Kategorie-Archiv: Schirn Kunsthalle Frankfurt

Schirn Kunsthalle Frankfurt: Ab 6. Mai wieder zu sehen „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ u. „Richard Jackson. Unexpected Unexplained Unaccepted“

fantastische-frauen-logo1Entsprechend eines nach behördlichen Vorgaben entwickelten und umgesetzten Hygieneplans erfolgt am 6. Mai 2020 die Öffnung der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Die Vorsorgemaßnahmen für den Infektionsschutz umfassen u. a. eine Besucherbegrenzung und Regulierung der Besucher durch online erhältliche Zeitfenstertickets, eine optimierte Besucherführung in den Häusern sowie eine vermehrte Reinigung neuralgischer Punkte.
Es gilt die Abstandsregel von mindestens 1,5 Metern und die Nies- und Hust-Etikette einzuhalten, sowie einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Dieser kann mitgebracht oder an den Kassen erworben werden.

Mit der großen Überblicksschau „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ (bis 5. Juli 2020) beleuchtet die Schirn erstmals den weiblichen Beitrag zum Surrealismus und zeigt, dass die Beteiligung von Künstlerinnen an der internationalen Bewegung wesentlich umfassender war als allgemein bekannt und bislang dargestellt. Mit rund 260 Gemälden, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotografien und Filmen von 34 Künstlerinnen aus 11 Ländern bildet die Schau ein vielfältiges stilistisches und inhaltliches Spektrum ab. Neben bekannten Namen wie Louise Bourgeois, Claude Cahun, Leonora Carrington, Frida Kahlo, Meret Oppenheim oder Dorothea Tanning sind zahlreiche weniger bekannte Persönlichkeiten wie Toyen, Alice Rahon oder Kay Sage aus mehr als drei Jahrzehnten surrealistischer Kunst zu entdecken. Die Ausstellung konnte mit der Unterstützung der Kulturfonds Frankfurt RheinMain gGmbH, der Dr. Marschner Stiftung und der Ernst von Siemens Kuntstiftung realisiert werden. Gleichfalls wird die Schau gefördert von der Bank of America als Partner der Schirn 2020.

Die Ausstellung „Richard Jackson. Unexpected Unexplained Unaccepted“ (bis 5. Juli 2020) versammelt fünf der charakteristischen Rooms des US-amerikanischen Künstlers. Richard Jackson kombiniert kritische Kommentare zur Malerei mit sozialen Kontexten, paart sie mit provokativem Witz und Doppeldeutigkeiten sowie Referenzen auf ikonische Werke von Künstlern wie Marcel Duchamp, Robert Rauschenberg oder Jasper Johns. In den Rauminstallationen werden comicartige Figuren, Tiere oder Gegenstände zu Akteuren eines einmaligen Prozesses: Luftkompressoren und Pumpen verteilen satte Farbe auf Boden, Wänden, Einrichtung und den Protagonisten selbst. Die thematischen Zimmer dokumentieren eine vom Künstler losgelöste Malerei, die ins Räumliche expandiert.
Die Ausstellung wird unterstützt von der Stadt Frankfurt am Main und gefördert durch die SCHIRN
ZEITGENOSSEN.

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT Römerberg,
60311 Frankfurt am Main
Alle Informationen finden sich auch online unter www.schirn.de

FANTASTISCHE FRAUEN SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO bis 24. Mai 2020

Ausstellungsimpression von FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO,  vom 13. Februar bis 24. Mai 2020  © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
Ausstellungsimpression von FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO, vom 13. Februar bis 24. Mai 2020 © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz

Vom 13. Februar bis zum 24. Mai 2020 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt die große Überblicksausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, die den Künstlerinnen des Surrealismus gewidmet ist. Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch, Kindfrau oder wunderbares Traumwesen – die Frau war das zentrale Thema surrealistischer Männerfantasien. Künstlerinnen gelangten zunächst als Partnerin oder Modell in den Kreis um den Gründer der Surrealisten-Gruppe, André Breton. Schnell brachen sie aus diesem Rollenverständnis aus und schufen selbstbewusst unabhängige Werke. Die Ausstellung der Schirn beleuchtet erstmals den weiblichen Beitrag zum Surrealismus und zeigt, dass die Beteiligung der Künstlerinnen an der internationalen Bewegung wesentlich umfassender war als allgemein bekannt und bislang dargestellt. Unbewusstes, Traum und Zufall, Mythen und Metamorphosen, Literatur und das politische Zeitgeschehen sowie Materialexperimente und inszenierte Fotografie – viele bekannte Themen des Surrealismus kennzeichnen ebenso die Werke der Frauen. Was die Künstlerinnen von ihren männlichen Kollegen vor allem unterscheidet, ist die Umkehr der Perspektive: Durch die Befragung des eigenen Spiegelbilds oder das Einnehmen verschiedener Rollen sind sie auf der Suche nach einem (neuen) weiblichen und künstlerischen Identitätsmodell.

Die Ausstellung konzentriert sich auf Künstlerinnen, die direkt mit der Anfang der 1920er-Jahre in Paris gegründeten surrealistischen Bewegung verbunden waren, wenngleich bisweilen nur für kurze Zeit: Sie waren mit André Breton persönlich bekannt, stellten mit der Gruppe aus, beteiligten sich an Publikationen und setzten sich mit den surrealistischen Ideen theoretisch auseinander. Mit rund 260 Gemälden, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotografien und Filmen von 34 Künstlerinnen aus 11 Ländern bildet die Schau ein vielfältiges stilistisches und inhaltliches Spektrum ab. Neben bekannten Namen wie Louise Bourgeois, Claude Cahun, Leonora Carrington, Frida Kahlo, Meret Oppenheim oder Dorothea Tanning sind zahlreiche bislang weniger bekannte Persönlichkeiten wie Toyen, Alice Rahon oder Kay Sage aus mehr als drei Jahrzehnten surrealistischer Kunst zu entdecken. Sie werden in der Schirn jeweils mit einer repräsentativen Auswahl ihrer Arbeiten vorgestellt. Die Ausstellung spiegelt zudem Netzwerke und Freundschaften zwischen den Künstlerinnen in Europa, den USA und Mexiko. Für die Präsentation konnte die Schirn bedeutende Leihgaben aus zahlreichen deutschen und internationalen Museen, öffentlichen wie privaten Sammlungen gewinnen und in Frankfurt zusammenführen, u. a. aus dem Metropolitan Museum of Art, New York; der Tate, London; den National Galleries of Scotland, Edinburgh; dem Centre Pompidou, Paris; dem Musée d’art moderne de la ville de Paris; dem Musée national Picasso, Paris; dem Kunstmuseum Bern; dem Kunstmuseum Basel; dem Moderna Museet, Stockholm; dem mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, und dem Museum de Arte Moderno, Mexiko-Stadt.

Die Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ konnte dank der Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Dr. Marschner Stiftung realisiert werden. Hinzu kommt die Förderung der Bank of America als Partner der Schirn 2020.

„Mit der Ausstellung ‚Fantastische Frauen‘ präsentieren wir in der Schirn eine Premiere: Rund 260 Werke von 34 Künstlerinnen eröffnen unseren Besucherinnen und Besuchern eine gänzlich neue Perspektive auf die surrealistische Kunst. Es ist ein umfassender Überblick über die dezidiert weibliche Seite der Bewegung, wie er bislang noch nicht zu sehen war. Die der Ausstellung zugrundeliegende Forschung möchte dazu beitragen, dieses wesentliche Kapitel der Kunst zu vervollständigen“, erläutert Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt.
Dr. Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung, betont: „In keiner künstlerischen Bewegung der Moderne spielten Frauen auch quantitativ eine solch zentrale Rolle wie im Surrealismus, und doch fehlen viele ihrer Namen und Werke bis heute oft in Publikationen und Überblicksausstellungen. Die in der Schirn präsentierten Künstlerinnen haben in unnachahmlicher Weise Ideen der Gruppe rezipiert und sie in ihren äußerst individuellen Werken weitergeführt. In der Zusammenschau werden das internationale Netzwerk, die unglaubliche Vielfalt und die beeindruckende Eigenständigkeit der bekannteren wie auch unbekannteren Künstlerinnen des Surrealismus deutlich. Denn der Surrealismus war eine Geisteshaltung, kein Stil.“

THEMEN UND KÜNSTLERINNEN DER AUSSTELLUNG

Ausstellungsimpression von FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO,  vom 13. Februar bis 24. Mai 2020  © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz
Ausstellungsimpression von FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO, vom 13. Februar bis 24. Mai 2020 © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz

Die große Überblicksausstellung erstreckt sich über die gesamte Länge beider Galerien der Schirn und stellt die Künstlerinnen des Surrealismus mit einer repräsentativen Auswahl an Werken und auch in topografischen Räumen vor. Denn viele der Künstlerinnen bildeten in den unterschiedlichen Zentren des Surrealismus Netzwerke: in Frankreich, England, Belgien, der Tschechoslowakei, der Schweiz, Skandinavien, später in den USA und Mexiko.

Gleich zu Beginn der Ausstellung präsentiert die Schirn Meret Oppenheim (1913 Berlin – 1985 Basel), die als eine der ersten surrealistischen Künstlerinnen zu frühem Ruhm gelangte. Sie bewegte sich in jungen Jahren im unmittelbaren Umfeld der Surrealisten in Paris. Die Gruppe traf sich regelmäßig, diskutierte über politische Entwicklungen ebenso wie über die damals neue Psychoanalyse, deren Erkenntnisse sie als Impulse nutzte, um die Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst zu verändern. Bereits 1936 nahm das New Yorker Museum of Modern Art Oppenheims ikonische „Pelztasse“ in seine Sammlung auf – sie gilt bis heute als das surrealistische Objekt schlechthin. Die Schirn zeigt Werke der Künstlerin aus den 1930er- bis 1970er-Jahren, darunter Skulpturen wie Urzeit-Venus (1933/62) und Gemälde, etwa Das Auge der Mona Lisa (1967). Die offiziellen Mitglieder der surrealistischen Gruppe um André Breton waren zunächst Männer, ab den 1930er-Jahren stießen zahlreiche Künstlerinnen dazu und beteiligten sich an den internationalen Surrealismus-Ausstellungen, etwa in New York (1936), Paris (1936 und 1938), Tokyo (1937), Amsterdam (1938) und Mexiko-Stadt (1940). Man kann von verschiedenen Generationen des Surrealismus sprechen: Die Künstlerinnen waren meist jünger, viele ihrer Hauptwerke entstanden daher in den 1940er- und 1950er-Jahren. Obwohl bis in die 1960er-Jahre weitere Ausstellungen der Gruppe stattfanden und sie sich erst 1969 auflöste, sahen zahlreiche Chronisten den Surrealismus mit dem Zweiten Weltkrieg als beendet an. Auch aufgrund dieser Erzählweise fanden die Werke der Künstlerinnen bislang zu wenig Berücksichtigung.

Le désir (das erotische Begehren) ist ein zentrales Thema des Surrealismus, der Körper der Frau ein wiederkehrendes Motiv in den Werken. Das Verhältnis der männlichen Surrealisten zu ihren Kolleginnen ist insgesamt als ambivalent zu bewerten. In vielerlei Hinsicht lehnte die Bewegung traditionell bürgerliche Vorstellungen von Familie, Sexualmoral und Eheleben ab. In den Werken der Künstler wird die Frau aber oft objektiviert, als passive Kindfrau, Fetisch oder Muse, fragmentiert oder geköpft dargestellt. Davon unterscheidet sich die Perspektive der Künstlerinnen: Zahlreiche Selbstporträts und Darstellungen der Frauen sind geprägt von einem spielerischen, selbstbewussten Umgang mit ihrem Körperbild und der weiblichen Sexualität. Die Ausstellung zeigt u. a. das Autoportrait, à l’auberge du Cheval d’Aube (1937/38) von Leonora Carrington (1917 Clayton Green – 2011 Mexiko-Stadt), in dem sie sich in der Kleidung eines jungen Mannes aus dem 18. Jahrhundert in Hosen dargestellt hat, flankiert von ihrem wiederkehrenden Alter Ego, einem Pferd, und einer Hyäne als Symbol ihres Freiheitsdrangs. Ithell Colquhoun (1906 Assam – 1988 Lamorna) malte mit Tree Anatomy (1942) eine humorvolle Umdeutung einer Vulva. Die Künstlerin Claude Cahun (1894 Nantes – 1954 Saint Helier) schuf bereits in den 1920er-Jahren ihr Hauptwerk, eine Serie von beeindruckenden und äußerst aktuellen fotografischen Selbstporträts und Fotomontagen, in der sie Androgynität und das Spiel mit Geschlechterrollen thematisierte, etwa um 1927 in Self-Portrait (I am in Training … Don’t Kiss Me). Das Werk von Leonor Fini (1907 Buenos Aires – 1996 Paris) enthält überproportional viele Männerakte, denen starke Frauenfiguren den Weg weisen wie in Dans la tour (Im Turm; 1952) oder Schutz gewähren wie in Divinité chtonienne guettant le sommeil d’un jeune homme (Erdgottheit, die den Schlaf eines Jünglings bewacht; 1946). Die Künstlerinnen rebellierten gegen geschlechtsspezifisches Rollenverhalten und präsentierten sich auch selbst mit einem betont androgynen Aussehen (Oppenheim, Cahun, Toyen) oder in unterschiedlichen Rollen und Maskeraden (Fini).

Die Surrealisten nutzten Spiele und Techniken wie die écriture automatique (automatisches Schreiben), Traumprotokolle oder Collagen, um Zugang zum Unbewussten zu eröffnen und dem Zufall Raum zu geben. Jacqueline Lamba (1910 Saint-Mandé – 1993 La Rochecorbon), Emmy Bridgwater (1906 Birmingham – 1999 Solihull) oder Unica Zürn (1916 Berlin – 1970 Paris) arbeiteten in ihrem Werk ganz zentral mit diesen Methoden. Eine eigene Sektion der Ausstellung ist den cadavres exquis gewidmet. Diese Zeichnungen oder Collagen entstanden als Gruppenspiel: Auf einem gefalteten Papier führten die Teilnehmer nacheinander die Darstellung des Vorgängers fort, ohne zu sehen, was jener kreiert hatte. Solche kollektiven Kunstwerke sollten auch den Zusammenhalt der Gruppe stärken. An diesen Spielen nahmen Mitglieder der Gruppe wie André Breton, Paul Éluard, Valentine Hugo (1887 Boulogne-sur-Mer – 1968 Paris), Jacqueline Lamba oder Yves Tanguy ebenso teil wie Laien oder Autodidakten, etwa Nusch Éluard (1906 Mulhouse – 1946 Paris).

Im Kreis der Surrealisten spielte die Auseinandersetzung mit antiker Mythologie sowie vorchristlichen und außereuropäischen Mythen und Sagen eine wichtige Rolle. Die mythische Sagengestalt des Mittelalters Melusine (Frau und Meereswesen) und die rätselhafte ägyptische Sphinx (Frau und Löwe mit Flügeln) stehen oft als Symbole für die Metamorphose, das Veränderliche, aber auch für die dämonische Verführerin und Femme fatale. Auf der Suche nach Vorbildern für ein weibliches Identitätsmodell griffen die Künstlerinnen das Motiv des Mischwesens besonders häufig auf. Die Schirn zeigt u. a. La venadita (Der kleine Hirsch; 1946) von Frida Kahlo und die Skulptur La Grande Dame (1951) von Leonora Carrington und José Horna. Die tschechische Malerin Toyen (1902 Prag – 1980 Paris) entwickelte für sich ein geschlechtsneutrales Pseudonym, abgeleitet vom französischen citoyen (Bürger). Ihr ging es nicht um Gegensätze zwischen männlich und weiblich, animalisch und menschlich, sondern um Ähnlichkeiten. In Le Paravent (1966) setzt sie einen Mund an die Stelle des Geschlechts der weiblich anmutenden Figur und schafft eine Szene, die zwischen Begehren und Furcht changiert.

