Kategorie-Archiv: Deutsches Romantik-Museum Frankfurt

„Als der Wald wunderbar wurde“ – Drei Museen präsentieren ab 16.03.24 die Drei-Wälder-Schau: „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“

waelder - 16 03 -11 08 24-wDes Menschen Waldsehnsucht, seine Liebe und  wachsende  Sorge um die Natur sind keine Erfindungen heutiger Ökobewegungen, sondern  haben ihre geistigen Wurzeln in der Epoche der Romantik um 1800. Wie  sich seither unser Verhältnis zur Natur weiterentwickelt hat und wie die zahlreichen Facetten des einst neuen Naturverständnisses  damals und heute miteinander zusammenhängen,  zeigt  vom 16. März bis 11. August 2024   erstmals umfassend die Ausstellung:  „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“. 

Diese große Drei-Wälder-Schau ist ein  Gemeinschaftsprojekt  vom  Deutschen Romantik-Museum, Senckenberg Museum  und Museum Sinclair-Haus. Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich die Ausstellungsmacherinnen Anne Bohnenkamp-Renken, Brigitte Franzen, Kathrin Meyer und Nicola Lepp (Kuratorische Gesamtleitung) kompetent und fantasievoll diesem  komplexen wie emotional aufgeladenen Thema. Ein Begleitprogramm  mit Naturexkursionen, Wanderungen, Vorträgen sowie Vorort-Aktionen, lädt dazu ein Natur neu zu erfahren.

Deutsches Romantik-Museum

Entsprechend des Ursprungs heutiger   Natur- und Klimaschutz- Bewegungen  beginnt die Sonderausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 logischerweise im Deutschen Romantik-Museum.   Mit einem Fokus auf die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis zur Gegenwart werden hier die ersten sechs Kapitel erzählt, wie:   „Natur als Subjekt Wald als Du“, „Der ganze Wald“, „Waldumbau“, „Waldumbau (tierlich)“, „Der Wald von Nahem“ sowie „Rechte des Waldes“.

Die Entdeckung der Natur als Subjekt – Wald als Du

Von Alexander von Humboldt (1769 - 1859)  ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat. Er ist mit dem Naturphilosophen Friedrich Schelling ein  Vater des modernen ökologischen Bewusstseins: "Die Natur muss gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Tiere zergliedern, er wird Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein", Brief von Humboldt an Goethe vom 3.01.1810. Bild: Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern. Ein Naturgemälde der Anden, 1807, © Foto Diether von Goddenthow
Von Alexander von Humboldt (1769 – 1859) ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat. Er ist mit dem Naturphilosophen Friedrich Schelling ein Vater des modernen ökologischen Bewusstseins: „Die Natur muss gefühlt werden, wer nur sieht und abstrahiert, kann ein Menschenalter, im Lebensgedränge der glühenden Tropenwelt, Pflanzen und Tiere zergliedern, er wird Natur zu beschreiben glauben, ihr selbst aber ewig fremd sein“, Brief von Humboldt an Goethe vom 3.01.1810. Bild: Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern. Ein Naturgemälde der Anden, 1807, © Foto Diether von Goddenthow

Den Ursprung des Paradigmenwechsels im 18. Jahrhundert,  die Natur jetzt auch verstärkt in ihren Wechselwirkungen als Verflechtungsgeschichte zu begreifen, wird  in  der eher  unscheinbar wirkenden Prolog-Vitrine der Ausstellung aufgegriffen, unter anderem mit einem Original-Exemplar der Naturphilosophie von Friedrich Schelling: „Ideen zu einer Philosophie der Natur“, die 1797 erscheint. Schelling formuliert diesen sehr wichtigen Gedanken, dass die Natur nicht als ein Objekt zu denken ist, welches dem Menschen gegenübersteht, sondern dass die Natur ein Subjekt ist, in das der Mensch sozusagen eingelassen ist. Als einer  bedeutenden Denker seiner Zeit  Schelling als einer der ersten die Natur  als eigenständig fühlendes Wesen. Das war revolutionär und ein Affront gegen die – den Primat der Vernunft hochhaltenden – Aufklärung eines Immanuel Kant. „Also wir haben einen fundamentalen Perspektivenwechsel, der auch das aufklärerische Naturverhältnis auf eine besondere Weise konterkariert“, erklärt Kuratorin Nicola Lepp. Die Schelling‘sche Naturphilosophie inspiriert romantische Schriftsteller, Denker, Naturforscher in der Zeit in besonderer Weise, dass nämlich nur in dieser gegenseitigen Bezogenheit dieser unterschiedlichen Erkenntniskräfte Welt und Natur erkannt werden könne.

Prolog-Vitrine mit Günderodes Skizze, Goethes Papptetraeder u. Schellings Werk Naturphilosophie. © Foto Diether von Goddenthow
Prolog-Vitrine mit Günderodes Skizze, Goethes Papptetraeder u. Schellings Werk Naturphilosophie. © Foto D. von Goddenthow

Zwei weitere, erst auf den zweiten Blick  spektakuläre  Exponate  zeigen, wie sehr der romantische Ansatz, Natur anders zu denken, von Schriftstellern und Künstlern im Übergang ins 19. Jahrhundert aufgesogen wurde.  Wir finden hier neben Schellings Werk eine kleine Skizze der Romantik-Schriftstellerin Caroline von Günderode. Sie hatte sich um 1800, angelehnt an Schellings Naturphilosophie, mit der Frage befasst, welche geistigen und welche Erkenntnisvermögen wir eigentlich brauchen, um unsere Welt zu erkennen. Und da spielen eben solche – im heutigen Zeitgeist ganz selbstverständlich gebrauchten – Begriffe wie Intuition, Instinkt, Sensibilität bereits schon eine wichtige Rolle, so die Kuratorin.  Die in Günderodes Schema dargestellte Dreiecksfigur verkörpere eine romantische Abkehr von den klassischen Dualismen; Objekt und Subjekt, Natur und Kultur. Günderode fügte als Drittes die „Synthese“ hinzu. Und „etwas Ähnliches“, so Nicola Lepp, „machte dann etwa knapp 20 Jahre später Johann Wolfgang von Goethe, der diese hier kleinen Papptetraeder entwirft als Sinnbild  für die vier Kräfte des menschlichen Vorstellungsvermögens: Phantasie, Sinnlichkeit, Vernunft und Verstand“. Diese stehen heute noch im Weimarer Goethemuseum auf seinem Schreibtisch. Während Kant sagt, es gäbe die Vernunft, den Verstand und die Sinnlichkeit, „besteht Goethe  darauf, dass die Phantasie als Vierte zu diesen menschlichen Vermögen, diesen Erkenntniskräften hinzugezählt werden muss“ so Nicola Lepp,

„Wälderwissen“

Nicola Lepp, kuratorische Gesamtleiterin erklärt am Bild "Chimborazo" das revolutionäres Naturbild Humboldts, der als erster die Natur als einen lebenden Organismus verstand. Er ist der Vater der Ökologie. © Foto Diether von Goddenthow
Nicola Lepp, kuratorische Gesamtleiterin erklärt am Bild „Chimborazo“ das revolutionäres Naturbild Humboldts, der als erster die Natur als einen lebenden Organismus verstand. Er ist der Vater der Ökologie. © Foto Diether von Goddenthow

Im sich anschließenden Kapitel Wälderwissen stoßen Besucher nicht wie vielleicht vermutet auf Joseph von Eichendorff, den Schriftsteller der Romantik schlechthin, sondern auf den Naturforscher und Forschungsreisenden  Alexander von Humboldt. Von Humboldt  ist der erste moderne westliche Denker, der die Natur als einen lebenden Organismus betrachtet hat, indem er aufzeigt, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, aber auch das Klima  und Böden aufeinander bezogen sind, erklärt die Kuratorin. „Humboldt, den wir heute als Vordenker der Ökologie denken können,  zeichnet den Wald  als ein natürliches Gefüge, was aber eingelassen ist in klimatische Bedingungen, biologische Bedingungen, in Bodenkultur usw“.  Zu sehen ist von Humboldts wunderbare Ölzeichnung von 1806 mit dem „Chimborazos “ in den Anden. Er gilt damals als höchster Berg der Welt galt. Diesen setzt Humboldt in ein Verhältnis zu Bergen und Natur auf der ganzen Welt, und man findet auf dem Bild sehr klein,  mit der bereit liegenden Lupe, „den Brocken im Harz, den er  zu den Anden in Beziehung gesetzt wird“, so Nicola Lepp.

Goethe malt anhand  von  Humboldt’s Beschreibung dessen Chimborazo-Bild nach. Er nennt es  jedoch „Die Höhen und Tiefen der alten und neuen Welt“. Die neue Welt  rechts, ist die Humboldt’sche Andenwelt, links davon sozusagen die westliche Welt. Während Humboldt als Naturforscher   die empirische Ebene  noch sehr stark hervorhebe,  „tritt das bei Goethe zurück, und Goethe geht stärker auf die Anschauung“.  Dieses Spannungsfeld zwischen Empirie und Anschauung sei etwas,  „was das romantische Waldverhältnis auch sehr stark prägt“,  erläutert Nicola Lepp.

Der ganze Wald

Johann Wilhelm Schirmer (1807 - 1863) schuf sein Werk "Deutscher Urwald", 1828 © Foto Diether von Goddenthow
Johann Wilhelm Schirmer (1807 – 1863) schuf sein Werk „Deutscher Urwald“, 1828 © Foto Diether von Goddenthow

In den Wäldern, die die romantischen Künstlerinnen und Künstler in Wissenschaft, Literatur, Malerei und Musik entwerfen, sind Menschen erst dann zuhause, wenn sie in sie eintauchen und sich ihnen anverwandeln. Eine solche intime Zwiesprache mit der Natur ereignet sich vorzugsweise in der „Waldeinsamkeit“: ein Wort, das der Schriftsteller Ludwig Tieck 1797 für seine Erzählung Der blonde Eckbert erfunden hat. Der Wald wird nun zu einem – wenn auch als zutiefst zwiespältig empfundenen – Sehnsuchtsraum. Die poetischen Wälder der Romantik sind nicht mehr die von Menschen gemiedenen Schreckensorte. Es sind auch nicht die von intensiver menschlicher (Ver-)Nutzung gezeichneten realen Wälder. Vielmehr ent- steht der Wald als ein Spür- und Gefühls- raum, in dem sich Verbindungen zwischen Menschen und der lebendigen Mitwelt ent- werfen und erproben lassen. Dabei verschwinden die Grenzen zwischen den verschiedenen Künsten und den Wissenschaften: Das neue Wald- und Naturbild umfasst das Denken ebenso wie das Fühlen und die Einbildungskraft.

Ausstellungsimpression mit einem Wolf als wunderbares Tierpräparat. Allerdings galt der Wolf noch zur Zeit der Romantiker als gefährlich  und bedrohlich. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungsimpression mit einem Wolf als wunderbares Tierpräparat. Allerdings galt der Wolf noch zur Zeit der Romantiker als gefährlich und bedrohlich. © Foto Diether von Goddenthow

Waldumbau

Um 1800 erreicht eine andere Beschäftigung mit dem Wald ihren Höhepunkt. Parallel zu den Suchbewegungen der Künste etabliert sich um 1800 die klassische Forstwissenschaft an staatlichen Fachschulen und Universitäten als eine eigenständige Disziplin und ordnet die Wälder neu. Wie deren poetische Gestaltung war auch diese neue Wissenschaft eine Reaktion auf den schlechten Zustand, in dem sich die Wälder in ganz Europa befanden. Eine exzessive Nutzung vor allem als Brennstoff für den Bergbau, als Viehweide und als Bauholz hatte ihnen stark zugesetzt und sie teilweise zum Verschwinden gebracht. Die bewaldete Fläche liegt in Deutschland um 1800 weit unter dem heutigen Niveau von etwa einem Drittel. Die junge Wissenschaft macht aus der Frage des Waldes eine Rechenaufgabe. Unsere heutigen Wälder sind in vielerlei Hinsicht ein Produkt dieser auf den Ertrag ausgerichteten. Holzwirtschaft – ein Ergebnis menschlichen Tuns. Die Fläche an Primärwald, also an von menschlicher Einflussnahme unberührtem Wald, liegt in Deutschland bei lediglich 0,1 Prozent der Waldfläche.

