Milde Temperaturen und beste Stimmung bei Kurzer Nacht der Galerien und Museen in Wiesbaden

Eröffnung der Kurzen Nacht im Ballsaal der Casino-Gesellschaft. © Foto: Diether v. Goddenthow
Eröffnung der Kurzen Nacht im Ballsaal der Casino-Gesellschaft. © Foto: Diether v. Goddenthow

Gegen Vormittag hatte sich endlich die Sonne durch letzte Sprühregen-Wolken durchgesetzt, noch rechtzeitig zum Start des Ostermarktes und der 19. Wiesbadener Kurzen Nacht der Galerien und Museen am Abend des  6. April 2019. Diese eröffneten Kulturdezernent Axel Imholz und Erhard Witzel, Organisator der Veranstaltung, feierlich um 18.00 Uhr im Ballsaal der Casino-Gesellschaft, Friedrichstraße 22. Der international bekannte Wiesbadener PopJazzChor unter Leitung von Clemens Schäfer stimmte die Besucher musikalisch auf das von 26 teilnehmenden Galerien, Museen und Institutionen realisierte kulturelle Großereignis von 19.00 bis 24.00 Uhr ein. Ein weiterer Auftritt des PopJazzChor erfolgte gegen 21.00 Uhr im Stadtmuseum am Markt (Sam), wo sich auch wieder eine der fünf zentralen Haltestellen des kostenlosen Oldtimer-Shuttle-Service vom Rollenden Museum mit seinen 100 Oldtimern befand. Weitere Haltestellen befanden sich am Landesmuseum, an der Staatskanzlei, der Taunusstraße/Ecke Röderstraße sowie an der Schwalbacher Straße.

Opel Olympia 1955 nimmt an der Haltestelle Taunusstrasse /Ecke Röderstrasse neue Passagiere auf.© Foto: Diether v. Goddenthow
Opel Olympia 1955 nimmt an der Haltestelle Taunusstrasse /Ecke Röderstrasse neue Passagiere auf.© Foto: Diether v. Goddenthow

Das Rollende Museum unter Leitung von Rainer Wehner ist so einmalig und beliebt, dass zahlreiche Besucher zur „Kurzen Nacht“ „nur“  kommen, um vielleicht einmal in einem Rolls – Royce Silver Dawn, einem Ford Mustang oder Opel Olympia von 1955 durch die Landeshauptstadt chauffiert zu werden.

2019 neu dabei waren das Loftwerk Wiesbaden, der Hospizverein Wiesbaden, das Kunst-Modul und die Kanzlei Naumann.

Impression aus dem Loftwerk. © Foto: Diether v. Goddenthow
Impression aus dem Loftwerk. © Foto: Diether v. Goddenthow

In den großzügigen Räumen des Loftwerk in der Langgasse 22, zeigte Anja Roethele unter dem Titel „faces“, Fotografien des in Taunusstein lebenden Fotografen Ulrich H.M.Wolf.

Ebenfalls dem Thema Fotografie widmete sich das Kunst-Modul in der Luxemburgstraße 6. Dort präsentierte sich der Kölner Fotograf Oliver Schleyer. Seine Motive findet er beiläufig auf Hauswänden und am Straßenrand. Es sind Hinterlassenschaften von Menschen (Graffiti, Tags, Wildplakatierungen) und der Witterung, die an Hauswänden und an Strassenrändern verborgene Kunstwerke der Vergänglichkeit schaffen.

Gnadenlos mit den witzigen Seiten des Ablebens konfrontiert im Hospizverein. © Foto: Diether v. Goddenthow
Gnadenlos mit den witzigen Seiten des Ablebens konfrontiert im Hospizverein. © Foto: Diether v. Goddenthow

Der Hospizverein Wiesbaden Auxilium e.V. in der Luisenstraße 26 im ersten Stock zeigte unter dem Titel „Sie hat mir der Himmel geschickt!“ Karikaturen zu Sterben, Tod und Trauer. Man muss sich ja nicht gleich „todlachen“, aber einen Blick in die noch bis zum 26. April gezeigte Ausstellung zu wagen, lohnt gewiss.

Die Kanzlei von Frank Naumann in der Mainzer Straße 26 präsentierte den Frankfurter Maler Jan Ulrich Schmidt. In seinen neuesten Arbeiten hat er sich vom früheren Verschlüsseln auf das Entschlüsseln verlegt. Er analysiert mit einem Computerprogramm die Farben der Werke alter Meister und stellt diese sortiert in seinen Streifenbildern dar, die auch ein wenig an Kalibrierungsprogramme von Bildverarbeitungssoftware erinnern. Aber gut gemacht.

Streifenbilder, die auch ein wenig an Kalibrierungsprogramme von Bildverarbeitungssoftware erinnern in der Kanzlei Bauer und Naumann. © Foto: Diether v. Goddenthow
Streifenbilder, die auch ein wenig an Kalibrierungsprogramme von Bildverarbeitungssoftware erinnern in der Kanzlei Bauer und Naumann. © Foto: Diether v. Goddenthow

Der Weg zur Ausstellung „upstairs“ in der Kanzlei Naumann wurde zudem von kulinarischer Gastfreundschaft besonders belohnt und mit der Verlosung von 10 kostenlosen Farbstudien zu seinem neusten Bild „Karl Hagemeister – Die Welle“.

Tuchinstallation im Foyer - hier im Spiegel der Betrachung. © Foto: Diether v. Goddenthow
Tuchinstallation im Foyer – hier im Spiegel der Betrachtung. © Foto: Diether v. Goddenthow

Weitere Höhepunkte waren die Tuch-Installation in der Wandelhalle des Museum Wiesbaden von Jens J. Meyer sowie die Ausstellung: „Eva Hesse – Zeichnungen“. Fünfzehn Jahre nach der groß angelegten Retrospektive der Ausnahmekünstlerin Eva Hesse stellte das Museum Wiesbaden das Schaffen erneut in den Mittelpunkt einer Ausstellung. Sie ist ihren Zeichnungen gewidmet, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk der Künstlerin zieht.

