Vergabe des Gutenberg-Preises 2018 an den Schutzpatron des gedruckten Buches Alberto Manguel

Vergabe des Gutenberg-Preises 2018 an Alberto Manguel durch Oberbürgermeister Michael Ebling am 23.Juni 2018 im Ratssaal des Mainzer Rathauses. © Foto: Diether v. Goddenthow
Vergabe des Gutenberg-Preises 2018 an Alberto Manguel durch Oberbürgermeister Michael Ebling am 23.Juni 2018 im Ratssaal des Mainzer Rathauses. © Foto: Diether v. Goddenthow

Manguel habe wie kein Zweiter die Beziehung von gedrucktem Buch, der Leserschaft und dem Lesen zum zentralen Punkt seines Wirkens gemacht, heißt es in der Jury-Begründung, den Schriftsteller Alberto Manguel mit dem Gutenberg-Preis 2018 auszuzeichnen. Gestern, am 23. Juni 2018, überreichten Oberbürgermeister Ebling und Kulturdezernentin Marianne Grosse Manguel während einer Feierstunde im Mainzer Rathaus die Urkunde des mit 10 000 Euro dotierten Gutenberg-Preises. Dieser Preis sei für ihn die allergrößte Ehrung, ein Nobelpreis unter den Nobelpreisen, so der weltberühmte Bestsellerautor von 50 Romanen und Direktor der argentinischen Nationalbibliothek in Buenos Aires.

Kulturdezernentin Marianne Grosse. © Foto: Diether v. Goddenthow
Kulturdezernentin Marianne Grosse. © Foto: Diether v. Goddenthow

Bei ihrer Begrüßung skizzierte Kulturdezernentin Marianne Grosse zu Beginn des Festaktes, dass Ende der 1990er Jahre, nach dem historischen Fall der Mauer, kulturelle, wirtschaftliche und technologische Entwicklungen ihren Lauf genommen hätten, die kurz zuvor kaum denkbar gewesen seien: Das Internet habe Einzug gehalten in Privathaushalten, Mobilfunk wurde massentauglich, Laptops und E-Books revolutionierten den Alltag. Kultur und Wirtschaft florierten, Begrifflichkeiten wie Dot.com-Unternehmen, Euro-Einführung oder „Shareholder-Value“ versprachen höheren Wohlstand – und der Bau der Raumstation ISS habe den Weltraum „gefühlt“ einen Schritt näher gebracht. Grosse: „Die Welt war wieder ein Stück kleiner geworden, die Möglichkeiten schienen unbegrenzt.“

In dieser von kühnen Träumen geprägten Zeit erschien 1996 zuerst in englischer, 1998 dann in deutscher Sprache ein Buch mit dem Titel „Eine Geschichte des Lesens“. Ein Buch mithin, das so völlig im Gegensatz zum herrschenden Zeitgeist gestanden habe. Grosse: „Aber beim internationalen Publikum traf das Buch offensichtlich einen ganz besonderen Nerv, denn es wurde in Millionenhöhe aufgelegt und in alle Weltsprachen übersetzt. Das Echo auf die Publikation war enorm und dieser Weltbestseller sollte nur ein Teil eines beeindruckenden Oeuvres sein, dessen Autor wir heute hier begrüßen dürfen – den Gutenberg-Preisträger des Jahres 2018: Alberto Manguel.“

Oberbürgermeister Michael Ebling zeigte sich als Präsident der Internationalen Gutenberg-Gesellschaft in Mainz e.V hocherfreut, einen solch namhaften Autoren als diesjährigen Preisträger begrüßen zu dürfen, um ihm als Vorsitzender des Kuratoriums zur Vergabe des Gutenberg-Preises die Auszeichnung persönlich zu überreichen.

