Kategorie-Archiv: Bauhaus

»bauhausPositionen« vom 11. April bis 14. Juli 2019 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt


Anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Bauhaus-Gründung in Weimar zeigt die Graphische Sammlung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt eine Ausstellung mit Werken aus dem eigenen Bestand. Das Herzstück der 92 Exponate umfassenden Präsentation bildet die »Meistermappe des Staatlichen Bauhauses 1923«.

Diese Rarität ist ein Schlüsselwerk der europäischen Druckgrafik mit Arbeiten von Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Gerhard Marcks, Georg Muche, László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer und Lothar Schreyer. Die Edition des Bauhausverlages ist nur in einer geringen Auflage von 100 Exemplaren erschienen.

Weitere Einzelwerke von am Bauhaus vertretenen Künstlern lassen die individuelle Vielfalt der »bauhausPositionen« anschaulich werden. Gerade der Vergleich zu Arbeiten aus der Zeit vor 1919 belegt, wie die damalige Künstlergeneration an den Gedanken des Bauhauses teilnahm und diese umsetzte. Besonders anschaulich wird das »Neue Sehen« in der Sektion, die sich der Fotografie widmet.

Bekanntlich führte die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zur Auflösung der Institution Staatliches Bauhaus, aber die Bauhaus-Idee blieb wegweisendes Programm für die Moderne Kunst. Exemplarische Arbeiten von Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg belegen die Aktualität.

RAHMENPROGRAMM zu
bauhausPositionen
11. April bis 14. Juli 2019

Vortrag
Mittwoch, 19.6.
18.30 Uhr

Wiederholung des Unwiederholbaren? Zur möglichen Aktualität des Bauhaus
von Florian Walzel, Lehrbeauftragter für Geschichte & Theorie der Gestaltung und freischaffender Designer

In Kooperation mit dem Bauhaus-Festival »Bauwhat?« des Staatstheaters Darmstadt

Ab 30 Min. vor Beginn der Veranstaltung 3 Euro pro Teilnehmer anstatt des vollen Museumseintritts, Teilnahmekarten am Veranstaltungstag an der Museumskasse, keine Vorreservierung möglich, begrenzte Sitzplätze

Öffentliche Führungen
Sonntag 14.4.
15.00 Uhr
mit Anne Meerbott

Mittwoch 29.5.
18.30 Uhr
mit Dr. Stephanie Hauschild

Sonntag 9.6.
11.15 Uhr
mit Anne Meerbott

Sonntag 21.6.
11.00 Uhr »Art & Lunch«
mit Anne Meerbott

Sonntag 14.7.
15.00 Uhr
mit Anne Meerbott

Kuratoren im Dialog
Mittwoch 8.5.
18.00 Uhr mit Dr. Mechthild Haas und Dr. des. Jennifer Chrost

Teilnahmekarten am Veranstaltungstag an der Museumskasse, Museumseintritt zzgl. 2 Euro Führungsgebühr pro Person.
Ort:

© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Friedensplatz 1
64283 Darmstadt

Sonder-Ausstellung NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG DIE BAUTEN DES NEUEN FRANKFURT 1925 – 1933 im Deutschen Architekturmuseum zu 100 Jahren Bauhaus

Hermann Treuner, Die Römerstadt, 1929. Öl auf Leinwand. Deutsches Architekturmuseum, Ffm. © Foto: Diether v. Goddenthow
Hermann Treuner, Die Römerstadt, 1929. Öl auf Leinwand. Deutsches Architekturmuseum, Ffm. © Foto: Diether v. Goddenthow

2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Geburtstag. Bis zu seiner Schließung im Jahr 1933 war es 14 Jahre lang eine herausragende Schule der Avantgarde, von der Kunst, Design und Architektur zentrale Impulse empfingen. Die internationale Nachwirkung vor allem der Dessauer Periode ist bis heute zu spüren.

„Ein Leitbild im Neuen Frankfurt war der Neue Mensch der Moderne, ‚der – so Ernst May – ‚entschlossen ist, das Alte, Erstarrte hinter sich zu lassen‘. Diesen Neuen Menschen und die für ihn entworfenen Bauten haben wir als Titel unserer Ausstellung genommen“, sagte Wolfgang Voigt, Kurator und stellvertretender Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft, gestern Abend bei seiner Eröffnungsrede. Die Idee des Neuen Menschen sei ein direktes Substrat aus Friedrich Nietzsches Schriften gewesen, und Ludwig Landmann ein glühender Verehrer, habe sich „gleich auf Seite eins der ersten Nummer der Zeitschrift Frankfurt“ (1926) auf den Philosophen berufen.

Der Neue Mensch war bis zum Ersten Weltkrieg eine elitäre Fiktion; er entsprach noch nicht dem Typus, den Landmann und May beim Start des Neuen Frankfurt im Visier hatten. Erst im Neuen Frankfurt wurde die Idee demokratisiert. Die neuen Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder boten die von Licht, Luft und Sonne bestimmte Umwelt, die den Stadtbewohner zum neuen Menschentyp werden lässt – so die Hoffnung der Architekten.. © Foto: Diether v. Goddenthow
Der Neue Mensch war bis zum Ersten Weltkrieg eine elitäre Fiktion; er entsprach noch nicht dem Typus, den Landmann und May beim Start des Neuen Frankfurt im Visier hatten. Erst im Neuen Frankfurt wurde die Idee demokratisiert. Die neuen Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder boten die von Licht, Luft und Sonne bestimmte Umwelt, die den Stadtbewohner zum neuen Menschentyp werden lässt – so die Hoffnung der Architekten.. © Foto: Diether v. Goddenthow

Beim gebildeten Publikum im Deutschen Reich nach 1900 besaßen die Schriften des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) Kultstatus. Aus ihnen ließ sich die Vorstellung eines Menschentyps destillieren, der sich aufmachen werde, „etwas Neues zu sein, etwas Neues zu bedeuten, neue Werte darzustellen“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 1886). Seine Aufgabe war: eine neue soziale Ordnung vorbereiten, „gegründet auf ästhetische Kriterien und bevölkert von gesunden Körpern“.

In Frankfurt wurde die Idee demokratisiert: Nicht mehr nur eine Elite, sondern jeder sollte nun die Chance haben, sich dem Neuen Menschentyp anzuschließen, in einer von Licht, Luft und Sonne bestimmten Umwelt. So verkündeten es die oft emphatischen Äußerungen von Landmann, May, Wichert und anderen Stichwortgebern des Neuen Frankfurt. Besonders die Architekten verstanden sich als legitime Erzieher zum richtigen Leben in der Moderne.

© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Die Ausstellung Neuer Mensch, neue Wohnung gilt dem parallelen Geschehen in Frankfurt am Main, das zwischen 1925 und 1933 ein nicht minder bedeutendes Zentrum des Aufbruchs darstellte. Frankfurt war kein Planet des Bauhauses, sondern ein eigener Stern mit eigener Energie.