Der Nassauische Kunstverein Wiesbaden hatte sich mit „The Fair Grounds 1.0/“ einen Gag einfallen lassen: Sechs ausgediente sogenannte „Kiddy-Rides“, die an Kirmesbesuche erinnern, waren ausgestattet mit Virtual-Reality-Brillen, die die Besucher anziehen und anschließend ein nostalgisches 360-Grad-Virtual-Reality-Erlebnis als Quasi-Reise zurück in die Kindheit sowie einen futuristischen Ausflug zu zwei der beliebtesten europäischen Reiseziele erleben konnten.

The Fair Grounds 1.0/ Mit Virtual-Reality-Brille zurück in die Kindheit und Zukunft.© Foto: Diether v. Goddenthow
The Fair Grounds 1.0/ Mit Virtual-Reality-Brille zurück in die Kindheit und Zukunft.© Foto: Diether v. Goddenthow

Die „Fahrt“ auf den in den Farben der niederländischen „De Stijl“-Bewegung (Vertreter z.B. Piet Mondrian, Gerrit Rietveld) gestrichenen Kinder-„Mobilen“ (Pferd, Rennwagen, Hubschrauber, Pokémon, Clown, Motorrad) beginnt als rasante Achterbahnfahrt durch Venedig und Amsterdam, wobei sich jeder Automat autonom auf seine eigene Weise bewegt und Reisende mit Kindermelodien beschallt werden. Die Kunstaktion soll auch gleichzeitig das Phänomen des Massentourismus kritisieren. http://www.kunstverein-wiesbaden.de/

Paul Schäfer mit einem seiner Holzkunstwerke. © Foto: Diether v. Goddenthow
Paul Hirsch mit einem seiner Holzkunstwerke. © Foto: Diether v. Goddenthow

Wem bei Kunst-Schäfer entgangen war, dass in diesem Jahr das Live Painting nicht vor dem Geschäft in der Faulbrunnenstrasse, sondern im Untergeschoss-Raum der Galerie stattfand, wurde jedoch entschädigt mit den wunderbaren, aus einem Stück Buchenholz gearbeiteten filigranen mehrteiligen Holzskulpturen von Paul Hirsch. Die oft gleichen Grundelemente sind nicht fest miteinander verbunden, so dass die Skulpturen leicht beweglich sind und sich bei jedem Aufbau neu darstellen. Hirsch arbeitet kontextbezogen. Seine Skulpturen, Objekte und Installationen erhalten je nach Ausstellung neue Titel, die sich auf den aktuellen Gesamtzusammenhang beziehen. Die Verkaufs-Ausstellung ist noch bis zum 11.05.2019 in der Faulbrunnenstr. 11 zu besichtigen. http://www.galerie-wiesbaden.de/6647-paul-hirsch-2/

In der  Galerie Rother Winter.© Foto: Diether v. Goddenthow
In der Galerie Rother Winter.© Foto: Diether v. Goddenthow

Großes Interesse herrschte in der Galerie Rother Winter an Bernd Zimmers Thema rund um das Erleben von Naturraum und Landschaft. In den 70er Jahren wurde Zimmer in der Berliner Szene als „Junger Wilder“ bekannt. Auf seine ganz einzigartige Weise malt er an der Grenze zur Abstraktion mit expressivem deutlich erkennbarem Pinselstrich Landschaften wie Berge, Wüste, Himmel oder Meer an der Grenze zur Abstraktion. Bei seinem ersten großen Werkzyklus „Weltall“ von 1998 bis 2007 ergänzte Bernd Zimmer seine Techniken um Schüttungen und Tropftechniken. Noch bis zum 1. Juni 2019 zu besichtigen bei https://www.rother-winter.de/

Impression aus dem Foyer des Haupthauses der Nassauischen Sparkasse in der Rheinstrasse mit  People Attend Bars: To Be Heard, To Be Seen, To Be There. © Foto: Diether v. Goddenthow
Impression aus dem Foyer des Haupthauses der Nassauischen Sparkasse in der Rheinstrasse mit People Attend Bars: To Be Heard, To Be Seen, To Be There. © Foto: Diether v. Goddenthow

Zum krönenden Abschluss trafen sich alle Nimmermüden ab 23.30 Uhr auf einen „Absacker“ im Cafe Degenhardt am Luisenplatz.
Da man jedes Jahr nur einen Bruchteil der Orte der Kunst besuchen kann, muss man jedes Jahr wiederkommen. Und im nächsten Jahr, dem Jubiläum zur 20. Kurzen Nacht, werden sich die Veranstalter, die Wiesbadener Galerien und Museen, der Nassauische Kunstverein und der Kunstverein Bellevue-Saal in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt Wiesbaden, etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Aber was, das wollte Erhard Witzel noch nicht verraten!

Impression: Nachtschwärmer vor und auf den Museumstreppen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Impression: Nachtschwärmer vor und auf den Museumstreppen. © Foto: Diether v. Goddenthow

Ein großartiger Abend zum 80. für und mit Volker Schlöndorff und Wegbeleitern Mario Adorf, Klaus Doldinger und Daniel Cohn-Bendit in der Caligari-Filmbühne

Volker Schlöndorff mit Weggefährten und Freund Mario Adorf im Foyer der Caligari Filmbühne. © Foto: Diether v. Goddenthow
Volker Schlöndorff mit Weggefährten und Freund Mario Adorf im Foyer der Caligari Filmbühne. © Foto: Diether v. Goddenthow

Zu Ehren des Regisseurs Volker Schlöndorff anlässlich seines 80. Geburtstags veranstaltet das Kulturamt in Kooperation mit dem DFF – Deutsches Filminstitut und Filmmuseum, Frankfurt am Main, und der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung  eine Werkschau in drei Kinos in Wiesbaden und in Frankfurt, die vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gefördert wird. Und gestern Abend war der Auftakt, zunächst im Rathaus mit Eintrag ins Goldene Buch der Stadt, anschließend in der Caligari-Filmbühne mit Lesung, Live-Talk, Jazz und Filmvorführung.

