Mit einer großen, mit Wunderkerzen geschmückten Torte und großer Weltuntergangs-Tafel feierte das Wiesbadener Staatstheater am gestrigen Abend in den Theaterkolonnaden die Eröffnung der Theatersaison 2024/2024. Sie ist zugleich die erste Spielzeit unter der Intendanz von Dorothea Hartmann und Beate Heine. Aus diesem Anlass gibt es gleich sieben Premieren an diesem Wochenende vom 27. bis 29.09.2024 in den Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz.
Den Reigen eröffnete Habitat am 27.09., eine spektakuläre Nacktperformance von Doris Uhlich.
Am 28.09. folgte um 15.00 Uhr „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ nach dem Bilderbuch von Gioconda Belli und Wolf Erlbruch in der Wartburg. Zeitgleich um 19.30 Uhr starteten im Kleinen Haus die Komödie „Spiel der Illusionen“ von Pierre Corneille und im Großen Haus das Musiktheaterstück „Le Grand Macabre“ von György Ligetis, wunderbar inszeniert von Pinar Karabulut und grandios musikalisch getragen und begleitet vom Hessischen Staatsorchester Wiesbaden unter Leitung seines neuen Generalmusikdirektors Leo McFall.
«Le Grand Macabre»
György Ligetis bittersüße schwarze Opern-Komödie «Le Grand Macabre» handelt eigentlich von der Macht und der Ohnmacht des Todes, von Einsamkeit und Verlorenheitsgefühlen und von Weltflucht, und sei es den „Untergang“ mit Suff und freier Liebe auszublenden. Das Stück zählt zu den attraktivsten Musiktheaterwerken des 20. Jahrhunderts, da der Weltuntergang als Farce erzählt wird, bei dem sogar der Tod an sich selbst scheitert. Skurril das Ganze von Anbeginn an.
Selbst die Musik hatte etwas, das optisch spektakulär ist. Beispielsweise gibt es einen riesigen Holzhammer, mit dem Holzbretter zerschlagen werden, es gibt Hupen und Sirenen, die knallrot sind, Papier wird zerrissen, und Pauken ertönen Schlag auf Schlag.
Worum geht es in diesem Musiktheater oder wie György Ligeti sagte, in dieser Anti-Anti-Oper?
Le Grand Macabre ist eine große Oper, der Stoff eine uralte, aus dem Mittelalter stammende Geschichte, die Ligeti vor dem Hintergrund der Ereignisse 1930er Jahre in die Neuzeit projizierte. Es bereitete ihm jedoch großen Spaß, seine Botschaften in drastischen Humor zu verpacken, seine Oper zu verulken, und sie sehr, sehr wissend – hintergründig und absurd – zu zitieren. Und genau dort, aus Bildern der Historie heraus, den Darstellungen von überhöht dargestellten mittelalterlichen Totentänzen und Sparziergängen des Todes auf der Erde, ersann er mit derber Sprache sein Stück. Da passieren in den Gemälden von Hieronymus Bosch oder Bruegel apokalyptische und paradoxe Dinge. In ihren mittelalterlichen Szenerien gibt es beides: Menschen, die sich die Bäuche vollschlagen wie im Schlaraffenland , also das volle Leben . Und immer dabei ist der Tod, der große Gleichmacher, gerne auf dem Pferde reitend, Menschen umarmend, der Sensenmann, der ohne Unterschiede alle Menschen mit sich reißt. Dies greift Ligeti in seinem bewusst als Nonsens-Oper inszenierten Stück auf.