Während des Zweiten Weltkriegs emigrierten viele der Surrealisten, u. a. in die USA oder nach Mexiko. Eine lebendige surrealistische Szene entwickelte sich in Mexiko um Frida Kahlo (1907 Coyoacán – 1954 Mexiko-Stadt). Die Malerin kombinierte in ihrer individuellen Ikonografie Motive der präkolonialen Kultur Mexikos mit christlichen Symbolen sowie ihrer persönlichen Biografie. Sie betonte matriarchale, feministische Traditionen und trug bewusst die Tracht der Gegend um Tehuana, die für ihre von Frauen dominierte Kultur bekannt war. Die Schirn zeigt u. a. ihre Hauptwerke Autorretrato con collar de espinas y colibrí (Selbstbildnis mit Dornenhalsband; 1940) und Autorretrato en la frontera entre México y los Estados Unidos (Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA; 1932). Zu einer zentralen Persönlichkeit in Mexiko-Stadt wurde auch die Dichterin und Malerin Alice Rahon (1904 Chenecey-Buillon – 1987 Mexiko-Stadt), die erste Frau, deren Texte 1936 in den Éditions surréalistes verlegt wurden. Unter den weiteren surrealistischen Künstlerinnen, die sich in Mexiko niederließen und sich intensiv mit der präkolumbianischen Vergangenheit, der überbordenden Natur und den mexikanischen Mythen auseinandersetzten, waren die Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington, die Malerin Bridget Tichenor (1917 Paris – 1990 Mexiko-Stadt) sowie Remedios Varo (1908 Anglés – 1963 Mexiko-Stadt), deren Malstil die surrealistischen Techniken der Fumage, Frottage und Décalcomanie mit der Darstellung detailreicher altmeisterlicher Figuren vereint.

Die Fotografie bot den Surrealistinnen zahlreichen Möglichkeiten, die Abbildung der Realität durch Retuschen, nachträgliches Kolorieren, Montagen und extreme Belichtungen zu verfremden und infrage zu stellen. Jane Graverol (1905 Ixelles – 1984 Fontainebleau) oder Lola Álvarez Bravo (1903 Lagos de Moreno – 1993 Mexiko-Stadt) nutzten zudem die Technik der Collage, um Widersprüchliches zu verbinden. Gerade unter den Fotografinnen positionierten sich einige Künstlerinnen politisch. Das Werk von Dora Maar (1907 Paris – 1997 ebenda) weist neben surrealistischen Themen, die Schirn zeigt etwa 29, rue d’Astorg (1936), ein tiefgreifendes Interesse am Zeitgeschehen auf. Neben Breton unterzeichnete sie 1934 das Manifest Appel à la lutte (Aufruf zum Kampf) gegen die erstarkenden faschistischen Strömungen. Claude Cahun war in den Jahren um 1940 aktiv im Widerstand tätig und verstarb letztlich an den Folgen einer Inhaftierung. Eine besondere Rolle nimmt Lee Miller (1907 Poughkeepsie – 1977 Chiddingly) ein, die nach ihrer surrealistischen Phase ab 1944 als Kriegsfotografin tätig war.

Auch zum surrealistischen Film leisteten Künstlerinnen wesentliche Beiträge: Die Schirn zeigt La Coquille et le clergyman (Die Muschel und der Kleriker; 1927) von Germaine Dulac (1882 Amiens – 1942 Paris), der heute als erstes surrealistisches Werk der Filmgeschichte gilt. Maya Deren (1917 Kiew – 1961 New York) war eine Hauptakteurin der US-amerikanischen filmischen Avantgarde der Nachkriegszeit. Mit Filmproduktionen wie Meshes of the Afternoon (1943) hatte sie schon zuvor gegen die vorherrschenden Erzählstrukturen Hollywoods, in denen Weiblichkeit zumeist von einem männlichen Standpunkt aus beleuchtet wurde, gearbeitet.

Einige der vorgestellten Künstlerinnen waren nur kurzzeitig mit dem Surrealismus verbunden. Die US-amerikanische Künstlerin Dorothea Tanning (1910 Galesburg – 2012 New York) wandte sich in der Zwischenkriegszeit dem Surrealismus zu, um eine alternative Erzählung für die Kunst, die Gesellschaft und sich selbst zu finden. Wie auch Oppenheim oder Carrington wollte sie später nicht (mehr) als Surrealistin bezeichnet werden oder ihre Werke in Ausstellungen nur mit Arbeiten von Frauen zeigen. Die Künstlerinnen des Surrealismus betrachteten sich als Individuen, die unabhängig von ihrem Geschlecht und einer stilistischen Festlegung wahrgenommen werden wollten. Dennoch gehörten sie historisch zur surrealistischen Bewegung und spielten in dem in der Schirn vorgestellten Netzwerk eine zentrale Rolle.

Den Schlusspunkt und gleichzeitig Ausblick der Ausstellung bildet das Werk von Louise Bourgeois (1911 Paris – 2010 New York), die sich in ihren Gemälden, etwa der Serie Femme maison (1945-47), und ihrer skulpturalen Objektkunst intensiv mit Sexualität und weiblicher Identität auseinandersetzte. Sie gehörte derselben Generation von Künstlerinnen an wie Meret Oppenheim; die Rezeption ihres Werkes begann aber erst viel später. Es wird heute eher der Gegenwartskunst zugeordnet.

Eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Kooperation mit dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk.

DIE KÜNSTLERINNEN DER AUSSTELLUNG Eileen Agar, Lola Álvarez Bravo, Rachel Baes, Louise Bourgeois, Emmy Bridgwater, Claude Cahun, Leonora Carrington, Ithell Colquhoun, Maya Deren, Germaine Dulac, Nusch Éluard, Leonor Fini, Jane Graverol, Valentine Hugo, Frida Kahlo, Greta Knutson, Jacqueline Lamba, Sheila Legge, Dora Maar, Emila Medková, Lee Miller, Suzanne Muzard, Meret Oppenheim, Valentine Penrose, Alice Rahon, Edith Rimmington, Kay Sage, Sophie Taeuber-Arp, Jeannette Tanguy, Dorothea Tanning, Bridget Tichenor, Toyen, Remedios Varo, Unica Zürn.

katalog-fantastische-Frauen-Hirmer-verlag250KATALOG FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO, herausgegeben von Ingrid Pfeiffer. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, SCHIRN, und Poul Erik Tøjner, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk. Mit Beiträgen von Patricia Allmer, Tere Arcq, Kirsten Degel, Heike Eipeldauer, Annabelle Görgen-Lammers, Rebecca Herlemann, Karoline Hille, Silvano Levy, Alyce Mahon, Christiane Meyer-Thoss, Laura Neve, Ingrid Pfeiffer, Gabriel Weisz Carrington sowie Biografien der einzelnen Künstlerinnen und farbigen Ansichten der Werke. Deutsche und englische Ausgabe, je 420 Seiten, 350 Abb., 24 x 29 cm, Hardcover, Hirmer Verlag, 39 € (SCHIRN), ca. 49,90 € (Buchhandel).

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
Römer­berg
60311 Frank­furt

Schirn widmet der Königin des Abstrakten Expressionismus, Lee Krasner, erste deutsche Überblicksschau

Lee Krasner vom  11.10.2019 bis 12.01.2020 in der Schirn. ©  Foto: Diether  v Goddenthow  Kunsthalle Frankfurt
Lee Krasner vom 11.10.2019 bis 12.01.2020 in der Schirn. © Foto: Diether v Goddenthow
Kunsthalle Frankfurt

Nachgesagt wird ihr, sie habe keine Angst gekannt. Aber gemalt hat sie mit einem Tempo  wie jemand, der ewig auf der Flucht ist. Diese Rastlosigkeit war es, die sie triebt, Lee Krasner, die nachts lieber arbeitete als ihre Schlaflosigkeit ertragen zu müssen. Vielleicht hat das – psychologisch betrachtet – etwas mit der Herkunft ihrer Familie zu tun. Diese war aus der Nähe von Odessa, Russland (heute Ukraine), vor den brutalen Judenverfolgungen und dem Russisch-Japanischen Krieg nach Amerika geflohen und Lena Krasner war das erste Kind der Familie, das in Brooklyn, New York, geboren wird, am 27. Oktober 1908.  Vielleicht haben die Traumata ihrer Eltern auch in ihrer Kinderseele  Spuren hinterlassen, gar zu einer unstillbaren inneren Leere beigetragen, die sie unentwegt antrieb,  zunächst aus der Enge der tradierten Vorstellungen ihrer zutiefst gläubigen Familie und später zu ihrem  unentwegten Schaffen. Sie wollte frei sein, unabhängig sein, ihr Leben selbst bestimmt in die Hand nehmen.  Bereits im Alter von 14 Jahren  bewarb sie sich   an der Washington Irving High School in Manhattan, der einzigen öffentlichen Schule im Großraum New York, die einen Kunstkurs für Mädchen anbot. Damit begann  das turbulente kreative Leben der Künstlerin, die  später als Pionierin des abstrakten Expressionismus gefeiert wurde.

The Eye ist the First Circle, 1960. Der Kreis ist für Lee Krasner auch Symbol ewiger Wiederkehr, für die Kreisläufe in der Natur, für die es keinen Anfang und Ende gibt. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
The Eye ist the First Circle, 1960. Der Kreis ist für Lee Krasner auch Symbol ewiger Wiederkehr, für die Kreisläufe in der Natur, für die es keinen Anfang und Ende gibt. © Foto: Diether v Goddenthow

Und endlich, nach nunmehr mehr gut  50 Jahren ist Krasners Werk erstmals wieder  in einer großen Retrospektive  in Europa zu sehen, nämlich vom 11.10. 2019 bis 12.01.2020 in der Schirn
Kunsthalle Frankfurt.

Präsentiert werden dabei die Hauptwerke der Künstlerin, darunter Gemälde, Collagen und Zeichnungen, sowie Fotografien und Filmaufnahmen dieser Zeit. Die Ausstellung erzählt die Geschichte einer der unbeirrbarsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts und zeigt Krasners Gesamtwerk, das ein halbes Jahrhundert umfasst: Selbstporträts aus den 1920er-Jahren, Aktdarstellungen in Kohle, Werkgruppen, wie etwa die geometrischen Little Images aus den 1940er-Jahren oder wegweisende Gemälde der Prophecy-Reihe aus den 1950er-Jahren, experimentelle, großformatige Werke der Umber- und Primary-Serie der 1960er-Jahre und späte Collagen der 1970er-Jahre.

Zielstrebig nahm Krasner bereits während des High-School-Besuchs Kunstunterricht,  studierte unter anderem  in New York an der Cooper Union, der National Academy of Design, und wechselte 1937 zu Hans Hofmann,  dem einzigen Experten für europäischen Kubismus, an dessen School of Fine Arts.  Hier fand sie zu ihrem, zunächst eigentlichen Stil.  Sie war aktives Mitglied der American Abstract Artists und pflegte Freundschaften zu Ray Eames, Ashile Gorky und Willem de Kooning. Im New York der 1940er-Jahre bewegte sie sich neben Künstlern wie Mark Rothko, Barnett Newman, Stuart Davis und Jackson Pollock im Zentrum der sich neu herausbildenden Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus, auch New York Style genannt. Mit unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen suchte diese junge Künstlergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue bildnerische Sprache durch eine spontane, abstrakte Arbeitsweise sowie die Abkehr von europäischen Bildtraditionen. Lee Krasners Kunst stand lange im Schatten ihres Ehemanns Jackson Pollock, der mit seinen Drip Paintings einer der Hauptvertreter des Action Painting ist. Beide lebten und arbeiteten ab 1945 in einem einfachen Holzhaus in Springs, Long Island. Nach Pollocks frühem Tod bei einem Autounfall 1956 entschied sich Krasner, sein Atelier in einer umgebauten Scheune zu nutzen, und leitete damit eine neue Phase ihrer künstlerischen Karriere ein. Erstmals konnte sie auf monumentalen, nicht aufgezogenen Leinwänden arbeiten. Es entstanden einige ihrer bedeutendsten Werke, die Schirn zeigt u. a. Polar Stampede (1960), Another Storm (1963) oder Portrait in Green (1969). Anders als andere Künstler dieser Zeit, die ebenfalls ungegenständlich malten, entwickelte Krasner nie einen „signature style“, sondern reflektierte ihre Praxis mit dem Anspruch, ihre Bildsprache stets neu zu erfinden.

©  Foto: Diether  v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Für die Ausstellung konnte die Schirn Leihgaben aus zahlreichen internationalen Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen gewinnen und in Frankfurt zusammenführen, u. a. der Pollock-Krasner Foundation, dem Metropolitan Museum of Art, dem San Francisco Museum of Modern Art, der National Gallery of Washington, dem Whitney Museum of American Art, dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, dem Philadelphia Museum of Art und dem Jewish Museum, New York. Viele der Werke sind erstmals in Deutschland zu sehen, wie etwa das monumentale, über vier Meter lange Gemälde Combat (1965) aus der National Gallery of Victoria in Australien.

Die Ausstellung „Lee Krasner“ wird von der Art Mentor Foundation Lucerne ermöglicht. Zusätzliche Unterstützung erfährt die Ausstellung durch die Terra Foundation for American Art. Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, sagt: „Lee Krasner ist eine der wichtigsten Malerinnen der US-amerikanischen Nachkriegsmoderne und dennoch hat ihr Werk lange nicht die verdiente Aufmerksamkeit erfahren. Es erstaunt, dass unsere Ausstellung ihre erste Retrospektive in Europa nach über 50 Jahren ist. Die noch immer oft vorrangig als männlich wahrgenommene Kunst des abstrakten Expressionismus erfährt mit dieser Würdigung Krasners eine lange überfällige Neubewertung. Und für unser Publikum ist die Schau in der Schirn eine einmalige Gelegenheit die Werke der Künstlerin im Original zu erleben, denn nur wenige ihrer großformatigen Werke befinden sich in europäischen Sammlungen.“

©  Foto: Diether  v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Eleanor Nairne, Barbican Art Gallery, London und Dr. Ilka Voermann, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Kuratorinnen der Ausstellung, erläutern: „In Zyklen arbeitend griff Lee Krasner immer wieder auf frühere Serien zurück und entwickelte daraus neue künstlerische Ausdrucksformen. Mit bemerkenswerter Energie und Freiheit blieb sie ihrem eigenen Geist treu. Unsere Ausstellung zelebriert Krasners künstlerische Wandlungsfähigkeit und stellt den Facettenreichtum ihrer Kunst sowie ihren bedeutenden Beitrag zum abstrakten Expressionismus vor.“

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KÖNIG DER TIERE WILHELM KUHNERT UND DAS BILD VON AFRIKA

Der in die Ferne blickende Löwe ist ein Hauptmotiv bei Kuhnert, dass er unzählige Male dargestellt und variiert hat. In diesem Gemälde wirkt der Löwe allein durch die Größe der Leinwand imposant. Vor perfekter Schönheit und Anmut, mit edlem, fast menschlichem Gesichtsausdruck blickt der "König der Tiere" über sein Reich. © Foto: Diether v. Goddenthow
Der in die Ferne blickende Löwe ist ein Hauptmotiv bei Kuhnert, dass er unzählige Male dargestellt und variiert hat. In diesem Gemälde wirkt der Löwe allein durch die Größe der Leinwand imposant. Vor perfekter Schönheit und Anmut, mit edlem, fast menschlichem Gesichtsausdruck blickt der „König der Tiere“ über sein Reich. © Foto: Diether v. Goddenthow

Mit „König der  Tiere“ des Malers Wilhelm Kuhnert  (1865–1926) ist der Schirn Kunsthalle Frankfurt eine wunderbare Ausstellung gelungen, die mit imposanten, faszinierenden, nostalgisch und zugleich modern  anmutenden meisterhaften Tier- und Naturmotiven die Seelen ihrer Betrachter tief berühren dürfte. Es sei ihm eine Herzensangelegenheit gewesen, so Direktor  Dr. Phil­ipp Demandt, der gemeinsam mit Dr. Ilka Voer­mann die Ausstellung geplant und kuratiert hat. Es ist die erste eigene seit er vor zwei Jahren die Leitung der drei Häuser „Schirn Kunsthalle“, „Städel Museum“ und „Liebieghaus Skulpturensammlung“  übernommen hat. Bereits  in Berlin, als er noch Leiter der Alten Nationalgalerie war,  sei es sein Traum gewesen, diesen vergessenen Malerfürsten  auszustellen. Und er musste erst in die Mainmetropole kommen, um diese hochkarätige Ausstellung mit Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und anderen Sponsoren realisieren zu können.  Kein anderer Künstler, außer vielleicht Adolph von Menzel, sei zu dieser Zeit zeichnerisch und malerisch in Präzision und Ausdruck so herausragend gewesen wie Wilhelm Kuhnert .

