Die erste deutsche Demokratie, die es gab, war die Mainzer Republik. Sie wurde 1793 ausgerufen vom Balkon des Deutschhauses aus durch den Philosophen und Revolutionär Andreas Joseph Hofmann (1752 – 1849). Aufgrund ihrer historischen Bedeutung für die deutsche Demokratiegeschichte ist diese Mainzer Republik am 11. April 2024 während einer Festveranstaltung am historischen Ort – unterhalb des besagten Balkons vom Landtag Rheinland-Pfalz – als „Ort der rheinland-pfälzischen Demokratiegeschichte“ ausgezeichnet worden.
Landtagspräsident Hendrik Hering und Bernhard Kukatzki, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, enthüllten gemeinsam vor dem Deutschhaus, dem heutigen Landtag Rheinlandpfalz, als Symbol dieser wichtigen Auszeichnung ein stählernes Rednerpult mit dem Text darauf: „Mainzer Republik 1793. Ort der Rheinland-Pfälzischen Demokratiegeschichte“.
Es gibt in Deutschland kein Parlamentsgebäude mit einer solchen demokratischen Tradition wie das Deutschhaus“, so der Landtagspräsident. Bei allen historischen Ambivalenzen aus heutigem Verständnis heraus, habe erstmals „in deutscher Sprache stattgefunden, was wir heute als modernes Parlament betrachten“.
Es habe in der Mainzer Republik bereits eine Art Geschäftsordnung gegeben, es haben Sitzungen stattgefunden, es wurden Protokolle geschrieben und so weiter. „Also alles, was wir in moderner Parlamentsarbeit kennen, dass hat es in der Mainzer Republik schon gegeben“, so Hering. Dieses symbolische Pult solle auch dazu beitragen, dass Besuchergruppen und alle, die im Mainzer Landtag arbeiteten, die Idee hinter der Auszeichnung, nämlich dass Rheinland-Pfalz das Bundesland mit der reichhaltigsten Demokratiegeschichte in Deutschland sei, „mit einer gewissen Euphorie und Selbstbewusstsein mit nach außen tragen und deutlich zu machen, in welch einem historischen Ort sie tätig seien. Die Mainzer Republik war der Beginn eines ersten Demokratie-Versuchs auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Hinzu kämen weithin bekannte Ereignisse wie das Hambacher Fest oder die Rittersturz-Konferenz. Aber es gebe auch viele weniger bekannte und kaum erschlossene Demokratieorte in Rheinland-Pfalz, denen man künftig wieder mehr Aufmerksamkeit verleihen wolle. „Damit die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät, muss sie an den mit ihr verbundenen Orten auch erfahrbar sein“, so der Landtagspräsident.
„Nach der heutigen Auszeichnung werden wir in die Pfalz gehen und werden Bergzabern und die dortige Republik auszeichnen, und dann geht es weiter mit den anderen Orten“, so Hering.
Begleitet wurde die Verleihung durch eine Festveranstaltung im Landtag von Rheinland-Pfalz, dem Haus, in dem 1793 die revolutionären Mainzer die Republik ausriefen. Hier tagte zudem der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent, das gesetzgebende Organ der Mainzer Republik. Die Mainzerinnen und Mainzer, die am 18. März 1793 das erste Demokratie-Experiment in Deutschland ausriefen, hatten sich den Idealen von Freiheit und Gleichheit verschrieben. Doch der von der Französischen Revolution inspirierte Versuch scheiterte bereits nach wenigen Monaten mit der Niederlage der französischen Revolutionsarmee in und um Mainz. Schon am 23. Juli 1793 wurde in Mainz der vorrevolutionäre Zustand wiederhergestellt.
