goEast eröffnet! Die Filmwelt schaut auf Wiesbaden – Highlight „Paneuropäisches Frühstück“

GORILA SE KUPA U PODNE. Deutschland, Jugoslawien 1993 82 min, 35mm, Farbe / eng, rus, deu OmdU Regie: Dušan Makavejev. © DFF
GORILA SE KUPA U PODNE. Deutschland, Jugoslawien 1993 82 min, 35mm, Farbe / eng, rus, deu OmdU Regie: Dušan Makavejev. © DFF

Mit einer absurden Szene aus „Gorilla bathes at noon“ startete am 10. April 2019 das 19. Festival des mittel- und osteuropäischen Films GoEast in Wiesbaden im vollbesetzten Caligari, darunter viel Prominenz aus Kultur, Politik und Gesellschaft.

Nach einer halsbrecherischen Kletterpartie auf das Haupt des 1991 gestürzten Lenin-Denkmals am Internationalen Platz in Ostberlin versucht der mit der neuen Wendezeit-Situation völlig überforderte russische Major Viktor seinem Idol die weiße Farbe des Protestes  von der Stirn zu waschen, als wolle er die Zeit aufhalten – bis hin zum verzweifelten Ausruf „Ich bin ein Berliner!“.. Regisseurs Dusan Makavejevs trifft wie kaum ein anderer Film den Kern der Verunsicherung, die der Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren in Ost und West bei vielen Menschen – von der Zivilbevölkerung bis hin zu den „Besatzungssoldaten – aufgelöst hat. Die Folgen der Öffnung des Eisernen Vorhangs ist auch der diesjährige Schwerpunkt von GoEast. Es geht im Kern um die Auseinandersetzung mit der Frage, was die Öffnung von Grenzen und der Fall der Berliner Mauer mit den Menschen ab den 1990er Jahren nach der Wendezeit in Ost und in West gemacht hat.

Festivalleiterin Heleen Gerritsen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Festivalleiterin Heleen Gerritsen. © Foto: Diether v. Goddenthow

30 Jahre nach dem Mauerfall werde das Rhein-Main-Gebiet vom Ostblock erobert, stellte Festivalleiterin Heleen Gerritsen ein wenig augenzwinkernd bei der Eröffnung fest. Denn mit der etwas „kriegerischen“ Formulierung sei im provokanten Sinne der „Kalte Krieg“ gemeint, der noch gar nicht so lange her sei, sowie das Verhältnis zwischen Ost und West, das immer noch stürmisch sei, wie tägliche Nachrichten zeigten. „Doch wir Osteuropafans wissen, dass die Länder in unserem Osten viel mehr zu bieten haben als Kriegsrhetorik oder Nationalismus. GoEast verwandelt Wiesbaden erneut in die Hochburg für mittel- und osteuropäische Kultur“, so die Festivalleiterin. Neben vielen hochkarätigen Filmveranstaltungen und Premieren gibt es ein besonders vielfältiges Rahmenprogramm unter dem Namen „Paneuropäisches Picknick“, und mit Krzyzstof Zanussi und Sergei Loznitsa kommen zwei der produktivsten Filmemacher nach Wiesbaden. Insgesamt hätten sich über 400 Gäste, darunter 200 Filmschaffende, akkreditiert. Die Debüt- und Nachwuchsfilmschaffenden träfen sich wieder im goEast-Festivalzentrum „Casino-Gesellschaft“ oder in der Caligari Filmbühne.

Ellen Harrington. © Foto: Diether v. Goddenthow
Ellen Harrington. © Foto: Diether v. Goddenthow

Kein anderes Kinoerlebnis bringe eine so große Vielfalt von Filmen und Filmschaffenden aus mehr als 30 mittel- und osteuropäischen Ländern mit ihren westeuropäischen Pendants zusammen wie GoEast, sagte Ellen Harrington, Direktorin des Deutschen Filminstituts- und Filmmuseums. „goEast ist ein dynamisches Sammelsurium aus Ideen, Meinungen, Kunst und Debatten, in einer gastfreundlichen Stadt und mit tollen Events für alle Besucher und Besucherinnen.“, so Harrington. 2019 sei ein besonderes Jahr, nicht nur, da sich der Fall der Berliner Mauer zum 30. Mal jähre. „Auch das Dff – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum, 1949 in Wiesbaden gegründet, feiert seinen 70. Jahrestag“, so die DFF-Direktorin. Auch vor 1989 organisierte das Deutsche Institut für Filmkunde (DIF) osteuropäische Filmwochen, um dem westlichen Publikum einen Blick hinter die Kulissen des Eisernen Vorhangs zu gewähren. „Als goEast 2001 ins Leben gerufen wurde, wurde der Aspekt der Kulturdiplomatie sofort als sehr wichtig erachtet. Dieser ist bis heute ein wichtiger Baustein, besonders im Angesicht einer sich verändernden Europäischen Union“, erläuterte die DFF-Direktorin.

