Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag 29. April – 11. September 2022

Die Ausstellung Mythos Handwerk vom 29. April – 11. September 2022 im MAK Frankfurt. Zwischen Ideal und Alltag legt den Fokus auf die universellen Werte und Botschaften, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit dem Handwerk verbunden werden. © Foto Diether v. Goddenthow
Die Ausstellung Mythos Handwerk vom 29. April – 11. September 2022 im MAK Frankfurt. Zwischen Ideal und Alltag legt den Fokus auf die universellen Werte und Botschaften, die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit dem Handwerk verbunden werden. © Foto Diether v. Goddenthow

„Der Mythos bestimmt sich nicht durch den Gegenstand seiner Botschaft, sondern durch die Art, wie er sie äußert.“ – Roland Barthes, Mythen des Alltags

Was ist Handwerk? Wenn über „das Handwerk“ gesprochen wird, ist meistens eine Abfolge von erlernten Handlungen und Techniken gemeint, die im Idealfall mit der Hand oder dem von der Hand geführten Werkzeug ausgeführt werden; seltener kommen Maschinen zum Einsatz. Dabei orientiert sich die handwerkliche Produktion an überlieferten Handwerkstechniken und folgt meist einer festen Reihenfolge von Arbeitsschritten. Handwerker:innen entwickeln oft Einzellösungen oder produzieren nur kleine Stückzahlen. Daher gilt „Handwerk“ auch als Gütesiegel für Qualitätsarbeit. Außerdem kann der Begriff einen Beruf oder eine ökonomische Branche bezeichnen. Aber was hat es mit dem Handwerk als Mythos auf sich?

Der französische Philosoph Roland Barthes stellt in seinen Thesen über den Mythos fest, dass ein Mythos eine spezifische Weise des Bedeutens und demnach eine Form des Sprechens ist. Mythisch ist damit nicht der Gegenstand – in diesem Fall das Handwerk –, über den gesprochen wird, sondern die besondere Form, wie über ihn erzählt wird: Eine Fülle zuweilen sich zum einen gegenseitig verstärkender, zum anderen sich widersprechender Zuschreibungen, Emotionen, Interpretationen und Wunschvorstellungen werden dem Begriff unhinterfragt zugeschrieben und machen ihn so zu einem „Mythos“.

Bananenlampe Blow 2018, Kunstharz und Glas.© Foto Diether v. Goddenthow
Bananenlampe Blow 2018, Kunstharz und Glas.© Foto Diether v. Goddenthow

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Handwerk im Spannungsfeld zwischen Ideal und Alltag. Wie ein Raster zieht sich die Frage nach dem Mythos durch die gesamte Ausstellung. Tradition, Ehrlichkeit, Schlichtheit – oft wurde und wird das Handwerk mit solchen universellen Werten in Verbindung gebracht. Welche dieser Zuschreibungen sind heute noch von Bedeutung und welche entstehen gerade neu? Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag hinterfragt gängige Vorstellungen und entblößt sowohl Romantisierungen als auch Ideologien und zeigt auf, welche Gefühle und Affekte, Vorstellungen und Wünsche rund um das handwerklich hergestellte Objekt an das Individuum und die Gesellschaft transportiert werden. In ihr werden zahlreiche zeitgenössische Debatten und die gesellschaftliche Dimension von Gestaltung verdeutlicht und neu angeregt. Die Ausstellung umfasst dabei eine Fülle von Objekten, Filmen, Bildern, Fotografien und Kunstwerken.

Impression der Ausstellung Mythos Handwerk  im MAK Frankfurt © Foto Diether v. Goddenthow
Impression der Ausstellung Mythos Handwerk im MAK Frankfurt © Foto Diether v. Goddenthow

