E, L und M nach wie vor beliebte Anfangsbuchstaben, Marie und Henry wieder unter den Top Ten, Hanna auf dem Rückzug
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat die in Deutschland am häufigsten vergebenen Vornamen des Jahres 2022 ermittelt. Auf den Spitzenplätzen der Erstnamen halten sich wie im vergangenen Jahr Emilia und Noah. Beide Listen sind sehr stabil; mit Marie und Henry gibt es jeweils ein Wiedersehen unter den Top Ten.
Seit 1977 veröffentlicht die GfdS die Übersicht der beliebtesten Vornamen, die sich auf die Daten der deutschen Standesämter stützt. Teilgenommen haben dieses Mal über 750 Standesämter bundesweit und übermittelten knapp eine Million Einzelnamen. Damit sind fast 93 % aller im vergangenen Jahr vergebenen Vornamen erfasst. Gemeldet wurden nahezu 70.000 verschiedene Namen.
Die diesjährige Liste und viele weitere Informationen finden Siehier.
Gendersternchen oder Binnen-i? Unterstrich oder Doppelpunkt? Die feinteilige Diskussion um Notwendigkeit und Ausgestaltung einer „gendergerechten“ Sprache hält an. Prof. Helmut Weiß, der an der Goethe-Universität deutsche Sprachgeschichte lehrt, ist dem sprachhistorischen Aspekt der Debatte auf den Grund gegangen und plädiert für eine Versachlichung.
FRANKFURT. Den tatsächlichen Sprachgebrauch in früheren Epochen des Deutschen haben Prof. Helmut Weiß und Dr. Ewa Trutkowski in einer Studie untersucht, die in der Zeitschrift „Linguistische Berichte“ veröffentlicht worden ist. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern maskuline Personenbezeichnungen zu früheren Zeiten „generisch“ verwendet wurden. Mit dem Ausdruck „generisch“ bezeichnet man in der Grammatiklehre die Möglichkeit, solche Substantive geschlechtsabstrahierend zu verwenden. Weiß und Trutkowski, die gemeinsam in der DFG-Forschungsgruppe „Relativsätze“ forschten, führen den Nachweis darüber, dass maskuline Substantive bereits im Althochdeutschen für beide biologischen Geschlechter verwendet wurden – ebenso wie heute zum Beispiel das grammatikalisch feminine Wort Person oder das Neutrum Mitglied.
Der Auslöser für die Studie sei die E-Mail einer gendersprachkritischen Studentin gewesen, sagt Prof. Weiß, dessen Forschungsschwerpunkt eigentlich in der historischen Grammatik liegt. Die Studentin schrieb, dass das Wort „Studenten“ zwar aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse in der Vergangenheit nicht schon immer sowohl Männer als auch Frauen „gemeint habe“, in der Gegenwart aber durchaus generisch zu verstehen sei. Grammatikalisch maskuline Personenbezeichnungen könnten stets generisch interpretiert werden, antwortete Weiß spontan, hatte dann aber das Gefühl: Das müsste man einmal gründlicher betrachten. So nahmen er und Trutkowski dies als Ausgangshypothese für ihre sprachhistorische Untersuchung.
Für ihre Untersuchung nahmen sich die beiden Linguisten nicht in erster Linie Berufsbezeichnungen vor, sondern Personenbezeichnungen und Charakterisierungen, die seit jeher auch auf Frauen angewandt wurden. Indem man auf diese Weise nicht-linguistische Einflussfaktoren wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft möglichst außen vor ließ, habe man das weit verbreitete Argument gegen den Gebrauch des generischen Maskulinums entkräften wollen – nämlich dass dieses eine sprachgeschichtlich sehr junge Erscheinung sei, die erst mit dem Vordringen der Frauen in Männerberufe entstanden sei. Denn das Gegenteil sei der Fall: Das Generische sei sozusagen schon immer im Deutschen fest verankert.
Beispiele wie das Messer, die Gabel, der Löffel machten, so Weiß, schon dem sprachwissenschaftlichen Laien deutlich, dass die Kategorie Genus kaum 1:1 mit einem etwaigen biologischen Geschlecht zusammenhänge. „Für die Verteilung des grammatischen ‚Geschlechts‘ gibt es durchaus Regeln, aber die sind nicht semantischer Art“, sagt er. Es sei wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Genera ursprünglich Belebtes (maskulin) und Unbelebtes (neutrum) und Kollektiva (feminin) voneinander unterschieden. Das Genussystem hat vor allem einen syntaktischen Zweck: Da zugeordnete Wörter wie Adjektive formal übereinstimmen (kongruent sind), hilft es bei der Strukturierung von Sätzen und bei der Herstellung von Bezügen zwischen nominalen Ausdrücken (z.B. „Otto kennt Maria, seit er/sie 10 ist“). Zwar besteht durchaus eine Beziehung zwischen Genus und Sexus – allerdings nur in die eine Richtung: Sexus kann sich im Genus bemerkbar machen, der Umkehrschluss ist jedoch nicht zulässig.
Weiß und Trutkowski haben sich allgemeine Personenbezeichnungen vorgenommen wie Freund, Feind, Gast, Nachbar, Sünder – und konnten nachweisen, dass diese im Alt- und Mittelhochdeutschen keineswegs geschlechtsspezifisch verwendet wurden, sondern vielmehr generisch. So schrieb der althochdeutsche Dichter Otfrid von Weißenburg im 9. Jahrhundert von Jesus und Maria als Gästen der Hochzeit von Kana: „Ni ward io in wóroltzitin, / thiu zisámane gihitin, / thaz sih gésto guati / súlihhero rúamti. / Thar was Kríst guater / joh sélba ouh thiu sin múater“ („Zu keiner Zeit hat sich ein Hochzeitspaar rühmen können, so hohe Gäste zu haben (wie diese): Der heilige Christus und auch seine Mutter waren da erschienen.“). Oder im mittelhochdeutschen Frauenbuch von 1257 heißt es: „ir bedörft ein wîp ze friunde niht“ („ihr bedürft eines Weibes zum Freunde nicht“). Auch für die besonders in der Kritik stehenden Personenbezeichnungen auf -er belegt die Untersuchung eine sexusneutrale Verwendung, etwa in dem Satz: „die von alter har burgere zu Straßburg gewesen sind, es sigent frowen oder man“ („die von alters her Bürger in Straßburg gewesen sind, es seien Frauen oder Männer“). Die Endung -er wird auf die lateinische Endung -arius zurückgeführt, die im Althochdeutschen noch in einer maskulinen (-ari)und femininen Form (-âra) vorkam.
