Museum Wiesbaden ehrt August Macke (1887–1914) mit fantastischer Jubiläumsausstellung „Paradies! Paradies?“

August Macke (1887 - 1914) Gartenbild 1911. In seinen Bildern unterscheidet August Macke nicht zwischen dem Glück auf dem Land und dem in der Stadt. Die Verbindung von beidem ist der Garten im urbanen Milieu, den der Künstler häufig darstellte.  Foto: Heike v. Goddenthow
August Macke (1887 – 1914) Gartenbild 1911. In seinen Bildern unterscheidet August Macke nicht zwischen dem Glück auf dem Land und dem in der Stadt. Die Verbindung von beidem ist der Garten im urbanen Milieu, den der Künstler häufig darstellte. Foto: Heike v. Goddenthow

 

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Er galt nicht nur als Maler von Heiterkeit und Harmonie, sondern war Mitbegründer der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ um Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, und er prägte den Begriff „Rheinischer Expressionismus“. Mit „Paradies! Paradies?“ präsentiert nun das Hessische Landesmuseum Wiesbaden in Kooperation mit dem Bonner Kunstmuseum nach 100 Jahren eine große Jubiläumsausstellung zu Ehren des Expressionisten  August Macke (1887–1914). Gezeigt werden 103 Werke, davon 80 Arbeiten des Künstlers aus sämtlichen Schaffensphasen: von den frühen Anfängen 1906/ 1907, als er in Düsseldorf und Berlin war, bis 1914 zu seinem allzu frühen Tod mit 27 Jahren als Soldat an der Westfront, wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Darunter sind 16 Gemälde und Aquarelle, die bereits vor 100 Jahren bei der ersten August-Macke-Gedächtnis-Ausstellung im Wiesbadener Museum präsentiert wurden. Ergänzt wird die Schau mit 23 Werken „Rheinischer Expressionisten“, die von Macke inspiriert wurden.

August Macke, Seiltänzerinnen, 1914. Kunstmuseum Bonn.  Foto: Heike v. Goddenthow
August Macke, Seiltänzerinnen, 1914. Kunstmuseum Bonn. Foto: Heike v. Goddenthow

August Macke sah in erster Linie das Positive im Menschen. Bei ihm war der Mensch nicht von Natur aus böse, sondern hatte durchaus auch seinen Platz im Paradies, einem diesseitigen Paradies. Anders als die meisten Künstlerkollegen seiner Zeit, die sich insbesondere an den menschlichen Abgründen abarbeiteten und das Schöne aus ihren Werken verbannten, erzählen die Arbeiten August Mackes vom Zauber des Alltags und fernen Ländern. Macke, zunächst vom Jugendstil und französischen Impressionismus beeinflusst, gehörte zu den Künstlern, die ein heiteres, ungetrübtes Bild vom Menschen zeigten. Seine Welt sei durch und durch positiv optimistisch, und selbst die Lehrer mochten ihn, obwohl der schlechte Schüler in der Unterprima das Real-Gymnasium wegen schlechter Noten bis auf eine Eins im Zeichnen verlassen musste, so Roman Zieglgänsberger, Kurator der Ausstellung und Kustos Klassische Moderne im Museum Wiesbaden. „Und wenn man durch die Ausstellung geht, sieht man es: Mit jeder Phase seines Werkes ist das Paradies immer wieder Thema“,

Es sei gerade jetzt in diesen Pandemie-Zeiten so wichtig, August Macke zu zeigen, unterstrich Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden, beim Presse-Preview Ende Oktober, kurz vor dem Lockdown. Macke gehöre zu den „Suchenden / Reisenden, die versuchen das Paradies, also die große Einheit  mit allem, was da ist,  wiederzufinden. Natürlich unter modernen Vorzeichen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.“, so Henning.

Diese Suche nach dem großen Harmonischen, auch sinnvollen Ganzen könne man erleben, wenn man vor den Bildern von Macke steht. „Und dieses Ganze sollte nicht nur das Innere des Menschen und die Umwelt, sondern alles: Natur, Tiere, Pflanzen, Dinge, Stadt, Modernität und all das umfassen in einem großen harmonischen Ganzen. Und wenn man vor diesen Bildern steht, die von Licht und Farbe ja durchdrungen werden, dann glaube ich, kann man an dieser Synthese die Macke gesucht hat in seinem Werk tatsächlich teilhaben – (…) Vielen Werken dieses Malers entströmen Impulse der Freude und Lebensleichtigkeit, sie scheinen uns regelrecht mit dem Leben versöhnen zu wollen“, so der Museumsdirektor.

