Senckenberg-Projekt will Museen und Besucher in Malawi, Georgien und Deutschland vernetzen

Cultural & Museum Centre Karonga in Malawi, Georgian National  Museum in Tiflis und Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt © senckenberg-museum
Cultural & Museum Centre Karonga in Malawi, Georgian National
Museum in Tiflis und Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt © senckenberg-museum
Hello Malawi und Georgien!
Neues Projekt will Museen und Museumsbesucher in Malawi, Georgien und Deutschland vernetzen

Frankfurt, den 16.10.2015. Migrationshintergrund? Alle auf der Welt lebenden Menschen sind Nachkommen von Auswanderern, die vor etwa 100.000 Jahren Afrika, die Wiege der Menschheit, verließen.

Das neue Projekt „Museum3 – Integration durch Interaktion“, eine Kooperation zwischen dem Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main, dem Cultural & Museum Centre Karonga in Malawi und dem Georgian National Museum in Tiflis, greift diese Tatsache auf. Es soll das Wissen um die gemeinsame Herkunft, das gemeinsame Erbe und die Anfänge der Kulturen den Museumsbesuchern näher bringen und die drei Museen sowie deren Besucher untereinander vernetzen und ins Gespräch bringen. Über die Crowdfunding-Initiative „KulturMut“ der Aventis Foundation sammeln die Projektpartner noch bis 10. November 2015 unter www.startnext.com/museumhoch3 Spenden für die Realisierung des Vorhabens.

Was wäre, wenn Besucher des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt auch einen Blick in das Cultural & Museum Centre Karonga in Malawi und das Georgian National Museum in Tiflis werfen könnten? Ein neues Projekt soll das möglich machen und die drei Musen und ihre Besucher via Videokonferenzanlage miteinander verbinden. Über diese Plattform können sich die Menschen über tausende Kilometer hinweg persönlich, von Angesicht zu Angesicht austauschen. Doch das Projekt wird mehr als nur diese Verbindung bieten, denn der Austausch soll auch museumpädagogisch begleitet werden, um Gespräche anzuregen, Diskussionen zu fördern und zu moderieren.

Das 3,2 Millionen Jahre alte Vormenschen-Fossil  „Lucy“ gilt als einer der Beweise für die Out-of-Africa- These und die Erkenntnis, dass wir alle letztlich  Afrikaner sind. Foto Norbert Miguletz
Das 3,2 Millionen Jahre alte Vormenschen-Fossil
„Lucy“ gilt als einer der Beweise für die Out-of-Africa-
These und die Erkenntnis, dass wir alle letztlich
Afrikaner sind. Foto Norbert Miguletz

Die Erforschung des Ursprungs der Menschheit und ihrer Ausbreitung aus Afrika ist ein zentraler Aspekt der drei beteiligten Museen in Deutschland, Malawi und Georgien und verbindendes Gesprächsthema. In drei ersten gemeinsamen Workshops in den verschiedenen Ländern vernetzen sich die Mitarbeiter der Museen miteinander und sprechen über ihre eigenen Erfahrungen sowie die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse der Besucher vor Ort, um ein Konzept zu erarbeiten. Helfen soll dabei auch eine interaktive Webseite zum Projekt, die auch den Besuchern offen steht.

„Wir beobachten zwei Entwicklungen in Museen weltweit“, sagt die Initiatorin des Projekts Anne Marie Rahn und erläutert: „Museen werden einerseits zunehmend für gesellschaftliche Diskurse genutzt, oft aber regional begrenzt. Andererseits gibt es immer mehr neue Medien in  Museen. Wir wollen beide Elemente verknüpfen. So kann eine einzigartige Interaktion, eine Wissensvermehrung und die Bildung eines differenzierten und vielschichtigen Bilds der verschiedenen Gesellschaften entstehen.“ Über die Crowdfunding-Initiative „KulturMut“ der Aventis Foundation stellen die Projektpartner auf www.startnext.com/museumhoch3 u.a. in einem Video das Projekt vor und sammeln vom 12.10. bis 10.11. Spenden für die Realisierung der ersten Schritte des Vorhabens, die Umsetzung der Workshops sowie der Website.

Mit der Durchführung des Projekts wollen die beteiligten Museen Brücken bauen und den Austausch zwischen Personen aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen und regionalen Umfeldern ermöglichen. Was verbindet uns mit Menschen in anderen Teilen der Welt? Was bewegt sie in ihrem Alltag? Wofür stehen Museen dort und wie werden sie als öffentliche Einrichtungen genutzt? Und schaffen es Museen mit ihren Ausstellungen am Puls der Zeit zu bleiben? Welche Geschichte(n) stellen sie dar? Diese und viele weitere Fragen greift das internationale Projekt „Museum3  Integration durch Interaktion“ auf. So kann ein Bewusstsein für das entstehen, was Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern miteinander verbindet – und nicht für das, was sie trennt.

KulturMut ist eine öffentliche Initiative, die vor einigen Jahren durch Startnext und die Aventis Foundation ins Leben gerufen wurde um eine transparente und partizipative Form der Kulturförderung zu ermöglichen. Bei dieser können sich Kulturschaffende, Studenten und Absolventen mit ihren Projekten um eine Förderung durch Bürgerinnen und Bürger und die Aventis Foundation bewerben. Jede Stimme kann für den Erfolg einer Initiative entscheidend sein. Alle Projekte, die beim Crowdfunding am erfolgreichsten waren, ihren gewünschten Betrag jedoch knapp verpasst haben, erhalten den noch fehlenden Betrag von der Aventis Foundation als Preisgeld – je nach Rangfolge der Projekte, bis das Budget aufgebraucht ist. Wo am Ende durch Crowdfunding und Preisgeld nicht der volle Betrag erreicht wurde, fließen die Beiträge wieder an die Unterstützer zurück. Weiter Informationen unter https://www.startnext.com/pages/kulturmut.

Kontakt:
Anne Marie Rahn
Projektleitung
„Gemeinsam Natur erleben – interkulturellen Austausch nachhaltig gestalten“ & „Natur, Kultur, Architektur – für interkulturellen Austausch“
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Tel: 069 – 7542 – 1390
mrahn@senckenberg.de

Das spannende Leben des Mainzer Bildhauers Reinhold Petermann – ein zeitgeschichtliches Dokument

Ein Autobiografischer Lebensrückblick auf das erfüllte Bildhauerleben Reinhold Petermanns

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Porträt von Reinhold Petermann auf dem Cover des  Begleitbuches zur Retrospektive zum 90. Geburtstag von Barbara Petermann

„Landläufig betrachtet bin ich ja wohl ein Künstler, aber den Begriff mochte ich eigentlich nie. Ich halte den für aufgesetzt und übertrieben und vor allen Dingen auch für zu überheblich. Also, ich sehe mich noch immer als Bub vom Land, der in seiner ganzen Freizeit Objekte, die ihn interessierten, in Holz schnitzte. Und eines Tages war es dann der weibliche Körper, und der ist mir eigentlich auch ganz gut gelungen. Ich hatte sehr viel Spaß dabei und habe jede freie Zeit genutzt, um zu schnitzen, zu zeichnen oder zu malen.

