Schirn widmet der Königin des Abstrakten Expressionismus, Lee Krasner, erste deutsche Überblicksschau

Lee Krasner vom  11.10.2019 bis 12.01.2020 in der Schirn. ©  Foto: Diether  v Goddenthow  Kunsthalle Frankfurt
Lee Krasner vom 11.10.2019 bis 12.01.2020 in der Schirn. © Foto: Diether v Goddenthow
Kunsthalle Frankfurt

Nachgesagt wird ihr, sie habe keine Angst gekannt. Aber gemalt hat sie mit einem Tempo  wie jemand, der ewig auf der Flucht ist. Diese Rastlosigkeit war es, die sie triebt, Lee Krasner, die nachts lieber arbeitete als ihre Schlaflosigkeit ertragen zu müssen. Vielleicht hat das – psychologisch betrachtet – etwas mit der Herkunft ihrer Familie zu tun. Diese war aus der Nähe von Odessa, Russland (heute Ukraine), vor den brutalen Judenverfolgungen und dem Russisch-Japanischen Krieg nach Amerika geflohen und Lena Krasner war das erste Kind der Familie, das in Brooklyn, New York, geboren wird, am 27. Oktober 1908.  Vielleicht haben die Traumata ihrer Eltern auch in ihrer Kinderseele  Spuren hinterlassen, gar zu einer unstillbaren inneren Leere beigetragen, die sie unentwegt antrieb,  zunächst aus der Enge der tradierten Vorstellungen ihrer zutiefst gläubigen Familie und später zu ihrem  unentwegten Schaffen. Sie wollte frei sein, unabhängig sein, ihr Leben selbst bestimmt in die Hand nehmen.  Bereits im Alter von 14 Jahren  bewarb sie sich   an der Washington Irving High School in Manhattan, der einzigen öffentlichen Schule im Großraum New York, die einen Kunstkurs für Mädchen anbot. Damit begann  das turbulente kreative Leben der Künstlerin, die  später als Pionierin des abstrakten Expressionismus gefeiert wurde.

The Eye ist the First Circle, 1960. Der Kreis ist für Lee Krasner auch Symbol ewiger Wiederkehr, für die Kreisläufe in der Natur, für die es keinen Anfang und Ende gibt. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
The Eye ist the First Circle, 1960. Der Kreis ist für Lee Krasner auch Symbol ewiger Wiederkehr, für die Kreisläufe in der Natur, für die es keinen Anfang und Ende gibt. © Foto: Diether v Goddenthow

Und endlich, nach nunmehr mehr gut  50 Jahren ist Krasners Werk erstmals wieder  in einer großen Retrospektive  in Europa zu sehen, nämlich vom 11.10. 2019 bis 12.01.2020 in der Schirn
Kunsthalle Frankfurt.

Präsentiert werden dabei die Hauptwerke der Künstlerin, darunter Gemälde, Collagen und Zeichnungen, sowie Fotografien und Filmaufnahmen dieser Zeit. Die Ausstellung erzählt die Geschichte einer der unbeirrbarsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts und zeigt Krasners Gesamtwerk, das ein halbes Jahrhundert umfasst: Selbstporträts aus den 1920er-Jahren, Aktdarstellungen in Kohle, Werkgruppen, wie etwa die geometrischen Little Images aus den 1940er-Jahren oder wegweisende Gemälde der Prophecy-Reihe aus den 1950er-Jahren, experimentelle, großformatige Werke der Umber- und Primary-Serie der 1960er-Jahre und späte Collagen der 1970er-Jahre.