Programm-Flyer der Werkschau

Begonnen hatte der Abend feierlich im Ratssaal mit dem Eintrag Volker Schlöndorffs ins Goldene Buch der Stadt der Landeshauptstadt Wiesbaden. Volker Schlöndorff gehöre ohne Zweifel zu den deutschen Regisseuren mit dem international größten Ansehen, betonte Oberbürgermeister Sven Gerich. Seit über 50 Jahren habe er regen Anteil an der Geschichte des Films mit über 35 sehr bekannten Filmen und unzähligen Preisen aus dem In- und Ausland, weswegen ihm einen der herausragenden Plätze in der Geschichte des Films schon heute gebühre. An erster Stelle sei hier sicherlich die Verfilmung von Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ zu nennen. Schlöndorff drehte diesen Film, so der Oberbürgermeister, gemeinsam mit seiner damaligen Frau Margarete von Trotha. Ein Jahr später, im Jahr 1980 gelingt Volker Schlöndorff mit seinem Film „Die Blechtrommel“ das beinahe Unmögliche: Als erster Deutscher Regisseur erhält er einen Oskar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“. Diese hohe Auszeichnung haben bis heute neben ihm nur Caroline Link und Florian Henckel von Donnersmarck  erhalten.
Was aber viele nicht wüssten, so Seven Gerich, dass Volker Schlöndorff seine Wurzeln in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden habe. „1939 als Sohn eines Lungenfacharztes in Wiesbaden geboren, verbrachte Schlöndorff seine ersten Kindheitsjahre in Biebrich, um genau zu sein, so der Oberbürgermeister, in der Rathausstrasse 60, also schräg gegenüber des heutigen Polizeireviers. „Und lieber Herr Schlöndorff, was Sie nicht wissen können, ich spreche hier sozusagen von Biebricher Bub zu Biebricher Bub. Denn ich bin in unmittelbarer Nähe, in der Wilhelm-Tropp-Strasse gegenüber der alten Feuerwache großgeworden.“

Volker Schlöndorff kurz nach dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt.© Foto: Diether v. Goddenthow
Volker Schlöndorff kurz nach dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt.© Foto: Diether v. Goddenthow

Ein wenig gerührt, dankte Volker Schlöndorff für den Empfang und die Ehre, sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen haben zu dürfen. Er sei eigentlich nie weggekommen von Wiesbaden, „ich bin zwar mit 16 abgehauen, wie man so sagt, erst nach Frankreich, dann nach München, nach USA.  Aber ich hatte immer wieder Anlass natürlich zurückzukommen, und als es keine Familie mehr gab,  gab’s die Familie im Caligari, und vielen Dank, dass ich das erlebt habe, und ich freue mich auch jedes Mal, wenn ich da bin“, sagte Schlöndorff, der auch hoffe, dass die Stadt Wiesbaden den Mut habe, das Walhalla wieder zu beleben. Denn was seien  schon 43 Millionen? „Na und! Das sollte uns doch die Kultur, die Baukultur, allemal wert sein!“.

Auftakt zur Werkschau in der CaligariFilmbühne

Volles Haus in der Caligari Filmbühne anlässlich der Eröffnung von Volker Schlöndorffs Werkschau. © Foto: Diether v. Goddenthow
Volles Haus in der Caligari Filmbühne anlässlich der Eröffnung von Volker Schlöndorffs Werkschau. © Foto: Diether v. Goddenthow

Da sie es zeitlich zum Empfang ins Rathaus nicht schaffen konnten, traf Volker Schlöndorff seine engen Weggefährten dann im Anschluss in der ausverkauften Caligari-Filmbühne, unter ihnen der Schauspieler Mario Adorf, der Jazzmusiker und Komponist Klaus Doldinger und den deutsch-französischen Publizisten und Politiker Daniel Cohn-Bendit, der zugleich die  Moderation übernahm.

Kulturdezernent Axel Imholz begrüßte die Gäste herzlich, noch einmal besonders den Ehrengast Volker Schlöndorff und seine Weggefährten. Er plauderte dabei auch ein wenig aus dem Nähkästen, etwa über die Zitterpartie hinter den Kulissen im Kulturamt im Vorfeld der Veranstaltung was die Terminkoordination angesichts der prominenten Gäste anging, und ja bestens geglückt sei, worüber er sich sehr freue.

Volker Schlöndorff  dankte herzlich für die Einladung und die Ehre, so gefeiert zu werden, und las dann ein paar Seiten über seine Wiesbadener (Jugend-)Zeit  aus seiner druckfrischen Autobiographie „Licht, Schatten und Bewegung – Mein Leben und meine Filme“, 472 Seiten, die im Hanser Verlag“ München erschienen ist. Das Werk ist absolut empfehlenswert, nicht nur als Geschenk, sondern insbesondere auch als einzigartiges Zeitzeugendokument über die 60er, 70er und 80er Jahre für nachwachsene Generationen.

Regisseur Volker Schlöndorff im Talk mit Freund und Alt-Sponti Daniel Cohn-Bendit.© Foto: Diether v. Goddenthow
Regisseur Volker Schlöndorff im Talk mit Freund und Alt-Sponti Daniel Cohn-Bendit.© Foto: Diether v. Goddenthow

Vertiefende biographische Eindrücke über Volker Schlöndorff erfuhren die Caligari-Besucher dann beim Talk mit seinem Freund, dem deutsch-französischen Alt-Sponti Daniel Cohn-Bendit.  Schlöndorff war als Regisseur mit Günter Grass, Max Frisch, Heinrich Böll und Arthur Miller befreundet. Er verfilmte zahlreiche ihrer Bücher, die als Literaturverfilmungen Filmgeschichte geschrieben haben.