Allerdings einen Beruf daraus zu machen, wäre mir nicht in den Sinn gekommen, das war völlig absurd – aber der Krieg hat alles verändert.

Am Ende des Krieges kam ich ziemlich verwundet in englische Gefangenschaft, und als ich wieder einigermaßen zurechtgeflickt war, brachte man mich in ein Genesungslager in Edinburgh. Das war eine ganz neue Welt, denn da gab es alles, eben auch Konzerte und Theater. Für ein Theaterspiel brauchten sie so ein großes Bühnenschachspiel und es wurde ein Bildhauer gesucht. Da habe ich dreist behauptet, ich wäre einer. Ich bekam dann einen Raum mit Material und Werkzeug, habe mir Gipsblöcke gegossen und daraus das Schachspiel geschnitten. Das klappte eigentlich ganz gut. Und später brauchte man eine Weihnachtskrippe, natürlich sollte es eine aus Holz sein. Ich bekam ein wunderbares Holzbildhauerbesteck aus Sheffield-Stahl und entsprechende Holzstücke, und dann war ich dort der Bildhauer und wurde durch ganz Edinburgh gereicht. Ich habe für verschiedene Privatleute Objekte gestaltet – ein wunderschönes Leben, es war sorgenfrei, ich wurde gut verpflegt… ja, es ging mir gut.

Als ich genesen war, kam ich in ein normales Gefangenenlager. Ich war bereits avisiert und bekam in der Tischlerbaracke einen Platz, wo ich Holzbildhauern konnte. Ich bin dann jeden Morgen dahin, so wie man auch zur Arbeit geht, und habe, muss ich schon sagen, ich habe gemacht, was mir gerade in den Sinn kam.

Das Lager war unglaublich vielseitig, es gab Künstlergruppen, die malten oder Theater machten. Harald Kreuzberg, der Tänzer, was bei uns. Es wurden auch öffentliche Konzerte veranstaltet, zu denen die Zivilbevölkerung eingeladen war. An einem Theaterstück hab ich sogar selbst mitgewirkt, da war ich prima ballerina, so mit Röckchen – ich war damals noch ein gut aussehender junger Mann, also es war ein wunderschönes Leben, der Himmel auf Erden, allerdings von zuhause hatte ich noch keine Nachricht, was mich beunruhigte.

Im Sommer 1946 wurde ich entlassen, und als ich nach Hause kam und meinem Vater sagte, dass ich jetzt Bildhauer sei, dachte er, ich sei meschugge. Erst als ich nach Kreuznach fuhr und einige meiner Objekte im Kunsthandel verkaufen konnte, hat er eingesehen, dass wohl was dran sei. Ich bekam einen Sonderstatus in der Familie, also, ich war von der Feldarbeit freigestellt und habe zuhause Holz gebildhauert.

Dann las ich in der Zeitung, dass in Mainz die Kunstschule eröffnet wurde. Ich dachte, eigentlich kann ich ja alles, aber so zwei Semester Kunstschule könnten ja auch nicht schaden. Also habe ich mich angemeldet, wurde angenommen und bin dann nach Mainz übergesiedelt. Das war eine total neue Welt, Mainz war ziemlich kaputt, aber schon wieder urban und das kulturelle Leben war sehr lebendig. Das war ja auch das einzige, was frei zu haben war.

Also Konzerte, Theater, das war in. Man ging dahin, so wie man war, mit irgendwelchen abgetragenen Kleidungsstücken, das war völlig egal. Irgendwie waren ja alle Menschen gleich.

Interessant war die Bildhauerklasse an der Kunsthochschule, in die ich kam. Die Kollegen: jeder hatte so sein eigenes Leben und seine eigene Vorstellung von Kunst. Man hat viel voneinander gelernt. Meine Lehrer waren der Müller-Olm und Georg Kölner. Müller-Olm war ein moderner Künstler, für den die Form im Mittelpunkt stand, die er fast bis zur Abstraktion trieb. Das habe ich sehr bewundert.
Müller-Olm war ein progressiver Bildhauer, der bei den Nazis verpönt war und nichts werden konnte, für uns war es der Inbegriff für moderne Kunst, was er machte.

Der Kölner beherrschte das Handwerkliche in der Bildhauerei, vor allen Dingen Steinbearbeitung und Schrift, was mit sehr zugute kam, denn Schrift hat mich von Anfang an interessiert.

Also, das Leben war auf eine bestimmte Weise „einfach“. Man hatte keine sichere Ansicht über die Zukunft; im Raume stand ob wir zum Agrarstaat werden und keine Industrie mehr haben würden. Aber wir haben das nicht so sehr diskutiert. Ich hatte ein unheimlich tolles Lebensgefühl, war froh, dass wir den Krieg überstanden hatten und genoss die große Freiheit, wo man alles durfte und alles konnte. Geld spielte keine Rolle, denn es war ja nichts wert. Man konnte es auch relativ leicht bekommen. Ich hatte großen Erfolg mit meinen Holzobjekten und eigentlich immer Geld.

1947 hat Dr. Busch von der Stadtbibliothek eine Ausstellung in der Stadtbibliothek gemacht: moderne französische Malerei. Das war wie eine Offenbarung, das war etwas, was wir nicht kannten. Wir haben von früh bis spät darüber diskutiert und wir waren wie trockene Schwämme, die das alles aufgesogen haben.

Gelebt hat man ja fast ausschließlich von der Hoower-Speisung, die gab es an dem Haus in der Goethestraße, wo später das Spanische Konsulat eingezogen ist. Das Essen hat man morgens in Kübeln geholt, zum Beispiel Nudeln mit Fleischeinlage, da musste man den ganzen Tag von leben. Außerdem hatte ich noch meine Heimat im Hintergrund, wo ich zum WE immer hinfuhr. Da gab es eine kleine Landwirtschaft, auf jeden Fall lief das alles ganz wunderbar.

Das hörte schlagartig auf, als 1948 die Währungsreform kam. Dann war es schwierig, an Geld zu kommen. Man musste nach irgendwelchen Jobs suchen und es kam mir zugute, dass ich begeistert „Schrift“ gelernt hatte. Ich konnte mich bei einem Steinmetz betätigen und Schrift in Steine meißeln. Und es gab noch andere Möglichkeiten, zum Beispiel Mainzer Weinmarkt, da gab es ein vom Verkehrsverein gestaltetes Zelt, das hieß „Taberna Romana“, da habe ich mit Kollegen Arkarden mit römischen Motiven entworfen und bemalt. In dem Zelt haben Mädchen als Römerinnen gekellnert und ich war schwarz bemalt, in einem Othellokostüm, und hatte einen dicken Knüppel. Ich musste quasi für die Moral sorgen … na ja (RP lacht), es war ganz lustig.

Aber am lukrativsten war es, Fasnachtswagen zu bauen. Wir haben meist 3 Wagen gebaut, pro Wagen bekam man 3000-4000 Mark, so dass also für jeden genug Geld übrig blieb, davon konnte man ja schon fast ein Jahr überstehen. Ich kam also ganz gut über die Runden und es hätte immer so weiter gehen können. Es gab so viel Neues jeden Tag, so viele neue Erfahrungen.

