122 Arbeiten, darunter 88 Ölgemälde, aus allen Schaffensphasen und Werkgruppen Gerhard Richters vereint die große Herbstausstellung am Düsseldorfer Kunstpalast vom 5. September 2024 bis 2. Februar 2025.
Viele der ausgewählten Arbeiten sind verborgene Schätze: Werke aus rund 50 Privatsammlungen, „die sonst im privaten Zuhause hängen und nun ausnahmsweise für wenige Monate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die zuvor selten oder sogar noch nie öffentlich gezeigt wurden“, so Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalasts, beim Presserundgang. In der umfassendsten Gerhard-Richter-Ausstellung in Deutschland seit über zehn Jahren bieten diese Arbeiten einen Einblick in das gesamte Spektrum seiner Kunst – von den Anfängen in den frühen 1960er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Obgleich es nicht das Ziel gewesen wäre, hätte die Ausstellung, so Krämer, aufgrund der reichen Bestände in Privatbesitz retrospektiven Charakter angenommen. Sie sei jedoch keine Retrospektive, sondern zeige einen Ist-Zustand einer so nicht mehr wiederholbaren Ausstellung, da sich die Sammlungen, wenn die Erbengenerationen übernehmen müssten, oftmals – auch durch unvermeidliche Verkäufe – veränderten, Bilder außer Landes kämen.
Biografisches
Gerhard Richter (*1932) zählt weltweit zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Seit über 60 Jahren lotet er die Grenzen der Malerei aus. In seiner Wahlheimat – dem Rheinland – fand Richters Werk ein ideales Umfeld, um sich zu entfalten. Als er im Jahr 1961 von Dresden in die Bundesrepublik Deutschland ausreiste, hatte er bereits eine Ausbildung im Fach Wandmalerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden abgeschlossen. Trotzdem nahm er wenige Monate nach seiner Flucht in den Westen erneut ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Ferdinand Macketanz auf, wechselte später zu Karl Otto Götz. Die Stadt „war ungeheuer aufregend mit all den Ausstellungen und Veranstaltungen, den vielen Künstlern“, erinnerte sich Richter im Jahr 2004. „Und dann kam der große Glücksfall, dass ich dort an der Akademie die richtigen Freunde fand, also Sigmar Polke, Konrad Fischer und Palermo. Wir erlebten alles gemeinsam, die ersten Happenings, die Fluxus-Auftritte, die schon eine ungeheure Wirkung hatten.“
Richters steiler Aufstieg zum international gefragten Künstler
Im Rheinland begegnete Gerhard Richter nicht nur Künstlerkollegen, sondern auch einer neuen Generation von Sammlern, die nicht mehr ausschließlich für private Haushalte sammelten, sondern ab den 1970er Jahren deutlich expansivere Maßstäbe anlegten. Der Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela lud Richter 1964 zu seiner ersten Einzelausstellung ein und verschaffte ihm in den folgenden Jahren, um das Geschäft anzukurbeln, zahlreiche Porträtaufträge von Sammlern des Rheinlandes. 1968 stellte Rudolf Zwirner ihn erstmals in seiner Kölner Galerie aus, wo der Sammler Peter Ludwig sich zum Kauf von Ema (Akt auf einer Treppe, 1966) und dem monumentalen Gemälde Fünf Türen (1967), entschloss. 1972 erwarb Ludwig schließlich alle 48 Porträts, Richters Beitrag zur Biennale di Venezia, noch während diese im Deutschen Pavillon in Venedig ausgestellt waren.
Richters erste institutionelle Ausstellung 1969 im Aachener Kunstverein Gegenverkehr etablierte einen besonders aktiven Aachener Sammlerkreis. Im Jahr 1970 richtete ihm Konrad Fischer, der unterdessen in Düsseldorf eine erfolgreiche Galerie eröffnet hatte die erste Einzelausstellung aus. 1973 erwarb der Sammler Hans Grothe einen Block von zwölf Gemälden, die Gerhard Richter selbst für ihn zusammenstellte, darunter das dreiteilige, 450 cm breite Landschaftsgemälde Alpen II (1968) und Ausschnitt (Makart) von 1971, die beide in der Ausstellung Verborgene Schätze zu sehen sind.
Das Rheinland war für Richter aber auch ein Ort, der ihm als Labor für experimentelle Präsentationsformen diente. Hier stellte er erstmalig besondere und manchmal auch kontroverse Werkreihen vor und konnte die Reaktion des Publikums und der Sammler*innen beobachten. So präsentierte er 1974 im Museum Abteiberg eine Ausstellung mit ausschließlich grauen Bildern und 1989 den so genannten RAF-Zyklus 18. Oktober 1977 in Krefeld.
Neben den institutionellen Ausstellungen fanden im Rheinland viele selbst organisierte Formen des Ausstellens statt, die mit den Konventionen der Vorgängergenerationen brachen und Neues erprobten. Für einen Düsseldorfer Auftritt mietete Richter mit seinen Künstlerfreunden 1963 einen leerstehenden Verkaufsraum und zeigte die Ausstellung Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus. Hier präsentierte er das Werk Party, das er später seinem Ateliernachbarn Günther Uecker schenkte. Nicht selten kamen auf diese Weise Werke in Privatsammlungen. Das Kissenbild von 1970 fand den Weg zu Gotthard Graubner: Mit diesem Werk persifliert Richter auf liebevolle Weise die Kissenbilder des Künstlerkollegen. Das kleine Format und die Zugewandtheit weisen darauf hin, dass das Gemälde von vornherein als Geschenk für seinen Freund gedacht war.
„Gerhard Richter. Rheinland!“. Eine Ausstellung geboren aus der Corona-Not
Die Idee zu dieser Ausstellung, so Krämer, wurde von ihm und seinem Kollegen, dem kaufmännischen Geschäftsführer Harry Schmitz, vor bald drei Jahren aus der Not der Corona-Zeit heraus geboren, als im Kulturbetrieb nichts mehr ging. Selbst internationale und europäische Kunsttransporte waren unmöglich geworden. „Wir machten uns gewaltige Sorgen, wie es mit dem Ausstellungsprogramm weitergehen solle.“ Ihm sei rasch klar gewesen: „Wir müssen etwas Regionales, etwas mit Privatsammlern aus der Region machen“, erinnert sich der Generaldirektor. Da sagte Harry Schmitz: „Gerhard Richter. Rheinland!“. Das war’s! In diesem Moment, so Krämer, entstand eigentlich die Ausstellung. Dank seiner ohnehin regelmäßigen Kontakte zu den bedeutenden rheinländischen Sammlungen und den damit verbundenen profunden Kenntnissen darüber, „wo was hängt“, wurden die Sammler um ein Angebot möglicher Leihgaben gebeten. Für die inhaltlichen kuratorischen Fragen sowie die Herausgabe des Begleitkatalogs konnte der Richter-Experte Markus Heinzelmann, Professor für Museale Praxis an der Ruhr-Universität, gewonnen werden.
Angefragt wurden „Sammlungen“, die eine besonders enge und starke Beziehung zu Gerhard Richter pflegten, darunter auch Sammler, die „Richter“ bereits kauften, als dieser noch erschwinglich war. Manchmal verließen Werke im Tausch gegen erbrachte Leistungen das Atelier von Richter. Der Steuerberater und Kunstsammler Willi Kemp erhielt als Dank für einen kleinen Gefallen, den er dem Künstler getan hatte, eine Arbeit. Als Entlohnung für seine Dienste bekam auch Richters Mitarbeiter Ludger Schäfer ein Werk.
Man müsse sich vorstellen, „dass viele dieser jetzt hier präsentierten Bilder normalerweise im Wohnzimmer über dem Sofa, im Esszimmer, im Büro oder im Flur hängen“, so Krämer. Er sei sehr dankbar, dass so viele private Leihgeber bereit waren, „uns ihre ‚verborgenen Schätze‘ vorübergehend anzuvertrauen. So können bedeutende Arbeiten, welche sonst im privaten Zuhause hängen, ausnahmsweise für wenige Monate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Und „selbst für diejenigen, die Richters Œuvre bereits gut kennen“ dürfte „unter den normalerweise verborgenen Schätzen aus rheinischen Privatsammlungen Neues zu entdecken geben!“, versichert der Generaldirektor.
Zunächst etwas zögerlich, dann kamen immer mehr Bildangebote. Schließlich waren es gut 200, aus denen wir eine Konzeption und die Themenbildung für die Ausstellung entwickelten und letztlich 122 passende Werke auswählten, erläuterte Heinzelmann. Die Sammler*innen wollen jedoch ungenannt bleiben, und er gendere an dieser Stelle ganz bewusst, da er überwiegend mit Sammlerinnen zusammengearbeitet habe.
Auf Anekdoten während der Vorbereitungszeit befragt, fiel Heinzelmann spontan der kuriose Fall eines Sammlers ein, der ein Richter-Gemälde vergessen hatte zu benennen, weil es auf dem Klo hing und er es einfach übersehen hatte. Der Kurator verriet nicht, um welches Gemälde es sich dabei handelt, nur so viel: „ein kleines rötliches“. Wer durch die Ausstellung geht, möge auch auf die Rahmungen und kleine Details achten.
„Die Ausstellung ermöglicht einen Einblick in die engen Beziehungen Richters zu Künstlerkollegen und Sammlerinnen und Sammlern des Rheinlandes, die ihn seit den frühen 1960er Jahren begleitet und mit ihren Ankäufen in der internationalen Kunstwelt verankert haben“, so Heinzelmann.
Im Rheinland hat das Sammeln von Kunst eine lange Tradition. Schon früh waren damit strategische Absichten verbunden, die den Zusammenhalt der eigenen Sammlung im Blick hatten und den eigenen Namen in der Geschichte verankern sollten. In den Jahren, als frühe Sammler sich aus finanziellen Gründen zurückzogen, traten die großen Konzerne in den Vordergrund, für die Richter bedeutende Auftragsarbeiten plante und realisierte. Die Führung des systematischen Werkverzeichnisses seiner Gemälde übte dabei auf Sammler eine besondere Attraktivität aus und nimmt einen Status zwischen Dokumentation und Werk ein.
Der Rundgang:
Der Rundgang durch die, soweit möglich, chronologisch geordnete Themenvielfalt der Ausstellung ist – auch räumlich – gekonnt gegliedert in die Schwerpunkte: „Frühe Fotobilder“, „Landschaftsbilder“, „Farben und Graue Bilder“, „Weiche Abstraktionen“, „Freie Abstraktionen“, „Übermalte Fotografien“, „Vielfalt“ und „Persönliche Bilder“.
Frühe Fotobilder
Im ersten Raum werden die Betrachter von Richters frühen imposanten „Fotobildern“ empfangen, die der Künstler ab Herbst 1962 auf der Grundlage von Fotografien schuf. Richter übertrug die schwarz-weißen Abbildungen aus Zeitungen, Magazinen, Werbebeilagen oder privaten Fotoalben auf die Leinwand, indem er sie stark vergrößerte und mit einem Pinsel oder Tuch die noch feuchte Farbe verwischte. Es entstand eine Unschärfe, durch die die Motive verfremdet und zugleich beglaubigt wurden: Sie erinnern an Schnappschüsse von Amateuren, die ebenfalls häufig unscharf oder verwackelt sind. Richter zielte mit diesem Verfahren auf das „Unkünstlerische“. Beim Abmalen übernahm er die vorgegebene Komposition und begab sich so auf maximale Distanz zum Bildgegenstand. Wer genau hinschaut, erkennt in den Werken auch die perfekte Pinselvirtuosität des ausgebildeten versierten Wandmalers, der aus banalen Motiven grandiose „unkünstlerische“ Kunstwerke schuf.
