Neuer Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef: „Zusammenführen, Brücken bauen, Wort halten“

Beim Empfang im Frankfurter Römer am 12. Mai 2023 unterstrich der neue Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef, in Tradition seines Amtsvorgängers Ludwig Landmann  in den Zwanzigerjahren, dass es  gelte  „ein neues Kapitel“ aufzuschlagen.  Landmann habe damals erkannt: „Mit der Infrastruktur kommt der wirtschaftliche Erfolg, der soziale Zusammenhalt und der kulturelle Aufbruch.“ Dieser Grundsatz, so Josef, gelte noch heute: „Wenn wir in unsere Infrastruktur investieren, dann schaffen wir damit die Grundlage für unsere wirtschaftliche Stärke, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den kulturellen Fortschritt und die Erreichung unserer Klimaziele.“ © Foto Diether von Goddenthow
Beim Empfang im Frankfurter Römer am 12. Mai 2023 unterstrich der neue Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef, in Tradition seines Amtsvorgängers Ludwig Landmann in den Zwanzigerjahren, dass es gelte „ein neues Kapitel“ aufzuschlagen. Landmann habe damals erkannt: „Mit der Infrastruktur kommt der wirtschaftliche Erfolg, der soziale Zusammenhalt und der kulturelle Aufbruch.“ Dieser Grundsatz, so Josef, gelte noch heute: „Wenn wir in unsere Infrastruktur investieren, dann schaffen wir damit die Grundlage für unsere wirtschaftliche Stärke, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den kulturellen Fortschritt und die Erreichung unserer Klimaziele.“ © Foto Diether von Goddenthow

Fast eine Geschichte wie aus 1001 Nacht: Vom syrischen Flüchtlingskind zum Oberbürgermeister von Frankfurt am Main. Das zeigt einmal mehr die Durchlässigkeit Deutschlands gelebter, pluralistischer Demokratie, in der jeder  intelligente, leistungswillige und leidensfähige Mensch im Prinzip fast alles werden kann. Vielleicht in Frankfurt aber noch eher, da traditionell Frankfurter ist, wer Frankfurter sein möchte, in einer Stadt, in der 167 Nationen friedlich neben- und miteinander leben, in einer Metropole, in der die besten Talente der Welt zusammenkommen. Ein überzeugenderes Geschenk zum Fest „175 Jahre Paulskirche: Unsere Demokratie – Deine Freiheit“, als das freie Ringen der Parteien mit dem daraus erfolgten (Stich-) Wahlsieger Mike Josefs  kann wohl kaum geben.
Als seine wichtigste Aufgabe bezeichnete Josef es denn auch beim gestrigen Empfang, am 12.Mai 2023, im Kaiser-Saal des Frankfurter Römers, den sozialen Zusammenhalt zu sichern und Brücken zu bauen. „Als Oberbürgermeister werde ich allen Menschen, egal, woher sie kommen, auf Augenhöhe begegnen. Ich weiß, woher ich komme, und das hat mich geprägt.“ Seine Geschichte habe er so nur in Frankfurt schreiben können. In Beisein hunderter Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft, darunter auch die Amtsvorgänger Petra Roth und Andreas von Schoeler, dankte er seinen anwesenden Eltern, die mit ihm als Kleinkind aus Syrien nach Deutschland, zunächst Ulm, geflohen waren, für all ihre Unterstützung und Förderung für eine gute (Aus-)Bildung: „Als wir nach Deutschland kamen, da haben wir an vieles gedacht. Aber nicht, dass ich einmal Oberbürgermeister der fünftgrößten deutschen Stadt – unserer Heimat – werde.“

Standing Ovations für den neuen Oberbürgermeister Mike Josef im im Kaiser-Saal des Frankfurter Römers. Dieser ist zurzeit eher ein "Kaiserinnensaal", da statt die deutschen Kaiser nun "48 revolutionäre Frauen" von den Seitenwänden her "grüßen". Die Ausstellung kann bei der heutigen Nacht der Museen, und darüber hinaus noch bis zum 26.Juni 2023 besichtigt werden. © Foto Diether von Goddenthow
Standing Ovations für den neuen Oberbürgermeister Mike Josef im im Kaiser-Saal des Frankfurter Römers. Dieser ist zurzeit eher ein „Kaiserinnensaal“, da statt die deutschen Kaiser nun „48 revolutionäre Frauen“ von den Seitenwänden her „grüßen“. Die Ausstellung kann bei der heutigen Nacht der Museen, und darüber hinaus noch bis zum 26.Juni 2023 besichtigt werden. © Foto Diether von Goddenthow

