Kategorie-Archiv: Internistenkongress

KI erobert Medizin – 8000 besuchten Internistenkongress der DGIM im Wiesbadener RheinMain CongressCenter

Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Wiesbaden – Mit mehr als 8000 Internistinnen und Internisten vor Ort in Wiesbaden und online ging gestern der 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin zu Ende. Mit 1400 Vorträgen in insgesamt 410 wissenschaftlichen Sitzungen spiegelte das Programm des 130. Internistenkongresses erneut die gesamte Breite der Inneren Medizin wider. Zentrale Themen der Tagung waren die Chancen und Grenzen der Präzisionsmedizin, Forschung in der Inneren Medizin, der Umgang mit Fehlern sowie die Auswirkungen diverser Krisen – von Klimawandel bis Fachkräftemangel. Das zentrale Querschnitt-Thema war KI im medizinischen Alltag, denn seit Jahren und zusehends immer rascher durchdringt KI alle Bereiche der Medizin von der Allgemeinmedizin bis zur Urologie. Auf dem Kongress wurden die Chancen, Risiken und Vertrauenswürdigkeit einer „schönen“ oder – vielleicht auch –  „bedrohlichen“ neuen Welt diskutiert.

Kann KI Zeitmangel in der Medizin „heilen“?

DGIM Future. VR-Brillen (VR = Virtuelle Realität) können in der Medizin vielfältig zum Einsatz kommen, etwa bei der Arztausbildung, wo sie Krankheiten bei Patienten simulieren oder virtuelle Operationen zur Übung zulassen. Sie können in der Augenheilkunde dienen zur Sichtfeldmessung, Ermittlung von Farb- und Kontrastempfindlichkeit, und in der Psychotherapie (z.B. bei bei Paranoia oder starken Ängsten ) usw. © Foto Diether von Goddenthow
DGIM Future. VR-Brillen (VR = Virtuelle Realität) können in der Medizin vielfältig zum Einsatz kommen, etwa bei der Arztausbildung, wo sie Krankheiten bei Patienten simulieren oder virtuelle Operationen zur Übung zulassen. Sie können in der Augenheilkunde dienen zur Sichtfeldmessung, Ermittlung von Farb- und Kontrastempfindlichkeit, und in der Psychotherapie (z.B. bei bei Paranoia oder starken Ängsten ) usw.
© Foto Diether von Goddenthow

Wäre ein vermehrter Einsatz von KI in der Medizin ein probates Mittel, ein an Zeitmangel erkranktes medizinisches Versorgungs-System zu heilen?

Gerade in der Inneren Medizin begegnet medizinisches Personal einer so großen Vielfalt an Krankheitsbildern, dass die Übersicht kaum noch zu wahren ist. Darüber hinaus müssen klinische Befunde, Laborwerte und Bildgebung zusammengeführt werden: Hier könnte eineKI-gestützte Entscheidungshilfe Wege zur Diagnose aufzeigen und wertvolle Zeit sparen. „Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels in der Medizin können technische Hilfsmittel, die den Arbeitsalltag erleichtern, extrem hilfreich dabei sein, unsere Aufmerksamkeit wieder mehr den Patientinnen und Patienten und ihren individuellen Bedürfnissen zuzuwenden“, sagt Kongresspräsident Professor Dr. med. Andreas Neubauer, Direktor der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie am UKGM in Marburg.

Aber wieviel Verantwortung sollte eine KI in der Medizin tragen? Wie weit darf und sollte unser Vertrauen gehen? „Die Frage müsste lauten: Entspricht das Vertrauen in die KI dem, was sie leisten kann? Wie bei jedem Hilfsmittel, dass in der Medizin genutzt wird, muss die oder der Behandelnde sich im Klaren darüber sein, was die Hilfe leisten kann – und was eben nicht“, sagt Professor Dr. Martin Hirsch, der das Institut für Künstliche Intelligenz am UKGM leitet und Mitglied der Kommission Digitale Transformation in der Inneren Medizin der DGIM ist.
Kann dies nicht garantiert werden, verlieren Patienten rasch ihr – mitunter ohnehin sehr ambivalentes –  Vertrauen in KI-unterstützte Medizin. So gibt es  gegenüber  Apparate-Medizin, OP-Robotik oder Telemedizin ohnehin schon  bei vielen Patienten gewisse Hemmschwelle. Es geht bei der KI also nicht bloß um technische Optimierung, sondern vor allem darum,  Vertrauen dafür bei Patienten aufzubauen.  Wie aber „konstituiert sich Vertrauen? Und was folgt daraus für das Design von Ki-Anwendungen?“ war eine der zentralen Fragestellung, über die   die Psychologin und Doktorandin Nadine Schlicker, vom Institut für Ki in der Medizin an der Universität Marburg, referierte.  Ihren Untersuchungen im Rahmen ihrer Doktorarbeit referierte, beispielsweise: „Wie kommen medizinische Laien zur Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit ihres KI-Arztes?“

Impression vom Internisten-Kongress der DGIM in Wiesbaden. © Foto Diether von Goddenthow
Impression vom Internisten-Kongress der DGIM in Wiesbaden. © Foto Diether von Goddenthow

Aber es geht nicht nur um das Vertrauen von Patienten, sondern auch um das der Ärzte in die KI. So kann ein zu hohes Maß an Vertrauen  dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte sich zu unkritisch auf diese Technologie verlassen, während zu wenig Vertrauen darin resultieren kann, dass sie die Vorteile dieser Technologie nicht nutzen. „Denn trotz ihrer erheblichen Potentiale muss auch für KI stets die oberste ärztliche Maxime gelten: Primum nil nocere – das Bestmögliche erreichen, ohne zu schaden, und ein unausgewogenes Maß an Vertrauen zu ihr ist ein wichtiger Einflussfaktor“, unterstrich Professor Dr. med. Ivica Grgic, Oberarzt der Klinik für Nephrologie und Mitglied des Instituts für KI in Marburg, hinzu.

„Vertrauensbildende Maßnahmen“ – wie KI und Medizin zusammenkommen können
Damit KI-gestützte Entscheidungshilfen eine echte Erleichterung im Behandlungsalltag werden können und das Vertrauen von Ärzteschaft und Patientinnen und Patienten gleichermaßen genießen, gilt es – so Martin Hirsch – einige Punkte bei der Etablierung zu
beachten:

  • Ärztinnen und Ärzte können nicht ersetzt werden! Das Vertrauensverhältnis und der Austausch zwischen Behandelnden und Patientin oder Patient ist entscheidend für den Behandlungserfolg und darf nicht von Hilfsmitteln ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden.
  • Ethische Standards entwickeln und der KI vermitteln: Gerade, aber nicht nur am Lebensende, gewinnt die ethische Komponente bei medizinischen Entscheidungen an Bedeutung. Nicht jede lebensverlängernde Maßnahme, die die KI vorschlägt, entspricht dem Wunsch der Patientin oder des Patienten und nicht alles, was medizinisch möglich ist, bringt einen vertretbaren Nutzen. „Ihre Wirkmächtigkeit für die Medizin kann KI nur entfalten, wenn wir klare ethische Rahmenbedingungen setzen“, so Hirsch.
  • KI kann nicht im Sprint Einzug in die Medizin halten: Vor dem Einsatz von KI in der Medizin als Entscheidungshilfe muss die gesellschaftliche Auseinandersetzung zu ethischen Fragen in der Medizin stehen.
  • Von der Behandlung zur Heilung: KI kann im Gesundheitssystem notwendige Freiräume schaffen, wenn wir sie so anlegen, dass sie ethisch geprägt, präventiv ausgerichtet und gesundheitsfördernd ist.

„Die KI wird uns keine schnelle Zeitersparnis bringen, aber mittelfristig echte Gewinne für ein Gesundheitssystem, das derzeit von massivem Fachkräftemangel getrieben ist“, so Hirsch.

KI-Assistenz aus der Notaufnahme

Im Rahmen des Ausstellungsbereichs DGIM Futur in der Halle Nord des RMCC Wiesbaden hatten die  Kongressteilnehmer die Möglichkeit, eine KI-Assistenz aus der Notaufnahme kennenzulernen (DokPro, DokKab, DokBox), mittels VR-Brillen u.a. Organfunktionen zu erleben, ihre Fähigkeiten im Umgang mit virtuellen Notfallsituationen zu testen und neuartige, immersive medizinische Lern- und Onboarding-Konzepte kennenzulernen. Konzipiert wurde das Angebot von Kongresssekretär Professor Dr. med. Ivica Grgic und  Professor Dr. Martin Hirsch.

Die DocKab, ein Teilprojekt von DokPro, dient der automatisierten Ki-gestützten Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Liegt keine lebensbedrohliche (rote Triage-Stufe) vor, wird der Patient in die Kabine gebeten, an Sensoren angeschlossen und anhand seiner der "KI" gegebenen Antworten und Angaben eine Gesamteinschätzung vorgenommen.  Alle Infos und Auswertungen werden dokumentiert u. dem KIS übergeben. Das medizinische Personal überwacht die Prozesse in DokKab mittels Tablet. © Foto Diether von Goddenthow
Die DocKab, ein Teilprojekt von DokPro, dient der automatisierten Ki-gestützten Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Liegt keine lebensbedrohliche (rote Triage-Stufe) vor, wird der Patient in die Kabine gebeten, an Sensoren angeschlossen und anhand seiner der „KI“ gegebenen Antworten und Angaben eine Gesamteinschätzung vorgenommen. Alle Infos und Auswertungen werden dokumentiert u. dem KIS übergeben. Das medizinische Personal überwacht die Prozesse in DokKab mittels Tablet. © Foto Diether von Goddenthow

Beim DokPro-Projekt handelt es sich um eine Ki-basierte Ersteinschätzung des Gesundheits-/Befindlichkeitszustands von Patienten. Es handelt sich dabei um eine  modulare KI-Plattform, die, so die Info-Tafel, darauf ausgelegt ist, Patienteninformationen strukturiert zu erfassen und basierend darauf Ersteinschätzungen zur Weiterverwendung für den (Not-/Tele-Haus-)Arzt abzugeben. Die DokKab ist beispielsweise für den Einsatz in der klinischen Notfallstation vorgesehen. Die DokBox in Containergröße, verfügt zudem über einen variabel gestaltbaren Behandlungsraum, und soll in Kliniken, Altenheimen und Flüchtlingsunterkünften zum Einsatz kommen. Zudem ist auch der mobile Einsatz vorstellbar, um etwa Unterversorgung in ländlichen Gebieten entgegenzuwirken (einmal wöchentlich kommt der mobile Doc ins Dorf). Hierdurch könne man, so die Entwickler, unnötige Klinikbesuche vermeiden und Patienten einen niederschwelligen Zugang zu Untersuchungen ermöglichen.