Waldumbau (tierlich)

Einer der gefürchtetsten Bewohner des Waldes ist heute der Buchdrucker, ein in Europa verbreiteter Borkenkäfer. Schon die Forstleute um 1800 hatten mit ihm ein Problem. Denn die abgestorbenen Bäume, die die Käfer hinterlassen, unterlaufen die nachhaltigen Planungen des Waldbaus und machen die Holzernte unberechenbar. Sie stören unsere Erwartung, im Wald uns selbst zu begegnen. Wälder haben schön und für uns dazu sein. Diese Einstellung hat die Romantik in unseren Köpfen verankert. Doch ob Käfer Schädlinge sind, ist eine Frage der Perspektive. Forstinsekten sind zunächst einmal Teil der Lebensgemeinschaft in den Wäldern gemäßigter Zonen. Nicht Wälder, sondern Bäume bringen sie zum Absterben. Wir können sie auch als Lehrmeister verstehen, die uns bei der dringend angezeigten Umbauarbeit der Wälder unterstützen. Die Lebensgemeinschaften, die sich auf den von ihnen bearbeiteten Flächen ansiedeln – sei es durch forstwirtschaftliche Praktiken oder durch natürliche Verjüngung – sind jedenfalls deutlich widerstandsfähiger und artenreicher als die Wälder, die sie heimsuchen.

Der Wald von Nahem

Diorama von auf Totholz lebenden Stachelbartpilzen, hergestellt von Klaus und Liese-Lotte Wechsler. Links im Hintergrund: Goethes Mikroskop /1780 - 1793), von Louis Francois Dellebarre. Es konnte bereits Objekte um das 80-fache vergrößern. Gothe nutzte es zum Studium von Kleinstlebewesen. Bereits um 1840 war es möglich, Mikroskope für eine 500-fache Vergrößerung zu bauen. © Foto Diether von Goddenthow
Diorama von auf Totholz lebenden Stachelbartpilzen, hergestellt von Klaus und Liese-Lotte Wechsler. Links im Hintergrund: Goethes Mikroskop /1780 – 1793), von Louis Francois Dellebarre. Es konnte bereits Objekte um das 80-fache vergrößern. Gothe nutzte es zum Studium von Kleinstlebewesen. Bereits um 1840 war es möglich, Mikroskope für eine 500-fache Vergrößerung zu bauen. © Foto Diether von Goddenthow

In den Mikrokosmen der Wälder, in Baumrinden, am Waldboden oder in der Erde, werden die lebendigen Austauschprozesse in der Natur besonders augenfällig. An der Grenze zwischen über- und unterirdischer Welt zeigen sich die steten Wachstums- und Zerfallsvorgänge, die jeden Wald und jedes Leben ausmachen. Vom Großen zum Kleinsten sind alle, die dort versammelt sind, unablässig im Umbau und Austausch. Die Vorstellung der Natur als eines lebendigen Gesamtorganismus, der sich im dauerhaften Wandel befindet, ist schon älter. Emphatisch gestaltet wird sie aber erst gegen Ende des 18, Jahrhunderts, als sich abzeichnet, dass sich die Fülle neuer Entdeckungen nicht mehr in der Statik mechanistischer Weltbilder abbilden lässt. Dabei setzt die Suche nach den Wechselwirkungen in der Natur ein Interesse am Konkreten voraus – am je einzelnen Standort mit seinen spezifischen Bedingungen. Dieses Interesse bildet die Voraussetzung für ein Denken, das wir heute als ökosystemisch bezeichnen.

Rechte des Waldes

DSCF6804 plakat eigentumsrechte der Natur 250 (c) diether v goddenthowDass Menschen Rechte an Wäldern beanspruchen – das Recht der Jagd, der Weide, der Holzernte oder der Erholung – ist nicht neu. Doch kann umgekehrt auch ein Wald selbst Rechte haben? „Lebendiger Wald“ nennen Angehörige des Kichwa-Volkes in Sarayaku ihren Lebensraum im Amazonas-Regenwald. Für sie ist der Mensch Teil dieses von physischen und spirituellen Wesenheiten bevölkerten Kosmos. Die Lebensrechte jener komplexen, belebten Natur – „Pachamama“ genannt – wurden 2008 in die ecuadorianische Verfassung aufgenommen. Weltweit folgen immer mehr Gesetzesinitiativen diesem Beispiel. Schon in der Romantik wurde kritisiert, dass die Elemente der Natur in unserem Rechts- und Wirtschaftssystem als bloße Objekte gelten. Die Argumente, die heute für einen Bruch mit dieser abendländischen Tradition vorgetragen werden, sind vielfältig und beziehen sich auf ethische, rechtsphilosophische, biologische und anthropologische Hintergründe. Haben sie das Zeug, den Gang der Geschichte zu verändern?

Deutsches Romantik-Museum
Großer Hirschgraben 21
60311 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 138 80-0
E-Mail: info@freies-deutsches-hochstift.de

Museum Sinclair-Haus – Als der Wald wunderbar wurde
Das Museum Sinclair Haus Bad Homburg, beteiligt sich mit den Kapiteln: In die Wälder!, Erdlebenbilder und Waldangst – Waldlust an der Drei-Wälder-Ausstellung:  Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024  © Foto Diether von Goddenthow
Das Museum Sinclair Haus Bad Homburg, beteiligt sich mit den Kapiteln: In die Wälder!, Erdlebenbilder und Waldangst – Waldlust an der Drei-Wälder-Ausstellung: Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024 © Foto Diether von Goddenthow

Das Museum Sinclair-Haus,  Bad Homburg, setzt sich schwerpunktmäßig künstlerisch mit der „Wälder-Thematik“ auseinander. Besucher  erwarten hier insgesamt drei Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ (16. März bis 11. August 2024).  Im Erdgeschoss: „In die Wälder“ und in der oberen Etage „Erdlebenbilder“ und „Waldangst – Waldlust“. Sie sollen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart öffnen helfen

In die Wälder! – Der Wald wird wunderbar

Impression der Ausstellung "Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024"  © Foto Diether von Goddenthow
Impression der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft 16. März bis 11. August 2024″ © Foto Diether von Goddenthow

Bei „In die Wälder“ geht es um den Blick, „wie wir uns quasi Wäldern sinnlich nähern, vor allen Dingen eben in den Künsten, einfach aus dem Grund, dass auch in der Romantik die Künste quasi der Raum sind, wo diese neuen Naturbilder, diese neuen Naturverständnisse experimentell durchgespielt werden können.“, erklärt Museums-Direktorin Kathrin Meyer beim Presserundgang. Wie schon Anne Bohnenkamp-Renken bei ihrer Begrüßung gesagt habe, füge die Romantik „diesem Instrumentellen, dem zweckhaften Blick oder dem wissenshungrigen Blick der Aufklärung, die Stimmung dazu. Man könnte auch sagen, der Wald wird wunderbar“ in der Romantik“, erklärt Kathrin Meyer die Perspektive der Betrachtung auf die künstlerischen Positionen u. a. von: Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes Meyer-Brandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo sowie weitere Fotografien und historische Drucke.

Der „Wald wird wunderbar in der Romantik“ von einem Ort, der vielleicht früher auch noch mit Schrecken besetzt war und mit zweckhaften Verwendungs- und zergliedernden Wissenschafts-Blick wahrgenommen wurde, „ zu einem Ort, der auch faszinierend ist, an dem wir das Wunderbare finden, in dem wir Dinge finden, die wir sonst auch nirgendwo finden können. Und dieses Wunderbare trägt auch, glaube ich, bis heute unseren Blick auf den Wald sehr stark“, erläutert die Kuratorin. Der Wald als kultureller Ort sei beispielsweise assoziiert mit Mythen, Erzählungen oder Sagen oder werde in Filmen bis hin zu Tatortfolgen auf eine ganz bestimmte Weise aufgeladen. Das alles nähmen wir – wie durch eine Brille betrachtet, die wir nicht absetzen könnten – mit, wenn wir in den realen Wald gingen, so Kathrin Meyer. Im realen Wald fänden wir eben dort dann auch „ein Ökosystem vor, was in seinem eigenen Recht existiert. Und diese Blickverschiebung, diese Dopplung, einerseits den Wald als ein kulturelles Gebilde zu sehen, andererseits ihn als Naturraum in seinem eigenen Recht zu begreifen“, sei, wozu viele zeitgenössische Künstler bis heute versuchten Position zu beziehen, „was in der Romantik eben ein wichtiger Schritt war, zu sagen, die Natur ist adressierbar, ist ein Gegenüber, ist ein Subjekt, schaut auch zurück“, erläutert die Kuratorin.

"Obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht  versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert Museums-Direktorin Kathrin Meyer Mariele Neudeckers Werk „And the world changed colur: breathing yellow“ © Foto Diether von Goddenthow
„Obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert Museums-Direktorin Kathrin Meyer Mariele Neudeckers Werk „And the world changed colur: breathing yellow“ © Foto Diether von Goddenthow

Empfangen werden die Besucher von Mariele Neudeckers „Wald-Aquarium“ „And the world changed colur: breathing yellow“, wozu ein idealer Wald Vorlage war. Neudecker setze hier unseren kulturell geprägten Blick von Wald in Szene mit diesem Tank, der mit Wasser gefüllt ist. Dieser Wald ist eine Illusion. Und obgleich Neudecker die Mittel ihrer Herstellung auch komplett mit ausstellt, also den Wassertank nicht versteckt, erzeugt sie dennoch ganz starke Sehnsuchtsbilder, oder lässt es vielleicht auch wie so ein Traumbild wirken, Bilder vom Wald, die wir vielleicht suchen, wenn wir in den Wald gehen, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir uns in einem Frost befinden, erläutert die Kuratorin ihre Perspektive.

Visavis an der Wand finden wir einen geschickt platzierten Text der Romantik-Schriftstellerin Bettina von Arnim aus dem Briefroman „Günderode“: „Ach wenn ich mich so umseh, wie sich alle Zweige gegen mich strecken und reden mit mir, das heißt küssen meine Seele und alles spricht. Alles was ich anseh, hängt sich mit Lippen an meine Seelenlippen und dann die Farbe, die Gestalt, der Duft, alles will sich geltend machen (…)“, es ist wunderbarer Text, der auch die Legend von Neudecker moderner Waldposition sein könnte.

Baumdüfte aufnehmen, um mit Bäumen zu kommunizieren

Am Desk der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis können Besucher Duftproben von Bäumen aufnehmen und versuchen, draußen  in deren Kommunikationsraum einzudringen, das heißt, eventuell eine neue Verbindung zu ihnen aufzunehmen. © Foto Diether von Goddenthow
Am Desk der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis können Besucher Duftproben von Bäumen aufnehmen und versuchen, draußen in deren Kommunikationsraum einzudringen, das heißt, eventuell eine neue Verbindung zu ihnen aufzunehmen. © Foto Diether von Goddenthow

Ein besonderes Highlight befindet sich mit der Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer- Brandis im folgenden Raum. Es handelt sich dabei um eine Art Duftstation der Bäume. Die Künstler haben ihr interaktives Wälder-Kunstwerk auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt, nämlich dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die Duft-Identität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, mit dem sich Besucher etwas betupfen können, um als Mensch draußen vor dem Museum mit Linde oder Zeder möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können.
Viele weitere Waldzugänge

Weitere spannende Positionen laden im ersten Kapitel „In die Wälder!“ Besucher zu neuen Sichtweisen und Beziehungen zu Wäldern ein, und „den“ Wald vielleicht in neuem Licht zu begegnen.

Erdlebenbilder

Carl Blechen (1798 - 1840) Waldinneres mit abgebrochenen Ästen © Foto Diether von Goddenthow
Carl Blechen (1798 – 1840) Waldinneres mit abgebrochenen Ästen © Foto Diether von Goddenthow

Im nächsten Kapitel Waldbilder liegt ein Schwerpunkt in der Gegenüberstellung von historischen und modernen Positionen. In der Romantik bilden Künstler das Gesehene so ab, wie sie das Gesehene empfunden haben. Sie bilden Wälder nicht naturgetreu ab, sondern imaginieren sie im Schaffensprozess im Zusammenspiel von Beobachtung, Gefühl und Wissen neu. Der Dresdner Arzt und Maler Carl Gustav Carus prägt 1835 den Begriff „Erdlebenbilder“, um die romantische Malerei von der traditionellen Landschaftsmalerei abzusetzen. Ein Erdlebenbild umfasst mehr als das Auge sehen kann: die Empfindungen der Künstler:innen, ihr naturkundliches Wissen und ihre Interpretation der Naturräume, die sie in Bilder übersetzen. Das „Erdleben“ setzt Carus analog zum „Menschenleben“. Wir verstehen „Erdlebenbilder“ von damals und heute in dieser Ausstellung als Zeugnisse von Momenten, in denen beide zusammentreffen. Diese Bilder formulieren immer auch ein Verhältnis zu Wäldern, eine Sichtweise der Natur oder eine Frage.