Unter der Regie des Oberbürgermeisters Ludwig Landmann und des Architekten Ernst May konstituierte sich hier das Neue Frankfurt, das unter diesem Namen in die Architektur- und Kulturgeschichte einging. Die Stadt erhielt einen beispiellosen Schub in die kulturelle Moderne. Für eine kurze Zeitspanne wurde sie zur Hochburg der Avantgarde in der Architektur.

In Frankfurt plante man die Umgestaltung zur exemplarischen Großstadt der Moderne, sozial, baulich und kulturell. Das Entscheidende war: Theorie wurde schnell zur Praxis, man fing sofort mit der Umsetzung an. Den wichtigsten Impuls gab das im Oktober 1925 publizierte Programm für 10.000 neu zu errichtenden Wohnungen.
Ein Leitbild der Architekten des Neuen Frankfurt war der Neue Mensch der Moderne,„der entschlossen ist, das Alte, Erstarrte hinter sich zu lassen“ (Ernst May), um im Alltag der naturnahen neuen Siedlungen eine befreite Existenz zu führen. Der neuen Wohnung war in diesem Prozess eine beherrschende Rolle zugedacht. Die Architekten verstanden sich als legitime Erzieher zum richtigen Leben in der Moderne.

Über die Ausstellung

Wolfgang Voigt, Kurator (4. v.r.), und Andrea Jürges (3.v.r.), stellvertretende Direktorin, erläutern anhand des Holzmodells Idee, Konzept und Umsetzung der Siedlung Römerstadt im Neuen Frankfurt. © Foto: Diether v. Goddenthow
Wolfgang Voigt, Kurator (4. v.r.), und Andrea Jürges (3.v.r.), stellvertretende Direktorin, erläutern anhand des Holzmodells Idee, Konzept und Umsetzung der Siedlung Römerstadt im Neuen Frankfurt. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Siedlungen des Neuen Frankfurts
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine Auswahl aus zehn Siedlungen des Neuen Frankfurt, in denen das Wohnen in „Licht, Luft und Sonne“ Gestalt annahm, unter anderem die Siedlung Niederrad (Zickzackhausen), 1926/27 mit 643 Wohnungen; die Siedlung Hellerhof, 1929–1932, mit 1194 Wohnungen in drei- bis viergeschossiger Zeilenbauweise und dazuwischen liegenden Grünflächen; die Siedlung Praunheim, 1927–1929 mit 1441 Wohnungen; die Siedlung Westhausen, 1929–1931 mit 1522 Wohnungen und die Siedlung Römerstadt, 1927/28 mit 1.182 Wohnungen.

Die Siedlung Römerstadt sei, so die Kuratoren Dorothea Deschermeier, Wolfgang Voigt und Assistenzkurator Jonas Malzahn, städtebaulich wohl die bemerkenswerteste Planung des Neuen Frankfurt. Auf einem Höhenrücken an der Nidda gelegen, passt sie sich in ihrer Anlage den topographischen Gegebenheiten an. Den südlichen Abschluss markiert eine festungsartige Stützmauer aus Beton, die eine Stadtmauer wie in vergangenen Zeiten erinnert. Die Geländekante wurde von den Architekten zu einer besonderen Raumfigur genutzt: „Bastionen“ genannte Plateaus, die wenige Meter über der Niederung liegen und attraktive Platzräume bilden. Die Bebauung besteht großteils aus flachgedeckten, zweigeschossigen Einfamilienreihenhäusern. Im Ostteil der Siedlung verlaufen die Straßen bogenförmig, im Westen dominieren gerade Linien. Diese sind jedoch regelmäßig unterbrochen und versetzt, so dass dort, wo über eine Länge von 700 Metern mehr als hundert Mal derselbe Haustyp aufgereiht ist, keine endlos lange Straße entsteht. Zwischen den Wohnbauten finden sich breite Grünstreifen, die in Hausgärten zur Selbstversorgung untergliedert sind. Für die Bewohner der Mehrfamilienhäuser wurde unterhalb der Mauer ein breiter Streifen mit Kleingärten angelegt.

Modelle und Wandbilder der Heimatsiedlung des Neuen Frankfurts. © Foto: Diether v. Goddenthow
Modelle und Wandbilder der Heimatsiedlung des Neuen Frankfurts. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die chronologische Abfolge, in der Siedlungen in der Ausstellung gezeigt werden, markiert nicht nur die Entwicklung der auf unterschiedliche Familienkonstellationen zugeschnittenen Haustypen, sondern auch die Variationen in der städtebaulichen Anlage und die Herausbildung der funktionellen Planungsdoktrin um 1930. Zudem verdeutlicht sie die zunehmenden Schwierigkeiten der Finanzierung, die zuletzt stark verkleinerte Wohnungsgrundrisse erzwangen und nach 1930 dem gesamten Projekt ein Ende setzten.

Bauten großstädtischer Infrastruktur

Das IG-Farbenhaus war neben der Großmarkthalle das größte und markanteste  Gebäude seiner Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow
Das IG-Farbenhaus war neben der Großmarkthalle das größte und markanteste Gebäude seiner Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow

Neben den Siedlungen werden einige wichtige für das „Neue Bauen“ im Neuen Frankfurt charakteristische Bauten der großstädtischen Infrastruktur präsentiert – Bildungsstätten, Kirchen, Krankenhäuser, ein Altenheim, die Großmarkthalle und das Gesellschaftshaus am Palmengarten. Dazu kommen die als Vorbilder konzipierten Wohnhäuser der leitenden Architekten Ernst May und Martin Elsaesser.

Das Wohnungsbauprogramm
Gleich nach Amtsanritt legte May ein ehrgeiziges Bauprogramm für 10.000 Wohnungen vor, das innerhalb von zehn Jahren Wohnraum vor allem für die Bevölkerung mit geringerem Einkommen schaffen sollte.
Angesichts der überfüllten Altstadt mit oft mangelhaften hygienischen Zuständen wollte man helle, gut durchlüftete Wohnungen schaffen. Reihenhauszeilen mit Garten ersetzten die Mietskasernen. Die Wohnungen wurden mit damals hohen Standards wie fließend Warmwasser, Zentralheizung sowie der Frankfurter Küche ausgestattet. Gemeinschaftsbauten wie Waschhäuser mit elektrischen Waschmaschinen sollten das Alltagsleben erleichtern.
Um die Baukosten niedrig zu halten, experimentierte May mit einer industrialisierten Bauweise, in der vorgefertigte und normierte Bauteile zum Einsatz kamen. „Das Ziel“, so May, „muss die fabrikmäßig erzeugte, fertig lieferbare, in wenigen Tagen montierbare Wohnung sein“. Bis 1933 entstanden im städtischen Wohnungsprogramm 12.000 Einheiten. Trotz aller Bemühungen stiegen die Herstellungskosten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre kontinuierlich an. Bald war der Wohnungsnot nicht mehr mit bautechnischen Mitteln beizukommen, das eigentliche Problem war ein wirtschaftliches. Die Mieten blieben deshalb gerade für Arbeiter oft zu hoch.