Landschaftsbilder und die Abstrakten Bilder
Raum 2 widmet sich Gerhard Richters Verständnis von Landschaften und den „Abstrakten Bildern“ als gedankliche Einheit. Seine Landschaften erzählen ohne Bezüge zur Gegenwart von einer unbestimmten Vergangenheit. Besonders in seinen Wolkenbildern kommt dies zum Ausdruck, die teils erhaben wirken oder an die romantischen Landschaften eines Caspar David Friedrich erinnern, jedoch ohne dessen religiösen Pathos, wonach das Malen der Natur einem Gottesdienst gleichkomme.
„Auf ähnliche Weise wie schon Richters frühe Bilder nach Fotovorlagen einen tieferen Sinn verweigern, sind“, so die Texttafel, „auch seine Landschaften ein Ausdruck von Bedeutungsverlust und Maskerade.“
Farben und Graue Bilder
Raum 3 widmet sich Gerhard Richters ersten Farbtafeln und Grauen Bildern. Von Farbmusterkarten aus Malereigeschäften inspiriert, entwickelte Richter im Jahr 1966 die ersten Farbtafeln, die stark von der Minimal Art und der Konzeptkunst beeinflusst sind. Seine ersten Grauen Bilder entstanden zufällig, als er auf der Suche nach neuen Bildideen einige Leinwände mit grauer Farbe überzog. „Mit der Zeit bemerkte ich Qualitätsunterschiede zwischen den Grauflächen und auch, dass diese nichts von der destruktiven Motivation zeigten. Die Bilder fingen an, mich zu belehren.“ (Texttafel).
Weiche Abstraktionen
Im Raum 4, „Weiche Abstraktionen“, werden Werke von Richters malerischem Neuanfang ab 1976 gezeigt. „Nachdem er das Gefühl gewonnen hatte“, so die Texttafel, „dass ihm das Thema der Grauen Bilder (1966–1976) keine künstlerische Perspektive mehr bot“, begann er, abstrakte Gemälde zu entwickeln, die „bunt, sentimental, assoziativ, anachronistisch, beliebig, vieldeutig, fast wie Pseudopsychogramme, nur eben nicht lesbar, also ohne Sinn und Logik“ sein sollten, wird Richter zitiert.
Freie Abstraktionen
Raum 5 widmet sich Richters „Freien Abstraktionen“. Die Übergänge zu diesen sind in seinem Werk fließend, und die Unterschiede zu den „Weichen Abstraktionen“ sind für die Betrachter eher marginal. Gerhard Richter beschreibt seine „Freien Abstraktionen“ in einem Beitrag zur documenta 7 (1982): „Abstrakte Bilder sind fiktive Modelle, weil sie eine Wirklichkeit veranschaulichen, die wir weder sehen noch beschreiben können, auf deren Existenz wir aber schließen können.“ (Texttafel).
Übermalte Fotografien
Im Raum 6 sind Werke zu sehen, die Richters Weiterentwicklung zeigen, Fotos zu übermalen. Ab etwa 1989 begann Richter, auf der Grundlage 10×15 Zentimeter großer Fotoabzüge, Fotomotive aus seinem Alltag mit Öl- oder Lackfarben zu übermalen. Richter nutzte hierfür Ölfarbenreste von seinen abstrakten Gemälden und trug diese auf die Fotos auf, wodurch surreale Farbinseln und Grate entstanden. (Texttafel).
Vielfalt
Im vorletzten Raum 7 der Richterschau werden Besucher nochmals mit Richters enormer Vielfalt an Themen, Motiven, Stilen, Gattungen und Techniken überrascht. Romantische Landschaften stehen neben abstrakten Bildern oder konzeptuellen Arbeiten, diese wiederum neben Hinterglasmalereien und übermalten Fotografien.
Persönliche Bilder
Den Abschluss der grandiosen Richter-Schau bilden in Raum 8 seine unter „Persönliche Bilder“ subsumierten Werke. Die Überschrift steht bewusst im Widerspruch zu Richters stetigem Bemühen, die Distanz zwischen seiner Person und seinem Werk zu wahren. Hier wird darauf hingewiesen, dass „seit einiger Zeit die Interpretation offener geworden ist.“ Motive wie Urlaubsziele und Freundschaftsszenen zeigen eine private Seite, die sich über die Jahrzehnte in einem Tableau verdichtete. (Texttafel).
Sich Zeit lassen und mit Audioguide
Man sollte sich für diese wunderbare, auch für Laien verständliche und didaktisch hervorragend aufgebaute Ausstellung genügend Zeit nehmen – mindestens zweimal durchgehen, am besten mit dem über die Kunstpalast-App angebotenen Audioguide. Dieser wurde von dem Schauspieler Christian Friedel (Zone of Interest) eingesprochen. Für junge Besucher gibt es zudem eine maßgeschneiderte Tonie-Tour, die Kinder ab drei Jahren mit spannenden Geschichten an die Werke Richters heranführt.
Weitere Richterbilder im Kunstpalast
Wer nach der Richter-Schau noch aufnahmefähig ist, dem seien auch die Richter-Werke im neu gestalteten Rundgang „Alles Kunst?! Von Rubens bis Aldi. Die Sammlung Kunstpalast.“ empfohlen.
Der Kunstpalast selbst, so Krämer, besitze eine Reihe herausragender Gemälde von Gerhard Richter, darunter Helga Matura mit Verlobtem aus dem Jahre 1966 nach einer Vorlage aus der Illustrieren Quick oder die monumentale Vermalung Rot-Blau-Gelb von 1972 sowie das vierteilige Gemälde Fenster von 1968, welches den Besucher in der aktuellen Ausstellung empfängt.
(Quelle: Kunstpalast /Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Die seit 2007 im Nassauer Kunstverein (NKV) beheimatete Kunstinstallation „Ben’s Bar“ des weltbekannten Musikers und Fluxus-Künstlers Benjamin Patterson wird ab Mitte Oktober 2024 für sechs Monate an das renommierte Museum Ludwig in Köln ausgeliehen und dort als wichtiger Teil der Ausstellung „Fluxus und darüber hinaus. Ursula Burghardt und Benjamin Patterson“ zu sehen sein. Obgleich der 2016 verstorbene Wahl-Wiesbadener als Fluxusmitbegründer der ersten Stunde gilt und eng mit dem Kölner Fluxuskreis um Nam June Paik, Daniel Spoerri, Mary Bauermeister und Ursula Burghardt verwoben war, geriet er in Köln zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit. Mit der großen Fluxus-Schau vom 12. Oktober 2024 bis zum 9. Februar 2025 möchte das Museum Ludwig diese „Erinnerungs-„Lücke in der Domstadt zu schließen. Die Wiesbadner Leihgaben sollen in Köln als wichtiger Beitrag in der Ausstellung „Fluxus und darüber hinaus. Ursula Burghardt und Benjamin Patterson“ zu sehen sein.
Pattersons bedeutendem Werk entsprechend, verabschiedete der NKV am 2. September 2024 in Beisein von Landtagspräsidentin Astrid Wallmann „Ben’s Bar“ gebührend mit einer Abschiedsparty. Wenn sie an Bars in der Kunstgeschichte denke, so Wallmann, assoziiere sie natürlich sofort auch die zahlreichen Gemälde und Zeichnungen französischer Impressionisten à la Edouard Manet oder so Werke wie „Nachtschwärmer“ des US-amerikanischen Malers Edward Hopper. Bars seien gesellschaftliche Begegnungsräume, aber auch schon immer Orte für Vergnügung und Vergessen. Dies komme in Ben’s Bar besonders gut zum Ausdruck. „Wiesbaden kann stolz sein, das Leben und Wirken eines so begabten Künstlers, wie Benjamin Patterson es war, mitgeprägt zu haben. Es ist eine Ehre, dem Museum Ludwig ein so besonderes Werk ausleihen zu dürfen und ich hoffe, dass es viele Besucherinnen und Besucher erfreuen und inspirieren wird.“, sagte die Landtagspräsidentin.
Es sei ja „nur“ ein Abschied auf Zeit, eine temporäre Trennung. Glücklicherweise verließe diese Installation den NKV nicht dauerhaft. Und „wir sind auch sehr stolz, dass diese Installation von Fluxus-Legende Benjamin Patterson in dieser großangelegten Kölner Ausstellung zu sehen sein wird. Damit habe man die Möglichkeit, „sein Werk auch nochmal in einem anderen Zusammenhang zu sehen“, so NKV-Direktorin Lotte Dinse. Die Ausstellung in Köln vom 12 Oktober bis 9.02.2025 arrangiere dabei die Positionen des Musikers Benjamin Petterson und der Bildhauerin Ursula Burghardt. „Ausgangspunkt dieser Ausstellung ist eine persönliche Begegnung dieser beiden 1960 in Köln, und es geht ganz viel um so künstlerische Netzwerke und Kollaborationen, die sie in diesen Jahren hatten.“, sagte Dinse.
Köln war ein ganz wichtiger Dreh- und Angelpunkt für das künstlerische Schaffen Ben Patterson. 1960 war Patterson nach Köln gegangen, wo er auch sehr in der expositionellen Musikszene rund um Stockhausen unterwegs war. Der Künstler hatte engste Verbindung zur Stadt Wiesbaden. Er hat ganz wichtige Werke geschaffen und war auch Mitorganisator dieser legendären „Fluxus-Internationale Festspiele“ 1962,
„Ich finde das ist sehr besonders, sehr berührend, dass Werke von einem solchen Künstler so hochkarätig, so einmalig sind, dass wir sie in diesen Räumen beherbergen: diese berühmte Bar. Diese luxuriöse kleine Cocktailbar im Rokokostil, die wir hier in der dritten Etage seit 2007 dauerhaft installiert haben, mit diesem Titel „To Be Heard, To Be Seen und To Be There“, schwärmt die neue NKV-Direktorin. Ben’s Bar sei ein Werk, welches Ben Patterson ursprünglich 1990 für eine Gruppenausstellung in New York entwickelt hatte, und noch in einer ganz anderen Form zu sehen war, sagte Dinse. In ihrer ursprünglichen New Yorker Fassung bestand die Installation ausschließlich aus der Spiegelwand mit Zubehör und den ausschließlich zur Bar und nicht in den Raum zugewandten Stühlen. Der an der Decke schwebende ACME-Fisch, das leuchtenden Ben’s Bar Zeichen, der Brunnen und die Venus wurden dann in seiner Wiesbadener Zeit ergänzt. Im NKV wurde die Installation noch um ein Piano erweitert.
2025 jährt sich die legendäre Mannheimer Ausstellung „Neue Sachlichkeit“ zum 100. Mal. Aus diesem Anlass präsentieren die Reiss-Engelhorn-Museen mit dem Forum Internationale Photographie die Sonderausstellung „SACHLICH NEU“. Die Schau zeigt vom 22. September 2024 bis 27. April 2025 eindrucksvolle Werke der beiden wichtigsten Fotografen der Neuen Sachlichkeit: August Sander (1876-1964) und Albert Renger-Patzsch (1897-1966). Ihre Inkunabeln der 1920er- und 30er-Jahre treten dabei erstmals in einen spannenden Dialog mit Foto-Ikonen des international preisgekrönten Fotografen Robert Häusser (1924-2013). Zugleich feiern die Reiss-Engelhorn-Museen mit der Präsentation auch dessen 100. Geburtstag und vereinen zwei Jubiläen in einer Schau.
Die Ausstellung stellt faszinierende Korrespondenzen zwischen den Fotografien der drei Künstler her und konzentriert sich auf die Themen „Porträt und Menschendarstellungen“, „Industrie und Menschen bei der Arbeit“ sowie „Landschaftsräume“. Darüber hinaus geben die rund 120 gezeigten Bilder umfangreiche Einblicke in die verschiedenen Werkphasen der drei Protagonisten.