"Wir erlauben uns mit dieser Wand noch einmal die Schönheit der Wälder zu zitieren. Denn wir wissen alle: wir schützen immer das, was wir lieben und jedes einzelne dieser Bilder ist einfach ein Zeugnis dafür, dass sich Künstler ganz intensiv mit den Wäldern auseinandergesetzt haben, über eine lange Zeit, und auch eine gewisse Liebe.", erläutert Kuratorin und Museumsleiterin Kathrin Meyer bei ihrer Presseführung durch's Museum Sinclair-Haus. © Foto Diether von Goddenthow
„Wir erlauben uns mit dieser Wand noch einmal die Schönheit der Wälder zu zitieren. Denn wir wissen alle: wir schützen immer das, was wir lieben und jedes einzelne dieser Bilder ist einfach ein Zeugnis dafür, dass sich Künstler ganz intensiv mit den Wäldern auseinandergesetzt haben, über eine lange Zeit, und auch eine gewisse Liebe.“, erläutert Kuratorin und Museumsleiterin Kathrin Meyer bei ihrer Presseführung durch’s Museum Sinclair-Haus. © Foto Diether von Goddenthow

Natur und Mensch sind miteinander verknüpft und aufeinander bezogen – das ist längst wissenschaftlich bewiesen, aber im urbanen Alltag kaum zu spüren. Dieses Kapitel zeigt Kunstwerke, die Verflechtungen zwischen Menschen und Wäldern erkunden und diese damit auf vielfältige Weise wahrnehmbar machen. Was sind Wälder für den Menschen – und was ist der Mensch für die Wälder?

Waldangst – Waldlust

Scherenschnitt aus "Hänsel und Gretel", die sich im Wald verliefen und von nun von der Hexe ins Knusperhäuschen gelockt werden. © Foto Diether von Goddenthow
Scherenschnitt aus „Hänsel und Gretel“, die sich im Wald verliefen und von nun von der Hexe ins Knusperhäuschen gelockt werden. © Foto Diether von Goddenthow

Im Wald der Romantik regiert nicht allein das Wunderbare, sondern auch die Angst, sich selbst, den Verstand oder das Leben zu verlieren. In den Märchen und Erzählungen spiegelt sich das spannungsreiche Verhältnis des Menschen zur umgebenden lebendigen Welt. Auch heute setzen Erzählungen und Bilder die Wälder als „Landschaften der Angst“ in Szene. Denn er bleibt in seiner Andersartigkeit undurchdringlich und unverfügbar – zumindest als Idee, denn real ist inzwischen jeder Wald für den Menschen potenziell nutzbar oder zerstörbar.

Auch der humoristische Umgang mit den Waldängsten und der Sorge um den Wald,  wird in der Ausstellung gezeigt. Auf dieser Karikatur  in den "Fliegenden Blättern" werden die Machtverhältnisse umgedreht: Der erboste Baum zersägt den Waldarbeiter. Es war eine versteckte Anklage gegen die Übernutzung des Waldes vor 200 Jahren © Foto Diether von Goddenthow
Auch der humoristische Umgang mit den Waldängsten und der Sorge um den Wald, wird in der Ausstellung gezeigt. Auf dieser Karikatur in den „Fliegenden Blättern“ werden die Machtverhältnisse umgedreht: Der erboste Baum zersägt den Waldarbeiter. Es war eine versteckte Anklage gegen die Übernutzung des Waldes vor 200 Jahren © Foto Diether von Goddenthow

 

 

 

In der Gegenwart erhält die Angst durch die Klima- und Biodiversitätskrisen noch eine andere Dimension: die vor dem Verlust des Waldes. „Solastalgie“ bezeichnet das Gefühl, das wir beim Verlust vertrauter Naturräume empfinden. Das Kapitel lotet beide Seiten aus: den Wald als Schauplatz der Auseinandersetzung mit Angst vor der Natur sowie die existenzielle Angst, eine Seelenlandschaft unwiederbringlich zu verlieren.

Museum Sinclair-Haus,
Löwengasse 15, Eingang Dorotheenstraße
61348 Bad Homburg v.d. Höhe
T +49 (0) 6172 5950 500
Mo-Fr, 9-14 Uhr
museum@kunst-und-natur.de

Senckenberg Naturmuseum 
Die Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 ist thematisch breit aufgestellt. So widmet sich das Senckenberg-Naturmuseum auch den Tieren der Wälder, heimischen wie weltweit, insbesondere den bedrohten Arten. Unter der Rubrik "Die Wälder der Menschenaffen" wird über die Gründe des immer enger werdenden Lebensraum von Gorillas und  Orang-Utans berichtet. © Foto Diether von Goddenthow
Die Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 ist thematisch breit aufgestellt. So widmet sich das Senckenberg-Naturmuseum auch den Tieren der Wälder, heimischen wie weltweit, insbesondere den bedrohten Arten. Unter der Rubrik „Die Wälder der Menschenaffen“ wird über die Gründe des immer enger werdenden Lebensraums von Gorillas und Orang-Utans berichtet. © Foto Diether von Goddenthow

Im Senckenberg Naturmuseum können die Besucher ihre Tour durch die 13 Kapitel der Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ vom 16. März bis 11. August 2024 fortsetzen, angefange mit den Abschnitten  „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“.  Eine  Art „Wanderkarte“ durchs Museum hilft  dabei, die in die Dauerausstellungen eingebetteten Sonderbereiche zu entdecken. Im Senckenberg-Museum kann man dabei zudem frühe, mehrere Millionen Jahre alte Baumversteinerungen sehen sowie Wald-Lebewesen weit entfernter Erdzeitalter wie die Dinosaurier oder die Urpferde und Primaten aus der Grube Messel, oder auch heutige Waldbewohner von den heimischen Vögeln bis hin zu den Gorillas der Regenwälder des Kongobeckens.

Ein wesentlichen Schwerpunkt legt das Senckenberg Naturmuseum  auf die Wissens-Vermittlung und den OutTeach-Bereich. So gibt es parallel zu den innerhäuslichen Ausstellungskapiteln ein vielfältiges Vermittlungs- und Bildungsprogramm, „was wir eben auch in Zusammenarbeit mit den Vermittlungsabteilungen der drei Häuser gemacht haben“, erläutert Senckenberg-Direktorin und Co-Kuratorin Dr. Brigitte Franzen.

Man werde nicht nur in den Häusern sein, sondern raus gehen in die Natur, in die Wälder, in den Stadtraum. „Zum einen tun wir das zum Beispiel in klassischen Formaten wie Wanderungen, Exkursionen usw. Wir werden sozusagen auch in Goethes Fußspuren laufen, und den Stadtwald uns angucken. Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen, und wir werden aber auch einfach in die Stadt gehen“, schwärmt Co-Kuratorin Katarina Haage, die für die Vermittlung zuständig ist.

Die „Waldseele“ kommt per Lastenrad in die Stadtteile

Co-Kuratorin Katarina Haage: "Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen" und in die Stadtteile Frankfurts gehen: "Zusammen mit den Gestaltern von Raumlabor haben wir das Wälder-Mobil kreiert. Das besteht gerade aus einem Lastenfahrrad, aber eigentlich aus zwei Lastenfahrrädern, mit denen wir unterwegs sein werden. Und mit den wir sozusagen, mit den Leuten ins Gespräch kommen wollen über das Thema Wälder. Und vor allem auch über deren Bilder vom Wald, über deren Vorstellungen  von Wäldern, die vielleicht ihren Wünschen, ihren Ängsten um die Wälder". © Foto Diether von Goddenthow
Co-Kuratorin Katarina Haage: „Wir werden dem Froschgesang bei Sonnenuntergang im Taunus lauschen“ und in die Stadtteile Frankfurts gehen: „Zusammen mit den Gestaltern von Raumlabor haben wir das Wälder-Mobil kreiert. Das besteht gerade aus einem Lastenfahrrad, aber eigentlich aus zwei Lastenfahrrädern, mit denen wir unterwegs sein werden. Und mit den wir sozusagen, mit den Leuten ins Gespräch kommen wollen über das Thema Wälder. Und vor allem auch über deren Bilder vom Wald, über deren Vorstellungen von Wäldern, die vielleicht ihren Wünschen, ihren Ängsten um die Wälder“. © Foto Diether von Goddenthow

Begleitet wird das Senckenberg-Team  bei ihren Städte-Exkursionen  „von dieser wunderschönen grünen Waldseele“, zeigt Katrin Haage auf eine Art riesiges grünes „Waldmonster“, dass extra für die Presse zur Veranschaulichung vor  Museum aufgeblasen wurde.  Dabei handelt es sich um ein Kunstobjekt, das das Team „‘Raumlabor‘ für uns geschaffen hat“. Dieses grüne Fantasie-Geschöpft hat drei Tentakel. Über die könne man tatsächlich auch mit der Waldseele interagieren. „Es kommen vielleicht mal Töne raus, man kann vielleicht mal anfassen, man kann auch etwas erriechen. Man kann also seine Sinne benutzen, um sozusagen mit ihr Kontakt aufzunehmen. Und wir nutzen sie aber eben auch um mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, so Katarina Haage. Dieses Waldmobil solle natürlich Aufmerksamkeit auf sich ziehen, neugierig machen. Man wolle, so die Co-Kuratorin, mit dem „Waldmobil“ quasi unangekündigt in Stadtteilen erscheinen, und man hoffe hierdurch vor allen Dingen die Menschen anzutreffen, „die jetzt gar nicht unbedingt mit uns rechnen, die gar nicht unbedingt sich an dem Tag, in dem Moment mit dem Thema Wälder beschäftigen wollten“.

Stationen der Wälder-Ausstellung

Der Weg durch die in die Dauerausstellung eingebetteten Stationen im Naturmuseum führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen.

Dresden Frankfurt Dance Company. © Foto Diether von Goddenthow
Dresden Frankfurt Dance Company. © Foto Diether von Goddenthow

Die Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis setzt das Thema tänzerisch-performativ um. Die Performance lädt an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen. Eindrückliches dokumentarisches Material zum Joseph Beuys Projekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – das als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt und schon damals einen aktivistischen Ansatz hatte – sowie Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.

Wälderwissen

Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar ... In dieser Vitrine mit insbesondere auch in Hessen beheimateten Vögel können sich Besucher über wichtige von Wald und Flur informieren. © Foto Diether von Goddenthow
Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar … In dieser Vitrine mit insbesondere auch in Hessen beheimateten Vögel können sich Besucher über wichtige von Wald und Flur informieren. © Foto Diether von Goddenthow

Schon in der Romantik wurde erkannt, dass ungebremste Abholzung zur Verarmung der Wälder führt. Unser Verständnis des Naturraums Wald ist heute von der Notwendigkeit geprägt, ihn nachhaltig zu nutzen und zu schützen. Im 19. Jahrhundert erweitert sich durch Forst- und Naturwissenschaft das Wälderwissen weltweit rasant und wird berechenbar. Gleichzeitig wird das indigene Wissen der Waldbewohner zurückgedrängt. Man beginnt dennoch, es als Ressource auszubeuten. In der westlichen Welt verliert der Wald das Geheimnisvolle und Bedrohliche und wird zum Erholungsraum. Gleichzeitig sind die Wälder Lebensräume für tausende von Lebewesen, z. B. für Vögel. Die positiven Wirkungen gesunder Wälder und Naturphänomenen wie Gerüchen, Windrauschen, Wassergeplätscher und Vogelstimmen auf Puls und Blutdruck, Atmung und Hormonhaushalt sind heute wissenschaftlich und weltweit nachgewiesen. Wirtschaftliche Verhältnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse, kulturelle, gesellschaftliche sowie politische Einflüsse prägen das spezifische „Wälderwissen“.

Das „Wir“ und die Wälder

Alte Wildnis im Herzen Frankfurts. © Foto Diether von Goddenthow
Alte Wildnis im Herzen Frankfurts. © Foto Diether von Goddenthow

Frankfurt hat die größten innerstädtischen Waldgebiete Deutschlands. Ihr Zustand macht nach Dürrejahren und Trockenheit in der Wachstumsperiode nicht nur den Förstern Sorge. Der Schutz der Stadtbäume und die Proteste bei der Rodung von Waldflächen beschäftigt  die  Stadtgesellschaft.  Am  Dienstag  nach  Pfingsten  feiern  wir  den „Wäldchestag“. Seine Wurzeln gehen zurück ins 14. Jahrhundert. Auch Spuren von „Urwäldern“ existieren noch: z. B. die „Reliktwälder“, Biegwald und Teufelsbruch. Sie sind wichtige Untersuchungsfelder für stadtökologische Forschung. Seit 1985 beobachtet die Senckenberg Forschungsgruppe Biotopkartierung die städtischen Ökosysteme; ab 2000 auch den Stadtwald. Sein Zustand hat sich dramatisch verschlechtert.