Ich fühlte mich wie der Größte

Mit wachsenden Erfolgen wurde Volker Schlöndorff mit Ehrungen und Preisen überhäuft, wobei jedoch die Oskar-Verleihung für „Die Blechtrommel“ als „besten fremdsprachigen Film“ der Gipfel gewesen sei, den man, so Schlöndorff, nie wieder erklimmen könne, was man aber nicht im Augenblick, sondern erst viele Jahre später wisse. An eine Szene erinnere er sich jedoch noch genau, als er am nächsten Morgen im Swimmingpool vom Hilton-Hotel Beverly Hills auf die von einem Fotograf auf den Beckenrand gestellte Statue (Oskar) zuschwamm: „Ich kam mir vor wie das Größte überhaupt, und dachte: Jetzt stehen mir alle Türen offen. Also erstmal habe ich den Ritterschlag, jetzt gehöre ich auch zu denen hier in Hollywood, womit ich solche Leute meinte wie Billy Wilder, Fritz Lang, alle die ausgewandert waren, auswandern mussten aus Deutschland, die immer meine großen Vorbilder waren. Jetzt bin ich also richtig bei denen angekommen.“, schilderte Schlöndorff, wie er sich damals  auf dem hohen Ross wähnte. „Das waren schon ein paar ganz tolle Jahre!“, aber er habe „dann ziemlich schnell diesen Credit vergeigt, indem ich nicht das Angebot von Steven Spielberg  angenommen habe, was ich gleichzeitig bekommen hatte für einen Film, den er produzieren wollte“.  Sondern er habe sich gesagt: „Das brauche ich ja jetzt nicht hier in Hollywood. Jetzt bin ich selbst in Hollywood“, und er habe abgelehnt mit der Begründung: „Ich mache einen Film über den Bürgerkrieg im Libanon, den kriege ich ja jetzt finanziert.“ Nach noch so eins, zwei Sachen sei dann in Hollywood die Oskarverleihung rasch vergessen gewesen.

Die RAF im realexistierenden Spießer-Paradies

An einen einschneidenden emotionalen „Höhepunkt“ ganz anderer Art erinnerte sich Volker Schlöndorff als er, durch den Mauerfall zur Rückkehr aus New York nach Deutschland motiviert, 1990 gleich zuerst „in den Zeitungen gelesen habe: ‚Elf der gesuchtesten RAF-Terroristen sind in der DDR untergetaucht und jetzt von den Behörden dem Westen ausgeliefert worden‘. Das war eine so unglaubliche Meldung, da er nicht begreifen konnte, wie solche durchgeknallten Terroristen vom „kleinbürgerlichen realexistierenden Sozialismus aufgenommen, mit neuen Namen, Pässen und Legenden versehen“ wurden, und in der DDR leben durften. „Das passt doch überhaupt nicht von dem Bild, was ich von der DDR hatte, oder von Herrn Mielke oder Honecker. Und noch viel weniger passt in mein Bild, mir vorzustellen, dass diese Typen, die dann wirklich durchgeknallt und ausgebrochen sind bis zum Extrem, dass die sich in diese realexistierende proletarische kleinbürgerliche Gesellschaft eingliedern, und zwar wie“, so Volker Schlöndorff, was schließlich für ihn und Wolfang Kohlhase Anlass gewesen sei, diese unglaubliche Story im Film „Die Stille nach dem Schuss“ zu verarbeiten.

Deutscher mit französischer Seele
Sein Handwerk lernte Schlöndorff in Frankreich als Assistent von Jean-Pierre Melville, Louis Malle und Alain Resnais. „Alles was ich kann, alle meine Einflüsse, alle meine Vorbilder sind alle französisch, und ich wollte auch als ersten Film natürlich einen französischen Film machen.“ Aber da hätten seine Vormeister ihm gesagt: „No, no, no!“, wir haben in Frankreich genug Regisseure. So bin ich dann zurückgekommen und hab‘ die Filme hier gemacht. Schon sein Debütfilm „Der junge Törless“ (1965/1966) wurde hierzulande zu einem großen Erfolg und gilt als einer der Schlüsselfilme des Neuen Deutschen Films. „Aber“ an Moderator Chon-Bendit gerichtet, „ich weiß nicht, wie es Dir geht, (…), ich hab einen starken französischen Teil in mir, der im Laufe der Jahre sogar irgendwie immer stärker wird. Ob das durch die Literatur oder durch die Filme ist, das ist eben so.“ Und je länger er von Frankreich fort wäre, um so französischer fühle er sich.

Beichtvater Adorf

Erweiterte Talkrunde, rechts um Mario Adorf und links um Klaus Doldinger. © Foto: Diether v. Goddenthow
Erweiterte Talkrunde, rechts um Mario Adorf und links um Klaus Doldinger. © Foto: Diether v. Goddenthow

In der erweiterten Runde erinnerte sich Mario Adorf noch recht lebhaft an die Dreharbeiten für die Günter-Grass-Verfilmung „Die Blechtrommel“ nahe bei Danzig. Mario Adorf war neben seiner Rolle unter anderem auch mit für das Wohlbefinden des kleinen 12jährigen Hauptdarstellers David Bennent, alias Oskar, zuständig, wobei die größte Angst am Set war, dass Oskar aus seiner Rolle herauswachsen könne, bevor der Dreh im Kasten sei. Auf „Oskars“ Körpergröße und Erscheinungsbild baute  maßgeblich die gesamte „Blechtrommelverfilmung“ auf. Und gerade deswegen sei auch Schlöndorff damals sehr aufgeregt und um Oskars Wohl bemüht gewesen, was ihn anfangs einmal zu den Worten brachte: „Also ich habe in diesem Film eine große Aufgabe mich um meinen Hauptdarsteller zu kümmern. Ich habe euch engagiert, ihr könnt alle sehr gut euren Beruf, spielt so gut ihr könnt. Ich lass euch machen, wenn ihr gut seid, seid ihr im Film, und wenn ihr nicht gut seid, werdet ihr geschnitten“, erinnert sich  Adorf an eine Drehsituation am Set mit seinen Freund.

