Prof. Zeidler begeistert mit Vortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ zum Auftakt des Patiententages

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende u. DGIM-Vorstandsvorsitzender  Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner ehren die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin und frühere Chefärztin der Gerontologischen Klinik. © Foto Diether von Goddenthow
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende u. DGIM-Vorstandsvorsitzender Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner ehren die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin und frühere Chefärztin der Gerontologischen Klinik. © Foto Diether von Goddenthow

Beim Empfang zum Auftakt des 16. Wiesbadener Patiententages begeisterte Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover, mit seinem Vortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende hatte am Freitagabend, 21. April, den Auftaktempfang zum 16. Wiesbadener Patiententag im Rahmen des 129. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Festsaal des Rathauses eröffnet.

„Zum 16. Mal haben sich die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin und die Stadt Wiesbaden zusammengetan, um im Rahmen des jährlichen Internistenkongresses zum einen die Fachthemen der versammelten Ärztinnen und Ärzte den Wiesbadener Bürgerinnen und Bürgern nahe zu bringen und gleichzeitig auf einem lebendigen Gesundheitsmarkt verschiedene Organisationen zu präsentieren, die zu vielen klinischen Fragen Gespräche, Informationen, Tests und auch Antworten bieten“, sagte Mende. „Der Internistenkongress ist das Flaggschiff der medizinischen Tagungen in Wiesbaden. Der gute Ruf Wiesbadens als exzellenter Standort für Gesundheitsthemen ist mit ihm untrennbar verbunden.“

„Der Patiententag ist eine echte Publikumsveranstaltung, gedacht für alle Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger. Er bietet Informationen von Fachleuten, medizinischen Organisationen und Selbsthilfegruppen für Patienten. Der Patiententag bietet den Bürgerinnen und Bürgern einen ‚niedrigschwelligen‘, also einen leichten und entspannten Zugang, die medizinische Wissenschaft besser nachzuvollziehen. Die hier gehaltenen Fachvorträge und Podiumsdiskussionen werden den Besucherinnen und Besuchern nicht nur Alltagshilfe sein, sondern sie auch mit neuen Erkenntnissen der medizinischen Forschung vertraut machen und sicher einen Beitrag zur Prävention leisten.“ bekräftigte der Oberbürgermeister.

Hocherfreut war der  Oberbürgermeister, die mit 103 Jahren wohl älteste Wiesbadenerin, die gebürtige Hamburger Ärztin, Dr. Inge-Maria Haeckelmann, im Ratssaal begrüßen zu dürfen. Anfang der 1980er Jahre war die Alternsmedizinerin nach Wiesbaden gekommen, wo sie als Chefärztin in der Geriatrischen Klinik bis zu ihrer Pensionierung tätig war. Gemeinsam mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), dem Gießener Internisten und Rheumatologen Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, überreichte der Oberbürgermeister Dr. Haeckelmann eine Ehrenurkunde der „Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).

„Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“

Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover. Professor Zeidler sprach zum Thema „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“  © Foto Diether von Goddenthow
Festredner Professor Dr. med. Henning Zeidler, ehemaliger Direktor der Klinik für Rheumatologie, Medizinische Hochschule Hannover. Professor Zeidler sprach zum Thema „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ © Foto Diether von Goddenthow

Der Gießener Internist und Rheumatologe Professor Dr. med. Ulf Müller-Ladner, neuer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) und Kongresspräsident, skizzierte die Themen des Patiententages und stellte  Professor Dr. med. Henning Zeidler, den Festredner des Auftaktempfangs  vor.

Bereits vor seiner Emeritierung 2007 hatte Prof. Zeidler begonnen, intensiv die Biographien großer Künstler vor dem Hintergrund ihrer Krankheiten aufzuarbeiten, insbesondere Lebensverläufe von rheumageplagten bekannten  Malern. In seinem Festvortrag „Rheuma und Kunst: Maler und ihre Krankheiten“ ging er auf die   Kranken- und Leidens-Geschichten von Auguste Renoir, Alexej von Jawlensky, Raoul Dufy sowie von Niki des Saint Phalles ein. Letztere litt  unter Lungenerkrankungen.
Dabei hinterfragte er, wie die Künstler zu ihrer Zeit mit  ihrer Krankheit umgingen, wie sie ihr Kranksein bewältigten, zu welchen schöpferischen Leistungen sie vor und nach Ausbruch ihrer Krankheit fähig waren. Wichtig war ihm auch zu erfahren, wie die betroffenen Künstler ihre Krankheit in ihren Bildern verarbeiteten, wie sie ihre Leiden selbst wahrnahmen im Vergleich zu den medizinischen Dokumenten. Zudem spann Prof. Zeidler einen Bogen zum Wandel in der Rheumatherapie von Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute.

