Cindy Sherman erhält den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt


Am 12. Februar 2019 erhält Cindy Sherman den mit 50.000 Euro dotierten Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main, der seit 1976 alle drei Jahre hervorragende Leistungen in den Bereichen Malerei, Grafik, Bildhauerei und Architektur auszeichnet.

Die Entscheidung wurde von einem zehnköpfigen Kuratorium getroffen, dem Oberbürgermeister Peter Feldmann vorsteht und dem die Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig, die Vorsitzende des Kulturausschusses Dr. Nina Teufel, der Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung Stephan Siegler, Städeldirektor Dr. Philipp Demand, die Direktorin des Frankfurter Kunstvereins Franziska Nori, die Künstlerin und stellvertretende Direktorin der Städelschule Judith Hopf, der Künstler Tobias Rehberger und der Architekt Peter Cachola Schmal angehören.

Cindy Sherman (*1954 in New Jersey, USA) wuchs als jüngstes von vier Kindern auf Long Island auf. Sie studierte zusammen mit den Konzeptkünstlern Robert Longo und Richard Prince und wurde 1977 mit ihnen und anderen Künstlern von Douglas Crimp in dessen Ausstellung Pictures in New York präsentiert. Die danach benannte Pictures Generation zeichnete sich dadurch aus, dass sie sich die von den Massenmedien vermittelten Bilder für ihre Arbeiten aneignete und einer kritischen Überprüfung unterzog. Den Wettbewerb mit ihren männlichen Künstlerkollegen, die bereits früher als sie hohe Preise auf dem Kunstmarkt erzielten, sieht Sherman als eine Triebfeder ihrer Arbeit in früheren Jahren. („Ich wollte es den Männern zeigen“, Zeit Magazin Nr. 38, 2015)

Rollenspiel, Identität, Geschlecht, sozialer Status, Illusion und Fiktion, Jugend und Alter sind die Themen, die sich wie ein roter Faden durch die fotografische Arbeit von Cindy Sherman in den vergangenen vierzig Jahren ziehen. Die Künstlerin fotografiert überwiegend alleine in ihrem Studio und nimmt dabei die Rolle der Autorin, Regisseurin, Visagistin, Friseurin, Garderobiere sowie die des Models ein. Ob als Sekretärin, Hausfrau, Vamp, Hollywoodstar oder grotesker Clown, Sherman spielt mit Maskerade und Parodie, wenn sie soziale Stereotypen dramatisch überzeichnet. Sie interessiert sich für alles, was das Bild eines Körpers bestimmen kann: Schminke, Kostüme, Accessoires. Prothesen, Perücken und Licht. Jedes Stück Haut, jede Haarsträhne, jede geschminkte Wange oder gerunzelte Stirn sind überlegt inszeniert: So entstehen realistische, aber dennoch merkwürdig undurchschaubare Charaktere. Das Gefühl der Spannung zwischen Pathos und Entfremdung, das Shermans Figuren beim Betrachter hervorrufen, wird durch den immer offensichtlich inszenierten und auffällig treffenden Zusammenhang, in dem sie erscheinen, noch verstärkt. Durch detailgenaue Manipulationen ihres eigenen Körpers und ihrer Erscheinung deckt sie auf, wie Identität konstruiert und wahrgenommen wird. Dabei bedient sie sich des unendlichen Bildgedächtnisses von Film, Fernsehen, Printmedien, Kunstgeschichte und Internet.

Bekannt wurde Sherman zuerst mit Untitled Film Stills (1977-80), eine Serie von Schwarz-Weiß Fotografien, in welchen sie sich als Schauspielerin in imaginären Filmszenen inszenierte. In den Serien Centerfolds (1981) und Fashion Photos (1983-84) verkörpert sie klischeehafte Frauenrollen mithilfe von Make-Up, Verkleidung und Perücken. Dabei verwendet sie die Perspektive der Draufsicht, um die passive Art zu reproduzieren nach welcher weibliche Models typischerweise in Männermagazinen wie dem Playboy abgebildet werden. Inspiriert von Porträtabbildungen des Barock und der Italienischen Renaissance inszeniert sie sich in ihrer Serie History Portraits (1988- 90) mit üppigen Kostümen, Perücken und grober Schminke, um mit spielerischen Rekonfigurationen von historischen Gemälden der europäischen Kunstgeschichte konstruierte Realitäten von Schönheit und Weiblichkeit aufzuzeigen.