 Ayse Asar, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.© Foto: Diether v. Goddenthow
Ayse Asar, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.© Foto: Diether v. Goddenthow

GoEast wolle Sterotypen aufbrechen und Klischees überwinden. Darauf ziele beispielsweise das Symposium „Konstruktion des Anderen. Roma und das Kino Mittel- und Osteuropa“ ab, sagte Staatssekretärin Ayse Asar vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. In bewährter Tradition setze goEast auf den Austausch über das Gesehene und fördere damit den Dialog und das gegenseitige Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Sozialisation. Genauso wende das Festival seinen Blick auf unsere nicht weniger spannende gesellschaftliche Gegenwart und die Zukunft des Filmschaffens. So sollen zwei neue Preise, der RheinMain Kurzfilmpreis und das Renovabis-Recherchestipendium für ein Dokumentarfilmprojekt mit Menschenrechtsbezug im Rahmen des Fortbildungsprogramms East-West-Talent Lab dem Filmnachwuchs ermöglichen, innovative Projektideen zu verwirklichen, sagte die Staatssekretärin. So zeige sich das Festival explizit als eine Plattform der Entwicklung und des Lernens von- und miteinander, so Asar.

Axel Imholz, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden © Foto: Diether v. Goddenthow
Axel Imholz, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden © Foto: Diether v. Goddenthow

Dass goEast zum 19. Mal in Wiesbaden stattfände, sei kein Zufall, denn, so Axel Imholz, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden: „wir haben eine lange Tradition in der Verbindung zu Osteuropa. Man denke nur an die russisch-orthodoxe Kapelle, die auf Wiesbaden herunterschaut. Künstler, die in früheren Zeiten Wiesbaden besucht haben, zum Beispiel Jawlensky. Aber auch heute ist die Geschichte vieler Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger eng mit Osteuropa verbunden.“ Das unterstreiche goEast in diesem Jahr vielleicht einmal mehr mit seinem „Paneuropäischen Picknick“, an dem auch Wiesbadener Kulturvereine mit Osteuropaschwerpunkt wie der polnische Kultursalon „Pokusa“ und die „Kroatische Kulturgemeinschaft“ teilnähmen, so Imholz. GoEast böte auch in diesem Jahr wieder ein Filmprogramm von  ganz hoher Qualität und  großer Vielfalt und sei zurecht ein Schwerpunkt im Wiesbadener Kulturkalender, so Imholz und weiter: „Die Filmwelt schaut auf das Festival. Wiesbaden ist in der nächsten Woche wieder einmal Filmstadt!“

Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. © Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. © Foto: Diether v. Goddenthow

Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, machte in seinem Grußwort der Festivalleiterin und ihrem Team und allen Beteiligten im Namen des Kulturfonds Frankfurt RheinMain ein großes Kompliment, nämlich dass sie es verstünden “Etwas, was schon sehr gut ist, jedes Jahr noch besser zu machen“. Das Festival in allen Formaten biete nicht nur die Gelegenheit, etwas zu finden, etwas Neues kennenzulernen, sondern auch die Chance, miteinander in Dialog zu kommen.
„Die Idee mit dem Paneuropäischen Picknick finde ich einfach genial. Weil es sozusagen Realität ist, aber mehr als Realität, nämlich Erzählung sei. Und Erzählung schaffe Realität. Der knackige Text im Programm, dass Performance-Künstler diese Sache veranstaltet haben, stünde, so Dr. Müller, zumindest mit einer zweiten Gruppen in Konkurrenz, die Ähnliches behaupte: Zum einen Otto von Habsburg, der damalige Vorsitzende der Pan-Europa-Union, und zwei Außenminister, Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn, „die damals den Draht durchgeschnitten haben, symbolisch gemeint, aber das auslösend, was sie vielleicht nicht geahnt haben, nämlich: dass sehr viele Menschen dieses Symbol für etwas Ernstes genommen haben und einfach den restlichen Draht durchtrennt und einfach den Eisernen Vorhang durch eine Art Massenbewegung beseitigt haben“, so Müller. Und was immer der Kern, die Absicht der Beteiligten gewesen war, „es war eine Performance, die die Welt erlebt hat, und die zeigt, dass in unruhigen Zeiten Kunst notwendig ist, um Drahtzäune und Barrieren wegzuräumen.“ Und dies genau sei das Anliegen von GoEast: „eine neue Plattform für Kultur aus dem Osten Europas im Rhein-Main-Gebiet zu etablieren“, so Dr. Müller.