Krieger auf dem Pfad vor dem Kibo mit seiner schneebedeckten Spitze. Die Maasai-Krieger im Vordergrund unterstreichen die Größe des Kilimandscharo-Massivs und dienen dem Maler primär als Staffagefigueren. © Foto: Diether v. Goddenthow
Krieger auf dem Pfad vor dem Kibo mit seiner schneebedeckten Spitze. Die Maasai-Krieger im Vordergrund unterstreichen die Größe des Kilimandscharo-Massivs und dienen dem Maler primär als Staffagefigueren. © Foto: Diether v. Goddenthow

Wilhelm Kuhnert vermittelt uns einzigartige Tier- und Natur-Perspektiven eines Afrikas, dass es so nicht mehr gibt. Wie kein anderer Maler seiner Zeit hat Kuhnert Anfang des 20. Jahrhunderts unsere (idealisierte) Vorstellung von Afrika als Naturraum in Europa wie auch in den USA geprägt. Er war  einer der ersten europäischen Künstler die  Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrmals die zu dieser Zeit noch weitgehend unerforschte damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika bereiste.  Die auf diesen Reisen entstandenen Zeichnungen und Ölskizzen der dortigen Tier- und Pflanzenwelt dienten ihm als Vorlagen für monumentale Gemälde, die er nach der Rückkehr in seinem Atelier in Berlin anfertigte. Kuhnert stellte international mit großem Erfolg aus und wurde so zum führenden Interpreten der afrikanischen Tierwelt. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt präsentiert vom 25. Oktober 2018 bis 27. Januar 2019 mit rund 120 Werken die erste große Retrospektive zum Leben und Werk des Künstlers. Die Ausstellung vereint neben Studien und Gemälden aus europäischen und amerikanischen Museen, Privatsammlungen und dem Nachlass Kuhnerts auch zahlreiche Druck und Werbegrafiken sowie Publikationen des Künstlers.

Ausstellungs-Impression © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Ausstellung beleuchtet Kuhnerts Werk sowohl vor dem Hintergrund der Kunst- und Naturwissenschaftsgeschichte als auch der deutschen Kolonialgeschichte. Der an der Königlich Akademischen Hochschule für Bildende Künste in Berlin ausgebildete Tier- und Landschaftsmaler interessierte sich bereits früh für afrikanische Wildtiere, deren Aussehen und Verhalten er zunächst nur im Berliner Zoo aus nächster Nähe studieren konnte. Zoologische Gärten waren bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie spiegelten Erkenntnisgewinn und wissenschaftlichen Fortschritt, Weltneugier und imperialistische Bestrebungen des bürgerlichen Zeitalters. Zeitgleich wuchs der Markt für Tiergemälde und -skulpturen, da die junge, aufstrebende Künstlergeneration des späten 19. Jahrhunderts mit diesem Thema ein Tätigkeitsfeld betreten konnte. Neben formalistischen Aspekten und dem Reiz des Neuen aber trafen diese Kunstwerke auch einen Nerv der Zeit: Besonders Darstellungen von Löwen, Tigern oder Elefanten galten als Sinnbilder für Stärke, Herrschaft und Überlegenheit und vermittelten das Lebensgefühl einer Gesellschaft, die nach ihrem machtpolitischen „Platz an der Sonne“ strebte. Die Vorstellung vom Tier wurde zum Vexierbild des Menschen: Einerseits war das Tier Vorbild natürlicher – und damit ebenso göttlicher wie gesellschaftlicher und politischer – Ordnung, andererseits Wunschbild unbewusster, wilder Freiheit, ein Gegenbild zur bürgerlichen Existenz. Die afrikanischen Wildtiere boten einen freien Assoziationsrahmen für Naturromantik und Exotik.

In Wilhelm Kuhnerts Werk klingen Aspekte der Moderne an: das Malen in der freien Natur, die experimentelle Bleistiftzeichnung, der Exotismus, der Wille zur Erkundung ferner Länder und die Reise als Erweiterung des Blick- und Erfahrungsraums, oft verbunden mit Eskapismus und Zivilisationskritik. Beim Malen folgte Kuhnert einem fast wissenschaftlichen Vorgehen und erfasste das Charakteristische der Tiere auf möglichst exakte Weise. Obwohl er kein Biologe oder Zoologe war, zeugen seine detaillierten künstlerischen und schriftlichen Studien von einem Interesse an der afrikanischen Tierwelt, das weit über malerische Fragen hinausging. Seine Tierdarstellungen wurden in zoologischen Büchern wie Brehms Tierleben und in Publikationen des Frankfurter Zoodirektors Wilhelm Haacke ebenso verbreitet wie auf Schulwandbildern. Selbst auf Schokoladenverpackungen der Firma Stollwerck fanden sich Abbildungen seiner Werke. Obwohl Wilhelm Kuhnert bis heute zu den meistgesammelten Malern gehört, ist sein Œuvre einer großen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

„Wilhelm Kuhnert gehört zu den herausragenden Malern und Zeichnern seiner Zeit. Kuhnerts Bilder sind nicht nur Spiegel wie Mittel der Kunst- und Naturwissenschaftsgeschichte, sondern auch der Kolonialgeschichte. Wenn die Schirn Kunsthalle Frankfurt also nunmehr Wilhelm Kuhnert die erste Retrospektive überhaupt widmet, dann nicht trotz, sondern eben wegen jener ‚großen weißen Flecken‘, die Kuhnert in der Ferne suchte – und die heute noch in unserer kollektiven Erinnerung bestehen. Diese Geschichte, die wir erzählen wollen, lehrt uns so manches über die Mechanismen von Kunst und Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, Gedenken und Vergessen – und in all dem über uns selbst“, so Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt und zugleich Kurator der Ausstellung.

Dr. Ilka Voermann, Kuratorin der Ausstellung erläutert: „Indem er sich in seinen Gemälden auf die Tier- und Pflanzenwelt beschränkt, stellt Wilhelm Kuhnert Afrika nicht als kulturellen, sondern als Naturraum dar. Es ist ein Naturraum, der vermeintlich keine eigene Geschichte hat und damit frei für Interpretationen und Sehnsüchte ist. Kuhnerts Werke sind nicht nur bloße Abbildungen afrikanischer Natur, sondern er eignet sich den Naturraum an und füllt ihn mit westlichen Vorstellungen und Werten. Diese koloniale Ästhetik und Darstellungsstruktur ist bis heute in zahlreichen Medien präsent. Von Tierreportagen, Spielfilmen, Filmplakaten über Buchcover bis hin zur Werbung im Tourismus wird sich eines auf die Natur- und Tierwelt beschränkten AfrikaBildes bedient, das die angebliche Ursprünglichkeit und Naturhaftigkeit des Kontinents betont. Kuhnert hat diese konstruierte Vorstellung von ‚Afrika‘ auf vielen Ebenen und in verschiedenen Medien mitgeprägt.“

Themen und Werke der Ausstellung

Ausstellungs-Impression © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression © Foto: Diether v. Goddenthow

Den Auftakt der Ausstellung bilden monumentale Einzeldarstellungen afrikanischer Tiere, wie etwa Löwe am Ruaha, Tansania, Afrika (o. J.), Verhoffendes Zebra (o. J.), Kaffernbüffel in der Steppe (o. J.) oder Elefant am Tümpel (1907). Insgesamt reiste Kuhnert vier Mal nach Afrika, davon drei Mal in die damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi, Ruanda und Mosambik): 1891/92, 1905/06 und 1911/12.

Als erster Freilichtmaler in Afrika zeichnete und malte Kuhnert die Tiere nicht bloß, sondern beobachtete sie und ihren Lebensraum eingehend, notierte Verhaltensweisen, mit dem Ziel, die natürliche Umgebung als elementaren Teil des Tierdaseins in das Bildwerk zu integrieren. Die Schirn zeigt zahlreiche Zeichnungen und Ölstudien sowie rasch hingeworfene Skizzen. Besonders Letztere zeigen eindrücklich, dass Kuhnert eine Situation schnell erfassen und mit wenigen Bleistiftstrichen wiedergeben konnte. Nicht nur die Tierwelt, sondern auch die Landschaft, die afrikanische Steppe, spielt in Kuhnerts Schaffen eine hervorgehobene Rolle – ausführlich beschrieben und geschildert in seinen Tagebüchern. Kuhnert fertigte auch Studien an, in denen es weniger um die exakte Wiedergabe der Tiere und Landschaft als auf die Atmosphäre ankam, wie etwa in Landschaft in der Abenddämmerung (o. J.), auf der er handschriftlich Details zur Farbe vermerkte. Kuhnerts Kunst zeigt Anklänge an den Impressionismus, etwa in Bezug auf die Freilichtmalerei. Allerdings blieben seine stilistischen Anleihen an den Impressionismus auf wenige Beispiele und vor allem auf Ölskizzen beschränkt. Der Künstler vollendete seine Gemälde meist im Atelier in Berlin und blieb der akademischen Malerei des Realismus verpflichtet. Eine der wenigen Ausnahmen ist das Werk Löwin mit Jungen (o. J.), in dem Kuhnert das Spiel von Licht und Schatten auf dem Blattwerk und dem Fell der Tiere in grob abgesetzten Farbflächen einfing.

Grundlage für die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tier war für Kuhnert auf seinen Expeditionen die Jagd. Die Ausstellung beleuchtet darum den Aspekt des Jagens im Schaffen des Künstlers, u. a. mit dem Bild Die Strecke (Selbstporträt) (1915), zahlreichen vor Ort gefertigten Zeichnungen und historischen Fotografien – darunter eine Aufnahme seines Berliner Ateliers, das mit zahlreichen Jagdtrophäen ausgestattet war. Die Jagd diente vornehmlich zwei Zielen: der Nahrungsversorgung des Expeditionstrupps und dem künstlerischen Studium. Der Abschuss bot die einzige Möglichkeit, zum Malen nahe genug an das Tier heranzukommen. So zeugen Kuhnerts Reisetagebücher von seiner großen Bewunderung der Tier- und Pflanzenwelt Afrikas und zugleich von einer leidenschaftlichen Jagdtätigkeit. Nicht von ungefähr hat der Künstler auch zahlreiche, schriftliche Beschreibungen von Körperbau, Muskeln und Skeletten bestimmter Tierarten hinterlassen. Zugleich beklagte Kuhnert in seinen persönlichen Aufzeichnungen wie in seinen späteren Publikationen die unkontrollierte und systematische Großwildjagd – satirisch dargestellt in der Zeichnung Größenwahn (o. J.).

Ausstellungs-Impression aus dem Bereich "Kuhnert und Deutsch-Ostafrika" © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression aus dem Bereich „Kuhnert und Deutsch-Ostafrika“ © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Ausstellung in der Schirn ordnet den Künstler und sein Werk in die deutsche Kunst- wie Kolonialgeschichte ein. Weder die Logistik seiner Expeditionen noch der Markterfolg seiner Kunst sind ohne den Kolonialismus denkbar, dessen Profiteur und Akteur Kuhnert war. Dabei blieb sein Verhältnis zum Kolonialismus ambivalent. Während seiner ersten Expedition 1891 hatte er sich in eine bewaffnete Strafexpedition unter dem Kommando des Reichskommissars und deutschen Kolonialisten Carl Peters (1856–1918) hineinziehen lassen. Der als „Fall Peters“ bekannt gewordene Skandal wurde 1897 vor einem kaiserlichen Disziplinargericht in Berlin verhandelt, wo Kuhnert als Belastungszeuge gegen Peters aussagte. Während seiner zweiten Expedition geriet Kuhnert in den sogenannten Maji-Maji-Krieg (1905–1908) und nahm auch kurzzeitig an Kampfhandlungen bei Mahenge teil. Die Erlebnisse des Krieges hat der Künstler in Bleistiftskizzen und einigen Ölgemälden festgehalten. In der Ausstellung sind aus dieser Zeit u. a. das Gemälde Schlacht von Mahenge (o. J.) und seltene Porträts, wie Askari (1906) zu sehen. Als Mitglied im Verein Berliner Künstler und im Verband deutscher Illustratoren beschränkte sich Kuhnerts Ausstellungstätigkeit in Deutschland weitgehend auf die jährlich stattfindende Große Berliner Kunstausstellung. Weitaus aktiver war der Künstler auf dem Gebiet der Jagd- und Kolonialausstellungen, auf denen koloniale Realität mit landwirtschaftlichen Produkten, Tiertrophäen, lokalem Kunstgewerbe und sogenannten Kolonialwaren wie Kaffee und Schokolade für ein breites Publikum in Szene gesetzt wurde. Kuhnert war oft der einzige oder einer der wenigen präsentierten Künstler. In Großbritannien wurden seine Werke ab 1911 regelmäßig in der Fine Art Society in London präsentiert. Auf der Weltausstellung in St. Louis, USA, wurde der Künstler 1904 mit einer Goldenen Medaille ausgezeichnet.

Die Ausstellung verdeutlicht, wie Kuhnerts Werk die allgemeine Vorstellung von der Tierwelt und Landschaft Afrikas im 19. Jahrhundert nachhaltig und zum Teil bis heute geprägt hat. Der Maler Kuhnert verstand und verbildlichte Afrika in erster Linie nicht als Kulturraum, sondern als Naturraum, der von wilden Tieren und weniger von Menschen bevölkert ist – eine natürliche Welt ohne eigene Geschichte und damit frei für Interpretationen und Sehnsüchte. Aufgrund der weiten Verbreitung seiner Motive durch Illustrationen in Naturkundebüchern, Werbebilder, Druckgrafiken oder Schulwandbilder fand dieses konstruierte Bild Afrikas Eingang in die Vorstellungswelt der bürgerlichen Gesellschaft. Kuhnert ging zahlreiche Kooperationen mit Wissenschaftlern ein, die seine Illustrationen für ihre Publikationen nutzten. Durch den Direktor der Berliner Zoogesellschaft Ludwig Heck (1860–1951) lernte er etwa den Naturwissenschaftler, Teilhaber des Bibliographischen Instituts Leipzig und Herausgeber von Brehms Tierleben Hans Meyer (1858– 1929) kennen. Dank Meyers Auftrag zu Illustrationen für die dritte Auflage des Buches konnte Kuhnert vermutlich seine erste Expedition nach Deutsch-Ostafrika antreten. In der Ausstellung sind ausgewählte Beispiele der Fachliteratur wie auch aus der Populärkultur zu sehen: So werden neben Illustrationen in Brehms Tierleben (1890–1893) auch weitere für Das Thierleben der Erde (1901) – herausgegeben von Wilhelm Haacke, dem damaligen Direktor des Frankfurter Zoos – und eigene Publikationen, wie Im Land meiner Modelle (1918) oder Meine Tiere (1925) präsentiert. Im Jahr 1900 entwarf Kuhnert seine erste Serie mit afrikanischen Wildtieren für die Firma Stollwerck. Seine Tierdarstellungen wurden im Kleinformat auf die Rückseiten der Schokoladenverpackungen gedruckt und als Sammelbilder für Kinder und Erwachsene vertrieben. Die Schirn zeigt Kuhnerts Entwürfe sowie die Sammelalben Stollwerck’s Tierreich (1903/04) und Das Tier im Dienste des Menschen (1910).