Das Miteinander der 10 Leute in der Klasse lief gut. Die Kritik der Kollegen war wichtig, sie war oft effizienter als die des Lehrers. Wenn die etwas, was man gemacht hatte, mit süffisantem Lächeln betrachten, war das sehr wirkungsvoll. Jedenfalls wurde ich von Tag zu Tag bescheidener. In der Klasse von Müller-Olm habe ich begriffen, worum es überhaupt geht. Bei der Plastik ist das die Form. Die Form ist die Grammatik der Plastik. Sowie die Sprache Grammatik braucht, sonst wäre sie nur Gestammel. Erst eine gute Form erhebt ein Objekt in eine gewisse Zeitunabhängigkeit. Wenn man die Geschichte der Kunst betrachtet, haben die Ägypter Stil geprägt, aber auch andere natürlich. Und durch die Entwicklung von Stilen konnte man Meister unterscheiden. ZB war festgelegt, wie eine Madonna zu stehen hatte. Man ist heute natürlich viel freier, aber im Prinzip gelten auch heute noch die gleichen Regeln und das wird wahrscheinlich auch wohl so bleiben.

1949 kam Emy Roeder ans Institut. Emy Roeder gehörte zu den Brückeleuten mit Rottloff und Heckel und Purmann und Kirchner Sie war vor dem Krieg nach Italien emigriert und hat da den Krieg überlebt. Was sie gemacht hat, das fand ich ganz besonders und das hat mir sehr gut gefallen – und ihr gefiel auch was ich machte. Und so wurde ich bei ihr Assistent und Meisterschüler. Wir haben dann zusammen auch größere Objekte gemacht. Eine große Plastik ist ja schon schwere körperliche Arbeit und sie war eine zierliche alte Dame. Das konnte sie körperlich gar nicht schaffen. Solche Objekte habe ich für sie aufgebaut. Das war eine sehr interessante Zusammenarbeit, bei der ich viel gelernt habe. Ich habe zwar manches anders gemacht, aber mich schon nach ihr gerichtet. Sie hat bestimmt, wie etwas werden sollte.

Emy Roeder machte damals auch viele Kleinplastiken, unter anderem auch eine, das war ganz lustig, ein Portrait von dem Maler Schmitt-Rottloff, der ja auch zur der Gruppe der Brückeleute gehörte, und der im Sommer immer im Hof der Galeristin Bekka von Raths wohnte am Börsenplatz in Frankfurt. Der kam jeden Tag rüber nach Mainz und die Emy hat ihn portraitiert. Das war aber nicht ganz einfach, denn sie war nie damit zufrieden, weil er wie der Bulganin aussah, der russische Ministerpräsident. Was sie auch machte, der Schmitt Rottloff sah eben aus wie der Bulganin. Ich habe ihr dann geraten, sie solle ihm eine Baskenmütze aufsetzen, das brachte einen ganz neuen Touch ein und damit sah er dann wohl auch so aus, wie Emy sich das gewünscht hatte. Es war eine fantastische Zeit mit ihr.

Dann lernte ich meine Frau kennen, und wir wollte heiraten. Die erste Frage meiner Schwiegermutter war: „Und von was wollen Sie Ihre Frau ernähren?“ Das wusste ich natürlich nicht. Und ich hatte auch keine Ahnung, was ich darauf sagen sollte. Da kam eines Tages Emy Roeder und sagte: Der Professor Vollbach, den sie in Italien kennengelernt und mit dem sie sich angefreundet hatte, der war jetzt Direktor am Römisch-Germanischen Zentralmuseum. Der sucht jemand, der restaurieren und Repliken machen konnte. Emy meinte, ich sei versiert und kann das doch machen. Ich wollte mich aber nicht irgendwo den ganzen Tag verdingen, sondern hatte schon die Idee von einem freien Künstlerleben – wie so allgemein das Bild von Künstlern ist. Aber dann dachte ich, halbtags könnte ich es probieren. Ich ging also zu ihm und es war ganz anders, als ich mir das vorher gedacht habe. Es erwies sich als sehr interessant, ich bekam interessante Objekte und es war wie eine Idylle: es gab keinen Arbeitsdruck, man konnte frei vor sich hin probieren.

Ich habe dann noch den Kollegen Hilmar Stauder mit reingebracht und die Lucia Schmitz und wir haben die Werkstatt richtig aufgemischt. In den 1950 Jahren kamen die neuen Werkstoffe auf, die ganz neue Möglichkeiten boten, gerade auch was die Repliken betraf. Vorher gab es ja eigentlich nur Gips, der ist für die Herstellung von Plastiken gut, aber Gips hat seine Grenzen. Der Anspruch war, naturgetreue Repliken zu machen, und mit den neuen Kunststoffen konnte man das sehr gut. Man konnte die Kunststoffe transparent machen, oder elfenbeinartig, oder in Metall-look. Das war für das Museum wichtig, aber auch für die Bildhauerei. Ich habe dann auch meine Plastiken nach diesen Verfahren und mit diesen Werkstoffen gestaltet. Eines Tages kam Prof. König vom Institut für Kunst- und Werkerziehung der Uni auf mich zu und fragte, ob ich nicht an sein Institut kommen wollte, um diese Technik bei ihm weiterzuentwickeln. Ich bin dann probehalber 5 Stunden am Samstag dort gewesen. Dann habe ich noch zweimal 2 Stunden Aktzeichnen abends gemacht. Ich habe aber gemerkt, dort als Lehrer aufzutreten, das war ungleich anstrengender als mein Museumsleben. Wenn ich dann samstags nach Hause kam, war ich zu nichts mehr in der Lage, wenn ich aber vom Museum nach Hause kam, war ich topfit und konnte noch meinen Arbeitsinteressen nachgehen.

Damals war es so, dass es mit dem Wiederaufbau von RP auch Wettbewerbe für Kunstobjekte gab, von denen ich viele gewonnen habe. Das waren teilweise große Objekte, die ich da gestalten musste, das hätte ich mit der Uni gar nicht machen können. Das sprach für das Museum.

Ich war ja nun verheiratet und meine Frau arbeitete als Ärztin. Als dann meine Tochter zur Welt kam, blieb sie zuhause. Meine Frau war für mich ganz wichtig. Ohne meine Frau wäre mein Leben ganz anders verlaufen. Sie hatte einen Sinn für das Praktische und wusste, was Sache war, während ich wahrscheinlich eher in einem Wolken-kuckucksheim schwebte. Ich habe dann auch Lebensversicherungen und so was abgeschlossen, wofür ich ja sonst gar keinen Sinn gehabt hätte. Sie bildete den Stil der Familie, in der ich mich sehr wohl gefühlt habe. Die Familie war und ist mir sehr wichtig, wir haben 3 Enkel und jetzt eine Urenkelin … das ist der Halt, der für mich den Sinn des Lebens ausmacht. Meine Frau ist letztes Jahr gestorben, meine Tochter hat quasi ihre Rolle übernommen und ist sehr fürsorglich für mich – das ist ein großes Glück.