Die Frankfurter Plattenbauten

Wolfgang Voigt, Kurator und stv. Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft erläutert an einem von Studenten der Hochschule erstellten Modell den Ernst Mays Frankfurter Plattenbau. © Foto: Diether v. Goddenthow
Wolfgang Voigt, Kurator und stv. Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft erläutert an einem von Studenten der Hochschule erstellten Modell den Ernst Mays Frankfurter Plattenbau. © Foto: Diether v. Goddenthow

Ein wesentlicher Programmpunkt des Neuen Frankfurt war die Mechanisierung des „Massenbedarfsartikels Wohnung“ (Ernst May), die hier erstmals im 20. Jahrhundert im großen Stil und in nennenswertem Umfang Anwendung fand. Das Frankfurter Experiment ersetzte den gebräuchlichen Mauerziegel durch einen Baukasten aus großformatigen Betonplatten aus industrieller Produktion, die bis zu drei Meter lang und im Prinzip für alle Reihenhaustypen anwendbar sein sollten. An der Baustelle hob ein Kran die Teile direkt vom Lastwagen an die vorgesehene Position im Rohbau des Hauses. Die Bauweise hatte auch einen sozialpolitischen Aspekt, denn zur Herstellung der Platten wurde eine eigene Fabrik eingerichtet, in der zuvor arbeitslose Männer Beschäftigung fanden. 1923 waren die Memoiren von Henry Ford auf Deutsch erschienen. Ernst May hatte eine begeisterte Rezension verfasst. Wie die am Fließband hergestellten Autos von Ford sollte auch das Wohnen billiger werden. Genau das stellte sich nicht ein, weshalb man das Experiment auslaufen ließ. Am Ende wurde nur rund ein Zehntel der am Ende 12.000 Wohnungen in Plattenbauweise gebaut.

Neuer Mensch durch neue Lebens- und Wohnart

„Ein Grundriß mag noch so organisch aufgebaut sein, die Abmessungen mögen noch so zweckmäßig berechnet werden, die ästhetischen Verhältnisse der Räume mögen noch so glücklich sein, im Augenblick, wo der übliche minderwertige Hausrat seinen Einzug hält, schwindet die Harmonie (…)." So abfällig äußerte sich May über traditionelle Möbel, allerdings auch aus der Erkenntnis heraus, dass in die Kleinwohnungen auch nur schmucklose Kleinmöbel hineinpassten. Die Architekten der Bauhaus-Ära wollten zum neuen Menschen erziehen  auch durch den passenden, seriell minimalistisch produzierten Hausrat. Im sogenannten Frankfurter Register wurden sämtliche Funktions-Möbel bis hin zu den Lampen aufgelistet, die helfen sollten den Menschen zu "veredeln", © Foto: Diether v. Goddenthow
„Ein Grundriß mag noch so organisch aufgebaut sein, die Abmessungen mögen noch so zweckmäßig berechnet werden, die ästhetischen Verhältnisse der Räume mögen noch so glücklich sein, im Augenblick, wo der übliche minderwertige Hausrat seinen Einzug hält, schwindet die Harmonie (…).“ So abfällig äußerte sich May über traditionelle Möbel, allerdings auch aus der Erkenntnis heraus, dass in die Kleinwohnungen auch nur schmucklose Kleinmöbel hineinpassten. Die Architekten der Bauhaus-Ära wollten zum neuen Menschen erziehen auch durch den passenden, seriell minimalistisch produzierten Hausrat. Im sogenannten Frankfurter Register wurden sämtliche Funktions-Möbel bis hin zu den Lampen aufgelistet, die helfen sollten den Menschen zu „veredeln“, © Foto: Diether v. Goddenthow

Der sozio-kulturelle Hintergrund des Neuen Frankfurt wird an mehreren Beispielen thematisiert: Das Phantasma des „Neuen Menschen“, die Elektrifizierung der Siedlungen, der Versuch einer flächendeckenden Einführung des Radios in den Neubausiedlungen sowie die für das Neue Frankfurt typische Einrichtung von Zentralwäschereien werden dargestellt.

Kuratorin Dorothea Deschermeier erläutert das neue Phänomen der wachsenden Anzahl berufstätiger alleinstehender Frauen in den 1920er Jahren. Diese wohnten unselbständig zumeist zur Untermiete bei Verwandten oder Zimmerwirtinnen. So entwarf Bernhard Hermkes im Auftrag des Frauenwohnvereins in Frankfurt ein Ledigenheim mit 60 kleinen Wohnstudios von je 22 qm und Minbalkon mit  Einbauschränke und Schrankbett zum Hochklappen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Kuratorin Dorothea Deschermeier erläutert das neue Phänomen der wachsenden Anzahl berufstätiger alleinstehender Frauen in den 1920er Jahren. Diese wohnten unselbständig zumeist zur Untermiete bei Verwandten oder Zimmerwirtinnen. So entwarf Bernhard Hermkes im Auftrag des Frauenwohnvereins in Frankfurt ein Ledigenheim mit 60 kleinen Wohnstudios von je 22 qm und Minbalkon mit Einbauschränke und Schrankbett zum Hochklappen. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Industrialisierung des Bauens und die Frankfurter Küche werden in eigenen Stationen behandelt. Die Station „Das neue Neue Frankfurt“ schlägt schlussendlich den Bogen zur prekären Situation des Wohnungsmarktes heute.

Die Siedlungen, Bauten und relevanten Themen werden anhand von zahlreichen Plänen, Modellen, Fotos und einigen historische Filmsequenzen präsentiert. Für die Frankfurter Küche wurde ein besonders anschauliches, neues Modell im Maßstab 1:5 gefertigt, gleich einer Puppenstube.

Die Gestaltung der Ausstellungswände ist von den Frontseiten der Zeitschrift Das Neue Frankfurt inspiriert: ein dunkles Feld, in dem Fotos collagenhaft angeordnet sind, darüber ein breiter weißer Streifen mit farbiger Schrift.

Die Ausstellung ist Teil einer gemeinsamen Initiative von drei Frankfurter Museen – dem Museum Angewandte Kunst, dem Deutschen Architekturmuseum und dem Historischen Museum Frankfurt – und dem Forum Neues Frankfurt anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019.