Der Wäldestag, 1871. Der Frankfurter Maler und Zeichner Johann Heinrich Hasselhorst hält in seinem Ölgemälde eine ausgelassene Feier im Frankfurter Stadtwald dar.  Er zeigt den Wald auch als einen  beliebten  Freizeitort . © Foto Diether von Goddenthow
Der Wäldestag, 1871. Der Frankfurter Maler und Zeichner Johann Heinrich Hasselhorst hält in seinem Ölgemälde eine ausgelassene Feier im Frankfurter Stadtwald dar. Er zeigt den Wald auch als einen beliebten Freizeitort . © Foto Diether von Goddenthow

Die Identifikation mit den Wäldern hat in Deutschland Tradition, von der „deutschen Eiche“, dem brünftigen Hirschen bis zum Volkslied reichen die Symbole. Im Nationalsozialismus instrumentalisierte man den Wald als Ausdruck einer rassistischen und antisemitischen Naturkultur. Das hat auch die Waldforschung der Zeit beeinflusst.

Leben und Sterben der Wälder

Die Präsentation von Original-Protest-Schildern bei der Besetzung und Räumung des Fechenheimer Waldes steht symbolisch für die bundesweit immer wieder Aufflammenden Proteste gegen Waldvernichtung, um dem  menschenverursachten Sterben von  Wäldern etwas entgegenzusetzen. © Foto Diether von Goddenthow
Die Präsentation von Original-Protest-Schildern bei der Besetzung und Räumung des Fechenheimer Waldes steht symbolisch für die bundesweit immer wieder Aufflammenden Proteste gegen Waldvernichtung, um dem menschenverursachten Sterben von Wäldern etwas entgegenzusetzen. © Foto Diether von Goddenthow

Wälder sind lebende Systeme. Sie unterliegen natürlichen und menschengemachten und technischen Prozessen von Werden und Vergehen. In den 1980er Jahren wurde das Waldsterben mit dem „Sauren Regen“ erstmals offensichtlich. Wälder sind heute weltweit bedroht und damit auch die Artenvielfalt. Kreisläufe bestimmen die Komplexität des Lebens und Sterbens. Abgestorbene Bäume heißen Totholz und wimmeln von Leben. Insekten, Pilze und Flechten ernähren sich vom zerfallenden Holz und nutzen es als Lebensraum. Am Ende bleibt fruchtbare Erde, die den Grund für neue Bäume und die Lebensgemeinschaft Wald bildet. Weil neu aufwachsende Pflanzen, insbesondere Bäume, CO2 binden, ist es entscheidend, diese Ökosystemleistungen global zu schützen. Auch die Geowissenschaften beziehen sich auf ehemalige Wälder. Die Rekonstruktion des Lebens und das Verständnis von Evolution gewinnt mit Fossilien wichtige Informationen. Gleichzeitig sind heutige Kohlelagerstätten, mithilfe geologischer Forschung entdeckt, Überreste von Wäldern vor Jahrmillionen.

Wälder modellieren

Impression Wald und Moose. © Foto Diether von Goddenthow
Impression Wald und Moose. © Foto Diether von Goddenthow

Die systematische naturwissenschaftliche Beschreibung und Erfassung der Arten beginnt Mitte des 18. Jahrhunderts mit Carl von Linné. Die sich parallel ausbildende Forstwirtschaft systematisiert das Wissen über Wälder im 19. Jahrhundert. In der Romantik wandelt sich der wirtschaftlich genutzte Wald zum Sehnsuchtsort. So wird er zur ideellen und idealisierten Gegenwelt der weltweiten Ausbeutung der Wälder. Musik, Malerei, Philosophie und Literatur bilden die oft als „magisch“ empfundenen Natur- und Selbsterfahrungen in Wäldern ab. Dabei spielten sowohl die Wälder der Umgebung als auch weit entfernte Wälder in kolonisierten Gebieten als Referenz eine Rolle. Forscher:innen sammeln und untersuchen Daten aus Wäldern global und lokal im Hinblick auf Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, Ökosystemfunktion und Klima. Ziele sind das Verständnis grundlegender Prozesse, die Bewertung von Ökosystemleistungen und die Entwicklung von Szenarien und Maßnahmen für zukünftige nachhaltige Anpassungen in der Klimakrise.

Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt
T +49 69 7542-0
Fax: +49 69 7542 1437
info@senckenberg.de

(Dokumentation: Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Wälder. Von der Romantik in die Zukunft – ab 16.03.2024 im Deutschen Romantik-Museum, Senckenberg Naturmuseum Frankfurt sowie im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg

Drei Museen im Rhein-Main-Gebiet nehmen sich vom 16. März bis 11. August 2024 in der Sonderausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ gemeinsam der Wälder an: Das Deutsche Romantik-Museum, das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und das Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg kooperieren in einem großen mehrteiligen Ausstellungsprojekt. Die transdisziplinäre Ausstellung verknüpft wissenschaftliche, ökologische und ästhetische Zugänge von damals und heute. Mit Exponaten aus den Künsten, der Kultur- und Forstgeschichte sowie den Naturwissenschaften spannt die Schau den Bogen von der Epoche der Romantik über die Gegenwart bis in die Zukunft. Vor dem Hintergrund von Klima- und Biodiversitätskrisen bringt die Ausstellung am Beispiel des hochromantischen Themas „Wald“ frühe Ansätze zur Entwicklung anderer Naturverhältnisse in einen Dialog mit aktuellen Fragestellungen.

Die Ausstellung ist in 13 Themeninseln organisiert, die sich über alle drei Museen verteilen. Das neue Verständnis der Natur in der Romantik mit seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart steht im Fokus der Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum. Im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt erwarten Sie aktuelle Perspektiven der Naturwissenschaften im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Relevanz im Austausch mit künstlerischen Forschungen. Das Museum Sinclair-Haus stellt die Künste beider Epochen in den Mittelpunkt und erkundet, wie Mensch-WaldVerbindungen im Möglichkeitsraum der Kunst imaginiert werden. Weitere Informationen unter waelder-ausstellung.de sowie auf den Webseiten der drei Museen.

Deutsches Romantik-Museum Ökologisches Denken und Naturethik

Im Deutschen Romantik-Museum können sich die Gäste auf eine facettenreiche Reise durch die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis in die Gegenwart begeben. Welches Naturverständnis die romantischen Künstler und Schriftstellerinnen, Wissenschaftler und Komponistinnen um 1800 in ihren Wald-Arbeiten entwarfen und wie aktuell dieses ist, steht im Zentrum des ersten Kapitels „Der ganze Wald“. In einem dichten Gefüge aus Bildern und Noten, Texten und Dingen, bewegter Schrift und Musik kann der romantische Wald hier mit Augen und Ohren erfahren werden. Diesen Imaginationen stellt die Ausstellung den realen Zustand der Wälder um 1800 zur Seite. Das zweite Kapitel „Waldumbau“ erzählt von ihrem schlechten Zustand in dieser Zeit, und macht nachvollziehbar, dass die Wälder, durch die wir heute streifen, ein Produkt forstwirtschaftlicher Praktiken sind, die damals entwickelt wurden. Den nicht menschlichen, den „(tierlichen) Waldumbau“ behandelt das dritte Kapitel. Es betrachtet und belauscht den Borkenkäfer und seine Verwandten, die sich, wenn wir die Perspektive verändern, als Lehrmeister für den dringend gebotenen Umbau zu einem klimaresilienten Mischwald verstehen lassen. Das vierte Kapitel erkundet den „Wald von Nahem“. Es führt in den faszinierenden Mikrokosmos der Moose, Pilze und Flechten und in den unsichtbaren Unterwald. Die Nahsicht lässt die Komplexität von Ökosystemen erahnen. Das fünfte Kapitel der Ausstellung fragt, ob nicht nur Menschen, sondern auch Wälder Rechte haben. Rechte der Natur sind seit einigen Jahren in verschiedenen Verfassungen verankert worden. Ob ihre Anerkennung, die mit einer Pflicht zur Fürsorge für die Natur verbunden ist, einen Weg aus der Not der Wälder weist?

Mit künstlerischen Arbeiten u. a. von Rodrigo Arteaga, Nicholas Bussmann, Flechten, Anne Duk Hee Jordan, Markus Maeder, Antje Majewski, David Monacchi, Chris Shafe, Marieken Verheyen.

Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt Wissen über den Wald

Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt lädt zu einem außergewöhnlichen Waldspaziergang ein: Eine Wanderkarte leitet durch die Kapitel „Wälderwissen“, „Das ,Wir‘ und die Wälder“, „Leben und Sterben der Wälder“ sowie „Wälder modellieren“, die in der ersten und zweiten Etage des Museums – eingebettet in die Dauerausstellung – zu entdecken sind. Der Weg führt unter anderem zu einer indigenen Universität des Waldwissens im Amazonasgebiet, einem Protestcamp zum Waldsterben bis hin zu einem Kameraflug von den Wurzeln in die Wipfel eines virtuellen Urwalds. Erstaunliche wissenschaftliche Ergebnisse aus der Senckenberg-Forschung und zahlreiche Präparate von Waldbewohnern werden spannungsreich ergänzt durch Positionen des dänischen Künstlers Jakob Kudsk Steensen und der Schweizer Künstlerin Ursula Biemann, die in eine eindrucksvolle Bilderwelt ihrer eigenen Erforschung der Wälder einladen. Die Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis setzt das Thema tänzerisch-performativ um. Die Performance lädt an zehn Mittwochabenden Besuchende dazu ein, sich gemeinsam auf eine Reise durch den Wald zu machen und sich darin zu verlaufen. Eindrückliches dokumentarisches Material zum Joseph Beuys Projekt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ – das als erstes ökologisches Kunstwerk der Welt gilt und schon damals einen aktivistischen Ansatz hatte – sowie Plakate, historische Unterlagen und gesellschaftliche Zeitzeugnisse zum Lebenskreislauf von Wäldern eröffnen weitere Perspektiven. Wie ein zukünftiger Wald in 50 bis 100 Jahren aussehen könnte, veranschaulichen wissenschaftliche Modellierungen von Senckenberg-Forschenden.

Mit künstlerischen Arbeiten von Ursula Biemann, Dresden Frankfurt Dance Company unter Leitung des Choreographen Ioannis Mandafounis, Joseph Beuys Estate, Elisabeth Schultz, Jakob Kudsk Steensen.

Museum Sinclair-Haus Wälder der Künste

Im Museum Sinclair-Haus gehen die Besucherinnen und Besucher auf eine sinnliche Wald-Erkundungsreise: Die drei Ausstellungskapitel öffnen den Blick für neue Sichtweisen auf Natur in den Künsten der Romantik und der Gegenwart. Im Kapitel „In die Wälder!“ spricht das Zusammenspiel von Texten aus der Romantik und zeitgenössischen Kunstwerken wie bei einem Waldbesuch unterschiedliche Sinne an. Die Arbeit „One Tree ID“ von Agnes Meyer-Brandis etwa basiert auf der Tatsache, dass Pflanzen „Volatile Organic Compounds“ (VOCs) emittieren und damit kommunizieren. „One Tree ID“ verdichtet die DuftIdentität eines bestimmten Baumes zu einem komplexen Parfüm, das Besuchende benutzen können, um als Mensch möglicherweise an der Pflanzenkommunikation teilhaben zu können. Das zweite Kapitel „Erdlebenbilder“ (dieser romantische Begriff sollte klarstellen, dass es der Landschaftsmalerei der Zeit um mehr ging als Natur darzustellen) zeigt Waldbilder in den Medien Zeichnung, Malerei, Fotografie, Musik und Datenvisualisierung. Sie erzählen davon, wie faszinierend Wälder auf Menschen wirken, wie (bild-)gewaltig und zugleich zerbrechlich diese vielschichtigen Ökosysteme sind. Das dritte und letzte Ausstellungskapitel „Waldangst – Waldlust“ lockt in den Wald als Ort des Schauderns. Das Kapitel hat zwei Teile: Im ersten führen Märchen, Bilder und Objekte aus der Kunst und Populärkultur auf die Spuren menschlicher Urängste. Der zweite Teil dieses Kapitels dreht den Blick um: Hier steht die Sorge um die Zukunft der Wälder im Mittelpunkt – und die Frage, was trösten und Hoffnung schenken kann. Was können wir von der Romantik für unsere heutigen Beziehungen zu Wäldern lernen?