Der vor kurzem erschienene Beitrag sei in einer Vorversion von einem Preprint-Server (Lingbuzz) inzwischen mehr als zweieinhalbtausend mal heruntergeladen worden, berichtet Prof. Weiß. Die Reaktionen seien vor allem zustimmend. Insgesamt hofften er und Trutkowski, dass die Studie zur Versachlichung der Debatte beitrage. Weiß selbst ist überzeugt, dass sich die „gendergerechte“ Sprache allenfalls in Teilen der Sprachgemeinschaft durchsetzen werde.
Publikation: Ewa Trutkowski u. Helmut Weiß, Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen. In: Linguistische Berichte 273/2023. https://doi.org/10.46771/9783967692792_2
Preisträger Harald Martenstein. „Ich bin schon ein Freund sprachlicher Klarheit. Und die Kunst ist einen komplizierten Gedanken einfach und klar auszudrücken, ja und nicht einen schlichten Gedanken kompliziert auszudrücken. Das ist Bullshit, um mal einen Anglizismus einzuführen.“ „Als ich vor Jahren zum ersten Mal über Gendern geschrieben habe, die Debatte fing gerade erst so an, ich habe mir aber nichts dabei gedacht, ich fand das irgendwie bizzar. Da gab es einen solchen Wutsturm von den Leuten, die das nicht gut finden, dass ich sofort wusste: ‚Dass musst du öfters machen!‘. Zitate und Bild aus dem Video-Porträt von Video-Porträt von Andreas Ewels
„Ironisch und mit Wortwitz, kritisch unangepasst und provozierend, aber niemals verletzend, und Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden“, sei sein Kompass, so die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), die gemeinsam mit der Hans-Oelschläger-Stiftung nach einer coronabedingten Durststrecke am gestrigen Abend den Medienpreis für Sprachkritik an einen der bedeutendsten wie umstrittensten deutschen Kolumnisten Harald Martenstein verliehen.
Der mit 10 000 Euro dotierte Medienpreis für Sprachkritik ersetzt die bisherigen Medienpreise für Sprachkultur, um neue Akzente gegen rechts- und linkspopulistische Sprachkritik und Sprachlenkungsversuche zu setzen, so GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski. Gemeinsam mit GfdS-Geschäftsführerin Dr. Andrea-Eva Ewels begrüßten die Veranstalter zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft, unter ihnen der frischgebackene Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase, ein ausgewiesener Fan von Martenstein. Dieser ist immerhin 1953 in Mainz geboren und aufgewachsen. Sein Studium erfolgte in Freiburg. Start seiner journalistischen Karriere bei der Stuttgarter Zeitung, später wechselt er zum Tagesspiegel nach Berlin, zahlreiche Kolumnen, unter anderem seit 20 Jahren in der Die Zeit, und in der Welt am Sonntag. Sie krönen Martensteins journalistische Arbeit, verrät ein Video-Porträt von Andreas Ewels.
An der Schnittstelle zur Literatur stünden „journalistische Beiträge mit sprachkritischem Bezug, oder expliziten Sprachthemen, die kritisch reflektiert werden. Hierzu gehören unter anderem die Glossen, Essays und Kolumnen von Karl Kraus, Fritz Mauchner und Tucholsky wie auch von Egon Erwin Kisch, Harry Rowohlt und unserem Preisträger Harald Martenstein“, sagte der DfdS-Vorsitzende. Was alle Genannten gleichermaßen auszeichne sei ihr „scharfer, entlarvender Blick auf Sprache und Gesellschaft, sowie die Fähigkeit, ihre eigenen Gedanken und Positionen sprachkreativ unterhaltend geistreich, oft witzig, ironisch sowie auf den Punkt genau zu formulieren.“ Dafür hat Harald Martenstein in den letzten Jahren unzählige renommierte Literatur-Preise erhalten, unter anderem den „Erwin-Ego-Kisch-Preis“ und den „Henri-Nannen-Preis“.
Für Christiane Hinninger, Dezernentin für Umwelt, Wirtschaft, Gleichstellung und Digitalisierung der Landeshauptstadt Wiesbaden, in Vertretung von Oberbürgermeister Gerd-Uwe Mende, ist es ein Glücksfall, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache seit 1965 ihren Sitz in Wiesbaden hat. Es gereiche „uns zur Ehre, wenn unsere Stadt öffentlich mit der Gesellschaft für deutsche Sprache in Verbindung gebracht wird, insbesondere mit Aktionen wie ‘Beliebteste Vornamen‘ und die ‘Wörter des Jahres‘. Zudem profitiere die Stadt Wiesbaden ganz konkret von der Expertise der GdfS, etwa beim seit 15 Jahren laufenden Projekt „Klartext“, über das es in gemeinsamen Workshops und Seminaren gelang „Verwaltungssprache verständlicher, lebendiger und persönlicher zu gestalten“ .“Wir wollen uns einer Sprache bedienen, die von allen und egal, welchen Bildungsstand sie haben, auch gut verstanden werden kann“, so die Dezernentin abschließend in ihrem Grußwort.
