Programm Literaturfestival literaTurm 2018
Alle zwei Jahre veranstaltet die Stadt Frankfurt ein großes Literaturfestival in Frankfurt und der Rhein-Main-Region. Als Konzeptfestival setzt literaTurm einen wechselnden thematischen Schwerpunkt. In diesem Jahr stehen unter dem Motto „Biografie!“ zum Buch gewordene Lebensgeschichten im Zentrum. Zwei Lesungskonzerte mit dem Ensemble Modern, mehrere Podiumsgespräche und ein Filmabend runden das Programm ab. Insgesamt finden 44 Veranstaltungen mit rund 100 Autoren, Wissenschaftlern, Journalisten und Musikern statt. Der Frankfurter OpernTurm bleibt ein zentraler Veranstaltungsort.
Vom 4. bis 10. Juni 2018 veranstaltet das Kulturamt Frankfurt zum neunten Mal das Literaturfestival literaTurm. Unter dem Motto „Biografie!“ präsentiert das Festival in diesem Jahr die verschiedenen Formen des Erzählens von Lebensgeschichten: als Sachbuch zu historischen Figuren, als Autobiografie oder autobiografisch grundierter Roman oder als Künstlerroman. Podiumsgespräche, wie zum 200. Geburtstag von Karl Marx oder dem Jubiläum von 1968, ein von literaTurm in Auftrag gegebenes Lesungskonzert mit Felicitas Hoppe und Iris ter Schiphorst, interpretiert vom Ensemble Modern und ein Abend zu georgischer Literatur begleiten das Programm. Insgesamt 81 Schriftsteller, Wissenschaftler und Journalisten diskutieren und untersuchen im Rahmen des Festivals die verschieden Spielarten biografischen Schreibens.
Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig unterstreicht die Bedeutung von literaTurm als bundesweit einmaliges Konzeptfestival und betont seine Stadt und Region verbindende Kraft: „Als Festival, das sowohl in Frankfurter Türmen als auch an ausgewählten Orten der Region wie in Wiesbaden, Offenbach, Bad Soden, Hanau und Oestrich-Winkel stattfindet, festigt literaTurm das gemeinsame Selbstverständnis der Rhein-Main-Region als ein kulturelles Kraftzentrum. Mit seinem diesjährigen Motto „Biografie!“ greift das Festival Fragen im Spannungsfeld von Herkunft, individueller Lebensgeschichte und Identität auf, die gerade angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen von großer Bedeutung sind.“
Die Festivalleiterin Dr. Sonja Vandenrath ergänzt: „Biografien erleben eine Renaissance. Sie heben ein Einzelschicksal heraus, das über das rein Individuelle hinausweist. Das kann ein Zeitalter, ein Werk oder auch ein Menschheitsverbrechen sein. Ob die Lebenswege wirklich so waren, spielt bei Biografien weniger eine Rolle als die Frage, wie gut sie erzählt sind. Das gilt umso mehr für ein Literaturfestival wie literaTurm, das im biografischen Schreiben das Literarische sucht. Imagination und Erzählfluss verbindet die in diesem Jahr vorgestellten Biografien mit autobiografisch grundierten Romane und den Künstlerromanen. Wie noch nie zuvor bewegt sich literaTurm 2018 im Zwischenreich der Fakten und Fiktionen.“
Zu den Höhepunkten des Festivals zählt die Eröffnungsveranstaltung im Dominikanerkloster mit der Uraufführung eines Lesungskonzertes, das die Schriftstellerin Felicitas Hoppe und die Komponistin Iris ter Schiphorst konzipiert haben. Die Auftragskomposition für literaTurm 2018 wird vom Ensemble Modern aufgeführt. Weitere Höhepunkte sind Veranstaltungen mit Karl Heinz Bohrer, Eva Demski, Durs Grünbein, Jakob Hein, Dominique Horwitz, Lamya Kaddor, Ijoma Mangold, Anthony McCarten, Klaus Modick, Ralf Rothmann, Barbara Stollberg-Rilinger, Linn Ullmann, Josef Winkler sowie Martin Walser zusammen mit Jakob Augstein.