 Auguste Renoir

Besonders schwer von rheumatoider Arthritis war einst der französische Maler Auguste Renoir (1841 – 1919) betroffen. Er war 54 Jahre alt, als die Krankheit bei ihm ausbrach. Aber aller Pein zum Trotz malte er immer weiter, täglich in seinem Garten und mit positivem Gemüt:   „Vor allem will ich die Menschen erfreuen mit allem, was schön ist“. Damit er das konnte, versuchte er die Beweglichkeit seiner Hände zu erhalten, unter anderem mit Jonglieren, Lederbällen werfen und Klavierspielen und ähnlichem. „Damit war Renoir quasi der Erfinder der Physiotherapie“, erklärte Zeidler. Zudem erhielt er  Medikamente wie Antipyrin, später dann Acetylsalicylsäure. Zudem: Wassergüsse, Bäderkuren. Irgendwann benötigte er Stock, Krücken und schließlich einen Rollstuhl mit Kissen und einen Tragestuhl, mit den man ihn vom Haus in den Garten heben konnte. Seine Schuhe musste er aufschneiden, um seinen schmerzenden Füße Platz zu verschaffen.
Als er nur noch vom Rollstuhl aus malen konnte und seine Finger sich zusehends verkrümmten, ließ sich Renoir die Pinsel zwischen seine bandagierten Hände und den mit Schlauchverband aus Leinen umwickelten Daumen stecken. Aus einer Fahrradmechanik baute er eine drehbare Staffelei. So konnte er selbst vom Sitzen aus durch Weiterkurbeln des mit Leinwand bespannten Untergrundgrundes weiterhin auch große Format malen. Sein größtes Ölgemälde „Les Baigneuses“ (1918/19) maß 160 x 110 cm, und hängt heute im Musée d’Orsay, Paris. Dass Renoir seine Krankheit damals dennoch so positiv bewältigen konnte lag sicher auch mit  auch an der guten Pflege und an dem Umstand, dass er praktisch täglich in seinem Garten sitzend, malen konnte.

Alexei Jawlensky 

Ausschnitt aus "Große Meditation" 1937
Ausschnitt aus „Große Meditation“ 1937

Einen sehr schweren Verlauf nahm die rheumatoide Arthritis beim Maler Alexej Jawlensky (1865 – 1941).  Sie brach 1929 aus, da war er 65 Jahre alt. Trotz zahlreicher Kuren und Behandlungen, zunächst mit Spermin-Injektionen, Röntgenstrahlen und Goldspritzen, später mit Pyramidon, Radiophan-Spritzen, Elektrobädern usw. war Jawlensky ab 1938 völlig gelähmt. Anders wie Renoir hat  Jawlensky ständig auch materielle Existenzsorgen, was sicherlich auch zum Verlauf seiner Krankheit mit beitrug.
An seiner speziell entwickelten Staffelei mit zwei Brettern waren acht Ölpapiere, oben und  unten je vier, mit Reißzwecken befestigt. Unten an der Staffelei waren zudem zwei Pflöcke so angebracht, dass  seine Palette sogleich an der Staffelei und seinen Knien aufliegen konnte, so dass er sie nicht mit einer Hand halten musste. Denn er benötigte beide Hände, um den Pinsel führen zu können.  Pinsel und Farben waren ebenfalls in unmittelbarer Reichweite positioniert. Diese krankheitsbedingten Einschränkungen sind auch der Grund dafür, weswegen Jawlensky seither nur noch in kleineren Formaten malte. Die Krankheit beeinflusste also Jawlenskys Werk gewaltig, viel stärker als im Fall Renoir, der unter größerer Anstrengung und mit „Tricks“ immerhin bis zuletzt seinem Stil treubleiben konnte. Bei Jawlensky entstanden erst durch die Bilder seine abstrakten Gesichter, etwa die Serie  „Meditationen“ in maximalen Bildformaten von 18 x 13 cm bis 24 x 10 cm. Aber seinem Ruhm tat dies keinen Abbruch, vielleicht im Gegenteil: Die abstrakten Gesichtern wurden fast so etwas wie sein „Markenzeichen“.