Hohe Ehrungen während des Kongresses

Im Rahmen ihres Jahreskongresses   und Fachtagung vergab die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) außerdem ihre Forschungspreise, Ehrungen für verdiente Persönlichkeiten der Fachgesellschaft und die Medienpreise an Persönlichkeiten, die sich um die Innere Medizin, die internistische Forschung sowie die Vermittlung medizinischer Fragestellungen besonders verdient gemacht haben.

Höchste Auszeichnung der DGIM: Leopold-Lichtwitz-Medaille für Professor Gerd Hasenfuß

Die Leopold-Lichtwitz-Medaille der DGIM, die höchste Auszeichnung der Fachgesellschaft, erhielt in Anerkennung seiner großen Verdienste um die Innere Medizin Professor Dr. med. Gerd Hasenfuß. Hasenfuß ist seit 1998 Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie und Universitätsprofessor für Innere Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen. Er ist mit zahlreichen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet, darunter der Theodor-Frerichs-Preis der DGIM. 2015/2016 war er Vorsitzender und Kongresspräsident der 122. Jahrestagung der Fachgesellschaft. Unter seiner Leitung entstand die DGIM-Initiative „Klug entscheiden“, die bis heute unter Mitarbeit der internistischen Schwerpunktgesellschaften regelmäßig Über- und Unterversorgung in der Inneren Medizin benennt.

DGIM-Medienpreise: Erster Platz für „Wann stirbst Du endlich?“ in ZEIT Verbrechen

Die mit insgesamt 10.000 Euro dotierten DGIM Medienpreise wurden in diesem Jahr an Beiträge zum Thema „Pflegekrise: Gute Medizin braucht gute Pflege“ vergeben. Die erste Auszeichnung ging an ein junges Autorenteam, bestehend aus Martin Hogger, Kristina Ratsch, Marina Klimchuk und David Holzapfel für Ihren Beitrag „Wann stirbst du endlich?“ in ZEIT Verbrechen. Der zweite Medienpreis wurde an Carina Frey vergeben für ihren Beitrag „Heute hier, morgen dort“, veröffentlicht in „brand eins“. Den dritten Preis erhielt Autorin Nina Himmer für den Beitrag „Ein Heim sucht nach Rettung“, der in der Apotheken Umschau erschienen ist.

Vergabe von drei Ehrenmitgliedschaften
Des Weiteren ernannte die Fachgesellschaft im Rahmen der festlichen Abendveranstaltung drei verdiente Persönlichkeiten zu Ehrenmitgliedern: den Internisten und Kardiologe Professor Dr. med. Georg Ertl, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Medizinischen Klinik und Poliklinik I sowie bis 2020 Inhaber des Lehrstuhls für Innere Medizin am Universitätsklinikums Würzburg; er ist aktuell Generalsekretär der DGIM und trug auch davor schon als Vorsitzender entscheidend zum Erfolg der Fachgesellschaft bei. Seit 2002 ist der zudem Mitglied der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Professor Dr. med. Hans-Jochem Kolb ist Internist und Hämatoonkologe und führte 1975 die erste erfolgreiche Knochenmarkstransplantation in Deutschland bei einem Kind mit aplastischer Anämie durch. 1978 folgte die erste erfolgreiche Transplantation bei Erwachsenen mit refraktärer Leukämie und aplastischer Anämie. Seit 1985 hatte Kolb eine C2-Professur für maligne Hämatologie an der Universität München inne, ab 1996 ebendort eine C3-Professur. Auf ihn geht das Konzept der Donor-Lymphozytentransfusion als kurative Therapie bei hämatologischen Neoplasien zurück.

Dr. Bernd-Michael Neese befasst sich als Germanist und Historiker mit der Stadtgeschichte Wiesbadens und hat hierzu zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht. Seine Abhandlung „Der Internistenkongress in Wiesbaden 1882–2022“ entwickelte sich in diesem Zusammenhang. Bernd-Michael Neese befasste sich zudem mit Dr. Emil Pfeiffer. Der lebenslang in Wiesbaden praktizierende Arzt war mit einer 32-jährigen Amtszeit der am längsten wirkende Generalsekretär der DGIM. Die Ergebnisse der Untersuchungen zu Leben und Werk von Emil Pfeiffer sollen Ende des Jahres 2024 in einer umfangreichen Studie dargestellt werden.

Mit dem Ende der Fachtagung übernahm Professor Dr. med. Jan Galle, Lüdenscheid, den Vorsitz der Fachgesellschaft. Den vom 3. bis 6. Mai 2025 stattfindenden 131. Internistenkongress stellt der Nephrologe unter das Motto „Resilienz – sich und andere stärken“.

Weitere Informationen rund um den Kongress und sein Programm mit über 1000 (hybriden) Vorträgen. 

(DGIM / Diether von Goddenthow)

„Präzisionsmedizin auf dem Vormarsch“ – 130. Internistenkongress in Wiesbaden erfolgreich gestartet.

130. Internistenkongress der DGIM vom 13. bis 16. April 2024 im RheinMain CongressCenter Wiesbaden  Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress mit dem Schwerpunkt „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ auf dem Kongress. © Foto Diether von Goddenthow
130. Internistenkongress der DGIM vom 13. bis 16. April 2024 im RheinMain CongressCenter Wiesbaden Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher
Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen
profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und
Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress mit dem Schwerpunkt „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ auf dem Kongress. © Foto Diether von Goddenthow

Bei traditionell wunderbarem Wetter startete gestern der 130. Internistenkongress im Wiesbadener RheinMain CongressCenter.  In diesem Jahr steht der Internistenkongress unter dem Leitgedanken „Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“, ein neuer Ansatz, der  aus ganz unterschiedlichen internistischen Perspektiven beleuchtet wird, insbesondere aus onkologischen, gastroenterologischen und kardiologischen Blickwinkeln.

Was bedeutet aber der neue Ansatz „Präzisionsmedizin“, der den bisherigen Standard „evidenzbasierter Medizin“ in immer mehr Teilbereichen medizinischer Disziplinen ergänzen werden dürfte, sofern entsprechende Mittel zur Verfügung stehen?

Während  man unter evidenzbasierter Medizin einen Ansatz medizinischer Versorgung versteht, welcher die Erkrankung  eines Patienten auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen,  Daten, Medikamente und erprobter Verfahren /Therapien  behandelt, und individualisierte Medizin beispielsweise den Focus  auf die  individuelle Krankenvorgeschichte, Erbkrankheiten, Alter usw.  des   einzelnen Patienten legt und personalisierte Therapien entwickelt, „startet die  Präzisionsmedizin vom  Verständnis der Krankheit her aus“, so Professor Dr. med. Andreas Neubauer, Onkologe und Kongresspräsident des 130. Internistenkongresses, auf der heutigen Pressekonferenz.  „Ich möchte verstanden haben, was eine Erkrankung auslöst, was diese Erkrankung kausal begründet: im besten Fall ein Molekül, was vielleicht durch eine einzige Aminosäure, einen einzigen Aminosäure-Austausch so verändert ist, das es in einem ruhenden Gen ein krebsverursachendes Gen wird, wodurch eine Zelle anfängt, sich dramatisch zu teilen auf Kosten der Nachbarzellen, dass sie  schneller wächst und ein Krebs verursacht“, so Neubauer. In solch einem  Fall habe man die Ursache für die krankmachende krebsverursachende Zelle im  Körper des betroffenen Menschen verstanden.Ich habe das Molekül verstanden, ich habe das Protein, das Eiweißmolekül verstanden, was diesen Krebs verursacht, und es gelingt mir, die Funktion dieses Moleküls, wir nennen es einfach mal Proteinkinase,  so zu verändern, dass die Kinase ihre krebsauslösende Wirkung nicht mehr hat und weitergeben kann. Dann verschwindet die Krankheit. Das ist Präzisionsmedizin.“, erklärt Neubauer Kern des gedanklichen Grundprinzips  hinter dem Begriff „Präzisionsmedizin“.

Impression aus dem Foyer des RheinMain CongressCenters vom 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Impression aus dem Foyer des RheinMain CongressCenters vom 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Leider ist natürlich dieser Ansatz (noch) nicht generell anwendbar, aber dort, insbesondere im Teilsektoren  der Onkologie, der Gastroenterologie und Kardiologie, wo Präzisionsmedizin schon möglich ist, bedeutet das, dass es praktisch egal ist, ob ein Erkrankter jung oder alt, männlich oder weiblich ist, weil man noch tiefer als bislang bis zu den eigentlichen individuellen Krankheitsursachen vordringen und eine Medikation zielgenauer verabreichen kann. Denn bei jedem Krebserkrankten kann ein Krebs, eine Krebsart, etwa Lungenkrebs, Brustkrebs usw. aufgrund ganz unterschiedlicher zellulärer und genetischer Eigenschaften entstanden sein. Und die gilt es vor einer Therapie zu verstehen, um möglichst nebenwirkungsarm behandeln zu können.