Ort:
DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM
Schaumainkai 43,
60596 Frankfurt am Main
www.dam-online.de

Vorschau:

13. April – 23. Juni 2019
WOHNEN FÜR ALLE
Das Neue Frankfurt 2019

4. Mai – 1. September 2019
EUROPÄISCHER ARCHITEKTURFOTOGRAFIE-PREIS ARCHITEKTURBILD 2019
Joyful Architecture

BEGLEITPROGRAMM
Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Vortrags- und Veranstaltungsprogramm:
Details  auf: dam-online.de/veranstaltungen.

PUBLIKATION

neuer-mensch-katalog

Neuer Mensch, neue Wohnung
Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925–1933
Herausgegeben von Wolfgang Voigt / Dorothea Deschermeier /
Peter Cachola Schmal
DOM publishers, Berlin
210 × 230 mm, 228 Seiten
ISBN 978-3-86922-720-7 (deutsch)
ISBN 978-3-86922-721-4 (englisch)
Im Museumsshop erhältlich für 22,– EUR,
im Buchhandel erhältlich für 28,– EUR.

Bauhaus: „Moderne am Main 1919-1933″ – Museum angewandte Kunst vom 19. Januar bis 14. April 2019

logo-moderne

Moderne am Main 1919-1933
19. Januar bis 14. April 2019
Eröffnung: Freitag, 18. Januar 2019, 19 Uhr

Moderne am Main 1919-1933

Zum 100. Jubiläum des Bauhauses richtet das Museum Angewandte Kunst seinen Blick auf die Geschichte Frankfurts in den Jahren zwischen 1919 und 1933: Hier konstituiert sich ein beispielloses Programm baulicher, gestalterischer und kultureller Erneuerung, das unter dem Namen Neues Frankfurt in die Kulturgeschichte eingeht. Die Stadt entwickelt sich nach dem ersten Weltkrieg zum Archetyp der modernen Großstadt, der weit über die Stadtgrenzen hinaus Beachtung findet. Zwar gilt das Bauhaus heute vielen als die Wiege der Moderne im 20. Jahrhundert. Doch die berühmte Kunst- und Gestaltungsschule ist nicht der alleinige Brennpunkt neuartiger Gestaltung in Deutschland und Europa. Zum Ausgang der 1920er Jahre hat sich Frankfurt am Main als ein dem Bauhaus gleichwertiges, weltbekanntes Zentrum der Avantgarde etabliert.

Die Ausstellung Moderne am Main 1919–1933 möchte zeigen, dass das Neue Frankfurt sich nicht im bekannten, von Ernst May initiierten Wohnungsbauprogramm oder der beliebten Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky erschöpfte. Denn zu dieser Großstadtutopie gehörte ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der universale Anspruch, mit neuen Gestaltungsformen alle Bereiche des menschlichen Lebens zu erfassen und im Verbund mit einer forcierten Industrialisierung eine neue urbane Ges ellschaft auf den Weg zu bringen. Dieser Anspruch fand seinen Niederschlag im Produkt-, Interieur-, Industrie- und Kommunikationsdesign, in den angewandten und freien Künsten ebenso, wie auch in den (damals) neuen Medien Fotografie, Film und Rundfunk.

Aus ihrer Gegenwart – und weniger aus der Vergangenheit – leiteten die Protagonist*innen das für die Moderne am Main so Spezifische ab: die Einheit von Gestaltung und sozialem Engagement. Nicht etwas Repräsentatives, mit Bedeutung Aufgeladenes galt es zu schaffen, sondern Dinge mit einem erkennbaren Charakter der technischen Produktion und der sozialen Funktion – im Hinblick auf eine neue, bessere Gesellschaft. Und so lässt sich aus heutiger Sicht sagen, dass es in den 1920er Jahren wohl kaum eine Stadt gab, in der so sehr der Geist des Neuen wehte wie in der Großstadt am Main.

Folgende entscheidende Faktoren lassen sich für diese Entwicklung ausmachen: die wiedererstandene Messe, das städtische Hochbauamt sowie die Kunstschule Frankfurt, die unter Fritz Wichert eine bedeutende Neuausrichtung erfährt und auch Lehrkräfte des Weimarer Bauhauses nach Frankfurt bringt. Aber auch andere, der neuen Gestaltung verpflichtete Vereinigungen und Interessengemeinschaften sowie eine ansehnliche Zahl privater Unternehmen wie der Lampenproduzent Bünte & Remmler, die Bauersche Gießerei oder das Telekommunikationsunternehmen Fuld und Co. waren mit ihrer Arbeit an einer auch außerhalb der Stadt wahrgenommenen ästhetischen wie gesellschaftlichen Neugestaltung im Sinne des Neuen Frankfurt aktiv beteiligt. Die institutionellen Strukturen werden ergänzt durch ein enges Geflecht informeller Strukturen aus Verbänden, Interessengruppen und gesellschaftlichen Zusammenkünften der Innovator*innen.

Mit mehr als 500 Objekten und Entwürfen, Fotografien und Reproduktionen, Zeichnungen, Gemälden, Filmen und Tonaufnahmen von über 40 privaten Leihgeber*innen öffentlichen Archiven und Museumssammlungen erzählt das Museum Angewandte Kunst die Geschichte des Neuen Frankfurt in so noch nie gesehener Fülle und Dichte. Acht thematische Kapitel zeichnen auf 1.200 Quadratmetern ein facettenreiches Bild von einem Aufbruch in die Gestaltungsmoderne, der von Zukunftsoptimismus und Weltoffenheit geprägt war. Sie stellt bekannte und weniger bekannte Protagonist*innen der Moderne am Main vor, macht mit den kreativen Netzwerken der Metropole Frankfurt vertraut und zeigt Verbindungen und Unterschiede zum Bauhaus auf. Dabei wird klar: Wenn das Bauhaus die Akademie der Moderne war, so war das Neue Frankfurt ihre Werkstatt – hier wurde den neuen Ideen ein stadtgesellschaftlicher Diskursraum eröffnet und ein praktisches Experimentierfeld geboten.

Ausstellungs-Rundgang

Treppe zum Bierkeller (Gesellschafterhaus im Palmengarten, Frankfurt am Main) Grete Leistikow (1892-1962) ca. 1930 Vintage Print 8,6 × 11,8 cm © Galerie Berinson, Berlin
Treppe zum Bierkeller (Gesellschafterhaus im Palmengarten, Frankfurt am Main) Grete Leistikow (1892-1962) ca. 1930
Vintage Print 8,6 × 11,8 cm © Galerie Berinson, Berlin

Grundlagen des Neuen Frankfurt
Im ersten Kapitel der Ausstellung können sich die Besucher*innen mit der Situation in Frankfurt nach dem ersten Weltkrieg vertraut machen. Als wichtigster Protagonist für die gesellschaftliche und politische Umwälzung gilt hier Ludwig Landmann (1868–1945), seit 1916 Wirtschaftsdezernent und ab 1924 Oberbürgermeister Frankfurts, der schon während des Krieges an der Idee einer neuen internationalen Messe arbeitete und später den Begriff des Neuen Frankfurt prägte. Mit Unterstützung seines Teams wollte er durch die Etablierung Frankfurts als Messestandort und infrastrukturellen Knotenpunkt den Export deutscher Produkte und eine neue Internationalisierung fördern. So war die Neueröffnung der Messe Frankfurt im Jahr 1919 ein entscheidender Faktor auf dem Weg in die Moderne. Zugleich zählt zu den wichtigen historischen Faktoren auch die Fundierung des Werkbund Hauses sowie das Wirken der Ausstellungsmacherin Lilly Reich. In der von ihr initiierten Messeschau „Von der Faser zum Gewebe“ (1926), stehen erstmals keine fertigen Produkte, sondern Material, Halbfertigware und Herstellungsprozesse im Vordergrund.