Entscheidend für das Lebensgefühl der Weimarer Republik war die Erfahrung des Ersten Weltkrieges und dessen wirtschaftliche und soziale Misere. Die Zerrissenheit jener Jahre voller Umbrüche und Gegensätze führte zu Ernüchterung. Auch die Kunstschaffenden waren auf der Suche nach neuen Inhalten und Ausdrucksmöglichkeiten. Sich abgrenzend vom emotionalen und phantasievollen Expressionismus strebten sie nach Klarheit und Objektivität. Anstelle einer atmosphärisch pittoresken, gefühlsbetonten Bildsprache rückte die Abbildung der nüchternen und ungeschönten Wirklichkeit in den Vordergrund. Für diese neue Stilrichtung prägte Gustav Friedrich Hartlaub, der damalige Direktor der Mannheimer Kunsthalle, den epochemachenden Begriff „Neue Sachlichkeit“.
Dieser neue sachliche Blick auf die Welt dominierte nicht nur die Malerei, sondern spiegelte sich auch in anderen Kunstgattungen wie Grafik, Architektur, Design und Literatur wider. Gerade die in ihren Anfängen als technoides und „seelenloses“ Medium in der Kunst abgelehnte Fotografie vermochte die Realität möglichst unmittelbar und ungeschönt einzufangen. Mit einer Vorliebe für klare Kompositionen, ungewöhnliche Perspektiven und messerscharf herausgearbeitete Details wurden Menschen, Natur, Städte, Industriebauten und Alltagsgegenstände dokumentiert. Neue Möglichkeiten eröffneten zudem Innovationen wie Kleinbildkameras und Rollfilme, die in den 1920er Jahren auf den Markt kamen und die Fotografie revolutionierten.
Zwei Pioniere der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie waren August Sander und Albert Renger-Patzsch. Mit seinem breit angelegten enzyklopädischen Werk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ gilt August Sander als Chronist seiner Zeit. Dank exakter Beobachtung gelang es ihm, ganz unterschiedliche Menschen als Repräsentanten ihres Berufsstandes oder ihrer Gesellschaftsschicht zu porträtieren – von Politiker und Arzt über Sekretärin und Konditormeister bis zu Gymnasiastin und Kohleträger. Während bei ihm der Fokus auf Porträts lag, wirkte Albert Renger-Patzsch mit seinen Landschaftsbildern und Stillleben stilbildend. Vor allem seine Sachaufnahmen von Fabrikanlagen, Zechen, Maschinen und Brücken inspirierten nachfolgende Fotografen-Generationen. Mit seinem 1928 erschienenen Buch „Die Welt ist schön“ schuf er ein fotografisches Manifest der Neuen Sachlichkeit.
Ausgewählte Werke von Sander und Renger-Patzsch stehen in der Ausstellung „SACHLICH NEU“ Aufnahmen von Robert Häusser gegenüber. Häusser wurde in die Zeit der Weimarer Republik hineingeboren, seine Bilder entstanden jedoch deutlich später, ab den 1940er Jahren. Die Motive sind in ihrer Klarheit auf das Wesentliche reduziert und zeigen eindeutige Bezüge zum Stil der Neuen Sachlichkeit. Häussers ähnliche Themenwahl so wie auch sein Schaffen waren geprägt von den einschneidenden Erfahrungen des Krieges – in seinem Fall des Zweiten Weltkrieges. Bei allen Parallelen zeigen seine Porträts, Landschaft- und Industrieaufnahmen aber eine ganz eigene Handschrift, die zugleich eine Nähe zum Surrealismus und Magischen Realismus aufweist. Neben dem auf dem ersten Blick Offensichtlichen schwingt bei ihm auch immer etwas Hinter- und Abgründiges mit. Häusser wurde so zum Vorreiter der Nachkriegsfotografie, zum Klassiker der Moderne und zu einem wichtigen Vertreter einer subjektiv-fotografischen Richtung.
Das Projekt wird ermöglicht durch die großzügige Förderung der Bassermann-Kulturstiftung Mannheim. „SACHLICH NEU“ ist ein besonderer Beitrag zum Jubiläumsjahr „100 Jahre Neue Sachlichkeit“ und flankiert eine große Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim. Aus diesem Anlass wurde das Netzwerk „Die 1920er-Jahre in Mannheim“ ins Leben gerufen, an dem sich zahlreiche Partner mit Veranstaltungen und Aktionen beteiligen. 22.9.2024 – 27.4.2025 SACHLICH NEU Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch & Robert Häusser
2025 jährt sich die legendäre Mannheimer Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“ zum 100. Mal. Aus diesem Anlass präsentieren die Reiss-Engelhorn-Museen mit dem Forum Internationale Photographie die Sonderausstellung „SACHLICH NEU“. Die Schau zeigt vom 22. September 2024 bis 27. April 2025 eindrucksvolle Werke der beiden wichtigsten Fotografen der Neuen Sachlichkeit: August Sander (1876-1964) und Albert Renger-Patzsch (1897-1966). Ihre Inkunabeln der 1920er- und 30er-Jahre treten dabei erstmals in einem spannenden Dialog mit Foto-Ikonen des international preisgekrönten Fotografen Robert Häusser (1924-2013). Zugleich feiern die Reiss-Engelhorn-Museen mit der Präsentation auch dessen 100. Geburtstag und vereinen zwei Jubiläen in einer Schau.
Die Ausstellung stellt faszinierende Korrespondenzen zwischen den Fotografien der drei Künstler her und konzentriert sich auf die Themen „Porträt und Menschendarstellungen“, „Industrie und Menschen bei der Arbeit“ sowie „Landschaftsräume“. Die rund 120 ausgewählten Arbeiten reflektieren die Umbruchszeit zwischen Fortschrittsglauben und -skepsis nach den beiden Weltkriegen, die Zäsur und den Neuanfang sowie die Brüchigkeit unseres Seins in seiner Schönheit und Abgründigkeit.
Die Ausstellung wird ermöglicht durch die großzügige Förderung der Bassermann-Kulturstiftung Mannheim. „SACHLICH NEU“ ist ein besonderer Beitrag zum Jubiläumsjahr „100 Jahre Neue Sachlichkeit“ und flankiert eine große Sonderausstellung in der Kunsthalle Mannheim. Aus diesem Anlass wurde das Netzwerk „Die 1920er-Jahre in Mannheim“ ins Leben gerufen, an dem sich zahlreiche Partner mit Veranstaltungen und Aktionen beteiligen.
22.9.2024 bis 27.4.2025 SACHLICH NEU
Fotografien von August Sander, Albert Renger-Patzsch & Robert Häusser
In der fulminanten Überblicksschau „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ vom 7. Juli 2024 bis zum 12. Januar 2025 im arp Museum Rolandseck wird erstmals die unterschätzte Bedeutung von Künstlerinnen im Dadaismus untersucht.
Kaum eine andere Kunstbewegung hat im 20. Jahrhundert die Kunstszene in Malerei, Mode, Tanz, Literatur und Musik sowie die Gesellschaft so verändert und geprägt wie DADA. Dass insbesondere auch viele Künstlerinnen einen entscheidenden Anteil am Entstehen und Erfolg des Dadaismus hatten, ist zumeist weniger bekannt. Aufbauend auf der 2016 in Zürich anlässlich 100 Jahre DADA gezeigten Schau „Die Dada. Wie Frauen Dada prägten“ von Ina Boesch, möchte „der die DADA“ dies nun ändern. So haben die Kuratorinnen Dr. Julia Wallner ( Direktorin des arp Museums), Helene von Saldern und Joëlle Warmbrunn rund 200 Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien und Filme sowie Archivmaterial aufwändig recherchiert und zu dieser Schau zusammengetragen, die in der Tat einen ganz neuen Blick auf die Entstehung des Dadaismus erlaubt. Neben Werken von berühmten Künstlerinnen wie Hannah Höch, Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp werden insbesondere auch Arbeiten von Künstlerinnen gezeigt, die in der Kunstgeschichtsschreibung über viele Jahrzehnte hinweg wenig bis keine Erwähnung fanden. Dazu gehören zum Beispiel Elsa von Freytag-Loringhoven, Angelika Hoerle oder Suzanne Duchamp und zahlreiche weitere DADA-Frauen, die gleichwertig neben ihren männlichen Kollegen präsentiert werden.
1916 vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs in der von Emmy Hennings und Hugo Ball geführten Künstlerkneipe Cabaret Voltaire in Zürich von Exilanten wie Hans Arp, Marcel Janco und Richard Huelsenbeck als kreative Protestform gegründet, entwickelte sich dada rasch zu einer internationalen und grenzüberschreitenden Bewegung gegen Krieg und Militarismus, Rationalisierung der Kunst und Mechanisierung der Welt. Dieser Bewegung fühlten sich alsbald auch Kollektive und zahlreiche nach USA emigrierte Einzelkünstler in New York, in Paris, Berlin, Hannover und Köln zugehörig. „Die Beteiligten zielten auf die Durchdringung von Kunst und Leben“, so Dr. Julia Wallner. Dabei bildeten Sprache, Tanz, Musik und grafisch-visuelle Ausdrucksmittel das Grundvokabular, mit dem eine den Menschen befreiende Existenzform entwickelt werden sollte. Auch Aktionen, performative Inszenierungen, Soireen und Happenings auf Bühnen oder der Straße waren dafür essenziell.
Den menschlichen Wahnsinn künstlerisch heilen?
Dass die relativ kurze, sehr lebendige Kunstbewegung einen so langen Nachhall entwickelte, der in den Kunstentwicklungen des 20 Jahrhunderts derart breite Nachwirkungen hatte, hing, so Dr. Wallner, sicher auch mit der Gründungshistorie zusammen: „Es war zunächst eine Bewegung von Exilanten, die sich natürlich nicht zufällig in Zürich, sondern eben in der neutralen Schweiz zusammengefunden hatten, um dem Kriegsgeschehen zu entkommen“. Darunter war beispielsweise auch der aus dem Elsass stammende deutsch-französische Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker Hans Arp, der in der Schweiz auf emigrierte gleichgesinnte Künstler vieler Länder traf, was Dada von vornherein zu einer internationalen Bewegung machte. Gleichermaßen verband die bunt zusammengewürfelten Künstler eine zentrale Frage: „Wie können wir der Absurdität unserer Zeit trotzen, ihre Ambivalenzen aushalten, und etwas mit der Kunst entgegensetzen? Wie können wir aus Unsinn Sinn erschaffen und den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen“, erklärt Dr. Wallner den explosiven Gründungsmoment der ersten, sich immer wieder unter anderen Vorzeichen neu formierenden Dadaisten. „Anstelle der Produktion immer neuer „Ismen“ rief Dada vehement und spielerisch zur Zerstörung der alten Ordnung auf. Für Hans Arp bestand das Ziel in der Aufhebung der Grenze von Kunst und Leben: ‘Während in der Ferne der Donner der Geschütze grollte, sangen, malten, klebten, dichteten wir aus Leibeskräften. Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen, und eine neue Ordnung, die das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle herstellen sollte.‘“ 1)
Nach relativ kurzer Zeit endet die Dada-Geschichte in Zürich im Streit, und viele ihrer Mitglieder zogen nach Kriegsende weiter. „Mancher Gedanke entwickelte sich zum Surrealismus und einer stärkeren Innerlichkeit. Dada als Idee jedoch verselbstständigte sich und fand in vielen Städten eigene, teils unabhängige Formen – in Paris, Berlin, Hannover, Köln und New York. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Tragweite dessen klar, was die Kunstbewegung auslöste.“ führt ein Wandtext in die Ausstellung ein.