Laudatorin Anna Schneider empfiehlt allen Gender Studies-Studenten Martenstein-Lektüre
Laudatorin Anna Schneider zitiert Martenstein und seine Kritiker
„Es ist mir eine unfassbare Freude und Ehre, dass ich dir ein Loblied singen darf“, startete WELT-Chefreporterin Anna Schneider ihre Laudatio. Der „Alte weiße Mann“ stünde mittlerweile „am Ende der zeitgeistigen Nahrungskette“, zumindest bei der zwischen 1981 und 1998 geborenen Millennial-Generation, also ihrer Altersgruppe. So sei der „Alte weiße Mann“ Martenstein ins Visier ihrer etwa gleichaltrigen Kollegin Marlene Knobloch, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, geraten. Davon zeuge ein Auftritt in deren neuen Buch „Serious Shit. Die Welt ist gefährlich – und warum wir das erst jetzt merken“ (2023 dtv). In einer Passage beschreibe Knobloch darin ganz kurz und knapp, warum auch dieser Typ Martenstein eigentlich sein Grundproblem sei. Für die Erzählerin im Buch scheine Martenstein so furchtbar zu sein, dass sie erst mal Luft holen müsse, und „In diesem Sprudel von Stereotypen und Klischees und Sexismus und überhaupt“ nicht wisse, wo sie anfangen solle, vor ihm zu warnen. Im Kern regt sich Knoblochs Ich-Erzählerin über Martensteins Kritik an der woken Umbenennung eines Werbeslogans für das Berliner Technikmuseum auf: „Es geht um das deutsche Technikmuseum in Berlin und dessen neuen Slogan: „Statt der männlichen kolonialistisch assoziierbaren Version ‚Für Entdeckter‘, lautet er jetzt ‚Einfach für dich!‘. Natürlich ideologischer Wahnsinn für den Kolumnisten und völlig an der Realität vorbei gedacht.“, schnaubt Knoblochs Erzählerin. Zudem gerate, so Anna Schneider, Martensteins angeblich dauerschlechte Grantler-Laune als ein Strukturproblem in Kritik, die dieser obendrein zu Geld mache und somit seine Polemik noch vergolde (…) „für ein Honorar, von denen jüngere Autoren wie ich nur träumen“, schimpft die Ich-Erzählerin in „Serious Shit“.
Dieser Buchabschnitt spiegele ein wenig wider, wie das geistige Umfeld in ihrer jüngeren Generation oftmals ticke, und nun wisse man auch, warum die Welt gerade dieser Autorin so gefährlich sei, „vor allem für uns um Mitte 30“, „weil offensichtlich bereits das Lesen einer Kolumne eines Mannes, eines weißen alten Mannes, uns dermaßen aus der Ruhe bringt (…)“, lästert Schneider über Martensteins Kritikerin.
„Es ist wirklich sehr anstrengend woke zu sein“, so Anna Schneider. Vor allem könne sie sich nicht daran erinnern, „jemanden gesehen zu haben, der wie Harald Martenstein dermaßen bestens gelaunt sei, und große, aber uneitle Freude an seinen eigenen Texten habe“ und seinem Publikum einen Lacher nach dem anderen abringe. Deswegen könnten viele ihrer Millennials-Kollegen mit Martenstein wohl nichts anfangen: „Denn wer lacht, der leidet nicht, und das verträgt sich mit wokesein so gar nicht“, frotzelt Schneider.
Deutschland dürste regelrecht nach Martensteins. Wer mit „derart intellektuellen Scheuklappen wie viele Zeitgenossen durchs Leben liefe“, verpasse da leider „so einiges, wie zum Beispiel, dass Harald Martenstein für die Gedankenfreiheit in diesem Land mehr tut, als so mancher Gender-Studies-Student“, und das sage eine Studies-Veteranin, und genau zu diesem Thema handele auch ihre Lieblingskolumne „Pronomenrunden“, so die Laudatorin.
„Pronomenrunden“
In „Pronomenrunden“ nimmt der Preisträger für Sprachkritik das gleichnamige Sitzungs-Ritual des Regenbogen-Referats seiner einstigen Heimat-Uni Freiburg auf’s Korn: „Menschen hießen damals ‚der Ulli‘ oder ‚die Gundi‘, es war eine unsensible Epoche. Beim Regenbogen-Referat, der Interessenvertretung unter anderem der a_sexuellen, trans*, inter*, poly* und queeren* Studierenden, beginnt jede Sitzung mit der Pronomenrunde. Die Anwesenden dürfen ihre Namen und das Pronomen nennen, mit dem sie angesprochen werden möchten, also er, sie oder es oder sonst wie. Als weitere Möglichkeiten werden „x“, „per“ und „hän“ genannt. „Hän“ ist Finnisch und neutral. „Hän“ ist quasi die Schweiz unter den Pronomen.“
Martenstein zeige in dieser Kolumne immer wieder auf, dass letztlich das Problem, niemanden durch eine im Zweifel „falsche Anrede“ zu kränken, unlösbar sei. Die einzige Lösung wäre Schweigen. „Dann ist im Seminar garantiert niemand verletzt, und niemand muss weinen“.
Eine Person, zitiert die Laudatorin Martenstein weiter, sei „immer komplexer als jeder Name, jede Zuschreibung und jede sexuelle Identität, ein Mensch ist immer mehr als das“. „Sprache diene dazu, die Wirklichkeit alltagstauglich zu vereinfachen, nur so werde Kommunikation möglich.“ Deshalb ist Sprache immer ungerecht“, so Martensteins Worte. (Über Wörter, die alles offenlassen, die Last des eigenen Namens und die Schwierigkeit, sich selbst zu definieren https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/39/harald-martenstein-genderwahn-hochschulen), Am liebsten würde sie Martensteins letzten Absatz „warum Sprache immer ungerecht“ sei, immer wieder allen Studierenden oder sonstigen zeitgeistig verstrahlten Studenten ausgedruckt in die Hand drücken. Marteinlektüre für Studies!
Natürlich sei so ein Preis eine tolle Sache, es mache ihn ein bisschen demütig, da es wahnsinnig viele großartige Kollegen und Kolleginnen gäbe, die er bewundere, und die den Preis wohl mehr als er verdient hätten, kokettierte der Geehrte bei seinem Dank. Ein bisschen Glück gehöre dazu, „wir haben das ja eben von Anna Schneider gehört, dass es unmöglich immer ganz gerecht zugehen kann im Leben, also muss ich das jetzt einfach mal so hinnehmen, und dass ich der Profiteur vielleicht von der Ungerechtigkeit bin, aber es freut mich ja trotzdem“.