Andere Serien verweisen wiederum mit zerfurchten Gesichtern, hängenden Brüsten, Prothesen oder verzweifelten Hilferufen aus leeren Augen auf die Hässlichkeit, Verletzlichkeit und Endlichkeit des Menschen. Die pornographischen und von Gewalt gezeichneten Bilder der Sex Pictures (1992) sind eine gezielte Provokation und Reflektion über die Geschichte des Horrorfilms, der verbreitete Ängste vor dem Scheußlichen in der Gesellschaft gleichermaßen verarbeitet und befeuert. In der Serie Clowns (2004) wird dessen ambivalente Natur fokussiert und Sherman zeigt die Facetten des Humors, der Naivität, der Paranoia und des Verrücktseins überwiegend als männliche Figur. 2009 präsentierte Sherman eine Serie, in der sie mit Fotos arbeitete, auf denen Damen aus wohlhabenden Kreisen posierten vor einem Hintergrund, der digital manipuliert wurde. Die offenkundige Bemühung dieser Frauen, bestimmte Modelle von Weiblichkeit zu verkörpern, nimmt hier eine groteske Form an, die an Shermans frühere Serien Hollywood Types und Hampton Types (2000-02) erinnert.

In der Serie Untitled (2010) bricht Cindy Sherman mit ihrem gewohnten Format der gerahmten Fotografie und schuf große Wandbilder, auf welchen nahezu lebensgroße Figuren vor einem inkongruenten schwarz-weißen Landschaftshintergrund stehen, der an historische „Toile“-Motive erinnert. In bewusster Umkehrung dessen traditioneller Funktion, eine Geschichte zu erzählen, verstärkt er den Eindruck von Ambiguität und Entrückung der wie Wachposten eines surrealen Universums anmutenden Personen. Shermans jüngste, überlebensgroße Farbportraits (seit 2016) zeigen die Künstlerin in der Rolle der Grande Dame des Hollywood-Kinos der 1920er Jahre, die für Publicity Photos vor digital bearbeiteten Hintergründen posiert. Ihre besten Jahre haben sie bereits hinter sich, Falten und sichtbar gealterte Hände bilden einen extremen Gegensatz zu den stark geschminkten Gesichtern. Hinter Gleichmut und ernstem Gesichtsausdruck scheinen schmerzliche Momente und Verletzlichkeit auf. Diese Arbeiten sind im ThermosublimationsDruckverfahren entstanden, bei dem Farbe mittels Hitze direkt auf eine Metallplatte aufgebracht wird.

Cindy Sherman lebt und arbeitet in New York. Ihre Arbeiten sind in vielen wichtigen privaten und institutionellen Sammlungen weltweit vertreten und werden auf dem internationalen Kunstmarkt hoch gehandelt. 1982 hat sie an der documenta 7 teilgenommen. 1982, 1995 und 2011 war sie auf der Biennale von Venedig vertreten. Zwei Jahre später, 2013, hat sie auf der 55. Biennale von Venedig eine Ausstellung kuratiert.

Zu ihren ausgewählten Einzelausstellungen (internationale Retrospektiven) zählen Präsentationen im The Broad, Los Angeles (2016); Kunsthaus Zürich (2014), The Museum of Modern Art, New York; San Francisco Museum of Modern Art; Walker Art Center, Minneapolis (2012); Martin-Gropius-Bau, Berlin (2007); Jeu de Paume, Paris (2006) und in der Serpentine Gallery, London (2003). Ab Juni 2019 wird die National Portrait Gallery in London Cindy Sherman eine Retrospektive widmen. Im Laufe ihrer Karriere hat die Künstlerin bereits verschiedene bedeutende Auszeichnungen erhalten, darunter das MacArthur Fellowship (1995), den Wolfgang-Hahn-Preis (1997), den Goslarer Kaiserring (1999) und den Praemium Imperiale (2016).

Franziska Nori (Direktorin des Frankfurter Kunstvereins) hat die US-amerikanische Fotokünstlerin nominiert, weil Sherman in ihren unverkennbaren Fotografien die Darstellungen weiblicher Identität in einer von Medien und Konsum geprägten Gesellschaft seit den 1970er Jahren auf radikale Weise hinterfragt und deren Repräsentationsmodi infrage stellt.

Nori: „Mit ihren sorgfältig inszenierten Repräsentationen des eigenen Körpers und dessen Maskierung nimmt Cindy Sherman Bezug auf etablierte visuelle Codes und deckt auf, wie Identitäten gesellschaftlich konstruiert und wahrgenommen werden. Sie ist eine Schlüsselfigur der konzeptuellen Fotografie und hat mit ihrer konsequent weitergeführten Arbeit immer wieder und in provokativer Weise drängende Fragestellungen vorweggenommen, die in Zeiten von Social Media, YouTube und Reality-TV eine besondere gesellschaftliche Relevanz haben.“