Eröffnung der Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden“

lebensreformGestern Abend wurde im Wiesbadener Stadtmuseum am Markt (SAM) die Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden“ feierlich von Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, Kulturdezernent Axel Imholz und Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain gemeinsam mit dem SAM-Team unter Leitung von Direktorin Dr. Vera Philipp eröffnet. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Sebastian Reckert mit klassischen Werken auf der Glasharmonikasoli.

Da Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende etwas später eintraf wegen der zur gleichen Zeit stattfindenden Ehrung des Kunstmäzens Friedrich Wolfgang Neess mit der Georg August Zinn-Medaille durch Ministerpräsident Volker Bouffier im Landesmuseum, eröffnete Kulturdezernent Axel Imholz im SAM den Grußwortreigen, und hob sogleich  Ferdinand Wolfgang Neess Jugendstil-Sammlung als Spiritus rectus auch dieser Ausstellung im SAM hervor: Da Ferdinand Wolfgang Neess dem Museum Wiesbaden so eine wunderbare Jugendstil-Ausstellung gestiftet habe, habe das Kulturamt der Landeshauptstadt Wiesbaden und das Hessische Landesmuseum Wiesbaden anlässlich der damaligen Ausstellungs-Eröffnung das Jahr des Jugendstils ins Leben gerufen, eins, das nicht mit dem Kalender Jahr identisch ist, sondern vom Juni 2019 bis zum Juni 2020 reicht, so Imholz.

Kulturdezernent und Stadtkämmerer Axel Imholz. © Foto: Diether v Goddenthow
Kulturdezernent und Stadtkämmerer Axel Imholz. © Foto: Diether v Goddenthow

Da ganz viele Kulturinstitutionen mit unterschiedlichen Kunstrichtungen sich an der inhaltlichen Gestaltung des Wiesbadener Jugendstiljahrs beteiligten, so Imholz weiter, haben „wir ein breitgefächertes Kulturprogramm im Jahr des Jugendstils, darunter: klassische Ausstellungen, historische Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Filme usw. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei, wobei das Verbindende die Beschäftigung mit dem Thema Jugendstil ist. Ein wichtiger Beitrag zum Jugendstiljahr sei die jetzt im SAM präsentierte Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden, wobei das SAM – im Unterschied zu anderen Jugendstilprojekten – den Blick auf einen anderen Aspekt richte, nämlich auf die Frage: „Was hat der Jugendstil in der Stadtgesellschaft von Wiesbaden in dieser Zeit für eine Bedeutung gehabt, und vielleicht auch noch heute. Das ist der Fokus der Ausstellung, die wir heute eröffnen.“, so Imholz.

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende. In der ersten Reihe v. r. Dr. Helmut Müller,Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Kulturdezerent Axel Imholz,, Kuratorin Dr. Vera Klewitz und Direktorin Dr. Vera Philipp im historischen Marktkeller. © Foto: Diether v Goddenthow
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (li). In der ersten Reihe (v. r.) Dr. Helmut Müller,Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Kulturdezerent Axel Imholz,, Kuratorin Dr. Vera Klewitz und Direktorin Dr. Vera Philipp im historischen Marktkeller. © Foto: Diether v Goddenthow

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende unterstrich, dass es „die erste große Sonderausstellung der relativ jungen Stiftung Stadtmuseum unter Leitung von Frau Direktorin Dr. Vera Philipp“ sei, und zugleich die größte und aufwendigste. „Ich finde, das Stadtmuseum nimmt damit einen Stellenwert ein als Forum für Geschichte der Gegenwart und Zukunft der Stadt Wiesbaden. Hier wird Geschichte lebendig gemacht“, so der Oberbürgermeister, der von Hause aus Historiker ist und somit mit solchen Historiken eng vertraut. Eine solch gute Präsentation sei nicht nur schön, sondern einfach wichtig, um auch jungen Menschen den Zugang zu unserer Geschichte zu erleichtern, wozu ansehen und anschauen dazu gehöre, ebenso, eine sehr sinnliche Erfahrung von Dingen zu erleben. Und das liefere auch die neue Ausstellung, so der Oberbürgermeister.

Kunst ist mehr als der Tischschmuck einer Gesellschaft

Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain. © Foto: Diether v Goddenthow
Dr. Helmut Müller, Geschäftsführer Kulturfonds Frankfurt RheinMain. © Foto: Diether v Goddenthow