Josef appellierte, sich gegen strukturelle Diskriminierung und Alltagsrassismus einzusetzen. Die Teilhabe- und Aufstiegschancen seien immer noch ungerecht verteilt. „Jedes Kind muss dieselben Chancen haben, jeder Mensch soll danach beurteilt werden, wer er ist. Nicht danach, woher er kommt. Das ist der Kern meiner politischen Überzeugung.“ Den Nachbarkommunen versprach er, ein „guter Nachbar“ zu sein.
Ausdrücklich bedankte sich Josef bei Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg, von Hause aus Psychotherapeutin, die die Amtsgeschäfte nach Feldmanns Abwahl kommissarisch geführt hatte.  Eskandari-Grünbergs Geschichte, 1965 in Teheran als Perserin geboren,  ist  ein ebensolch unglaubliches Zeugnis eines geglückten Aufstiegs:   Wegen Proteste für die Freiheit, im  Foltergefängnis Evin gelandet,  gebar sie dort 1983  als damals 18-Jährige  Tochter Maryam. 1985 konnte Eskandari-Grünberg mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland fliehen. Der Drang  in Freiheit und einer toleranten Welt  leben zu wollen, gab ihr die Kraft. So war Eskandari-Grünberg es, die in Frankfurt den Mut hatte – auch gegen ein mitunter hierzulande  falsches  Toleranzverständnis des Hijab-Tragens,  öffentlich gegen die per Kamera überwachte menschenverachtende Kopftuchpflicht für Frauen im Iran  zu demonstrieren.
Zeigt nicht auch  Eskandari-Grünbergs Werdegang als Migrantin  ähnlich beeindruckend wie Mike Josefs Biografie, dass  hierzulande die vielfach schon totgesagte Demokratie (doch noch) funktioniert, dass begabte, zielstrebige und leistungsorientierte Menschen  auch ohne  „reiche Eltern“ und „Quoten“ es  ganz nach oben schaffen können?

Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg © Foto Diether von Goddenthow
Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg © Foto Diether von Goddenthow

Mike Josef unterstrich, dass Eskandari-Grünberg nicht nur die Amtsgeschäfte Feldmanns – ohne Vorbereitungszeit – erfolgreich weitergeführt habe. Sie habe auch die Jubiläumsfeier zum 175. Jahrestag der Paulskirchenversammlung vorbereitet und die Stadt hervorragend geführt und repräsentiert. An die Mitarbeiter der Stadtverwaltung gewandt, sagte Josef, er setze auf einen kooperativen Führungsstil und engagierten Einsatz. Um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, müsse die Politik Lösungen für deren Sorgen finden. Ausdrücklich erwähnte er die vielen jungen Wähler, denen er sich verbunden fühle. Es gelte aber auch, Menschen für die Politik zurückzugewinnen, die sich von der Demokratie abgewandt hätten.

Er trete ein für eine tolerante und weltoffene Stadt, in der Menschen sich mit all ihrer Vielfalt zugehörig fühlen und gleichberechtigt sind, in der sie partizipieren und sich für ein friedliches Miteinander einsetzen.

Auszüge aus der Antrittsrede von Mike Josef gestern im Frankfurter Römer:

Oberbürgermeister Mike Josef. © Foto Diether von Goddenthow
Oberbürgermeister Mike Josef. © Foto Diether von Goddenthow

„In den 1920er-Jahren hat Ludwig Landmann als Oberbürgermeister Frankfurts eines erkannt: Mit der Infrastruktur kommt der wirtschaftliche Erfolg, der soziale Zusammenhalt und der kulturelle Aufbruch. Sein Grundsatz gilt noch heute: Wenn wir in unsere Infrastruktur investieren, dann schaffen wir damit die Grundlage für unsere wirtschaftliche Stärke, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den kulturellen Fortschritt und die Erreichung unserer Klimaziele.