Was Martenstein antreibe? Das sei vor allem „Zweifel“, „Selbstzweifel“, „oft, weil ich mir über eine Sache nicht so ganz im Klaren bin, und nicht so richtig wisse, was richtig, falsch, gut, und böse sei. Selbstverständlich habe er jetzt aber etwas vorbereitet, indem er sich mit etwas „Sprachkritischem“ bedanke, nämlich zum Thema „Sensitivity Reading“,
„Sensitivity Reading“ in letzter Konsequenz das Ende von Literatur
Bei „Sensitivity Reading“, so Martenstein, überprüften „Spezialisten für Sensibilität“ im Auftrag von Verlagen Buchmanuskripte darauf, ob der „Inhalt oder ihre Wortwahl jemandes Gefühle verletzen könnte“. Gemeint seien „damit nicht die Gefühle alter weißer Männer, wie ich einer bin, sondern die Gefühle von Menschen z.B. mit nichtweißer Hautfarbe, also People of Color, von sexuellen Minderheiten, z.B. Transsexuellen, Gefühle von Frauen, wobei damit in erster Linie solche Frauen gemeint sind, die ihr Geschlecht nur für eine gesellschaftliche Zuschreibung und im Grunde für inexistent halten. Ich glaube also nicht, dass die Gefühle von Anna Schneider damit gemeint sind.“
Wie das funktioniere, habe vor einigen Wochen die Zeit vorgeführt, die einen Mitarbeiter einen Text verfassen und anschließend von einer Sensitivity-Readerin lektorieren ließ. Erwartungsgemäß wurde die fehlende Gendersprache moniert, und „statt des kleingeschriebenen ‚man‘ sollte es stets ‘eine Person‘ heißen. Der Satz ‘Beim Überqueren einer Straße sollte man vorsichtig sein‘, könnte nämlich möglicherweise so verstanden werden, dass nur Männer darauf aufpassen müssen. Frauen nicht! Wer weiß wie viele Frauen nur deswegen, wegen des ‘man‘, in den letzten Jahrzehnten überfahren wurden?“. Große Heiterkeit im Saal.
Auch sollten Hautfarben im Text stets mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden, also „Weiß“ oder „Schwarz“, damit niemand denke, es handele sich um reale Sachen, als sei „einer in einen weißen oder schwarzen Farbbottich gefallen“. „Ich frage mich, ob es in der Weltliteratur wirklich schon einmal eine solche Verwechslung gegeben hat?“, so der Sprachkritik-Preisträger.
Der Schlüsselsatz des Zeit-Textes lautete: „Mit Kunst, will man doch niemandem wehtun!“ „Das ist, finde ich, so falsch wie ein Satz nur falsch sein kann“, wetterte Martenstein gegen diese neue Weichspül-Manie. Denn „gerade große Kunst fordere uns manchmal. Sie könne unser Weltbild, unser Selbstbild erschüttern“, und „uns womöglich tagelang verfolgen oder sogar für den Rest unseres Lebens“. Klar, wäre nicht jede Kunst, die weh tut, bedeutend. Sie könne einfach auch nur schlecht sein. „Aber bedeutende Kunst berührt in uns meistens eine Stelle, die noch nie berührt wurde. Sie trifft einen Widerstand, das macht sie unvergesslich.“
So betrachtet, bedeute Sensitivity Reading in letzter Konsequenz „nichts weniger als das Ende der Literatur und ihre Ersetzung durch Gefälligkeitstexte“, empört sich Martenstein. Und wo es keine unmoralische Literatur mehr geben dürfe, „da darf es beim Erzählen auch keine Wahrheit mehr geben.“
Die Angst der Verlage vor den Konsequenzen von Shitstorms
Verlage, die nach Information seiner Agentin pro Buch durchschnittlich 1500 Euro Zusatzkosten für das zusätzliche Weichspül-Lektorat berappen müssten, entschieden sich seiner Meinung nach dafür nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst. Es sei die Angst vor dem Shitstorm, „die Angst, für die Überschreitung immer enger gezogenerer Grenzen angeklagt zu werden. Es ist die Angst davor, ein fertig produziertes Buch nach wütenden Protesten mit hohem Verlust aus dem Verkehr ziehen zu müssen“. Es sei “die Angst vor einer relativ kleinen, gut organisieren Minderheit, die so tut, als besitze allein sie das Recht, über ‘gut und böse´‚ ‘richtig und falsch‘ zu entscheiden“, so der Preisträger.
Sprache gehöre jedoch allen, „weder der Obrigkeit, noch einer Minderheit, die aus der Unterdrückung vergangener Jahrzehnte als Kompensation das Recht ableitet, heute zu verbieten, und Vorschriften zu machen.“
Wer alles Kränkende vermeiden möchte, sollte Einsiedler werden
Und gerade „weil die Sprache uns allen gehört, sollte es keine Sonderregeln geben“ insbesondere nicht für bestimmte Gruppen“, so Martenstein. Wer verlange, „niemals, in egal welchem Kontext, etwas auch nur unabsichtlich Kränkendes über die Gruppe hören oder lesen zu müssen, der er oder sie angehört, der müsste dieses Recht natürlich auch allen anderen zugestehen!“, ist für den Preisträger die logische Konsequenz. Er warnte daher eindringlich vor dieser woken literarischen Weichspülmode, denn, „wenn wir aber allen einander niemals unangenehm sein dürfen, dann sollten wir am besten jeden Kontakt miteinander meiden und Einsiedler werden.“
Weder Gender-Gebot, noch Gender-Verbot
Im Übrigen habe er nichts dagegen, wenn andere Leute gendern. „Können sie machen“. Es dürfe aber eben nur nicht vorgeschrieben oder institutionell über Leitfäden /Plattformen als vorbildhaftes Schreibverhalten empfohlen werden, etwa durch Behörden, Kommunen, Universitäten, ebenso wie es umgekehrt nicht von Gegnern verboten werden sollte.
„Nein, ich wünsche mir kein einziges Verbot. Ich wünsche mir und allen anderen nur den Mut, für das freie Wort, für die Freiheit der Sprache der Zeitungen und der Literatur einzutreten, auch, wenn mal dummes Zeug geschrieben wird. Auch wenn mal jemanden etwas wehtut! Ein Recht auf Freiheit haben alle, die nichts Illegales tun, egal aus welcher Ecke sie kommen“, bekräftigte Harald Martenstein unter großem Applaus.
„Orthographie in Wissenschaft und Gesellschaft“ lautet das Thema der 59. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim (IDS), die vom 14. bis 16. März 2023 im Congress Center Rosengarten Mannheim stattfindet.