Experimentieren und Forschen
Mit dem Neuen Frankfurt verband sich auch ein weitreichender Umbruch in der Kunst und die Etablierung verschiedener neuer Medien, allen voran Film und Ton. In dem Ausstellungskapitel „Experimentieren und Forschen“ werden deshalb Akteur e vorgestellt, die wichtige Jahre in Frankfurt verbrachten und durch ihre genreübergreifenden Experimente zu Pionieren auf den Gebieten der neuen Medien und der Musik avancierten. Gezeigt werden hier u. a. Experimentalfilme des in Gelnhausen geborenen Oskar Fischingers, der dem Film und seiner Ausweitung in die „visuelle Musik“ deutliche Impulse gab. Auch die
wichtigen Entwicklungen im Bereich Musik und Ton werden hier vorgestellt. So gibt es Kompositionen von Paul Hindemith zu hören, die der gebürtige Hanauer auch für ein frühes elektronisches Instrument – das Trautonium – schrieb. Ebenso wird die Rolle des Radios anhand von zwei wichtigen Protagonisten vorgestellt: Hans Flesch und Ernst Schoen präg ten mit ihrem Programm den neuen Frankfurter Sender (Südwestdeutscher Rundfunk), der zwischen 1924 und 1929 als die innovativste Radiostation in Deutschland gilt. Besucher*innen können hier das überhaupt erste Hörspiel hören, das im Oktober 1924 über den Äther ging: „Zauberei auf dem Sender“.

Neben dem Zugang zu diesem historischen Film- und Tonmaterial, steht den Besucher*innen eine Neuauflage eines Theremin-Synthesizers zum Ausprobieren und Entdecken bereit, gestiftet von Moog-Music in den USA. Der Theremin-Synthesizer wurde bereits um 1920 von Lev Termen entwickelt und gilt als erstes elektronisches Musikinstrument.

Netzwerke und Gesellschaften
Die Moderne-Bewegung im Rhein-Main-Gebiet war getragen von einem Netzwerk unterschiedlichster Personen, einer Verbindung vieler, die sich mal enger, mal weniger fest zusammenschlossen, um gemeinsam an der Realisierung verschiedener Gestaltungsprojekte zu arbeiten. Exemplarisch für den Netzwerkgedanken stehen Leben und Werk des Künstlerpaares Ella Bergmann-Michel (1895–1871) und Robert Michel (1897–1983), das in diesem Kapitel anhand ausgewählter Arbeiten vorgestellt wird. Ihr Wohnhaus und Arbeitsraum im Taunus – ein Gehöft namens Schmelzmühle – etablierten sie zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt für Gestalter*innen, Künstler*innen und Architekt*innen ihrer Zeit, den sie später liebevoll als „Heimatmuseum of Modern Art“ bezeichneten. Zu den Gästen, die hier ein- und ausgingen, gehörten Lázló Moholy-Nagy, Willi Baumeister, Jan Tschichold und nicht zuletzt Kurt Schwitters.

Das Ehepaar war zudem in wichtigen Verbänden vertreten, die ebenfalls gestalterische Umbrüche in Frankfurt anstießen: Robert Michel war Mitglied im Werkbund und Bund deutscher Architekten. Er engagierte sich im Arbeitskreis soziales Bauen der Frankfurter Oktobergruppe und realisierte ab 1928 mehrere kleinere Bauprojekte. Ella Bergmann-Michel arbeitete als Fotografin und drehte zwischen 1931 und 1933 insgesamt fünf dokumentarische Filme über den Alltag in Frankfurt am Main und Umgebung, die ebenfalls in einer Auswahl zu sehen sind. Gemeinsam mit Paul Seligmann (1903–1985) gründete sie die Liga für den unabhängigen Film, die in Frankfurt zahlreiche Veranstaltungen zum künstlerischen Film organisierte, so auch die Aufführungen der experimentellen Filme Oskar Fischingers 1932, der zu dieser Zeit schon in Berlin lebte.

Lehren und lernen
An der ästhetischen wie gesellschaftlichen Neugestaltung beteiligt war auch die Kunstschule Frankfurt (ein Zusammenschluss der Kunstgewerbeschule und der Städelschule), die Fritz Wichert ab 1924 zu einer Lehrinstitution nach dem Vorbild des Weimarer Bauhauses formte und in eine zweisemestrige Vorklasse, zehn Fachklassen und entsprechende Werkstätten gliederte. Anders als am Bauhaus stand in Frankfurt die Architektur von Anfang an auf dem Lehrplan. Die freien und angewandten Künste soll ten gleichrangig behandelt werden. Adolf Meyer, Josef Hartwig, Karl Peter Röhl und Christian Dell wechselten vom Weimarer Bauhaus nach Frankfurt und arbeiteten am Main für das moderne
Lehrkonzept. Zu den Lehrenden gehörten auch Margarethe Klimt (Modeklasse), Richard Lisker (Textilklasse), Paul Renner und Willi Baumeister (Typografie und Werbegrafik), Franz Schuster (Innenarchitektur), Richard Scheibe (Bildhauerei) und Max Beckmann (Malerei). Aus dieser Schule gingen u. a. hervor die Fotografinnen Marta Hoepffner und Elisab eth Hase
sowie der Grafiker Werner Hugo Epstein, der Maler Helmut Tamm und die Typografin und Grafikerin Liselotte Müller.

Die Kunstschule unterhielt auch regen Kontakt mit der Industrie und der Wirtschaft sowie den kommunalen Ämtern. Hans Leistikow, Leiter des grafischen Büros der Stadt Frankfurt, setzte zum Beispiel während seiner Lehrtätigkeit an der Kunstschule zwischen 1926 und 1927 Aufträge der Stadt mit Studierenden um. Dies gilt auch für Adolf Meyer, der kleine Bauaufträge an seine Studierenden weitergab und Josef Hartwig, der in seinem Unterricht Aufträge im Sinne der neu geschaffenen Friedhofsrichtlinie umsetzte.

