Intensivmediziner veröffentlichen Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von COVID-19-Patienten

© Foto: Diether v Goddenthow
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Berlin – Im Rahmen der COVID-19-Epidemie geht die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) von einem weiteren Anstieg an intensivpflichtigen Patienten aus. Bei der Behandlung dieser Patienten sind besondere Aspekte zu beachten. Unter Federführung der DGIIN haben Experten mehrerer Fachgesellschaften aktuelle Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 veröffentlicht.

„Die Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 entwickelt sich derzeit sehr dynamisch. Wir gehen fest davon aus, dass dies zu einem weiteren Anstieg an Intensivpatienten führt“, sagt Professor Dr. med. Stefan Kluge, Vorstandsmitglied der DGIIN und Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Es ist uns wichtig, den Kliniken vor Ort in einem kompakten Paper Empfehlungen zum Umgang mit COVID-19-Patienten zur Verfügung zu stellen, die eine intensivmedizinische Behandlung brauchen. Diese Veröffentlichung hat die DGIIN daher jetzt federführend gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften herausgegeben (DGIIN, DIVI, DGP, DGAI). Grundsätzlich empfiehlt die Fachgesellschaft, dass sich multidisziplinäre Teams in den jeweiligen Kliniken mit der Thematik befassen sollten. Dazu sollen in jedem Fall Intensivmediziner, Pflegekräfte, Infektiologen und Krankenhaushygieniker gehören.

In den Empfehlungen geben die Experten einen Überblick zum aktuellen Kenntnisstand der Diagnostik, dem möglichen Krankheitsbild und worauf bei den Schutzmaßnahmen für das Personal besonders zu achten ist. Laut den Empfehlungen sollte definitiv nur geschultes Personal Zugang zu den Betroffenen haben und dieses Personal möglichst von der Versorgung anderer Patienten freigestellt werden. Konkrete Empfehlungen zu therapeutischen Aspekten wie Medikamentengaben, Beatmung und adjuvanten Maßnahmen werden ebenfalls gegeben. Hinsichtlich der genauen Hygienemaßnahmen und Schutzausrüstung verweisen die Experten auf die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI).

„Mit Blick auf die steigende Anzahl der Patienten haben wir uns auch mit der Verfügbarkeit der Intensivbetten beschäftigt“, so Professor Dr. med. Christian Karagiannidis, Präsident elect der DGIIN und leitender Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim. In Kürze werden das ARDS-Netzwerk (Acute Respiratory Distress Syndrome-Netzwerk), das sich mit akutem Lungenversagen beschäftigt, und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeinsam mit dem RKI eine Webseite freischalten, auf der Kliniken alle freien Intensivkapazitäten melden sollen. Derzeit können Kliniken vorhandene Kapazitäten im Melderegister des ARDS-Netzwerkes angeben.

Hier finden Sie die ausführlichen Empfehlungen der DGIIN.

DGIIN fordert praxistaugliche Regelungen im Umgang mit COVID-19
Quarantäne für Medizinisches Personal darf Patientenversorgung nicht gefährden

Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) begrüßt ausdrücklich die vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichte Ergänzung zum Nationalen Pandemieplan zu COVID-19. Die Fachgesellschaft kritisiert hingegen die Regelungen für medizinisches Personal, das engen ungeschützten Kontakt (≤2 Meter) zu einem bestätigten COVID-19-Fall im Rahmen der Pflege oder medizinischen Untersuchung hatte. Das RKI empfiehlt hier bei Kontakt ohne verwendete Schutzausrüstung eine häusliche Quarantäne. Diese Vorgabe ist aus Sicht der DGIIN nicht praktikabel und würde bei strikter Beachtung zu einem Kollaps der Gesundheitsversorgung durch Krankenhäuser und Arztpraxen führen.

„Als DGIIN ist es uns ein wichtiges Anliegen, dass es klare Handlungsempfehlungen im Umgang mit COVID-19-Patienten gibt. Diese müssen allerdings auch praxistauglich sein und die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung in Kliniken und Arztpraxen gewährleisten“, sagt Professor Dr. med. Stefan John, Präsident der DGIIN. Mitarbeitende in der Notfallaufnahme kommen beispielweise im Laufe eines Arbeitstages mit einem großen Personenkreis des übrigen dort tätigen medizinischen Fachpersonals in Kontakt. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine COVID-19-Erkrankung bei einem Mitarbeiter (oder auch Patienten) noch nicht erkannt und diagnostiziert ist. Kommt es dann zu einer nachgewiesenen Infektion mit SARS-CoV-2 und nachfolgender COVID-19-Erkrankung müssten laut aktuellen Empfehlungen des RKI alle Kontaktpersonen ebenfalls in Quarantänestellung.