Als Neubauer 1983 als Assistenzarzt anfing, war es üblich, so der Kongress-Präsident, dass wir auf unsere {krebskranken] Patienten Atombomben geworfen haben: Zytostatika „. Man habe damals kaum wirklich  genau verstanden, „was wir da eigentlich machen“. Heute wisse man: „wir haben DNA-Schäden gesetzt, und wenn man sich jetzt vorstellt, auf eine Zelle, die ja schon DNA-Schäden hat“, weil sie  sonst ja  keine Krebszelle geworden wäre, „geben wir ihr also noch mutagenere  Substanzen“, natürlich  schon aus guten Grund, nämlich vor dem Hintergrund, das eine  Krebszelle  eine Achillesverse in der Reparatur habe. „Deswegen waren die Zytostatika und sind es immer noch ein sehr erfolgreicher Teil des Arsenals die im Kampf gegen Krebs“.

Aber nun mittels modernster Analysemethoden, wodurch die unterschiedlichen Tumore  innerhalb kurzer Zeit in all ihren Eigenschaften für eine große Anzahl an Krebs Erkrankter individuell „ausgelesen“ werden können, lassen diese sich gezielt mit präzise gesetzten Medikamenten ausschalten. Das heißt, in all diesen Fällen wo diese Präzisionsmethode möglich ist, kann der Krebs  viel zielgenauer, wirksamer und nebenwirkungsärmer als konventionell mit  Zytostatika bekämpft werden.

Gut besuchte Vorträge, hier im Saal 1. © Foto Diether von Goddenthow
Gut besuchte Vorträge, hier im Saal 1. © Foto Diether von Goddenthow

Präzisionsmedizin leider noch nicht für jeden geeignet
In der Versorgungsrealität aber kommen nicht alle Patienten für die Präzisionsmedizin in frage, und selbst  nach Auswahl geeigneter Patientinnen und Patienten und aufwändiger Diagnostik  kommen die neuen möglichen Behandlungsansätze dann  oft nicht zum Einsatz.  Wo steht also die Präzisionsmedizin  aktuell –
in der Forschung, aber auch in der Versorgung? Wie kann Präzisionsmedizin angesichts hoher Kosten und Aufwände im Versorgungsalltag etabliert werden, und wie viele Menschen
profitieren schon heute von den innovativen Methoden? Das diskutieren Expertinnen und Experten auf dem diesjährigen Internistenkongress in Wiesbaden.

 

Wo Präzisionsmedizin die Behandlung bereits grundlegend verändert hat
Präzisionstherapie ist aktuell noch nicht überall in der Krebsmedizin anwendbar. Aber bei einzelnen Krebsarten hat sie die Behandlung bereits grundlegend verändert: So weisen etwa 30 bis 50 Prozent der Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs bestimmte Mutationen auf, die mit einer zielgerichteten Therapie angesteuert werden können.

„Mit der Einführung der Präzisionsonkologie findet hier seit circa 15 Jahren ein fundamentaler Paradigmenwechsel statt. Ein direktes Resultat der Genomforschung ist die Entdeckung, dass Lungenkrebs aus vielen, oft sehr kleinen molekularen Untergruppen besteht. Diese sind durch das Vorhandensein sogenannter Treibermutationen im Tumor gekennzeichnet, die für die maligne Entartung der Krebszelle verantwortlich sind und zunehmend mit sogenannten zielgerichteten Therapien behandelt werden können. Diese personalisierten Therapien verlängern das Überleben
teilweise um viele Jahre bei zumeist guter Lebensqualität und erhaltener Leistungsfähigkeit. Für immer mehr Patienten wird Lungenkrebs so zu einer chronischen Erkrankung. Voraussetzung ist
allerdings, dass der Tumor des Patienten schon vor der Therapieentscheidung mittels modernster Genseqenzierungstechnologien (sogenanntes next-generation sequencing; NGS) untersucht wird“, sagte Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Wolf, Facharzt für Innere Medizin, Hämatoonkologie Ärztlicher Leiter des Centrums für Integrierte
Onkologie (CIO), Universitätsklinik Köln,  Trotz dieser
beeindruckenden Fortschritte könnten Lungenkrebspatienten aber noch nicht geheilt werden. Aber selbst Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Krebs können so heute viele Jahre und mit weniger Nebenwirkungen leben, während die Überlebenszeit bei der Behandlung von Lungenkrebspatienten mit einer klassischen Chemotherapie zumeist nur wenige Monate beträgt.

Ein spektakuläres Beispiel aus der Gastroenterologie für
zielgerichtete Therapie zeigte sich 2022 auch beim Rektumkarzinom: US Amerikanische Wissenschaftler hatten in einer Studie bei zwölf Betroffenen mit fortgeschrittenem Mastdarmkrebs, bei denen eine bestimmte Veränderung (Mikrosatelliteninstabilität) im Tumor entdeckt wurde, eine zielgerichtete Immuntherapie angewandt. Daraufhin bildete sich der Tumor bei allen vollständig zurück – ohne weitere Chemotherapie, Bestrahlung oder OP. Allerdings: Nur etwa 5 bis 10 Prozent der Mastdarmkrebs-Erkrankten weisen diese Veränderung als Zielstruktur auf.

Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Industrieausstellung zur Medizin der Zukunft auf dem 130. Internistenkongress in Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Molekulare Tumorboards: Brücke zwischen Technologie und Klinik
Bei vielen Krebsarten muss die Wirksamkeit präzisionsmedizinischer Ansätze in Studien erst noch nachgewiesen werden. „Präzisionsonkologie kommt aktuell vor allem für Betroffene in Frage, bei denen die Standard-Krebstherapie ausgeschöpft ist, die aber dennoch eine ausreichende Lebenserwartung haben. Typischerweise sind das junge Patientinnen und Patienten, oder solche mit seltenen Krebsarten“, sagt PD Dr. med. Elisabeth Mack, Oberärztin an der Klinik für Hämatologie und Onkologie des Universitätsklinikums Marburg und Leiterin des dortigen Zentrums für personalisierte Medizin-Onkologie. Am Anfang steht dann die Analyse der Tumoren mit modernen technischen Verfahren. „Das Next Generation Sequencing etwa – eine verbesserte Technologie zur DNA Sequenzierung – macht es heute möglich, alle diagnostisch oder therapeutisch relevanten Varianten einer (Tumor)-DNA einschließlich einiger komplexer Biomarker innerhalb weniger Tage auszulesen.“ Diese Genomsequenzierungen und die sich aus ihnen ableitenden Möglichkeiten der Therapie werden dann in sogenannten molekularen Tumorboards (MTB), die in Zentren für personalisierte Medizin angesiedelt sind, besprochen. Hier wird das genomische, biologische und klinische Wissen von Expertinnen und Experten unterschiedlicher Qualifikationen zusammengeführt – eine aufwändige und ressourcenintensive Tätigkeit.

Empfohlene Behandlung wird oft nicht umgesetzt
„Umso bedauerlicher ist es, dass die von Molekularen Tumorboards empfohlenen Therapien dann nur in etwa ein Drittel der Fälle durchgeführt wird – weil es an klinischen Studien mangelt, in die die Betroffenen eingeschlossen werden könnten, und Krankenkassen die Bezahlung der noch nicht zugelassenen Therapien oft ablehnen“, so Mack. „Im Ergebnis zeigt sich dann in den Daten, dass aktuell nur etwa 3 bis 10 Prozent aller Krebspatienten einen klinischen Nutzen von der Präzisionsmedizin haben. Würden jedoch tatsächlich alle Patientinnen und Patienten nach den Empfehlungen der Molekularen Tumorboards behandelt, profitierten sie in etwa 30 Prozent der Fälle.“
Welche Lösungen gibt es und was sollten Betroffene beachten?
„Wenn die hochspezialisierte und aufwändige Tätigkeit, die molekulare Tumorboards erbringen, viel zu oft nur ins Leere läuft, stellt das eine gigantische Verschwendung von Ressourcen dar – hier brauchen wir unbedingt bessere Konzepte“, sagt Neubauer. „Ein Ansatz etwa könnte sein, dass Behandlungskosten unter der Voraussetzung übernommen werden, dass sie an zertifizierten Zentren stattfinden, und die Patienten in Registerstudien eingeschlossen werden – so wäre sichergestellt, dass vielversprechende Ansätze der Präzisionsmedizin im Sinne einer akademisch-klinischen Wissenschaft tatsächlich erforscht werden.“ An Krebs erkrankten Patientinnen und Patienten rät Neubauer:„Gehen Sie für Ihre Behandlung an ein von der DKG zertifiziertes Krebszentrum – an diesen Zentren liegen die besten Qualifikationen und Erfahrungen vor, welche Therapie für Sie persönlich die beste ist“.

Vortrags-Impression vom 130. Internistenkongress der DGIM. © Foto Diether von Goddenthow
Vortrags-Impression vom 130. Internistenkongress der DGIM. © Foto Diether von Goddenthow

Kosten ohne Ende?
Die Kosten im Gesundheitssystem steigen bisher unaufhaltsam, was seit längerem in bisher unwirksamen gesundheitspolitischen Initiativen mündet. Präzisionsmedizin kann sehr teuer sein, auch wenn sie bisher nur einen geringen Anteil an den gesamten Gesundheitskosten hat. „Statt sich über die hohen Kosten wirksamer Behandlungsmaßnahmen den Kopf zu zerbrechen, sollten wir auf alles verzichten, was nachweislich für unsere Patientinnen und Patienten keinen Vorteil bringt. In USA schätzen die Autoren einer Metaanalyse die Verschwendung im Gesundheitssystem auf circa 25 Prozent der Gesamtkosten, sagt Professor Dr. med. Georg Ertl, Generalssekretär der DGIM und Kardiologe aus Würzburg.