Großstadt gestalten
Die Akteur*innen der Frankfurter Moderne stießen nicht nur Neuerungen im Wohnungsbau an, sondern ebenso in der Grünplanung und bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Die Stadt sollte durch den systematischen Einsatz wiederkehrender, durchdacht entworfener Elemente gegliedert und zu einer Einheit zusammengefasst werden. Von Ernst Mays Großraumplanung über Max Brommes Grünanlagen und Leberecht Migges Wertstoffkreisläufe bis hin zu Margarete Schütte-Lihotzkys Kleingartenlauben und Adolf Meyers Trinkbrunnen lassen sich in den gefundenen Lösungen deutlich die demokratischen und solidarischen Ideen hinter den Entwürfen ablesen.

Noch heute, fast einhundert Jahre nach dem Projekt Neues Frankfurt, weist das Stadtbild an einigen Orten Elemente dieser Gestaltungsmoderne auf. Diese Orte regen dazu an, über d ie Ideale ihrer Gestalter*innen nachzudenken und die immer noch aktuelle Frage zu stellen: Wie wirkt die gebaute Umwelt auf das Zusammenleben der Menschen in einer Stadt?

Auch Ferdinand Kramer, der mit dem Innenausbau und der Möblierung der Frankfurter Wohnungssiedlungen beauftragt war und das für das Neue Frankfurt charakteristische Möbeldesign hervorbrachte, gestaltete eine Reihe von Parkbänken und Ausstattungen für den öffentlichen Raum. Eine dieser Parkbänke, die leider heute aus dem Stadtbild verschwunden sind, wurde in Kooperation mit der tatcraft GmbH, einem MakerspaceStartup-Unternehmen aus Frankfurt, nach Plänen Kramers reproduziert und lädt in der Ausstellung zum Verweilen ein. Zwei weitere Parkbank-Reproduktionen sollen im Laufe der Ausstellung langfristig im Metzlerpark und am Mainufer installiert werden.

In Produktion gehen
Die Frankfurter Moderne wurde vor allem durch die enge Zusammenarbeit städtischer Ämter möglich gemacht. Das Frankfurter Baudezernat baute in den 1920er Jahren ca. 12.000 Wohnungen in am Stadtrand neu angelegten Siedlungen und nahm so in einem bisher nicht gekannten Ausmaß Einfluss auf die Gestaltung der Stadt: die Architektur der Gebäude, die Grünflächen und Friedhöfe, die Reklame aber auch die Inneneinrichtung der Wohnungen sollten rationaler, standardisierter und somit moderner gestaltet werden.

Im Sommer 1925 wurde Ernst May (1886–1979) von den Stadtverordneten zum Stadtrat für Hoch- und Städtebau gewählt. Martin Elsaesser (1884–1957) trat die neu geschaffene Stelle des Hochbaudirektors an. Mit der Berufung dieser beiden Architekten begann eine wirksame Umstrukturierung des Hochbauamtes, das sich nun in folgende Untereinheiten gliedert e:
„Abteilung E: Großbauten“, „Abteilung B: Bauberatung“ und „Abteilung T: Typisierung“. Unter Mays Direktion fielen zudem die Baupolizei und das Siedlungsamt mit den Abteilungen „Stadt- und Regionalplanung“ sowie „Garten- und Friedhofswesen“.

Im Ausstellungsbereich „In Produktion gehen“ können die Besucher*innen zahlreiche Designobjekte entdecken, die aus dem Neuen Frankfurt hervorgingen – zumeist in Zusammenarbeit von städtischen Akteuren mit den florierenden regionalen Privatunternehmen. Zu sehen sind u. a. Möbel von Ferdinand Kramer und Franz Schuster, eine Reihe von Leuchten von Christian Dell und Adolf Meyer, das Frankfurter Telefon der Firma Fuld sowie der Kühler der Autokarosserie des Adler Standards 8 nach den Entwürfen von Walter Gropius und seinem Berliner Büro.

Moderne veröffentlichen
In diesem Bereich der Ausstellung kann man anhand von Fotografien, Objekten, Plakaten und Faksimiles eine Auswahl von Großveranstaltungen kennenlernen, die in der demokratisch regierten Großstadt symbolisch zwischen Politik und Öffentlichkeit vermittelten. Sie geben Auskunft darüber, welche öffentlichen Themen und Interes sen verhandelt wurden und wie dieser beispiellose Modernisierungsschub forciert und bewältigt wurde. Darüber hinaus legt die Ausstellung hier einen Schwerpunkt auf die Fotografie und stellt hier die wichtigsten Protagonist*innen vor, die für dieses Medium in Frankfurt tätig waren und

Prolog und Epilog
Zu Beginn der Ausstellung können die Besucher*innen virtuell in die Welt des Neuen Frankfurts eintauchen. Noch bevor man die eigentliche Ausstellung betritt, ermöglicht die VR-Installation von Nadine Auth (Absolventin der HfG Offenbach) – entstanden in Zusammenarbeit mit Caspar Schirdewahn (Student an der HTW Berlin im Studiengang Gamedesign) – eine detaillierte Vorstellung nahezu aller an der Moderne am Main beteiligten Akteur*innen. Was sich zweidimensional nicht mehr darstellen ließ, jenes Beziehungs- und Arbeitsgeflecht, dieses weit verzweigte Netzwerk von Personen unterschiedlichster Professionen, wird hier auf äußerst sinnliche Art und Weise für die Besucher*innen erfahrbar.

Die abschließende Klammer bildet der Epilog, mit ausgesuchten Objekten und einer weiteren Multimedia-Installation. Eine Bibliothek von 360°-Panoramen der heute erhaltenen Frankfurter Küchen von Fotografin Laura J Gerlach zeigt die wohl berühmteste Erfindung des Neuen Frankfurt im Kontext ihrer jetzigen Umgebungen – private Wohnungen, Büros und Museen. Die durch die freundliche Unterstützung von Lauterbach Schaap Interiors in Frankfurt ermöglichte Installation, bildet zusammen mit zwei Kunstwerken von Olaf Metzel einen Link zur im selben Raum befindlichen originalen Frankfurter Küche aus dem Frankfurter Siedlungsbauprogramm. Als Pendant zur und inspiriert von der Frankfurter Parkbank von Ferdinand Kramer, ist im letzten Abschnitt der Ausstellung zudem eine neue Variante zu sehen, die von der tatcraft GmbH unter heutigen technischen und materiellen Gesichtspunkten entwickelt wurde. Wenn die Ausstellung mit ihren Kapiteln also ein aufschlussreiches Bild von Aufbruch, Vorbildfunktion und den gestalterischen Auseinandersetzungen in jener Zeit zwischen 1919 und 1933 zeichne t, lassen sich anhand der „Andeutungen“ an ihrem Ende drei grundlegende Fragen ableiten: Ob und in welcher Weise gesellschaftliche Veränderungen auch einen veränderten, von Nachahmung befreiten ästhetischen Niederschlag finden müssen, wie das Neue in die Welt kommt und wie viel Moderne, also Neues und damit Veränderungen der Mensch verträgt.