„Die Empfehlung des RKI würde damit unmittelbar wesentliche und relevante Versorgungsbereiche eines Krankenhauses stilllegen. Ein solcher Ausfall kann aufgrund der ohnehin schon dünnen Personaldecke nicht kompensiert werden“, gibt John zu bedenken. Nach Ansicht der Fachgesellschaft droht dadurch eine Unterversorgung im Gesundheitssystem, da Menschen mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen und akuter Behandlungsbedürftigkeit dann nicht mehr ausreichend versorgt werden könnten.

Vor diesem Hintergrund hat es in der jüngsten Vergangenheit Abweichungen von der Empfehlung des RKI gegeben. In Abstimmung mit den lokalen Gesundheitsbehörden haben sich Krankenhäuser nicht nur der Maximalversorgung für ein anderes Vorgehen entschieden, um die Sicherheit der zum Teil kritisch erkrankten Patienten durch Ausfall von ganzen Belegschaften nicht zu gefährden. „Solche Abweichungen können zur Verunsicherung der Bevölkerung und des medizinischen Personals beitragen. Wir brauchen daher andere, praxistaugliche und gut umsetzbare Regelungen als die bisher bestehenden. Nur so können zukünftige Abweichungen verhindert werden“, sagt der Experte, der auch Leiter des Funktionsbereichs Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg ist. Die DGIIN fordert daher eine Änderung der Regelungen für medizinisches Personal, das engen, ungeschützten Kontakt (≤2 Meter) zu einem bestätigten COVID-19-Fall im Rahmen der Pflege oder medizinischen Untersuchung hatte. Dafür bietet die Fachgesellschaft ihre Zusammenarbeit mit dem RKI an. Asymptomatische Kontaktpersonen sollten unter klar geregeltem Schutz und Überwachungsmaßnahmen weiterhin an der Patientenversorgung teilnehmen können.

Die DGIIN schlägt dafür klare Handlungsempfehlungen vor:
Asymptomatisches medizinisches Personal der Kategorie I des RKI nach Kontakt mit einer SARS-CoV-2-positiven Person muss unverzüglich auf SARS-CoV-2 getestet werden. Bei fehlenden Symptomen oder sonstigen Zeichen einer Infektion kann die betreffende Person zunächst weiter bis zum endgültigen negativen Testergebnis arbeiten. Sie muss dabei jedoch einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Weiterhin sollte zweimal pro Tag Fieber gemessen und ein Gesundheitstagebuch geführt werden mit einer Dokumentation des allgemeinen Befindens. Die Kontaktpersonen werden außerdem gebeten, auch im häuslichen Umfeld Hygienemaßnahmen einzuhalten und auf den Besuch von größeren öffentlichen Veranstaltungen zu verzichten. Zudem muss alle zwei bis drei Tage ein Test der Person auf das Virus erfolgen.

„Sobald das Virus bei einer Kontaktperson nachgewiesen wird, muss eine häusliche Quarantänestellung erfolgen. Das gleiche gilt für Kontaktpersonen, die plötzlich Symptome zeigen. Diese müssen ebenfalls nach sofortiger Testung eine häusliche Quarantäne einhalten“, so John. Es verstehe sich von selbst, dass bei schweren Symptomen oder beim Vorliegen von Risikofaktoren und relevanten Vorerkrankungen für diese Fälle eine stationäre Behandlung erforderlich ist.

„Die DGIIN ist sich sehr wohl bewusst, welche Verantwortung das Robert-Koch-Institut bei seinen Empfehlungen tragen muss. Wir weisen aber auch darauf hin, dass solche Empfehlungen zukünftig dringend in Abstimmung mit den Fachgesellschaften und Verbänden entstehen sollten, insbesondere aus der Notfall- und Akutmedizin sowie Intensivmedizin“, appelliert John. Nur so können nach Ansicht der DGIIN die sehr komplexen medizinischen Abläufe sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung der gesamten Bevölkerung auf dem notwendigen hohen Niveau sichergestellt werden.