Banker, Bordelle und Bohème: Stationen der Geschichte des Bahnhofsviertels Neue Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte mit Publikation

Institut für Stadtgeschichte. © Foto: Diether v. Goddenthow
Institut für Stadtgeschichte. © Foto: Diether v. Goddenthow

Vom 29. Mai 2018 bis 7. April 2019 zeigt das Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main die Ausstellung „Banker, Bordelle und Bohème: Stationen der Geschichte des Bahnhofsviertels“. Die im Dormitorium des Karmeliterklosters zu sehende Schau thematisiert die Historie von Frankfurts vielseitigstem und schillerndstem Stadtteil in 24 Stationen.

„Die Ausstellung erhellt die wechselhafte Geschichte des Bahnhofsviertels. Hier wurde und wird Großstadt Realität, mit all ihren Facetten und Herausforderungen“, betonte Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig. Dr. Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Instituts für Stadtgeschichte, wies auf die Besonderheiten des Ende des 19. Jahrhunderts zwischen Altstadt und dem 1888 eröffneten Hauptbahnhof entstandenen Quartiers hin: „Wussten Sie, dass das Bahnhofsviertel noch vor 100 Jahren als Frankfurts modernes Vorzeigeviertel galt und erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts den Duktus eines verrufenen Viertels erhielt?“

© Kaiserstraße mit Blickrichtung Hauptbahnhof um 1910 (ISG S17/550-12)
© Kaiserstraße mit Blickrichtung Hauptbahnhof um 1910 (ISG S17/550-12)

Die 24 Stationen führen den Besucher vom Mittelalter und dem Hochgericht auf dem Galgenfeld bis in die heutigen Debatten um die Gentrifizierung des Stadtteils. Dabei ist letztere Entwicklung kein neues Phänomen. Wie die Ausstellung verdeutlicht, durchziehen die Historie des Bahnhofsviertels beständig Immobilien- und Bodenspekulationen. Immer wieder musste die vormalige Bebauung neuen Nutzungskonzepten Platz machen: Sommerhäuser für noblere Villen, diese für Miets- oder Geschäftshäuser und diese wiederum für Hotels, Bürobauten oder Bankentürme.

„Die meisten erwarten wohl eine Ausstellung über Prostitution, Drogen und Nachtleben. Doch wir wollten nicht die gängigen Klischees über das Bahnhofsviertel aufwärmen“, brachte Dr. Markus Häfner, Kurator der Ausstellung, die Absichten auf den Punkt. „Vielmehr beleuchtet die Schau die zahlreichen Facetten des Quartiers und die vielfältigen Entwicklungen seit dem Mittelalter“, erläuterte er. Hierbei stehen Bau- und Technikgeschichte, Drogenproblematik und Rotlichtmilieu gleichberechtigt neben stilprägenden Gebäuden und Institutionen, Gewerbezweigen und Protagonisten.

So thematisiert die Ausstellung auch die früheren Westbahnhöfe, den Bau des Hauptbahnhofs, die Internationale Elektrotechnische Ausstellung von 1891, die Planungen für das noble Wohn- und Geschäftsviertel sowie markante Bauten wie das Schumanntheater, Hotels oder das Gewerkschaftshaus. Ebenso finden Aufstieg und Niedergang des Pelzhandels, alteingesessene Geschäfte, multikulturelle Geschäftswelt und Bars, Herausforderungen und Erfolge der Drogenproblematik, Rotlichtmilieu und Nightlife, Bankentürme und Entvölkerung des Stadtviertels Berücksichtigung. Immer wieder lädt die Ausstellung den Besucher ein, Protagonisten des Quartiers und kleine Geschichten kennenzulernen.

Großer Andrang, gleich bei der Eröffnung am 28.Mai 2018. © Foto: Diether v. Goddenthow
Großer Andrang, gleich bei der Eröffnung am 28.Mai 2018. © Foto: Diether v. Goddenthow

Heute weitgehend vergessen ist die Bedeutung des Quartiers als Zentrum der Varietékunst und des Schauspiels. „Schumanntheater und Neues Theater bildeten für Jahrzehnte einen strahlenden Stern im kulturellen Leben Frankfurts“, stellte Hartwig heraus. „Für Oberbürgermeister Franz Adickes war es nicht das nahegelegene Schauspielhaus, sondern der am Bahnhofsvorplatz gelegene ‚Zirkus Albert Schumann‘, der Frankfurt zur Metropole machte“, rief sie in Erinnerung.

Neben Darstellungen in Bild und Text zeigt die Ausstellung zahlreiche Exponate aus den Beständen des Instituts für Stadtgeschichte und aus Privatbesitz – etwa Rotlichtreiseführer, eine Zither aus Produktion des Musikhauses Hummel/Cream Music, ein Stück Fassade des Hauptbahnhofs, Kürschnerwerkzeuge oder Bijous und Abzeichen der Loge zur Einigkeit.

Ausstellungs-Impression. © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression. © Foto: Diether v. Goddenthow

„Lernen Sie die Historie des Viertels kennen, das für viele Frankfurt erst zur Metropole macht!“, lud Brockhoff Frankfurter und Touristen gleichermaßen ein, die spannende Geschichte des Viertels kennenzulernen. „Als Kind des Bahnhofsviertels verbinde ich mit vielen Inhalten persönliche Erinnerungen“, freute sie sich über die aktuelle Schau im Institut für Stadtgeschichte. Der Eintritt in die Ausstellung ist frei.