Die Familie war der Rahmen, aus dem heraus ich gestalten konnte. Ich war natürlich in erster Linie bemüht, Plastiken zu machen. Das war meine große Leidenschaft. Ich finde, Leidenschaft ist überhaupt das Wichtigste. Begabt sind viele, aber Begabung ist nicht das Wesentliche. Die Leidenschaft für eine Sache ist viel wichtiger, so dass manchmal die Unbegabten, die leidenschaftlich sind, bessere Leistungen erzielen, weil für sie immer alles abenteuerlich bleibt. Ich hatte glücklicherweise etwas von Beidem. Eine Plastik aufzubauen, das ging mir gut von der Hand. Auch wenn ich manchmal dachte, daraus wird nichts. Aber man muss das mögliche Scheitern einkalkulieren.

Von den meisten meiner Plastiken gibt es zwei Versionen. Die erste Version entsteht beim Anlegen einer solchen Plastik. Man macht eine Metallkonstruktion und nimmt dann Gips, später war das Polyesterharz und Talkum, also ein Material, das neutral war und keine eigene Schönheit hatte. Was in Gips gut war, ist in anderem Material gut oder noch besser. Man sieht im Gips jeden Fehler. Jedenfalls habe ich diese Qualität später auch mit Polyesterharz erreicht. Es gibt also eine Phase, wo das Gebilde, das ich vorhatte zu erschaffen, noch ganz abenteuerlich aussah. Es gab tiefe Einbrüche und sehr stark strukturierte Oberflächen. Das hat mich immer so fasziniert, dass ich mir davon einen Zwischenabguss machte. Dann habe ich an dem Objekt weiter gearbeitet, denn mein eigentliches Bestreben war ja, das Ganze durchzugestalten, um die sinnliche Qualität eines Körpers sichtbar zu machen, also zum Beispiel wo ein Muskel spannt, oder wo die Brust weich ist – das ergibt sich allein aus der Gestaltung der Fläche. Die Spannung an der Fläche bestimmt auch die Qualität des Objektes. Das war also schon mein Endziel, aber ich habe mich auch gefragt, warum mir das erste, eigentlich unfertige Objekt so gut gefiel. Ich kam dann darauf, dass es einfach das Morbide war, ja, das was eine Ruine ausmacht wie die Akropolis, die unser Auge anzieht.

Es kamen auch Aufträge für Großplastiken, die man nicht auf dieselbe Weise herstellen konnte wie die kleinen Objekte, sondern wo man gegen Architektur anklotzen musste. Dazu habe ich abstrakte Formen entwickelt. Meine erfolgreichste Plastik bestand aus einem System von Vierkantröhren. Ich hatte einen ganzen Baukasten aus Krümlingen und geraden Stücken, die ich kombinieren konnte. Es war für mich selbst erstaunlich, was man aus solchen, eigentlich unansehnlichen Einzelstücken für phantastische Gebilde machen konnte. Ich habe einige Wettbewerbe gewonnen, daher gibt es viele Großplastiken von mir im öffentlichen Raum.

Ich habe auch noch andere Arten von Plastiken entwickelt, zum Beispiel eine, die nur aus Strukturen bestand, so wie die Zwischenabgüsse der Plastiken, wie ich es vorhin geschildert habe. Das waren jetzt Strukturen, die entstanden durch die Eigenschaften von Polyacryl, was auch in nasser Umgebung aushärtet. Das waren aber alles Unikate – und wenn die verkauft waren, waren sie weg. Ich habe davon nur noch drei und die drei hüte ich wie einen Augapfel.

Es gab auch eine Phase, in der ich Edelstahl bearbeitet habe. Den Stahl habe ich mir auf dem Schrottplatz geholt. Meistens irgendwelche Reste, aus denen ich ganz interessante Objekte gemacht habe. Manche haben mich gefragt, wie ich dazu käme, wo ich doch sonst ganz andere Dinge gemacht hätte. Aber ich finde, der Mensch ist ein vielseitiges Wesen. Außer Gegenständen gibt es ja auch Zustände und Stimmungen. Das ist ganz selbstverständlich in der Musik und der Literatur. Die bildende Kunst tat sich schwer, so etwas auszudrücken. Dazu gibt es eben die abstrakten Formen, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Deshalb habe ich auch gerne abstrakte Objekte gemacht.
Und weil ich unabhängig war durch die Arbeit am Museum, konnte mir auch egal sein, was andere darüber gedacht haben. Ich habe immer das gemacht, was mir gefiel. Ich war insofern ein richtig freier Mensch.

Zum Schluss: es gibt noch eine Eigenart, die meine weiblichen Figuren betrifft. Die stehen oft, obwohl sie völlig nackt sind, auf Stöckelschuhen – neudeutsch: high-heels. Mmh, ja. Darauf bin ich gekommen als Aktzeichenlehrer. Aktzeichnen ist ja leider nicht das, was die meisten denken, das es wäre. Man geht zwar dahin mit Herzklopfen und denkt, das steht jetzt eine nackte Frau, die kann man ungeniert betrachten, aber nach 10 Minuten ist das die langweiligste Übung, vor der man sich im Institut am liebsten gedrückt hätte, weil keiner genau wusste, um was es eigentlich ging. Wenn man das einmal weiß, dann wird es interessant. Es geht nämlich um gar keinen Fall darum, sie einfach abzuzeichnen. Das ist der Tod und macht die Sache langweilig. Nein, man muss die Ordnung dieser Figur erkennen und diese in die eigene Ordnung übersetzen, das heißt, man muss etwas Adäquates machen, zu dem was da steht. Dann wird es spannend. Aktzeichnen war mit meine große Leidenschaft, die ich heute noch betreibe. Ich habe immer noch einen Aktzeichenkurs und es ist unglaublich, zu welchen Ergebnissen selbst unerfahrene Leute kommen können, wenn sie die Leidenschaft antreibt.

Ja, jetzt am Ende meines Lebens, wenn ich zurückblicke und wenn ich sehe, was ich alles gemacht habe, wundere ich mich manchmal über mich selbst. Wie alles gekommen ist und was möglich war – darüber bin ich glücklich und ich empfinde mich manchmal sehr privilegiert.
Ich habe ja auch Gedichte geschrieben und bei einem ist der letzte Vers:

„Wenn ich sehe, was ich vollbracht,
kommt mir manchmal in den Sinn,
ob für den, der sowas macht,
ich der richtige Umgang bin. „

Reinhold Petermann
zum 10.10. 2015

„Von der Fläche zur Form“ – Retrospektive und Buchvorstellung zu Reinhold Petermanns 90. im Eisenturm

Dagmar  Bronze 178 cm Reinhold Petermann 1968 Foto © massow-picture
Dagmar
Bronze 178 cm
Reinhold Petermann 1968
Foto © massow-picture

Am 9. Oktober 2015 wurde im Kunstverein Eisenturm Mainz mit der Ausstellung „Von der Fläche zur Form“ und Vorlesung  von Petermanns Biographie   der Reigen der  Retrospektive des Lebenswerks zum 90. Geburtstag des Mainzer Bildhauers Reinhold Petermanns eröffnet. Exponate von 1946 bis 1985 zeigen die erste Schaffenphase des Mainzer Bildhauers, beginnend mit „der Stunde Null“ nach dem 2. Weltkrieg. Am 10. Oktober 2015, folgte die Vernissage von „Tierisch – Menschlich – Skulpturen und Aquarelle (1985 bis 2015)“ in der Galerie Mainzer Kunst und seit dem 13. Oktober 2015 können Besucher in der Rathausgalerie  „Die Frau im Sessel“ und den „Flötenspieler“ und andere Werke Petermanns bewundern.