Weitere Informationen rund um den Kongress und sein Programm mit über 1000 (hybriden) Vorträgen. 

(DGIM / Diether von Goddenthow)

„Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ ist Leitthema des 130. Internistenkongress im RMCC in Wiesbaden vom 13. bis 16. April 2024

Ab dem 13. April beginnt wieder der jährlich stattfindende, mittlerweile 130. Internistenkongress in Wiesbaden. Hier Archivbild von 2023. © Foto Diether von Goddenthow
Ab dem 13. April beginnt wieder der jährlich stattfindende, mittlerweile 130. Internistenkongress in Wiesbaden. Hier Archivbild von 2023. © Foto Diether von Goddenthow

„Präzisionsmedizin – Wünsche und Wirklichkeiten“ – unter diesen Leitgedanken hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) den diesjährigen internationalen Internistenkongress in Wiesbaden gestellt. Professor Dr. med. Andreas Neubauer, Direktor der Klinik für Innere Medizin, Hämatologie, Onkologie und Immunologie am Universitätsklinikum Marburg, hat für 2024 den Vorsitz der Kongresspräsidentschaft  der DGIM übernommen. Zur 130. Jahrestagung werden vom 13. bis 16. April 2024 über 8000 Teilnehmer  im RheinMain CongressCenter (RMCC) in der hessischen Landeshauptstadt erwartet.

Schwerpunktthemen werden unter anderem sein:

  • Präzisionsmedizin zwischen großen Chancen und kleinem Nutzen: Warum innovative Behandlungen oft in der Versorgungsrealität steckenbleiben. Es geht um eine Standortbestimmung, was bereits erfolgt und welche Wünsche – auch unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit noch offen sind.
  • KI in der Medizin – Chance auf Heilung eines an Zeitmangel erkrankten Systems? Hier werden die Chancen, aber auch Grenzen von KI in Forschung und medizinischer Praxis in zahlreichen Vorträgen und am praktischen Beispielen thematisiert.
  • Klima und Gesundheit: Im Mittelpunkt stehen die Konsequenzen der Klimaveränderung für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten. Es wird diskutiert, wie sich der Klimawandel auf die medizinische Versorgung auswirkt.
  • Infektiologie: Es wird eine Session zur Infektiologie geben, in der die Rolle der Infektiologie in der Inneren Medizin beleuchtet wird.
  • Fehlerkultur: Spannende Sessions zur Fehlerkultur in der Inneren Medizin werden stattfinden. Hier geht es darum, wie Ärzte mit Fehlern umgehen und wie man aus ihnen lernen kann.
  • Notfallmedizin: Der Kongress plant eine virtuelle Notaufnahme als eine Art Escape Room mit täglichen neuen Fällen zum Kniffeln. Eine interessante Herangehensweise, um das Thema Notfallmedizin zu beleuchten.

Der internationale medizinische Fach-Kongress in Wiesbaden, begleitet von einer großen Industrieausstellung, ist der Treffpunkt für Internisten aus dem In- und Ausland. Er bietet vor allem auch jungen Medizinern und Medizinstudenten eine umfassende Gelegenheit, sich über aktuelle Entwicklungen in der Inneren Medizin auszutauschen, voneinander zu lernen und wichtige Kontakte zu knüpfen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website 130. Internistenkongress

Patiententag im Wiesbadener Rathaus am 13. April 2024

© Foto Diether von Goddenthow
© Foto Diether von Goddenthow

Gemeinsam mit der Stadt Wiesbaden, der Volkshochschule Wiesbaden, dem Wiesbadener Kurier und ViVart veranstaltet die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin parallel zum Internistenkongress am 13. April 2024 den 17. Patiententag im Wiesbadener Rathaus. Nutzen Sie die Gelegenheit und sprechen Sie mit unseren Experten, Selbsthilfegruppen und anderen regionalen Organisationen aus dem Gesundheitswesen.

Patiententag der DGIM in Wiesbaden am 13.04.2024 – Vom richtigen Handeln im Notfall über Diabetologie bis zur Palliativmedizin

© Foto Diether von Goddenthow
© Foto Diether von Goddenthow

Wiesbaden – Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) veranstaltet auch in diesem Jahr gemeinsam mit der Stadt Wiesbaden einen Patiententag, um den Wiesbadener Bürgerinnen und Bürgern aktuelles medizinisches Wissen aus der Inneren Medizin direkt zugänglich zu machen. Besucherinnen und Besucher erwartet ein bunt gemischtes Programm mit neuesten Informationen quer durch die medizinischen Fachbereiche: Beispielsweise können sie sich über wissenschaftliche Erkenntnisse aus Diabetologie und Pneumologie informieren, Wichtiges rund um die Palliativmedizin erfahren und sich über das richtige Verhalten im medizinischen Notfall informieren. Vor Ort haben sie zudem die Gelegenheit, mit verschiedenen Patienten-Selbsthilfegruppen ins Gespräch zu kommen. Der Patiententag findet am 13. April 2024 im Wiesbadener Rathaus statt. Einblick in die Themen geben Expertinnen und Experten vorab in einer Online-Pressekonferenz am 9. April 2024.

Bei rund der Hälfte aller Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme liegt kein dringlicher medizinischer Notfall vor. Um das Wissen rund um medizinische (Notfall-)Symptome zu stärken, hat die DGIM in diesem Jahr als eines der Hauptthemen praktische Notfalltipps auf die Agenda des Patiententags gesetzt. Denn: Von der Jugend bis ins hohe Alter – immer wieder begegnen wir plötzlich auftretenden Symptomen, die möglicherweise schnelles Handeln erfordern. Doch wo ist die richtige Anlaufstelle? Haus- oder Fachärzte, ärztlicher Bereitschaftsdienst, Notaufnahme oder ist gar ein Rettungswagen notwendig? Was kann man selbst im Notfall tun, um sich oder Angehörigen zu helfen? „Im ärztlichen Alltag erleben wir immer wieder, dass Menschen zu schnell unsere Notfallambulanzen und Rettungswägen in Anspruch nehmen oder aber viel zu lange daheim verharren, wenn sie schwerwiegende Symptome haben“ sagt Dr. med. Norbert Schütz, langjähriger Organisationsleiter des Patiententags der DGIM und Klinikdirektor der Geriatrie und Rheumatologie an den Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden. Hier fehle es an ausreichend fundiertem Wissen in der breiten Bevölkerung, ebenso wie bei anderen Themen, die in diesem Jahr auf der Agenda des Patiententags stehen.

Besucher können sich über eine große Vielfalt an Angeboten freuen, so bietet die Stadt Wiesbaden einen Gesundheitsparcours an und es wird ein Gesundheitstheater mit dem Titel „Die Süße des Lebens“ aufgeführt. „Gesundheit und das Wissen darum sollen auch Spaß machen und unterhalten, daher gestalten wir den Patiententag bewusst so, dass es Möglichkeiten zum Informationsgewinn, zum Austausch, aber auch zum Bewegen und Lachen gibt“, sagt Dr. Schütz.

Eingeleitet wird der Tag mit der Eröffnungsfeier am Vortag im Wiesbadener Rathaus. Am Freitag, den 12. April 2024 von 17:00 bis 19:00 Uhr stimmt Professor Dr. med. Sebastian Schellong mit seinem Vortag „Leid und Leidenschaften in der Musik“ für den Folgetag ein.

Patiententag in Kooperation mit der Stadt Wiesbaden
Rathaus Wiesbaden und online
Samstag, 13. April 2024
https://kongress.dgim.de/patiententag/

Prof. Zeidler begeistert mit Vortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ zum Auftakt des Patiententages

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende u. DGIM-Vorstandsvorsitzender  Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner ehren die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin und frühere Chefärztin der Gerontologischen Klinik. © Foto Diether von Goddenthow
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende u. DGIM-Vorstandsvorsitzender Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner ehren die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin und frühere Chefärztin der Gerontologischen Klinik. © Foto Diether von Goddenthow

Beim Empfang zum Auftakt des 16. Wiesbadener Patiententages begeisterte Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover, mit seinem Vortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende hatte am Freitagabend, 21. April, den Auftaktempfang zum 16. Wiesbadener Patiententag im Rahmen des 129. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Festsaal des Rathauses eröffnet.

„Zum 16. Mal haben sich die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin und die Stadt Wiesbaden zusammengetan, um im Rahmen des jährlichen Internistenkongresses zum einen die Fachthemen der versammelten Ärztinnen und Ärzte den Wiesbadener Bürgerinnen und Bürgern nahe zu bringen und gleichzeitig auf einem lebendigen Gesundheitsmarkt verschiedene Organisationen zu präsentieren, die zu vielen klinischen Fragen Gespräche, Informationen, Tests und auch Antworten bieten“, sagte Mende. „Der Internistenkongress ist das Flaggschiff der medizinischen Tagungen in Wiesbaden. Der gute Ruf Wiesbadens als exzellenter Standort für Gesundheitsthemen ist mit ihm untrennbar verbunden.“

„Der Patiententag ist eine echte Publikumsveranstaltung, gedacht für alle Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger. Er bietet Informationen von Fachleuten, medizinischen Organisationen und Selbsthilfegruppen für Patienten. Der Patiententag bietet den Bürgerinnen und Bürgern einen ‚niedrigschwelligen‘, also einen leichten und entspannten Zugang, die medizinische Wissenschaft besser nachzuvollziehen. Die hier gehaltenen Fachvorträge und Podiumsdiskussionen werden den Besucherinnen und Besuchern nicht nur Alltagshilfe sein, sondern sie auch mit neuen Erkenntnissen der medizinischen Forschung vertraut machen und sicher einen Beitrag zur Prävention leisten.“ bekräftigte der Oberbürgermeister.