Dadaist konnte jeder sein
Im Kern war Dada eine revolutionäre Bewegung. Was Dada, häufig für beendet erklärt und doch immer wieder lebendig, eigentlich ist, konnte jedoch bis heute noch nicht genau definiert werden, da dada auch immer das Gegenteil von dada ist. Selbst das kollektiv unterzeichnete dadaistische Manifest von 1918 schließt mit den sich selbst ad absurdum führenden Worten: ,,Gegen dies Manifest sein, heißt Dadaist sein!“ 2) „Und Wieland Herzfelde behauptete: ‘Jedermann konnte sich Dadaist nennen, dafür, daß man ihn dafür hielt, mußte er selbst sorgen. ‘“ 3)
Wenngleich Dada eine bis an Nihilismus und Sinnlosigkeit grenzende „totale“ Offen- und Beliebigkeit in Kunst und Leben proklamierte, waren „die Themen, die Dada in Zürich, Paris, Berlin, Hannover, New York, Köln, und schließlich weltweit kreativ verhandelte, ähnlich, auch wenn Mittel, Methoden und Ansätze sich teils deutlich unterscheiden.“ 4)
Wer hat’s erfunden?
Diese Vielschichtigkeit und Diversität unterschiedlicher Blickwinkel der weltweit wichtigsten Dada-Zentren werden in der Ausstellung hervorragend aufbereitet und dargestellt. Dabei werden erstmals vor allem Aktionen, Werk und Bedeutung der Dada-Frauen ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Der Bogen ist weit gespannt , bis hin zu der – filmisch untermauerten – provokanten Frage: War Marcel Duchamp rechtmäßiger Urheber des ersten Readymades, seines berühmten Pissoirs? Oder geht die Idee zurück auf Elsa von Freytag-Loringhoven, die in New York als ein mit Haut und Haar wandelndes Dada verkörperndes performatives Kunstwerk berühmt und mit Duchamps verbunden war. „Die Baroness“, schmückt Plakat und Katalog der Ausstellung „der die DADA“.
Unordnung der Geschlechter bei Dada
Ein neuer Aspekt, den die Ausstellung „der die DADA“ neben der Herausstellung der Dada-Frauen beleuchtet, ist die Bedeutung von Geschlecht, Rollenbildern und Sexualität, die im Dadaismus oftmals fluide verstanden wurden. Dazu heißt es in einem Wandtext der Ausstellung: „Zugleich werden Werke von Männern gezeigt, die in dadaistischer Manier Geschlechtlichkeit neu denken. In Text und Bild verbinden sie die Revolution in der Kunst mit der Revolution der Geschlechter – zu einer Zeit, in der Homosexualität in fast allen Ländern der Erde unter Strafe stand und Frauen viele gesellschaftliche Zugänge verwehrt waren. Dada ist damit die erste Kunstströmung, in der Frauen wie Männer aktiv und aktionistisch an der Durchlässigkeit von Rollenbildern wirkten“. Beispiel dafür sind die berühmten Crossdressing-Fotografien von Marcel Duchamp als Rrose Sélavy des Fotografen Man Ray um 1921. Sie zeigen, dass sich nicht nur Frauen von traditionellen Rollenzuschreibungen lösten, sondern auch Männer Geschlechtlichkeit in dadaistischer Manier neu interpretierten. So zieht die Ausstellung „der die DADA“ gekonnt eine Verbindung von den gesellschaftserneuernden Positionen der Dada-Avantgarde hin zu den aktuellen heutigen Diskursen.
Zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen und DADA
Um dem zeitgebundenen Charakter der DADA-Kunst gerecht zu werden, der auf Improvisation und situativem Erleben basiert, hat das Arp Museum zeitgenössische Künstler eingeladen, diese Inhalte in die heutige Zeit zu übertragen und erfahrbar zu machen. Dazu gehören eine Klanginstallation von Susan Philipsz, ein recherchebasierter Film von Barbara Visser, eine Tanzperformance von Brygida Ochaim sowie DADA-Texte, die von Dirk von Lowtzow intoniert werden. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Begleitprogramm ergänzt.
Die Ausstellung und Dada-Bühne
Die Ausstellung gliedert sich entsprechend der wichtigsten DADA-Zentren „Zürich“, „Paris“, „Berlin“, „Köln“ und „New York“ in fünf Bereiche. Zudem lädt eine der dem Züricher Cabaret Voltaire nachempfundenen Dada-Bühne die Besucher ein, auch mal in ein Dada-Kleid, und damit in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Jedes hier von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen nachempfundene Kleidungsstück wird man auch auf irgendeinem Bild in der Ausstellung „der die DADA“ entdecken können.
Die rundum gelungene Ausstellung lohnt. Man sollte sich, wenn möglich, hierfür ein paar Stunden Zeit nehmen, und sich am besten anschließend den ebenfalls didaktisch gut aufbereiteten Begleitkatalog gönnen.
Ausstellungskatalog Zur Ausstellung ist ein wunderbarer Katalog im Hirmer Verlag (288 Seiten, 200 Abbildungen, 38,00 Euro, ISBN/GTIN978-3-7774-4443-7) erschienen, herausgegeben von Julia Wallner. Der Katalog enthält Beiträge von Astrid von Asten, Christa Baumberger, Ina Boesch, Simone Gehr, Nora Gomringer, Talia Kwartler, Agathe Mareuge, Brygida Ochaim, Helene von Saldern, Isabel Schulz, Ursula Ströbele, Julia Wallner und Joëlle Warmbrunn. Diese begleiten gekonnt die Ausstellung und vertiefen in gut verständlicher Sprache die zentralen Aspekte der neuesten Dada-Forschung insbesondere im Hinblick auf die Dada-Frauen und diskutierte Geschlechter-Fluidität.
Ort:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 – 53424 Remagen
Tel. +49(0) 22 28 94 25 info@arpmuseum.org arpmuseum.org
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 -18 Uhr
Dienstags für angemeldete Gruppen ab 9 Uhr
Quellen:
1)Hans Arp: Unsern täglichen Traum …, Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914-1954, Zürich 1955, S.51, zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
2) Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach. Im Auftrag des Zentralamts der deutschen Dada-Bewegung, Berlin 1920, s.36-38, , zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
3 ) Wieland Herzfelde in: Der Malik-Verlag, 1916-1947. Ausstellungskatalog, Berlin o. J., S. 24 f. zitiert n. Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23
4) Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
Alles runderneuert sozusagen, bis auf die Kunstwerk. Die Sammlung Kunstpalast zeigt sich ab 20. Juni 2024 nach umfangreichen Umbau- und Renovierungsarbeiten im neuen Gewand: In einem Querschnitt von rund 130.000 Objekten aus dem Besitz des Kunstpalastes präsentiert die neu zusammengestellte Schausammlung in einem chronologisch angelegten Rundgang auf über 5.000 m² etwa 800 Werke. Berühmte Gemälde, wie die „Himmelfahrt“ von Rubens oder Cranachs „Ungleiches Paar“ treffen hier auf Exponate, die so manche Besucher*in ins Grübeln bringen: Birkenstock-Sandalen und eine Alditüte beispielsweise. Ist das Kunst? Aber Hallo! Ob Miniatur oder Monumentalwerk, Alltagsgegenstand oder Schmuckstück, Plastik oder Porzellan, Zeichnung oder interaktive VR-Installation – diese Sammlung vereint alle Gattungen. Dank regelmäßiger Neuzugänge und Umhängungen sowie temporärer Interventionen und Sonderpräsentationen wie dem Palastblühen bleibt die Schausammlung, die ab sofort unter dem Titel „Alles Kunst?!“ läuft, in Bewegung und es gibt immer wieder Neues im Rundgang zu entdecken.
Nach umfangreichen Umbau-, Renovierungs- und Modernisierungsarbeiten präsentiert sich der Sammlungsflügel des Kunstpalastes seit November 2023 in völlig neuem Licht. Bei der Neupräsentation handelt es sich jedoch nicht um eine Dauerausstellung: bereits jetzt – sechs Monate nach der Wiedereröffnung – wandern rund 150 Ausstellungsstücke zurück ins Depot, während andere Exponate hervorgeholt werden und ihren Platz im Rundgang einnehmen.
„Unsere Sammlung ist lebendig, sie verändert sich. Ihr großer Umfang und ihre Vielseitigkeit ermöglichen es uns, immer wieder neue Akzente zu setzen und mit der Präsentation auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren“, erläutert Generaldirektor Felix Krämer. „Es ist unsere Aufgabe, ins Depot abzutauchen und mit neuen Schätzen an die Oberfläche zu kommen. Die Sammlung soll eine Ausstellung sein, in die man gerne zurückkehrt und in der man immer wieder überrascht wird.“
Neu ist bereits die Kuppelprojektion in der Eingangshalle. Ab sofort zeigt der Digital Art Dome die Videoarbeit „Ein veraltetes Gamut bei Zenith“ der Künstlerin Rosa Menkman. Im Spot-On-Raum erwartet die Besucher*innen die Präsentation „Hairytales“, eine Kabinettausstellung, die die weibliche Körperbehaarung in Malerei, Fotografie, Grafik und Design aus der Zeit vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart thematisiert. Hinzugekommen sind im Rundgang zahlreiche großformatige Arbeiten – unter anderem von Andreas Achenbach, Arthur Kampf, Klaus Rinke und Shirin Neshat, Shusaku Arakawa und Ellsworth Kelly – sowie eine Reiterstatue Mario Marinis. Neuerwerbungen von Heinz Josef Klaaßen, Amalie Bensinger oder Anton Henning sind hier nun ebenfalls zu sehen.
Titel der Sammlungspräsentation, in der Gemälde, Grafiken und Fotografien auf Design und Kunsthandwerk treffen, ist ab sofort „Alles Kunst?! Von Aldi bis Rubens“. Ein breiter Kunstbegriff erlaubt in der Schausammlung überraschende Perspektivwechsel. Die Präsentation befragt historische und zeitgenössische Kunst nach ihrer Relevanz, stellt Verbindungen zu aktuellen Themen her und demonstriert Gemeinsamkeiten von auf den ersten Blick sehr verschiedenen Werken, die zeitgleich entstanden sind – frei von stilgeschichtlichen Kategorisierungen und unabhängig von ihrer Herkunft. Der chronologische Rundgang durch 49 Räume schlägt einen Bogen von der Kunst des Mittelalters über die Sammlungsschwerpunkte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwartskunst.
Ab November wird auch die Glassammlung des Kunstpalastes wieder zu sehen sein. Das einmalig weite Spektrum der Sammlungsbereiche, die das große Haus am Düsseldorfer Rheinufer beheimatet, ist dann wieder vollständig.
Die Mannheimer Kunsthalle präsentiert vom 07.06. bis 20.10.24 mit Sarah Lucas (*1962 in London, UK) eine Künstlerin, die sich in ihrem Werk kritisch-humorvoll mit Aspekten des menschlichen Körpers und seinen gesellschaftlichen Zuschreibungen auseinandersetzt.
Seit ihrer Ausstellung «Penis nailed to a Board» von 1992 zählt die englische Künstlerin Sarah Lucas zur zentralen Gruppe des britischen Kunstphänomens YBA (Young British Art). Seither ist Lucas eine international gefragte Künstlerin, die von Beginn an ihre ganz eigene, oftmals sehr subversiv witzige künstlerische Sprache um die grossen Themen des Lebens wie Geschlechterbeziehungen, sexuelle und soziale Identität, Tod und Destruktivität geprägt hat. Ihre wohltuende Ironie, mit der die Künstlerin ans Werk geht, zeigt, dass sie keine Ideologin ist, wenn sie mit Fotografie, Collage, Objekt, Installation und Zeichnung mit gesellschaftlichen Klischees, mit sprachlichen und bildlichen Repräsentationen von Sexualität und Geschlechtszuschreibung spielt. Während man Ideologen an ihrer Humorlosigkeit erkennt, mit der sie – oft verbissen – die Welt verändern wollen, outet sich Sarah Lucas mit liberaler Ironie als Freigeist, stets diskursoffen. Dabei finden oft Dinge des Alltags wie Möbel, Leuchtstoffröhren und Lebensmittel Eingang in ihr Werk, die sie spielerisch in neue Bedeutungszusammenhänge stellt und Betrachtern überlässt, was sie hierin erkennen.