Das Begleitbuch zur Ausstellung – Werkverzeichnis von Reinhold Petermann

Das künstlerische Schaffen hat Tochter Barbara Petermann in dem wunderbaren  Begleit-Bildband „Am Anfang war das Holz. Eine Dokumentation zum 90. Geburtstag des Künstlers Reinhold Petermann“, Medien Verlag Reiser, Mainz 2015, auf 190 Seiten festgehalten. Der Buchtitel weist auf Reinhold Petermanns autodidaktischen künstlerischen Anfänge als jugendlicher  Holzschnitzer hin, wodurch sein Lebensweg vorgezeichnet war. Aber erst nach Rückkehr aus einem Edinburgher Genesungslazarett, in dem der Gefangene Petermann zum hofierten Holzbildhauer und (Weihnachtskrippen-)Schnitzer aufgestiegen war, konnte der Sohns eines Drahziehers und einer Landwirtin aus Boos (Nahe)  im Herbst 1946 an der gerade eröffneten staatlichen Mainzer Bau- und Kunstschule  als Meisterschüler Emy Roeders ausgebildet werden.   Das Buch  zeichnet  die wichtigsten biographischen Stationen eines außerordentlich erfolgreichen und erfüllten Bildhauerlebens nach und bietet eine umfangreiche Bilddokumentation  von der Holzbüste über Kunstharzreliefs, Bronzeplastiken, Eisenguss-Arbeiten bis hin zu Zeichnungen und Aquarellen. Barbara Petermann ist es bestens gelungen, eine  Biographie und ein Werkverzeichnis ihres Vaters in einem Band zu verfassen, welches sich nicht nur gut verschenken lässt, sondern insbesondere für Sammler und Studenten eine wertvolle Quelle zur Erschließung  Reinhold Petermanns Werk darstellt.

petermann-coverBarbara Petermann: Am Anfang war das Holz. Eine Dokumentation zum 90. Geburtstag des Künstlers Reinhold Petermann.
Medien Verlag Reiser, Mainz 2015,
Gebundene Ausgabe: 190 Seiten, € 24,00.
(ISBN-10: 3981482948, ISBN-13: 978-3981482942)

 

 

Buchvorstellung und Lesung mit Finissage:

3. November 2015 | 18 Uhr
Buchvorstellung: „Am Anfang war das Holz…“
Dokumentation zum 90. Geburtstag des Künstlers

14. November 2015 | 15 Uhr | Finissage
Lesung: Reinhold Petermann liest aus seinen Büchern
„Tierisch – Menschlich!“

Veranstaltungsort
Eisenturm – Kunstverein Eisenturm Mainz e.V.
Rheinstr. 59
55116 Mainz
Telefon: 06131-228559

Highlights, Friedenspreis und Buchmesse in 218 Sekunden

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Das waren die Highlights der 67. Frankfurter Buchmesse

„Kindle Storyteller Award“

Janne Teller – 39 Autoren befassen sich auf der Buchmesse um friedliche Integration von Migranten

Frankfurter Buchmesse im Zeichen des Kampfes um die „Freiheit des Wortes“ am 13. Okt. 2015 eröffnet

Deutscher Buchpreis 2015 an Frank Witzel „Die Erfindung der Roten Armeefraktion (….)“

Das europäische Verlagswesen zeigt innovative Stärke – Buchmesse 2015

Self-Publishing Area – im Fokus der Buchmesse 2015

OPEN BOOKS und ‚Literatur im Römer‘ erneut große Publikumsmagneten während der Frankfurter Buchmesse 2015

openbooks-logDas städtische Lesefest zur Buchmesse zieht auch in den neuen Räumlichkeiten tausende Besucher an

(pia) Mit einer großen Lyriknacht unter dem Titel „Teil der Bewegung“ in den Römerhallen und der OPEN PARTY im Literaturhaus ging Samstagnacht das vom Kulturamt der Stadt Frankfurt veranstaltete Lesefest OPEN BOOKS erfolgreich zu Ende.

Insgesamt fanden rund um den Römerberg über 120 Veranstaltungen mit mehr als 170 Mitwirkenden statt. Die Eröffnungsgala im Chagallsaal des Schauspiel Frankfurt dem ‘Blauen Sofa‘, auf dem unter anderem der Buchpreisträger Frank Witzel und Nora Bossong Platz nahmen, war bereits Wochen vorher restlos ausverkauft. An den Folgetagen lockte das vielseitige Programm mit den spannendsten Neuerscheinungen des Herbstes zahlreiche Besucher in die erstmals elf Veranstaltungsorte rund um den Römer. Bis auf den letzten Platz belegt waren etwa die Lesungen von Jenny Erpenbeck, Iris Radisch, Ulrich Wickert und Reinhold Messner sowie das Gespräch zwischen Jakob Augstein und Colin Crouch. Auch vor den Römerhallen, dem traditionsreichen Veranstaltungsort von ‚Literatur im Römer‘, trotzte das literaturinteressierte Publikum am Buchmessen-Mittwoch und Buchmessen-Donnerstag bereits eine Stunde vor Einlass Kälte und Regen, um die 16 besten Romane des Herbstes in kurzen Gesprächen und Lesungen präsentiert zu bekommen.

Insgesamt kamen zum städtischen Lesefest rund 12.000 Besucher. „Auch abseits des Messegeländes zeigte sich Frankfurt als Literaturstadt ersten Ranges“, zieht Kulturdezernent Felix Semmelroth Bilanz. „Die große Resonanz beweist einmal mehr, wie sehr die Frankfurterinnen und Frankfurter das abwechslungsreiche Programm aus Lyrik, Belletristik und Sachbuch, aus deutschsprachiger und internationaler Literatur zu schätzen wissen.“ Die Leiterin von OPEN BOOKS, Sonja Vandenrath, ergänzt: „Das Konzept von OPEN BOOKS, die Veranstaltungen rund um den Römerberg zu konzentrieren, hat sich erneut bewährt. OPEN BOOKS ist das große Lesefest der kurzen Wege.“

Abschlussveranstaltung – 30 Jahre Hessisches Literaturforum Mousonturm Frankfurt

Sonntag, 25. Oktober 2015
2 x 30

Literaturforum und Lars Ruppel feiern Geburtstag
Wir schreiben 1985. Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU und bereitet Glasnost und Perestroika vor, die UN ruft das „Internationale Jahr der UN“ aus, und in Wiesbaden formiert sich erstmals eine rot-grüne Koalition. Im selben Jahr erlebt Hessen zwei weitere schicksalshafte Ereignisse: das Literaturforum wird gegründet, und Lars Ruppel erblickt das Licht der Welt. Drei Dekaden später ist die Sowjetunion untergangen, die UN noch immer für jeden Spaß zu haben und Joschka Fischer von seinen Vereidigungsturnschuhen auf edles Leder umgestiegen. Literaturforum und Lars Ruppel aber machen nach wie vor, was sie am besten können: Spaß haben mit Büchern und Sprache, und an diesem Abend tun sie das aus gegebenem Anlass zusammen – man wird schließlich nur einmal gemeinsam 30. Der Marburger Wortkünstler hat sich extra dafür auf Monate in einen Wald zurückgezogen, um uns in gebotener Ruhe zwischen seltenen isländischen Moosgewächsen ein Jubiläumsprogramm auf den Leib zu schneidern. Was auf uns zukommt? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen: am Ende des Abends werden wir uns Tränen des Lachens aus den Knopflöchern reiben.