Hocherfreut war der  Oberbürgermeister, die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin, die gebürtige Hamburger Ärztin, Dr. Inge-Maria Haeckelmann, im Ratssaal begrüßen zu dürfen. Anfang der 1980er Jahre war die Alternsmedizinerin nach Wiesbaden gekommen, wo sie als Chefärztin in der Geriatrischen Klinik bis zu ihrer Pensionierung tätig war. Gemeinsam mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), dem Gießener Internisten und Rheumatologen Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, überreichte der Oberbürgermeister Dr. Haeckelmann eine Ehrenurkunde der „Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).

„Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“

Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover. Professor Zeidler sprach zum Thema „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“  © Foto Diether von Goddenthow
Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover. Professor Zeidler sprach zum Thema „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ © Foto Diether von Goddenthow

Der Gießener Internist und Rheumatologe Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, neuer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) und Kongresspräsident, skizzierte die Themen des Patiententages und stellte  Professor Dr. med. Henning Zeidler, den Festredner des Auftaktempfangs  vor.

Bereits vor seiner Emeritierung 2007 hatte Prof. Zeidler begonnen, intensiv die Biographien großer Künstler vor dem Hintergrund ihrer Krankheiten aufzuarbeiten, insbesondere Lebensverläufe von rheumageplagten bekannten  Malern. In seinem Festvortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ ging er auf die   Kranken- und Leidens-Geschichten von Auguste Renoir, Alexej von Jawlensky, Raoul Dufy sowie von Niki des Saint Phalles ein. Letztere litt  unter Lungenerkrankungen.
Dabei hinterfragte er, wie die Künstler zu ihrer Zeit mit  ihrer Krankheit umgingen, wie sie ihr Kranksein bewältigten, zu welchen schöpferischen Leistungen sie vor und nach Ausbruch ihrer Krankheit fähig waren. Wichtig war ihm auch zu erfahren, wie die betroffenen Künstler ihre Krankheit in ihren Bildern verarbeiteten, wie sie ihre Leiden selbst wahrnahmen im Vergleich zu den medizinischen Dokumenten. Zudem spann Prof. Zeidler einen Bogen zum Wandel in der Rheumatherapie von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute.

 Auguste Renoir

Besonders schwer von rheumatoider Arthritis war einst der französische Maler Auguste Renoir (1841 – 1919) betroffen. Er war 54 Jahre alt, als die Krankheit bei ihm ausbrach. Aber aller Pein zum Trotz malte er immer weiter, täglich in seinem Garten und mit positivem Gemüt:   „Vor allem will ich die Menschen erfreuen mit allem, was schön ist“. Damit er das konnte, versuchte er die Beweglichkeit seiner Hände zu erhalten, unter anderem mit Jonglieren, Lederbällen werfen und Klavierspielen und ähnlichem. „Damit war Renoir quasi der Erfinder der Physiotherapie“, erklärte Zeidler. Zudem erhielt er  Medikamente wie Antipyrin, später dann Acetylsalicylsäure. Zudem: Wassergüsse, Bäderkuren. Irgendwann benötigte er Stock, Krücken und schließlich einen Rollstuhl mit Kissen und einen Tragestuhl, mit den man ihn vom Haus in den Garten heben konnte. Seine Schuhe musste er aufschneiden, um seinen schmerzenden Füße Platz zu verschaffen.
Als er nur noch vom Rollstuhl aus malen konnte und seine Finger sich zusehends verkrümmten, ließ sich Renoir die Pinsel zwischen seine bandagierten Hände und den mit Schlauchverband aus Leinen umwickelten Daumen stecken. Aus einer Fahrradmechanik baute er eine drehbare Staffelei. So konnte er selbst vom Sitzen aus durch Weiterkurbeln des mit Leinwand bespannten Untergrundgrundes weiterhin auch große Format malen. Sein größtes Ölgemälde „Les Baigneuses“ (1918/19) maß 160 x 110 cm, und hängt heute im Musée d’Orsay, Paris. Dass Renoir seine Krankheit damals dennoch so positiv bewältigen konnte lag sicher auch mit  auch an der guten Pflege und an dem Umstand, dass er praktisch täglich in seinem Garten sitzend, malen konnte.

Alexei Jawlensky 

Ausschnitt aus "Große Meditation" 1937
Ausschnitt aus „Große Meditation“ 1937

Einen sehr schweren Verlauf nahm die rheumatoide Arthritis beim Maler Alexej Jawlensky (1865 – 1941).  Sie brach 1929 aus, da war er 65 Jahre alt. Trotz zahlreicher Kuren und Behandlungen, zunächst mit Spermin-Injektionen, Röntgenstrahlen und Goldspritzen, später mit Pyramidon, Radiophan-Spritzen, Elektrobädern usw. war Jawlensky ab 1938 völlig gelähmt. Anders wie Renoir hat  Jawlensky ständig auch materielle Existenzsorgen, was sicherlich auch zum Verlauf seiner Krankheit mit beitrug.
An seiner speziell entwickelten Staffelei mit zwei Brettern waren acht Ölpapiere, oben und  unten je vier, mit Reißzwecken befestigt. Unten an der Staffelei waren zudem zwei Pflöcke so angebracht, dass  seine Palette sogleich an der Staffelei und seinen Knien aufliegen konnte, so dass er sie nicht mit einer Hand halten musste. Denn er benötigte beide Hände, um den Pinsel führen zu können.  Pinsel und Farben waren ebenfalls in unmittelbarer Reichweite positioniert. Diese krankheitsbedingten Einschränkungen sind auch der Grund dafür, weswegen Jawlensky seither nur noch in kleineren Formaten malte. Die Krankheit beeinflusste also Jawlenskys Werk gewaltig, viel stärker als im Fall Renoir, der unter größerer Anstrengung und mit „Tricks“ immerhin bis zuletzt seinem Stil treubleiben konnte. Bei Jawlensky entstanden erst durch die Bilder seine abstrakten Gesichter, etwa die Serie  „Meditationen“ in maximalen Bildformaten von 18 x 13 cm bis 24 x 10 cm. Aber seinem Ruhm tat dies keinen Abbruch, vielleicht im Gegenteil: Die abstrakten Gesichtern wurden fast so etwas wie sein „Markenzeichen“.

Raoul Dufy

Einen wiederum völlig anderen, sehr wechselhaften Verlauf nahm Raoul Dufys (1877 – 1953) rheumatische Erkrankung. Der französische Maler des Fauvismus, der 1937 das mit 600 m²  größte Bild der Welt „La Fée Electricité“ zur Weltausstellung schuf, wurde 1935 im Alter von 58 Jahren vom Rheuma erwischt. Sein Glück im Unglück war, dass  1950  der Bostoner Arzt Dr. Homburger in einer Kunstzeitung über ihn von  seinem Rollstuhlschicksal lass, und anbot, ihn mit der neuen Cortison-Therapie zu behandeln. Die Therapie war zunächst sehr erfolgreich. Schon innerhalb weniger Tage wurde er mobil, begann wieder zu malen, konnte Farbtuben selbst ausdrücken. Aber es gab Komplikationen. Er entwickelte das typische angeschwollene Cortinson-Gesicht, das so genannte Chushinggesicht. Er bekommt Osteoporose und ein Abszess am Gesäß. Dufy, so Prof. Zeidler, war einer der ersten mit Kortison behandelten Patienten, weswegen auch noch nicht viel über die Nebenwirkungen bekannt war. Zunächst verlief also seine Behandlung recht erfolgreich. Dufy konnte ohne erkennbare Veränderungen weiter malen. Aber es  gab schwere, später gar tödliche Nebenwirken wie innere  Darmblutungen. Diese wurden verursacht durch die gleichzeitige Gabe von    „hochdosiertem Aspirin“ und „Kortison“.

Niki des Saint Phalle

Niki des Saint Phalles Exponat der aktuellen Ausstellung NIKI DE SAINT PHALLE 3. FEBRUAR – 21. MAI 2023 in der Schirn  Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow
Niki des Saint Phalles Exponat der aktuellen Ausstellung NIKI DE SAINT PHALLE
3. FEBRUAR – 21. MAI 2023 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow

Niki des Saint Phalle (1930 – 2002) war eine der populärsten Künstlerinnen ihrer Generation. Sie startete 1953 nach einem Nervenzusammenbruch ihre Künstlerkarriere. Das Ex-Modell wurde zunächst mit ihren Schießbildern und später mit ihren großformatigen Frauenfiguren, den Nanas, weltberühmt. In ihrer Selbstwahrnehmung der Krankheit glaubte Niki des Saint Phalles stets, dass vor die giftigen Dämpfe, die beim Schneiden von Styropor für ihre Großfiguren entstanden,  „ihre Lungen verätzt“ hätten. Professor Zeidler fand beim Studium ihrer Krankenakte jedoch heraus, dass Niki des Saint Phalles Leiden schon viel weiter in ihrer Biographie zurückreichte: So litt die Künstlerin  seit 1949 nach einer Bilddarmentzündung bereits unter schweren Atemproblemen, 1958 wurde eine erste Diagnose Pneumonie gestellt. Und, was auch kaum bekannt ist: Niki des Saint Phalles litt an einem angeborenen selektiven Immunglobulin-A-Mangel. Dies war eventuell eine der Hauptursachen ihres lebenslangen Leidensweges, so Prof. Zeidler. Denn zirka 30 Prozent der von diesem Immundefekt Betroffenen (1 zu 1000) leiden verstärkt unter Infektionen wie Sinusitis, Bronchitis, Lungenentzündung, manch einer auch unter Durchfall und  Autoimmunkrankheiten wie z.B. Lupus, rheumatoide Arthritis, Immunthyreoiditis, Morbus Crohn.