Gesellschaftliche Normen werden humorvoll in Frage gestellt
Mit symbolisch aufgeladenen Damenstrümpfen, angerauchten Zigaretten, fragmenthaften Körperabdrücken oder anthropomorphen Formen stellt die Künstlerin grundsätzliche Fragen nach dem „Sense of Human“, dem Menschsein, nach Vergänglichkeit und Tod, Sexualität und Gender, nach Regeln und Grenzen im sozialen Gefüge. Hierbei provoziert und amüsiert sie gleichermaßen mit visuellen Wortspielen und expliziten, psychologisch aufgeladenen Arrangements. Der menschliche Körper steht dabei immer im Zentrum.
Visuelle Wortspiele und Selbstporträts mit Spiegeleiern
In ihrer ersten institutionellen Ausstellung in Deutschland seit 2005 bringt Lucas in Mannheim Werke aus fast vier Dekaden künstlerischen Schaffens zusammen. Diese reichen von frühen Arbeiten der 1990er-Jahre wie dem ikonischen Werk „Au Naturel“, in dem Haushaltsgegenstände als Platzhalter für Körperteile fungieren, über vergrößerte Seiten aus Boulevardzeitungen, die objektifizierte Repräsentationen des weiblichen Körpers kritisieren.
Präsentiert werden außerdem ihre fotografischen Selbstporträts, die sich durch ihr gesamtes Werk seit den frühen 1990ern bis in die Gegenwart ziehen. Und neue Werke, die sie eigens für die Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim produziert hat und hier erstmals öffentlich gezeigt werden.
(Mannheimer Kunsthalle /Diether v. Goddenthow)
Eröffnung der Ausstellung am 6.Juni 2024, um 19.00 Uhr
Seit 20. April 2024 hat die 60. Kunstbiennale Venedig ihre Pforten geöffnet. Sie wird nun wieder sieben Monate lang, bis zum 24. November 2024, Kunstinteressierte aus aller Welt anlocken. Als künstlerischer Leiter der 60. Esposizione Internazionale d’Arte und Kurator der Zentralausstellung konnte der 1965 in Rio de Janeiro geborene Ausstellungsmacher Adriano Pedrosa gewonnen werden. Er stellte die weltgrößte und hochpolitische Kunst-Ausstellung unter das „Motto“ „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“, übersetzt: „Überall Fremde“.
Die 60. Biennale Venedig präsentiert allein in der Hauptschau 332 Künstler und Kollektive aus 30 Ländern und Regionen der Welt. Dazu kommen rund 90 Nationalpavillons. Unsere Gastautorin und Kunstexpertin Dorothee Baer-Bogenschütz, unter anderem bekannt als langjährige Redakteurin der KUNSTZEITUNG und des Informationsdienst KUNST, hat sich in Venedig umgeschaut und ein paar starke Eindrücke mitgebracht.
Was setzt sich in der Kunst durch: der „Schimmer von Möglichkeiten zur Gesundung“ oder „Alltäglicher Krieg“?
Die 60. Kunstbiennale Venedig widmet sich großenteils Unterdrückten und Geknechteten, zeigt neben Kriegsszenarien viele farbenfrohe textile Arbeiten, die nicht minder nachdenklich stimmen.
Von Dorothee Baer-Bogenschütz – 26.April 2024
Unter dem Titel „Alltäglicher Krieg“ versammelt Yuan Goang-Ming Installationen und Videobeiträge zu Kriegsvorkehrungen und -sorgen in Taipei im sogenannten Kollateralprogramm der Biennale. Ausgerechnet im Palazzo delle Prigioni, dem Gefängnispalast, platziert der Vertreter Taiwans, das nicht zu den rund 90 Nationen mit offiziellem Pavillon gehört, die Werke: mit die aufwühlendsten der 60. Weltkunstschau. Der 1965 geborene Taiwaner studierte an der Karlsruher HfG.
Derweil war es Ewald Schrade, Galerist und Gründungsdirektor der Art Karlsruhe, der früh das Talent Tesfaye Urgessas erkannte und förderte. Jetzt ist der figurative Maler Repräsentant seiner Heimat im Nationalpavillon Äthiopiens, das erstmals an der Biennale teilnimmt, mit einer eindringlich expressiven Soloschau zu Schicksalen im globalen Süden. Zum ersten Mal nimmt unter anderem auch Benin teil. Unter dem berührenden Titel „Alles Kostbare ist zerbrechlich“ geht es um Themen, die ein Organisationskomitee vorgab: Landesgeschichte, Sklavenhandel und Spiritualität, der Mutter gewidmete Gelede-Rituale, die Vodun Religion. Viel zu viel für einen Pavillon, zumal darin vier Künstler ausstellen – unter ihnen der ehemalige documenta-Vertreter Romuald Hazoumé, der in Kassel 2007mit einem Flüchtlingsboot aus zerschnittenen Plastikkanistern auffiel. Sehenswert aber allemal. Anlässlich seiner Venedig-Premiere lässt Benin wissen, sein Engagement für Kunst und Kultur ausbauen respektive künftig verstärkt promoten zu wollen.
Befremdlich nur, dass die Biennaleteilnahme laut Kurator Azu Nwagbogu, „nach Frankreichs Restitution von 26 königlichen Schätze Benins“nun als „zweiter Schritt einer klaren und präzisen politischen Herangehensweise an die Kunst“ verstanden wird.
Die politische Aufladung, Bevormundung und (Aus-)Beuteerwartung wiederum bestimmt gegenwärtig den Kunstbetrieb, der aufpassen muss, dass das Belehrende beziehungsweise entsprechende Vorgaben von welcher interessierten Seite oder Lobby auch immer am Ende das Ästhetische, Phantastische oder Irrationale, das Suchende, Tastende und Spielerische, Humor, Ironie und spontane Irritation nicht komplett vereinnahmen und gar auffressen. Immer öfter sieht es danach aus -, und eine Veranstaltung wie die Biennale schreit es geradezu heraus. Diese Ausgabe stürzt sich unterdessen fast schon fanatisch auf jenen Teil des Globus, der bislang deutlich unterbelichtet war im Kunstgeschäft und nunmehr mit dem Etikett globaler Süden abgestempelt wird.
In den Giardini winkt eine wahre Villa Kunterbunt: Nie leuchtete die Fassade des zentralen Ausstellungsgebäudes derart farbenfroh. Sie badet förmlich in Motiven exotischer Flora und Fauna; Schildkröte und Fische kennzeichnet figürlich naiver Stil. Soll heißen: Das indigene Moment lebe hoch und damit kunsthandwerkliche Traditionen. „Überall Fremde“ lautet das Biennalethema. Dabei liegt im Auge des Betrachters, wer nun eigentlich der Exot ist.
Indigene sind es in den Augen vieler. Prompt erklommen sie das Siegertreppchen. An Australien geht der Goldene Löwe für den besten Länderpavillon: Archie Moores Installation „kith and kin“ (Freunde und Familie) ist eine genealogische Fleißarbeit, die 65 000 Jahre überspannt. Der mit Kreide an Wände und Decke gezeichnete unfassbar verzweigte Stammbaum zwingt jeden in die Knie. Einen „Schimmer von Möglichkeiten zur Gesundung“ attestiert Moore die Jury. In der Rubrik „bester Künstler“ zeichnet sie das Mataaho Collective für „matrilineare Textiltraditionen“ und dessen „gebärmutterähnliche Wiege“ aus: Maori-Frauen überspannen einen Raum mit gewebter Struktur an der Schwelle zur Abstraktion.
Als Schwellenland gibt sich Deutschland: Hinter dem Titel „Thresholds“ verbirgt sich die Intervention von Gastarbeiterenkel Ersan Mondtag, der Erde vor den Pavillon kippen ließ, sodass Besucher den Seiteneingang nehmen müssen, um dann zwei Zeitsprünge zu machen. Einen in die deutsche (Arbeits-)Welt des Großvaters: detailfreudig nachgebaut bis zum Klo, auf dem eine Performerin Platz nimmt, gerahmtem Atatürk-Foto im Schlafzimmer und Strickzeug auf dem Sofa. Die mehrstöckige begehbare Installation erinnert von außen an einen Schiffsbug und dank Wendeltreppe und erzwungenem Herumknäulen in engen Wohnräumen an Gregor Schneiders Beitrag „Totes Haus u r“ im Jahr 2001.
Der zweite Sprung führt in eine utopische Zukunft. Yael Bartana beordert uns ins virtuelle Raumschiff der Erlösung vor dem Hintergrund jüdischer Anstöße der Kabbala. Doch das Aufeinandertreffen von Muslim und Jüdin allein genügt der türkischstämmigen Kuratorin aus Baden-Baden: Çağla Ilk, als Setzung nicht. Bombastische Musik pusht Emotionen im blauschwarzen Dämmer: große Oper. Ilk ist Dramaturgin. Das schimmert durch.
Der Pavillon wirkt überfrachtet, eine einzige künstlerische Position hätte genügt. Wieso zwingend zwei? Beide gehen mit derart viel Pathos einher, dass das Publikum überrollt wird und sich schon angesichts der räumlichen Verschachtelung: des Haus-im Haus-Prinzips, entscheiden muss, ob es der Gastarbeiterspur oder der Urzeit-Mystik-Endzeit-Schiene folgen will.
Zu den Problempavillons: Polen widmet sich eindringlich der Kriegsbetrachtung und dem Sound des Infernos, nämlich den Geschossen, die auch Zivilisten um die Ohren fliegen, und den Detonationen. Eingeladen wurde das ukrainische Kollektiv „Open Group“ mit seinen Betrachtungen des Grauens. Im Ukraine-Pavillon wiederum überrascht (Galgen-) Humor. Man habe, so Künstlerin Lia Dostlieva, viel Spaß gehabt beim Dreh mit Deutschen, die für Videoarbeiten den ukrainischen „Opfertyp“ oder das „Sexobjekt“ mimen, wie sie in Medien oder Werbung tatsächlich zum Einsatz kommen.
Die Arbeit „M(otherland)“ im Israel-Pavillon, den drei Soldaten bewachen, lässt sich durch die Glasfront ansatzweise erahnen. Während gerade bekannt geworden war, dass Ruth Patir ihn aus Solidarität mit den Hamas-Opfern nicht aufsperrt, skandierte eine erregte Menge vor dem benachbarten, vom indigenen Künstler Jeffrey Gibson bespielten US-Pavillon „From the river to the sea“. Wie Patir verweigert beim Start überraschend auch der Iran die Pavillonöffnung: ohne Begründung.
Die Kunst? Soll heute Therapeutin und Heilerin sein, aufklären und anklagen, investigativ und ein Korrektiv sein und dabei Investment bleiben. Sie fragt – früher verpönt – immerzu nach der Herkunft, verlangt, Minderheiten eine Stimme zu geben. Kurz: Sie arbeitet Kriterienkataloge ab. Das spiegelt die Biennale, die mit Adriano Pedrosa erstmals ein Lateinamerikaner leitet, deutlich.