Lars Ruppel, wie das Literaturforum Jahrgang 1985, ist einer der bedeutendsten Poetry Slammer Deutschlands. 2007 gewann er mit der „Poetry-Slam-Boygroup“ SMAAT den Teamwettbewerb der deutschen Slam-Meisterschaften, 2014 schließlich wurde er zum Sieger des Einzelwettbewerbs gekührt.

Sein Engagement geht jedoch weit über Wortspiele und Performancekunst hinaus. So etablierte er in Deutschland das Projekt „Weckworte“, in dem er mit Hilfe klassischer Lyrik einen emotionalen Zugang zu Demenzpatienten schafft.

Im Rahmen der Reihe „30 Jahre Hessisches Literaturforum“.

Vorverkauf unter www.mousonturm.de
Zeit: 18 Uhr
Ort: Theatersaal im Mousonturm
Eintritt: 12,-/6,-

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 an Navid Kermani in der Paulskirche verliehen


Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 als Navid Kermani in der Frankfurter Paulskirch © massow-picture
Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015 an Navid Kermani (mitte) in der Frankfurter Paulskirche © massow-picture

Der deutsche Orientalist, Schriftsteller und Essayist Navid Kermani ist am 18. Oktober 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Die Verleihung fand vor rund 1.000 geladenen Gästen in der Frankfurter Paulskirche statt, unter ihnen Bundestagspräsident Norbert Lammert. Oberbürgermeister

Peter Feldmann hieß die Gäste im Namen der Stadt Frankfurt  herzlich willkommen „in der Paulskiche, dem Wahrzeichen unserer deutschen Demokratie zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Navid Kermani“. „In Frankfurt“, so der Oberbürgermeister weiter, „leben 720 000 Menschen: Keine Religion, die hier nicht vertreten ist. Von über 190 Nationen weltweit sind 180 Nationen in unserer Stadt vertreten, internationaler geht es nicht. Und wir kommen mit unserem Kosmos gut klar.“ Und es sei sicherlich kein Zufall gewesen, so Peter Feldmann, „dass in Frankfurt vorletzte Woche drei Tage ’25 Jahre Deusche Einheit‘ gefeiert wurde. „Deutschland kann Integration; und Frankfurt sicherlich ganz besonders.  1989 hätte es gegolten, im geeinten Deutschland  zwei Drittel Bevölkerung im Westen mit dem einen Drittel im Osten zusammenzubringen. Heute bestünde die deutsche Realität darin, dass hier zwei Drittel Bevölkerung mit deutschen Vorfahren und ein Drittel mit Wurzeln in einem anderen Land einer anderen Kultur miteinander zusammenzubringen. „Das große Projekt unserer Generation ist die europäische Einheit: Es ist eine Einheit der Werte, unserer Werte, wie die unseräußerlichen Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und selbstverständlich die repräsentative Demokratie.

Diese Werte stehen in Anbetracht der grauenhaften Geschehnisse im Nahen Osten vor einer Bewährungsprobe. Wir erleben gerade einen Stresstest für unsere Werte. Wir sind aufgerufen“, so Peter Feldmann weiter, „diese Werte konsequent zu verteidigen. Nur dann werden wir die Menschen, die derzeit zu uns fliehen, und die, die in ihren Herkunftsländern bleiben, überzeugen, die freie Gesellschaft ebenfalls zu unterstützen. “
An Navid Kermani gerichtet, sagte der Oberbürgermeister:“Wie, Herr Kermani, zeigten sich in der letzten Woche besorgt, wie zerstritten und wie unsolidarisch Europa teiweise in dieser Situation agiert. Eines dieser Rechte, für das Menschen über Jahrhunderte in diesem Europa ihr Leben riskiert haben, ist das Recht der freien Meinungsäußerung.
Unser diesjähriger Preisträger weiß aus eigener Lebenserfahrung, wie kostbar dieses Recht ist. Wir danken ihm dafür, dass er von diesem Recht unerschrocken, unermüdlich und auch radikal Gebrauch macht. Wir bewundern und unterstützen das. Lieber Herr Kermani! Lieber Preisträger! Herzlichen Glückwunsch zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels unterstrich in seinem Grußwort dass Navid Kermani uns erklärt, „wie viel die großen Weltreligionen miteinander verbindet, und er schlägt Alternativen für ein friedliches Zusammenleben vor, auch in dem Wissen um die nicht lösbare Aufgabe.“ Zudem betonte Riethmüller:“Unsere Welt braucht Vorbilder – einen aufgeklärten Bürger wie Navid Kermani. Einen, der Hölderlin und die Poesie liebt. Menschen, die uns Orientierung geben, die zeigen, dass es sich lohnt, füreinander einzustehen, sich zu engagieren, die beweisen, dass Frieden und Freiheit nur dann gelingen können, wenn man über den Rand des eigenen Horizontes blickt, wenn man sich aktiv einmischt und wenn man bereit ist, für die Freiheit und gegen ihre inneren wie äußeren Feinde einzutreten.“ Für den Stiftungsrat des Friedenspreises sei der Mensch Navid Kermani solch ein Vorbild, fuhr Riethmüller fort: „ein aufgeklärter Bürger, der Hölderlin und die Poesie liebt, der aus der Literatur und aus seiner Religiosität die Anregungen, Erkenntnisse und Kraft schöpft, die wir, angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, alle brauchen.“, so der Börsenvereins-Vorsteher, und fügte hinzu: „Der Buchhandel in Deutschland ist stolz darauf, dass mit der Verleihung des Friedenspreises an Navid Kermani ein Kosmopolit ausgezeichnet wird, der glaubwürdig und engagiert für Toleranz, Offenheit und Freiheit wirbt.“

Navid Kermani fordert in seiner Dankesrede ein entschlossenes Verhalten von Europa in Bezug auf den Krieg in Syrien: „Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen? Ich rufe nicht zum Krieg auf. Ich weise lediglich darauf hin, dass es einen Krieg gibt – und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn, uns dazu verhalten müssen, womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich. (…) Und erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden sich auch die Regierungen bewegen. Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des ‘Islamischen Staates‘ und den des Assad-Regimes.“ Der Islam führe keinen Krieg gegen den Westen. „Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die Islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartographie an die Verwerfungen des ersten Weltkrieges heranreichen dürfte“, so Kermani.