Die Lungenerkrankung beeinflusste auch Niki des Saint Phalles  künstlerisches Schaffen. Beispielsweise entstanden, nachdem sie in St. Moritz wieder gelernt hatte, frei durchatmen, ab 1979 ihre ersten berühmten Luftskulpturen „Skinnies“. Und nicht von ungefähr lebte Niki des Saint Phalles wegen des für ihre Lunge angenehmen Klimas am Ende ihres Lebens in San Diego, Kalifornien. Hier schuf sie ihren, von indianischen und mexikanischen Symbolen inspirierten Park „Califa“. Diesen konnte sie nicht mehr vollenden. Sie verstarb nach fünfmonatigem Klinikaufenthalt 2001 an akutem Atemnotsyndrom infolge ihrer Pneumonie.

Selten erhielt ein Vortragsredner einen solch lang andauernden Applaus wie Professor Dr. med. Henning Zeidler für seine hochinteressanten Ausführungen zum Auftakt des Patiententages.

Patiententag 

patiententag-2023Der Patiententag am Samstag, 22. April, von 9.30 bis 16 Uhr im Rathaus, Schlossplatz 6, war traditionell gut besucht und gab Laien wie Fachleuten Auskunft zu aktuellen Gesundheitsthemen. Vertreten waren Ärzte, Gesundheitsexperten von medizinischen und pflegerischen Einrichtungen sowie Vertreter von Selbsthilfegruppen. Einige der Vorträge wurden als Hybridveranstaltung durchgeführt und live ausgestrahlt.

(Diether von Goddenthow /Rhein-Main. Eurokunst)

129. Internisten-Kongress: Update Long COVID Professor Dr. med. Clara Lehmann, Leiterin Infektionsschutzzentrum (ISZ), Infektionsambulanz & PostCOVID-Ambulanz,Innere Medizin I, Uniklinik Köln

Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow
Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow

Professor Dr. med. Clara Lehmann, Leiterin Infektionsschutzzentrum (ISZ),Infektionsambulanz & PostCOVID-Ambulanz,Innere Medizin I, Uniklinik Köln

Von Long COVID  sind allein in der europäischen Region der WHO in den Jahren 2020 bis 2021 17 Millionen Menschen betroffen, weltweit sind es schätzungsweise 65 Millionen. Prognosen gehen davon aus, dass bis März 2023 20 Millionen Europäer an Long COVID leiden werden. Im Durchschnitt werden bis zu 10 Prozent der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen die Krankheit entwickeln.

Die Krankheit ist definiert durch eine bestätigte oder wahrscheinliche SARS-CoV-2-Infektion in der Anamnese, wobei die Symptome in der Regel drei Monate nach Beginn der COVID-19-Infektion vorhanden sind und mindestens zwei Monaten andauern. Zu den Symptomen gehören Müdigkeit, Kurzatmigkeit, kognitive Störungen, aber auch viele andere Symptome können auftreten, die nachweislich die Lebensqualität beeinträchtigen. Die Symptome können neu auftreten oder seit der Infektion mit COVID-19 andauern und lassen sich nicht auf eine andere Diagnose zurückführen. Mehrere persönliche und umweltbedingte Faktoren beeinflussen die Prävalenz von Long COVID in der europäischen Bevölkerung. Was die individuellen Faktoren anbelangt, so ist die Prävalenz bei Frauen, in der Altersgruppe von 25 bis 69 Jahren und bei Personen, die wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, am höchsten. Sozioökonomische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle und Bewohner benachteiligter Gebiete, wirtschaftlich inaktive Personen und Personen, die an aktivitätseinschränkenden Gesundheitszuständen leiden, scheinen stärker betroffen zu sein. Andererseits scheint die Impfung das Risiko einer Long-COVID-Erkrankung um 15 bis 50 Prozentzu senken. Long COVID kann alle Organsysteme betreffen, darunter Herz, Lunge, Nieren, Milz, Leber, Bauchspeicheldrüse, das Immunsystem, den Magen-Darm-Trakt, das neurologische System, die Blutgefäße sowie das männliche und weibliche Fortpflanzungssystem. Dieser multisystemische Charakter macht die Forschung noch komplizierter.

Kosten von Long COVID für die Gesellschaften Es wird geschätzt, dass Long COVID in den USA und im Vereinigten Königreich wirtschaftliche Kosten in Höhe von 3,7 Billionen US-Dollar(über 5 Jahre) beziehungsweise 2,5 Milliarden GBP (pro Jahr) verursacht. Arbeitsplätze und Arbeitsmärkte werden in Mitleidenschaft gezogen, und Arbeitnehmer:innen werden arbeitslos. Es mangelt an standardisierten Konzepten für den Arbeitsplatz.

Aktueller Stand des Wissens über die Krankheit Derzeit werden eine Reihe verschiedener Hypothesen als mögliche Ursachen für Long COVID untersucht, darunter: Persistenz des Virus im Körper, Überreaktion (Hyperinflammation) des Immunsystems, mitochondriale Dysfunktion, dysfunktionale neurologische Signalübertragung, Befall des autonomen Nervensystems, endotheliale Dysfunktion, EBV-Reaktivierung oder gestörte Blutgerinnung). Ein besseres Verständnis der Ursachen von Long COVID ist entscheidend für die Entwicklung einer optimalen Behandlung und Betreuung der Patienten:innen.

Long COVID kann mit ähnlichen „postakuten Infektionssyndromen“ (PAIS) verglichen werden, wie denen, die durch Viren wie Ebola, Dengue, Epstein-Barr-Virus (EBV), MERS-CoV, SARS-CoV-1 oder Influenza verursacht werden. Es können Synergien mit der Forschung zu diesen postakuten Infektionssyndromen gezogen werden. Das beispiellose Ausmaß der Long COVID gibt der Forschung zu PAIS neue Impulse.

Pflege und Behandlung von Patient:innen Personen, die von Long COVID betroffen sind, stoßen in ihrem Familien- und Arbeitskreis oft auf Skepsis und werden von den Ärzten oft falsch diagnostiziert. Da noch keine Biomarker für die Routinediagnose zur Verfügung stehen, stützt sich die Diagnose von Long COVID bisher hauptsächlich auf klinische Untersuchungen. Derzeit ist die Behandlung der Krankheit kostspielig und komplex. Die derzeitigen Behandlungen sind nur individuell und symptomorientiert. Da das medizinische Wissen über Long COVID noch am Anfang steht, werden den Patient:innen nicht immer angemessene Behandlungen angeboten, und manchmal werden von Mediziner:innen immer noch kontraproduktive Therapien empfohlen.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

• Long COVID ist eine schwere somatische Krankheit mit biologischen Ursachen. Es handelt sich nicht um eine psychosomatische Krankheit.

• Verschiedene Symptome beeinträchtigen die Organsysteme der Patienten auf multisystemische Weise. Die häufigsten Symptome sind extreme Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Kurzatmigkeit, kardiovaskuläre Probleme und Konzentrationsschwierigkeiten. Long COVID ist auch durch eine Belastungsintoleranz gekennzeichnet, was bedeutet, dass körperliche oder geistige Anstrengungen oder Stress die Symptome verschlimmern.

• Bei Long COVID handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die sich über mehrere Monate oder Jahre hinzieht, wobei die Rekonvaleszenz durch Schwankungen mit Rückfallphasen gekennzeichnet ist.

• Die wichtigsten Prävalenzfaktoren für Long COVID sind das weibliche Geschlecht, die Altersspanne (25 bis 69 Jahre) und Krankenhausaufenthalte nach einer Infektion mit SARSCoV-2. Während die Impfstoffe in einigen Fällen Komplikationen verursachen können, scheint die Impfung gegen COVID-19 die Prävalenz von Long COVID deutlich zu verringern.

• Die Ursachen von Long COVID sind noch nicht vollständig geklärt, und es werden derzeit mehrere Hypothesen untersucht.

• Die derzeitige Behandlung von Long COVID ist symptomorientiert und nicht kurativ. Eine Reihe von Arzneimitteln wird derzeit untersucht.

Literatur: https://www.bmj.com/content/376/bmj.o158. BMJ 2022; 376:o158, Baraniuk C, Covid-19: How Europe is approaching long COVID, 20 January 2022.

WHO, A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus, 6 October 2021, https://www.who.int/publications/i/item/WHO-2019-nCoV-Post_COVID-19_conditionClinical_case_definition-2021.1.

Davis HE, McCorkell L, Vogel JM et al. Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol 21, 133–146 (2023), https://doi.org/10.1038/s41579-022- 00846-2.

Politico, Collis H, WHO urges action as 17M long COVID cases estimated in Europe region, September 13, 2022, https://www.politico.eu/article/who-urges-action-as-17m-long-covidcases-estimated-in-europe-region/.

See also the study published in the International Journal of Infectious Diseases, Characteristics of long-COVID among older adults: a cross-sectional study, DaitchV, September 30, 2022, https://www.ijidonline.com/article/S1201-9712(22)00535-5/fulltext.

