Handwerk in großer Sorge vor existenzgefährdender Bürokratie – Boris Rhein verspricht Abhilfe – Hessen plant „Antibürokratie“-Minister

"Alles um uns herum , alles das ist Handwerk. Dieses Mikrophon hat ja nicht ein Jurist gebaut, und dass das Licht funktioniert, das hat ja kein Politologe verursacht, sondern das haben Handwerker gemacht, und dass das alles so unglaublich prunkvoll ist, haben eben auch Handwerker gemacht", so Ministerpräsident Boris Rhein  beim Parlamentarischen Neujahrsempfang am 7.2.2024 im Wiesbadener Kurhaus. © Foto Diether von Goddenthow
„Alles um uns herum , alles das ist Handwerk. Dieses Mikrophon hat ja nicht ein Jurist gebaut, und dass das Licht funktioniert, das hat ja kein Politologe verursacht, sondern das haben Handwerker gemacht, und dass das alles so unglaublich prunkvoll ist, haben eben auch Handwerker gemacht“, so Ministerpräsident Boris Rhein beim Parlamentarischen Neujahrsempfang am 7.2.2024 im Wiesbadener Kurhaus. © Foto Diether von Goddenthow

Wiesbaden, 8. Februar 2024. Beim diesjährigen Parlamentarischen Neujahrstreffen der Arbeitgeberverbände des Hessischen Handwerks (AHH) am 7.2.2024 im Wiesbadener Kurhaus standen einmal mehr die kulturelle, gesellschaftsprägende Bedeutung des Handwerks, aber auch die großen Sorgen über eine mittlerweile existenzerdrückende Bürokratie der Betriebe im Zentrum. Über 200 Gäste aus dem freiwillig organisierten Handwerk, den Handwerkskammern und der hessischen Landespolitik waren der Einladung der AHH ins Kurhaus Wiesbaden gefolgt.

Die kulturell prägende Rolle des Handwerks

AHH-Präsident Wolfgang Kramwinkel. © Foto Diether von Goddenthow
AHH-Präsident Wolfgang Kramwinkel. © Foto Diether von Goddenthow

„Ich freue mich, dass wir heute viele Vertreterinnen und Vertreter der neuen Landesregierung begrüßen dürfen“, begann AHH-Präsident Wolfgang Kramwinkel seine Rede. „Auch viele neue Landtagsabgeordnete sind hier, um mit dem Handwerk in den Dialog zu treten. Das freut uns sehr“, unterstrich der AHH-Präsident und hob die auch kulturell  zentrale Rolle des Handwerks in der Gesellschaft hervor:   „Das Handwerk hat unsere Gesellschaft geprägt wie kaum eine andere“, so Kramwinkel.  Davon zeugten bereits die zahlreichen, aus handwerklichen Berufen abgeleiteten Namen wie   Müller, Schuster, Schmidt usw.. Legendär im Handwerk seien auch das traditionell über Jahrhunderte hinweg gewachsene  große ehrenamtliche lokale Engagement sowie die Brauchtumspflege, insbesondere aber auch die Weitergabe der Traditionen an die nächste Generation, etwa durch Mitgliedschaften in Ausschüssen für Meister- und Gesellenprüfungen in Handwerksammern, Innungen und Kreishandwerkerschaften. Und  in allem, was irgendwo gebaut oder erschaffen wurde, steckt Handwerk „drin“.

Sorge vor existenzgefährdender  Bürokratie und sinkender Nachfolge-Bereitschaft

Der AHH-Präsident machte aber in seinem Grußwort auch auf die aktuellen Sorgen des Handwerks, allen voran auf die ständig wachsende Bürokratie, aufmerksam, die mittlerweile ein ernsthaftes Entwicklungshemmnis für das gesamte Handwerk darstellt. Das Handwerk, welches “unsere Gesellschaft geprägt hat wie kaum eine andere“, kämpfe in diesen Zeiten des Aufbruchs, aber auch von Unberechenbarkeit und Ungewissheit gegen wachsenden  Kontrollverlust, insbesondere aufgrund einer Bürokratie, „die leiten aber nicht erdrücken und schon gar nicht bevormunden“ dürfte, so Kramwinkel.

Die Bürokratie nehme mittlerweile „einen so großen Raum in unserem Alltag ein, dass sie unsere unternehmerischen Kapazitäten und Freiheiten einschränkt“, klagte der AHH-Präsident. Der durchschnittliche Handwerksbetrieb könne das einfach nicht mehr in seinen Arbeitsalltag integrieren. „Wir füllen Anträge aus, wir dokumentieren unsere Arbeit, messen Werte und schreiben Gutachten“, so Kramwinkel. Und an die Politik gerichtet: „Wofür machen wir das alles?“ Das wisse er meistens gar nicht so genau. Sehr ärgerlich sei auch:  „Wir halten Fristen ein und erfüllen unsere Pflichten. Und dann warten wir auf ein Signal von den Behörden. Aber wie so oft – wir bekommen selten eine zeitnahe Antwort. Oder gar keine.“, berichtet der AHH-Präsident vom alltäglichen Handwerkerfrust.