Die Verbindung von Tier und natürlichem Lebensraum gehört zu Kuhnerts zentralen Errungenschaften in der Tiermalerei. Zugleich berühren einige seiner Gemälde die malerische Tradition der anthropomorphen Tierdarstellung, welche seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Tier zum Spiegel menschlicher Gefühle und zum Identifikationsobjekt der bürgerlichen Gesellschaft gemacht hatte. Der letzte Teil der Ausstellung widmet sich darum dem „inszenierten Tier“ und präsentiert u. a. das Gemälde Afrikanische Löwen (um 1911), das weniger realistisches Tierverhalten abbildet als vielmehr ein gleichsam bürgerliches Familienidyll, das nicht zuletzt Moralvorstellungen seiner Entstehungszeit reflektiert.

KATALOG König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika, King of the Animals. Wilhelm Kuhnert and the Image of Africa, herausgegeben von Philipp Demandt und Ilka Voermann. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt und Beiträgen von Felicitas Becker, Kathleen Chapman, Philipp Demandt, Alexander Gall, Bernhard Gissibl, Miriam Oesterreich und Ilka Voermann; Hirmer Verlag, deutsche und englische Ausgabe, je 264 Seiten, 24 x 29 cm (Hochformat), 170 Abb., Hardcover, 35,00 € (Schirn), 39,90 € (Buchhandel), ISBN: 90978-3-7774- 3128-4 (dt.), 978-3-7774-3129-1 (eng.).

BEGLEITHEFT König der Tiere. Wilhelm Kuhnert und das Bild von Afrika. Eine Einführung in die Ausstellung, herausgegeben von der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Auf 36 Seiten werden die wichtigsten Arbeiten der Ausstellung vorgestellt und die historischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge dargelegt. Ab 12 Jahren, 7,50 € einzeln, im Klassensatz 1 € pro Heft (ab 15 Stück), ISBN: 978-3-89946-285-2.

PODIUMSDISKUSSION ZUR AUSSTELLUNG Unter dem Titel Ein Bild im Kopf: Wie präsent ist Kuhnerts Porträt von Afrika heute? veranstaltet die Schirn am 25. Oktober 2018, um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion. Das mit Experten besetzte Panel diskutiert über die Aktualität des von Wilhelm Kuhnert maßgeblich geprägten Afrika-Bildes. Ins Gespräch kommen die Historikerin Felicitas Becker (Ghent University), der Kurator der Ausstellung und Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Philipp Demandt, die Redakteurin des Magazins africa positive Dagmar Mundhenke, die stellvertretende Direktorin des Iwalewahauses in Bayreuth, Nadine Siegert sowie die Anthropologin, Journalistin und Filmemacherin Vanessa Wijngaarden (University of Johannesburg). Moderation: Bianca Schwarz (hr2). Im Schirn Café. Einlass mit gültigem Ausstellungsticket, Anmeldung unter Tel. +49 69 29 98 82-112 oder E-Mail fuehrungen@schirn.de.

AUDIOTOUR Zur Ausstellung ist eine Audiotour für 4 € erhältlich. Gesprochen von Axel Milberg, bietet sie wesentliche Informationen zu den wichtigsten Kunstwerken.

Ort:

Schirn Kunsthalle Frankfurt © Foto: Diether v. Goddenthow
Schirn Kunsthalle Frankfurt
© Foto: Diether v. Goddenthow

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt
Dauer: 25. Oktober 2018 – 27. Januar 2019
Information: www.schirn.de E-MAIL welcome@schirn.de TELEFON +49 69 29 98 820 FAX +49 69 29 98 82 240
Eintritt: 9 €, ermäßigt 7 €
Kombiticket mit der Ausstellung Wildnis 14 €, ermäßigt 10 €
Freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren VORVERKAUF Tickets sind online unter www.schirn.de/tickets erhältlich
Führungen: Di 15 Uhr, Mi 20 Uhr, Do 19 Uhr, Sa 15 Uhr, So 17 Uhr FÜHRUNGEN BUCHEN individuelle Führungen oder Gruppenführungen buchbar unter Tel. +49 69 29 98 82-0 und E-Mail fuehrungen@schirn.de

Veranstaltungsprorgamm der Schirn Kunsthalle Frankfurt im Februar

Schirn © atelier-goddenthow Foto: Diether v. Goddenthow
Schirn © atelier-goddenthow Foto: Diether v. Goddenthow

Das umfangreiche Veranstaltungs- und Vermittlungs-Programm der Schirn Kunsthalle Frankfurt können Sie hier öffnen.

Noch bis zum 25. Februar 2018 präsentiert die Schirn eine große Themenausstellung zur Kunst im Deutschland der Jahre 1918 bis 1933. Im Fokus von Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Von Otto Dix bis Jeanne Mammen steht das Unbehagen einer Epoche, das sich in den Motiven und Inhalten wie auch in einem breiten stilistischen Spektrum zeigt. Die Ausstellung vereint rund 200 Gemälde, Grafiken und Skulpturen von 62 bekannten sowie von bislang wenig beachteten Künstlerinnen und Künstlern, darunter Max Beckmann, Kate Diehn-Bitt, Otto Dix, Dodo, George Grosz, Carl Grossberg, Karl Hubbuch, Lotte Laserstein, Alice Lex-Nerlinger, Elfriede Lohse-Wächtler, Jeanne Mammen, Oskar Nerlinger, Franz Radziwill, Christian Schad, Rudolf Schlichter und Georg Scholz.

Am Mittwoch, dem 7. Februar, ab 19 Uhr zeigen und diskutieren die Kuratorin Ingrid Pfeiffer und der Filmwissenschaftler Henning Engelke den Filmklassiker Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (1932) aus der Weimarer Republik.

Mit Basquiat. Boom for Real zeigt die Schirn ab dem 16. Februar 2018 eine Überblicksausstellung zum Werk des US-ameri­ka­ni­schen Künstlers Jean-Michel Basquiat (1960–1988), der heute zu den bedeu­tends­ten Malern des 20. Jahrhunderts zählt. Mehr als drei­ßig Jahre nach seiner letz­ten Präsen­ta­tion in einer öffent­li­chen Samm­lung in Deutsch­land wird in rund 100 Werken erst­mals Basqui­ats Bezie­hung zu Musik, Texten, Film und Fern­se­hen seiner Zeit in einem über­ge­ord­ne­ten kultu­rel­len Zusam­men­hang deut­lich. Die Schirn versam­melt heraus­ra­gende Gemälde, Zeich­nun­gen, Notiz­bü­cher und Objekte aus öffent­li­chen wie priva­ten Samm­lun­gen sowie seltene Filme, Foto­gra­fien, Musik und Archiv­ma­te­rial und lässt so die Viel­falt und Dyna­mik von Basqui­ats künst­le­ri­scher Produk­tion eindrück­lich sicht­bar werden.

Am 22. Februar, ab 19 Uhr laden die Schirn und DANDY DIARY zur Eröffnung des CROWN CLUB ein, eine Reminiszenz an den legendären New Yorker Mudd Club. Hier traf sich die Kreativszene Lower Manhattans der 1970er- und 1980er-Jahre, darunter Jean-Michel Basquiat, Madonna, Klaus Nomi oder die Talking Heads. In teils stilechter und neu interpretierter Clubatmosphäre finden im CROWN CLUB in der SCHIRN jeden Donnerstagabend während der Laufzeit der Basquiat-Ausstellung Talks, Partys, Filmvorführungen und Lesungen statt. Die Ausstellung “Basquiat. Boom for Real” ist bis 22 Uhr geöffnet. Einlass mit gültigem BASQUIAT-Ticket.

Die Laufzeit der Installation [dis]connect von Philipp Fürhofer wurde bis zum 25. Februar 2018 verlängert. Mit seiner eigens für Schirn-Rotunde entwickelten Arbeit verwandelt der Künstler den Rundbau in einen Raum der Illusion.

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
RÖMERBERG
60311 FRANKFURT
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Schirn Kunsthalle Frankfurt gelingt künstlerischer deutsch-deutscher Gesamt-Blick auf „Glanz und Elend in der Weimarer Republik von Otto Dix bis Jeanne Mammen“

Jeanne Mammen Aschermittwoch, um 1926. Mammen arbeitete für zahlreiche Zeitschriften, darunter den Ulk, den Simplicissimus und die Jugend. Als ebenso aufmerksame wie distanzierte Flaneurin durchstreifte die Künstlerin Berlin und schilderte besonders Frauen in unterschiedlichen Situationen und Rollen. Foto: Diether v. Goddenthow
Jeanne Mammen Aschermittwoch, um 1926. Mammen arbeitete für zahlreiche Zeitschriften, darunter den Ulk, den Simplicissimus und die Jugend. Als ebenso aufmerksame wie distanzierte Flaneurin durchstreifte die Künstlerin Berlin und schilderte besonders Frauen in unterschiedlichen Situationen und Rollen. Foto: Diether v. Goddenthow

In der großen Themen-Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik von Otto Dix bis Jeanne Mammen“, vom 27. Oktober 2017 bis 28.Feburar 2018, gelingt es der Schirn Kunsthalle Frankfurt auf faszinierende Weise, einen facettenreichen gesamtdeutschen Blick auf die bildende Kunst in Deutschland von 1918 bis 1933 zu werfen.

Die vermeintlich so glamourösen goldenen Zwanziger waren natürlich nur ein Ausschnitt, eine ganz bestimmte Facette dieser Zeit, die vor allem durch soziale Spannungen, politische Kämpfe, gesellschaftliche Umbrüche, aber auch künstlerische Revolutionen und Neuerungen geprägt war, eine Zeit der Krisen, aber auch der Übergänge zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Regime des Nationalsozialismus, so Philipp Demandt, Direktor der Schirn
Kunsthalle Frankfurt beim heutigen Presse-Preview.

„Die Schirn setzt mit ‚Glanz und Elend in der Weimarer Republik‘ ein Gegengewicht zu den bereits vielfach gezeigten Ausstellungen über die ‚goldenen‘ 1920er-Jahre und wirft einen Blick auf das ungeschminkte Leben in der Weimarer Republik", so Dr. Philipp Demandt. v.li.n.r.: Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Dr. Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung. Foto: Diether v. Goddenthow
„Die Schirn setzt mit ‚Glanz und Elend in der Weimarer Republik‘ ein Gegengewicht zu den bereits vielfach gezeigten Ausstellungen über die ‚goldenen‘ 1920er-Jahre und wirft einen Blick auf das ungeschminkte Leben in der Weimarer Republik“, so Dr. Philipp Demandt. v.li.n.r.: Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Dr. Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung. Foto: Diether v. Goddenthow

All diese Facetten der Weimarer Zeit spiegeln sich in der Ausstellung, aber mehr noch: Mit Ingrid Pfeiffers genial kuratierter Ausstellung wird erstmals ein deutsch-deutsches Gesamtbild der „Weimarer Kunstepoche “wiederhergestellt, welches durch die weitere deutsche Geschichte, wie den zweiten Weltkrieg, den Holocaust und die deutsch-deutsche Teilung, zerrissen worden war. Die Schirn vereint 190 Gemälde, Grafiken und Skulpturen von 62 bekannten sowie bislang weniger beachteten Künstlerinnen und Künstlern, darunter Max Beckmann, Kate Diehn-Bitt, Otto Dix, Dodo, Conrad Felixmüller, George Grosz, Carl Grossberg, Hans und Lea Grundig, Karl Hubbuch, Lotte Laserstein, Alice Lex-Nerlinger, Elfriede Lohse-Wächtler, Jeanne Mammen, Oskar Nerlinger, Franz Radziwill, Christian Schad, Rudolf Schlichter, Georg Scholz und Richard Ziegler. Historische Filme, Zeitschriften, Plakate und Fotografien liefern darüber hinaus Hintergrundinformationen.

Die Zeitschriften und Plakate aus dieser Zeit sollen die Besucher bereits im Treppenhaus ein wenig einstimmen. Mit diesem ersten Eindruck über die viel 'gewaltorientierterer Kommunikation' dieser Zeit betritt er dann die Ausstellungsräume und betrachtet die Werke.  Foto: Diether v. Goddenthow
Die Zeitschriften und Plakate aus dieser Zeit sollen die Besucher bereits im Treppenhaus ein wenig einstimmen. Mit diesem ersten Eindruck über die viel ‚gewaltorientierterer Kommunikation‘ dieser Zeit betritt er dann die Ausstellungsräume und betrachtet die Werke. Foto: Diether v. Goddenthow

Im Fokus der Ausstellung steht das Unbehagen der Epoche, das sich in den Motiven und Inhalten wie auch in einem breiten stilistischen Spektrum zeigt. In thematischen Räumen führt sie Darstellungen und Szenen aus Berlin, Dresden, Leipzig, Rostock, Stuttgart, Karlsruhe, München und Hannover zusammen, die bislang eher getrennt voneinander betrachtet wurden und eher dem „veristischen“ Flügel der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen sind.
Viele Künstler erwiesen sich als Seismografen ihrer Zeit und scheinen das Scheitern der Weimarer Republik vorausgeahnt zu haben, lange bevor die Katastrophe tatsächlich eintrat.

Direkte, ironische, wütende, anklagende und oftmals auch prophetische Werke verdeutlichen den Kampf um die Demokratie, zeichnen das Bild einer Gesellschaft in der Krise, mitunter in ihrer Orientierungslosigkeit und im Übergang, besonders beispielhaft und drastisch dargestellt in Karl Hubbachs Werken, hier: "Im Rausch des Irrens", um 1923. Foto: Diether v. Goddenthow
Direkte, ironische, wütende, anklagende und oftmals auch prophetische Werke verdeutlichen den Kampf um die Demokratie, zeichnen das Bild einer Gesellschaft in der Krise, mitunter in ihrer Orientierungslosigkeit und im Übergang, besonders beispielhaft und drastisch dargestellt in Karl Hubbachs Werken, hier: „Im Rausch des Irrens“, um 1923. Foto: Diether v. Goddenthow

„Die Schirn setzt mit ‚Glanz und Elend in der Weimarer Republik‘ ein Gegengewicht zu den bereits vielfach gezeigten Ausstellungen über die ‚goldenen‘ 1920er-Jahre und wirft einen Blick auf das ungeschminkte Leben in der Weimarer Republik. Die rund 200 Werke der 62 Künstlerinnen und Künstler halten der Gesellschaft jener Zeit schonungslos den Spiegel vor. So tritt uns eine Epoche am seidenen Faden der Demokratie vor Augen, eine Zeit, die uns vielleicht in mancher Hinsicht näher ist, als wir glauben wollen“, so Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über die Ausstellung.

Gerd Graetz. Johlende Nationalsozialisten, 1929. Bleistiftzeichnung auf Papier. Foto: Diether v. Goddenthow
Gerd Graetz. Johlende Nationalsozialisten, 1929. Bleistiftzeichnung auf Papier. Foto: Diether v. Goddenthow

Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Ingrid Pfeiffer, erläutert: „Wir lesen die Geschichte der Weimarer Republik oft vom Ende her – von ihrem Übergang in den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Trotz der negativen gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die die Künstler in ihren Werken so pointiert schildern, entstand die bis heute prägende ,Moderne‘. Die Weimarer Republik war eine progressive Epoche, in der viele wegweisende Ideen entworfen wurden – nicht nur in der Kunst, der Architektur und dem Design. Es wurde auf allen Ebenen heftig über die Ausrichtung der Republik diskutiert, über die Rolle der Frau, die Wochenarbeitszeit oder über die Paragrafen zu Abtreibung und Homosexualität. Neben dem offenkundigen Elend markieren für mich all diese Tendenzen den Glanz der Weimarer Republik.“

Die Themen und Künstler der Ausstellung
Impression der Ausstellung: GLANZ UND ELEND IN DER WEIMARER REPUBLIK VON OTTO DIX BIS JEANNE MAMMEN 27. OKTOBER 2017 – 25. FEBRUAR 2018. Foto: Diether v. Goddenthow
Impression der Ausstellung: GLANZ UND ELEND IN DER WEIMARER REPUBLIK
VON OTTO DIX BIS JEANNE MAMMEN 27. OKTOBER 2017 – 25. FEBRUAR 2018. Foto: Diether v. Goddenthow

Eines der ersten Werke der Präsentation ist das Gemälde Weimarer Fasching (um 1928/29) von Horst Naumann (1908–1990) – ein Panorama der Gesellschaft, eine konzentrierte Zusammenschau jener Phänomene, die in der Weimarer Republik bestimmend waren: die Vergnügungsindustrie, das Geld, der Sport, die Kirche, das Militär, die Waffen, die rechtsnationale Symbolik oder auch der industrielle Fortschritt. Die Hypothek, die die Weimarer Republik belastete und die junge Demokratie massiv bedrohte, waren die wirtschaftlichen Folgen des Krieges und die moralischen Belastungen durch den Versailler Vertrag und seinen Kriegsschuldparagrafen. Insbesondere die Künstler Otto Dix (1891– 1969), George Grosz (1893–1959) und Georg Scholz (1890–1945) reagierten in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in ihren Werken mit ätzender Kritik auf die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Republik. Kriegsversehrte, Tagelöhner und Arbeitslose prägten das öffentliche Leben und fanden als Motive Einzug in die Kunst. Die Schirn zeigt Werke wie Otto Dix‘ Kriegskrüppel (1920) oder George Grosz‘ Invalide (1921/22), die direkt und mit bissigem Humor die Zustände auf den Straßen abbilden. George Grosz und Georg Scholz engagierten sich mit ihrer politisch hochaktuellen Kunst auch gegen nationalsozialistische Tendenzen und erweisen sich rückblickend mit manchen Arbeiten geradezu als Propheten kommender Ereignisse. So malte etwa Georg Scholz bereits 1921 sogenannte Hakenkreuzritter im Café.