Die Auszeichnung für Alberto Manguel gehe an einen renommierten Literaten, der sein ganzes Leben dem Buch und seiner Wirkung gewidmet habe. Als regelrechter „Weltbürger“ wirke er unter anderem in Buenos Aires, Paris, Mailand, London und Toronto, wo er als Lektor, Dozent und Übersetzer tätig gewesen sei. Aktuell fungiere er als Direktor der argentinischen Nationalbibliothek.
Ebling: „Alberto Manguel befasste sich nicht nur mit der Geschichte des Lesens und der Leser, sondern vermittelte auch seine ganz persönlichen Erfahrungen an Millionen von Lesern. Manguel schaffe es zum Beispiel, uns den Sinn von Buch zu beschreiben, nicht nur vom literarischen Wert her natürlich, sondern auch von seinen Eigenschaften. Das Buch, wie es Manguel beschreibe, sei mit unserer Kulturgeschichte so eng verflochten, dass es uns praktisch in in die DNA übergegangen sei. Und wer Manguels Leidenschaft für das Thema Buch spüre, „dann bin ich sicher, dann werden Menschen auch nie diese Leidenschaft verlieren.“, so der Oberbürgermeister.
„Bücher können Sinn stiften. Diese Botschaft vermittelt uns der Leser Alberto Manguel. Nun erhält er für sein umfangreiches Engagement für die Buchkultur mit dem Gutenberg-Preis den ,Nobelpreis der Nobelpreise‘, wie er ihn selbst kürzlich in einem Interview betitelte. Dazu gratulieren wir alle von Herzen.“, bekräftige Ebling

Der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Rainer Moritz , und heutige Leiter des Hamburger Literaturhauses. © Foto: Diether v. Goddenthow
Der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Rainer Moritz , und heutige Leiter des Hamburger Literaturhauses. © Foto: Diether v. Goddenthow

In seiner furiosen Laudatio skizzierte Professor Dr. Rainzer Moritz, früherer Programm-Chef bei Reclam Leipzig und Ex-Programm-Geschäftsführer bei Hoffman und Campe, und langjähriger Leiter des Hamburger Literaturhauses den Lesefreund Alberto Manguel als eine Art Schutzpatron der Bibliotheken und Bücher, der die „ Geschichte des Lesens“ gern selbst geschrieben hätte. Und hätte er es getan, wäre es eine Methode aus vielen Abschweifungen geworden, die sich hätte von Details leiten lassen, eine Anekdote auf die andere reihend.
„Die Methode der Abschweifungen bildet gleichsam die Basis dessen, was Manguel schreibend so tut: Er lässt sich verführen von Büchern, von seinen Büchern. Er evoziert zurückliegende Leseänderungen und verknüpft all diese Fäden zu einem neuen Muster. ‚Die lebenslange Praxis wahlloser Lektüre‘, heißt es in seiner ‚Stadt aus Worten‘ (Fischer-Verlag, Frankfurt 2011), habe in ihm eine Art persönliches Universallexikon entstehen lassen, auf dessen Seiten ich jeden meiner Gedanken in den Worten anderer ausgedrückt finde. Alles Geschriebene hängt mit allem Vorgeschriebenem zusammen, so wie die Literatur selbst ein work in progress ist, so ist das Nachdenken über sie nie abgeschlossen.“, zitiert Moritz als Vorgedanken zu Manguels Bücher-Sammelleidenschaft.

Wer über Manguel spräche, müsse über seine Bibliothek sprechen, so der Laudator. Manuel habe über die ganz unterschiedlich verlaufene Geschichte seiner mittlerweile rund 40 000 Bände umfassenden Bibliothek geschrieben, für die er nach einer zur Tugend erhobenen Umzugs-Odyssee im Zweijahrestakt von Barcelona, Paris und London über Mailand, Tahiti und Toronto , endlich im südwestfranzösischen Örtchen Mondion eine dauerhafte Heimat gefunden zu haben glaubte. „Die Hoffnung auf dauerhafte Heimat währte nicht. Und in seinen, in diesem Jahr herausgekommenen Buch ‚Die verborgene Bibliothek‘ beschreibt er, so Moritz, diesen Verlust: ‚Meine letzte Bibliothek befand sich in Frankreich, in einem alten steinernen Pfarrhaus im Süden des Loire-Tals, in einem kleinen Dörfchen mit weniger als zehn Häusern. Mein Partner und ich wählten diesen Ort, weil direkt neben dem Haus eine uralte, teilweise abgetragene Scheune stand, groß genug, um meine Bibliothek zu beherbergen, welche zu dieser Zeit auf etwa 35 000 Bücher angewachsen war. Ich dachte, sobald die Bücher ihren Platz gefunden hätten, würde ich auch den meinen finden. Doch es sollte anders kommen!‘“