Orthographie als einziger amtlich normierter Bereich der deutschen Sprache spielt nicht nur in der sprachwissenschaftlichen Forschung, sondern auch in der gesellschaftlichen Diskussion eine zunehmend interessante Rolle. Aktuelle Entwicklungen wie Globalisierung und Internationalisierung befördern die rasante Aufnahme neuer Fremdwörter, vor allem Entlehnungen aus dem englischen-amerikanischen Sprachraum, in den deutschen Fach- und Allgemeinwortschatz. Neue digitale Medien erfordern veränderte, nutzungsorientierte Vermittlungsstrategien orthographischer Inhalte. Und nicht zuletzt die kontrovers geführte Debatte über gendersensible Schreibung mit Genderstern oder anderen Sonderzeichen im Wortinneren stellt die Schreibgemeinschaft vor große Herausforderungen bei der korrekten und angemessenen Umsetzung orthographischer Regeln. Die Tagung will diese komplexen und zum Teil konträren Prozesse unter drei Schwerpunkten multiperspektiv beleuchten:
Theorie und Empirie wie z. B. Normreflexion und Schreibgebrauch als Spiegel gesellschaftlichen und orthographischen Wandels
Vermittlung orthographischen Wissens im Bildungsbereich in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Orthographie im öffentlichen Raum, z. B. aktuelle Forschungen zu soziokulturell relevanten Themen wie Neologismen oder Gender
Im Kontext wissenschaftstheoretischer Überlegungen geht es dabei u. a. um die Frage der Einordnung empirischer Schreibbeobachtung in schriftbezogene Regularitäten, in der angewandten Forschung und didaktischen Vermittlung um die Beziehung und Annäherung von Norm und Schreibgebrauch. Dies spannt den Bogen zur Bewertung von Rechtschreibung und Orthographie-Kompetenzen in der Gesellschaft und zu der Frage, wie sinnvoll und notwendig es für die Sprach- und Schreibgemeinschaft auch zukünftig ist, eine amtlich normierte Rechtschreibung im gesamten deutschen Sprachraum zu erhalten.
Eine Podiumsdiskussion mit internationalen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik erörtert am Ende des ersten Tagungstags das Thema: „Amtliche deutsche Rechtschreibung – wozu?“.
Im Rahmen der Tagung findet außerdem die Verleihung des Hugo-Moser-Preises sowie des Peter-Roschy-Preises statt.
Erwartet werden rund 400 Gäste aus 24 Ländern.
Das vollständige Tagungsprogramm findet sich unter: https://www.ids-mannheim.de/aktuell/veranstaltungen/tagungen/2023/
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) und die Hans-Oelschläger-Stiftung verleihen Ende März den neu ausgerichteten Medienpreis für Sprachkritik. Der mit 10 000 Euro dotierte Preis ersetzt die bisherigen Medienpreise für Sprachkultur und setzt die Sprachkritik als wichtigsten Schwerpunkt an.
Erster Preisträger des neuen Preises ist der bekannte Journalist und Sprachkolumnist Harald Martenstein. Dies entschied eine unabhängige Jury bestehend aus dem Hauptvorstand der GfdS sowie aus Vertreterinnen und Vertretern der Hans-Oelschläger-Stiftung.
»Harald Martenstein zählt seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Kolumnisten in Deutschland«, erklärt Peter Schlobinski, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache. »Mit scharfem Blick auf die kleinen Dinge des Alltäglichen und die großen Fragen der Politik seziert Martenstein gesellschaftliche und sprachliche Entwicklungen: ironisch und mit Wortwitz, kritisch, unangepasst und provozierend, aber niemals verletzend. Sein Kompass: Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden«, lautet die Begründung der Jury.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache mit Sitz in Wiesbaden und Berlin. Unter anderem wählt sie jedes Jahr das Wort des Jahres und gibt die beliebtesten Vornamen des Jahres bekannt. Um ihre Aufgaben wahrnehmen und ihre Ziele erreichen zu können, wird sie von der Bundesregierung (Beauftragte für Kultur und Medien) und von den Regierungen der Bundesländer (Kultusministerkonferenz) gefördert.
Der Preis wird in einem Festakt am 25. März um 19 Uhr in Wiesbaden verliehen
(Schlangenbad, Dezember 2022). Rund 400 Sprachwissenschaftler und Philologen haben einen Aufruf unterzeichnet, der die Nutzung der „gendergerechten Sprache“ in öffentlich-rechtlichen Sendern scharf kritisiert. Die Sprachwissenschaftler fordern eine „kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage“. Der Aufruf löste ein großes Medienecho aus.
Unter den Unterzeichnern befinden sich Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache und des PEN-Zentrums sowie etliche renommierte Sprachwissenschaftler. Initiiert wurde der Aufruf von dem Germanisten, Musiker und Buchautor Fabian Payr („Von Menschen und Mensch*innen“ – Springer 2021).
Die Sprachverwendung des ÖRR sei, so die Experten, „Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern“. Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache „regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei“ umzugehen. Im Aufruf wird darauf hingewiesen, dass mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch bevorzugten – der ÖRR dürfe den Wunsch der Mehrheit nicht ignorieren.
Die im Aufruf formulierte Kritik an der Genderpraxis des ÖRR erfolgt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: Das Konzept der gendergerechten Sprache basiere auf der Vermengung der Kategorien Genus und Sexus. Grammatisches Geschlecht und natürliches Geschlecht sind jedoch, wie die Wissenschaftler betonen, nicht grundsätzlich gekoppelt. Sprachhistorische Untersuchungen belegten ferner, dass das generische Maskulinum keineswegs erst in jüngerer Zeit Verwendung fand, sondern seit Jahrhunderten fester Bestandteil der deutschen Sprache ist.
Die Sprachwissenschaftler und Philologen kritisieren ferner, dass an Stelle von sprachsystematischen und sprachlogischen Betrachtungsweisen zunehmend psycholinguistische Studien herangezogen werden, um Veränderungen des Sprachgebrauchs zu legitimieren. Diese umstrittenen Studien lieferten aber keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig „Bilder von Männern“ erzeugen. Eines der zentralen Argumente für das Gendern sei mithin hinfällig.
Die Wissenschaftler äußern im Aufruf ihre Sorge, dass Gendern zu einer ausgeprägten „Sexualisierung der Sprache“, also zu einer permanenten „Betonung von Geschlechterdifferenzen“ führe. Dadurch werde das wichtige Ziel der Geschlechtergerechtigkeit konterkariert. Im Hinblick auf das angestrebte Ziel – Geschlechtergerechtigkeit – sei Gendern also dysfunktional.