Georg Scholz. Kriegsverein, 1922.  Drei deutschnationale Vertreter des Kriegervereins mit Hakenkreuz am Revers stehen vor dem Lokal "Der eiserne Hindenburg", und sehnen sich zurück nach der Monarchie und bekämpfen die Weimarer Republik mit allen Mitteln. Foto: Diether v. Goddenthow
Georg Scholz. Kriegsverein, 1922. Drei deutschnationale Vertreter des Kriegervereins mit Hakenkreuz am Revers stehen vor dem Lokal „Der eiserne Hindenburg“, und sehnen sich zurück nach der Monarchie und bekämpfen die Weimarer Republik mit allen Mitteln. Foto: Diether v. Goddenthow

Seit ihrer Gründung bekämpften Gegner von rechts und links die Republik, da sie andere Vorstellungen von einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung in Deutschland hatten. Kommunistische Aufstände und rechtsradikale Putschversuche waren reale und hypothetische Gefahren. Otto Griebel (1895–1972) gehörte zu den ersten Künstlern, die schon 1922 in ihren Werken alle politischen und sozialen Gegensätze schilderten, denen die junge Republik ausgesetzt war. Zusammen mit Lea Grundig (1906–1977) und Hans Grundig (1901–1958), Conrad Felixmüller (1897–1977), Alice Lex-Nerlinger (1893–1975), Curt Querner (1904–1976) und Otto Nagel (1894– 1967) war Otto Griebel auch Mitglied der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (ASSO oder ARBKD), die sich zuerst in Berlin und dann 1930 in Dresden gründete und mit der die Künstler aktiv am politischen Geschehen teilnahmen.

Die wachsende soziale Ungerechtigkeit in der Weimarer Republik thematisiert u. a. Georg Scholz in seinem Bild Von kommenden Dingen (1922), in dem er einen fragwürdigen Deal zwischen den wichtigsten Drahtziehern der frühen Weimarer Republik, dem Industriellen Hugo Stinnes, dem Politiker Walther Rathenau und dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Carl Legien, illustriert. Der Spießer, der Wohlgenährte und von der Inflation profitierende Industrielle und Neureiche taucht als Typus in vielen Darstellungen dieser Zeit auf, wie in Der Schieber (1921/22) von Heinrich Maria Davringhausen (1894–1970). Ihm stehen Porträts wie Arbeitslose (1929) oder Stoffhändler (1932) von Grethe Jürgens (1899–1981) gegenüber, in denen sich für die Künstlerin die harte und unmittelbare Gegenwart abbildete.

Paul Grunwaldt. "Varieté", 1925. Foto: Diether v. Goddenthow
Paul Grunwaldt. „Varieté“, 1925. Foto: Diether v. Goddenthow

In der Weimarer Republik waren Kulturveranstaltungen nicht mehr nur das Privileg einer Elite, sondern sie wurden zum Massenvergnügen: Varietés, Revuetheater, Nachtlokale, Cafés und Bars prägten das gesellschaftliche Leben in den Großstädten und boten Möglichkeiten, dem Alltag zu entfliehen. Die Schirn versammelt Darstellungen wie Tiller Girls (vor 1927) von Karl Hofer (1878–1955), Varieté (1925) von Paul Grunwaldt (1891–1962) oder Lissy im Café (um 1930/32) von Karl Hubbuch (1891– 1979). Auch die Illustrationen und Zeichnungen für die Satirezeitschriften Ulk, Simplicissimus und Jugend, wie Logenlogik (1929) von Dodo (1907–1998) oder Aschermittwoch (um 1926) von Jeanne Mammen (1890–1976), sind Zeugnisse eines ausschweifenden, gedankenverlorenen Treibens und zeigen die Abgründe und Schattenseiten der Vergnügungswelt. Die zunehmende Prostitution wurde nicht nur gesellschaftskritisch von Heinrich Ilgenfritz (1899–1969), beispielsweise mit Ernährerin (1928–1932), oder grotesk von George Grosz und Otto Dix in Dame mit Schleier und Nerz (1920), abgebildet, sondern auch subtiler und empathischer, z. B. in Margot (1924) von Rudolf Schlichter (1890–1955) oder in den Werken von Elfriede Lohse-Wächtler (1899–1940). Letztere lebte zeitweise auf Sankt Pauli in Hamburg: Ihre Darstellungen sind drastisch, wie in Über den Leib (1930), aber manchmal auch fast humorvoll und oft voller Sympathie.

Das Rollenbild der Frau veränderte sich in der Weimarer Republik grundlegend. So porträtierten sich etwa Künstlerinnen wie Lotte Laserstein (1898–1993) und Kate Diehn-Bitt (1898–1993) entsprechend einem Verständnis der „Neuen Frau“ urban, selbstbewusst, mit Bubikopf und bisweilen androgyn. In großer Zahl ergriffen Frauen nun neue Berufe wie Telefonistin, Verkäuferin, Ärztin oder Akademikerin. Nahezu ein Drittel der in der Schirn-Ausstellung präsentierten Kunstschaffenden sind weiblich – es sind Künstlerinnen, die in bisherigen Überblickswerken zur Neuen Sachlichkeit oft fehlten. Gerade auch ihre Werke bezeugen die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu mehr Liberalität und Pluralität.

Arthur Segal. Das Abtreibungsgesetz, 1931. Foto: Diether v. Goddenthow
Arthur Segal. Das Abtreibungsgesetz, 1931. Foto: Diether v. Goddenthow

Die „Frauenfrage“ prägte auch die politische Debatten über Abtreibung (Paragraf 218) und Empfängnisverhütung, Eherechte, Prostitution und Frauenlöhne bis hin zu kulturkritischen Erörterungen von Mode und sexueller Orientierung. Nicht nur in Berlin, mit Jeanne Mammen, Lotte Laserstein und Alice Lex-Nerlinger, sondern auch an vielen anderen Orten – Gerta Overbeck (1898– 1977) und Grethe Jürgens in Hannover, Lea Grundig und Hilde Rakebrand (1901–1991) in Dresden, Kate Diehn-Bitt in Rostock, Elfriede Lohse-Wächtler in Hamburg, Hanna Nagel (1907–1975) in Karlsruhe – erarbeiteten Künstlerinnen eigene Spielarten und Ausprägungen eines gesellschaftskritischen Realismus.

Die Ausstellung präsentiert wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Weimarer Republik, darunter Galeristen, Journalisten, Schriftsteller, Komponisten, aber auch Industrielle, Ärzte und Naturwissenschaftler. Die Bildnisse der Neuen Sachlichkeit von u. a. Erich Büttner (1889–1936), Kurt Lohse (1892–1958) oder Christian Schad (1894–1982) sind Charakterdarstellungen und eindringliche Kommentare zugleich. Neben diesen realen Persönlichkeiten, die auch stellvertretend für Berufe und Funktionen zu sehen sind, entstanden auch Typen-Porträts, wie Der Radionist (1927) von Kurt Günther (1893–1955). Das Radio als neues Massenmedium war Freizeitvergnügen und Informationsquelle zugleich.

Mit dem Sport greift die Ausstellung ein weiteres Thema der Zeit auf. Für Arbeiterschaft, Bürgertum und Intellektuelle gleichermaßen verkörperte der sportliche Wettkampf ein neues Lebensgefühl. Die Ausstellung zeigt u. a. die Rugbyspieler (1929) von Max Beckmann (1884–1950), Der Schaubudenboxer (1921) von Conrad Felixmüller, Skulpturen von Renée Sintenis (1888–1965), die Sportarten wie Laufen, Fußball oder Boxen abbilden, und Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm Wege zu Kraft und Schönheit (1925).

Die Industrialisierung gehört mit Darstellungen von Maschinen, Fabriken, Bahnhöfen und Brücken zu den häufigsten künstlerischen Motiven der Zeit. Meist sind die Industrieanlagen nicht von hektischer Betriebsamkeit erfüllt, sondern eher kühl und menschenleer wiedergegeben. In diesen melancholischen, apokalyptisch anmutenden Landschaften oder etwa den großformatigen und bildfüllenden Maschinen von Carl Grossberg (1894–1940) zeigt sich die zunehmende Skepsis gegenüber Fortschrittsoptimismus und Technikbegeisterung. Die Weimarer Republik gilt als Übergangszeit vom Deutschen Kaiserreich zur Diktatur des Nationalsozialismus: In vielen Bildern der Zeit werden Anspannung, ein ungutes Gefühl, die Vorahnung einer nahenden Katastrophe sichtbar. Das Unbehagen der Epoche wird unterschwellig deutlich. So auch in dem Bild Todessturz Karl Buchstätters (1928) von Franz Radziwill (1895–1983). Seine Biografie wie auch jene von Rudolf Schlichter spiegeln das zeittypische Changieren zwischen politischen Überzeugungen und das zwiespältiges Verhältnis zum Nationalsozialismus wider.

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KATALOG Glanz und Elend in der Weimarer Republik / Splendor and Misery in the Weimar Republic, Herausgegeben von Ingrid Pfeiffer, mit einem Vorwort von Philipp Demandt und Essays von Andreas Braune, Karoline Hille, Annelie Lütgens, Stéphanie Moeller, Olaf Peters, Dorothy Price und Martina Weinland sowie Ingrid Pfeiffer; des weiteren Künstlerbiografien und eine Chronologie zur Weimarer Republik. Deutsche und englische Ausgabe, je ca. 300 Seiten, ca. 260 Abbildungen, 29 x 24 cm, Hardcover; Gestaltung Sabine Frohmader; Hirmer Verlag, München, ISBN 978-3-7774-2932-8 (deutsch), ISBN 978-3-7774-2933-5 (englisch), 35 € (Schirn), 49,90 € (Buchhandel).

DIGITORIAL Zur Ausstellung bietet die Schirn ein Digitorial an. Das kostenfreie digitale Vermittlungsangebot ist responsiv und in deutscher und englischer Sprache erhältlich. Das Digitorial wird durch die Aventis Foundation ermöglicht. Es ist ab dem 19. September 2017 abrufbar unter www.schirn.de/digitorial.

BEGLEITHEFT Glanz und Elend in der Weimarer Republik. Eine Einführung in die Ausstellung. Herausgeber Schirn Kunsthalle Frankfurt. Auf ca. 40 Seiten werden die wichtigsten Arbeiten der Ausstellung vorgestellt und die historischen und gesellschaftspolitischen Zusammenhänge dargelegt. Ab 12 Jahren, 7,50 € einzeln, im Klassensatz 1 € pro Heft (ab 15 Stück).

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

ORT SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt
DAUER 27. Oktober 2017 – 25. Februar 2018
INFORMATION www.schirn.de E-MAIL welcome@schirn.de
TELEFON +49.69.29 98 82-0 FAX +49.69.29 98 82-240
EINTRITT 12 €, 9 €; freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren VORVERKAUF Tickets sind online unter www.schirn.de/tickets erhältlich FÜHRUNGEN Mi 19 Uhr, Do 20 Uhr, Fr 11 Uhr, Sa 17 Uhr, So 11 und 16 Uhr FÜHRUNGEN BUCHEN individuelle Führungen oder Gruppenführungen buchbar unter Tel. +49 69 29 98 82-0 und E-Mail fuehrungen@schirn.de AUDIOTOUR

Zur Ausstellung ist eine Audiotour für 4 € erhältlich. Gesprochen von Volker Bruch, bietet sie wesentliche Informationen zu den Kunstwerken DIGITORIAL Das Digitorial wird durch die Aventis Foundation ermöglicht MEDIENPARTNER Acht Frankfurt, VGF KULTURPARTNER HR2 KURATORIN Dr. Ingrid Pfeiffer KURATORISCHE ASSISTENZ Maria Sitte

 

DIORAMA ERFINDUNG EINER ILLUSION – Ausstellung zur Idee des inszenierten Sehens in der Schirn ab 6.10.2017

Das Gold des Regenwaldes,  G.-M. Salgé um 1939.  Foto: Diether v. Goddenthow
Das Gold des Regenwaldes, G.-M. Salgé um 1939. Foto: Diether v. Goddenthow

Beinahe in Vergessenheit geraten, haben Dioramen auch im Zeitalter von Film-Animation,  digitaler Simulation , Virtual-Reality-Kino und 360°-Panorama-Events nicht an Faszination verloren. Im Gegenteil: Der unglaubliche exotische Charme der bis zu 200 Jahre alten Schaubühnen und Guckkästen, die jetzt in der Ausstellung „DIORAMA ERFINDUNG EINER ILLUSION“ bis zum 21.Januar 2018 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen sind, dürften jeden Besucher in einen magischen Bann ziehen. Schon für Charles Boudelaire war es  „die brutale und enorme Magie“, die er an Dioramen bewunderte.

Im 19. Jahrhundert von dem französischen Maler und Wegbereiter der Fotografie, Louis Daguerre, als eine mit Lichteffekten belebte Schaubühne konzipiert, wurde der hieraus weiterentwickelte Schaukasten aus Glas oder mit Glasfront für Naturkundemuseen die Präsentationsform schlechthin.

Restaurierte semitransparente, beidseitig bemalte Leinwand mit den Motiven "Sonnenuntergang im Golf von Neapel" und "Vulkanausbruch des Vesuv", die mit samt wechselnder Stimmungen zum Leben erweckt werden kann. Das Gold des Regenwaldes,  G.-M. Salgé um 1939.  Foto: Diether v. Goddenthow
Restaurierte semitransparente, beidseitig bemalte Leinwand mit den Motiven „Sonnenuntergang im Golf von Neapel“ und „Vulkanausbruch des Vesuv“, die mit samt wechselnder Stimmungen zum Leben erweckt werden kann. Das Gold des Regenwaldes, G.-M. Salgé um 1939. Foto: Diether v. Goddenthow

Im Zentrum der Ausstellung werden Dioramen gezeigt, die  Ereignisse, Geschichten, Forschung und Lebensräume mit unterschiedlichen gestalterischen Mitteln  scheinbar wirklichkeitsgetreu arrangieren und rekonstruieren. Die Schaukästen zeigen dabei  ausschnittsweise oder vollständige Motive wissenschaftlicher, religiöser, romantischer und ethnischer  Welten idealtypisch oder auf eine Botschaft zugespitzt,  nicht ohne dabei die Wahrnehmung des Betrachters zu beeinflussen und nachhaltig herauszufordern.