Empfang im Caligari Foyer. © Foto: Diether v. Goddenthow
Empfang im Caligari Foyer. © Foto: Diether v. Goddenthow

Aus dem Programmheft, Seite 17:
PICKNICK (Samstag, 13.April 2019, 11.00 bis 15.00 Uhr, vor dem Rathauseingang /Schlossplatz)
„Was liegt näher im Rahmen unserer neuen Veranstaltungsreihe, als ein tatsächliches Picknick zu veranstalten – direkt neben dem Wiesbadener Markt am Schlossplatz? Neben Speis und Trank, bestehend aus einer köstlichen Reise durch
Osteuropa, laden im Rhein-MainGebiet ansässige Kulturvereine mit Osteuropaschwerpunkt zum gemeinsamen Stelldichein. Untermalt von Live-Musik und DJ Janeck möchten wir die osteuropäische Alltagskultur in die Öffentlichkeit tragen, um Festivalgäste, Publikum und die Wiesbadener Nachbarschaft zu vereinen. Folgen Sie einfach dem roten Teppich zum Picknick der besonderen Art.“

Aus dem Programmheft, Seite 16
MASTERCLASS: SERGEI LOZNITSA
„Beliebt, berüchtigt und umstritten ist das Werk Sergei Loznitsas. Egal ob in seinen Dokumentarfilmen oder in seinen Spielfilmen, der (post-)sowjetische Mensch oder genauer gesagt, die Gruppendynamik des (post-)sowjetischen Kollektivs steht im Mittelpunkt all seiner Filme. Der in der weißrussischen
SSR geborene Regisseur studierte in Kiew und Moskau und ist in seinem filmischen Schaffen erstaunlich
produktiv. Dabei entwickelte er nicht eine, sondern gleich drei ganz eigene Handschriften mit hohem Wiedererkennungswert. Bekannt geworden ist Loznitsa zunächst in Fachkreisen mit seinen mal in langsamen Bildern beobachtenden, mal aus Archivmontagen entstandenen Dokumentarfilmen wie BLOKADA (Russland, 2005). Zu dieser letzten Form kehrt er mit THE TRIAL (Niederlande, 2018), der in diesem Jahr auch bei goEast gezeigt wird, zurück (Seite 8). Mit MAIDAN, AUSTERLITZ und SIEGESTAG beobachtet er dokumentarisch Massendemonstrationen und Gruppendynamiken in langen Einstellungen. Seine Spielfilme (DONBASS, DIE SANFTE, IM NEBEL, MEIN GLÜCK) dagegen sind wie Fieberträume und zeichnen ein pessimistisches (und manchmal groteskes) Bild der post-sowjetischen Gesellschaften. Vor allem in Russland erntet Loznitsa damit viel Kritik: Immer wieder wird dem Regisseur Schwarzmalerei oder sogar anti-russische Propaganda vorgeworfen. In einer öffentlichen Masterclass erzählt Loznitsa über sein Werk, seine Entscheidungen und Erfahrungen.“

Festivalzentrum So, 14.04. / 11:30 Uhr,
in russischer Sprache mit englischer
Simultanübersetzung
Eintritt: 5 Euro / ermäßigt 3 Euro

Das  Festival „Go East“ läuft vom 10. bis 16. April 2019. © Foto: Diether v. Goddenthow
Das Festival „Go East“ läuft vom 10. bis 16. April 2019. © Foto: Diether v. Goddenthow

Das www.filmfestival-goeast.de/de/auf einen Blick:
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