Wiesbaden sei bislang immer als eine Stadt des Historismus wahrgenommen worden. Die „Debatte war so stark, dass man an Jugendstil gar nicht oder nur ganz wenig gedacht hat“, was sich erst mit der Schenkung Neess, sozusagen als Startschuss, Wiesbaden auch als Jugendstilstadt zu sehen, geändert habe, erläuterte Dr. Helmut Müller. Das Jahr des Jugendstils mit seinen vielfältigen Angeboten, wozu auch diese Ausstellung „Lebensreform“ gehöre, sei eine Einladung, die Stadt neu zu entdecken und mit anderen Augen zu sehen. „Der besondere Wert dieser Ausstellung oder der besondere Ansatz liegt darin, zu zeigen, dass Kunst nicht nur der Tischschmuck einer Gesellschaft ist, sondern der Ausdruck eines Lebensgefühls, welches sich an Veränderungen einer Gesellschaft breit macht“, so Dr. Müller. Mit dem Ende einer bislang monarchistisch geprägten Gesellschaftsordnung gegen Ende des vorvorherigen Jahrhunderts seien ganz viele neue Bewegungen, eben auch die Jugendbewegung entstanden, die in der Kunst mit einer wirklich enormen Wucht aufgeschlagen sei und weit über die Jahrhundertwende hinaus gewirkt habe. Beispielsweise könne man im München das Lenbachhaus diese heftigen, mitunter völlig verschiedenen und doch parallel verlaufenden Strömungen und Umbrüche von einem zum anderen Zimmer selbst erleben: Sei man durch die Zimmer des Malerfürsten Lenbach gegangen, befände man sich eine Tür weiter in der „Modernen“. „Da sieht man“, so Müller, „wie zum selben Zeitpunkt eine unterschiedliche Ästhetik in einer Stadt, in einer Region da war, wie man sie sich unterschiedlicher nicht vorstellen kann. Und man bekommt auch eine Idee dafür, was welche Kraft in solchen (Jugenstil-)Strömungen stecke, und in Wiesbaden sei das genauso. Diese Ausstellung hier stelle genau diesen Weg her zwischen einer Kunstbetrachtung von Objekten (Bildern, Objekten, Skulpturen, Büchern) und einen Blick darauf zu richten, „welchen gesellschaftlichen Impact eine solche Veränderung hat, und vor allem, wie weit so etwas bis heute wirken kann“, so Müller.

Wir brauchen mehr Platz!

Direktorin Dr. Vera Philipp.© Foto: Diether v Goddenthow
Direktorin Dr. Vera Philipp.© Foto: Diether v Goddenthow

Dr. Sabine Philipp sagte, dass man bei der Erforschung des Jugendstils der Lebensreformer der damaligen Zeit in Wiesbaden auf fruchtbaren Boden gestoßen sei. „Das ist uns ein Auftrag, aber auch eine Wonne, sich mit so einer noch unbearbeiteten Zeit auseinander zu setzen, und das der breiten Öffentlichkeit eben ergänzend zu den wunderbaren anderen Veranstaltungen, die angesprochen wurden und die auch noch weiter entstehen werden, zeigen zu dürfen“. Die Direktorin dankte den Festrednern, den Sponsoren und vor allem ihrem Team, abschließend mit Blümchen und erläuterte kurz den Rahmen und Ansatz der Ausstellung, die den Spuren der Lebensreform im „Weltkurbad“ in den Jahren zwischen 1880 und 1932 auf den Grund gehe. Vor allem gäbe es ein großes Begleit- und Vermittlungsprogramm, und man arbeite auch noch am Ausstellungskatalog. Zudem ging die Direktorin auch auf „die“ Zahlen ein, machte deutlich, wie viel Arbeit in  Ausstellungen dieser Art stecke, obwohl dies   auf den ersten Blick kaum erkennbar sei. Sie  deutete zudem an, dass das SAM ein wenig zu eng sei, und man eigentlich mehr Platz benötige. Stadtkämmerer Axel Imholz als auch Oberbürgermeister  Gert-Uwe Mende hatten in ihren Grußworten bereits signalisiert, sich für die Sicherung der finanziellen Rahmenbedingungen weiterer Ausstellungsprojekte in den städtischen Gremien einsetzen zu wollen.

Lebensreform –  die Sehnsucht nach mehr Natur

Dr. Vera Klewitz, wissenschaftliche Konzeption. © Foto: Diether v Goddenthow
Dr. Vera Klewitz, wissenschaftliche Konzeption. © Foto: Diether v Goddenthow

Dr. Vera Klewitz, zuständig für die wissenschaftliche Konzeption, führte in die Ausstellung mit der Frage ein „Was Lebensreformbewegung“ bedeute, um dann auf die vielfältigen Auswirkungen und Strömungen der Lebensreform sowie der speziellen Sicht und Rezeption des Jugendstils in Wiesbaden zu sprechen zu kommen. Das alles kann man nun ausschnittweise im historischen Marktkeller am Dern‘schen Gelände nachschauen und erkunden, etwa wie die Wiesbadener Bürgergesellschaft Ende des 19. Jhd. und zu Beginn des 20. Jhd. die neuen Strömungen, Ideen und Impulse veränderter Lebensvisionen der Reformbewegung(en) vor allem aus den deutschsprachigen Zentren des Jugendstils Wien, Berlin, Weimar und Darmstadt aufgenommen und ins Geschäftsleben und die Alltagskultur integriert hat.

Jugendstil und Lebensreform – stünden für die Sehnsucht nach mehr Natur in der Kultur, für ein gesünderes Leben und mehr Freude am Körper. Der Nackte Körper sei Körperideal gewesen, so Klewitz. Die Hinwendung zur Natur habe insbesondere auch im Bereich der Gesundheit zu großen Veränderungen geführt. So wurden in Wiesbaden ein vegetarisches Restaurant und neue Erholungs- und Sportanlagen eröffnet.