1. Die Ursprünge des Dioramas

Geburt Christi (1751 - 1775) eines unbekannten Künstlers. Foto: Diether v. Goddenthow
Geburt Christi (1751 – 1775) eines unbekannten Künstlers. Foto: Diether v. Goddenthow

Eine Inspirationsquelle  moderner Dioramen zu Daguerres Zeiten Anfang des 19. Jahrhunders waren deren Vorläufer: dreidimensionale Schaubilder, die Geschichten aus der Bibel oder das Leben von Heiligen nachbildeten und sich im 16. Jahrhundert größter Beliebtheit erfreuten. Nach dem Konzil von Trient (1545-1563) versuchte die Katholische Kirche, ihre Vorherrschaft gegenüber dem aufstrebenden protestantischen Glauben wieder zu stärken. Während dieser entscheidenden Phase der Gegenreformation entwickelte sich die Kunst zu einem bedeutenden Mittel bei der Festigung des Glaubens durch die Kraft der ästhetischen Emotion. Neben lebensgroßen dreidimensionalen Darstellungen in den Kirchen dienten kleinformatige Gemälde als private Devotionalien in der häuslichen Umgebung.Ganz gleich, ob solche Szenen als Miniaturen oder lebensgroße Darstellungen angefertigt wurden: Die Künstler legten stets größten Wert auf die Ausarbeitung des Gesichtsausdrucks ihrer Figuren, auf deren Hautton, ihre Kleidung und auf das Dekor.

2. Fenster zur Welt

Erich Böttcher: Alaska-Schneeschaft (1897), aus dem Überseemuseum Bremen. Foto: Diether v. Goddenthow
Erich Böttcher: Alaska-Schneeschaft (1897), aus dem Überseemuseum Bremen. Foto: Diether v. Goddenthow

Als die Kunst der Tierpräparation im Verlauf des 19. Jahrhunderts große Fortschritte machte, wollten sich Präparatoren nicht länger damit zufrieden geben, Tiere einfach „nur“   zum Zwecke der  wissenschaftlichen Konservierung auszustopfen. Vielmehr
wollten sie ihre Arbeit mit Leben erfüllen und die Dioramen so realistisch wie möglich inszenieren.
In dieser Zeit wurden einige der berühmtesten Werkstätten für Tierpräparation gegründet, wie etwa Maison Verreaux (1803 in Paris gegründet) oder die Firma Rowland Ward, die 1870 in London ihre Tore öffnete. Rowland Ward waren es auch, die die sogenannten „Habitatgruppen“ entwickelten – eine Form der Zurschaustellung verschiedener Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, die sich vor allem unter reichen Safariteilnehmern aus Europa größter Beliebtheit erfreute.

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

Auch die naturhistorischen Museen erkannten schnell den pädagogischen Wert dieser Dioramen. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Taxonomie der Spezies in den Schaukästen der Museen präsentierten Dioramen die Tiere in ihrem natürlichen Umfeld und trugen so zur Entstehung eines ökologischen Bewusstseins bei.

Trotz ihrer spektakulären Dramatik wurden Dioramen mit einem aufrichtigen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit erstellt. Sie waren das Ergebnis von Expeditionen in entlegene Gebiete und benötigten für ihre Herstellung eine große Zahl von Beteiligten, wie etwa Maler, Zimmerleute, Tierpräparatoren, Modellierer, Bildhauer und Botaniker.
Einige dieser einmaligen 120 bis 200 Jahre alten  Meisterwerke zeigt die Ausstellung.

3. Geschichte der Menschheit – Als Diorama

Maquett de carbet (1839) versetzt die Betrachter in ein karibisches Indianerlager, mit unter Kinder, Hunde  und Vögel. In einem üppigen Wald sieht man Menschen, die vom Fischen zurückkehren, während andere in Hängematten  ruhen oder ein Gürteltier am Lagerfeuer schlachten.  Foto: Diether v. Goddenthow
Maquett de carbet (1839) versetzt die Betrachter in ein karibisches Indianerlager, mit unter Kinder, Hunde und Vögel. In einem üppigen Wald sieht man Menschen, die vom Fischen zurückkehren, während andere in Hängematten ruhen oder ein Gürteltier am Lagerfeuer schlachten. Foto: Diether v. Goddenthow

Die ersten völkerkundlichen Dioramen entstanden – auch ergänzend zu den in Mode kommenden Völkerschauen – in den 1870er-Jahren in Nordeuropa und in den folgenden Jahren überall auf dem europäischen Kontinent. Als Ausdruck der Macht und des Reichtums einer Nation waren sie ein sichtbares Zeichen für das Ausmaß ihrer kolonialen Errungenschaften. Mit Hilfe von Pappmaché und Wachsfiguren ermöglichten Dioramen einer Vielzahl von Besuchern, den Alltag und die Traditionen der jeweiligen Kolonien kennenzulernen. Als Werkzeuge staatlicher Propaganda verkörperten diese Schaustücke die Verblendung einer Gesellschaft, in der der weiße Mann als der Höhepunkt der Evolution galt.
Im Kontext europäischer Geschichte sahen völkerkundliche Museen  im Diorama ein Mittel, um örtliche Traditionen und Glaubensvorstellungen vor dem völligen Vergessen zu bewahren. Dioramen wurden als museumswissenschaftliche Revolution betrachtet, da sie den ausgestellten Objekten Leben einhauchten – dank der Inszenierung lebensgroßer Wachsfiguren in der traditionellen Kleidung ihrer jeweiligen Herkunftsländer. Bewahrer der Tradition hofften, mit Hilfe von Dioramen die Zeit zum Stillstand zu bringen und Erbgut vor dem Vergessen zu bewahren. Georges Henri Rivière, der Gründer und Direktor des Musée National des Arts et Traditions Populaires, das 1937 in Paris eröffnet wurde, transformierte dieses Phänomen in ein wahrhaft wissenschaftliches Programm: Er sandte seine Feldforscher in alle Regionen Frankreichs aus, um dort Werkzeuge, Kleidung, Bilder und Tonaufnahmen zu sammeln, im Versuch, das ländliche Leben einer Nation zu dokumentieren und für die Nachwelt zu erhalten.

4. Die grosse Halle der Diorahmen – (zeitgenössische Auseinandersetzung)

Mark Dion, Paris Streetscape, 2017, Ausstellungsansicht Dioramas, Palais de Tokyo (14.6.–10.9.2017), verschiedene Materialien, 180 x 250 x 150 cm, Courtesy Mark Dion / Galerie in Situ – Fabienne Leclerc, Paris. Foto: Diether v. Goddenthow
Mark Dion, Paris Streetscape, 2017, Ausstellungsansicht Dioramas, Palais de Tokyo (14.6.–10.9.2017), verschiedene Materialien, 180 x 250 x 150 cm, Courtesy Mark Dion / Galerie in Situ – Fabienne Leclerc, Paris. Foto: Diether v. Goddenthow

Bis heute ist das Diorama eine wesentliche Inspirationsquelle: Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts setzen sich in ihren Arbeiten mit dem inszenierten Sehen auseinander, indem sie das Diorama und die Illusion einer Wirklichkeit hinterfragen und auflösen.
Gezeigt werden raumgreifende Installationen, zeitgenössische Dioramen, Plastiken, Fotografien und Filme von Richard Baquié, Marvin Gaye Chetwynd, Mark Dion, Isa Genzken, Robert Gober, Mathieu Mercier, Kent Monkman, Hiroshi Sugimoto, Jeff Wall und anderen.

Erste umfassende Untersuchung zum Diorama

Die Ausstellung ist die erste umfassende Untersuchung zum Diorama und thematisiert sowohl die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten der Präsentationsform als auch Wechselwirkungen und parallelen zeitlichen Entwicklungen. In der Gesamtheit entsteht so eine chronologische Erzählung, die aus verschiedenen Perspektiven die Kulturgeschichte des Sehens wie auch des Ausstellens nachzeichnet.

Die Ausstellung wurde organisiert von der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Palais de Tokyo, Paris. Dort wurde sie konzipiert und zuerst gezeigt.

Im Rahmen der Ausstellung „Diorama. Erfindung einer Illusion“ wird der Maler und Bühnenbildner Philipp Fürhofer vom 9. November 2017 bis 21. Januar 2018 eine neue Arbeit in der Rotunde der Schirn präsentieren. Die Arbeit wird gefördert durch die SCHIRN ZEITGENOSSEN.

KATALOG Diorama. Erfindung einer Illusion Herausgegeben von Katharina Dohm, Claire Garnier, Laurent Le Bon, Florence Ostende.

Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, einer Einführung der Herausgeber sowie Essays von u. a. Donna Haraway, Hiroshi Sugimoto, Anselm Kiefer, Petra Lange-Berndt und Kent Monkman. Deutsche Ausgabe, 350 Seiten, 320 Abbildungen, 26 x 21 cm (Querformat), Softcover; Gestaltung ABM Studio; Snoeck Verlag, Köln, ISBN 978-3-86442-226-3, 29 € (Schirn), 39,80 € (Buchhandel).

WIFI-ANGEBOT „DIORAMA UND DU“ Das speziell für die Nutzung des kostenlosen SCHIRN WIFI entwickelte Vermittlungsangebot ist über das eigene Smartphone oder Tablet unter www.schirn.de/wifi erreichbar.

SCHIRN-MAGAZIN Begleitend zur Ausstellung untersucht das Schirn-Magazin www.schirn-magazin.de mit einem redaktionellen Schwerpunkt das Thema „Immersion“ und die Faszination an der perfekten Illusion heute. Abseits der Naturwissenschaft hat sich nicht nur die vielzitierte Virtual Reality zum Ziel gesetzt, dem Betrachter das Eintauchen in andere Welten zu ermöglichen. Auch Fernsehserien arbeiten längst an der Erschaffung epischer Universen, Computerspiele entführen Spieler in eine Parallelwelt, Künstler erschaffen immersive Performances.

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

ORT
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt DAUER 6. Oktober 2017 – 21. Januar 2018 INFORMATION www.schirn.de E-MAIL welcome@schirn.de TELEFON +49 69 29 98 82-0 FAX +49 69 29 98 82-240
EINTRITT 9 €, ermäßigt 7 €; freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN Di 17 Uhr, Mi 19 Uhr, Do 20 Uhr, Sa 15 Uhr, So 17 Uhr
FÜHRUNGEN BUCHEN individuelle Führungen oder Gruppenführungen buchbar unter Tel. +49 69 29 98 82-0 und E-Mail fuehrungen@schirn.de
MEDIENPARTNER ARTE KURATOREN Katharina Dohm, Claire Garnier, Laurent Le Bon, Florence Ostende
PROJEKTLEITUNG SCHIRN Ilka Voermann

AUSZUG AUS DEM RAHMENPROGRAMM DER AUSSTELLUNG
Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung „Diorama. Erfindung einer Illusion” findet ein vielseitiges Rahmenprogramm statt. Einige Höhepunkte des Programms bilden die folgenden Veranstaltungen. Alle Informationen finden Sie unter www.schirn.de.

DIENSTAG, 17. OKTOBER, 19 UHR
KURATORENFÜHRUNG MIT ILKA VOERMANN
Die Kuratorin verrät Konzept und Hintergründe der Ausstellung.
Gebühr: 9 €, ermäßigt 7 €, Abendkasse, kein Vorverkauf
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

DONNERSTAG, 23. NOVEMBER, 20 UHR
KINDHEIT IM DIORAMA
Der Dichter Durs Grünbein setzt sich in seinen Werken mit Philosophie und Naturwissenschaften auseinander. In seiner Lesung „Kindheit im Diorama“ greift er die Atmosphäre der Dioramen auf.
Im SCHIRN CAFÉ, Einlass mit gültigem DIORAMA-Ticket
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

MITTWOCH, 6. DEZEMBER, 17 UHR
EXPERTENFÜHRUNG MIT PETRA LANGE-BERNDT
Die Kunsthistorikerin und Autorin im Katalog führt mit Fokus auf die zeitgenössischen Kunstwerke der Präsentation und deren Bezug zu historischen Dioramen durch die Ausstellung.
Gebühr: 9 €, ermäßigt 7 €, Abendkasse, kein Vorverkauf
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

DIENSTAG, 9. JANUAR, 19 UHR
EXPERTENFÜHRUNG MIT ANNA FRENKEL
Die biologische Präparatorin erläutert konservatorische Herausforderungen von Dioramen anhand ausgewählter Exponate der Ausstellung.
Gebühr: 9 €, ermäßigt 7 €, Abendkasse, kein Vorverkauf
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

SAMSTAG, 20. JANUAR, GEÖFFNET BIS 24 UHR
SATURDAY BEFORE CLOSING
Am letzten Samstag der Ausstellung legt ab 21.30 Uhr „Public Possession“ auf. Das SCHIRN CAFÉ sorgt für Drinks. Um 23 Uhr führt Ilka Voermann ein letztes Mal durch die Ausstellung.
Einlass mit gültigem Ausstellungsticket „Diorama“, ohne Ausstellungsticket 5 €
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

DIENSTAG, 17., MITTWOCH, 18. OKTOBER UND DONNERSTAG, 19., FREITAG, 20. OKTOBER 2017, JEWEILS 10–12 UHR
DIENSTAG, 2., MITTWOCH, 3. JANUAR UND DONNERSTAG, 4., FREITAG, 5. JANUAR 2018, JEWEILS 10–12 UHR
FERIEN IN DER MINISCHIRN 5–7 Jahre
Das freie Formen und Modellieren mit unterschiedlichen Materialien steht im Mittelpunkt der zweitägigen Ferienworkshops der MINISCHIRN. Vögel, Fische und andere Tiere werden vollplastisch gestaltet und angemalt.
Gebühr: 16 € für 2 Tage
Dauer: 2 Stunden. Eine Betreuung der Kinder bis 13 Uhr ist möglich.
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, Fax 069.29 98 82-241, mini@schirn.de

SAMSTAG, 2. DEZEMBER, 14–18.30 UHR
SCHIRN AKTIV – HALBPLASTISCHE DARSTELLUNG: RELIEF
Die Gesamtansichten von historischen, naturkundlichen oder ethnologischen Szenen der Ausstellung, wie z.B. Tiere vor einem gemalten Gebirgspanorama oder religiöse Darstellungen in Guckkästen, eignen sich zur Umsetzung im Relief. Aus Ton modelliert, können einzelne Figuren auf die Grundfläche (Hochrelief) aufgesetzt oder aus der Grundfläche herausgearbeitet werden (Flachrelief). Die Reliefs werden nicht gebrannt, sondern an der Luft getrocknet.
Gebühr: 45 € zzgl. Eintritt, Abendkasse, kein Vorverkauf
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

MITTWOCH, 13. DEZEMBER, 19–21 UHR
SCHIRN AKTIV – VOM OBJEKT ZUR ZEICHNUNG
Die Ausstellung zeigt Darstellungen von naturkundlichem Wissen in Illusionsräumen wie Schaukästen oder Dioramen und untersucht die Kulturgeschichte dieser Präsentationsformen bis zu ihrer Thematisierung in der zeitgenössischen Kunst. Nach dem Ausstellungsrundgang können die Teilnehmer vor Ort zeichnen und sich durch zielgenaues Beobachten ausgewählter Objekte intensiv mit ihnen auseinandersetzen.
Gebühr: 15 € zzgl. Eintritt, Abendkasse, kein Vorverkauf
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

SAMSTAG, 18. NOVEMBER, 16–21 UHR
KINDERKUNSTNACHT
Wieder lädt die SCHIRN Familien mit Kindern von 4–10 Jahren zu einer KINDERKUNSTNACHT ein. Die Ausstellung wird mit Geschichten, Spiel und Kunstpädagogik kommentiert und präsentiert. Ein buntes, durchgehendes Workshop-Programm für Kinder ab 4 Jahren im ganzen Haus und das Angebot der MINISCHIRN runden das große Kunstspektakel ab. In Kooperation mit dem Jungen Schauspiel Frankfurt. Die Kinderdisco sorgt ab 17 Uhr für Partystimmung im SCHIRN CAFÉ.
Gebühr: 5 € pro Person, Kinder unter 3 Jahren und KinderKunstKlub-Mitglieder frei
Vorverkauf: ab 28. Oktober 2017

SCHIRN STUDIO. DIE KUNSTWERKSTATT
Angelegt als fortlaufendes Workshop-Angebot bieten einzelne Kursblöcke die Möglichkeit zur intensiven Auseinandersetzung mit Konzepten, Methoden, Medien und Techniken der Bildenden Kunst. Die altersspezifischen Kurse fordern und fördern die Beschäftigung mit der Ausstellung der SCHIRN und dem ästhetisch-künstlerischem Lernen. Sie erweitern die eigenen kunstpraktischen Fertigkeiten und leisten einen wichtigen Beitrag zu einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Themeneinheiten machen Lust und Mut auf Neues und regen unkonventionelle Denk- und Ausdrucksweisen an.