Mit künstlerischen Arbeiten u. a. von Yann Arthus-Bertrand, Julius von Bismarck, Carl Blechen, August Cappelen, Ellie Davies, Heinrich Dreber, Jasper Goodall, Wilhelm Klein, Carl Friedrich Lessing, Agnes MeyerBrandis, Beth Moon, Loredana Nemes, Mariele Neudecker, Katina Vasileva Peeva, Friedrich Preller, Sophie Reuter, Abel Rodríguez, Johann Wilhelm Schirmer, Rasa Smite & Raitis Smits, Thomas Struth, Thomas Wrede, Zheng Bo.

Aufruf der Frankfurter Kulturverantwortlichen zur Lichterkette am 10. Dezember – das Freie Deutsche Hochstift, Haus am Dom u. viele andere Einrichtungen sind mit dabei

Nie-Wieder-Ist-Jetzt_Banner450In Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen setzt die Kulturszene in Frankfurt ein Zeichen gegen Antisemitismus. 85 Jahre nach den November-Pogromen 1938 sind Jüdinnen und Juden in Frankfurt wieder in Sorge um ihr Leben. Entsetzt sehen wir, dass das Massaker am 7. Oktober und der Terrorangriff von Hamas weltweit, auch in Deutschland, zum Auslöser für andauernde antisemitische Propaganda und Gewalt wurde.

Dazu wollen wir als Kulturverantwortliche in Frankfurt / Rhein-Main nicht schweigen. Wir bekennen uns zu unserer historischen Verantwortung. Wir stehen auf und nehmen Stellung: Im Alltag, bei der Arbeit, im Freundeskreis, in Vereinen und Gemeinden. Wir erheben unsere Stimme gegen Antisemitismus. Wir stellen uns schützend an die Seite von Jüdinnen und Juden. Wer sie angreift, greift uns an. Unsere Solidarität überschreitet religiöse und kulturelle Grenzen.

Als Zeichen dafür rufen wir, unterstützt durch das Dezernat für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt, zu einer Lichterkette auf. Denn:

Nie wieder ist jetzt!

Jeder und jede aus Frankfurt und Region wird gebraucht. Denn von dieser Stadt mit ihrer vielfältigen Geschichte und Gegenwart soll ein starkes Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft und gegen Antisemitismus und Extremismus in unserer Gesellschaft ausgehen.

Die Kulturverantwortlichen sehen es als ihren demokratischen Auftrag an, in den aktuellen Debatten gegen jede Art der Diskriminierung einzustehen, sowie Empathie, Respekt und Vielfalt zu fördern. Wir wollen gerade jetzt Raum für offenen, kritischen und vielfältigen Gedankenaustausch schaffen und die Gesellschaft gegen jeden Extremismus stärken.

Wir treffen uns, gerne mit eigenen Kerzen, am Sonntag, 10. Dezember, zwischen Eisernem Steg und Ignatz-Bubis-Brücke (Uferweg an der Innenstadtseite des Mains). Beginn 18 Uhr, Ende 18:30 Uhr.

Die Initiative geht aus von Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und der Katholischen Akademie. Zu den Mitinitiatoren gehören Hanna-Lena Neuser (Direktorin der Evangelischen Akademie Frankfurt), Hauke Hückstädt (Leiter des Literaturhauses Frankfurt), Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken (Direktorin Deutsches Romantik-Museum und Frankfurter Goethe-Haus), Wolfgang David (Direktor des Archäologischen Museums), Dr. Peter Cachola Schmal (Direktor des Deutschen Architekturmuseums), Prof. Dr. Frank E.P. Dievernich (Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft), Prof Dr. Mirjam Wenzel (Direktorin des jüdischen Museums), Dr. Sebastian Baden (Direktor Schirn Kunsthalle) und Jan Gerchow (Direktor des Historischen Museums). Mit der Unterstützung des Kulturdezernats der Stadt Frankfurt am Main. Und viele mehr: niewiederist.jetzt/

„KINDHEIT IM WANDEL Von der Aufklärung zur Romantik“ – ab 26.10.2023 im Deutschen Romantik Museum Frankfurt

Johann Gottlieb Ziehnert (1785 - 1856) Kleines ABC, u. Lese-Buch oder deutliche Anweisung, richtig und schnell lesen zu lernen, nebst Bildungsübungen für Verstand, Herz und Gedächtnis der Kinder aller Stände. Dritte ganz umgearbeitete u. verbesserte Auflage. Pirna: August Robert Friese (1829) - Mit 50 illustrierten Abbildungen auf 8 Kupfertafeln. © Foto Diether von Goddenthow
Johann Gottlieb Ziehnert (1785 – 1856) Kleines ABC, u. Lese-Buch oder deutliche Anweisung, richtig und schnell lesen zu lernen, nebst Bildungsübungen für Verstand, Herz und Gedächtnis der Kinder aller Stände. Dritte ganz umgearbeitete u. verbesserte Auflage. Pirna: August Robert Friese (1829) – Mit 50 illustrierten Abbildungen auf 8 Kupfertafeln. © Foto Diether von Goddenthow

Johann Wolfgang Goethe ist noch ein Kind, als 1762 Jean-Jacques Rousseaus pädagogische Abhandlung ‚Emile. Oder über die Erziehung‘ erscheint, in dem Kinder als autonome, vollkommene Wesen beschrieben werden. Erstmals wird hier das Recht auf Kindheit als eine eigenständige Lebensphase formuliert. Eine Definition, die nachwirkte und das Kindheitsbild und die Pädagogik der Zeit radikal veränderte. Kinder befinden sich, laut Rousseau noch ganz in einem Naturzustand und alles pädagogische Handeln muss darauf gerichtet sein, der Natur zu folgen und den Kindern Raum für die Entwicklung ihrer natürlichen Anlagen zu lassen: „Die Natur will, dass Kinder Kinder sind …“. Das war gegen die vorherrschende Lernkultur der Aufklärung mit Drill und stumpfer Wissensanhäufung gerichtet. Zwei unterschiedliche Kindheitsentwürfe trafen aufeinander, die in der Zeit von Aufklärung und Romantik diskutiert wurden. In den Jahrzehnten nach Goethes Geburt bildeten sich Vorstellungen heraus, die uns noch heute modern erscheinen: Ein Kind sollte lebhaft, fröhlich und offen sein, dazu stark und unabhängig.

Die Kindheit Goethes und die seiner Schwester Cornelia spielen in Goethes Elternhaus schon lange eine zentrale Rolle. Nun werden ihre „Kindheiten“ zusammen mit denen der Familie Brentano Gegenstand einer großen Sonderausstellung im Deutschen Romantik-Museum, die die grundlegenden Veränderungen in der Betrachtung von Kindheit, die sich im „Jahrhundert der Pädagogik“ vollziehen, in den Blick nimmt. Dabei spannt sich der thematische Bogen von den Kindheitsdiskursen der Aufklärung bis zur Idealisierung der Kindheit im Zeitalter der Romantik. Für die Dichter der Frühromantik sind Kinder heilige, dem Göttlichen noch unmittelbar verbundene Wesen und durch ihre ausgeprägte Phantasie geborene Poeten. Die Welt verschmilzt für sie mit dem Märchen oder dem Traum und wird in der Kindheit so auf ganz ursprüngliche Weise romantisiert.

Dr. Katja Kaluga, Kuratorin der Ausstellung, erläutert beim Presserundgang die Funktionen des Zauberkasten aus dem Besitz von Walther Wolfgang (1812-1885) und Wolfgang Maximilien von Goethe (1820 - 1883), der nicht nur reines Spielzeug war, sondern auch Kinder darin trainiert, als "Zauberer" vor anderen frei zu sprechen und aufzutreten, alles Tugenden, die sie einmal im Leben einer gehobenen Gesellschaft benötigten. © Foto Diether von Goddenthow
Dr. Katja Kaluga, Kuratorin der Ausstellung, erläutert beim Presserundgang die Funktionen des Zauberkasten aus dem Besitz von Walther Wolfgang (1812-1885) und Wolfgang Maximilien von Goethe (1820 – 1883), der nicht nur reines Spielzeug war, sondern auch Kinder darin trainiert, als „Zauberer“ vor anderen frei zu sprechen und aufzutreten, alles Tugenden, die sie einmal im Leben einer gehobenen Gesellschaft benötigten. © Foto Diether von Goddenthow

Die Entdeckung der Kindheit zwischen Aufklärung und Romantik wird mit Exponaten aus den Sammlungen des Freien Deutschen Hochstifts und zahlreichen bedeutenden Leihgaben dargestellt: wissenschaftlich fundiert, aber zugleich auch bunt, bildstark, spielerisch-interaktiv und anschaulich. Goethes Elternhaus gehört zum Ausstellungbesuch dazu. In der Bibliothek von Johann Caspar Goethe kann man Johann Wolfgang Goethes Kindheitslektüren sehen. Begleitet wird die Ausstellung von einem umfangreichen Programm mit unterschiedlichen Führungsformaten und Workshops. Zudem werden ein reich bebilderter Ausstellungskatalog sowie ein Kreativheft für Kinder erscheinen. Kooperationspartner ist das Institut für Jugendbuchforschung der Frankfurter Goethe-Universität. Studentinnen und Studenten gehen der Bedeutung des romantischen Kindheitsbildes in der Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart nach, von Astrid Lindgren bis Cornelia Funke.

Die Ausstellung wird kuratiert von Dr. Joachim Seng und Dr. Katja Kaluga.

Informationen zur Ausstellung und zum umfangreichen Begleitprogramm

Deutsches Romantik-Museum: Schreiben mit der Hand in der Romantik. Studioausstellung.

Roschi_1789_Gesamtansicht_Titel-Presse-450Das Freie Deutsche Hochstift sammelt seit über 150 Jahren Handschriften und präsentiert sie in Ausstellungen als Zeugnisse der Literatur- und Geistesgeschichte. Zugleich haben die Manuskripte auch die suggestive Funktion, die historischen Personen durch die Charakteristik ihrer Schrift zu vergegenwärtigen. Dabei sollte man sich jedoch vor Augen halten, dass es seit dem 16. Jahrhundert Schreiblehrbücher gab, die genau vorgaben, wie eine gute Handschrift auszusehen hatte. Das Schreiben wurde gelehrt und auf diese Weise durch Schreibnormen geprägt. So ist Schrift immer auch Ausdruck einer allgemeinen kulturgeschichtlichen Entwicklung.

Die Ausstellung im Handschriftenstudio des Deutschen Romantik-Museums gibt Einblick in die Geschichte der im deutschen Sprachraum ab dem 16. Jahrhundert verwendeten Schreibschriften. Den Schwerpunkt bildet die Zeit um 1800. Gezeigt werden aus einer Frankfurter Privatsammlung Schreiblehrbücher und Schriftvorlagen, anhand derer sich die Entwicklung der Schreibdidaktik seit der frühen Neuzeit nachvollziehen lässt. Viele dieser Druckwerke sind heute sehr selten, selbst wenn sie zu ihrer Zeit in hohen Auflagen erschienen waren. Als Bücher für den täglichen Gebrauch wurden sie meist weggeworfen.

Am Anfang stehen „Schreibmeister“, die in den Handelsstädten angehende Kaufleute und Kanzleibeamte im Schreiben unterwiesen. Für sie standen handwerkliche Perfektion und künstlerischer Anspruch im Vordergrund. Durch die breitere Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht Ende des 18. Jahrhunderts geriet der Schreibunterricht zunehmend unter Erfolgsdruck. Damals begann die bis heute anhaltende Diskussion um eine gut lesbare und rasch zu erlernende Normalschrift. In Reaktion auf diese Entwicklung bemühten sich die Schreiblehrer verstärkt um die Leserlichkeit des Schriftbilds und Zügigkeit des Schreibvorgangs. Nach 1800 wurden die reich verzierten Schreibmeisterbücher daher zunehmend durch schlichter gestaltete, preiswertere Schreiblehrbücher verdrängt, die auf dekorative Elemente weitgehend verzichteten und dafür didaktische Elemente aufnahmen. Zunehmend wurde gefordert, die Zahl der gelehrten Schreibschriften (deutsche und lateinische Kurrentschrift, Frakturschrift, Kanzleischrift) zu vermindern.

ÖFFNUNGSZEITEN
Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr Geänderte Öffnungszeit: 28. August 2023, 10 – 17 Uhr

KATALOG
Begleitend zur Studioausstellung stellt der Kurator Andreas Dietzel in einem Essay die Geschichte des Schreibenlernens von der kunsthandwerklichen Kalligraphie bis zu vereinfachten Schulschriften des 19. Jahrhundert vor. Skizziert wird die Entwicklung der deutschen Schreibschrift von den Schreibmeistern des 16. Jahrhunderts bis zu den Schriftpädagogen des frühen 19. Jahrhunderts. Im Zentrum steht auch hier die Zeit um 1800. In einem Anhang werden einige Beispiele aus der ausgestellten Sammlung präsentiert.
Schreiben mit der Hand in der Zeit der Romantik. Eine Betrachtung von Andreas Dietzel. Göttinger Verlag der Kunst GmbH, Göttingen, 2023. 64 Seiten zahlreiche Abbildungen. Verkaufspreis: 18 €. Erhältlich ab dem 3.8.2023 im Museumsshop und im Buchhandel.