Sie verhandelt die Ismen der Jetztzeit, vorneweg Rassismus und Kolonialismus. Während im Dogenpalast eine Schau Marco Polos Reisen nachspürt, fesselt Kanada mit Vorhängen aus sieben Millionen Glasperlen: jener Währung, mit der einst Indigene betört wurden. Kaum je zuvor präsentierte eine Biennale so dichtmaschig Stickereien, Patchwork, Perlen und bunte Bänder. Die saudische Aktivistin Manal AlDowayan liefert einen ästhetisch wie inhaltlich stimmigen Beitrag zum Empowerment der Saudi-Arabierin. Ein „Petticoat Government“ installiert Belgien mit Riesenpuppen, die bei Umzügen den Frühling einläuten. Dazu erklingt Musik, es wird getanzt. Hier blitzt kurz Lebensfreude auf jenseits kritischer Theorien, woker Selbstverpflichtungen und Manifeste. Ein Fest der Völker und freudvolle Begegnung sollte die Biennale ja auch sein dürfen, gefällt sich aber besser als gestrenge Moralpredigerin. Michael Ballack zieht es gleich zum Altstar: Willem de Kooning in der Gemäldegalerie Accademia.
Die Biennale hat derweil, obwohl sie seit einigen Jahren im regenreichen April startet und damit mehrere Wochen früher aufsperrt als in der Vergangenheit, wo sie eine Sommersensation war, die Eine-Million-Besucher-Schwelle bislang noch immer nicht geknackt. Das ist verwunderlich, bedenkt man, dass die erste Ausgabe bereits 224 000 Leute anzog. Das war im Jahr 1895. Zu diesem Zeitpunkt wusste die Menschheit noch nicht von Weltkriegen. Vielmehr beschnupperte(n) sich die Welt(en) bevorzugt auf Weltausstellungen.
Nachdem in Hamburg die Caspar David Friedrich-Ausstellung mit einem Zuschauer-Rekord von 335.000 Besuchern zum 1.April ihre Pforten schloss, setzt am 19. April 2024 die Alte Nationalgalerie in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin den Ausstellungs-Reigen anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich fort. So wird mit der Fortsetzungs-Ausstellung „Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“ vom 19. April – 4. August 2024 auch in der Alten Staatsgalerie erstmals eine große Ausstellung zum Werk des bedeutendsten Malers der deutschen Romantik gezeigt werden .
Über 60 Gemälde und 50 Zeichnungen Friedrichs aus dem In- und Ausland, darunter weltberühmte Ikonen wie das „Eismeer“, „Kreidefelsen auf Rügen“ oder der „Mönch am Meer“, werden zu sehen sein. Eine umfassende Ausstellung zu Caspar David Friedrich (1774–1840) ist gerade in Berlin überfällig, da die Nationalgalerie eine der größten Friedrich-Gemälde-Sammlungen weltweit bewahrt und da bereits zu Lebzeiten des Künstlers zahlreiche Erwerbungen und öffentliche Präsentationen in der preußischen Hauptstadt zu seinem frühen Ruhm beitrugen. Nachdem der Maler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten war, würdigte die Nationalgalerie mit der legendären „Deutschen Jahrhundertausstellung“ 1906 den Künstler mit 93 Gemälden und Zeichnungen so umfassend wie nie zuvor.
Friedrich wurde nun als herausragender Maler von Licht und Atmosphäre und als Vorreiter der Moderne gefeiert. Die Wiederentdeckung der Malerei Friedrichs, seine Bilderpaare sowie der Werkprozess und die Maltechnik des Künstlers stehen im Zentrum der Ausstellung. Anhand dieser Themen wird sowohl ein Überblick zum Leben und Wirken des Malers geboten als auch das Wesen seiner Kunst zwischen präzisem Naturstudium und romantischer Imagination anschaulich gemacht. Friedrich schuf Sehnsuchtslandschaften mit weiten Himmeln und fernen Horizonten, in denen die Unendlichkeit von Raum und Zeit spürbar wird. Seine zeitlosen Bilder regen Gedanken und Empfindungen an, deshalb sind sie bis heute so faszinierend.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Birgit Verwiebe, Kuratorin für Malerei, Alte Nationalgalerie.
Während die Meister der Malerei wie da Vinci, Rembrandt, Monet, van Gogh oder Vermeer jedem ein Begriff sein dürften, ist das bei den Meisterinnen der Kunst keineswegs so selbstverständlich. Berühmte Namen wie Artemisia Gentileschi, Elisebtta Sirani, Elisabeth Vigée-Le Brun, Mary Cassatt und viele andere waren in der Kunstgeschichte abhanden gekommen. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck will das ändern und rückt in einer fulminanten Ausstellung vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 die in Vergessenheit geratene Leistung der „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“ ins Rampenlicht. Das arp-museum folgt damit dem Trend im Kunstbetrieb, durch die Präsentation von Kunst von Frauen neue Impulse anzustoßen.
Die arp-Ausstellung ist dabei selbst für Kenner eine Bereicherung und zum Besuch sehr zu empfehlen. Sie zeigt den künstlerischen Beitrag von Frauen zur Geschichte der Malerei in einem weitumspannenden europäischen Fokus vom Mittelalter bis zur Moderne. Dabei werden in Kooperation mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid 68 Werke von 51 hochkarätigen Malerinnen aus bedeutenden europäischen Museen und Privatsammlungen präsentiert. Der Reigen der Maestras wird in der arp-Schau noch durch neun weitere außergewöhnliche Meisterinnen der Malerei ergänzt, darunter so bedeutende wie Hildegard von Bingen und Gisela von Kerssenbrock, Plautilla Nelli und Sofonisba Anguissola, Maddalena Corvina und Michaelina Wautier, Marie-Victoire Lemoine und Marie-Gabrielle Capet, Rosalba Carriera und Anna Dorothea Therbusch.
Die auch didaktisch beispielhaft gelungen strukturierte Ausstellung führt die Besucher chronologisch in fünf Kapiteln durch die Schau: Begonnen wird im Mittelalter, gefolgt von Renaissance und Barock. Kapitel 2 widmet sich Künstlerinnen im Rokoko und zur Zeit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. In einem davon abgeteilten sogenannten Kabinett, Kapitel 3, werden einzigartige Stillleben von 1600 bis 1800 dargeboten. In Raum 4 können wichtige Vertreterinnen des 19. Jahrhunderts besichtigt werden, von wo aus man schließlich fließend im Raum 5 „Moderne und Avantgarde“, dem Höhepunkt der Schau, gelangt.
Der betrachtende Blick ginge immer von der Moderne aus, denn „wir fragen von heute aus: Was haben diese 51 wunderbaren Frauen gemeinsam, und wo waren sie in ihrer Zeit individuell, oder wo sprechen sie auch für ihre Generation?“, so Arp-Direktorin Dr. Julia Wallner. Gemeinsam sei allen Künstlerinnen, so Dr. Wallner, dass sie „sehr selbstbewusst eine selbständige Geschichte erzählen, eine freie Geschichte auch, eine mutige Geschichte, eine visionäre Geschichte“.
Das Museum Thyssen-Bornemisza entwickelte, begleitet von einem universitären Forschungsprojekt um Rocío de la Villa, die Übersichtsschau zu Frauen in der Kunst im vormodernen Europa mit einem europäischen Fokus auf 1000 Jahre Kunstgeschichte. Entsprechend startet, wie gesagt, diese Ausstellung im Mittelalter mit Hildegard von Bingen. Diese habe nicht nur mit ihrer naturwissenschaftlichen Forschung, sondern auch mit ihren medizinisch-theologischen Schriften, mit ihrer Funktion als Vorsteherin eines Klosters, und eben damit auch als Vorsteherin einer Frauengemeinschaft, wesentliches zur Geschichte der Frauen beigetragen, erklärt Dr. Wallner beim Presserundgang. In ihren kosmisch-visionären Vorstellungen erträumte Hildegard von Bingen bereits eine Einheit des Kosmos, die es bis heute nicht gäbe, und die Ordensfrau ging auch Fragen nach, ob die Gottesebenbildlichkeit nicht auch sowohl eine Frau als auch ein Mann betreffen könne. Das sei doch „etwas, was ich aus heutiger Sicht als einen feministischen Gedanken begreife“, so Dr. Wallner.
1. „Zwischen Licht und Schatten 1200-1700“
Im Ruppertsberg-Kodex „Liber Scivias“ um 1175 n.Chr. hat Hildegard von Bingen ihre Visionen niedergelegt. Aufgeschlagen ist in der Ausstellung die Illustration des „allumfassenden Weltalls“. Von Bingens zahlreiche Visionen wurden von Nonnen ihres Skriptoriums meisterhaft visualisiert und maltechnisch aufwändig umgesetzt. Diese künstlerische Tradition der Buchmalerei wurde fortgeführt. Und da die meisterhaft malenden Nonnen im Kloster Ruppertsberg ( Bingen-Kempten) 1930 eine Kopie von Hildegards Ruppertsberg-Kodex anfertigten, ist dieser in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben. Das Original ist seit dem 2. Weltkrieg verschollen.
Ein weiteres Ausstellungs-Highlight ist auch der Codex-Gisle, ein als Faksimile vorliegendes großformatiges Gesangbuch des Mittelalters, welches die Zisterziensernonne, Chormeisterin und Malerin Gisela von Kerssenbrock um 1300 n. Chr. für das Zisterzienser-Konvent von Rulle, Osnabrück meisterhaft anfertigte.
Die Nonne Plautilla Nelli war Bindeglied zwischen weiblicher Kloster- und Renaissancemalerei
Seitlich oberhalb des Codex-Gisle finden Betrachter das Andachtsbild „Madonna und Kind mit Heiligem Dominikus“ um 1550 / 1574 der Nonne Plautilla Nelli. Das Besonders ihrer Person besteht auch darin, dass Plautilla Nelli als Nonne und Malerin ein wichtiges „Bindeglied“ zwischen der Klostermalerei und den großen weltlichen Maestras der Renaissance-Malerei in der Kunstgeschichte darstellt, erklärt Dr. Susanne Dr. Blöcker, Kuratorin der Ausstellung. Denn Plautilla Nelli malte nicht nur solche kleinen Andachtsbildchen. Berühmt wurde sie, so Dr. Blöcker, „durch ein sieben Meter langes und zwei Meter hohes Altarbild, ein Abendmahl, was in ihrem Kloster im Refektorium hing. Damit machte sie quasi Leonardo da Vinci Konkurrenz“, so Dr. Blöcker. Plautilla Nelli war in ihrer Zeit eine vielbeachtete, selbstbewusste und sehr freie Maestra, die viele Kunden „auch in weltlichen Zirkeln“ hatte. Sie wurde vom größten Kunstkritiker der Renaissance, Giorgio Vasari, als „große Maestra“ hochgelobt. Vasari, selbst ein Maler, Architekt und Schriftsteller, unterschied nicht, männlich oder weiblich, sondern ihn interessierte nur, ob gut oder schlecht, und Plautilla Nelli war absolute Spitze.
Renaissance-Meisterin Lavinia Fontana
Während der italienischen Renaissance traten viele weltliche Malerinnen des Mittelalters aus den Schatten der Werkstätten ihrer Väter und Brüder und agierten oft sehr selbstbestimmt als anerkannte erfolgreiche Malerinnen. Biblische Heldinnen dominieren dabei, dem Zeitgeist geschuldet, die Themen ihrer Werke. Große Maestras wie Lavinia Fontana und Fede Galizia inszenierten sich dabei gerne in dramatischer Pose, etwa in der gewalttätigen männermordenden Szene als „Judith und Holofernes“. Judith hat Holofernes gerade frisch geköpft und serviert ihn mit einem ein wenig stolz verschmitzten siegesgewissen Gesichtsausdruck auf einem Teller. Da stellt sich natürlich die Frage, wer sich so etwas an die Wand hing. Bei Lavinia Fontana wissen wir nicht so recht, ob die „Judith“ vielleicht ihre Mäzenin, also diejenige war, der damals der Palazzo Davia Bargellini in Bologna gehörte, wo das Bild heute noch hängt, fragt sich Dr. Blöcker. Es könne sich aber auch um ein Selbstportrait von Lavinia Fontana handeln, so wie ihre berühmte Künstlerkollegin Artemisia Gentileschi uns überliefert hat, so die Kuratorin.