Schlöndorff bestätigte das sofort und bekannte,  dass er nicht nur wegen der allgemeinen schwierigen Örtlichkeiten  oft beim Drehen verzweifelt gewesen, „selbst mit dem genialen Kameramann. Aber so genial der auch war, so schwierig war er auch“. Und da „habe ich mich oft an Mario geklammert, bin zu Dir hingekommen, hab Dir mein Leid geklagt, hab überlegt, ob ich mich von dem Kameramann trennen sollte, und du warst mein Beichtvater“. Auch wenn Günter Grass auftauchte, der oft sehr gute Ideen einbrachte, war Schlöndorff, wie er sagte, anfangs manchmal wie paralysiert gewesen. Einmal habe er einen ganzen Tag, den er in Anwesenheit von Grass gedreht hatte, neu drehen müssen, weil ihm bei dessen Anwesenheit nichts mehr eingefallen sei. Später habe er eine sehr gute Freundschaft mit Günter Grass gehabt.

Ins Boot geholt

Klaus Doldinger mit Band Passport bietet in seinem typischen Sound Jazz vom Feinsten. © Foto: Diether v. Goddenthow
Klaus Doldinger mit Band Passport bietet in seinem typischen Sound Jazz vom Feinsten. © Foto: Diether v. Goddenthow

Klaus Doldinger lernte Volker Schlöndorff näher und später als Freund während der Vorbereitung zum Film „Das Boot“ kennen. Für die Kinoverfilmung schrieb Doldinger die Filmmusik. „Für mich war das eine große Erfahrung für diesen Film die Musik zu machen, weil es eine völlig neue Art des Umgangs war für mich als Musiker, auch dass ich das erleben durfte, wie viele Musiker da mit Schauspielern zusammenkamen, um an dem Film mitzuwirken“.
Eine längere Kostprobe seiner genialen Kompositionen von der Filmmusik „Das Boot“ bis hin zur Langfassung der Tatort-Titelmusik gaben anschließend Klaus Doldinger  und seine Kollegen der 1971 gegründeten legendären Band „Passport“.

Werkschau
Den Anfang von Volker Schlöndorffs Werkschau machte die auf einer wahren Begebenheit beruhende Kriminalgeschichte „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ aus dem Jahr 1971. Filmisch nacherzählt wird ein 1822 von armen Bauern in Nordhessen begangener Raubüberfall, der in die Kriminalgeschichte als der Postraub in der Subach einging. Das Drehbuch hierzu hatte Schlöndorff gemeinsam mit seiner Frau Margarethe von Trotta verfasst. Bei diesem Film, für den er auch auf Grimm’sche Märchen zurückgriff und tief in die Sozialgeschichte einstieg, lernte er seine hessische Heimat nochmal ganz neu kennen und schätzen.

Programm-Flyer der Werkschau

Schlöndorffs Archiv wird im Deutsche Filmmuseum bewahrt
Im Jahr 1992 übergab Schlöndorff sein Archiv dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt. Die Sammlung Schlöndorff, die als eine der wichtigsten zum Neuen Deutschen Film gilt, wird beständig um Exponate erweitert und ist seit 2014 online zugänglich. Auch den beiden in Wiesbaden beheimateten Kooperationspartnern der Werkschau ist der Regisseur seit Jahren treu verbunden. Als engagiertes Gründungsmitglied des Fördervereins der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung setzt sich Schlöndorff für die Bewahrung und Erhaltung des Filmerbes ein. In der Caligari Filmbühne präsentiert Schlöndorff nicht nur seine Werke, er ist auch seit Jahrzehnten ein profilierter Fürsprecher und Pate des Wiesbadener kommunalen Kinos.

(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

goEast 2019: In dieser Woche startet in Wiesbaden das 19. Festival des mittel- und osteuropäischen Films

© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Bereits in seiner 19. Ausgabe startet vom 10. bis zum 16. April 2019 goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films: In 109 Filmen aus 39 Ländern wird die ästhetische und inhaltliche Vielfalt des mittel- und osteuropäischen Filmschaffens präsentiert, darunter 23 Deutschlandpremieren, drei Internationale Premieren und eine Weltpremiere. Daneben bietet das Festival ein deutlich ausgebautes Begleitprogramm mit Ausstellungen, Workshops, Vorträgen, Filmgesprächen und natürlich den legendären goEast Partys. Neu in diesem Jahr und nur durch die Förderung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain ist das „Paneuropäische Picknick“, einmal als cinematisches Format, und darüber hinaus am 13. April ab 11.00 Uhr als Begegnungs-Event auf dem Wiesbadener Schloss-Platz. Es soll als interdisziplinäre Sektion insbesondere internationale Festivalgäste und das Wiesbadener Publikum näher zusammenbringen.