Raus in die Natur - Nacktheit wurde bei den Lebensreformern zum neuen Körperideal.© Foto: Diether v Goddenthow
Raus in die Natur – Nacktheit wurde bei den Lebensreformern zum neuen Körperideal.© Foto: Diether v Goddenthow

In Neubauten wie dem Hauptbahnhof (1906), dem Kurhaus (1907) und dem städtischen Kaiser-Friedrich-Bad (1913) wurden dem historistischen Geschmack Kaiser Wilhelms II. zum Trotz Details oder auch ganze Räume im Jugendstil integriert. Die Stadt krönte ihre Glanzzeit mit einer stolzen Selbstdarstellung, der Ausstellung für Handwerk und Gewerbe, Kunst und Gartenbau im Jahr 1909. Die „Weltausstellung im Kleinformat“ lockte über eine Million Besucher an. Lange her? Nicht so sehr. Manches sei wohlerhalten, vieles wäre im historischen Gedächtnis verankert oder präge die Stadt noch heute. Darunter seien auch gebaute Zeugnisse, zum Beispiel die Trauerhalle auf dem Südfriedhof (1909), die vom Wiesbadener Jugendstilkünstler Hans Völcker ausgemalt wurde sowie das 1921 eröffnete Luft- und Lichtbad, das nach wie vor beliebte „Lufti“ Unter den Eichen.

Unter den Alltagszeugnissen sind Souvenirs wie ein Taschenmesser mit Ansichten von Wiesbaden, eine launig illustrierte Speisekarte und Fotos von Elisabeth Groitzsch mit ihren Patientinnen: Nach dem Tod ihres Mannes arbeitetet sie als Masseurin – nicht selbstverständlich für eine Frau um 1900, so Klewitz. .
Wie es in einer Pressemeldung heißt stammen historische Zeugnisse und Exponate aus den Sammlungen der Stiftung Stadtmuseum und einiger institutioneller wie privater Leihgeber. Sie sind kurz und eingängig in einem kostenlosen Exponat-Heft erklärt, das in deutscher und englischer Sprache erhältlich ist.
Mitmach-Stationen wie ein Mustergenerator oder eine Stereoskop-Apparatur laden ein, selbst kreativ zu werden beziehungsweise in ein Wiesbaden um die Wende zum 20. Jahrhundert einzutauchen. Ein vielseitiges Workshop- und Führungsangebot spricht explizit Schulklassen und Gruppen an.

Ausstellungs-Impression der Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden“  vom 23.10.2019 - 8.03.2020 © Foto: Diether v Goddenthow
Ausstellungs-Impression der Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden“ vom 23.10.2019 – 8.03.2020 © Foto: Diether v Goddenthow

 

Begleitprogramm

Das Begleitprogramm lässt die Themen der damaligen Zeit lebendig werden: Im Museum eröffnet am Mittwoch, 27. Oktober, um 11 Uhr der Salon Jugendstil. Am Dienstag, 12. November, lädt die Wiesbadener Traditionsfirma F. Ad. Müller und Söhne ins „sam – Stadtmuseum am Markt“ ein, live dabei zu sein, wenn ihre Erfindung – das Reformauge – ein besonders lebensechtes, trag- und haltbares Glasauge, angefertigt wird. Bei einem Reform-Menü kann die Lebensreform auch außerhalb im Restaurant Les Deux Dienstbach erschmeckt werden. Jugendstil und Lebensreform werden dank des „sam – Stadtmuseum am Markt“ mit allen Sinnen erfahrbar.

Das für die Ausstellung verantwortliche SAM-Team
Die Wissenschaftliche Konzeption leitet Dr. Vera Klewitz, für das Austellungsmanagement und die PR sind Carolin Falk, Eva Köhler, Antje Stöhr, und Stephan Wiesehöfer zuständig und die Museumspädagogik und Vermittlung leiten Nicole Weidel und Sabine Weber. Die Gesamtleitung trägt Sabine Philipp, die Gestaltung haben Jochen Hunger und Britta Speer von Jochen Hunger Museum and exhibition design übernommen und das Ausstellungsdesign ist von Sandra Di Maria.

Informationen zu diesen und vielen weiteren Veranstaltungen gibt es im Ausstellungs-Flyer sowie – immer aktuell – auf der Homepage des Stadtmuseums www.wiesbaden.de/sam oder unter der Telefonnummer: (0611) 44750060

Die Ausstellung „Stadt – Jugend – Stil. Lebensreform in Wiesbaden“ ist vom Mittwoch, 23. Oktober, bis zum Sonntag, 8. März 2020,

Ort: 
„sam – Stadtmuseum am Markt“, Marktplatz 3, zu sehen.

Öffnungszeiten der Ausstellung sind von Dienstag bis Donnerstag von 11 bis 17 Uhr.
Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigte Karten erhält man für 4 Euro, inklusive Exponat-Heft.