August Macke, Die Seiltänzer, 1914. Obwohl dieser hoch über den Dächern balanciert, hat man in keinem Moment Angst, dass der nächste Schritt des Akrobaten falsch gesetzt sein könnte, so "fest" fixiert der Künstler seinen Seiltänzer im farblich warm pulsierenden Bild. Foto: Heike v. Goddenthow
August Macke, Die Seiltänzer, 1914. Obwohl dieser hoch über den Dächern balanciert, hat man in keinem Moment Angst, dass der nächste Schritt des Akrobaten falsch gesetzt sein könnte, so „fest“ fixiert der Künstler seinen Seiltänzer im farblich warm pulsierenden Bild. Foto: Heike v. Goddenthow

Die Wucht der Farben, die doppelte, doch letztlich positive Einstellung zum Leben, die Annäherung an die Natur, an die Zusammenhänge von Natur und Mensch, das ist doch etwas, was genau in diese Zeit hineinpasst, so Karin Wolff, Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, dessen Fördermittel die Ausstellung erst ermöglichten. Schon bei der Frage, ob wir den Zuschuss genehmigen oder nicht, sei bei ihr die große Frage aufgetaucht, „warum ist seit 50 Jahren diese Ausstellung nicht gezeigt worden?“ Macke malte keine billigen Klischees, keine Harmonie dort, wo keine Harmonie ist, aber doch mit einer durchaus positiven Grundeinstellung“, beglückwünschte Wolff das Wiesbadener Museumsteam zur höchst gelungenen Ausstellung.

Zur Ausstellung
Nach dem Ersten Weltkrieg organisierte August Mackes Ehefrau Elisabeth aus dem Nachlass des Künstlers eine „August Macke Gedächtnis-Ausstellung“ mit über 190 Werken, die im Herbst 1920 auch im Museum Wiesbaden gastierte. Anlässlich dieser vor 100 Jahren durchgeführten umfassenden Retrospektive präsentiert das Museum Wiesbaden erstmals wieder seit 50 Jahren eine Jubiläumsausstellung im RheinMain-Gebiet. Diese sei keine Rekonstruktion der Ausstellung von vor 100 Jahren – allein die damals 190 ausgestellten Werke wieder zu organisieren, „hätte uns technisch auch ein wenig überfordert“, so Kurator Roman Zieglgänsberger. Vielmehr habe man versucht, „Kronzeugen von damals in der Ausstellung zu vereinen: Es sind 16 Werke, kapitale Stücke, unter anderem ‚Der Seiltänzer‘ 1914, gleich wenn man reingeht zur Ausstellung, oder die ‚Afrikanische Landschaft in Tunis‘ und weitere Bilder, die vor 100 Jahren hier gezeigt wurden“.

Auch Neues gibt es zu entdecken, beispielsweise August Macke als Bildhauer. Im Vordergrund die Skulptur "Sitzendes Mädchen" im Hintergrund sein berühmtes Werk "Nacktes Mädchen mit Kopftuch" Foto: Diether v. Goddenthow
Auch Neues gibt es zu entdecken, beispielsweise August Macke als Bildhauer. Im Vordergrund die Skulptur „Sitzendes Mädchen“ im Hintergrund sein berühmtes Werk „Nacktes Mädchen mit Kopftuch“ Foto: Diether v. Goddenthow

In Teil I der Ausstellung (Räume eins bis sechs) wird Mackes stilistische Entwicklung nachvollziehbar: Ausgehend vom impulsiven Impressionismus eines Lovis Corinth, der kurzzeitig in Berlin sein Lehrer war, trug er durch seine Begegnung mit dem Fauvismus und Futurismus in Paris (Henri Matisse, Robert Delaunay) und die Zugehörigkeit zur 1911 in München gegründeten Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ um Wassily Kandinsky und Franz Marc einen entscheidenden Beitrag zum künstlerischen Aufbruch nach der Jahrhundertwende bei.

„Bei dieser rasanten Entwicklung ist wichtig, dass man sich bewusst macht, dass er zur Speerspitze der Avantgarde gehört hat, und dass er als eine eigenständige Stimme ins Orchester dieser offensiven Erneuerer gewählt worden ist“, unterstreicht Zieglgänsberger die herausragende Bedeutung dieses viel zu früh verstorbenen Künstlers.

Man kann hier den Künstler in seiner Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit entdecken: Alle Sujets, alle Themen sind vertreten, mit denen sich August Macke auseinandergesetzt hat, angefangen vom Porträt über Gemälde und Zeichnungen von der Familie, Freunden, Landschaften und Stadtansichten bis hin zu verschiedenen Medien, in welchen der Künstler auch tätig war. So werden neben Druckgrafiken und einer Skulptur auch atmosphärische Aquarelle präsentiert, die vom Thuner See in der Schweiz stammen und während der berühmten Reise im April 1914 mit Paul Klee und Louis Moilliet im afrikanisch-orientalischen Tunis entstanden waren.