Fontanas Mann musste ihr den Rücken freihalten
Besonders interessant sei hinsichtlich der Emanzipationsfrage auch ein Blick in Lavinia Fontanas Biographie, so Dr. Blöcker. Diese habe nämlich bei ihrer „Heirat einen knallharten Ehevertrag aufgesetzt. ‚Sie ist die Alleinverdienerin, Ihr Mann hat für die Kindererziehung zu sorgen und für das Geld, also für die Regelung der Finanzen‘.“, zitiert Dr. Blöcker. Beide Eheleute waren Maler, ihr Mann ausgebildet bei ihrem Vater, jedoch weniger talentiert als sie, was logischerweise für das Ehepaar bedeutete, dass sie als Besserverdienende das Geld hereinholte, und der Herr Gatte ihr dafür den Rücken freizuhalten hatte. „11 Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, und trotzdem war Lavinia Fontana in ganz Europa aktiv. Sie war angesehen und wurde nicht in irgendeiner Weise verfemt“ so Dr. Blöcker. „In ihrer Zeit, im frühen 17. Jhd. war es Gang und gäbe, dass Frauen sehr emanzipiert waren, sehr eigenständig arbeiten konnten, und man sie auch ließ“.
Das besondere freie Klima Bolognas
In diesem kulturellen Klima Italiens, in dem diese Maestras groß wurden, gab es in Bologna, so Dr. Blöcker, „eine Art Benimm-Buch „Il Libro del Cortegiano“ der höfischen Gesellschaft, in dem unter anderem bestimmt wurde: „Frauen sollen die gleiche Erziehung genießen wie Männer. Sie sollen breitest gebildet sein. Sie sollen natürlich Latein und Griechisch beherrschen. Sie sollen musikalisch gebildet sein. Sie sollen die Kunst können“, zitiert die Kuratorin. Und erkannte man dann ein malerisches Talent, so Dr. Blöcker, „dann hat man es gefördert. Es war einfach opportun, wenn man gesellschaftlich anerkannt sein wollte in Bologna.
In Bologna, wo Lavinia Fontana lebte, „gab es seit dem 14. Jahrhundert ganz selbstverständlich Frauen an der Universität als Lehrerinnen, als Professorinnen. Das ist ein sehr freiheitliches frauenfreundliches Klima gewesen, und dank dieses Klimas konnten diese Malerinnen natürlich auch sehr großes Maestras werden“, schaut Dr. Blöcker begeistert auf diese Zeit in der Kunstgeschichte zurück, als es noch neben den großen Meistern – gleichberechtigt – Meisterinnen in der Malerei gab.
„Ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist“
Artemisia Gentileschi, zitiert mit dem Satz „Ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist“, ist vertreten mit der „Büßenden Maria Magdalena, die „in sich ruhend, sehr vertieft und vergeistigt ist – aber sogleich kommt hier schon diese Energiegeladenheit dieser großen Maestra durch“, analysiert Dr. Blöcker. Artemisia Gentileschi, war trotz ihres einerseits schweren Schicksals eine herausragende gefeierte Künstlerin gewesen.
Auch weitere Malerinnen, etwa Sofonisba Anguissola, brillierten durch ihre starke Ausdrucksformen und klare Formensprache. Insbesondere das Wunderkind Elisabetta Sirani legte eine Maler-Karriere hin, die selbst für das damalige freie Bologna einzigartig war.
Sirani war der weibliche Guido Reni – nur weiß das heute niemand mehr
Elisabetta Sirani, am 8. Jan. 1638 geboren, wurde schon sehr früh ein Maler-Star, zu der schließlich die Touristen pilgerten, um ihr beim Malen zuzuschauen. Sie hatte sogar eine eigene Malakademie „für Frauen gegründet, damit diese eben ihren Fähigkeiten entsprechend besonders gefördert würden. Elisabetta Sirani war nach Guido Reni der große Kunststar in Bologna. Als Reni tot war, war sie da“, erzählt Dr. Blöcker. Sirani sei eines der vielen Wunderkinder gewesen, „die uns hierum an den Wänden ihre Bilder zeigen“. Diese Mädchen wurden ab dem 9., 10. Lebensjahr, „wenn sie dieses Malertalent nun hatten, gefördert“, so Dr. Blöcker. Elisabetta Sirani sei ein sehr gutes Beispiel dafür. Sie war universaltalentiert, auch sehr musikalisch; das beweist sie mit diesem Bild „Allegorie der Musik“, wahrscheinlich ein Selbstporträt, welches sie ihrem Musiklehrer Peter schenkte, erklärt die Kuratorin die Zusammenhänge.
Als Elisabetta Sirani viel zu früh im Alter von 27, 28 Jahren an den Folgen ihres exzessiven kräftezehrenden Malens an einem perforierten Magengeschwür verstarb, „hatte man Hymnen auf sie gedichtet, einen acht Meter hohen Katafalk durch Bologna geschleppt, der auf dem Grab aufgestellt wurde, und an dem man dann eigens neu gedichtete Lieder sang, erzählt Dr. Blöcker. Elisabetta Sirani wurde dort beerdigt, wo Guido Reni lag, in der Cappella Guidotti (der Kirche San Domenico) . Dort durfte seitdem in seinem Grab nur eine beerdigt werden, und das ist sie, Elisabetta Sirani“, erläutert Dr. Blöcker. Sie wolle an dieser Historie einmal mehr zeigen, „welche Berühmtheit die Sirani in ihrer Zeit hatte, wie anerkannt sie war, und das es keine Rolle spielte, ob sie eine Frau oder ein Mann war. Sie war einfach gut. Und dennoch ist sie vergessen worden. Das wundert“, resümiert Dr. Blöcker. Umso wichtiger sind solche Ausstellungen wie die „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“ oder auch andere, wie neulich „Geniale Frauen“ in im Bucerius Kunstforum, Hamburg, die helfen, vergessene Malerinnen wieder ins kulturelle Bewusstsein zu bringen.
2. Vive l’esprit- ein Hauch von Freiheit 1700-1800
Wenn sie sich eine Zeit aussuchen dürfte, in der sie gerne als Künstlerin gelebt hätte, wäre es wohl das 18. Jahrhundert, schwärmt Dr. Blöcker. Da saßen überall in ganz Europa nicht nur die großen Herrscherinnen wie Maria Theresia, Katharina von Russland oder Marie Antoinette an der Spitze, vielmehr gab es auch eine große Debattierkultur, mit Debattierzirkeln, an deren Spitze eine Salonnière stand. Das waren zumeist sehr vermögende Frauen, in der Regel aus dem Adel stammend, mit besten Kontakten. „Sie förderten natürlich auch weibliche Maltalente wie etwa Elisabeth Vigee-Le Brun, die von Königin Marie-Antoinette sehr stark mit Aufträgen unterstützt wurde“, so Dr. Böcker. Gleichzeitig war das 18. Jahrhundert eine Epoche gewaltiger sozialer Umbrüche, in dem überkommene Traditionen und Hierarchien in Frage gestellt oder gleich abgeschafft wurden.
Aus dieser Epoche präsentiert die Ausstellung hochkarätige Werke, darunter Pastelle der Venezianerin Rosalba Carriera, die die Leichtigkeit und Lebendigkeit des höfischen Rokokos verkörpern, oder das legendäre Gemälde „Lady Hamilton als Bacchantin“ der bereits erwähnten Französin Elisabeth Vigée-Le Brun (s.oben). Sie musste, nachdem ihr eine Affäre angedichtet und ihre Mäzenin Marie Antoinette in den Wirren der Revolution enthauptet worden war, durch halb Europa flüchten. Vigée-Le Brun reiste bis nach Rom in der Hoffnung, Ersatz für ihre verlorene Mäzenin und Auftraggeber zu finden. Sie besuchte auch die von ihr sehr bewunderte Angelika Kauffmann, bevor sie sich schließlich für mehrere Jahre in Russland niederließ. Erst im Alter konnte sie wieder nach Paris zurückkehren. Eines ihrer wohl schönsten, vielleicht auch eines ihrer sinnlichsten Werke ist das zwischen 1790 und 1792 entstandene Portrait „Lady Hamilton als Bacchantin“.
Angelika Kauffmann
Angelika Kauffmanns Werke, drei davon sind in der Ausstellung zu sehen, werden im Vergleich zu Vigée-Le Bruns Bildern eher noch bestimmt von den großen Helden und Heldinnen des Altertums. Das mag dran liegen, dass Kauffmann in Rom eng mit dem Altertumsforscher und Begründer der modernen Archäologie Johann Joachim Winckelmann zusammenarbeitete, den sie bereits im jungen Alter von 22 Jahren kennenlernen und portraitieren durfte. Winckelmann, um den im 18. Jahrhundert niemand herumkam, wenn er als Künstler in Europa Karriere machen wollte, verhalf Kauffmann zu vielen besten Kontakten. „Angelika Kauffmann war neben Winkelmann die Perfektion des Klassizismus“, so Dr. Blöcker. Angelika Kauffmann wurde so erfolgreich, dass sie in Rom auf dem Pincio-Hügel eine Villa bewohnen konnte. Sie unterhielt dort einen eigenen Salon. Selbst Goethe war angetan von ihr, die er zweimal besuchte. Viele Künstler fanden in der Hoffnung auf Unterstützung zu ihr, darunter auch, wie erwähnt, die berühmte Malerin Elisabeth Vigée-Le Brun. Sie war eine Bewundererin Kauffmanns.
Kauffmann verdiente nicht nur an Gemälden, sondern auch an ihren Radierungen. Besonders gefragt und ein Longseller war eine Radierung des Portraits von Winckelmann nach dessen gewaltsamen Tod. Kauffmann verlies Rom. Sie ging nach London zu ihrem langjährigen Freund Joschua Reynolds, einer der einflussreichsten englischen Künstler der damaligen Zeit. Der Kontakt kam einst über Winckelmann zustande. Reynolds hatte die Royal Academy of Arts in London gegründet. Angelika Kauffmann wurde das erste weibliche Mitglied. Zusammen mit Marry Rosa waren sie die ersten beiden weiblichen Mitglieder überhaupt, danach kam lange nichts mehr, schildert Dr. Blöcker die damalige Situation. Zu dieser Zeit agierten diese Maestras wie die großen Männer ihrer Zeit: Sie waren beruflich relativ unabhängig, trafen eigene Entscheidungen, trugen selbst die Verantwortung für ihr Handeln, und waren in ganz Europa entsprechend bekannt. Sie wurden von vielen Menschen umworben. Später gerieten viele dieser Maestras in Vergessenheit.
3. Naturforscherinnen 1600-1800
Im „hinteren Kabinett“, Kapitel 3 der Ausstellung, befinden sich wahre Bilder-Schätze. „Eines der ersten Stillleben, ein Stillleben der Malereigeschichte überhaupt, wurde von einer Frau gemacht: Fede Galizia (1578 Mailand -1630), die in der Ausstellung vertreten ist“, freut sich Arp-Direktorin Dr. Wallner. Es sei ein wunderbares, sehr reduziertes, sehr präzises Stück, bei dem man eben ihre genaue Beobachtungsgabe sehe, ein Werk, was aber in seiner Reduktion auf zwei Obstsorten auch eine moderne Ausstrahlung habe, „so ganz außergewöhnlich, in eben dieser Klarheit und auch der Formensprache.“
Etwas Besonderes ist Orsola Maddalena Cacciadas (1596 – ca. 1676) „Stillleben mit Vögeln“. Es bezeugt in wissenschaftlicher Genauigkeit, wie vor über 300 Jahren Sumpfmeisen, Zilpzalp, Buchfinken, Blaumeisen, Goldammer, Kiebitze und Kohlmeisen ausgesehen haben.