Raoul Dufy

Einen wiederum völlig anderen, sehr wechselhaften Verlauf nahm Raoul Dufys (1877 – 1953) rheumatische Erkrankung. Der französische Maler des Fauvismus, der 1937 das mit 600 m²  größte Bild der Welt „La Fée Electricité“ zur Weltausstellung schuf, wurde 1935 im Alter von 58 Jahren vom Rheuma erwischt. Sein Glück im Unglück war, dass  1950  der Bostoner Arzt Dr. Homburger in einer Kunstzeitung über ihn von  seinem Rollstuhlschicksal lass, und anbot, ihn mit der neuen Cortison-Therapie zu behandeln. Die Therapie war zunächst sehr erfolgreich. Schon innerhalb weniger Tage wurde er mobil, begann wieder zu malen, konnte Farbtuben selbst ausdrücken. Aber es gab Komplikationen. Er entwickelte das typische angeschwollene Cortinson-Gesicht, das so genannte Chushinggesicht. Er bekommt Osteoporose und ein Abszess am Gesäß. Dufy, so Prof. Zeidler, war einer der ersten mit Kortison behandelten Patienten, weswegen auch noch nicht viel über die Nebenwirkungen bekannt war. Zunächst verlief also seine Behandlung recht erfolgreich. Dufy konnte ohne erkennbare Veränderungen weiter malen. Aber es  gab schwere, später gar tödliche Nebenwirken wie innere  Darmblutungen. Diese wurden verursacht durch die gleichzeitige Gabe von    „hochdosiertem Aspirin“ und „Kortison“.

Niki des Saint Phalle

Niki des Saint Phalles Exponat der aktuellen Ausstellung NIKI DE SAINT PHALLE 3. FEBRUAR – 21. MAI 2023 in der Schirn  Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow
Niki des Saint Phalles Exponat der aktuellen Ausstellung NIKI DE SAINT PHALLE
3. FEBRUAR – 21. MAI 2023 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow

Niki des Saint Phalle (1930 – 2002) war eine der populärsten Künstlerinnen ihrer Generation. Sie startete 1953 nach einem Nervenzusammenbruch ihre Künstlerkarriere. Das Ex-Modell wurde zunächst mit ihren Schießbildern und später mit ihren großformatigen Frauenfiguren, den Nanas, weltberühmt. In ihrer Selbstwahrnehmung der Krankheit glaubte Niki des Saint Phalles stets, dass vor die giftigen Dämpfe, die beim Schneiden von Styropor für ihre Großfiguren entstanden,  „ihre Lungen verätzt“ hätten. Professor Zeidler fand beim Studium ihrer Krankenakte jedoch heraus, dass Niki des Saint Phalles Leiden schon viel weiter in ihrer Biographie zurückreichte: So litt die Künstlerin  seit 1949 nach einer Bilddarmentzündung bereits unter schweren Atemproblemen, 1958 wurde eine erste Diagnose Pneumonie gestellt. Und, was auch kaum bekannt ist: Niki des Saint Phalles litt an einem angeborenen selektiven Immunglobulin-A-Mangel. Dies war eventuell eine der Hauptursachen ihres lebenslangen Leidensweges, so Prof. Zeidler. Denn zirka 30 Prozent der von diesem Immundefekt Betroffenen (1 zu 1000) leiden verstärkt unter Infektionen wie Sinusitis, Bronchitis, Lungenentzündung, manch einer auch unter Durchfall und  Autoimmunkrankheiten wie z.B. Lupus, rheumatoide Arthritis, Immunthyreoiditis, Morbus Crohn.

Die Lungenerkrankung beeinflusste auch Niki des Saint Phalles  künstlerisches Schaffen. Beispielsweise entstanden, nachdem sie in St. Moritz wieder gelernt hatte, frei durchatmen, ab 1979 ihre ersten berühmten Luftskulpturen „Skinnies“. Und nicht von ungefähr lebte Niki des Saint Phalles wegen des für ihre Lunge angenehmen Klimas am Ende ihres Lebens in San Diego, Kalifornien. Hier schuf sie ihren, von indianischen und mexikanischen Symbolen inspirierten Park „Califa“. Diesen konnte sie nicht mehr vollenden. Sie verstarb nach fünfmonatigem Klinikaufenthalt 2001 an akutem Atemnotsyndrom infolge ihrer Pneumonie.

Selten erhielt ein Vortragsredner einen solch lang andauernden Applaus wie Professor Dr. med. Henning Zeidler für seine hochinteressanten Ausführungen zum Auftakt des Patiententages.

Patiententag 

patiententag-2023Der Patiententag am Samstag, 22. April, von 9.30 bis 16 Uhr im Rathaus, Schlossplatz 6, war traditionell gut besucht und gab Laien wie Fachleuten Auskunft zu aktuellen Gesundheitsthemen. Vertreten waren Ärzte, Gesundheitsexperten von medizinischen und pflegerischen Einrichtungen sowie Vertreter von Selbsthilfegruppen. Einige der Vorträge wurden als Hybridveranstaltung durchgeführt und live ausgestrahlt.

(Diether von Goddenthow /Rhein-Main. Eurokunst)