Das www.filmfestival-goeast.de/de/auf einen Blick:
ALLE SEKTIONEN – Programm auf einen Blick
WETTBEWERB
BIOSKOP
RHEINMAIN KURZFILMPREIS
OPEN FRAME AWARD
BLEIBT ALLES ANDERS? DIE WILDEN 90ER
HOMMAGE
OPPOSE OTHERING!
SYMPOSIUM
ANARCHO SHORTS
ADAMI SHORT FILM
SPECIALS
PROGRAMMHEFT
TIMETABLE
RAHMENPROGRAMM

Die Spielstätten auf einen Blick

Die Jugend vom Damals und Heute

Auf der Pressekonferenz in der Caligari-Filmbühne wies Ellen Harrington, Direktorin des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseums darauf hin, dass mit der 19. Ausgabe von goEast das DFF gleichzeitig auch seinen 70. Geburtstag seiner Gründung hier in Wiesbaden als erste Filmerbe-Organisation der Bundesrepublik Deutschland feire, und dankte der Landeshauptstadt und dem Land Hessen „für die Unterstützung unserer Mission und für die Unterstützung von goEast, das sich seit 2001 für eine lebendige Debattenkultur einsetzt.“ Mittel der Wahl sei dabei der Film, der auf vielfältige Weise deutlich mache, dass Demokratie ein zentrales Gut eines vereinten Europas sei. „goEast ist ein Schaufenster für das Kino Ost- und Mitteleuropas und fordert – 30 Jahre nach dem Fall der Mauer – zugleich Respekt für alle, insbesondere auch für die marginalisierten Teile der Gesellschaft“, betonte Harrington. Entsprechend greift das diesjährige Programm von GoEast schwerpunktmäßig den gesellschaftlichen Wandel Ost- und Mitteleuropas nach der Wendezeit, also die Phase ab den 1990er Jahren auf, und zeigt insbesondere die auch damit verbundenen Generationenkonflikte auf, ein Leitgedanke, der sich auch im Festivalmotto „Die Jugend von Damals und Heute“ wiederfindet.

Wettbewerb

Der goEast Wettbewerb besteht traditionell wieder aus sechzehn Filmen, die um die drei Hauptpreise des Festivals konkurrieren. Der diesjährige Wettbewerb zeichne sich aus durch Werke von jungen Filmschaffenden, darunter einige Debütfilme, und Werke, in denen Generationskonflikte inhaltlich eine Rolle spielen. Damit knüpften die Filme an aktuelle gesellschaftliche Tendenzen in Ost- und Mitteleuropa an, aber nicht nur, denn auch im Westen gingen Jugendliche und Millennials auf die Straße und lehnten sich „gegen die Entscheidungen und die Politik der älteren Generationen auf“, erklärte Festivalleiterin Heleen Gerritsen und unterstrich im Hinblick auf die gezeigten Festivalfilme: „Im Osten wird der Konflikt noch dadurch verschärft, dass die Generationen in unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Systemen aufgewachsen sind. Ästhetisch und inhaltlich wählt die neue Generation von Filmschaffenden eine andere, neue Filmsprache“. In vielen der in diese Jahr präsentierten Festival-Filme stünden oft „Junge Menschen und ihre Motivation im Leben, ihr Entdeckungs- und Emanzipationsdrang oder auch ihr Verhältnis zu älteren Familienmitgliedern und Autoritäten“ im Mittelpunkt des Geschehens. Aber es würde auch danach gefragt, „warum junge Menschen bereit sind, Opfer zu bringen für ihre politischen Überzeugungen“, verriet Gerritsen.
Wettbewerbsfilme auf einen Blick

Treffpunkt der mittel- und osteuropäischen Filmszene
Rund 200 Filmschaffende aus Mittel- und Osteuropa werden bei goEast als Gäste erwartet. Dazu gehörten so bekannte Namen wie Želimir Žilnik und Sami Mustafa, die auch zu den Gästen des diesjährigen Symposiums „Konstruktionen des Anderen. Roma und das Kino Mittel- und Osteuropas“ am Freitag, 12.April ab 9.30 Uhr im Museum Wiesbaden gehören werden.
Dem Altmeister der polnischen Neuen Welle, Krzysztof Zanussi, ist in der Hommage mit der Darbietung von 8 seiner wichtigsten Werke eine umfangreiche Werkschau gewidmet.

Eröfnungsfilm: GOSPOD POSTOI, IMETO I’ E PETRUNIJA GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA Teona Strugar Mitevska. Macedonia, Belgien, Slowenien, Kroatien, Frankreich 2019  © DFF
Eröfnungsfilm: GOSPOD POSTOI, IMETO I’ E PETRUNIJA GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA Teona Strugar Mitevska. Macedonia, Belgien, Slowenien, Kroatien, Frankreich 2019 © DFF

Die vielfach ausgezeichnete Regisseurin und diesjährige goEast Jury-Präsidentin Teona Strugar Mitevska präsentiert ihren Eröffnungsfilm „GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA“.

Zum ersten Mal kooperiert goEast anlässlich 30 Jahre Mauerfalls mit dem FilmFestival Cottbus mit vielversprechenden hintergründigem Motto „Bleibt alles anders? sowie „Die Wilden Neunziger“. Bei dieser gemeinsamen Film- und Gesprächsreihe wird zurückgeschaut „auf das Kino der 1990er Jahre, um diejenigen filmischen Tendenzen aufzuspüren, die zwischen der politischen Eurphorie und der Etablierung einer neuen – kapitalistischen – Ordnung des Filmschaffens geboren wurden“ (Seite 14, Programm goEast)

„Paneuropäisches Picknick“ 

Mit der – parallel zum gleichnamigen Schlossplatztreff am 13.4. – neu geschaffenen Veranstaltungsreihe „Paneuropäisches Picknick“ werden sowohl die Grenzen zwischen Ost und West als auch interdisziplinäre Grenzen zwischen Film, Literatur und Kunst überschritten. Bei den Filmtalks im „goEast Salon“ hat das Publikum die Möglichkeit, in entspannter Atmosphäre mit den Filmschaffenden des Wettbewerbs direkt ins Gespräch zu kommen. Das Motto „Paneuropäisches Picknick“ geht zurück auf eine gleichnamige legendäre Friedensdemonstration von Performance-Künstlern in Österreich und Ungarn von vor 30 Jahren zurück (Seite 16, Programm goEast).
Paneuropäisches Picknick auf einen Blick

