„Präzisionsmedizin auf dem Vormarsch“ – 130. Internistenkongress in Wiesbaden erfolgreich gestartet.

130. Internistenkongress der DGIM vom 13. bis 16. April 2024 im RheinMain CongressCenter Wiesbaden  Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress mit dem Schwerpunkt „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ auf dem Kongress. © Foto Diether von Goddenthow
130. Internistenkongress der DGIM vom 13. bis 16. April 2024 im RheinMain CongressCenter Wiesbaden Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher
Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen
profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und
Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress mit dem Schwerpunkt „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ auf dem Kongress. © Foto Diether von Goddenthow

Bei traditionell wunderbarem Wetter startete gestern der 130. Internistenkongress im Wiesbadener RheinMain CongressCenter.  In diesem Jahr steht der Internistenkongress unter dem Leitgedanken „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“, ein neuer Ansatz, der  aus ganz unterschiedlichen internistischen Perspektiven beleuchtet wird, insbesondere aus onkologischen, gastroenterologischen und kardiologischen Blickwinkeln.

Was bedeutet aber der neue Ansatz „Präzisionsmedizin“, der den bisherigen Standard „evidenzbasierter Medizin“ in immer mehr Teilbereichen medizinischer Disziplinen ergänzen werden dürfte, sofern entsprechende Mittel zur Verfügung stehen?

Während  man unter evidenzbasierter Medizin einen Ansatz medizinischer Versorgung versteht, welcher die Erkrankung  eines Patienten auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen,  Daten, Medikamente und erprobter Verfahren /Therapien  behandelt, und individualisierte Medizin beispielsweise den Focus  auf die  individuelle Krankenvorgeschichte, Erbkrankheiten, Alter usw.  des   einzelnen Patienten legt und personalisierte Therapien entwickelt, „startet die  Präzisionsmedizin vom  Verständnis der Krankheit her aus“, so Professor Dr. med. Andreas Neubauer, Onkologe und Kongresspräsident des 130. Internistenkongresses, auf der heutigen Pressekonferenz.  „Ich möchte verstanden haben, was eine Erkrankung auslöst, was diese Erkrankung kausal begründet: im besten Fall ein Molekül, was vielleicht durch eine einzige Aminosäure, einen einzigen Aminosäure-Austausch so verändert ist, das es in einem ruhenden Gen ein krebsverursachendes Gen wird, wodurch eine Zelle anfängt, sich dramatisch zu teilen auf Kosten der Nachbarzellen, dass sie  schneller wächst und ein Krebs verursacht“, so Neubauer. In solch einem  Fall habe man die Ursache für die krankmachende krebsverursachende Zelle im  Körper des betroffenen Menschen verstanden.Ich habe das Molekül verstanden, ich habe das Protein, das Eiweißmolekül verstanden, was diesen Krebs verursacht, und es gelingt mir, die Funktion dieses Moleküls, wir nennen es einfach mal Proteinkinase,  so zu verändern, dass die Kinase ihre krebsauslösende Wirkung nicht mehr hat und weitergeben kann. Dann verschwindet die Krankheit. Das ist Präzisionsmedizin.“, erklärt Neubauer Kern des gedanklichen Grundprinzips  hinter dem Begriff „Präzisionsmedizin“.

Impression aus dem Foyer des RheinMain CongressCenters vom 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Impression aus dem Foyer des RheinMain CongressCenters vom 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Leider ist natürlich dieser Ansatz (noch) nicht generell anwendbar, aber dort, insbesondere im Teilsektoren  der Onkologie, der Gastroenterologie und Kardiologie, wo Präzisionsmedizin schon möglich ist, bedeutet das, dass es praktisch egal ist, ob ein Erkrankter jung oder alt, männlich oder weiblich ist, weil man noch tiefer als bislang bis zu den eigentlichen individuellen Krankheitsursachen vordringen und eine Medikation zielgenauer verabreichen kann. Denn bei jedem Krebserkrankten kann ein Krebs, eine Krebsart, etwa Lungenkrebs, Brustkrebs usw. aufgrund ganz unterschiedlicher zellulärer und genetischer Eigenschaften entstanden sein. Und die gilt es vor einer Therapie zu verstehen, um möglichst nebenwirkungsarm behandeln zu können.