Kuratorisches Statement
Dem Neuen Frankfurt setzten der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg ein jähes Ende. Ernst May und seine „Brigade“ zog es in die UdSSR, wo die Gestaltungsmoderne unter Stalin schon alsbald diskreditiert wurde, während in den USA die Gruppe um Walter Gropius auf rege Resonanz traf und als International Style nach 1945 eine weitreichende Strahlkraft entwickeln konnte. In Frankfurt sind, sieht man einmal von der Frankfurter Küche oder der Schrift Futura ab, keine ikonischen oder später ikonisierten Produkte entstanden, sondern vielmehr Bauten, Möbel, Haushaltsgegenstände, Kommunikationsmittel, kurzum Gebrauchsgegenstände für den täglichen Bedarf, oder wie Mart Stam es nannte, „Dinge für das Menschenmaß“.

Es gab einen noch viel tragischeren Grund für das Ende dieser Moderne: Kaum eine andere Stadt war so sehr vom Engagement ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger für die Moderne geprägt wie Frankfurt. Unternehmer, Politiker, Intellektuelle kamen zu einem großen Teil aus dieser jahrhundertealten Tradition. 1933 zählte die jüdische Gemeinde Frankfurts etwa 30.000 Mitglieder. Nach 1945 war diese ehemalige Stadt-, Wissens-, und Handlungselite nahezu vollständig verschwunden. Mehr als 10.000 von ihnen waren in Konzentrations – und Vernichtungslagern ermordet worden, die anderen emigriert.

Mit dieser Ausstellung das Neue Frankfurt in seiner Gesamtheit wiederzuentdecken, heißt für uns, die Kurator*innen, nicht nur eine historische Rehabilitation zu betreiben, sondern auch das Ende dieser Moderne am Main zu thematisieren und darüber hinaus dazu einzuladen, Perspektiven für die Zukunft in politischer, sozialer, gesellschaftlicher und eben auch gestalterischer Hinsicht zu entwickeln.

Daher möchte das Museum Angewandte Kunst an die Worte des 1924 zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählten Ludwig Landmanns erinnern, der nicht nur den programmatischen Begriff des Neuen Frankfurt prägte, sondern zugleich klarmachte, wofür es stehen sollte und an wen es appellierte, nämlich „an den weltoffenen, sachlichen und zukunftsfrohen Geist in Frankfurt“

Kurator*innen
Grit Weber, Annika Sellmann, Prof. Dr. Klaus Klemp, Prof. Matthias Wagner K
Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt
www.museumangewandtekunst.de

OTTO BARTNING (1883-1959) ARCHITEKT EINER SOZIALEN MODERNE – Museum Künstlerkolonie Darmstadt

Otto Bartning: Frauenklinik in Darmstadt, Außenansicht, 1952-1954, Foto: Günter Senfft
Otto Bartning: Frauenklinik in Darmstadt, Außenansicht, 1952-1954, Foto: Günter Senfft

Architekt, Ideengeber und Organisator – Otto Bartning war eine außergewöhnlich vielschichtige Persönlichkeit. Als Protagonist der Moderne und maßgeblicher Impulsgeber des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, auch als Berater der Stadt Berlin, vertrat er stets eine an menschlichen Bedürfnissen orientierte soziale Moderne. Seine Wohnungs- und Kirchenbauten im Kaiserreich zeigen beispielhaft die radikale Abkehr vom noch gängigen Historismus, ab 1918 ist er neben Walter Gropius und Bruno Taut im revolutionären „Arbeitsrat für Kunst“ einer der Protagonisten des Expressionismus in der Architektur. Mit seinem Entwurf der Sternkirche (1922) und der Stahlkirche (1928), einer innovativen Montagekirche aus Stahl, schuf er Leitbauten des modernen evangelischen Kirchenbaus. Neue Formen und Materialien zeichnen diese Kirchen aus, aber auch Bartnings Ziel, durch Sicht- und Raumbeziehungen einen sakralen Raum für die evangelische Gemeinschaft zu schaffen.

Einzigartig ist auch das Notkirchenprogramm, in dem ab 1946 seriell vorgefertigte Typenkirchen in 43 deutschen Städten entstanden. Als Gründungsmitglied der Akademie der Künste, 1954, und Mitbegründer des Deutschen Werkbunds nach 1945 bestimmte er programmatische Leitlinien der Architekturentwicklung mit. Durch seine Bauten, Reden und Schriften prägt er maßgeblich die Baukultur der jungen Bundesrepublik. Die Internationale Bauausstellung „Interbau 1957“ in Berlin bildet einen weiteren Höhepunkt seines Lebenswerks.

Jetzt zeigt das Museum Künstlerkolonie in Darmstadt vom 19. November 2017 bis 18. März 2018 das vielschichtige Oeuvre Bartnings und seine vielseitigen Aktivitäten  in einer umfassenden Retrospektive anhand von originalen Zeichnungen, Fotografien und Architekturmodellen sowie von 3D-Simulationen. Die Ausstellung zeigt, dass Bartnings Werk sowie seine programmatischen Argumente an Aktualität nichts verloren haben. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt der Akademie der Künste, Berlin und der Wüstenrot Stiftung in Zusammenarbeit mit der Städtischen Galerie Karlsruhe, dem Institut Mathildenhöhe Darmstadt und der Technischen Universität Darmstadt. Kuratorin ist Dr. Sandra Wagner-Conzelmann, es erscheint eine ausstellungsbegleitende Publikation.

Ort:
Museum Künstlerkolonie
Westflügel und Bildhauerateliers
Olbrichweg 13 A
64287 Darmstadt
Weitere Infos;www.mathildenhoehe.eu/bartning

Zur Ausstellung im Einzelnen:

Otto Bartning, Flächentragwerk des Deutschen Reichspavillons für die Mailänder Messe, Berlin 1926, Foto: Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt, Fotograf unbekannt
Otto Bartning, Flächentragwerk des Deutschen Reichspavillons für die Mailänder Messe, Berlin 1926, Foto: Otto-Bartning-Archiv TU Darmstadt, Fotograf unbekannt