Kritisiert wird ferner, dass der ÖRR geltende Rechtschreibnormen missachte: Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hatte im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprechen, da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen. Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln sei „nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar“.
Außerdem, so die Wissenschaftler, sorge die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für „erheblichen sozialen Unfrieden“ und leiste gefährlichen Partikularisierungs- und Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft Vorschub.
Der forcierte Gebrauch gegenderter Formen befinde sich nicht im Einklang mit dem Prinzip der politischen Neutralität, zu der alle Sender gemäß Medienstaatsvertrag verpflichtet seien. So stamme das Projekt der “gendergerechten Sprache” ursprünglich aus der feministischen Linguistik und werde heutzutage vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen rund um die Social-Justice-Studies vorangetrieben. Zu einer solchen „ideologisch begründeten Sprachform“ müsse der ÖRR kritische Distanz wahren.
Auch die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache wird kritisiert: Sie sei „vielfach tendenziös“ und diene im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis. In den Medien des ÖRR überwiege eine positive Darstellung des Genderns. Kritiker würden nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert.
Dem Aufruf ist eine umfangreiche Literaturliste beigefügt, eine Auflistung aktueller Meinungsumfragen zum Gendern sowie Links zu ÖRR-Sendungen zur Thematik sowie eine Chronik.
Das Wort des Jahres 2022 ist Zeitenwende. Diese Jury-Entscheidung gab heute die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden bekannt. Das keineswegs neue Wort, das speziell für den Beginn der christlichen Zeitrechnung, in allgemeinerer Bedeutung auch für jeden beliebigen Übergang in eine neue Ära steht, wurde in diesem zweiten Sinne prominent von Bundeskanzler Olaf Scholz verwendet. „Der russische Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 markiere eine »Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinentes. Er bedroht unsere gesamte Nachkriegsordnung“, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Februar gesagt, so Professor Dr. Peter Schlobinski heute bei der Bekanntgabe.
Die deutsche Wirtschafts- und Energiepolitik habe sich völlig neu ausrichten müssen, erklärte Schlobinski, auch Verhältnisse zu anderen internationalen Partnern wie China seien kritisch beleuchtet worden. Bei vielen Menschen habe zudem eine emotionale Wende stattgefunden. Vielfach seien Angst und Sorge vor einem Atomkrieg in Europa oder gar einem dritten Weltkrieg zu spüren gewesen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe im gleichen Zusammenhang von einem „Epochenbruch“ gesprochen.
Ebenfalls auf den Russland-Ukraine-Krieg bezieht sich der widersinnig anmutende Ausdruck Krieg um Frieden (Platz 2). Für die Moskauer Propaganda handelt es sich um eine militärische Spezialoperation, für viele, insbesondere in der NATO, schlicht um einen Angriffskrieg. Auch in politischen Parteien mit pazifistischer Tradition verbreitete sich die Ansicht, dass die Ukraine mit Waffen unterstützt werden müsse, um ihre staatliche Integrität verteidigen und später einen dauerhaften Frieden in Osteuropa erreichen zu können.
Die Gaspreisbremse (Platz 3), auch Gaspreisdeckel genannt, ist nur eines der Instrumente, mit der die Bundesregierung auf die eklatanten Preissteigerungen in vielen Lebensbereichen zu reagieren versucht. Deutschland erlebt derzeit nach verbreiteter Auffassung die schwerste Krise seit 50 Jahren. Die Teuerung trifft große Teile der Bevölkerung hart: Die Wortbildung Inflationsschmerz (Platz 4) bringt dies anschaulich zum Ausdruck.
Auf den Plätzen vier und fünf des diesjährigen GfdS-Rankings landeten die Begriffe „Inflationsausgleich“ und „Klimakleber“. Auf ihrer Website veröffentlicht die Gesellschaft für Deutsche Sprache die ausgewählten „Wörter des Jahres“ 2022 mit jeweils ausführlichen Begründungen der Wahl.
Zeitenwende
Krieg um Frieden
Gaspreisbremse
Inflationsschmerz
Klimakleber
Doppel-Wumms
neue Normalität
9-Euro-Ticket
Glühwein-WM
Waschlappentipps
Wahl aktueller Begriffe, die das Leben besonders prägen
Jeweils kurz vor Jahresende wählt eine Jury von Sprachwissenschaftlern nach eigenen Angaben „aus mehreren tausend Belegen aus verschiedenen Medien und Einsendungen von Außenstehenden“ zehn Wörter des Jahres aus und stellt eine Rangliste auf. Diesmal gingen mehr als 2.000 Einsendungen ein, hieraus wurde eine „Longlist“ von zirka 150 Worten herausgefiltert wurden. Hieraus ermittelte die Jury die 10 prominentesten Wörter des Jahres, wovon schließlich „Zeitenwende“ zum Begriff des Jahres gekürt wurde.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat die in Deutschland am häufigsten vergebenen Vornamen des Jahres 2021 ermittelt. Spitzenreiter bei den Erstnamen sind wie im vorhergehenden Jahr Emilia und Noah. Blitzaufsteiger Matheo macht weitere Plätze gut. Mit Emil gibt es einen Neuzugang in den Top Ten der Jungennamen, darüber hinaus ein Widersehen mit Luca. Die Mädchennamen sind derweil weiterhin stabil.
* Anteil an allen vergebenen weiblichen bzw. männlichen Vornamen In Klammern die Platzierung im Vorjahr. Lautliche Varianten – Hannah/Hanna, Henry/Henri etc. – wurden mitgezählt, doch nur dann mit aufgeführt, wenn sie eine relevante Häufigkeit erreichten.
Was sich in den Top Ten sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen zeigt: die Mischung aus Zeitlosigkeit und Zeitgeist. Auf der einen Seite haben wir Namen, die uns in der Spitzengruppe schon seit vielen Jahren begleiten, etwa Hanna, Sophia, Emma, Mia und auch Lea, bei den Jungen sind es Leon, Paul, Elias und Felix, aber auch Noah, Luca und Louis treffen wir schon eine gute Weile in den Top Ten an. Mila, Lina, Ella und Klara sowie Matheo, Finn und Emil gehören hingegen zu den Namen der Kategorie »Zeitgeist«: Durch sie wird weniger Tradition, dafür mehr Trend transportiert.