Seinem Anspruch als kuratiertes Konzeptfestival wird literaTurm erneut mit einer Reihe von hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen gerecht: anlässlich des Karl Marx-Jubiläumsjahr sprechen die Biographen Jürgen Neffe, Eva Weissweiler und Uwe Wittstock über seine Person und sein Werk (6. Juni). An die 68-Bewegung, ihre Erfolge und die gemeinsamen Jahre mit dem politischen Aktivisten Rudi Dutschke erinnert der Abend mit dessen Weggefährten Gretchen Dutschke und Milan Horáček im Gespräch mit dem Politologen Wolfgang Kraushaar (10. Juni).
Zum neuen Schwerpunkt Sachbuch sind im Programm etwa neuere Biografien zu Ludwig van Beethoven, Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Claude Lévi-Strauss und Kaiserin Maria Theresia vertreten. Ein Filmabend rundet das Festivalprogramm ab und zeigt den Werdegang der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson in „A Quiet Passion“ von Terence Davies (2016).
Ein Großteil der Veranstaltungen findet auch in diesem Jahr wieder in den namensgebenden Türmen statt. Dazu zählen der OpernTurm und die nahe gelegene ODDO BHF-Bank. Neu hinzugekommen ist der ebenfalls an der Bockenheimer Landstraße gelegene Büroturm WestendDuo. In Frankfurt sind darüber hinaus das Archäologische Museum, die Mensa der Städelschule, das Dominikanerkloster, das Haus der Deutschen Ensemble Akademie, das Freie Deutsche Hochstift, das Hessische Literaturforum im Mousonturm, das Literaturhaus, das Filmmuseum, das Haus am Dom, die Evangelische Akademie Frankfurt, das Diakoniezentrum WESER5 und der Kuhhirtenturm Lesungsorte. Außerhalb Frankfurts finden zudem Veranstaltungen in Bad Soden, Bad Vilbel, Darmstadt, Eppstein, Hanau, Hochheim, Oberursel, Offenbach, OestrichWinkel und Wiesbaden in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern statt;
Veranstaltungsorte Frankfurt am Main
Archäologisches Museum Frankfurt, Karmelitergasse 1
Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41
Diakoniezentrum WESER5, Weserstraße 5
Dominikanerkloster, Kurt-Schumacher-Straße 23
Evangelische Akademie Frankfurt, Römerberg 9
Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift, Großer Hirschgraben 23 – 25
Haus am Dom, Domplatz 3
Haus der Deutschen Ensemble Akademie, Schwedlerstraße 2-4
Hessisches Literaturforum im Mousonturm, Waldschmidtstraße 4
ODDO BHF, Bockenheimer Landstraße 10
OpernTurm, Bockenheimer Landstraße 2-4
Kuhhirtenturm, Große Rittergasse 118
Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2
Städelschule, Dürerstraße 10
Westend Duo, Bockenheimer Landstraße 24
Veranstaltungsorte RheinMain
Badehaus Bad Soden, Königsteiner Straße 86, 65812 Bad Soden am Taunus
Brentano-Scheune, Hauptstraße 134A, 65375 Oestrich-Winkel
Burgvilla, Rödelbergweg 1, 65917 Eppstein
Galerie Kurzweil, Bismarckstraße 133A, 64293 Darmstadt
Historisches Museum Hanau, Schloss Philippsruhe, Philippsruher Allee 45, 63454 Hanau
Hochheimer Weinbachmuseum, Wiesbadener Str. 1, 65239 Hochheim am Main
Klingspor Museum, Herrnstraße 80, 63065 Offenbach am Main
kunstbühne portstraße, Hohemarkstraße 18, 61440 Oberursel
Literaturhaus Villa Clementine, Frankfurter Str. 1, 65183 Wiesbaden
Parkside Studios, Friedhofstraße 59, 63065 Offenbach am Main
Stadtbibliothek Bad Vilbel, Niddaplatz 2, 61118 Bad Vilbel
literaTurm wird gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain sowie zahlreiche Raumsponsoren und Kooperationspartnern.