Genau darum geht es heute. Unsere Frankfurter Geschichte fortzuschreiben: Investition in Digitalisierung und in die Zukunft der Mobilität für eine starke Wirtschaft. Die Sicherung des Osthafens als Gewerbegebiet. Entwicklung des neuen Gewerbeparks Griesheim als Innovations- und Jobmotor für mittelständische Unternehmen. Sicherung des Industrieparks Fechenheim und Höchst unter anderem für die Expansion der dort ansässigen Unternehmen. Weiterentwicklung unserer Messe. Gründerinnen und Gründer sollen in Frankfurt die besten Startmöglichkeiten bekommen. Standortentscheidung zu den städtischen Bühnen. Davon wird die gesamte Kultur in unserer Stadt profitieren, so wie wir von der Entwicklung des Museumsufers bis heute profitieren.

Schaffung und Sicherung von bezahlbaren Wohnungen sind zwei Seiten einer Medaille. Wir werden den Mietenstopp bei der ABG verlängern. Wir werden einen ökologischen Stadtteil, in dem gewohnt und gearbeitet wird, entwickeln. Bildung hat höchste Priorität, dafür werden Mittel aufgestockt. Wir werden Schulen schneller sanieren und die Entwicklung der Berufsschulen im Frankfurter Westen umsetzen. Klimaneutralität bis 2035 bleibt unser Ziel. Das bedeutet: Ausbau der Fernwärmeleitungen, Photovoltaikanlagen, Geothermie sowie Nutzung der Abwärme und Reduktion des CO2-Ausstoßes durch Ausbau von Bus, Bahn und Radverkehr.

Wir wollen die Paulskirche und das Haus der Demokratie als Chance für ein neues Miteinander nutzen. Wäre es nicht großartig, wenn sich die Schülerinnen und Schüler als Teil unseres Projekts zur Schaffung eines Hauses der Demokratie begreifen? Dazu lade ich sie ausdrücklich ein!

Haltung zeigen, das ist ein Pfeiler unseres demokratischen Diskurses und gilt insbesondere auch für mein Amtsverständnis als Oberbürgermeister. Haltung zeigen, das bedeutet: für die eigene Position zu streiten und dann gemeinsam zu entscheiden. Dafür sind wir auf Zeit gewählt. Ich weiß, dass am Ende Kompromisse entstehen, dass es auch mal keine parlamentarische Mehrheit geben wird. Aber das darf nicht dazu führen, Haltung, Diskurs, aber eben auch Entscheidungen aufzugeben. Denn eines ist klar: Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung.

Stillstand können wir uns als internationale Großstadt nicht erlauben. Ich glaube an den Gestaltungswillen dieser Stadtregierung. Ein Oberbürgermeister kann keine Anweisungen an Dezernenten oder das Stadtparlament erteilen, das sieht die Hessische Gemeindeordnung nicht vor. Doch er kann sehr wohl vorschlagen, anregen, ermutigen, auch auffordern und einfordern. Vor allem aber kann ein Oberbürgermeister konstruktive Kräfte bündeln. Und das genau will ich tun: Die Willigen, die Konstruktiven, jene, die praktikable Lösungen für die Probleme der Stadt und ihre Zukunft suchen, möchte ich zusammenführen.

Deswegen werde ich die Debatte um das Bahnhofsviertel weiterführen. Jede und jeder weiß um die Missstände in Teilen des Bahnhofsviertels, und die Menschen erwarten zu Recht eine Besserung. So wie es ist, kann es nicht bleiben.

Am Ende werden wir von den Menschen danach bewertet, ob wir für ihre konkreten Sorgen und Nöte Lösungen erarbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger verzeihen der Politik auch mal Fehler, wenn sie den Eindruck haben, dass die Richtung stimmt. Nur so können wir unsere Stadt erfolgreich voranbringen.

Als Oberbürgermeister werde ich allen Menschen, egal woher sie kommen, auf Augenhöhe begegnen. Ich weiß, woher ich komme, und das hat mich geprägt. Deshalb bin ich für Zugänge zu guter, kostenloser Bildung. Für mehr bezahlbare Wohnungen. Und stehe für einen Frankfurt-Zuschlag, der etwa Erzieherinnen und Erziehern zugutekommt.

Ich will einen Energiefonds ins Leben rufen, der für Mieterinnen und Mieter bereitsteht, wenn sie es allein nicht schaffen. Stehe für eine bezahlbare Energiewende, bei der Mieterinnen und Mieter von niedrigerem Energieverbrauch auch finanziell etwas haben.