Teil II der Ausstellung (Räume 7 und 8):

Heinrich Campendonk (1889 - 1957) Stillleben mit zwei Köpfen (1914). Foto: Diether v. Goddenthow
Heinrich Campendonk (1889 – 1957) Stillleben mit zwei Köpfen (1914). Foto: Diether v. Goddenthow

Ausstellungs-Teil II „Rheinischer Expressionismus“ ist der Wirkung des Künstlers auf das „Rheinland“ gewidmet,  eine Zusammenstellung namhafter Vertreter dieses Genres, welches „noch nie im RheinMain-Gebiet thematisiert worden ist“, so Zieglgänsberger. Hier werden die wichtigsten Künstler vorgestellt, die August Macke in Bonn zwischen 1911 und 1914 inspiriert hat, und für die er 1913 in der Bonner Buchhandlung Cohen die Ausstellung  „Rheinische Expressionisten“ organisierte, ein Titel, der zu einer  regelrechten Marke werden sollte. Darunter die Maler Helmuth Macke (ein Cousin von August), Heinrich Nauen, Franz M. Jansen, Hans Thuar, Louis Seel, Hans Mattis-Teutsch  und Heinrich Campendonk. Letzterer kam durch August Macke in unmittelbare Berührung mit den Künstlern der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters.
Macke war, als er nach Bonn kam,  auch Kunst-Berater und -Kunst-Organisator. Unter anderem  hatte die ersten Ausstellungen der Neuen Künstlervereinigung München und Blauen-Reiter nach Köln vermittelt, so Zieglgänsberger.

Und wenn Macke nicht gefallen wäre?

„Am Ende der Ausstellung tippen wir“, so Zieglgänsberger, „ mit der sehr eindringlichen Otto-Dix-Zeichnung ‚Gasmasken‘, die wirklich 1916 im Schützengraben gezeichnet wurde, die Frage an“: wie August Macke weitergearbeitet hätte, „wenn er an der Front überlebt hätte“. Zwar sei es müßig darüber zu spekulieren, aber wahrscheinlich, dass er womöglich doch sein künstlerisches Prinzip, den Menschen unabdingbar im Paradies verorten zu wollen, überdacht hätte. Wenn er  wohl auch kein Maler der neuen Sachlichkeit geworden wäre, so Zieglgänsberger, „hätte er sicher kreative Lösungen gefunden. August Macke wäre ja, wenn er nicht gefallen wäre, erst 31 Jahre alt gewesen als 1918 der Krieg zu Ende war. In diesem Fall hätte er noch 50 Jahre seines (künstlerischen) Lebens vor sich gehabt, wenn er beispielsweise so alt geworden wäre wie Karl Schmidt-Rottluff (1.12.1884 – 10.08.1974).

So zeigt die Ausstellung letztlich auch, „was Krieg bedeutet, wie der Krieg einfach jeden individuellen Lebensweg, jede Lebensplanung und jedes Lebensschicksal brachial durchkreuzt und abschneidet. Auch das wollen wir deutlich machen, unterstreicht Direktor Henning.

Ausstellungs-Impression August Macke "Paradies! Paradies?" Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression August Macke „Paradies! Paradies?“ Foto: Diether v. Goddenthow

Basis des  Ausstellungs-Projektes ist die enge Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bonn und seine Leihgabe wichtiger Schlüsselwerke, so Henning. „Im Gegenzug bilden eine Reihe unserer Hauptwerke Alexej von Jawlenskys, zu dem August Macke in engem Kontakt stand, dort die Basis für eine große Präsentation dieses Künstlers. Ein großer Dank gilt auch dem Kulturfonds RheinMain, der mit seiner Förderung gerade jetzt maßgeblich zur Aufrechterhaltung des kulturellen Lebens beiträgt.“

(Diether v. Goddenthow / Rhein-Main.Eurokunst)

Die ursprüngliche Laufzeit der Ausstellung: 30. Oktober 2020 – 14 Februar 2021, wird aufgrund des gegenwärtigen Lockdown bis zum 30. Nov. 2020  unterbrochen. Informieren Sie sich aktuell über die Öffnung des Museums nach dem Lockdown:
https://museum-wiesbaden.de/covid-19
https://museum-wiesbaden.de/august-macke

Weitere Infos: https://www.freunde-museum-wiesbaden.de/news/interview-mit-roman-zieglgaensberger/

paradies-paradies-cover-160Sehr empfehlenswert  ist der Begleitband zur Ausstellung:  Roman Zieglgänsberger (Hrsg.) August Macke. Paradies! Paradies?, Mit Beiträgen von Sibylle Discher, Peter Forster, Tanja Pirsig-Marshall und Roman Zieglgänsberger. 192 Seiten mit ca. 150 Abb. Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG, ISBN 978-3-7319-1008-4, Museums-Preis 24,90, Euro, im Handel 29,95 Euro.