129. Internisten-Kongress zum aktuellen Wandel der Medizin – Übergewicht, Stoffwechsel und Immunsystem bilden eine unheilige Allianz, aber auch Ansatz für neue Therapien

Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow
Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow

Während  Bürger  am Patiententag im Wiesbadener Rathaus von Experten, Organisationen des Gesundheitswesens und Selbsthilfegruppen  medizinisch-praktischen Rat einholen konnten, eröffnete der 129. Internisten-Kongress   Wiesbaden. Noch bis zum 25.04. 2023  werden wieder mehrere tausend Ärzte neueste Erkenntnisse und Entwicklungen zu zentralen Themen der Inneren Medizin untereinander austauschen.  Ein Schwerpunkt  galt am Samstag, 22.04.23,  unter anderem dem Gegenstand aktueller Forschung wie sehr  starkes Übergewicht als ein  Risikofaktor mit einen schweren Verlauf der Infektionskrankheit COVID-19 zusammenhängen?   Es könnte, so der Forschungsstand, an der engen Interaktion zwischen Stoffwechsel und Immunsystem liegen –dieser Zusammenhang wird von Forschenden nicht nur bei der „COVID-19-Verlaufsfrage“ zunehmend in den Blick genommen. Bekannt ist schon länger: Adipositas, insbesondere das viszerale Fett, löst eine chronische Entzündung im Körper aus, und betrifft somit auch das Immunsystem. Expertinnen und Experten bezeichnen Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes deshalb inzwischen auch als chronischentzündliche Erkrankungen. Warum Fettstoffwechsel und Immunsystem sich gegenseitig so stark beeinflussen und wie dies neue Therapieansätze für die Folgeerkrankungen von Übergewicht ermöglichen könnte, ist Thema der heutigen Kongress-Pressekonferenz sowie des Symposiums „Novel concepts in obesity-related metabolic diseases” im Rahmen des Internistenkongresses 2023.

Evolutionär haben Stoffwechsel und Immunsystem einen gemeinsamen Ursprung. „In einfachen Lebewesen wie etwa der Fruchtfliege lässt sich erkennen, dass es Interaktionen zwischen immunologischen und metabolischen Signalwegen gibt“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Schäffler, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Gießen. Diese sogenannten Crosstalks seien bis heute auch beim Menschen erhalten geblieben. „In unserem menschlichen Organismus steuern identische Moleküle sowohl Stoffwechsel- als auch Entzündungsvorgänge.“ Die enge Verknüpfung ist oft wichtig und nützlich: So versorgen Zellen des Fettgewebes bei einer akuten Infektion oder Entzündung die Immunzellen mit Energie, um die Immunreaktion zu unterstützen. Vice versa bewirken Erkrankungen, die den Stoffwechsel betreffen, Reaktionen im Immunsystem,wie etwa erhöhte Entzündungswerte.

Großes Interesse an den neuesten Erkenntnissen der Inneren Medizin und gutbesuchte Veranstaltungen /Vorträge kennzeichnen den 129. Internistenkongress. © Foto Diether von Goddenthow
Großes Interesse an den neuesten Erkenntnissen der Inneren Medizin und gutbesuchte Veranstaltungen /Vorträge kennzeichnen den 129. Internistenkongress. © Foto Diether von Goddenthow

Problematisch wird die enge Interaktion, wenn Fettgewebe, insbesondere im Bauchraum, das normale Maß überschreitet. Die erhöhte Aktivität der Fettzellen lässt Makrophagen, also Zellen des Immunsystems, in das Gewebe einwandern. „Dies führt zu einer leichten aber fortwährenden chronischen Entzündungsreaktion, die sowohl im lokalen Fettgewebe als auch im gesamten Körper auftritt.“ Das zeige sich dann im Blut unter anderem durch einen Anstieg des C-reaktiven Proteins, auch „Adipositas-CRP“ genannt. Zudem kommt es zur Insulinresistenz, bei der die Zellen Insulin nicht mehr ausreichend aufnehmen können und somit der Blutzucker steigt. Diese durch den Stoffwechsel (Metabolismus) ausgelöste lokale und systemische Entzündungsreaktion (Inflammation) bezeichnen Forschende als „Metaflammation“. „Die chronische Aktivierung des Immunsystems hat eine reduzierte Infektionsabwehr zur Folge, aber auch Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, metabolisches Syndrom und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfälle“, erklärt Schäffler.

Praxisnahe vor Ort-Präsentationen gibt es bei der Industrieausstellung in der Halle Süd. © Foto Diether von Goddenthow
Praxisnahe vor Ort-Präsentationen gibt es bei der Industrieausstellung in der Halle Süd. © Foto Diether von Goddenthow

„Metaflammation“ ist aber auch zum Ansatz für die Erforschung neuer Behandlungsmethoden ebendieser Erkrankungen geworden. Die Idee: Mittels Kontrolle der Entzündungsreaktion die Risiken für die Folgeerkrankungen der Adipositas zu reduzieren. „Zu den wichtigsten Studien gehören dabei zwei Arbeiten aus 2017 und 2019“, erklärt Schäffler. Der CANTOS Trial 2017 war die erste prospektive, randomisierte, klinische Phase-III-Studiean über 10 000 Patientinnen und Patienten. Hierbei wurden Hochrisikopatientinnen undpatienten aufgenommen, die einen Myokardinfarkt erlitten hatten und ein erhöhtes CRP aufwiesen. Sie bekamen den entzündungshemmenden Antikörper Canakinumab. Zwar konnte das Diabetesrisiko dadurch nicht vermindert, dafür aber die kardiovaskuläre Sterblichkeit deutlich reduziert werden. „Hingegen zeigte sich im CIRT-Trial von 2019, bei dem adipösen Patienten eine anti-entzündliche und das Immunsystem unterdrückende medikamentöse Therapie mit dem Wirkstoff Methotrexat erhielten, keine kardioprotektive Wirkung.“ „Das zeigt, dass wir noch viel mehr Erkenntnisse darüber erlangen müssen, wie genau – auf Ebene der Organe, Zellen, Organellen – die immuno-metabolische Schnittstelle funktioniert“, so Schäffler. „In Zukunft könnten molekular maßgeschneiderte anti-entzündliche Therapien ein wichtiger neuer Therapieansatz sein, mit einem ganz neuen Wirkmechanismus als die bisherigen Therapien des metabolischen Syndroms – nämlich über das Immunsystem.“

Innere Medizin als Detektivarbeit: DGIM lädt unter dem Leitgedanken „Systemisch Denken – Individuell Therapieren“ zum Jahreskongress

In wenigen Tagen werden sich vom 22. bis 25.April 2023 wieder mehrere Tausend Ärzte zum Internistenkongress im Wiesbadener RheinMain KongressCenter treffen. © Foto Diether von Goddenthow
In wenigen Tagen werden sich vom 22. bis 25.April 2023 wieder mehrere Tausend Ärzte zum Internistenkongress im Wiesbadener RheinMain KongressCenter treffen. © Foto Diether von Goddenthow

„Systemisch Denken – Individuell Therapieren“ – unter diesen Leitgedanken stellt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) ihre 129. Jahrestagung, zu der sie vom 22. bis 25. April 2023 mehrere tausend Teilnehmende im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden erwartet. Auch 2023 werden alle wissenschaftlichen Veranstaltungen im Live-Stream übertragen, um Ärztinnen und Ärzte, die nicht vor Ort dabei sein können, einzubeziehen. In Kooperation mit der Stadt Wiesbaden und der Apotheken Umschau veranstaltet die DGIM heute, am Samstag, dem 22. April 2023 zudem wieder den traditionellen Patiententag im Rathaus Wiesbaden.

Ob in Gesundheit oder Krankheit: Der Körper und seine Funktionen sind ein hochkomplexes System. Internistische Erkrankungen bleiben deshalb meist nicht auf ein Organ beschränkt – sie interagieren mit dem Gesamtorganismus und können so Symptome im gesamten Körper auslösen. Und auch moderne Therapien verursachen mitunter Wirkungen und Nebenwirkungen weit abseits des ursprünglich betroffenen Organs. „Diese Erkenntnis ist nicht neu. Und doch kann sie bei der heute üblichen – und auch wichtigen – Spezialisierung der einzelnen Fachgebiete leicht aus dem Blick geraten“, sagt Professor Dr. med. Ulf MüllerLadner, Präsident der DGIM und Kongresspräsident des diesjährigen Kongresses. „In der Inneren Medizin muss es das Ziel sein, stets die übergreifenden Verbindungen einer Erkrankung, so klein das Ursprungsorgan oder der Primärherd auch sein mag, im Blickfeld zu behalten oder den Horizont dahingehend zu erweitern. Deshalb widmet sich der diesjährige Kongress schwerpunktmäßig diesen Interaktionen – und den Folgen, die sich daraus für Diagnostik, Therapie, Forschung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit ergeben“, so der Internist und Rheumatologe.

© Foto Diether von Goddenthow
© Foto Diether von Goddenthow

Über diesen Schwerpunkt hinaus wird der Kongress in rund 400wissenschaftlichen Sitzungen mit rund 1350 Vorträgen die gesamte Bandbreite der Inneren Medizin abdecken – von neuen nationalen und internationalen Behandlungsleitlinien der verschiedenen internistischen Fächer, über aktualisierte „Klug entscheiden“-Empfehlungen zur Reduktion von Über- und Unterversorgung bis hin zu berufspraktischen Themen wie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zahlreiche Sessions des wissenschaftlichen Programms werden von der Nachwuchsorganisation JUNGE DGIM gestaltet, eine internationale Perspektive ermöglichen die gemeinsamen Sitzungen mit dem Gastland Israel. „Und wie immer nehmen wir beim Kongress auch die Zukunft in den Blick: Wie können neue therapeutische Ansätze künftig rascher den Sprung aus der Wissenschaft in die klinische Anwendung finden? Wo stehen wir aktuell bei der Entwicklung, Nutzung und Qualitätssicherung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) und anderer Medizin-Apps?“, so Müller-Ladner.

Am Samstag, dem 22. April 2023, wird in Kooperation mit der Stadt Wiesbaden und der ApothekenUmschau zudem wieder der beliebte Patiententag stattfinden. Im Wiesbadener Rathaus werden an diesem Tag Vorträge zu ausgewählten Themen angeboten – von Einsamkeit im Alter bis zur Prävention und Behandlung von Herzkrankheiten. Hierzu sind Betroffene, Angehörige und Interessierte herzlich eingeladen. Die Teilnahme am Patiententag ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Die Teilnahme am Kongress ist in Präsenz, online oder als Kombination möglich (Teilnahme in Präsenz mit zusätzlichem vergünstigtem Online-Zugang). Weitere Informationen unter: https://kongress.dgim.de/registrierung/anmeldung/.