Le Grand Macabre spielt in Breugelland, doppeldeutig gemeint, denn im Namen steckt auch das Wort Prügel. Dorthin, ins Breugelland kommt ein Mensch, eine Figur namens Nekrotzar, der Fürst der Finsternis, eine Metapher fürs Leben an sich. Eigentlich wissen wir nicht, woher er kommt. Bei der einen Inszenierung entsteigt er vampirähnlich einem Sarg. Regisseurin Pinar Karabulut lässt ihn aus einer, an Hieronymus Boschs Bild „Aufstieg der Seligen“ erinnernden Jenseits-Röhre entsteigen, die riesig über der Bühne schwebt und nach oben und nach unten geschwenkt werden kann. Einmal im Breugelland angekommen, versucht Nekrotzar seine Vorstellung von „Leben“, seinen Herzenswunsch, die Welt untergehen zu lassen, sie in Stücke zu reißen und alles zu vernichten, in die Tat umzusetzen. Das führt jedoch unweigerlich zu einem Chaos, da Nekrotzar kompromisslos seine Idee verfolgt, ähnlich wie alle Autokraten, und ähnlich wie wir, wenn wir Menschen unsere „To Dos“ erbarmungslos durchziehen, wenn wir „so damit beschäftigt sind, Dinge zu tun, die wir mit dem Zusatz müssen erledigen, dass wir nicht mehr um uns schauen“, so die Regisseurin. Das stecke alles in Nekrotzar – in seiner überhöhten, arroganten, überästhetisierten Art und Weise, so Karabulut.
Das schafft er aber nicht: Es scheitert kläglich, wie auch wir im richtigen Leben so oft. Denn Nekrotzar ist nach Breugelland gekommen, einem ganz besonderem Mikrokosmus. Dort gibt es alles, was man in so einem Mini-Staat eigentlich braucht: Er besucht zuerst den Säufer Piet vom Fass, von Beruf Weinverkoster, perfekt gespielt von Cornel Frey. Er trifft zwei Liebende, amüsant als Lesbenpaar in asexuell aufgepumpten Frauenkörperkostümen dargestellt von Inna Fedorii und Fleuranne Brockway. Die beiden sind auf der Suche nach einem Ort, wo sie sich in Anbetracht des nahenden Todes ungestört und vor allem schön laut lieben können. Er trifft dann auf die politische Sphäre, als er zum Hof des Fürsten GoGo gelangt, großartig verkörptert von Galina Benevich.
Dort gibt es zwei Minister „Weiß“ (Sascha Zarrabi) und „Schwarz“ (Hovhannes Karapetyan), die die weiße und schwarze Partei vertreten, und sich schrecklich in den Haaren liegen. Da geht es um irrsinnige Steuererhöhungen und mehr. Natürlich gibt es da auch eine Geheimpolizei GePoPo, deren Chef und seine Mannen die Bühne aufmischen. Unterwegs sammeln sie noch den von Sion Goronwy grandios gegebenen Astradamors im Outfit eines Sokrates auf, den Hofastrologen, der von seiner Xanthippe ähnlichen streitbaren Frau Mescalina, (überzeugend von Ariana Lucas), in sadistischen Sexspielen gequält wird. Meskalina trägt das Narkotikum, welches sie ihrem Mann verabreicht, bereits im Namen. Astradomors hat ein Fernglas durch das man einen Komet sehen kann, das perfekte Mittel, um die Welt untergehen zu lassen.
Was passiert? Im Palast verkündet Nekrotzar, das Ende der Welt um Mitternacht. Jedoch lässt er sich von Piet vom Fass im Glauben, Blut zu trinken, zum Wein verführen. Sie saufen ordentlich. Es ist das erste Mal für Nekrotzar und er gerät dann in einen heftigen Rausch und verschläft hierdurch seine Gelegenheit, die Welt untergehen zu lassen. Er verfehlt die Erde und am Ende bleibt die Erkenntnis von Breugel wieder: „Ja, den Tod gibt es, aber solange er nicht da ist, feiern wir das Leben!“. Kurzum: Der Weltuntergang hat nicht stattgefunden, wieder einmal nicht.
„Solange ich Durst habe, lebe ich!“
Es ist eine Groteske voller Hoffnung und ein Plädoyer, das Leben in Zeiten wie diesen wann und wo immer möglich im „Hier und Jetzt“ zu feiern. Diese Botschaft wird einmal mehr deutlich. als am Schluss Weinhändler Piet vom Fass, sich bereits im Himmel wähnend, vom trockenen Gaumen geplagt, freudig erkennt, nochmal mit dem Leben davon gekommen zu sein, denn: „Solange ich Durst habe, lebe ich!“ Das würde womöglich auch heutzutage noch einen guten Slogan für die kriselnde Weinbranche geben?!
(Diether von Goddenthow /Rheinmain.Eurokunst)