verborgene BibliothekDieses jüngste Buch sei, so Moritz, wie der der Untertitel besage, „eine Elegie, ein Abgesang auf die Vorstellung, irgendwo für immer ankommen zu können. So schmerzhaft dieser Verlust wohl war, so sehr scheint er zudem zu passen, was Manguel über seine Lektüren oder über das Schreiben sagt: Denn wie das Gelesene wieder und wieder dazu nötigt, neue Querverbindungen herzustellen, abzuschweifen zu anderen Lesestoffen sowie permanent unendliche Assoziationen hervorbringt, so gibt es für den Menschen offenbar keinen Ort der Ruhe. Auch nicht in Modion südlich der Loire. Bleiben wäre Stillstand, die Bibliothek nicht mehr zu erweitern, auch!“, so der Laudator.

Alberto Manguel sei ein Sammler, ein Enthusiast, der Bücher erstehe, auch weil ihn der Titel oder Einband anspräche, weil dieses oder jenes Werk eine ganz vorzügliche Ergänzung des Bestandes darstelle. Wie Manguel aufzeige, gäbe es bibliophile Sammler, die sich für die Inhalte ihrer Sammlung nicht sonderlich interessierten und für die das damit eine Art Selbstzweck darstelle. Und dann gebe es ‚diejenigen, die sammeln, anhäufen, um sich universelles Wissen anzueignen, und dabei nicht begreifen‘, wie Manguel in „Bibliothek bei Nacht“ schreibt, ‚dass die Anhäufung von Wissen, nämlich nichts mit Wissen zu tun hat.‘“

Alberto Manguel sei ein Sammler, der seinen Objekten nahe sein wolle, so Moritz weiter. „Wenn er beschreibt, wie er sie zu ordnen versucht, wie er diese Ordnungen immer wieder umstößt, wie unterschiedlich er seine Bibliothek in Tages- und Nachtstunden wahrnimmt, oder wie er sein Bett mit Büchern umgibt, dann ist schnell klar, dass es sich hier um eine komplexe Liebesbeziehung handelt. Bücher geben den Räumen, in denen sie sich befinden, nicht nur eine eigene Identität. Nein sie werden zu vertrauten Weggefährten. Sie verschmelzen letztlich mit ihrem Leser, werden für Manguel zu ‚Fortsetzungen meines Körpers‘“, analysiert der Laudator Manguels beinahe  erotische Beziehung zu Büchern, die immer auch etwas Haptisches hätten und bereits ihr Aussehen für Leser die Deutung ihres Inhalts beeinflussen könnten. Denn es sei „ein elementarer Unterschied, ob wir uns über eine Erstausgabe von sagen wir Alfred Döblin beugen, einen Nachdruck als Taschenbuch in Händen halten oder wenn wir den „Alexanderplatz“ als E-Book lesen. Diese Art physische Inhalation des Textes bleibt, wie es in der ‚Verborgenen Bibliothek‘ heißt, unverzichtbar.“, so Moritz, der wunderbar auf viele weitere zentrale Aspekte des großen Autors einging, dessen Bücher wie „Bibliothek bei Nacht“  und  insbesondere auch sein neuestes „Die verborgene Bibliothek“ wirklich wärmstens zu empfehlen sind.

Alberto Manguel. © Foto: Diether v. Goddenthow
Alberto Manguel. © Foto: Diether v. Goddenthow

In seinen Dankesworten unterstrich Alberto Manguel, dass das Buch des Menschen einzige Erfindung sei, die seinen Intellekt erweitere. Es helfe unserer Vorstellungskraft, unserem Gedächtnis, unserer Kommunikation und es helfe die Welt zu verstehen. „Bücher machen uns weniger unglücklich, und lassen uns nicht verdummen.“

Musikalisch umrahmt wurde die Feier von der Sängerin Julianna Townsend, begleitet am Flügel von Luis Borig mit „Don’t know why“ Nora Jones, „Right to be wrong“ Joss Stone und weiteren Titeln.

(Diether v. Goddenthow/ Rhein-Main.Eurokunst)