SCHIRN STUDIO. DIE KUNSTWERKSTATT wird ermöglicht durch die SCHIRN FREUNDE e.V., unterstützt von DWS Investments und Deutsche Vermögensberatung AG.
Kostenfrei. Beschränkte Teilnehmerzahl
Dauer: 3 x 90 Minuten/120 Minuten
Anmeldung: Tel 069.29 98 82-112, fuehrungen@schirn.de

SCHIRN STUDIO KURS 6–9 JAHRE
BASISWISSEN KUNST: DIORAMA I
DIENSTAGS, 7., 14., 21. NOVEMBER 16–17.30 UHR
In der Ausstellung werden Arbeiten betrachtet, die im Spiel von Licht und Schatten die Wahrnehmung der Betrachter auf spektakuläre Art und Weise herausfordern. In eigenen Arbeiten wird mit Gucklocheffekten und durchscheinenden Materialien experimentiert.

BASISWISSEN KUNST: DIORAMA II
DIENSTAGS, 5., 12., 19. DEZEMBER, 16–17.30 UHR

Gemeinsam werden die naturkundlichen Präsentationen der Lebensräume von Tieren und Menschen entdeckt. Die Vielzahl der Darstellungsweisen inspiriert zu eigenen Gestaltungen mit unterschiedlichen Materialien.

SCHIRN STUDIO KURSE 9–12 JAHRE
BASISWISSEN TECHNIK: DIORAMA I
MITTWOCHS, 8., 15., 22. NOVEMBER 22., 16–17.30 UHR
Was ist ein Diorama? Welche Rolle spielt das Licht bei einem Polyorama? Und warum ist der Schlüssellocheffekt so spannend? Es wird hinter die Kulissen der einzelnen Präsentationsformen geblickt und das neuerworbene Wissen in eigenen Arbeiten angewendet.

BASISWISSEN TECHNIK: DIORAMA II
MITTWOCHS, 6., 13., 20. DEZEMBER, 16–17.30 UHR
Im Mittelpunkt des Kurses steht die Inszenierung von Objekten im Raum. Es werden Vorder-, Mittel- und Hintergründe gestaltet und zwei oder dreidimensionale Objekte in den Fokus gerückt.

SCHIRN STUDIO KURS 12–15 JAHRE
KUNSTWISSEN DIORAMA
DONNERSTAG, 9., 16., 23., 30. NOVEMBER, 7., 14. DEZEMBER, 16–17.30 UHR
Das Sammeln, Ordnen und Präsentieren als zentrale Aufgabe von Museen wird in der Ausstellung in den unterschiedlichen Dioramen sichtbar. Angeregt von den vielfältigen Möglichkeiten werden eigene Präsentationsformen gefunden, die das Zweidimensionale der Malerei mit der Dreidimensionalität von Objekten verbinden.

SCHIRN STUDIO KURS 15–19 JAHRE
KUNSTTREFFPUNKT DIORAMA
FREITAG, 10., 17., 24. NOVEMBER, 1., 8., 15. DEZEMBER, 17–19 UHR
Die Arbeiten der Ausstellung geben Orientierung und Inspiration für die bildnerische Auseinandersetzung mit persönlich relevanten Themen. In der Gestaltung der individuellen Arbeiten kann das breite Spektrum an Materialien des Schirn Studios genutzt und in vielfältigen künstlerischen Techniken zum Einsatz kommen.

Double Feature 2017: Programm für Juli, August, September in der Schirn Kunsthalle Frankfurt


Mit den monatlichen Veranstaltungen der Reihe „Double Feature“ bietet die Schirn Kunsthalle Frankfurt nationalen und internationalen Film- und Videokünstlern ein Forum. Am jeweils letzten Montag eines Monats zeigen sie dem Publikum eine Arbeit aus ihrem eigenen Werk und einen von ihnen ebenfalls persönlich ausgewählten Lieblingsfilm. Die Künstlerinnen und Künstler geben im Gespräch mit den Kuratoren der Schirn tieferen Einblick in ihre Arbeit und insbesondere in ihr filmisches Interesse.

Im für diesen Anlass temporär eingerichteten Kinosaal im Schirn Café, für den die Künstlerin und Städel-Professorin Judith Hopf eigens einen Vorhang entworfen hat, wird die Reihe am 31. Juli 2017 mit Bianca Baldi, am 28. August mit Ben Rivers und am 25. September mit Tris Vonna-Michell fortgesetzt.

DOUBLE FEATURE MIT BIANCA BALDI
MONTAG, 31. JULI 2017, EINLASS 19.00 UHR, BEGINN 19.30 UHR
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, EINTRITT FREI, OHNE ANMELDUNG
DIE KÜNSTLERIN IST ANWESEND.

Mit Installationen und Videoarbeiten greift die südafrikanische Künstlerin Bianca Baldi Bilder von Räumen, Orten, Objekten und Biografien unterschiedlichster Kontexte auf. Sie inszeniert diese zu neuen Bildern und Geschichten, deren Wahrheitsgehalt unbestimmbar bleibt. So werfen Baldis Werke Fragen nach dem Umgang mit vermeintlichen Fakten, historischen Erzählweisen und deren Dokumentation auf. In der Schirn präsentiert Baldi zwei Videoarbeiten. Fun Capital (2012, 5:30 Min.) zeichnet ein ambivalentes Bild von einem der ersten südafrikanischen Touristenresorts. Spätestens mit einem Auftritt Frank Sinatras im Jahr 1981 erlangte „Sun City“ internationale Bekanntheit. Der Glanz der Casinos, Showgirls und künstlich angelegten Wälder, Flüsse und Strände ist lange verblasst, ebenso wie die von Apartheid geprägte Geschichte des Vergnügungsortes in Vergessenheit geraten ist.

Auch Baldis neueste Filmarbeit Eyes in the Back of Your Head (2017, 8:23 Min.) beschreibt einen schwer zu erfassenden Raum. Sie nimmt den Betrachter mit an einen Ort, der sowohl real als auch virtuell sein kann, der zwar zu durchschreiten und zu betrachten ist, aber der sich dennoch nicht ganz erschließen lässt.

Nach einem Gespräch mit Gastkuratorin Natalie Storelli zeigt Bianca Baldi ihren Lieblingsfilm The Hypothesis of the Stolen Painting (1978, 66 Min.) des chilenisch-französischen Filmemachers Raúl Ruiz. In dem experimentellen Film versucht ein Kunstsammler das Motiv eines verschwundenen Gemäldes aus einer 7-teiligen Serie zu rekonstruieren. Eine Gruppe von Schauspielern hilft ihm bei dieser Aufgabe, indem sie die dargestellten Posen in den übrigen Gemälden kopiert und somit eine Abfolge menschlicher Tableaus erstellt.

Bianca Baldi wurde 1985 in Johannesburg (Südafrika) geboren. Sie studierte an der Michaelis School of Fine Arts, University of Cape Town, der Università Iuav di Venezia und an der Städelschule in Frankfurt am Main. Ihre Arbeiten waren zuletzt in Einzelausstellungen im Kunstverein Harburger Bahnhof (2017) und dem Goethe Institut in Johannesburg (2014) zu sehen. Sie partizipierte unter anderem in Gruppenausstellungen im Kunstverein Braunschweig (2015), im Frankfurter Kunstverein (2015) und bei der 8. Berlin Biennale (2014).

DOUBLE FEATURE MIT BEN RIVERS MONTAG, 28. AUGUST 2017, EINLASS 19.00 UHR, BEGINN 19.30 UHR SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, EINTRITT FREI, OHNE ANMELDUNG

Ben Rivers atmosphärisch aufgeladene Filme hinterfragen die Konventionen dokumentarischer Darstellungen und reichen von der Erforschung ungewöhnlicher Lebensräume bis hin zu rätselhaften Porträtaufnahmen. Häufig bedient er sich dabei Methoden der Ethnografie und der Reisedokumentation. In Anlehnung an seine früheren Erkundungen zeigt Rivers in What Means Something (2015, 66 Min.) ein intimes, filmisches Porträt der britischen Malerin Rose Wylie in ihrem Atelier. Assoziativ gleitet der Film zwischen sinnlichen Detailaufnahmen und räumlicher Desorientierung, sodass eine äußerst persönliche, indirekte Erzählperspektive entsteht, die das Kunstschaffen selbst und dessen Prozesshaftigkeit ins Zentrum rückt.

Nach einem Gespräch mit Gastkuratorin Maria Sitte präsentiert Ben Rivers den experimentellen Kurzfilm Fake Fruit Factory (1986, 22. Min.) der amerikanischen Filmemacherin Mildred „Chick“ Strand. Der Film schildert die Interaktion zwischen mexikanischen Arbeiterinnen bei der kollektiven Herstellung von Deko-Früchten aus Pappmaché. Ausgehend von dominierenden Nahaufnahmen und rhythmischen Schnitten bewegt sich der Film zwischen Abstraktion, Voyeurismus und Fiktionalität.

Ben Rivers wurde 1972 in Somerset (England) geboren. Von 1990 bis 1993 studierte er an der Falmouth School of Art und war 1996 Mitbegründer der Brighton Cinematheque. Seine Arbeiten wurden unter anderem im Institute of Contemporary Arts, London (2017) sowie im Hamburger Kunstverein (2016), im The Whitworth, Manchester (2016) und im Camden Arts Centre, London (2015) ausgestellt. Er lebt und arbeitet in London.

DOUBLE FEATURE MIT TRIS VONNA-MICHELL
MONTAG, 25. SEPTEMBER 2017, EINLASS 19.00 UHR, BEGINN 19.30 UHR SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, EINTRITT FREI, OHNE ANMELDUNG
DER KÜNSTLER IST ANWESEND.

Der Künstler Tris Vonna-Michell erzählt mit schnellen Spoken Word Performances, Tonaufnahmen und Fotografien eingehende Geschichten, in denen er reale und fiktive Momente sowie persönliche und kulturelle Referenzen verbindet. Es entstehen narrative Strukturen, die Umwege, Assoziationsströme und auch „Sackgassen“ aufweisen. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit Zufall und Wiederholung, sie untersuchen den Bezug zwischen Bildern und Geschichten. In der Schirn präsentiert der Künstler seine neueste Videoarbeit Registers (2017, 15 Min.). Als Diashow konzipiert, zeigt der Film sowohl digitale als auch analoge Fotografien transitorischer und öffentlicher Orte, welche Vonna-Michell während einer Reise nach Japan im Jahr 2008 anfertigte. Die Dias sind teilweise vom Künstler animiert; er platziert sie auf Lichtboxen oder projiziert sie durch Wasser. Von einem hypnotisierenden Soundtrack begleitet, entsteht so eine Erzählung, die teils Traumwelt, teils Dokumentation ist.

Im Anschluss an das Kuratoren-Gespräch mit Matthias Ulrich zeigt Vonna-Michell einen von ihm ausgewählten Lieblingsfilm.

Tris Vonna-Michell, 1982 in Southend-on-Sea (England) geboren, studierte am Falmouth College of Art, an der Glasgow School of Art sowie an der Städelschule in Frankfurt am Main. Er lebt und arbeitet heute in Stockholm, Schweden. Seine Arbeiten wurden unter anderem präsentiert im Vox Centre for Photography, Montreal (2014), im BALTIC Centre for Contemporary Art, Gateshead (2012) sowie in der Kunsthalle Zürich (2009). 2014 wurde er für den Turner Prize nominiert.

ORT:
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT Römerberg 60311 Frankfurt DATUM
31. Juli, 28. August und 25. September 2017, Einlass 19.00 Uhr, Beginn
19.30 Uhr EINTRITT frei, ohne Anmeldung
KURATOREN Katharina Dohm, Matthias Ulrich GASTKURATORINNEN Maria Sitte, Natalie Storelli INFORMATION www.schirn.de
E-MAIL welcome@schirn.de TELEFON (+49-69) 29 98 82-0 FAX (+49-69) 29 98 82-240 ONLINE-MAGAZIN www.schirn-magazin.de

Schirn Kunsthalle Frankfurt provoziert mit Friedens-Ausstellung „Peace“ – Keine „Flower-Power-Romantik“

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

Ob „PEACE“ die Seelen der Menschen erreichen wird, wird sich erst noch zeigen müssen: Denn mutig präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 1. Juli bis 24. September 2017 ihre „diskurtive“ Gruppenausstellung PEACE bewusst ohne „Flower-Power-Romantik“ á la Blumenkränzchen um Gewehre, Taubensymbolik oder Regenbogenfarben, und ohne das legendäre PEACE-Zeichen, welches am Osterwochenende im April 1958 in London erstmals bei einem Anti- Atombomben-Marsch gezeigt, und seit den Anti-Vietnamkriegs-Aktionen bis zum heutigen Tage weltweit zum Symbol aller Friedensbewegten schlechthin avancierte.

Die Ausstellungsmacher haben das alte PEACE-Zeichen nach einer Publikums-Ausschreibung im Frühjahr 2017 abgelöst durch einen ent-emotionalisierenden hellblauen Punkt, den blauen Planeten Erde symbolisierend, religionsneutral. Auch in den weiteren Positionen wird der eigenwillige neue Weg, den die Ausstellung „PEACE“ geht, um „Frieden“ zu thematisieren, sichtbar.
Frieden zeigt sich, so die Ausstellungsmacher, nicht als Gegenstand, sondern als Prozess von Interaktion und Kommunikation – nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen allen Akteuren des Ökosystems. Diese Ansicht unterscheidet sich grundlegend vom humanistischen Weltbild, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Blick richtet sich nun auf die Umwelt: auf Wasser, Pflanzen, Tiere, auch auf die leblosen Dinge. Es findet eine Neubewertung der Hierarchien innerhalb des Ökosystems und der letztlich schädlichen Aneignungs- und Verwertungsstrategien des Menschen statt. Die in der Ausstellung versammelten Arbeiten widmen sich dieser Neubewertung und beleuchten über Umwege u. a. soziale Systeme wie die Sprache oder Rituale des Gebens, Schenkens und Nehmens, die das (Zusammen-)Leben der Menschen erst ermöglichen. Die Ausstellung PEACE versteht sich als Impuls, darüber nachzudenken, was Frieden sein kann.

Die Ausstellungsmacher wollten erst gar nicht den unmöglichen Versuch erliegen, darzustellen, wie Frieden aussehen und was Frieden sein könnte. Vielmehr geht es ihnen um den Prozess des Friedens, nämlich um die Frage: „Wie geht Frieden eigentlich?“
Zu Einstieg in diesen spannenden Diskurs haben Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, und das Schirnausstellungsteam – gefördert von der Dr. Marschner Stiftung und den Gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain – zwölf international renommierte Künstlerinnen und Künstler versammelt, die in ihren unerwarteten spannenden Positionen das Thema PEACE aus zeitgenössischer Perspektive betrachten.