Navid Kermani nach seiner Dankesrede  © massow-picture
Navid Kermani nach seiner Dankesrede © massow-picture

Seine Kritik an Europas Verhalten: „Nur drei Flugstunden von Frankfurt entfernt werden ganze Volksgruppen ausgerottet oder vertrieben, Mädchen versklavt, viele wichtige Kulturdenkmäler der Menschheit von Barbaren in die Luft gesprengt (…) – aber wir versammeln uns und stehen erst auf, wenn eine der Bomben dieses Krieges uns selbst trifft wie am 7. und 8. Januar in Paris, oder wenn die Menschen, die vor diesem Krieg fliehen, an unsere Tore klopfen.“ Der Einsatz für die Flüchtlinge in Europa sei beglückend, aber zu unpolitisch. „Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt. Wir fragen nicht, warum unser engster Partner im Nahen Osten ausgerechnet Saudi-Arabien ist. (…) Nichts ist uns eingefallen, um den Mord zu verhindern, den das syrische Regime seit vier Jahren am eigenen Volk verübt“, so Kermani.

Zuvor sprach Kermani über das Miteinander von Christentum und Islam, über die religiöse Kultur des Islams der Geschichte, dessen Originalität, seine geistige Weite, ästhetische Kraft und humane Größe. Er erzählt die Geschichte von Pater Jacques, einem syrischen Christen, der den Islam liebt und ihn stets gerechtfertigt habe. Navid Kermani ist Muslim, er sagt: „Wer als Muslim nicht mit ihm (dem Islam) hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch hinterfragt, der liebt den Islam nicht.“ 

In seiner Laudatio stellte Norbert Miller die Literatur Kermanis in den Mittelpunkt und spannte den Bogen vom Romanschreiber über den Orientalisten, den Reporter und den Bildbetrachter bis hin zum Berichterstatter. Navid Kermanis Leben ist ein Roman, so die zentrale Aussage Millers. „Dieses Festhalten am Schreibvorgang als Lebensprogramm des Schriftstellers Kermani, der Endlichkeit entgegengehalten, begreift in sich auch alle künftigen Äußerungen. Sie alle sind, bis auf diesen heutigen Tag, Teil eines roman à faire“, so Miller.

Navid Kermani (m.) mit Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (l.) und dem Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller (r.) Copyright: Tobias Bohm
Navid Kermani (m.) mit Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (l.) und dem Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller (r.) Copyright: Tobias Bohm

„Unsere Welt braucht Vorbilder. Menschen, die uns Orientierung geben, die zeigen, dass es sich lohnt, füreinander einzustehen, sich zu engagieren, die beweisen, dass Frieden und Freiheit nur dann gelingen können, (…) wenn man bereit ist, für die Freiheit und gegen ihre inneren wie äußeren Feinde einzutreten. Für den Stiftungsrat des Friedenspreises ist der Mensch Navid Kermani solch ein Vorbild: ein aufgeklärter Bürger, der Hölderlin und die Poesie liebt, der aus der Literatur und aus seiner Religiosität die Anregungen, Erkenntnisse und Kraft schöpft, die wir, angesichts einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, alle brauchen“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins. 

In der Begründung des Stiftungsrates heißt es:
„Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2015 an Navid Kermani. Der deutsche Schriftsteller, Orientalist und Essayist ist eine der wichtigsten Stimmen in unserer Gesellschaft, die sich mehr denn je den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft stellen muss, um ein friedliches, an den Menschenrechten orientiertes Zusammenleben zu ermöglichen.
Seine wissenschaftlichen Arbeiten, in denen er Fragen der Mystik, der Ästhetik und der Theodizee insbesondere im Raum des Islam nachgeht, weisen Navid Kermani als Autoren aus, der mit großer Sachkenntnis in die theologischen und gesellschaftlichen Diskurse einzugreifen vermag.
Die Romane und Essays von Navid Kermani, insbesondere aber auch seine Reportagen aus Krisengebieten zeigen, wie sehr er sich der Würde des einzelnen Menschen und dem Respekt für die verschiedenen Kulturen und Religionen verpflichtet weiß, und wie sehr er sich für eine offene europäische Gesellschaft einsetzt, die Flüchtlingen Schutz bietet und der Menschlichkeit Raum gibt.“

Navid Kermani © massow-picture
Navid Kermani © massow-picture

Navid Kermani, geboren am 27.11.1967 in Siegen, studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft. Bereits mit seiner Dissertation „Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran“ sorgte er 1999 im Feuilleton und in der Fachpresse für Aufmerksamkeit. Neben seiner Tätigkeit als Dramaturg am Theater an der Ruhr in Mühlheim (1994/95) und am Schauspielhaus Frankfurt (1998/99) schrieb er zudem regelmäßig Literaturkritiken und Reportagen. 1994 gründete er in Isfahan das erste internationale Kulturzentrum, das infolge von Spannungen im deutsch-iranischen Verhältnis 1997 wieder schließen musste.

Nach einem Forschungsaufenthalt am Berliner Wissenschaftskolleg und der Veröffentlichung von „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ (2002) und „Schöner neuer Orient. Berichte von Städten und Kriegen“ (2003) hat sich Kermani entschieden, fortan als freier Schriftsteller zu arbeiten. Gleichwohl habilitierte er sich 2005 im Fach Orientalistik mit der grundlegenden Studie „Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte“. 2010 hielt Kermani die Frankfurter Poetikvorlesungen, ein Jahr später erschien sein Roman „Dein Name“, für den er mit dem Joseph-Breitbach-Preis (2014) geehrt wurde. 2014 analysierte er in einer vielbeachteten Rede vor dem Deutschen Bundestag anlässlich der Verkündung des Grundgesetzes vor 65 Jahren dessen normative Kraft und kritisierte zugleich die deutsche Asylgesetzgebung.

Die literarischen Arbeiten Kermanis, die im Ammann Verlag und seit 2011 im Carl Hanser Verlag erschienen sind, thematisieren wie zuletzt in „Große Liebe“ (2014) die Grundfragen und Grenzerfahrungen der menschlichen Existenz wie Liebe und Sexualität, Verzückung und Tod. Wie in „Zwischen Koran und Kafka. West-östliche Erkundigungen“ (2014) sind die Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen, im Verlag C.H. Beck herausgegebenen Bücher der Koran und die islamische Mystik. Zudem berichtet er in zahlreichen Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, die unter anderem in „Ausnahmezustand. Reisen in eine beunruhigte Welt“ (2013) erschienen sind.

Ende August 2015 erscheint sein neuestes Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ im Verlag C.H. Beck.

Für sein Werk und das gesellschaftliche Engagement hat Navid Kermani weitere Preise erhalten, darunter Hessischer Kulturpreis (2009), Hannah-Arendt-Preis (2011), Buber-Rosenzweig-Medaille (2011), Heinrich-von-Kleist-Preis (2012), Kölner Kulturpreis (2012), Cicero-Rednerpreis (2012) sowie den Gerty-Spies-Literaturpreis (2014).

Navid Kermani lebt seit 1988 in Köln und ist mit Katajun Amirpur verheiratet, die als Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Hamburg lehrt. Das Paar hat zwei Töchter.

Seit 1950 wird der Friedenspreis vergeben
Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren neben Amos Oz und Albert Schweitzer unter anderem Astrid Lindgren, Václav Havel, Siegfried Lenz, Susan Sontag, David Grossman, Boualem Sansal, Swetlana Alexijewitsch und im vergangenen Jahr Jaron Lanier. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. 