Infos zum Programm
Unter www.literaturm.de sind alle Informationen zu den Veranstaltungen und Mitwirkenden abrufbar. Das Festival wird auf in den sozialen Medien mit dem Hashtag #literaturm2018 kommuniziert.
Programm Literaturfestival literaTurm 2018
Zum Thema
Jeder Mensch hat ein Leben, doch nicht jedes Leben wird zur Biografie. Erst der Biograf überführt den Werdegang von Kaiserinnen und Kanzlern, Komponisten und Kurtisanen aus der Chronologie in die Erzählung. Dass er um das Ende seiner Protagonisten weiß, verleiht ihm die Souveränität, einen Lebensweg neu und anders zu entfalten. Dies eröffnet einen großen Erzählraum, der an historischen Personen einlädt, ein ganzes Zeitalter zu besichtigen. Als Chronist den Fakten und als Erzähler dem Leser verpflichtet, kennt der Biograf nur zwei Todsünden: die Lüge und die Langeweile. Kluge und meisterhaft erzählte Lebensgeschichten, wie sie jüngst in einer erstaunlichen Anzahl erschienen sind, erinnern an das trompel’oeil einer jeden Biografie: „Die Suggestion der Echtheit wird zugleich vorgeführt und entlarvt“, so die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger.
Warum aber Biografien gerade jetzt eine Renaissance erleben, kann nur vermutet werden. Vielleicht liegt es an ihrer Eigenart, dem Denken und Handeln des Porträtierten das zu verleihen, was in der „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz) als Kardinaltugend gilt: Einzigartigkeit. Der Mensch von heute, der vor allem besonders und unverwechselbar sein will, kuratiert seine eigene Geschichte. Nichts anderes als ein solcher Kurator ist der Biograf, der einen Lebensweg nicht erfindet, sondern recherchiert, arrangiert und in ein Narrativ fügt. Stets gilt dabei: ohne Archive keine Exegese und ohne Imagination kein Erzählfluss.
Auch Schriftstellern, diesen Experten der Imagination, dient das eigene Leben oder dasjenige berühmter Künstler als Stoff. Wenn sie einen Roman über die großen Meister schreiben, dann aus einer Nähe heraus, die der Text inszeniert. Ob Gerhart Hauptmanns letzte Lebensjahre, Eduard von Keyserlings Berufung zum Dichter oder der Verfall des legendären Beatpoeten Jack Kerouac – die biografischen Erzähler von heute kriechen ihren Figuren regelrecht unter die Haut. Fließen dagegen die „süßen und bitteren Tropfen“ (James Baldwin) eigener Erfahrungen und Erlebnisse in einen Roman hinein, dann verschmelzen Autor und Figur. Eine solche autofiktionale Prosa, zu der sich etwa Ulrike Edschmid, Felicitas Hoppe, Andreas Maier, Linn Ullmann und Josef Winkler bekennen, bewegt sich zwischen den Gattungen Autobiografie und Roman, ohne jemals ihren genuin literarischen Charakter einzubüßen. Wer schließlich die Deutungshoheit über das eigene Leben wahren will, der schreibt seine Memoiren. Dass auch sie zwischen Dichtung und Wahrheit changieren, ist seit Goethe unbestritten. Die Biografie als Sachbuch, die Autobiografie und autofiktionale Prosa sowie Künstlerromane stehen im Zentrum des Festivals literaTurm 2018, das sich mit diesem Thema wie nie zuvor im Zwischenreich von Fiktion und Realität bewegt.
Text: Dr. Sonja Vandenrath Festival- und Programmleiterin