Wiesbaden – historisch eine Brücke nach Osteuropa

Für Axel Imholz, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Wiesbaden, sei Wiesbaden traditionell schon immer eine Brücke in die osteuropäischen Länder gewesen, zuletzt auch durch die vielen Ost-Vertriebenen des 2. Weltkrieges, die in der Landeshauptstadt eine neue Heimat gefunden hätten. Einer der bekanntesten Vertreter wäre der Maler Jawlensky, der in Wiesbaden lebte und auch beigesetzt sei. Und welche Stadt verfüge schon wie Wiesbaden über eine Russisch-Orthodoxe Kirche der heiligen Elisabeth Romanow auf dem Neroberg. Dostojewski, einer der bedeutendsten russischen Schriftsteller habe in Wiesbaden sein Werk „Der Spieler“ geschrieben. Man sähe die Verbundenheit Wiesbadens zum mittel- und osteuropäischen Kulturkreis auch in den Straßennamen. In dieser guten Tradition bringe „goEast internationale Filmschaffende und Filminteressierte nach Wiesbaden und schafft mit seinen Filmen und Gesprächsangeboten wichtige Einblicke und Verständnis für die Kulturen unserer östlichen Nachbarn – das ist heute ebenso aktuell und wichtig wie zu Beginn des Festivals“, so Imholz. Wiesbaden schätze sich glücklich, ein so einzigartiges Festival-Highlight wie goEast in der Landeshauptstadt zu haben, betonte der Kulturdezernent.

Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der das Pilotprojekt „Paneuropäisches Picknick“ durch eine entsprechende Förderung erst ermöglichte, unterstrich, dass wir uns heute, 30 Jahre nach dem Paneuropäischen Picknick von Sopron an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich fragen müssen, „wie einig und grenzfrei unser Europa ist und wie es um den Zusammenhalt und die Verständigung bestellt ist.“ Umso wichtiger sei es, die Errungenschaften der Verständigung auf allen Ebenen und in allen Ausprägungen zu wahren und auszubauen, so Müller. „Das ist der Ansatz des Paneuropäischen Picknicks in Wiesbaden: Es geht darum, eine Brücke zu schlagen zwischen dem etablierten Filmfestival und kleinen Kulturvereinen; eine Brücke zu Orten außerhalb der Filmbühnen, an denen Menschen mit mittel- und osteuropäischem Migrationshintergrund aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet zusammenkommen.“

Dr. Markus Ingenlath, Geschäftsführer von Renovabis, dem Osteuropa-Hilfswerk der Katholischen Kirche, und ein weiterer neuer wichtiger Sponsor begründet das Engagement von Renovabis unter anderem damit, dass goEast mit der Auslobung eines Recherche-Stipendiums für Dokumentarfilme im Bereich Menschen- und Minderheitenrechte in Osteuropa aktuell brisante Themen in den Blick nehme. „Das ist ganz im Sinne der Arbeit von Renovabis: Wir wollen einen glaubhaften und ungeschönten Blick auf die Situation in unserer Nachbarschaft werfen, denn nur so kann echter Dialog gelingen“, so Ingenlath.

Am 10. April wird das 19.  goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films um 19.00 Uhr in der Caligari-Filmbühne eröffnet  mit  GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA (GOSPOD POSTOI, IMETO I‘ E PETRUNIJA, Nordmazedonien, Belgien, Slowenien, Kroatien,
Frankreich 2019) der nordmazedonischen Regisseurin Teona Strugar Mitevska.

goEast Programm online // goEast Wettbewerb // Jury & Preise
© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Herzstück des Festivals ist der Wettbewerb, in dem 16 Filme – zehn Spiel- und sechs Dokumentarfilme – gegeneinander antreten. „Neben Filmen, die sich mit aktuellen politischen Themen auseinandersetzen, gibt es 2019 auffällig viele Filme, die von Generationskonflikten erzählen“, verrät Festivalleiterin Heleen Gerritsen. „30 Jahre nach dem Mauerfall haben die Menschen, je nachdem in welchem System sie aufgewachsen sind, unterschiedliche Erwartungen vom Leben.

GoEastprogramm auf einen Blick

Jury & Preise
Unter den 16 Wettbewerbsbeiträgen feiern zehn Filme bei goEast ihre Deutschlandpremiere, daneben wird es zwei Internationale Premieren und eine Weltpremiere geben. Über die Vergabe der Preise entscheidet die internationale Jury. Es geht um die Goldene Lilie für den Besten Film (10.000 Euro), den Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie (7.500 Euro) und den Preis für kulturelle Vielfalt (4.000), der vom Auswärtigen Amt ausgelobt wird. Den JuryVorsitz übernimmt 2019 die vielfach preisgekrönte mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska, die auch für den Eröffnungsfilm verantwortlich zeichnet. Mit Magdalena Żelasko, Gründerin und Leiterin des Wiener LET’S CEE Filmfestivals, und Stjepan Hundić, Gründer und Leiter des Fantastic Zagreb Film Festivals, erhält sie Unterstützung aus dem europäischen Festivalkosmos. Daneben gehört die Arthouse-Produzentin Anna Katchko zur Wettbewerbsjury. Außerdem ist die FIPRESCI mit einer eigenen Jury vertreten und zeichnet jeweils den besten Spielund den besten Dokumentarfilm mit dem Preis der Internationalen Filmkritik aus.

goEast Wettbewerb
Der goEast Wettbewerb zeigt einen vielfältigen und anspruchsvollen Querschnitt des mittel- und osteuropäischen Filmschaffens. Der Dokumentarfilm STRIP AND WAR (Belarus, Polen 2019) von East-West Talent Lab-Alumnus Andrei Kutsila, der bei goEast seine Weltpremiere feiert, offenbart den Clash der Generationen zwischen einem Kriegsveteranen und dessen als Stripper arbeitenden Enkelsohn und spiegelt dabei die belarussische Gesellschaft wider. Der tschechische Debütfilm MOMENTS (CHVILKY, Tschechien, Slowakei 2018) von Beata Parkanová stellt eine junge Frau ins Zentrum, die sich durch das Dickicht von Erwartungen und Ansprüchen innerhalb der drei Generationen ihrer Familie einen eigenen Weg bahnen muss. In seinem Coming-of-Age Drama ACID (KISLOTA, Russland 2018) wirft der Regisseur und Schauspieler des Gogol Centers um Kirill Serebrennikov, Alexander Gorchilin, sein Publikum mit voller Wucht in das wilde Leben einer desillusionierten jungen Moskauer Clique und mitten hinein in die Grabenkämpfe zwischen den
Generationen.