Mythos Handwerk gliedert sich in sechs Ausstellungs-Cluster: Einzelstück/Serie, Hand/Kopf, Lokal/Global, Luxus/Notwendigkeit, Meisterschaft/Do-it-yourself und Tradition/Fortschritt. Hier können sich Besucher:innen unter anderem mit folgenden Fragestellungen auseinandersetzen: Ist Handwerk immer einzigartig? Ist das Handwerk oder Design? Wie viel Kopfarbeit steckt im Handwerk? Schafft Handwerk Identität? Schafft Handwerk Heimat? Was macht Handwerk zu Luxus? Was unterscheidet Profis von Laien? Wie viel Neues steckt im Alten? Viele Fragen zum Handwerk durchziehen die Ausstellung, tauchen in den Interviews auf, die die Kuratorinnen mit Handwerker:innen unterschiedlicher Branchen und Regionen führten und werden vertieft im Katalog zur Ausstellung. Sie sind ein Leitmotiv des gesamten Projekts und entstehen aus der Intention heraus, vielfältige Antworten auf die Frage nach der Zukunft des Handwerks zu finden.

Ein weiteres Element ist der HandWERKRaum inmitten der Ausstellung, in dem Besucher:innen die Möglichkeit haben, selbst aktiv zu werden. Sechs Stationen laden ein, durch Zeichnen, Konstruieren, Flechten, Bauen, Messen und Stöbern Kernkompetenzen des Handwerks zu entdecken und auszuprobieren. Es können eigene Ideen entwickelt und mit anderen an einer Pinnwand geteilt werden.

Die Ausstellung reagiert damit entsprechend auf das gestiegene gesellschaftliche Interesse am Handwerk. Zum einen lässt sich ein neokonservatives Qualitätsbewusstsein auf der Seite der Konsument:innen festmachen, das mit dem Kauf von gehobenen handwerklichen Gütern einhergeht.
Zum anderen gibt es die DIY-Bewegungen, die in unterschiedlichen Konjunkturen schon seit den 1970er Jahren das handwerkliche Selbermachen mit einem politischen Verständnis von Selbstermächtigung und Konsumkritik verknüpft. Doch für 13 Prozent der Bundesbürger:innen ist das Handwerk Berufs- und Einkommensgrundlage. Etwa ein Drittel aller Auszubildenden ist in Deutschland im Handwerk tätig. Nicht statistisch erfasst ist die große Zahl an Hobby-Handwerker:innen, an die sich die Werbekampagnen verschiedener Baumarktketten richtet.

Original und Nachbau? © Foto Diether v. Goddenthow
Original und Nachbau? © Foto Diether v. Goddenthow

Ganz grundsätzlich zeigt das Interesse an handwerklichen Verfahren und Fertigungstechniken, an Material und Materialität, die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als wesentlicher Bestandteil materieller Kultur, kultureller Identität und Gemeinschaft. Die Wertschätzung des Handwerks ist dabei eine Seite der Medaille, auf der anderen finden sich die problematischen Aspekte: politische Instrumentalisierungen von Tradition, Heimat und Volkszugehörigkeit, aber auch die teils prekären Lebensverhältnisse von Handwerker:innen, die niedrigen Ausbildungslöhne mancher Sparten, der mangelnde Nachwuchs, die erhöhte Gefahr für Arbeitsunfälle und körperliche Versehrtheit.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst ein umfangreicher Katalog. Mit dem gesammelten Wissen dreier Museen und differenzierten Beiträgen spüren Autor:innen unterschiedlicher Professionen dem handwerklichen Mythos in all seinen Facetten nach. Sie beleuchten fachkundig und abwechslungsreich Aspekte des Handwerks. Der Katalog kostet 24 Euro und ist an der Museumskasse erhältlich.

Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden und dem vorarlberg museum in Bregenz und wird an den beiden Standorten in den Jahren 2023/24 zu sehen sein. Neben den Gemeinsamkeiten der Institutionen und ihrer Verankerung in der europäischen Kulturgeschichte ergeben sich aus deren Standorten in unterschiedlich geprägten urbanen und ländlichen Räumen auch unterschiedliche Narrationen rund um die handwerkliche Praxis. Diese werden sichtbar gemacht und um globale Perspektiven auf das Handwerk exemplarisch erweitert.

Kuratorinnen: Grit Weber (Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main), Kerstin Stöver und Ute Thomas (Kunstgewerbemuseum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden) sowie Theresia Anwander (vorarlberg museum, Bregenz)

© Foto Diether v. Goddenthow
© Foto Diether v. Goddenthow

Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt
www.museumangewandtekunst.de