Bei den Jungen hat sich Matheo weiter nach oben gearbeitet. Im Vorjahr sorgte er für eine große Überraschung, indem er sich von Platz 13 auf Platz 4 katapultiert hatte. Die Erwartung, im Folgejahr vielleicht Platz 1 zu erobern, konnte er jedoch nicht erfüllen: Noah lässt sich noch nicht von der Spitzenposition verdrängen. Dafür verzeichnen die Top Ten auch in diesem Jahr einen Neuzugang: Emil auf Platz 8 harrt schon seit einigen Jahren darauf, in die Spitzengruppe aufzusteigen. Luca hingegen, ebenfalls neu in den Top Ten, ist hier kein Unbekannter: Schon seit 2002 zählte der Name regelmäßig zu den beliebtesten Vornamen und belegte 2012 sogar den ersten Platz, bevor er ab 2017 eine Pause einlegte. Für diese beiden Aufsteiger mussten Henry, im Vorjahr Platz 9, und Ben, im Vorjahr Platz 5 und seit 2011 regemäßig unter den Top Ten, das Feld räumen.
Lautlich unterscheiden sich die Jungennamen etwas stärker voneinander als die Mädchennamen; dennoch dominieren auch hier kurze, teils sogar einsilbige Namen. Wohlklang wird erzeugt durch sogenannte Hiate, zwei aufeinandertreffende Vokale in unterschiedlichen Sprechsilben, etwa bei Noah, Matheo, Leon, Elias und Louis. Sieben der zehn Namen beginnen zudem mit einem sonoren Konsonanten (, , ) oder dem hellen Vokal .
Gesellschaft für Deutsche Sprache hilft bei der Namenssuche für Ihr Kind
Sie suchen noch nach dem passenden Namen für Ihr Kind? Vielleicht kann Ihnen die Liste der beliebtesten 200 Vornamen (jeweils für beide Geschlechter) dabei helfen! Diese können Sie für jeden Jahrgang ab 2004 für 10 Euro pro Liste bei uns bestellen (siehe aktuelle Preisübersicht). Ab dem Jahrgang 2019 können Sie auch die Top 200 der einzelnen Bundesländer und der Regionen bestellen (jeweils die Top 200 der Erstnamen und die Top 200 der Folgenamen (= Zweitnamen))
Gern geben wir Ihnen auch Auskunft zur Platzierung einzelner Vornamen. Sie erreichen uns montags bis donnerstags von 8.30 Uhr bis 15.30 Uhr und freitags von 8.30 Uhr bis 12.30 Uhr unter der Nummer unserer Vornamenberatung: 09001 888 128 (1,86 €/Min.).
Die Frankfurter Hausgespräche beschäftigen sich in diesem Jahr mit dem Thema „Soll, muss und kann Sprache gerecht sein?“. An vier öffentlichen Diskussionsabenden wird der Wunsch nach gerechter Sprache aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen.
Aktuelle sprachwissenschaftliche und sprachpolitische Forderungen werden ebenso diskutiert wie die Idee einer universalen Sprache, wie sie im Esperanto formuliert wird. Weitere Themen sind Sprachengerechtigkeit durch Mehrsprachigkeit und Überlegungen zur bewusstseinsbildenden Kraft von Sprache als Thema in der Epoche der Romantik. Die kostenfreien Veranstaltungen finden vom 27. April bis zum 18. Mai 2022 wöchentlich an unterschiedlichen Orten in Frankfurt statt. Manche Diskussionen werden zudem live ins Internet übertragen. Die Frankfurter Hausgespräche sind ein gemeinsames Veranstaltungsformat der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, des Freien Deutschen Hochstifts, des Haus am Dom und des Jüdischen Museum Frankfurt. Weitere Informationen zu den Inhalten und zur Anmeldung unter www.frankfurter-hausgespraeche.de.
Seit 2010 veranstalten vier namhafte Frankfurter Institutionen zusammen die Frankfurter Hausgespräche. An öffentlichen Diskussionsabenden wird ein gemeinsames Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet – stets mit der Maxime, die Gegenwart mit einem Blick in die Vergangenheit und Gedanken an die Zukunft zu verbinden.
In diesem Jahr geht es vor dem Hintergrund aktueller Debatten im Spannungsfeld zwischen einem Sprachwandel und der Einhaltung bestimmter Sprachregeln um die Frage „Soll, muss und kann Sprache gerecht sein?“. Woher der Anspruch nach gerechter Sprache kommt, wie er sich im Einzelnen darstellt, und wohin er führt, damit beschäftigen sich vier aufeinanderfolgende Diskussionsrunden.
Den Auftakt macht die Stiftung Polytechnische Gesellschaft am 27. April 2022 um 19:30 Uhr mit einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Unter dem Titel „Die Forderung nach gerechter Sprache – sprachphilosophisch, sprachwissenschaftlich und sprachpolitisch betrachtet“ diskutiert die Germanistin und DUDEN-Chefredakteurin, Dr. Kathrin Kunkel-Razum mit Prof. Dr. Thomas Steinfeld, Journalist, Literaturkritiker, Übersetzer und Schriftsteller. Moderiert wird das Gespräch von Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Zu Fuß Gehende, Praktikant*innen, Steuerberater_innen, BürgerInnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Es ist nicht gerade leicht, ein bestehendes System von Personenbezeichnungen und Pluralen umzubauen, auch wenn das Deutsche durch seine Elastizität viele Möglichkeiten bietet. Es bleibt spannend, ob sich die neuen Personenbezeichnungen und die damit einhergehenden Verschiebungen in der Bezeichnungsarchitektur des Deutschen gegen Tendenzen der Sprachökonomie durchsetzen werden. Sprachphilosophische, sprachwissenschaftliche und sprachpolitische Aspekte spielen dabei eine wichtige, nicht immer dieselbe Rolle. Das Hausgespräch lotet Absichten und Folgen der Forderung nach gerechter Sprache differenziert aus.