Die bittersüße Geschichte einer kasachischen Familie erzählt Adilkhan Yerzhanov, der 2013 mit seinem Debütfilm zum ersten Mal bei goEast zu Gast war, in THE GENTLE INDIFFERENCE OF THE WORLD (LASKOVOE BEZRAZLICHIE MIRA, Kasachstan,
Frankreich 2018) als Mafia-Tragikomödie à la Camus. Ein aufrüttelndesEmanzipationsdrama aus der Plattenbausiedlung der Millionenstadt Baku ist END OF SEASON (Deutschland, Aserbaidschan, Georgien 2019) von Elmar Imanov. Auch der Dokumentarfilm WHITE MAMA (BELAYA MAMA, Russland 2018, Regie: Zosya Rodkevich, Evgeniya Ostanina) stellt das ungewöhnliche Schicksal einer Großfamilie in den Mittelpunkt und zeigt mit kompromissloser Ehrlichkeit, was passiert, wenn die psychischen Kräfte einer Mutter nachlassen.

Ena Sendijarevićs Debütfilm TAKE ME SOMEWHERE NICE (Niederlande, Bosnien und Herzegowina 2019) nimmt das Publikum mit auf eine in frischbunten Bildern inszenierte Reise durch Bosnien und zeigt Landschaft und Leute durch die Augen eines Mädchens, das zum ersten Mal seine Wurzeln entdeckt. In HOME GAMES (DOMASHNI IGRI, Ukraine, Frankreich, Polen 2018, Regie: Alisa Kovalenko) versucht die junge Ukrainerin Alina, den Kraftakt zwischen einer professionellen FußballKarriere und ihrer sozial prekären familiären Situation zu schaffen.

Einen Blick hinter die Kulissen der ungarischen Parlamentswahl im vergangenen Jahr gewährt der Polit-Dokumentarfilm HUNGARY 2018 (Ungarn, Portugal 2018) von Eszter Hajdú. Auch historische Stoffe aus Mittel- und Osteuropa sind im diesjährigen Wettbewerb vertreten. Mit JAN PALACH (Tschechien, Slowakei 2018) widmet sich Regisseur Robert Sedláček einer der wichtigsten Figuren des tschechoslowakischen kulturellen Gedächtnisses und der Frage, was einen jungen Menschen dazu bringt, sich aus politischem Protest in Brand zu setzen. COLD NOVEMBER (NËNTOR, FTOHTË,
Kosovo, Albanien, Nordmazedonien 2018, Regie: Ismet Sijarina) thematisiert den Krieg in Jugoslawien 1992 in Prishtina und erzählt vom (Über-)Leben in bösen Zeiten. Igor Drljačas Dokumentarfilm THE STONE SPEAKERS (KAMENI GOVORNICI,
Kanada, Bosnien und Herzegowina 2018) lenkt den Blick darauf, was nach Staatsverfall, Systemwechsel und Krieg vom multiethnischen Bosnien-Herzegowina geblieben ist, offenbart groteske Auswüchse des Tourismus und hört den Menschen vor Ort beim Fabulieren zu.

Der experimentelle Naturfilm ACID FOREST (RŪGŠTUS MIŠKAS, Litauen 2018) von Rugilė Barzdžiukaitė, die Litauen bei der diesjährigen Biennale in Venedig vertreten wird, nimmt das Publikum mit auf die Kurische Nehrung und fordert mit Endzeitstimmung unsere anthropozentrische Art des Denkens heraus.
Mit dem abgedrehten Science-Fiction-Drama HIS MASTER’S VOICE (AZ ÚR HANGJA, Ungarn, Kanada 2018) legt der ungarische Kultregisseur Györgi Pálfi eine unorthodoxe und skurrile Stanisław Lem-Adaption vor, die Genregrenzen sprengt.

Die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion hingegen verschwimmen für den Protagonisten in Anca Damians doppelbödigem Noir-Thriller MOON HOTEL KABUL (Rumänien, Frankreich 2018) um einen Journalisten auf Reportagereise zwischen Kabul und Bukarest. Nachdem die Goldene Lilie 2018 an die estnische Produktion NOVEMBER ging, ist die Produktionsfirma Homeless Bob mit Kaur Kokks geheimnisvollem Langfilmdebüt THE RIDDLE OF JAAN NIEMAND (PÕRGU JAAN, Estland  2018) erneut im goEast Wettbewerb vertreten. Kokks Film ist im Estland des 18. Jahrhunderts angesiedelt, die Kamera führte wie in NOVEMBER Mart Taniel.
Genauso vielfältig wie die Themen sind auch die Blickwinkel und die Filmsprache der diesjährigen Wettbewerbsfilme.

ALLE SEKTIONEN – Programm auf einen Blick
WETTBEWERB
BIOSKOP
RHEINMAIN KURZFILMPREIS
OPEN FRAME AWARD
BLEIBT ALLES ANDERS? DIE WILDEN 90ER
HOMMAGE
OPPOSE OTHERING!
SYMPOSIUM
ANARCHO SHORTS
ADAMI SHORT FILM
SPECIALS
PROGRAMMHEFT
TIMETABLE
RAHMENPROGRAMM

Die Spielstätten auf einen Blick