 

Zusammen sammeln: Collection Day im Deutschen Filmmuseum am 24. Okt. 2015

collection-dayZusammen sammeln: Collection Day im Deutschen Filmmuseum
Samstag, 24. Oktober, 10 bis 14 Uhr

In Vorbereitung auf die nächste Sonderausstellung Zusammen sammeln, bei der Film-Erinnerungen  Besucherinnen und Besucher des Deutschen Filmmuseums im Mittelpunkt stehen, veranstaltet das Deutsche Filmmuseum Frankfurt am Samstag, 24. Oktober, 2015 einen Collection Day im Foyer des Deutschen Filmmuseums

Bei der partizipativen Ausstellung „Zusammen sammeln“, die vom 2. März bis 16. Mai 2016 geplant ist, sollen Kino- und Filmerinnerungen der Besucherinnen und Besucher des Deutschen Filmmuseums ins Zentrum gerückt werden. Das heißt: Jeder, der möchte kann Erinnerungsstücke an Kinobesuche, besondere Filme, besondere Kinokarten, Bilder oder was immer er/sie für zeigenswert hält beim Filmmuseum  online oder telefonisch ankündigen bzw. einreichen. (z.B. Geschichten über Erlebnisse, gescannte Eintrittskarten oder Sammelbilder) werden.

Wer seine Schätze am liebsten persönlich ins Museum bringen möchte, ist herzlich zum ersten Collection Day am Samstag, 24. Oktober, von 10 bis 14 Uhr eingeladen: Mitarbeiter des Hauses nehmen Ausstellungsobjekte hier persönlich entgegen und freuen sich auf die Geschichten und Erinnerungen, die damit in Zusammenhang stehen.

Das Poster von CLOCKWORK ORANGE, das schon fünf Umzüge überlebt hat; die jährlich wachsende Ticket-Sammlung sämtlicher Kino-besuche, versehen mit persönlichen Notizen; der Schnappschuss mit dem Lieblings-Schauspieler Elyas M’Barek bei einer zufälligen Begegnung in einem Berliner Café: all diese persönlichen Geschichten werden Teil der Ausstellung im Deutschen Filmmuseum. Zusammen sammeln zeigt so, welchen Einfluss Filme auf unser Leben nehmen, und auf welche Weise wir uns erinnern.

Hessisches Kulturerbe auf Film bewahren
Den Collection Day nutzt das Deutsche Filminstitut außerdem, um private Filmaufnahmen einzusammeln, die als historische Dokumente bewahrt werden sollen: Gesucht wird analoges Filmmaterial (z.B. 16mm, 8mm oder Super-8) von Privatpersonen, Amateurfilmern und Heimat- und Geschichtsvereinen aus allen Regionen Hessens: filmische Erinnerungen an Bürgerfeste, Einschulungen, oder Sportveranstaltungen, Stadt- und Landschaftsaufnahmen, historische Ereignisse und Alltagsszenen. Das Deutsche Filminstitut möchte diese Aufnahmen als wichtige Bestände des hessischen Kulturerbes sichern.

Eine vorherige Anmeldung zum Collection Day ist nicht notwendig, alle Sammler von Erinnerungen an persönliche Filmerlebnisse sind herzlich willkommen. Mehr zur Ausstellung unter www.zusammen-sammeln.de.

Fotoausstellung im ZBK Mainz – Brückenturm: „Ganz rein! Jüdische Ritualbäder“

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Jüdische Ritualbäder © Peter Seidel

(des) – Oberbürgermeister Michael Ebling und der Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, Gerold Reker, eröffneten gestern gemeinsam die Ausstellung „Ganz rein! Jüdische Ritualbäder“.

Die Ausstellung zeigt Fotografien von Peter Seidel und ist bis Anfang November im Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz zu sehen.

Die Mikwe, wörtlich „Wassersammlung“, ist ein jüdisches Tauchbad, das der rituellen Reinigung von Körper und Geist dient. Für die jüdische Religion haben die Bäder die gleiche Bedeutung wie Synagogen. Grundwasser ist der Ursprung dieser intimen Orte, daher sind sie eher im Verborgenen zu finden. Der Frankfurter Fotograf Peter Seidel hat diese Räume unterhalb der Alltagsoberfläche erforscht und ins Fotografische übersetzt. Von 1990 bis 2011 fotografierte er Mikwen in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und Deutschland. Seidels Fotografien sind dokumentarisch-konzeptionell und versuchen, die „Heiligkeit“ dieser Orte zu respektieren, deren kontemplative Ruhe zu vermitteln und zu dokumentieren.

© Peter Seidel
© Peter Seidel

„Die Mikwen-Ausstellung ist der erste Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem großen Thema ‚SchUM‘ seit der Gründung des neuen SchUM-Vereins im vergangenen Jahr. Dass ‚Ganz rein‘ nacheinander in allen drei SchUM-Städten zu sehen ist, zeigt, dass Speyer, Worms und Mainz bei ihrer Bewerbung um den UNESCO-Welterbe-Titel weiterhin kraftvoll an einem Strang ziehen“, so Oberbürgermeister Michael Ebling.

Das Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz, Rheinstraße 55, 55116 Mainz, zeigt die Ausstellung im Brückenturm Mainz vom 15. Oktober bis zum 6. November 2015. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag von 14 bis 18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung.

© Peter Seidel
© Peter Seidel

„Ganz rein! Jüdische Ritualbäder“ ist eine Ausstellung der Jüdischen Museen Hohenems, Frankfurt am Main, Wien und Franken, ergänzt durch Informationen der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz zu den Mikwen in den SchUM-Städten. Die Fotoausstellung wird in den SchUM-Städten Speyer, Worms und Mainz als gemeinsame Initiative gezeigt.

Begleitprogramm
Aharon Ran Vernikovsky, Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Mainz hält am Donnerstag, 22. Oktober 2015, um 19 Uhr, in der Synagoge Mainz einen Vortrag zum Thema „Bedeutung und Vorschriften einer Mikwe“.

Der Förderverein Synagoge Mainz-Weisenau e.V. bietet Führungen durch die Weisenauer Synagoge an. Dabei können beide Mikwen besichtigt werden, die vor kurzem entdeckt und öffentlich zugänglich gemacht wurden. Die Führungen (Anmeldung: anke.sprenger@yahoo.it, Telefon 06131 50 19 324) finden zu folgenden Terminen jeweils um 15.30 Uhr statt:

Samstag, 17. Oktober 2015
Sonntag, 18. Oktober 2015
Samstag, 24. Oktober 2015
Sonntag, 25. Oktober 2015
Samstag, 31. Oktober 2015
Sonntag, 01. November 2015
Samstag, 07. November 2015

Am Mittwoch, 4. November 2015, findet um 17 Uhr eine Führung durch die Ausstellung „Ganz rein! Jüdische Ritualbäder“ mit Dr. Joachim Glatz, Landeskonservator a.D., statt. Im Anschluss hält Prof. Dr. Andreas Lehnardt vom Lehrstuhl für Judaistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz um 18 Uhr im Rathaus (Haifa-Zimmer) einen Vortrag zum Thema „Mikwen und die Rolle jüdischer Frauen innerhalb der Gemeinden“.

Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist kostenlos.