Deutsches Romantikmuseum
Großer Hirschgraben 23-25
60311 Frankfurt am Main

Schreiben ohne Namen? Schriftstellerinnen um 1800. Gespräch und Lesung. 4.7.2023

Mit Aquarell-Zeichnungen visualisierte Ottilie von Goethe ihrer Vorstellungen von ihren Charakter-Anteilen. Die hier hochvergrößerten Aquarelle hatte sie in ihrem Buch "Allerlei" eingefügt. © Foto Diether von Goddenthow
Mit Aquarell-Zeichnungen visualisierte Ottilie von Goethe ihrer Vorstellungen von ihren Charakter-Anteilen. Die hier hochvergrößerten Aquarelle hatte sie in ihrem Buch „Allerlei“ eingefügt. © Foto Diether von Goddenthow

Begleitend zur Ausstellung „Mut zum Chaos – Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik“ lädt das Freie Deutsche Hochstift  am Dienstag, 4. Juli 2023, 19 Uhr, ein zum Gespräch „Schreiben ohne Namen? Schriftstellerinnen um 1800″ mit Francesca Fabbri und Martina Wernli sowie Barbara Englert (Lesung) in den Arkadensaal ein.

 „Doch ich will mich dir nicht nennen“, schrieb Ottilie von Goethe in einem Gedicht. Wie stand es um die Publikationsmöglichkeiten von Autorinnen um 1800? Sophie La Roches ‚Fräulein von Sternheim‘ (1771) wurde von ihrem Vetter Christoph Martin Wieland herausgegeben, Dorothea Veit-Schlegels Roman ‚Florentin‘ (1801) erschien unter dem Namen ihres Mannes Friedrich Schlegel und Karoline von Günderrode nutzte das Pseudonym Tian, das einen männlichen Autor suggerierte. Welche Rolle spielte in solchen Zeiten Ottilie von Goethe und die von ihr von 1829 bis 1831 herausgegebene Zeitschrift ‚Chaos‘, die die Redeordnungen der Zeit programmatisch unterlief?

 Dr. Francesca Fabbri hat die Ausstellung ‚Mut zum Chaos. Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik‘ kuratiert. PD Dr. Martina Wernli ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie forscht und publiziert u. a. zu den Schriftstellerinnen der Romantik. Die Schauspielerin Barbara Englert liest ausgewählte Texte.

 Eintritt
8 € / 4 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts

Informationen
www.freies-deutsches-hochstift.de

„Mut zum Chaos – Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik“ – das Porträt eines Lebens „dazwischen“ im Deutschen Romantik Museum

Impression der Ausstellung "Mut zum Chaos" Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik (1796 – 1872), Goethes „geliebte Schwiegertochter“, wurde schon von ihren Zeitgenossen überaus kontrovers wahrgenommen. Im Fokus standen stets ihre Rolle als Schwiegertochter Goethes, ihre unglückliche Ehe mit seinem Sohn August und ihre leidenschaftlichen Gefühle. Ihre selbstbestimmten Lebensentscheidungen und ihr freiheitsliebender Geist faszinierten und irritierten zugleich. © Foto Diether von Goddenthow
Impression der Ausstellung „Mut zum Chaos“ Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik (1796 – 1872), Goethes „geliebte Schwiegertochter“, wurde schon von ihren Zeitgenossen überaus kontrovers wahrgenommen. Im Fokus standen stets ihre Rolle als Schwiegertochter Goethes, ihre unglückliche Ehe mit seinem Sohn August und ihre leidenschaftlichen Gefühle. Ihre selbstbestimmten Lebensentscheidungen und ihr freiheitsliebender Geist faszinierten und irritierten zugleich. © Foto Diether von Goddenthow

Erstmals rückt eine Ausstellung „Ottilie von Goethes bislang kaum beachtetes intellektuelles Lebenswerk in den Mittelpunkt“, und reduziere sie nicht „bloß“ auf Biografisches, erklärt Dr. Francesca Fabbri, renommierte Weimarer Goethe-Expertin und Kuratorin, beim Presserundgang gleich zum Einstieg in die neue Sonderausstellung „MUT ZUM CHAOS Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik“, zu sehen vom 23.6. bis 3.09.2023 im Deutschen Romantik-Museum Frankfurt.
In enger Zusammenarbeit  mit  Professor Konrad Heumanns, dem Leiter der Handschriftenabteilung des Hochstifts, haben Dr. Francesca Fabbri und Sabine Schimma die Ausstellung „Mut zum Chaos“ aus Beständen des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar und des Goethe-Hauses (Hochstift) Frankfurt chronologisch zusammengeführt.

Gleich zu Beginn der Ausstellung können sich Besucher ein Bild über Ottilie von Goethes Selbstverständnis ihrer Persönlichkeit bilden. Als Sprössling verarmten Uradels, aber durch die Funktionen ihrer Mutter und Großmutter als Hofdamen in Höfischer Umgebung sozialisiert und gebildet, war Ottilie ein Leben lang „heimatlos“, nämlich innerlich zerrissen, zwischen allen Stühlen „sitzend“ und sehnte sich nach Zugehörigkeit und nach „der“ unbedingten Liebe.
Diese Existenz „dazwischen“ zeigt sich vor allem auch in Ottilies Selbstverständnis ihrer Persönlichkeit. Diese Hintergründe ihrer seelischen Verfassung  sind  wichtig, um sich Ottilie von Goethes Person und Wirken besser annähern zu können.

Ihr befreundeter Schriftsteller Gustav Kühne, so Dr. Francesca Fabbri, beschrieb Ottilie kurz nach ihrem Tod einmal trefflich: Es seien nicht nur ihre Nähe und ihre liebevolle Beziehung zum Dichterfürsten [Wolfgang von Goethe, den sie Vater nannte] gewesen, die ihr eine faszinierende Aura verliehen, sondern eher ihr eigener origineller Charakter, denn ihr »tiefere[s] Interesse, welches Sie Allem entgegenbrachte, ihre Lebendigkeit, ihre geistreiche Schlagfertigkeit, ihr wohlwollend einfaches Wesen machten sie sehr anziehend, ja fesselnd«. Nicht zuletzt faszinierte auch die Tragik ihres Lebens. Neben dem Glanz der Öffentlichkeit stand ihre tief zerrissene private Existenz. Trotz der Geburt dreier sehr geliebter Kinder (Walther im Jahr 1818, Wolfgang zwei Jahre später und Alma im Jahr 1827) gestaltete sich das Zusammenleben mit ihrem Mann sehr unglücklich, erläutert die Kuratorin.

Mit Aquarell-Zeichnungen visualisierte Ottilie von Goethe ihrer Vorstellungen von ihren Charakter-Anteilen. Die hier hochvergrößerten Aquarelle hatte sie in ihrem Buch "Allerlei" eingefügt. © Foto Diether von Goddenthow
Mit Aquarell-Zeichnungen visualisierte Ottilie von Goethe ihrer Vorstellungen von ihren Charakter-Anteilen. Die hier hochvergrößerten Aquarelle hatte sie in ihrem Buch „Allerlei“ eingefügt. © Foto Diether von Goddenthow

Ottilie von Goethe war überzeugt, mehrere Charaktere (Charakteranteile) zugleich in sich zu vereinen, was zu dieser Zeit geradezu provokant war, da sie mit dieser Haltung aus der damaligen typischen Frauenrolle ausbrach. Adele Schopenhauer, eine ihrer Lebensfreundinnen, bestätigte sie in ihrer Auffassung als sie schrieb, dass sie (Ottilie) in schneller Folge „Kind, Jungfrau und Matrone und dazwischen der windigste Leutnant“ sei. Bereits als Verlobte hat Ottilie ihrem Ehemann in spe, August von Goethe,  in einer abendlichen Festveranstaltung empört vorgeworfen, dass er nur bestimmte Anteile ihrer Persönlichkeit von ihr gelten lassen wolle. Sie warnte ihn, sie nur als Hausfrau und Kindesmutter zu betrachten: „Hüte Dich, mein Freund!“.
Sie wollte als Mensch mit vielen Facetten wahrgenommen werden. Das unterstrich sie einmal mehr, indem sie gleich nach ihrer (Zweck-)Heirat mit August von Goethe ein Album für persönliche Aufzeichnungen mit dem Titel „Allerlei“ anlegte. Hierin fügte sie selbst angefertigte Aquarell-Zeichnungen, um ihre Vorstellungen von ihren angenommenen Charaterteilen zu visualisieren. Diesen Charakterbildern stellte sie jeweils einen Buchstaben ihres Namens „Ottilie“ voran. Jeder Buchstabe mit dem dazugehörigem Bild steht für einen Charakteranteil, etwa als „Träumerin“, „spielendes Kind“, „würdige Hausfrau“, „ antike Ritter-Göttin mit Helm, Lanze und Schild“, als „romantische Dichterin“ als ,preußischer Soldat“ und als „graugewandete alte Frau“. Nur zusammen bildeten all diese Charakter-Anteile die Persönlichkeit „Ottilie“, so ihre Überzeugung.

Impression der Ausstellung "Mut zum Chaos" Ottilie von Goethe  und die Welt der Romantik (1796 – 1872), im Deutschen Romantik Museum vom 23. Juni bis 3. September 2023. © Foto Diether von Goddenthow
Impression der Ausstellung „Mut zum Chaos“ Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik (1796 – 1872), im Deutschen Romantik Museum vom 23. Juni bis 3. September 2023. © Foto Diether von Goddenthow

Eine Zweck-Ehe
Obwohl ohne Mitgift, stammte Ottilie, wie gesagt, aus zwei der ältesten Adelsgeschlechtern Deutschlands, während die wohlhabende Familie Goethe erst seit wenigen Jahrzehnten ihren Adelstitel führte. Ottilie selbst zweifelte aber aus anderen Gründen: August und sie kannten sich schon seit Jahren »so genau, dass wir gegenseitig jede Miene und Bewegung auszulegen wissen«, aber er war für sie nur ein Freund voller bodenständiger Gesinnung, wie sein Eintrag am 2. April 1816 in ihrem schönen Freundschaftsbuch zeigt. Dennoch heiratete sie ihn. Aus der Freiin von Pogwisch wurde ab 1817 Frau von Goethe. Letztlich war die absehbar unglückliche Ehe eine Zweckheirat zu ihrer existentiellen Absicherung.
So gestaltete sich die „Zusammenarbeit“ mit ihrem Mann trotz der Geburt dreier sehr geliebter Kinder (Walther im Jahr 1818, Wolfgang zwei Jahre später und Alma im Jahr 1827)  sehr unglücklich, so Dr. Francesca Fabbri, „Ottilie suchte schon während der Ehe und auch danach immer wieder vergeblich einen intellektuell und emotional gleichgesinnten Lebensgefährten und sehnte sich offen nach unbedingter Liebe“, eine Liebe, die sie aber nie fand.

Ottilies revolutionäres und bisweilen unstetes Leben, begann so richtig erst nach dem frühen Tod ihres Gatten August von Goethe. Als Witwe Ottilie von Goethe war sie als Dichterin und Übersetzerin äußerst aktiv, auch als Redakteurin und Herausgeberin. Zudem positionierte sie sich zu brisanten politischen Fragen und agierte national wie wie international als eine begnadete Netzwerkerin, besonders in den englischsprachigen Raum hinein. Der Titel des von ihr begründeten und herausgegebenen programmatischen Journals Chaos, wurde für diese Ausstellung „Mut zum Chaos“ adaptiert. Ziel von Ottilies „Chaos-Journal“ war, jegliche Schranken zwischen Nationalitäten, Geschlechtern und Schichten zu überwinden.
„Neben Eifer und Begeisterung bedurfte es gerade bei einer Frau der damaligen Zeit eines unerschütterlichen Glaubens an sich selbst, einer enormen Kraft und einer großen Menge Mutes, die eigenen Ideen trotz aller Widerstände und Kritiken durchzusetzen. Im Kampf um ein selbstbestimmtes Leben nutzte sie immer wieder den Prozess des Schreibens als Raum der Freiheit und Selbst(er)findung.“ so Sabine Schimma, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Ausstellungen.