Golden Ghost (The Future Belongs To Ghosts), 2011 von Surasi Kusolwong konfrontiert die Besucher gleich zu Beginn der Ausstellung: In einem Berg von textilen Fadenresten versteckt Kusolwong eigens für die Frankfurter PEACE-Ausstellung gefertigte „Gold“ketttchen, die Besucher durch Wühlen im symbolischen Wohlstandsmüll vereinzelt finden können. Ob das Projekt auf den Wert des oftmals leichtfertig weggeworfenen Industriemülls aufmerksam machen und zum achtsameren Umgang mit der wertvollen Ressource auffordern soll, sagt uns der Künstler nicht. Inwieweit das gemeinsame spielerische Schürfen nach Goldkettchen monopolyähnliche Wettbewerbesgefühle bei Besuchern entfacht, sie gar in ehrgeizigen Unrast oder doch eher in friedlichen Flow versetzt, bleibt abzuwarten. Foto: Diether v. Goddenthow
Golden Ghost (The Future Belongs To Ghosts), 2011 von Surasi Kusolwong konfrontiert die Besucher gleich zu Beginn der Ausstellung: In einem Berg von textilen Fadenresten versteckt Kusolwong eigens für die Frankfurter PEACE-Ausstellung gefertigte „Gold“ketttchen, die Besucher durch Wühlen im symbolischen Wohlstandsmüll vereinzelt finden können. Ob das Projekt auf den Wert des oftmals leichtfertig weggeworfenen Industriemülls aufmerksam machen und zum achtsameren Umgang mit der wertvollen Ressource auffordern soll, sagt uns der Künstler nicht. Inwieweit das gemeinsame spielerische Schürfen nach Goldkettchen monopolyähnliche Wettbewerbesgefühle bei Besuchern entfacht, sie gar in ehrgeizigen Unrast oder doch eher in friedlichen Flow versetzt, bleibt abzuwarten und dürfte individuell – auch von Typ u. Tageskondition abhängig. – recht unterschiedlich sein. Ob es je „friedliche, uneigennützige Menschen geben kann?“ Foto: Diether v. Goddenthow

Dabei verstehen Jan de Cock, Minerva Cuevas, Ed Fornieles, Michel Houellebecq, Surasi Kusolwong, Isabel Lewis, Lee Mingwei, Katja Novitskova, Heather Phillipson, Agnieszka Polska, Timur Si-Qin und Ulay ihre Arbeiten nicht als „Antworten“, sondern als Impulse und anregende Einladungen an die Besucher, eigene Positionen zu beziehen.
Ausstellungsbegleitend finden zahlreiche Live-Events statt wie etwa Vorträge, Lesungen, Poetry-Performances sowie Tanz- und Musikveranstaltungen.

Zur Ausstellung entsteht die interaktive Website WWW.SCHIRN-PEACE.ORG, die u. a. Essays von Prof. Chus Martínez, Dr. Mary Zournazi, Prof. Michael Marder, Texte zu den Werkpositionen, Videointerviews mit den Künstlerinnen und Künstlern sowie weiteres Dokumentationsmaterial des PEACE-Projekts vereinen wird.

(v.li.) Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, Rechtsanwalt Peter Gatzemeier, Vorstandsvorsitzender Dr. Marschner-Stiftung, Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt,  Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain stellen während eines Pressegespräches in der Schirn die Ausstellung PEACE. Foto: Diether v. Goddenthow
(v.li.) Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung, Rechtsanwalt Peter Gatzemeier, Vorstandsvorsitzender Dr. Marschner-Stiftung, Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain stellen während eines Pressegespräches in der Schirn die Ausstellung PEACE. Foto: Diether v. Goddenthow

Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über PEACE: „Was ist Frieden? Die Frage ist simpel, die Antwort diffizil. Im Zuge einer gedanklichen Annäherung haben wir uns entschlossen, die Perspektive zu wechseln und zu fragen: Wie geht Frieden eigentlich? Die PEACE-Ausstellung kommt damit zur richtigen Zeit – das beweisen nicht nur die mehr als 600 Einreichungen der Logo-Ausschreibung. PEACE ist ein aktuelles, für die Gesellschaft relevantes Thema, das Diskussionen herausfordert und aktive Teilhabe einfordert. Die in der Ausstellung präsentierten Werke zeigen, wie die Künstlerinnen und Künstler unserer Zeit sich dem Thema nähern – und bleiben beides: Antwort und Denkanstoß zugleich.“

„Die Geschichte des Friedens ist so alt wie die Menschheit selbst. Während Krieg oft als die Natur der Menschheit verstanden wird, handelt es sich beim Frieden vermeintlich um etwas weitaus Zerbrechlicheres und Flüchtigeres. Im Medienzeitalter sind Krieg und Gewalt profitable Events und werden von der Politik mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Der Frieden wird als eine kapitalistische, ökonomische Größe nur dann zu einer breiten gesellschaftlichen Anerkennung kommen, wenn das wirtschaftliche Auseinander-Wachstum an Bedeutung verliert und stattdessen ein kollektives Zusammen Wachstum an Attraktivität gewinnt. Die Ausstellung PEACE konstruiert Verbindungen, mit deren Hilfe andere Zugänge zu einem Leben mit und in Frieden wahrnehmbar werden. Frieden ist Gegenwart, ist Mit-Sein – mit der Welt und mit anderen sein“, erläutert Matthias Ulrich, Kurator der Ausstellung.

Lee Mingwei, The Letter Writing Project, 1998/2014, Mixed media, interaktive Installation. Foto: Diether v. Goddenthow
Lee Mingwei, The Letter Writing Project, 1998/2014, Mixed media, interaktive Installation. Foto: Diether v. Goddenthow

Auftakt der Präsentation ist die partizipative Installation The Letter Writing Project (seit 1998) des in Taiwan geborenen Künstlers Lee Mingwei (*1964). Sie behandelt Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse, aber auch die Angst, sie zu artikulieren. Diese können die Besucher in Briefen formulieren und sie in der Installation entweder für andere zum Lesen anbieten oder sie von der Schirn an bestimmte Adressaten verschicken lassen.

Eine weitere Arbeit des Künstlers, die den Titel Sonic Blossom (seit 2013) trägt, wird gemeinsam mit vier Frankfurter Museen sowie der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main realisiert. Jeweils eine Woche lang werden dort Sängerinnen und Sänger ausgewählten Besuchern die Frage Darf ich Ihnen ein Lied schenken? stellen und anschließend eines von fünf Liedern des Komponisten Franz Schubert vortragen. Sonic Blossom ist im Städel Museum (4.–9. Juli), im Deutschen Architekturmuseum (11.–16. Juli), im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (15.–20. August), im Museum Angewandte Kunst (22.–27. August) und in der Schirn (19.–24. September) zu erleben.

Der thailändische Künstler Surasi Kusolwong (*1965) versteckt in seiner Installation Golden Ghost (2011/2017) Goldketten in Tonnen von Fadenresten der industriellen Textilproduktion, die die Besucher der Ausstellung suchen können. Deren goldene Anhänger wurden für die Ausstellung entwickelt und in kleiner Auflage gefertigt. Auf der Suche nach den Ketten in den Abfällen der Konsumindustrie wirft der Künstler die Frage nach Kunst, Ware und Wert auf.

Katja Novitskova, Pattern of Activation (planetary bonds), 2015 Foto: Diether v. Goddenthow
Katja Novitskova, Pattern of Activation (planetary bonds), 2015 Foto: Diether v. Goddenthow

Das Interesse der estnischen Künstlerin Katja Novitskova (*1984) liegt in der Verbindung von Bildern des Humanen und technischen Daten. In ihrer Installation Pattern of Activation (planetary bonds) (2015) erscheinen automatisierte Wiegen für Babys wie Raumfahrtobjekte, ein riesiges Proteinmolekül in derselben Größe wie der Mars und automatisierte Spielzeuginsekten, die in Glaskäfigen mühevoll strampeln.

Der britische Künstler Ed Fornieles (*1983) hat eigens für die Ausstellung Sim Vol. 1: Existential Risk (2017) entwickelt – ein RPG (Role Playing Game). Anknüpfend an die simulierte Welt von Rollenspielen werden mögliche Formen einer post-apokalyptischen Utopie in Szene gesetzt. Der spieltheoretische Hintergrund schließt Ideen von Chaos, von Zufallsgeneratoren und Sprachspielen ein. Jeder Besucher ist eingeladen, sich anhand von Interviews mit einzelnen Spielern in deren jeweilige Position hineinzuversetzen und Szenarien selbst weiterzudenken.

Der von der zeitgenössischen Kultur und Konsumwelt faszinierte, in Berlin lebende Künstler Timur Si-Qin (*1984) eignet sich für seine digitalen Bildproduktionen bewusst Markenstrategien an. Seine Marke New Peace verwischt die Grenzen zwischen Spiritualität und Konsum. In der Ausstellung ist Si-Qin mit mehreren Arbeiten vertreten: mit einem Leuchtzeichen seines New Peace Pro Sign (2016), der zweiteiligen Arbeit On the Path to Mirrorscape (2016) sowie Mirrorscape Effigy (2016). Es sind Bilder von Landschaften zwischen Realität und Fiktion, zwischen Natur und Technik.

Jan de Cock, Everything for you, Frankfurt, 2017, Installationsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2017 Foto: Diether v. Goddenthow
Jan de Cock, Everything for you, Frankfurt, 2017, Installationsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2017 Foto: Diether v. Goddenthow

Der belgische Künstler Jan de Cock (*1976) hat unter dem Titel Everything For You, Frankfurt (2017) Skulpturen entwickelt, die er – ganz im Sinne des von ihm bereits in Hongkong oder Havanna ausgerufenen „Skulpturenkommunismus“ – als ein Geschenk an die Stadt, ihre Einwohner und Architektur versteht. Er baute im Vorfeld der Ausstellung aus einzelnen Elementen immer wieder neu kombinierte Skulpturen im Frankfurter Stadtraum kurzzeitig auf und hielt diese fotografisch fest. Sein Projekt präsentiert er in der Schirn in Form eines selbstproduzierten Magazins, das die Fotografien der Skulpturen dokumentiert und das die Besucher mitnehmen können.

Die polnische Künstlerin Agnieszka Polska (*1985) erkundet die Bedeutung und Wirkung von Sprache sowie deren Materialisierung. Sie ist mit der aus drei Videoarbeiten bestehenden Installation The Body of Words (2015) vertreten, in der sie die Entstehung des Menschen als sprechender Organismus und ich-bewusster Körper verhandelt und auf die Anfänge der Zivilisation verweist.

Mit der Installation Clément (2016) hat der französische Schriftsteller Michel Houellebecq (*1958) seinem gleichnamigen verstorbenen Hund ein intimes Denkmal geschaffen. In der Mitte des dunklen, holzvertäfelten Raumes mit Teppichboden und Bildern an den Wänden befindet sich eine große Vitrine mit u. a. Spielzeugen – Devotionalien und Erinnerungen an seinen Gefährten.

Die britische Videokünstlerin Heather Phillipson (*1978) versetzt sich in die Psychologie und Physiologie von Tieren hinein. In der Filminstallation 100 % OTHER FIBRES (2016) heißt der Protagonist Gavin – ein Pudel, der aufgrund traumatischer Erlebnisse und Stress nicht mehr leben will. Im Zentrum steht sein Körper, der auch ein menschlicher Körper sein könnte. In das Changieren zwischen hündischer und menschlicher Körperlichkeit werden Gefühle wie Verlangen und Begehren, Sex und Fortpflanzung einbezogen.

Drei Arbeiten beschäftigen sich im letzten Ausstellungsraum mit dem Thema Wasser. Eine ganze Wand der Ausstellung füllt die mexikanische Konzeptkünstlerin Minerva Cuevas (*1975) mit einem großen Bild. Vor dem roséfarbenen Hintergrund mit hellblauer Bergkette ist in satter roter Schrift zu lesen: égalité (2004). Sofort ist das zugrunde liegende Logo der Marke evian zu erkennen, das die Künstlerin durch das französische Wort für Gleichheit ersetzt hat. Das Motiv des Wandbilds liegt als Poster für die Besucher zum Mitnehmen aus. Nach außen getragen, steht es für freie Verfügbarkeit statt Exklusivität und Vermarktung.

In großen, leuchtenden Buchstaben bringt der Foto- und Performancekünstler Ulay (*1943) die Frage Whose water is it? (2012) an die Wand. Hinter den Buchstaben scheinen Währungszeichen wie €, $, £ auf. In den letzten Jahren behandelt Ulay in zahlreichen Werken das Thema Wasser als natürliche Ressource, aber auch als Stoff, aus dem der Mensch sich konstituiert. In einer zweiten Arbeit, die in der Ausstellung präsentiert wird, führt er auf einfache und fast poetische Weise die Komplexität des Materials vor: Ein Tropfen Wasser fällt auf eine heiße Oberfläche, verpufft und löst sich im Bruchteil einer Sekunde auf – ein Sinnbild des Tropfens auf dem heißen Stein.

Isabel Lewis inmitten ihrer mit Sitzgelegenheiten und Pflanzen gestalteten Installation, die gleichzeitig Veranstaltungsort und Bühne ist. Foto: Diether v. Goddenthow
Isabel Lewis inmitten ihrer mit Sitzgelegenheiten und Pflanzen gestalteten Installation, die gleichzeitig Veranstaltungsort und Bühne ist. Foto: Diether v. Goddenthow

Die PEACE-Ausstellung mündet in einer von Isabel Lewis (*1981) mit Sitzgelegenheiten und Pflanzen gestalteten Installation, die gleichzeitig Veranstaltungsort und Bühne ist. Als „Gastgeberin“ ihrer occasions (dt.: Anlässe) richtet die ausgebildete Tänzerin Lewis dort Multimediaperformances aus. Sie erzählt, komponiert dann zu hörende Musik, singt, tanzt, „verführt“ die Sinne durch gemeinsam mit der Duftforscherin Sissel Tolaas entwickelte Aromen und serviert spezielle Drinks oder Menüs. Auf dieser Bühne wird im Rahmen ihrer occasions und in weiteren Live-Events die zentrale Frage der Ausstellung diskutiert, wie Frieden eigentlich geht.

ORT
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, 60311 Frankfurt
DAUER 1. Juli – 24. September 2017
INFORMATION www.schirn-peace.org E-MAIL welcome@schirn.de
TELEFON +49.69.29 98 82-0 FAX +49.69.29 98 82-240
EINTRITT 9 €, 7 €; freier Eintritt für Kinder unter 8 Jahren ÖFFENTLICHE FÜHRUNGEN Di 17 Uhr, Mi 19 Uhr, Do 20 Uhr, Sa 17 Uhr, So 15 Uhr
FÜHRUNGEN BUCHEN individuelle Führungen oder Gruppenführungen buchbar unter Tel. +49.69.29 98 82-0 und E-Mail fuehrungen@schirn.de KURATOR Matthias Ulrich

WEBSITE
Ausstellungbegleitend entsteht die interaktive Website WWW.SCHIRN-PEACE.ORG. Sie wird u. a. Essays von Prof. Chus Martínez, Dr. Mary Zournazi, Prof. Michael Marder, Texte zu den Werkpositionen, Videointerviews mit den Künstlerinnen und Künstlern sowie weiteres Dokumentationsmaterial des PEACE-Projekts vereinen. Nach dem Ende der Ausstellung wird sie als digitale Dokumentation des Projekts dienen.

Ausstellungseröffnung PEACE am 30. Juni zum Sommerfest 2017 in der Schirn Frankfurt

© SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
© SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH

Mit der Eröffnung der Ausstellung PEACE feiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt am Freitag, dem 30. Juni 2017, ab 19 Uhr ihr jährliches, öffentliches Sommerfest. Neben dem Besuch der neuen Ausstellung erwartet die Gäste eine Soundperformance und ein Kizomba Workshop der Künstlerin Isabel Lewis sowie ein DJ-Set mit Live Vocals von Isa GT und Edna Martinez.

Die Schirn stellt mit der diskursiven Gruppenausstellung PEACE die Frage: Wie geht Frieden eigentlich? und präsentiert vom 1. Juli bis 24. September 2017 Positionen von zwölf internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Jan de Cock, Minerva Cuevas, Ed Fornieles, Michel Houellebecq, Surasi Kusolwong, Isabel Lewis, Lee Mingwei, Katja Novitskova, Heather Phillipson, Agnieszka Polska, Timur Si-Qin und Ulay betrachten das Thema aus zeitgenössischer Perspektive.

Das PEACE-Projekt versteht sich als Impuls, darüber nachzudenken, was Frieden sein kann. So findet am ersten Eröffnungswochenende, dem 1. und 2. Juli 2017 das PEACE WEEKEND mit ausgewählten Live-Events statt: eine Performance von Sue Tompkins, zwei occasions von Isabel Lewis, ein Vortrag des Philosophen Marcus Steinweg und ein Konzert von Luci Lippard.

Infos zum Sommerfest

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
Römer­berg
60311 Frank­furt am Main