Ein Begleitprogramm vertieft Einzelaspekte der Ausstellung. Die Vortragsreihe, teilweise in Kooperation mit der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e.V., beginnt am 11. Juni 2018 mit dem Ausstellungskurator Dr. Markus Häfner zum Thema „Ein nobles Wohn- und Geschäftsviertel: Das Bahnhofsviertel von der Entstehung bis 1945“. Am 17. September 2018 erläutert Dr. Michael Matthäus „Die Frankfurter Scharfrichter in reichsstädtischer Zeit“. Im Fokus des Vortrages von Dr. Heinz Schomann am 22. Oktober 2018 steht „Der Frankfurter Hauptbahnhof: Wettbewerb, Bau und Architektur“. Über die Thematik „Prostitution und Rotlichtbezirk“ als „Ort der Hoffnung, Ort des Scheiterns“ referiert am 19. November 2018 Dr. Fritz Koch. Am 14. Januar 2019 wirft Stephan Skora mit „Schumanns Pferde, Klinkes Tiger“ einen Blick auf Frankfurter Varieté-Geschichten und präsentiert dazu passende Zaubertricks. Den Zyklus schließt am 11. Februar 2019 Klaus Janke mit dem „Reizthema Aufwertung: Wem gehört das Bahnhofsviertel?“ ab. Alle Vorträge beginnen jeweils um 18.30 Uhr und finden im Dormitorium des Karmeliterklosters statt. Der Eintritt beträgt 4 Euro, ermäßigt 3 Euro.

Impressionen zur Käuflichen Liebe: Straßenstrich, Sperrgebietsverordnungen und Laufhäuser. © Foto: Diether v. Goddenthow
Impressionen zur Käuflichen Liebe: Straßenstrich, Sperrgebietsverordnungen und Laufhäuser. © Foto: Diether v. Goddenthow

Auch das Frankfurter Erzählcafé nimmt das Thema Bahnhofsviertel zwei Mal in den Fokus. Am 10. Dezember 2018 berichten als exemplarische „Gesichter des Bahnhofsviertels“ u. a. Jennifer Blaine über ihre Erlebnisse als Drogenabhängige, Norman Weber über seine Arbeit im Rotlichtmilieu als Geschäftsführer des Pure Platinum und Oskar Mahler über seine Tätigkeit als Stadtteilbildhauer und Inhaber des Hammermuseums. Die Moderation übernehmen Ausstellungskurator Dr. Markus Häfner und Ulrich Mattner, Journalist und Vorsitzender des Gewerbevereins „Treffpunkt Bahnhofsviertel“. Die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung des Quartiers stehen im Fokus des Erzählcafés „Das Bahnhofsviertel heute zwischen Kriminalität, Gentrifizierung und Multi-Kulti“ am 11. März 2019. Zusammen mit dem Gentrifizierungsforscher Dr. habil. Sebastian Schipper, dem Schutzmann vor Ort Björn Driebold und Viertelkenner Ulrich Mattner erläutert Moderator Häfner aktuelle Fragen: Verdrängt die Gentrifizierung die Bordelle? Trauen sich Anwohner ob der Drogenszene noch auf die Straße? Schafft mehr Polizei im Viertel mehr Sicherheit? Beide Veranstaltungen beginnen jeweils um 18.30 Uhr und finden im Dormitorium des Karmeliterklosters statt. Der Eintritt ist jeweils frei.

Der Ausstellungskurator Dr. Markus Häfner führt am 7. Juni, 4. September und 15. November 2018 sowie am 26. Februar 2019 jeweils um 18 Uhr, am 29. Juli und 14. Oktober 2018 sowie am 13. Januar und 31. März 2019 jeweils um 15 Uhr durch die Ausstellung. Die Teilnahme an Führungen kostet 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Bestellte Gruppenführungen sind nach Anmeldung und Terminabsprache unter 069 212 314 17 oder info.amt47@stadtfrankfurt.de möglich. Der Eintritt in die Ausstellung ist frei.

Passend zur Ausstellung ist im Societäts-Verlag die Begleitpublikation „Banker, Bordelle & Bohème: Die Geschichte des Frankfurter Bahnhofsviertels“ von Klaus Janke und Markus Häfner erschienen. Auf 272 Seiten beleuchten die Autoren die Historie des Bahnhofsviertels und stellen dabei auch Protagonisten und „Typen“ des Quartiers vor. Über 100 Abbildungen und eine Chronik ergänzen die neun Kapitel.

Häfner betrachtet die frühe Nutzung des Areals als Hochgericht, für Sommerhäuser und erste Villen, skizziert die Planungen und den Bauverlauf des Stadtteils um 1900 und wirft einen Blick auf die Angebote zum Einkaufen, Amüsement und Übernachten vor 1945. Im zweiten, umfangreicheren Teil des Buches betrachtet Janke in sechs Kapiteln die Aspekte Stadtplanung, Prostitution, Nachtleben, Drogenszene, Handel und Dienstleistungen sowie Kunst und Kultur von 1945 bis heute. Die Publikation ist im Institut für Stadtgeschichte, über den Webshop des Societäts-Verlags und im Buchhandel für 30 Euro erhältlich (ISBN 978-3-95542-295-0).

Weitere Informationen unter www.stadtgeschichte-ffm.de.