Die Ausstellung veranschaulicht anhand von Modellen, originalen Zeichnungen und Fotografien, wie der Architekt sich seit 1918 dem noch gängigen Historismus entsagte und sich einer innovativen, expressionistischen Architektur zuwandte. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und im Westflügel sowie in den Bildhauerateliers des Museum Künstlerkolonie zu sehen. Neben dem Frühwerk Bartnings präsentiert die Ausstellung im Westflügel des Museums fünf Modelle von sakralen Bauprojekten, die heute als Leitbauten der modernen Kirchenarchitektur verstanden werden. Dazu zählen sowohl der berühmte Entwurf der Sternkirche von 1922, die Stahlkirche in Köln (1928), die Rundkirche in Essen (1930) als auch die Fächerkirche in Berlin (1934). Die Entwürfe machen lebhaft sichtbar, wie Bartning mit neuen Formen und Materialien experimentierte und die Betonung von Sicht- und Raumbeziehungen in seinen Fokus rückte. Schon seit 1918 entwarf er als Mitglied im Arbeitsrat für Kunst Konzepte einer radikalen Studienreform von Architekten und Künstlern, auf die sich Walter Gropius später bei der Gründung des Bauhauses in Weimar stützte. 1919 veröffentlichte Bartning seine Programmschrift „Vom neuen Kirchbau“, die den evangelischen Kirchenbau maßgeblich beeinflusste und zur Grundlage für seine experimentellen Entwürfe für Sakralbauten wurde. Ein weiterer Fokus der Ausstellung liegt auf dem von Otto Bartning entwickelten Notkirchenprogramm für das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen. Durch die Verwüstungen des Krieges verfügten unzählige Gemeinden weder über Kirchen noch Gemeinderäume. Bartning entwickelte ein Konzept, bei welchem die Kirchenbauten sowohl kostengünstig als auch auf die jeweilige Situation flexibel anpassbar waren. Er entwarf vier Typen von Montagebauten aus seriell herstellbaren Holzkonstruktionen, mit denen die Gemeinden das überall verfügbare Trümmermaterial verbauen konnten. Pläne, Zeichnungen und Fotografien sowie eine eigens entwickelte App veranschaulichen im Museum Künstlerkolonie das Entstehen dieser Notkirchen, insbesondere den Bau der nahezu unverändert erhaltenen Matthäuskirche in Darmstadt.

Auch in seinen Sozial- und Siedlungsbauten standen für ihn stets die Funktionalität der Gebäude und eine menschenfreundliche Gestaltung im Sinne einer sozialen Moderne im Fokus. In der Weimarer Republik widmete er sich als Mitbegründer der Architektenvereinigung „Der Ring“ mit Hans Scharoun, Walter Gropius und Bruno Taut der Entwicklung von neuen Bautechniken und Grundrissen auch im Siedlungsbau. Nach 1945 trat Bartning für einen einfachen und am menschlichen Maß orientierten Wiederaufbau in Deutschland ein.

Auf Einladung der Stadt Darmstadt organisierte der Architekt 1951 das zweite Darmstädter Gespräch, auf dem interdisziplinär über das Thema „Mensch und Raum“ diskutiert wurde. Das Symposium gilt bis heute als erste gemeinsame Selbstverständigung von Architekten über die Zukunft ihres Metiers in der Nachkriegszeit. Hierfür fertigten die Architekten – unter den Teilnehmern Max Taut und Hans Scharoun – vorbildhafte Entwürfe von Sozialbauten an: die sogenannten Meisterbauten. Bartning selbst entwarf in diesem Kontext die bis ins Detail des Betriebsablaufs durchdachte und mit höchstem Komfort ausgestattete Frauenklinik in Darmstadt, deren Modell ebenfalls im Museum Künstlerkolonie ausgestellt ist.

Im selben Jahr des zweiten Darmstädter Gesprächs bezog Bartning eine Wohnung im von Joseph Maria Olbrich entworfenen Ernst Ludwig-Haus (1901) auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, das er bis zu seinem Lebensende 1959 bewohnte. Bartnings Zeit in Darmstadt widmet das Institut Mathildenhöhe mit dem unteren Bildhaueratelier des Museums einen eigenen Raum.

In den 1950er Jahren wurde Otto Bartning, als Präsident des Bundes Deutscher Architekten und zweitem Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes, zu einer Schlüsselfigur des Wiederaufbaus der jungen Bundesrepublik. Bei der Internationalen Bauausstellung Interbau 1957 in West-Berlin nahm er als Moderator und Organisator eine zentrale Rolle ein. Auf der Weltausstellung in Brüssel nur ein Jahr später, entwarf er mit dem Berliner Bildhauer Karl Hartung für die Abteilung „Heilen und Helfen“ im deutschen Pavillon einen Quellenraum mit Brunnen. Im Anschluss an die Expo wurde dieser in den Südhang vor dem Museum Künstlerkolonie Darmstadt eingelassen und ist dort bis heute zu sehen. In der Ausstellung wird erstmals das von Karl Hartung nahezu in Originalgröße ausgearbeitete Modell der Reliefwand der Brunnenanlage präsentiert.

Hauptleihgeber der Ausstellung ist das Otto-Bartning-Archiv der TU Darmstadt, das für die Ausstellung den gesamten privaten Nachlass des Architekten zur Verfügung stellte.

Ort:
Museum Künstlerkolonie
Westflügel und Bildhauerateliers
Olbrichweg 13 A
64287 Darmstadt
Weitere Infos;www.mathildenhoehe.eu/bartning

RAHMENPROGRAMM ZUR AUSSTELLUNG

KURATORENFÜHRUNG
CURATOR’S TOUR
Otto Bartning – Bauen für die Gemeinschaft / Building for the Community
mit / with Dr. Sandra Wagner-Conzelmann
30. Nov. 2017 / Nov. 30, 2017
25. Jan. 2018 / Jan. 25, 2018
8. Mrz. 2018 / Mar. 8, 2018
16 Uhr / 4 pm

FÜHRUNG DURCH OTTO BARTNINGS NOTKIRCHENBAU
GUIDED TOUR OF OTTO BARTNING’S MAKESHIFT CHURCH
Die Matthäuskirche in Darmstadt / St. Matthew Church in Darmstadt
Heimstättenweg 75, 64295 Darmstadt
8. Feb. 2018, 16 Uhr
Feb. 8, 2018, 4 pm

VERLEIHUNG DES OTTO-BARTNING-FÖRDERPREISES
CEREMONY OF THE OTTO BARTNING AWARD
Designhaus
Eugen-Bracht-Weg 6, 64287 Darmstadt
1. Dez. 2017 / Dec. 1, 2017
13 Uhr / 1 pm

ÖFFENTLICHE FÜHRUNG
PUBLIC TOUR
Jeden Sonntag um 15 Uhr / Every Sunday at 3 pm
GESAMTPROGRAMM DER AUSSTELLUNG
COMPLETE PROGRAM OF EVENTS
www.mathildenhoehe.eu/bartning

Ort:
Museum Künstlerkolonie
Westflügel und Bildhauerateliers
Olbrichweg 13 A
64287 Darmstadt
Weitere Infos;www.mathildenhoehe.eu/bartning