129. Internisten-Kongress zum aktuellen Wandel der Medizin – Übergewicht, Stoffwechsel und Immunsystem bilden eine unheilige Allianz, aber auch Ansatz für neue Therapien

Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow
Endlich wieder ohne Corona kann der Internisten-Kongress im Wiesbadener RheinMain-KongressCenter stattfinden. Für Entspannung während des eng getakteten Kongress-Programms sorgen vielfältige kulturelle Angebote. © Foto Diether von Goddenthow

Während  Bürger  am Patiententag im Wiesbadener Rathaus von Experten, Organisationen des Gesundheitswesens und Selbsthilfegruppen  medizinisch-praktischen Rat einholen konnten, eröffnete der 129. Internisten-Kongress   Wiesbaden. Noch bis zum 25.04. 2023  werden wieder mehrere tausend Ärzte neueste Erkenntnisse und Entwicklungen zu zentralen Themen der Inneren Medizin untereinander austauschen.  Ein Schwerpunkt  galt am Samstag, 22.04.23,  unter anderem dem Gegenstand aktueller Forschung wie sehr  starkes Übergewicht als ein  Risikofaktor mit einen schweren Verlauf der Infektionskrankheit COVID-19 zusammenhängen?   Es könnte, so der Forschungsstand, an der engen Interaktion zwischen Stoffwechsel und Immunsystem liegen –dieser Zusammenhang wird von Forschenden nicht nur bei der „COVID-19-Verlaufsfrage“ zunehmend in den Blick genommen. Bekannt ist schon länger: Adipositas, insbesondere das viszerale Fett, löst eine chronische Entzündung im Körper aus, und betrifft somit auch das Immunsystem. Expertinnen und Experten bezeichnen Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes deshalb inzwischen auch als chronischentzündliche Erkrankungen. Warum Fettstoffwechsel und Immunsystem sich gegenseitig so stark beeinflussen und wie dies neue Therapieansätze für die Folgeerkrankungen von Übergewicht ermöglichen könnte, ist Thema der heutigen Kongress-Pressekonferenz sowie des Symposiums „Novel concepts in obesity-related metabolic diseases” im Rahmen des Internistenkongresses 2023.

Evolutionär haben Stoffwechsel und Immunsystem einen gemeinsamen Ursprung. „In einfachen Lebewesen wie etwa der Fruchtfliege lässt sich erkennen, dass es Interaktionen zwischen immunologischen und metabolischen Signalwegen gibt“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Schäffler, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Gießen. Diese sogenannten Crosstalks seien bis heute auch beim Menschen erhalten geblieben. „In unserem menschlichen Organismus steuern identische Moleküle sowohl Stoffwechsel- als auch Entzündungsvorgänge.“ Die enge Verknüpfung ist oft wichtig und nützlich: So versorgen Zellen des Fettgewebes bei einer akuten Infektion oder Entzündung die Immunzellen mit Energie, um die Immunreaktion zu unterstützen. Vice versa bewirken Erkrankungen, die den Stoffwechsel betreffen, Reaktionen im Immunsystem,wie etwa erhöhte Entzündungswerte.

Großes Interesse an den neuesten Erkenntnissen der Inneren Medizin und gutbesuchte Veranstaltungen /Vorträge kennzeichnen den 129. Internistenkongress. © Foto Diether von Goddenthow
Großes Interesse an den neuesten Erkenntnissen der Inneren Medizin und gutbesuchte Veranstaltungen /Vorträge kennzeichnen den 129. Internistenkongress. © Foto Diether von Goddenthow

Problematisch wird die enge Interaktion, wenn Fettgewebe, insbesondere im Bauchraum, das normale Maß überschreitet. Die erhöhte Aktivität der Fettzellen lässt Makrophagen, also Zellen des Immunsystems, in das Gewebe einwandern. „Dies führt zu einer leichten aber fortwährenden chronischen Entzündungsreaktion, die sowohl im lokalen Fettgewebe als auch im gesamten Körper auftritt.“ Das zeige sich dann im Blut unter anderem durch einen Anstieg des C-reaktiven Proteins, auch „Adipositas-CRP“ genannt. Zudem kommt es zur Insulinresistenz, bei der die Zellen Insulin nicht mehr ausreichend aufnehmen können und somit der Blutzucker steigt. Diese durch den Stoffwechsel (Metabolismus) ausgelöste lokale und systemische Entzündungsreaktion (Inflammation) bezeichnen Forschende als „Metaflammation“. „Die chronische Aktivierung des Immunsystems hat eine reduzierte Infektionsabwehr zur Folge, aber auch Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, metabolisches Syndrom und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfälle“, erklärt Schäffler.

Praxisnahe vor Ort-Präsentationen gibt es bei der Industrieausstellung in der Halle Süd. © Foto Diether von Goddenthow
Praxisnahe vor Ort-Präsentationen gibt es bei der Industrieausstellung in der Halle Süd. © Foto Diether von Goddenthow

„Metaflammation“ ist aber auch zum Ansatz für die Erforschung neuer Behandlungsmethoden ebendieser Erkrankungen geworden. Die Idee: Mittels Kontrolle der Entzündungsreaktion die Risiken für die Folgeerkrankungen der Adipositas zu reduzieren. „Zu den wichtigsten Studien gehören dabei zwei Arbeiten aus 2017 und 2019“, erklärt Schäffler. Der CANTOS Trial 2017 war die erste prospektive, randomisierte, klinische Phase-III-Studiean über 10 000 Patientinnen und Patienten. Hierbei wurden Hochrisikopatientinnen undpatienten aufgenommen, die einen Myokardinfarkt erlitten hatten und ein erhöhtes CRP aufwiesen. Sie bekamen den entzündungshemmenden Antikörper Canakinumab. Zwar konnte das Diabetesrisiko dadurch nicht vermindert, dafür aber die kardiovaskuläre Sterblichkeit deutlich reduziert werden. „Hingegen zeigte sich im CIRT-Trial von 2019, bei dem adipösen Patienten eine anti-entzündliche und das Immunsystem unterdrückende medikamentöse Therapie mit dem Wirkstoff Methotrexat erhielten, keine kardioprotektive Wirkung.“ „Das zeigt, dass wir noch viel mehr Erkenntnisse darüber erlangen müssen, wie genau – auf Ebene der Organe, Zellen, Organellen – die immuno-metabolische Schnittstelle funktioniert“, so Schäffler. „In Zukunft könnten molekular maßgeschneiderte anti-entzündliche Therapien ein wichtiger neuer Therapieansatz sein, mit einem ganz neuen Wirkmechanismus als die bisherigen Therapien des metabolischen Syndroms – nämlich über das Immunsystem.“