand eine Sammlung bekannter und wenig bekannter Filme, die eine Einladung an das Publikum sind, Mittel- und Osteuropa filmisch neu zu entdecken. Sechs der eher selten gespielten Filme zeigt goEast im April:

  • ORANZHEVYE ZHILETY / ORANGENE WESTEN (BY, 1991) von Yury Khashevatsky,
  • AKUMULÁTOR 1 / ACCUMULATOR 1 (CZ, 1994) von Jan Svěrák,
  • TITO PO DRUGI PUT MEĐU SRBIMA / TITO AMONG THE SERBS FOR THE SECOND TIME (FR, YU, 1994) von Želimir Žilnik,
  • CHICO (HU, DE, HR, CHL, 2001) von Ibolya Fekete,
  • A FOST SAU N-A FOST? / 12:08 EAST OF BUCHAREST (RO, 2006) von Corneliu Porumboiu und
  • PAPUSZA (PL, 2013) von Joanna Kos-Krauze, Krzysztof Krauze.
Neue Kooperation: CEEOL Dokumentarfilmpreis

2021 begann goEast, die Kataloge und Symposiumsessays der vergangenen Festivalausgaben online kostenfrei verfügbar zu machen. Die in Frankfurt ansässige CEEOL GmbH, Betreiberin der Central and Eastern European Online Library, unterstützt das Festival dabei.

CEEOL bietet sowohl institutionellen als auch individuellen Zugang zu Zeitschriften, eBooks und Grauer Literatur im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa und somit ist die Datenbank Akademiker:innen, Studierenden und Lehrenden mit Osteuropaspezialisierung längst ein Begriff. Nun sind bereits die goEast Katalogtexte der Festivaljahre 2001-2021 auf www.ceeol.com erschlossen und komplett nachzulesen.

Besonders erfreulich ist zudem, dass CEEOL ab 2022 einen neuen Preis im goEast-Wettbewerb vergibt: den mit 4.000 Euro dotierten CEEOL Dokumentarfilmpreis. Damit hat das Festival wieder eine Trophäe ausschließlich für dokumentarische Werke im Wettbewerb.