Am 4. Mai 2022 um 19:00 Uhr setzen sich im Jüdischen Museum Frankfurt Prof. Dr. Liliana Ruth Feierstein, Professorin für Transkulturelle Geschichte des Judentums an der Humboldt-Universität Berlin, Prof. Dr. Sabine Fiedler, Vorsitzende der Gesellschaft für Interlinguistik e. V. und Professorin für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Leipzig, und Dr. Anja Christina Stecay, Vorstandsmitglied der Esperanto-Gesellschaft Frankfurt, mit Ludwig Zamenhof und seiner Idee der „universalen Sprache“ auseinander. 1887 publizierte der Warschauer Augenarzt und Philologe Ludwig Leyzer Zamenhof (1859-1917) eine Broschüre mit dem Titel „Internationale Sprache“, die zum Gründungsmanifest von Esperanto wurde. Bereits als Jugendlicher träumt er von einer „Lingwe Uniwersale“, die die Verständigung in der diversen Stadtbevölkerung stärken und ehemalige Shtetl-Bewohnerinnen und Bewohner mit anderen Minderheiten verbinden sollte. Dieser Völkerverständigungsgedanke trägt bis heute die Plansprache Esperanto, die weltweit Anhänger fand und nach wie vor von Millionen Menschen praktiziert wird.
Am 11. Mai 2022 um 19:30 Uhr folgt eine Veranstaltung im Haus am Dom. Die Zunahme einer Pluralität der Herkünfte und Kulturen führt in einem Einwanderungsland wie Deutschland notwendig zu einer Vielfalt von Sprachen, die – zumindest im privaten Zusammenhang – gesprochen werden. Doch wie sich dann verständigen, wenn nicht durch Mehrsprachigkeit möglichst aller Bürgerinnen und Bürger? Ist Indien ein Vorbild, wo Hindi und Englisch zwar als Amtssprachen gelten, man aber angesichts der Vielfalt gesprochener Sprachen auf eine Nationalsprache verzichtet? Sollten Herkunftssprachen ebenso gefördert werden wie die deutsche Sprache, also auch als Schulfächer und Zusatzqualifikation anerkannt werden? Oder sollten nicht doch vor allem (sehr) gute Deutschkenntnisse aller langfristig in Deutschland Lebenden als oberstes Ziel der Sprachbildung gelten? Über diese und andere Fragen aus Theorie und Praxis diskutieren Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt, Dr. Magdalena Knappik, Gastprofessorin „Grundschuldidaktik, Mehrsprachigkeit und soziale Teilhabe“ Universität Kassel, Dr. Aladin El-Mafaalani, Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft, Universität Osnabrück, und Dr. Brigitta Sassin, Religionswissenschaftlerin und Theologin, Referentin für Gemeinden anderer Muttersprache und christlich-islamischen Dialog, katholische Stadtkirche Frankfurt.
Den Abschluss der Reihe bildet das Freie Deutsche Hochstift mit dem Gesprächsabend „Sprachgewalt – Sprachgerechtigkeit: Ein Thema der Romantik?“ am 18. Mai 2022, um 19:30 Uhr im Arkadensaal. Dass man durch Sprache die Welt nicht nur fasst und gleichsam „abbildet“, sondern dass man sie gestaltet und in wesentlicher Hinsicht sogar überhaupt erst hervorbringt, war der Goethezeit wohlbekannt. Neben den beiden wichtigsten sprachphilosophischen Autoren des späten 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, Johann Gottfried Herder und Wilhelm von Humboldt, waren es vor allem die Romantiker August Wilhelm und Friedrich Schlegel, die der Sprache eine bewusstseinsbildende Kraft zuschrieben. Sie vertraten zugleich neue, teilweise geradezu moderne Ansichten vom Verhältnis der Geschlechter – doch brachten sie auch beides zusammen und hatten die Idee einer im heutigen Sinne ‚geschlechtergerechten‘ Sprache? Dieser Frage geht die Direktorin des Freien Deutschen Hochstifts, Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, im Gespräch mit dem Sprachwissenschaftler und Romantikforscher Prof. Dr. Jochen A. Bär (Universität Vechta) und mit der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Frederike Middelhoff (Universität Frankfurt am Main) nach.
Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe und den Zugangsmodalitäten zu den einzelnen Diskussionsrunden finden sich unter www.frankfurterhausgespraeche.de.
Die Frankfurter Hausgespräche sind ein Kooperationsprojekt des Freies Deutsches Hochstifts, der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Haus am Dom.
Neue Studie der Universitäten Würzburg und Kassel untersucht Auswirkung des Gendersterns auf die Wahrnehmung – Position der GfdS bestätigt.
Eine neue psycholinguistische Untersuchung der Universitäten Würzburg und Kassel bestätigte die bereits oftmals geäußerte Position der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS): Das Gendersternchen führt keinesfalls zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Während das sogenannte »generische Maskulinum« eine erhöhte Wahrnehmung von Männern bewirkt, so hebt das Gendersternchen primär Frauen hervor.
Im Rahmen der Studie wurden 600 Probandinnen und Probanden jeweils Sätze mit drei verschiedenen Genderformen vorgelegt. Mal war von »Autor*innen« die Rede, mal von »Autoren« und schließlich von »Autorinnen oder Autoren«. Das Ergebnis zeigte, dass das geschriebene Gendersternchen keineswegs dazu führt, dass Männer und Frauen vergleichbar stark wahrgenommen werden. Vielmehr denken Lesende in diesem Fall häufiger an Frauen als an Männer.
Aus diesem Grund empfiehlt die Gesellschaft für deutsche Sprache seit Jahren in ihren Leitlinien zu den Möglichkeiten des Genderings die Verwendung von Doppelformen, d. h. die konsequente Nutzung weiblicher und männlicher Formen. Eine gleich starke Vorstellung von Frauen und Männern kann erzeugt werden, wenn weibliche und männliche Formen nebeneinander gebraucht werden (Paarformel bzw. Doppelnennung).
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Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) ist eine politisch unabhängige Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Sie unterstützt seit Jahrzehnten die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung aller Geschlechter. Dabei empfehlt sie in ihren Leitlinien viele Möglichkeiten der geschlechtergerechten Formulierung – neben Paarformeln auch Klammer- oder Schrägstrichschreibungen, Partizip- oder Ersatzformen –, nicht jedoch solche, die den Regeln von Verständlichkeit, Les- und Vorlesbarkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit widersprechen oder die zu grammatikalisch oder orthografisch fehlerhaften Formen führen.
Für weitere Auskünfte können Sie sich gern per E-Mail an sekr@gfds.de oder telefonisch unter 0611 99955-0 an uns wenden.