Mit rund 8000 Teilnehmern endete gestern der 128. Internistenkongress der DGIM erfolgreich in Wiesbaden

Obwohl sämtliche 750 Referate und Vorträge auch online zur Verfügung stehen, war das Bedürfnis  diese lieber in Präsenz zu erleben zu können recht groß. © Foto Diether v. Goddenthow
Obwohl sämtliche 750 Referate und Vorträge auch online zur Verfügung stehen, war das Bedürfnis diese lieber in Präsenz zu erleben zu können recht groß. © Foto Diether v. Goddenthow

Mit rund 8000 Teilnehmern –etwa 60 Prozent in Präsenz und 40 Prozent online – ist gestern der 128.Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin DGIM in Wiesbaden erfolgreich zu Ende gegangen.

Professor Dr. med. Markus M. Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des LMU Klinikums München sowie Vorsitzender der DGIM 2021/2022 leitete als Präsident des 128. Kongresses die wissenschaftliche Großveranstaltung.
Unter dem Hauptthema: „Die Grenzen der Inneren Medizin“ deckte der Kongress in über 750 Vorträgen die gesamte Bandbreite der Inneren Medizin ab.
Die Hauptthemen des 128. Internistenkongresses umfassten die folgenden Säulen:

  • Grenzen ärztlichen Handelns – Was kann die Medizin, was kann die oder der Einzelne leisten? Welche Rolle spielen Überlastung und Resilienz heute?
  • Ethische Grenzen – Welche medizinischen Maßnahmen können oder sollten gerade am Lebensende noch ergriffen werden? Was entspricht dem Patientenwillen? Was wirkt sich tatsächlich auf die Lebensqualität aus?
  • Medizinische Grenzen – Was ist medizinisch möglich und welchen Preis ist die Gesellschaft bereit, dafür zu zahlen?
  • Überwindung von Grenzen – Der (medizinisch-)technische Fortschritt verschiebt die Grenzen des Machbaren immer weiter. Zu den Durchbrüchen der letzten Jahre zählen u.a. neue Herzklappen, mRNA- und Antikörper-basierte Therapeutika, aber auch der zunehmende Einsatz der Telemedizin.
  • Grenzen zwischen der Inneren Medizin und anderen Fachgebieten – sind nicht in Stein gemeißelt: Sie sind fließend, unscharf, verschieben sich stetig und sollten für interdisziplinäre Kooperationen immer offen sein. Wie ist der Status quo?
  • Nicht überwundene Grenzen – Wie kann die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die klinische Praxis – etwa bei der personalisierten Medizin – besser und schneller gelingen? Welchen Weg haben wir bei der Digitalisierung noch vor uns?

Der kommende DGIM-Kongress findet unter der Leitung von Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner vom22.04.2023 bis 25.04.2023 zum Thema „Systemisch Denken – Individuell Therapieren“ statt. Er ist wieder als Hybrid-Veranstaltung – in Wiesbaden und online – geplant.

128. Internistenkongress unter dem Motto „Die Grenzen der Inneren Medizin“ Jahrestagung der DGIM findet als Hybrid-Kongress statt

128. Kongress der DGIM: Internisten tagen vom 30.04 bis 3.05.2022  im Wiesbadener RheinMain Congress Center unter dem Motto „Die Grenzen der Inneren Medizin“ © Foto Diether v. Goddenthow
128. Kongress der DGIM: Internisten tagen vom 30.04 bis 3.05.2022 im Wiesbadener RheinMain Congress Center unter dem Motto „Die Grenzen der Inneren Medizin“ © Foto Diether v. Goddenthow

128. Kongress der DGIM: Internisten tagen unter dem Motto „Die Grenzen der Inneren Medizin“ Jahrestagung der DGIM findet als Hybrid-Kongress statt

Wiesbaden, 30. April 2022 – Nach einem pandemiebedingt abgesagten Kongress in 2020 und einem ausschließlich digital abgehaltenen Kongress in 2021 findet die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) im Frühjahr wieder als Präsenzveranstaltung statt. Vom Tagungsort im Wiesbadener Rhein-Main-Congress-Center aus werden Vorträge auch auf der Kongressplattform gestreamt und stehen im Nachgang on demand zur Verfügung. Für dieses Hybrid-Format haben sich die Organisatoren nicht zuletzt aufgrund des überragenden Erfolgs des letztjährigen Online-Kongresses entschieden, bei dem eine Rekordzahl von über 9000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern erreicht wurde. Die Jahrestagung findet vom 30. April bis 03. Mai 2022 statt.

Obwohl sämtliche 750 Referate und Vorträge auch online zur Verfügung stehen, war das Bedürfnis  diese lieber in Präsenz zu erleben zu können recht groß. © Foto Diether v. Goddenthow
Obwohl sämtliche 750 Referate und Vorträge auch online zur Verfügung stehen, war das Bedürfnis diese lieber in Präsenz zu erleben zu können recht groß. © Foto Diether v. Goddenthow

„Die Grenzen der Inneren Medizin“ lautet das Leitthema des diesjährigen Kongresses, auf dem Kongresspräsident Professor Dr. med. Markus M. Lerch aus München den Begriff der „Grenze“ in all seinen Facetten auslotet. Denn die Innere Medizin ist nicht nur mit medizinischen Grenzen und den Grenzen ihres Fachgebietes konfrontiert. Auch ethische Grenzen, Grenzen am Lebensende, Kostengrenzen, Grenzen des technisch Möglichen und Sinnvollen spielen in der täglichen Routine eine Rolle. „Als Ärzte müssen wir uns immer auch fragen: Was bringt dem Patienten wirklich Lebensqualität zurück, und was entspricht letztlich dem Willen des Patienten?“, betont Lerch, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des LMU-Klinikums München. „Sind wir bereit, auf die Prioritäten und Lebensentwürfe unserer Patienten einzugehen, selbst dann, wenn sie unserem Selbstbild als Heilenden entgegenstehen?“

Den zwischenmenschlichen Austausch kann keine Videomeeting ersetzen. © Foto Diether v. Goddenthow
Den zwischenmenschlichen Austausch kann keine Videomeeting ersetzen. © Foto Diether v. Goddenthow

So wenig scharf die von den Betroffenen subjektiv empfundenen Grenzen zwischen Gesundheit und Beeinträchtigung, zwischen guter und schlechter Lebensqualität sind, so verhandelbar ist oft auch die medizinische Definition von Krankheit: Ab welchem messbaren Grenzwert ist ein Befund pathologisch? Wo endet der Bereich des „Normalen“, und ist jede Abweichung davon automatisch auch behandlungsbedürftig? „Mit immer empfindlicheren Diagnosemethoden dringen wir in Bereiche vor, die prognostisch möglicherweise nicht mehr relevant sind“, sagt Lerch etwa mit Blick auf immer sensitivere Labormethoden. Auch Kosten setzen Grenzen und werfen die Frage auf, welcher Wert einem Zugewinn an Lebensqualität oder Lebenszeit zugemessen wird – etwa bei extrem teuren Implantaten im Bereich der Kardiologie oder bei neuartigen Krebsmedikamenten, die mit monatlichen Behandlungskosten von mehr als zehntausend Euro zu Buche schlagen.

Wo Grenzen sind, sind Grenzstreitigkeiten oft nicht fern. Ab welchem physiologischen Richtwert soll Behandlungsbedürftigkeit beginnen? Welche Erkrankung soll eher chirurgisch, welche endoskopisch behandelt werden? Und – insbesondere mit Blick auf eine voranschreitende Digitalisierung – wie weit darf das Recht auf Leben und Gesundheit dem Datenschutz geopfert werden und umgekehrt? „Kontroverse Themen wie diese möchten wir auf dem Kongress intensiv diskutieren, etwa in entsprechenden Pro- und Contra-Symposien“, so Lerch.

Kongress-Impressionen. © Foto Diether v. Goddenthow
Kongress-Impressionen. © Foto Diether v. Goddenthow

Die Schwerpunktthemen des Kongresses im Einzelnen sind:
– Grenzen ärztlichen Handelns – Was kann die Medizin, was kann die oder der Einzelne leisten? Welche Rolle spielen Überlastung und Resilienz heute?
– Ethische Grenzen – Welche medizinischen Maßnahmen können oder sollten gerade am Lebensende noch ergriffen werden? Was entspricht dem Patientenwillen, was wirkt sich tatsächlich auf die Lebensqualität aus?
– Medizinische Grenzen – Was ist medizinisch möglich und welchen Preis ist die Gesellschaft bereit, dafür zu zahlen?
– Überwindung von Grenzen – Der (medizinisch-)technische Fortschritt verschiebt die Grenzen des Machbaren immer weiter. Zu den Durchbrüchen der letzten Jahre zählen u.a. neue Herzklappen, mRNA- und Antikörper-basierte Therapeutika, aber auch der zunehmende Einsatz der Telemedizin.
– Grenzen zwischen der Inneren Medizin und anderen Fachgebieten – sind nicht in Stein gemeißelt: Sie sind fließend, unscharf, verschieben sich stetig und sollten für interdisziplinäre Kooperationen immer offen sein. Wie ist der Status quo?
– Nicht überwundene Grenzen – Wie kann die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die klinische Praxis – etwa bei der personalisierten Medizin – besser und schneller gelingen? Welchen Weg haben wir bei der Digitalisierung noch vor uns?

Über diese Schwerpunkte hinaus deckt der noch bis morgen im Rhein-Main-Kongress-Center (RMCC) stattfindende Kongress in über 750 Vorträgen die gesamte Bandbreite der Inneren Medizin ab.