OTTILIE VON GOETHE – KURZBIOGRAPHIE

Ottilie von Pogwisch, später von Goethe (1796 - 1872), porträtiert 1813 vom Maler Franz Heinrich Müller (1793 - 1866), © Foto Diether von Goddenthow
Ottilie von Pogwisch, später von Goethe (1796 – 1872), porträtiert 1813 vom Maler Franz Heinrich Müller (1793 – 1866), © Foto Diether von Goddenthow

1806 kam Ottilie Freiin von Pogwisch (1796 – 1872), mittellose Nachfahrin zweier alter preußischer Adelsfamilien, in die Residenzstadt Weimar, wo ihre in Trennung lebende Mutter Henriette von Pogwisch eine Stelle als Hofdame antrat. Bald war Ottilie im Haus des Staatsministers und „Dichterfürsten“ Johann Wolfgang von Goethe ein willkommener Gast. 1817 heiratete sie gegen die Bedenken ihrer Familie Goethes einzigen Sohn August, der ihr seit langer Zeit vertraut war.

Nach dem Einzug in das Haus am Frauenplan, wo die junge Familie mit dem „Vater“ unter einem Dach wohnte, entfaltete Ottilie von Goethe eine weltoffene Geselligkeit. Besonders interessierte sie sich für die englischsprachige Kultur. Sie übersetzte, dichtete und gründete die mehrsprachige Zeitschrift Chaos. Für Goethe wurde sie mehr und mehr zu einer wichtigen Gesprächspartnerin. Auch wurden drei Kinder geboren: Walther, Wolfgang Maximilian und Alma. Die Ehepartner entfremdeten sich jedoch zusehends, zu unterschiedlich waren ihre Charaktere. So suchte Ottilie von Goethe schon während der Ehe nach einem intellektuell und emotional gleichgesinnten Partner, was in der Stadt für Gesprächsstoff sorgte.

Nach dem Tod des Ehemanns im Jahr 1830 und des Schwiegervaters zwei Jahre später führte sie ihr Leben selbstbestimmt und weitgehend unabhängig von den damaligen Konventionen. Ihre liebes- und lebenshungrige Haltung ersparte ihr keine Kritik – sie selbst sprach vom „Doppelurteil, was von mir in der Welt herrscht“. Nach einer Beziehung mit einem englischen Captain gebar sie 1834 inkognito in Wien ein viertes Kind, das jedoch ein Jahr später in der Pflege starb.
1837 zog Ottilie von Goethe mit ihrem Sohn Walther nach Leipzig. Hier und in Wien, wo sie ab 1842 dauerhaft lebte, begeisterte sie sich für die literarisch-politischen Strömungen des Liberalismus. 1844 starb in Wien ihre 16-jährige Tochter Alma an Typhus – ein unüberwindbarer Schicksalsschlag für die ganze Familie. Gleichwohl entschied sie sich, in der Stadt zu bleiben. In ihrem angesehenen Salon verkehrte über zwei Jahrzehnte die literarische Szene Wiens. 1870 kehrte sie nach Weimar zurück und verbrachte im Haus am Frauenplan ihre letzten zwei Lebensjahre.
Katalog: OTTILIE VON GOETHE – Mut zum Chaos. Ein Ausstellungsbuch, herausgegeben von Francesca Fabbri,mit Beiträgen von Francesca Fabbri, Waltraud Maierhofer und Yvonne Pietsch

PROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG
FÜHRUNGEN
ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN
Di, 27. Juni, 16:30 Uhr
So, 2. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 4. Juli, 16:30 Uhr
So, 9. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 11. Juli, 16:30 Uhr
So, 16. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 18. Juli, 16:30 Uhr
So, 30. Juli, 14 und 16 Uhr
So, 13. August, 14 und 16 Uhr

Im Eintrittspreis inklusive
THEATER-FÜHRUNGEN
mit Katharina Schaaf
So, 25. Juni, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 1. Juli, 15 Uhr
Do, 6. Juli, 18 Uhr
Do, 13. Juli, 18 Uhr
Sa, 15. Juli, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 22. Juli, 15 Uhr
So, 23. Juli, 15 Uhr
Sa, 29. Juli, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 5. August, 15 Uhr
So, 6. August, 15 Uhr
So, 20. August, 15 Uhr

Kosten 5 € zzgl. Eintritt. Anmeldung erforderlich
Es besteht die Möglichkeit zu individuellen Führungen.

VERANSTALTUNGEN
Do, 29. Juni, 19 Uhr
DIE SCHWIEGERTOCHTER
Das Leben der Ottilie von Goethe
Buchvorstellung mit Dagmar von Gersdorff
In ihrem jüngsten Werk entwirft die bekannte Biographin Dagmar von Gersdorff ein facettenreiches Bild der lebenshungrigen Ottilie von Goethe, von den schwierigen Jugendjahren über die Heirat mit Goethes einzigem Sohn August bis hin zur langen Phase des Witwenstandes mit Freundschaftsbünden und rastlosen Aktivitäten. Im Zentrum steht die Zeit an der Seite Goethes, dem sie über 15 Jahre die nächste Vertraute war.
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
8 € / 4 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts.

Di, 4. Juli, 19 Uhr
SCHREIBEN OHNE NAMEN
Schriftstellerinnen um 1800 Gespräch mit Francesca Fabbri und Materina Wernli. Lesung: Barbara Englert
Wie stand es um die Publikationsmöglichkeiten von Autorinnen um 1800? Sophie La Roches ‚Fräulein von Sternheim‘ (1771) wurde von Christoph Martin Wieland herausgegeben, Dorothea Veit-Schlegels Roman ‚Florentin‘ (1801) erschien unter dem Namen ihres Mannes Friedrich Schlegel und Karoline von Günderrode nutzte das Pseudonym Tian, das einen männlichen Autor suggerierte. Welche Rolle spielte in solchen Zeiten Ottilie von Goethe und die von ihr von 1829 bis 1831 herausgegebene Zeitschrift ‚Chaos‘, die die Redeordnungen der Zeit programmatisch unterlief?
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
8 € / 4 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts.

Mi, 19. Juli, 19:30 Uhr
LIED & LYRIK:WALTHER VON GOETHE
Lieder, Balladen, Texte – Versuch eines Porträts Mit Ulf Bästlein, Bassbariton und Hedayet Jonas Djeddikar, Klavier
Carl Friedrich Zelter versprach, Obacht auf die musikalische Entwicklung Walther von Goethes (1818 – 1885), Sohn von Ottilie und August von Goethe und Enkel des „großen“ Goethe, zu geben. Robert Schumann, der ihm seine Davidsbündlertänze widmete, wurde sein Freund. Kompositionsunterricht erhielt er u. a. von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Carl Loewe. Doch trotz großer Begabung verstummte Walther von Goethe früh als Komponist. Die Last der Ansprüche, die man an den Namen Goethe stellte, war übergroß. Seine Rezensionen, Essays und sozialkritischen Novellen erschienen unter Pseudonym. Dennoch ist es wesentlich auch sein Verdienst, dass Weimar die „Stadt der Klassik“ blieb.
Das jüngst wiederentdeckte kompositorische Werk Walther von Goethes, in dessen Zentrum Lied und Ballade stehen, bedarf indes einer Neubewertung. Ulf Bästlein und Hedayet Jonas Djeddikar versuchen, ein Portrait dieses liebenswürdigen, humorvollen und feinsinnig gebildeten Menschen und Künstlers zu zeichnen.
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
16 € / 8 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts

BESUCHERINFOS & KONTAKT
ÖFFNUNGSZEITEN
Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr*
Donnerstag 10 – 21 Uhr
*Geänderte Öffnungszeit: 28. August 10–17 Uhr

Ort und Kontakt:
Deutsches Romantik-Museum & Frankfurter Goethe-Haus
Großer Hirschgraben 21
60311 Frankfurt am Main
www.freies-deutsches-hochstift.de

MUT ZUM CHAOS Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik ab 23.06.2023 im Museum Deutsche Romantik

Ottilie von Goethe, Selbstporträt mit Kasperlmütze im Album ‚Allerlei‘, nach Juni 1817 © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 84/II,4a
Ottilie von Goethe, Selbstporträt mit Kasperlmütze im Album ‚Allerlei‘, nach Juni 1817 © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv, 84/II,4a

Das Deutsche Romantik-Museum rückt mit der spannenden neuen Sonderausstellung „Mut zum Chaos. Ottilie von Goethe und die Welt der Romantik“ vom 23.Juni bis 3.September Goethes Schwiegertochter „Ottilie von Goethe“ ins Zentrum.

Ottilie von Goethe (1796 – 1872), Goethes „geliebte Schwiegertochter“, wurde schon von ihren Zeitgenossen überaus kontrovers wahrgenommen. Im Fokus standen stets ihre Rolle als Schwiegertochter Goethes, ihre unglückliche Ehe mit seinem Sohn August und ihre leidenschaftlichen Gefühle. Ihre selbstbestimmten Lebensentscheidungen und ihr freiheitsliebender Geist faszinierten und irritierten zugleich.
Die Frankfurter Ausstellung, die in kleinerer Form bereits 2022 im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar zu sehen war, rückt Ottilie von Goethes bislang wenig beachtetes intellektuelles Lebenswerk in den Mittelpunkt: ihre Tätigkeit als Übersetzerin und Agentin des englisch-deutschen Kulturtransfers, ihre Unterstützung einer neuen Generation von Kunstschaffenden in Weimar, Leipzig und Wien, ferner ihre Dichtungen und ihr politisches Engagement. Ottilies handschriftlicher Nachlass, ihre Bibliothek, ihre Kunst- und archäologischen Sammlungen, ihre Publikationen und Übersetzungen erweisen sich als ein erstaunlich reicher Fundus, um ihre weltoffene Persönlichkeit darzustellen und zugleich ein Stück Frauengeschichte des 19. Jahrhunderts zu schreiben. Im Zentrum steht die Zeitschrift ‚Chaos‘, die Ottilie von Goethe unter tätiger Mitwirkung ihres Schwiegervaters herausgab. Sie zirkulierte in einem geschlossenen Zirkel von Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern und bot unter dem Deckmantel der Anonymität ganz unterschiedlichen Personengruppen, namentlich Frauen, die Möglichkeit zur Teilhabe. Die Beiträge kamen aus allen Teilen Europas, waren in verschiedenen Sprachen verfasst und gaben Gelegenheit, auf die Beiträge der anderen zu reagieren. Auf diese Weise war es möglich, die Redeordnungen der Zeit zu unterlaufen. Auf die historische Zeitschrift reagiert ein partizipatives Projekt, das Teil der Ausstellung sein wird: Studierende der Goethe-Universität Frankfurt erhalten die Möglichkeit, ein ‚Neues Chaos‘ herauszugeben, das in vielerlei Hinsicht an das ursprüngliche Projekt anknüpft. Das Rahmenprogramm umfasst Führungen und Abendvorträge. Ein von der Kuratorin Francesca Fabbri herausgegebener Ausstellungkatalog ist 2022 im Verlagshaus Römerwerg erschienen (96 Seiten mit farbigen Fotografien und Zeichnungen).
Die Ausstellung wird kuratiert von Dr. Francesca Fabbri.

AUSSTELLUNG: 23. JUNI BIS 3. SEPTEMBER, ERÖFFNUNG: 22. JUNI 2023, 19 UHR
DEUTSCHES ROMANTIK-MUSEUM: ERNST MAX VON GRUNELIUS-SAAL

OTTILIE VON GOETHE – KURZBIOGRAPHIE

1806 kam Ottilie Freiin von Pogwisch (1796 – 1872), mittellose Nachfahrin zweier alter preußischer Adelsfamilien, in die Residenzstadt Weimar, wo ihre in Trennung lebende Mutter Henriette von Pogwisch eine Stelle als Hofdame antrat. Bald war Ottilie im Haus des Staatsministers und „Dichterfürsten“ Johann Wolfgang von Goethe ein willkommener Gast. 1817 heiratete sie gegen die Bedenken ihrer Familie Goethes einzigen Sohn August, der ihr seit langer Zeit vertraut war.

Nach dem Einzug in das Haus am Frauenplan, wo die junge Familie mit dem „Vater“ unter einem Dach wohnte, entfaltete Ottilie von Goethe eine weltoffene Geselligkeit. Besonders interessierte sie sich für die englischsprachige Kultur. Sie übersetzte, dichtete und gründete die mehrsprachige Zeitschrift Chaos. Für Goethe wurde sie mehr und mehr zu einer wichtigen Gesprächspartnerin. Auch wurden drei Kinder geboren: Walther, Wolfgang Maximilian und Alma. Die Ehepartner entfremdeten sich jedoch zusehends, zu unterschiedlich waren ihre Charaktere. So suchte Ottilie von Goethe schon während der Ehe nach einem intellektuell und emotional gleichgesinnten Partner, was in der Stadt für Gesprächsstoff sorgte.