Zu den Highlights weiblicher Stilllebenmalerei gehört aber insbesondere Gionanna Garzonis „Stillleben mit Kirschen auf einem Teller, Bohnenschoten und einer Holzbiene“ (ca. 1642 – 51, siehe oben). „Jede der Kirschen ist Punkt für Punkt mit der Feder gemalt, das was die Pointillisten nachher getan haben. Und dadurch lebt sie eben auch so stark. Die Kirschen sehen immer noch knackig aus nach über 300 Jahren. Und die Holzbiene scheint immer noch da umher zu schwirren“, ist Dr. Böcker entzückt über die erhalten gebliebene grandiose Farbwirkung.
Es ist kein Zufall, dass Frauen die hohe Kunst des Stilllebenmalens besonders gut beherrschten. Denn Künstlerinnen war es verwehrt, wie Männer Aktstudien zu betreiben. Es galt als unschicklich, wenn Frauen einen nackten Mann malten. So widmeten sich etliche Frauen verstärkt dem Studium von Pflanzen und Insekten. „Mit feinstem Pinseln wussten sie Blattäderchen, perlende Wassertropfen und verwelkende Tulpenblätter präzise darzustellen“, so Dr. Blöcker, und sie mussten hierzu nicht mal die eigenen vier Wände und Grenzen ihres Gartens verlassen.
Blütenstillleben waren die Bestseller ihrer Zeit
Allerdings war der heimische Horizont vielen Barockmalerinnen schon bald zu wenig. So tourte beispielsweise die bekannte Künstlerin Giovanna Garzoni mit ihren beliebten Früchtestillleben im Gepäck durch ganz Italien. „Es hieß: ihre Kunden würden für ein Früchtestillleben von ihrer Hand jedweden Preis zahlen.“ (Begleitkatalog 2024, S. 67). und sie fand gute Abnehmer.
Die holländische Malerin Rachel Ruysch, aufgewachsen inmitten der Blumenpracht des vom Vater geleiteten Botanischen Gartens in Amsterdams, spezialisierte sich auf Blumenstillleben. Damit verdiente sie bald mehr als die – heute als alte holländische Meister geltenden einstigen Malerfürsten. Während Rembrandt beispielsweise für ein Historien-Gemälde etwa 500 Gulden bekam, erzielten Rachel Ruyschs Blumenstillleben mit bis zu 1200 Gulden über das Doppelte. Rachel Ruyschs Weg führt schließlich von Amsterdam in die damals „weite Welt“, hinaus bis nach Düsseldorf, wo sie schließlich sogar als Hofmalerin in die Dienste des Kurfürsten von der Pfalz berufen wurde und über ein stetiges Einkommen verfügte.
Ihre Erfolge und die Popularität der Blumenstillleben verhalf den Stilllebenmalerinnen zu einer vormals nie gekannten öffentlichen Beachtung und Wertschätzung. So wurden Silllebenmalerinnen vermehrt in Malergilden aufgenommen, vier wurden sogar Mitglieder in der 1648 gegründeten Pariser Kunstakademie. Auch weitere Stilllebenmalerinnen, etwa Anne Vallayer-Coster, zählten im 18. Jahrhundert zur absoluten Kunstelite Frankreichs. Diese Entwicklung sei auch deswegen erstaunlich gewesen, so Dr. Blöcker, „weil Stillleben eher als eine niedrigere Kunst-Gattung galt“.
Maria Sibylla Merian
Am bekanntesten dürfte bis heute Maria Sibylla Merian sein als Naturforscherin und (wissenschaftliche) Zeichnerin und Malerin, die es bis nach Suriname (nördlich von Brasilien) trieb, um die exotische Flora und Fauna zu studieren und sie durch ihre Kunst zu dokumentieren. Ihr großes Interesse galt dem Wachstum und der Metamorphose von Pflanzen und Insekten. Besucher können in dem ausgelegten Faksimile-Band „Metamorphosis insectorum Surinamensium, 1719″ durch Merians Großformate blättern und die bis ins kleinste Detail hinein, wunderbar ausgearbeiteten und aquarellierten Pflanzen- und Insektenstudien neu entdecken.
4. Rollen und Klischees 1800-1900
Mit Ende des 18. Jahrhunderts änderten sich aufgrund verschiedener Umstände die Zeiten und damit die Freiheit von Frauen, sich wie bisher künstlerisch relativ uneingeschränkt entfalten zu können. Die neue Zeit des angehenden 19. Jahrhunderts zeigt sich an ihren Werken, in denen allmählich verstärkt Motive aus für Frauen meist eingeengteren Lebensumfeldern dominieren. Solche Werke sind im Kapitel 4 der Ausstellung versammelt, unter anderem von: Helene Schjerfbeck und Elin DanielsonGambogi, Marie-Victoire Lemoine und Mary Cassatt, Marie-Louise Petiet und Elofsa Garnele sowie Annie Louisa Swynnerton.
Einen wesentlichen Anteil für den zeitgeistlichen Wandel hatten sicher auch Jean-Jacques Rousseaus Schriften zur Aufklärung, die über Europa hinaus großen Einfluss erlangten, insbesondere auf die Vorstellung von Familie, Geschlechterrollen und Kindererziehung. „Im Fokus der Reformer dieser Zeit“, so Dr. Blöcker, „stand nun die Kernfamilie“. Es galt „zur Sicherung von Zukunft und Fortschritt diese Kernfamilie zu reformieren. Man wollte gesunde Mitglieder der Gesellschaft. Das bedeutete: Frauen hatten keine Amme mehr, sondern sie haben ihre Kinder selbst gestillt“, so Dr. Blöcker. Dies sei vorher – zumindest in der Oberschicht – nicht üblich gewesen. Wer sich eine Amme leisten konnte, hatte nicht selbst gestillt. Für berufstätige Künstlerinnen hieß das beispielsweise, dass sie dann eher in der frühkindlichen Erziehungspause zu Hause blieben. Die frühkindliche Phase hatte Rousseau bis zum 4. Lebensjahr propagiert, ebenso, dass die Erziehung Sache der Frau sei.
Die Frau war seither also „gesellschaftlich stärker fixiert auf das Haus, und wenn man dann für den Künstlerberuf sich entschied, hat man in erster Linie zuhause gearbeitet, und das malerisch geschildert, was einem in diesen engen vier Wänden und vielleicht beim Spaziergang im Park begegnete. Es waren die klassischen Aufgabenfelder und Rollenbilder meist bürgerlicher Frauen, die im künstlerischen Fokus von Malerinnen wie Marie-Victoire Lemoine und Mary Cassatt standen: Mutterliebe und Hausarbeit bestimmten großflächig die Leinwand.“ analysiert Dr. Blöcker.
Infolge dieser Entwicklungen fanden Künstlerinnen im 19. Jahrhundert schwerlich Aufnahme in Akademien, und mussten, wie etwa Helene Schjerfbeck und Elin Danielson Gambogi auf private Kunstschulen wie Colarossi und Julian in Paris ausweichen.
Obwohl die Verhältnisse, als Künstler zu reüssieren, sich im 19. Jahrhundert verschlechtert hatten, drängten jedoch gleichzeitig auch immer mehr Frauen in den Kunstbetrieb, der erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den Jahren der Gründerzeit dank neuer, durch ihre Unternehmen oftmals wohlhabend gewordene Auftraggeber (entstehender Industrie- und Geld-Adel) Künstlern neue Chancen bot. Ausnahmekünstlerinnen wie Marie-Louise Petiet und Elofsa Garnele gelang es gar, an den Salon- und Weltausstellungen teilzunehmen.
Solche Erfolge weiblicher Künstler waren aber eher die absolute Ausnahmen. Es bildeten sich Gegenbewegungen. Auch Annie Louisa Swynnerton war Mitglied in der Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien entstandenen Suffragetten-Bewegung. Sie kämpfte für eine bessere Ausbildung von Künstlerinnen. Ihr selbst gelang es dabei sogar, nach 100 Jahren als erstes weibliches Mitglied in die Royal Academy of arts London aufgenommen zu werden.
5. Moderne und Avantgarde 1900-1940
In der 5. Sektion der Ausstellung finden Betrachter Werke von Künstlerinnen, die zeigen, wie sehr sich doch im 20. Jahrhundert die Künste aus ihren engen geschlechtsspezifischen Schranken befreien konnten. Erstmals erscheinen zu dieser Zeit „auch zahlreiche weibliche Namen in den Ausstellungslisten von Museen, Galerien und in den Rezensionen der sich rasch verbreitenden Kunstzeitschriften“, erläutert Dr. Wallner. Die hier mit ihren Arbeiten präsentierten Frauen gehören zu den herausragenden Künstlerinnen ihrer Epoche, darunter Suzanne Valadon, Marfa Blanchard, Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz, Marianne Werefkin, Gabriele Münter, Sophie Taeuber und Sonia Delaunay. Die meisten von ihnen lebten zeitweise in Paris, dem Zentrum der Modernen Kunst. Viele waren aktiv in einflussreichen Künstlervereinigungen.
Mit Suzanne Valadon sei eine französische Malerin vertreten, „die zunächst als Modell in die Kunstgeschichte Einzug hielt, und die vor allem als uneheliche Tochter einer Wäscherin wirklich nicht die Eingangsvoraussetzungen hatte, die man sich für eine künstlerische Laufbahn auch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert noch vorstellte, die es aber trotzdem eben geschafft hat, vom Modell sich selbst als Künstlerin zu ermächtigen“, erzählt Dr. Wallner. Einer ihrer großen Förderer war Édouard Manet. Das sei etwas, „was sich durchzieht, da wir in aller Regel immer wissen, welche Männer, welche Hände und schützende Worte über die Frauen gehalten haben.“ Valdons Bild „Marie Coca und ihre Töchter Cilberte“ (1913) sei eine eindrucksvolle, fast schon sachliche Darstellung von dieser Mutter mit ihrer Tochter. Dieses Werk ginge beinahe bereits stilistisch „in Richtung neue Sachlichkeit mit diesen maskenhaften Oberflächen und diesem Interieur, das uns entgegenkommt“, so Dr. Wallner.
Viele der hier gezeigten Künstlerinnen fanden wie Sonia Delaunay und Sophie Taeuber zu einer neuen, eher radikal abstrakten Bildsprache. Sie beschäftigten sich auch intensiv mit Mode, wie in Sonia Delaunays „Simultane Gewänder“ (1925), ein Werk, welches auch das Plakat dieser rundherum gelungenen Ausstellung schmückt. Hierauf zu sehen sind drei Frauen. Diese hat Delaunay in ihrer abstrakten Formensprache ganz flächig und farbkräftig dargestellt und ins Bild gesetzt sind. Es sei „eines der wirklichen Highlights nochmal am Schluss der Ausstellung“, findet die arp-Direktorin ganz zu recht.
(Dokumentation Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Katalog
Der sehr empfehlenswerte Ausstellungskatalog „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900″ (deutsch, 231 Seiten, 42 Euro) enthält neben einem Vorwort von Julia Wallner, Grußworte von Guillermo Solana und Christian Schneider, Texte zu den Ausstellungskapiteln und Exponaten von Astrid von Asten, Susanne Blöcker, Marianne Gechter, Loana Oyeniran, Helene von Saldern, Julia Wallner, Joelle Warmbrunn sowie einen Aufsatz der Forschungsprojektleiterin Rocfo de la Villa.
Ort:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 – 53424 Remagen
Tel. +49(0) 22 28 94 25 info@arpmuseum.org arpmuseum.org
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 -18 Uhr
Dienstags für angemeldete Gruppen ab 9 Uhr