Die Veranstaltungsreihe ist eine Kooperation von Landtag und der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB) Rheinland-Pfalz. Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Bernhard Kukatzki sagte: „Die Erinnerung und die Beschäftigung an und mit der Mainzer Republik schärft den Blick dafür, wie mühsam der Weg in die heutige Selbstverständlichkeit von Freiheit und Demokratie war. Und sie macht gleichzeitig bewusst, dass Freiheit und Demokratie täglich neu begründet und erworben werden muss. Mit dem Landtag hat die LpB einen Partner, mit dem sie in den kommenden Jahren immer wieder gemeinsame Veranstaltungen zum Thema Demokratiegeschichte, Demokratiebildung und Partizipation anbietet.“
Exkursion durch die Zeit der Mainzer Republik
„Wir möchten Sie heute einladen auf eine kleine Exkursion“, grüßte der Schauspieler Tino Leo in seinem Stück „Die Mainzer Republik – Frei leben oder sterben“ die Anwesenden im Plenarsaal des Landtags. „Treffen Sie auf außergewöhnliche Persönlichkeiten und mutige Bürger, die für unsere Menschen- und Freiheitsrechte gekämpft haben. Aber werden Sie auch Zeuge von List und Verrat.“ Sämtliche Persönlichkeiten spielte der Schauspieler dabei selbst und erweckte damit die kurzlebige Mainzer Republik für einen Augenblick wieder zum Leben.
„Die Tatsache, dass es schon Ende des 18. Jahrhunderts eine freiheitliche Demokratie auf deutschem Boden gab, ist faszinierend. Wer weiß, wohin sich das noch hätte entwickeln können, hätten die Ideen damals mehr Zeit gehabt, sich zu etablieren und zu verbreiten. Es war definitiv eine Pionierleistung, die man würdigen sollte“, erläuterte der Journalist Mirko Drotschmann („MrWissen2Go“) im Rahmen der Abendveranstaltung. „Andererseits: Diese Demokratie gab es nur, weil sie mit Eroberung, Propaganda und Zwang durchgesetzt wurde“, so Drotschmann.
Talk über das 1793er Demokratie-Experiment
Über die Interpretation der Geschehnisse in Mainz gegen Ende des 18. Jahrhunderts diskutierten die Historikerin Sarah Traub (Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte), Landtagspräsident Hendrik Hering, der Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung, Bernhard Kukatzki, sowie der auf YouTube und Twitch als „Geschichtsfenster“ bekannte Andrej Pfeiffer-Perkuhn. Sie sprachen über dieses frühe Demokratie-Experiment sowie darüber, wie Demokratiegeschichte für alle spannend vermittelt werden kann. Durch den Abend führte die Moderatorin Kim-Noemi Adam, die auch als Streamerin „Freiraumreh“ bekannt ist.
Es sei natürlich schwierig die Mainzer Republik von 1793 mit unserem heutigen Demokratieverständnis zu vergleichen, so Sarah Traub, Historikerin und Referentin in der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte; „denn diese frühen demokratischen Gehversuche von damals mit dem heutigen Maßstäben an unsere modere Demokratien zu messen, ist unglaublich schwierig“. Man müsse schon die Bewertung auch aus den damaligen Möglichkeiten heraus machen. Man müsse sich mal wirklich vorstellen: „wir reden von der Zeit, als es einen Kurfürsten gab, einen Kurfürst, und alle Menschen waren Untertanen, und plötzlich kann man wählen, plötzlich ist man ein freier mündiger Bürger, darf abstimmen“, zumindest alle freien Männer über 21 Jahre. Frauen durften da noch nicht abstimmen. Aber es sei natürlich „ein unglaublicher Schritt von diesem Untertanen zum mündigen Bürger. Das ist wirklich sehr revolutionär“. Diese Leute – aus ihrer Zeit heraus betrachtet – „hatten keine Vorbilder“. Wenn wir heute über diese Dinge redeten, „dann sind das teilweise auch unsere Vorbilder. Das hatten diese Menschen damals noch nicht. Sie waren politische Wegbereiter und wirklich im wahrsten Sinne des Wortes ‚Revolutionäre'“. so Traub.
Die Auszeichnung „Ort der rheinland-pfälzischen Demokratiegeschichte“ wird zweimal jährlich verliehen. Dabei werden zentrale Orte der Demokratiegeschichte des Bundeslandes ausgezeichnet. 2024 sind als erste Orte die Mainzer und die Bergzaberner Republik an der Reihe.
(Landtag Rheinland-Pfalz /Diether v. Goddenthow)