Zielstrebig nahm Krasner bereits während des High-School-Besuchs Kunstunterricht,  studierte unter anderem  in New York an der Cooper Union, der National Academy of Design, und wechselte 1937 zu Hans Hofmann,  dem einzigen Experten für europäischen Kubismus, an dessen School of Fine Arts.  Hier fand sie zu ihrem, zunächst eigentlichen Stil.  Sie war aktives Mitglied der American Abstract Artists und pflegte Freundschaften zu Ray Eames, Ashile Gorky und Willem de Kooning. Im New York der 1940er-Jahre bewegte sie sich neben Künstlern wie Mark Rothko, Barnett Newman, Stuart Davis und Jackson Pollock im Zentrum der sich neu herausbildenden Kunstrichtung des abstrakten Expressionismus, auch New York Style genannt. Mit unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen suchte diese junge Künstlergeneration nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue bildnerische Sprache durch eine spontane, abstrakte Arbeitsweise sowie die Abkehr von europäischen Bildtraditionen. Lee Krasners Kunst stand lange im Schatten ihres Ehemanns Jackson Pollock, der mit seinen Drip Paintings einer der Hauptvertreter des Action Painting ist. Beide lebten und arbeiteten ab 1945 in einem einfachen Holzhaus in Springs, Long Island. Nach Pollocks frühem Tod bei einem Autounfall 1956 entschied sich Krasner, sein Atelier in einer umgebauten Scheune zu nutzen, und leitete damit eine neue Phase ihrer künstlerischen Karriere ein. Erstmals konnte sie auf monumentalen, nicht aufgezogenen Leinwänden arbeiten. Es entstanden einige ihrer bedeutendsten Werke, die Schirn zeigt u. a. Polar Stampede (1960), Another Storm (1963) oder Portrait in Green (1969). Anders als andere Künstler dieser Zeit, die ebenfalls ungegenständlich malten, entwickelte Krasner nie einen „signature style“, sondern reflektierte ihre Praxis mit dem Anspruch, ihre Bildsprache stets neu zu erfinden.

©  Foto: Diether  v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Für die Ausstellung konnte die Schirn Leihgaben aus zahlreichen internationalen Museen, öffentlichen und privaten Sammlungen gewinnen und in Frankfurt zusammenführen, u. a. der Pollock-Krasner Foundation, dem Metropolitan Museum of Art, dem San Francisco Museum of Modern Art, der National Gallery of Washington, dem Whitney Museum of American Art, dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, dem Philadelphia Museum of Art und dem Jewish Museum, New York. Viele der Werke sind erstmals in Deutschland zu sehen, wie etwa das monumentale, über vier Meter lange Gemälde Combat (1965) aus der National Gallery of Victoria in Australien.

Die Ausstellung „Lee Krasner“ wird von der Art Mentor Foundation Lucerne ermöglicht. Zusätzliche Unterstützung erfährt die Ausstellung durch die Terra Foundation for American Art. Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, sagt: „Lee Krasner ist eine der wichtigsten Malerinnen der US-amerikanischen Nachkriegsmoderne und dennoch hat ihr Werk lange nicht die verdiente Aufmerksamkeit erfahren. Es erstaunt, dass unsere Ausstellung ihre erste Retrospektive in Europa nach über 50 Jahren ist. Die noch immer oft vorrangig als männlich wahrgenommene Kunst des abstrakten Expressionismus erfährt mit dieser Würdigung Krasners eine lange überfällige Neubewertung. Und für unser Publikum ist die Schau in der Schirn eine einmalige Gelegenheit die Werke der Künstlerin im Original zu erleben, denn nur wenige ihrer großformatigen Werke befinden sich in europäischen Sammlungen.“

©  Foto: Diether  v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Eleanor Nairne, Barbican Art Gallery, London und Dr. Ilka Voermann, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Kuratorinnen der Ausstellung, erläutern: „In Zyklen arbeitend griff Lee Krasner immer wieder auf frühere Serien zurück und entwickelte daraus neue künstlerische Ausdrucksformen. Mit bemerkenswerter Energie und Freiheit blieb sie ihrem eigenen Geist treu. Unsere Ausstellung zelebriert Krasners künstlerische Wandlungsfähigkeit und stellt den Facettenreichtum ihrer Kunst sowie ihren bedeutenden Beitrag zum abstrakten Expressionismus vor.“

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
Römer­berg
D-60311 Frank­furt am Main
Tel +49 69 299882-0
Fax +49 69 299882-240
welcome@​SCHIRN.​de