Nach dem Tod des Ehemanns im Jahr 1830 und des Schwiegervaters zwei Jahre später führte sie ihr Leben selbstbestimmt und weitgehend unabhängig von den damaligen Konventionen. Ihre liebes- und lebenshungrige Haltung ersparte ihr keine Kritik – sie selbst sprach vom „Doppelurteil, was von mir in der Welt herrscht“. Nach einer Beziehung mit einem englischen Captain gebar sie 1834 inkognito in Wien ein viertes Kind, das jedoch ein Jahr später in der Pflege starb.

1837 zog Ottilie von Goethe mit ihrem Sohn Walther nach Leipzig. Hier und in Wien, wo sie ab 1842 dauerhaft lebte, begeisterte sie sich für die literarisch-politischen Strömungen des Liberalismus. 1844 starb in Wien ihre 16-jährige Tochter Alma an Typhus – ein unüberwindbarer Schicksalsschlag für die ganze Familie. Gleichwohl entschied sie sich, in der Stadt zu bleiben. In ihrem angesehenen Salon verkehrte über zwei Jahrzehnte die literarische Szene Wiens. 1870 kehrte sie nach Weimar zurück und verbrachte im Haus am Frauenplan ihre letzten zwei Lebensjahre.

PROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG
FÜHRUNGEN
ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN
Di, 27. Juni, 16:30 Uhr
So, 2. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 4. Juli, 16:30 Uhr
So, 9. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 11. Juli, 16:30 Uhr
So, 16. Juli, 14 und 16 Uhr
Di, 18. Juli, 16:30 Uhr
So, 30. Juli, 14 und 16 Uhr
So, 13. August, 14 und 16 Uhr
Im Eintrittspreis inklusive

KURATORINNENFÜHRUNGEN
mit Francesca Fabbri
Fr, 23. Juni, 11 Uhr
Fr, 23. Juni, 15 Uhr (für Lehrkräfte)
Mi, 5. Juli, 11 Uhr
Mi, 19. Juli, 16:30 Uhr
Mo, 28. August, 15 Uhr
So, 3. September, 16 Uhr
Im Eintrittspreis inklusive

THEATER-FÜHRUNGEN
mit Katharina Schaaf
So, 25. Juni, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 1. Juli, 15 Uhr
Do, 6. Juli, 18 Uhr
Do, 13. Juli, 18 Uhr
Sa, 15. Juli, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 22. Juli, 15 Uhr
So, 23. Juli, 15 Uhr
Sa, 29. Juli, 15 und 16:15 Uhr
Sa, 5. August, 15 Uhr
So, 6. August, 15 Uhr
So, 20. August, 15 Uhr
Kosten 5 € zzgl. Eintritt. Anmeldung erforderlich

INDIVIDUELLE FÜHRUNGEN
Es besteht die Möglichkeit, individuelle Führungen durch die Ausstellung zu buchen.

VERANSTALTUNGEN
Do, 29. Juni, 19 Uhr
DIE SCHWIEGERTOCHTER
Das Leben der Ottilie von Goethe
Buchvorstellung mit Dagmar von Gersdorff
In ihrem jüngsten Werk entwirft die bekannte Biographin Dagmar von Gersdorff ein facettenreiches Bild der
lebenshungrigen Ottilie von Goethe, von den schwierigen Jugendjahren über die Heirat mit Goethes einzigem
Sohn August bis hin zur langen Phase des Witwenstandes mit Freundschaftsbünden und rastlosen Aktivitäten. Im
Zentrum steht die Zeit an der Seite Goethes, dem sie über 15 Jahre die nächste Vertraute war.
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
8 € / 4 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts

Di, 4. Juli, 19 Uhr
SCHREIBEN OHNE NAMEN
Schriftstellerinnen um 1800
Gespräch mit Francesca Fabbri und Materina Wernli. Lesung: Barbara Englert
Wie stand es um die Publikationsmöglichkeiten von Autorinnen um 1800? Sophie La Roches ‚Fräulein von
Sternheim‘ (1771) wurde von Christoph Martin Wieland herausgegeben, Dorothea Veit-Schlegels Roman
‚Florentin‘ (1801) erschien unter dem Namen ihres Mannes Friedrich Schlegel und Karoline von Günderrode nutzte
das Pseudonym Tian, das einen männlichen Autor suggerierte. Welche Rolle spielte in solchen Zeiten Ottilie von
Goethe und die von ihr von 1829 bis 1831 herausgegebene Zeitschrift ‚Chaos‘, die die Redeordnungen der Zeit
programmatisch unterlief?
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
8 € / 4 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts

Mi, 19. Juli, 19:30 Uhr
LIED & LYRIK:WALTHER VON GOETHE
Lieder, Balladen, Texte – Versuch eines Porträts
Mit Ulf Bästlein, Bassbariton und Hedayet Jonas Djeddikar, Klavier
Carl Friedrich Zelter versprach, Obacht auf die musikalische Entwicklung Walther von Goethes (1818 – 1885),
Sohn von Ottilie und August von Goethe und Enkel des „großen“ Goethe, zu geben. Robert Schumann, der ihm
seine Davidsbündlertänze widmete, wurde sein Freund. Kompositionsunterricht erhielt er u. a. von Felix
Mendelssohn-Bartholdy und Carl Loewe. Doch trotz großer Begabung verstummte Walther von Goethe früh als
Komponist. Die Last der Ansprüche, die man an den Namen Goethe stellte, war übergroß. Seine Rezensionen,
Essays und sozialkritischen Novellen erschienen unter Pseudonym. Dennoch ist es wesentlich auch sein Verdienst,
dass Weimar die „Stadt der Klassik“ blieb.
Das jüngst wiederentdeckte kompositorische Werk Walther von Goethes, in dessen Zentrum Lied und Ballade
stehen, bedarf indes einer Neubewertung. Ulf Bästlein und Hedayet Jonas Djeddikar versuchen, ein Portrait
dieses liebenswürdigen, humorvollen und feinsinnig gebildeten Menschen und Künstlers zu zeichnen.
Ort: Freies Deutsches Hochstift, Arkadensaal, Großer Hirschgraben 23-25
16 € / 8 € für Mitglieder des Freien Deutschen Hochstifts

BESUCHERINFOS & KONTAKT

Öffnungszeiten
Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr*
Donnerstag 10 – 21 Uhr
*Geänderte Öffnungszeit: 28. August 10–17 Uhr

Weitere Infos über:
BESUCHERANFRAGEN & ANMELDUNG
anmeldung@freies-deutsches-hochstift.de
+ 49 (0) 69 138 80-0

Ort und Kontakt
Deutsches Romantik-Museum & Frankfurter Goethe-Haus
Großer Hirschgraben 21
60311 Frankfurt am Main
www.freies-deutsches-hochstift.de

ROMANTIK UND PARLAMENTARISMUS Jacob Grimm und Ludwig Uhland in der Frankfurter Paulskirche 12. Mai bis 30. Juli 2023

Die Nationalversammlung in der Paulskirche. Kolorierte Lithografie von Ludwig von Elliot © Historisches Museum, Frankfurt am Main.
Die Nationalversammlung in der Paulskirche. Kolorierte Lithografie von Ludwig von Elliot © Historisches Museum, Frankfurt am Main.

Die Spätphase der Romantik galt lange Zeit als rückwärtsgewandt und modernefeindlich, vor allem aber als politisch reaktionär. Diese Fehleinschätzung wurde mittlerweile revidiert und hat einer differenzierteren Sicht Platz gemacht. In der Spätromantik begegnen höchst unterschiedliche Einstellungen, die nahezu das gesamte Spektrum politischer Haltungen umfassen und von konservativ-monarchietreuen bis zu demokratisch-liberalen Positionen reichen.

Seit Herbst 1816 tagte im Frankfurter Palais Thurn und Taxis (Eschenheimer Gasse) einmal wöchentlich die sog. Bundesversammlung (auch Bundestag genannt), ein Kongress von Gesandten der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes. Als nach der Märzrevolution 1848 Forderungen nach parlamentarischer Volksvertretung übermächtig wurden, fanden in den einzelnen deutschen Ländern Wahlen zu einer „constituirenden deutschen Nationalversammlung“ statt, die ebenfalls in Frankfurt zusammenkam – und zwar in der nach dem Apostel Paulus benannten Paulskirche. Zentrale Aufgabe der Nationalversammlung sollte es sein, eine Verfassung für einen noch zu gründenden deutschen Bundesstaat zu entwerfen.

Mit Jacob Grimm und Ludwig Uhland begriffen zwei Vertreter der Romantik diese Gelegenheit als Aufgabe, um an der künftigen deutschen Volksvertretung mitzuwirken. Sie ließen sich in ihren Wahlbezirken als Kandidaten nominieren und wurden schließlich auch als Abgeordnete gewählt. In den Folgemonaten erlebten und gestalteten sie eine der spannendsten Phasen der deutschen Geschichte mit. Auch wenn weder Jacob Grimm noch Ludwig Uhland zu den prägenden Gestalten des Paulskirchenparlaments gehörten und die großen Debatten von anderen Personen geführt wurden, nahmen beide doch erkennbar Anteil an den politischen Willensbildungsprozessen und suchten zumindest punktuell auf einzelne Entscheidungen einzuwirken.

Die Kabinettausstellung im Handschriftenstudio des Deutschen Romantik-Museums setzt sich mit dieser wichtigen und oft übersehenen Facette des Wirkens von Jacob Grimm und Ludwig Uhland auseinander. Ihre Tätigkeit führt eindrücklich vor Augen, dass Romantik und Parlamentarismus keine Gegensätze sind.

Die Ausstellung findet im Rahmen des Paulskirchen-Festivals der Stadt Frankfurt statt und wird von Prof. Dr. Wolfgang Bunzel kuratiert. Zur Ausstellung werden inhaltlich ergänzende Veranstaltungen angeboten.

Eintritt Der Besuch der Ausstellung ist im Museumseintritt enthalten.
Öffnungszeiten Freitag bis Mittwoch, Feiertage 10 – 18 Uhr, Donnerstag 10 – 21 Uhr
Besucherinformation www.freies-deutsches-hochstift.de

Deutsches Romantik-Museum & Frankfurter Goethe-Haus 7 Tage die Woche geöffnet

Deutsches Romantik Museum, daran anscließend das Goethe-Haus. © Foto Diether von Goddenthow
Deutsches Romantik Museum, daran anscließend das Goethe-Haus. © Foto Diether von Goddenthow

Ab dem 1. April sind Goethe-Haus und Deutsches Romantik-Museum 7 Tage die Woche geöffnet. Wir haben nachgerechnet: Das sind ingesamt 212.400 Sekunden jede Woche für Ihren Besuch bei uns. Neu im Vermittlungsprogramm sind öffentlichen Einführungen zum Deutschen Romantik-Museum, die einen Einblick in das Ausstellungskonzept des Hauses geben.

Zum 400-jährigen Jubiläum von ‚Shakespeare’s First Folio‘ laden wir Sie heute Abend zu einer Lesung mit Gespräch ein. An Shakespeares Geburtstag erwartet Sie Katharina Schaaf mit einer ganz besonderen Führung im Goethe-Haus.

Auch Ludwig Tiecks 250. Geburtstag wird selbstverständlich gefeiert: Die Goethe-Ringvorlesung in diesem Semester ist ihm gewidmet und in der Reihe Lied & Lyrik wird ‚Die schöne Magelone‘ in Brahms Vertonung zu hören sein.

Anlässlich des 80. Geburtstags Hendrik Birus veranstaltet das Freie Deutsche Hochstift ein festliches Symposium. An zwei Tagen werden zahlreiche Freunden und Weggefährten des international renommierten Literaturwissenschaftlers und Goethe-Forschers in Vorträgen und Diskussionen der Frage nachgehen, wie Philologie heute zu bestimmt und zu bewerten ist.

Der Workshop ‚Goethe und der Frühling‘ in den Osterferien bietet Kindern die Möglichkeit, verschiedene künstlerische Techniken auszuprobieren. ‚Zeichnen in der Natur‘ ist ein Kreativ-Angebot für Jugendliche und Erwachsene. Hier können bei einem Spaziergang verschiedene Zeichentechniken erprobt werden.

 

Deutsches Romantik-Museum
Großer Hirschgraben 23-25
60311 Frankfurt am Main
Tel.: +49 (0)69 138 80-0
info@freies-deutsches-hochstift.de

Besucherinformationen