Als Neubauer 1983 als Assistenzarzt anfing, war es üblich, so der Kongress-Präsident, dass wir auf unsere {krebskranken] Patienten Atombomben geworfen haben: Zytostatika „. Man habe damals kaum wirklich  genau verstanden, „was wir da eigentlich machen“. Heute wisse man: „wir haben DNA-Schäden gesetzt, und wenn man sich jetzt vorstellt, auf eine Zelle, die ja schon DNA-Schäden hat“, weil sie  sonst ja  keine Krebszelle geworden wäre, „geben wir ihr also noch mutagenere  Substanzen“, natürlich  schon aus guten Grund, nämlich vor dem Hintergrund, das eine  Krebszelle  eine Achillesverse in der Reparatur habe. „Deswegen waren die Zytostatika und sind es immer noch ein sehr erfolgreicher Teil des Arsenals die im Kampf gegen Krebs“.

Aber nun mittels modernster Analysemethoden, wodurch die unterschiedlichen Tumore  innerhalb kurzer Zeit in all ihren Eigenschaften für eine große Anzahl an Krebs Erkrankter individuell „ausgelesen“ werden können, lassen diese sich gezielt mit präzise gesetzten Medikamenten ausschalten. Das heißt, in all diesen Fällen wo diese Präzisionsmethode möglich ist, kann der Krebs  viel zielgenauer, wirksamer und nebenwirkungsärmer als konventionell mit  Zytostatika bekämpft werden.

Gut besuchte Vorträge, hier im Saal 1. © Foto Diether von Goddenthow
Gut besuchte Vorträge, hier im Saal 1. © Foto Diether von Goddenthow

Präzisionsmedizin leider noch nicht für jeden geeignet
In der Versorgungsrealität aber kommen nicht alle Patienten für die Präzisionsmedizin in frage, und selbst  nach Auswahl geeigneter Patientinnen und Patienten und aufwändiger Diagnostik  kommen die neuen möglichen Behandlungsansätze dann  oft nicht zum Einsatz.  Wo steht also die Präzisionsmedizin  aktuell –
in der Forschung, aber auch in der Versorgung? Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen
profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress in Wiesbaden.

 

Wo Präzisionsmedizin die Behandlung bereits grundlegend verändert hat
Präzisionstherapie ist aktuell noch nicht überall in der Krebsmedizin anwendbar. Aber bei einzelnen Krebsarten hat sie die Behandlung bereits grundlegend verändert: So weisen etwa 30 bis 50 Prozent der Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs bestimmte Mutationen auf, die mit einer zielgerichteten Therapie angesteuert werden können.

„Mit der Einführung der Präzisionsonkologie findet hier seit circa 15 Jahren ein fundamentaler Paradigmenwechsel statt. Ein direktes Resultat der Genomforschung ist die Entdeckung, dass Lungenkrebs aus vielen, oft sehr kleinen molekularen Untergruppen besteht. Diese sind durch das Vorhandensein sogenannter Treibermutationen im Tumor gekennzeichnet, die für die maligne Entartung der Krebszelle verantwortlich sind und zunehmend mit sogenannten zielgerichteten Therapien behandelt werden können. Diese personalisierten Therapien verlängern das Überleben
teilweise um viele Jahre bei zumeist guter Lebensqualität und erhaltener Leistungsfähigkeit. Für immer mehr Patienten wird Lungenkrebs so zu einer chronischen Erkrankung. Voraussetzung ist
allerdings, dass der Tumor des Patienten schon vor der Therapieentscheidung mittels modernster Genseqenzierungstechnologien (sogenanntes next-generation sequencing; NGS) untersucht wird“, sagte Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Wolf, Facharzt für Innere Medizin, Hämatoonkologie Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte
Onkologie (CIO), Universitätsklinik Köln,  Trotz dieser
beeindruckenden Fortschritte könnten Lungenkrebspatienten aber noch nicht geheilt werden. Aber selbst Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Krebs können so heute viele Jahre und mit weniger Nebenwirkungen leben, während die Überlebenszeit bei der Behandlung von Lungenkrebspatienten mit einer klassischen Chemotherapie zumeist nur wenige Monate beträgt.

Ein spektakuläres Beispiel aus der Gastroenterologie für
zielgerichtete Therapie zeigte sich 2022 auch beim Rektumkarzinom: US Amerikanische Wissenschaftler hatten in einer Studie bei zwölf Betroffenen mit fortgeschrittenem Mastdarmkrebs, bei denen eine bestimmte Veränderung (Mikrosatelliteninstabilität) im Tumor entdeckt wurde, eine zielgerichtete Immuntherapie angewandt. Daraufhin bildete sich der Tumor bei allen vollständig zurück – ohne weitere Chemotherapie, Bestrahlung oder OP. Allerdings: Nur etwa 5 bis 10 Prozent der Mastdarmkrebs-Erkrankten weisen diese Veränderung als Zielstruktur auf.

Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Molekulare Tumorboards: Brücke zwischen Technologie und Klinik
Bei vielen Krebsarten muss die Wirksamkeit präzisionsmedizinischer Ansätze in Studien erst noch nachgewiesen werden. „Präzisionsonkologie kommt aktuell vor allem für Betroffene in Frage, bei denen die Standard-Krebstherapie ausgeschöpft ist, die aber dennoch eine ausreichende Lebenserwartung haben. Typischerweise sind das junge Patientinnen und Patienten, oder solche mit seltenen Krebsarten“, sagt PD Dr. med. Elisabeth Mack, Oberärztin an der Klinik für Hämatologie und Onkologie des Universitätsklinikums Marburg und Leiterin des dortigen Zentrums für personalisierte Medizin-Onkologie. Am Anfang steht dann die Analyse der Tumoren mit modernen technischen Verfahren. „Das Next Generation Sequencing etwa – eine verbesserte Technologie zur DNA Sequenzierung – macht es heute möglich, alle diagnostisch oder therapeutisch relevanten Varianten einer (Tumor)-DNA einschließlich einiger komplexer Biomarker innerhalb weniger Tage auszulesen.“ Diese Genomsequenzierungen und die sich aus ihnen ableitenden Möglichkeiten der Therapie werden dann in sogenannten molekularen Tumorboards (MTB), die in Zentren für personalisierte Medizin angesiedelt sind, besprochen. Hier wird das genomische, biologische und klinische Wissen von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Qualifikationen zusammengeführt – eine aufwändige und ressourcenintensive Tätigkeit.

Empfohlene Behandlung wird oft nicht umgesetzt
„Umso bedauerlicher ist es, dass die von Molekularen Tumorboards empfohlenen Therapien dann nur in etwa ein Drittel der Fälle durchgeführt wird – weil es an klinischen Studien mangelt, in die die Betroffenen eingeschlossen werden könnten, und Krankenkassen die Bezahlung der noch nicht zugelassenen Therapien oft ablehnen“, so Mack. „Im Ergebnis zeigt sich dann in den Daten, dass aktuell nur etwa 3 bis 10 Prozent aller Krebspatienten einen klinischen Nutzen von der Präzisionsmedizin haben. Würden jedoch tatsächlich alle Patientinnen und Patienten nach den Empfehlungen der Molekularen Tumorboards behandelt, profitierten sie in etwa 30 Prozent der Fälle.“
Welche Lösungen gibt es und was sollten Betroffene beachten?
„Wenn die hochspezialisierte und aufwändige Tätigkeit, die molekulare Tumorboards erbringen, viel zu oft nur ins Leere läuft, stellt das eine gigantische Verschwendung von Ressourcen dar – hier brauchen wir unbedingt bessere Konzepte“, sagt Neubauer. „Ein Ansatz etwa könnte sein, dass Behandlungskosten unter der Voraussetzung übernommen werden, dass sie an zertifizierten Zentren stattfinden, und die Patienten in Registerstudien eingeschlossen werden – so wäre sichergestellt, dass vielversprechende Ansätze der Präzisionsmedizin im Sinne einer akademisch-klinischen Wissenschaft tatsächlich erforscht werden.“ An Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten rät Neubauer:„Gehen Sie für Ihre Behandlung an ein von der DKG zertifiziertes Krebszentrum – an diesen Zentren liegen die besten Qualifikationen und Erfahrungen vor, welche Therapie für Sie persönlich die beste ist“.

Vortrags-Impression vom 130. Internistenkongress der DGIM. © Foto Diether von Goddenthow
Vortrags-Impression vom 130. Internistenkongress der DGIM. © Foto Diether von Goddenthow

Kosten ohne Ende?
Die Kosten im Gesundheitssystem steigen bisher unaufhaltsam, was seit längerem in bisher unwirksamen gesundheitspolitischen Initiativen mündet. Präzisionsmedizin kann sehr teuer sein, auch wenn sie bisher nur einen geringen Anteil an den gesamten Gesundheitskosten hat. „Statt sich über die hohen Kosten wirksamer Behandlungsmaßnahmen den Kopf zu zerbrechen, sollten wir auf alles verzichten, was nachweislich für unsere Patientinnen und Patienten keinen Vorteil bringt. In USA schätzen die Autoren einer Metaanalyse die Verschwendung im Gesundheitssystem auf circa 25 Prozent der Gesamtkosten, sagt Professor Dr. med. Georg Ertl, Generalssekretär der DGIM und Kardiologe aus Würzburg.

Weitere Informationen rund um den Kongress und sein Programm mit über 1000 (hybriden) Vorträgen. 

(DGIM / Diether von Goddenthow)