Den sozialen Zusammenhalt sichern und Brücken bauen, darin sehe ich meine wichtigste Aufgabe. Wer Brücken baut, braucht einen festen Standort, einen Brückenkopf, von dem er Verbindungen über Gräben hinweg bauen kann. Mein Standort ist sehr nah an den Überzeugungen, die unsere Stadtregierung tragen. Die auch für Frankfurt konstitutiv sind: Wir sind eine soziale, ökologische, liberale Stadt im Herzen Europas.

Auf dieser Grundlage können wir gute und richtige Entscheidungen für Frankfurt treffen. Das ist meine Überzeugung: Ich will diese Stadtregierung gemeinsam mit dem Magistratskolleginnen und Kollegen, mit Ihnen allen zum Erfolg führen. Denn der Erfolg der Stadtregierung ist auch der Erfolg der ganzen Stadt.

Als Oberbürgermeister werde ich über das Parteienspektrum hinauswirken. Vor allem will ich Menschen für die Politik zurückgewinnen, die sich von unserer Demokratie abgewandt haben. Kritische Begleitung unserer Demokratie ist gut, aber die Verachtung für unsere demokratischen Institutionen, für unsere Parlamente, für den ehrenamtlichen Einsatz so vieler Kommunalpolitiker, diese Verachtung ist eine große Gefahr. Ich will einen Römer, ein Rathaus, in dem sich alle Frankfurterinnen und Frankfurter wohlfühlen.

Zu unserem Land, zu unserer Stadt gehört die ganze deutsche Geschichte, auch für Menschen, die wie ich nicht in der Bundesrepublik geboren sind. Ich nehme die Verantwortung an und ernst. Judenhass, Rassismus, völkisches Denken haben uns einmal in die Katastrophe geführt. Antisemitismus und Rassismus prägen noch immer das Bewusstsein vieler Menschen. Der rechtsradikale Terroranschlag in Hanau hat uns das in schrecklicher Weise in unser Bewusstsein gerufen. Rechtsradikaler Terror ist die größte Gefahr für den Frieden in unserem Land. Niemals wieder werden wir unsere Parlamente und unsere Straßen den rechten Feinden der Demokratie überlassen.

Es gibt auch Alltagsrassismus und strukturelle Diskriminierungen, die das Leben vieler Menschen beeinträchtigen. Warum gibt es kein kommunales Wahlrecht für alle Frankfurterinnen und Frankfurter? Warum sind so wenige Menschen mit Migrationserfahrung auf den Führungsebenen der Verwaltung und der Wirtschaft zu finden? Warum sind Teilhabe- und Aufstiegschancen so ungerecht verteilt? Die Antwort liegt auch darin, dass wir Werte wie Internationalität und Chancengleichheit in Reden beschwören, aber im Alltag nicht ausreichend mit Leben füllen.

Gemeinsam mit der Region stehen wir im Wettbewerb um Investitionen, Innovationen und Ansiedlungen. Daher müssen wir Flächen für Gewerbe und Industrie nutzen, um Arbeitsplätze und Gewerbesteuern zu sichern. Initiativen zur Abschaffung der Gewerbesteuer lehne ich ab.

Unter meiner Führung wird Frankfurt ein guter Nachbar sein. Ich will und werde mit der Region zusammenarbeiten. Auf Augenhöhe und mit einem klaren Auftrag: Wir schaffen den Erfolg nur gemeinsam.

Eingangs sagte ich: Ich fühle Demut vor dem Amt. Aber zugleich erfüllt es mich mit Freude und Begeisterung für das, was vor uns liegt. Wir haben die besten Voraussetzungen, wir haben allen Grund zur Zuversicht. Wir, der Oberbürgermeister, die Stadtregierung, das Parlament und die Verwaltung dürfen und werden nicht überheblich sein. Aber durchaus selbstbewusst. Wir sind eine selbstbewusste Stadt, die ihre Traditionen pflegt und gleichzeitig dem Fortschritt zugewandt ist. Mit stolzen Bürgerinnen und Bürgern, die sich für ihre Stadt einsetzen, für ein sinnerfülltes und glückliches Leben. Vertrauen wir auf die Stärke unserer Stadt. Packen wir es gemeinsam an.“