Es ginge aber um viel mehr als um Kritik an der staatlichen Bevormundung: „Nein, es geht darum, dass diese Auflagen für das Handwerk existenzgefährdend sind. Gerade die kleinen Betriebe haben nicht die Ressourcen, die wachsenden und sich oft noch ändernden Anforderungen zu erfüllen. Diese Regelungen wirken derzeit sogar so abschreckend, dass es die Weiterentwicklung und das Fortbestehen des Handwerks gefährdet.“, warnt Kramwinkel. Und weil es auch für junge Menschen nicht attraktiv erschiene, „sich den überwiegenden Teil ihrer Tätigkeit mit der Übererfüllung von Vorgaben zu beschäftigen“, entschieden sich  „junge gut ausgebildete Fachkräfte zunehmend dagegen, Verantwortung zu übernehmen und ein Unternehmen zu gründen oder zu übernehmen“, zeigt AHH-Präsident die Zusammenhänge auf. Doch „wir brauchen junge Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen. Verantwortung für sich selbst, die Gesellschaft, aber auch für das Handwerk“,

Gerade „in Zeiten von multiplen Krisen, deren Auswirkungen vielen aufs Gemüt schlagen, sollten wir alles daransetzen, einen wichtigen Wirtschaftszweig nicht einbrechen zu lassen und Arbeitsplätze zu gefährden“. Dafür brauche man eine Politik, „die uns eine wichtige Last von den Schultern nehmen kann“, sagte Kramwinkel.

Boris Rhein im Schulterschluss mit dem Handwerk verspricht Bürokratieabbau – Antibürokratie-Minister geplant

Ministerpräsident Boris Rhein. © Foto Diether von Goddenthow
Ministerpräsident Boris Rhein. © Foto Diether von Goddenthow

Ministerpräsident Boris Rhein versicherte, die Sorgen des Handwerks sehr ernst zu nehmen. Auf die Politik gemünzt, räumte er ein, dass „wir alle einen Anteil haben“ an der „überbordenden Bürokratie, langwierigen Verfahren, hohen Unternehmenssteuern, teurem Strom und fehlenden Fachkräften“ Deutschland wäre „Spitze bei den Belastungen und Schlusslicht beim Wachstum“, so der Ministerpräsident. Deswegen sei es „unsere Aufgabe, das jetzt wieder umzudrehen, und an den richtigen Schrauben zu drehen“, so Rhein, der für einen Comeback-Plan für die Wirtschaft, und damit auch für das Handwerk, plädierte. „Das heißt; Steuern senken, Investitionen stärken und Bürokratie stoppen“. Denn man habe ein gemeinsames Ziel: „Wachstum und Wohlstand für Deutschland.

Unsere Zukunftsthemen wie Klimawandel, Digitalisierung, Elektromobilität und Wohnungsbau sind nur mit gutausgebildeten Handwerkern zu stemmen. Das Handwerk ist das Rückgrat unseres Mittelstands, deshalb machen wir seine Unterstützung zu einem Schwerpunkt unserer Regierungsarbeit: mit mehr Geld, mehr Bildung und weniger Bürokratie. So werden wir beispielsweise die duale Ausbildung noch attraktiver machen und unsere Berufsschulen mit mehr Lehrkräften und modernster Ausstattung verbessern“, so der Ministerpräsident und kündigte an: „Wir schaffen einen Tag des Handwerks an allgemeinbildenden Schulen, einen Tag, an dem es in den Schulen ausschließlich und nur um das Handwerk geht, eben, um sichtbar zu machen, was Handwerker können.“
Zudem wird die Landesregierung die Ausbildung zum Meister kostenfrei machen, „denn, wenn der Master an der Universität kostenlos ist, muss das natürlich auch der Meister im Handwerk sei „ versprach Rhein.

Ein „Anti-Bürokratieminister“ geplant
„Außerdem starten wir eine Offensive für Planungsbeschleunigung und Bürokratieabbau, von der auch das Handwerk profitieren wird. Gemeinsam werden wir das hessische Handwerk, die Wirtschaftsmacht von nebenan, stärken.“, versicherte Rhein. Außerdem habe man entschieden, „dass sich ab sofort ein eigener Minister mit der Autorität der Staatskanzlei in Hessen auf allerhöchster Ebene um Bürokratieabbau kümmert.“ Dazu werde er auch den Sachverstand aus dem Handwerk nutzen. „Im Dialog mit den Praktikern werden wir einen Katalog sinnvoller Maßnahmen erarbeiten und umsetzen“, machte der Ministerpräsident Hoffnung, dass wenigstens einige Fesseln, die man „Gulliver“ umgelegt habe, wieder abgeworfen werden können.

Talkrunde mit den Fraktionsvorsitzenden

Die Fraktionsvorsitzenden Ines Claus (CDU), Tobias Eckert (SPD), Robert Lambrou (AfD), Dr. Stefan Naas (SPD) und Mathias Wagner (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN) stellten sich den Fragen von Moderatorin Ariane Focke (mitte). © Foto Diether von Goddenthow
Die Fraktionsvorsitzenden Ines Claus (CDU), Tobias Eckert (SPD), Robert Lambrou (AfD), Dr. Stefan Naas (SPD) und Mathias Wagner (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN) stellten sich den Fragen von Moderatorin Ariane Focke (Mitte). © Foto Diether von Goddenthow

Wichtiger Bestandteil des Abends war anschließend die Podiumsdiskussion mit den Fraktionsvorsitzenden der im Hessischen Landtag vertretenen Parteien. Die Fraktionsvorsitzenden Ines Claus (CDU), Tobias Eckert (SPD), Robert Lambrou (AfD), Dr. Stefan Naas (SPD) und Mathias Wagner (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN) stellten sich den Fragen von Moderatorin Ariane Focke. Sie wollte von den Diskutanten unter anderem wissen, wie sie einen Bürokratieabbau in Hessen fördern würden. Dabei gab es auch skeptische Stimmen, die nicht so recht an einen raschen Bürokratieabbau glaubten, vielmehr befürchten, dass die Vorschriftenflut weiter wachse.

Das Parlamentarische Neujahrstreffen der AHH wird traditionell am Anfang jeden Jahres durchgeführt und dient dem Austausch zwischen Handwerk und Politik. Ziel der Veranstaltung ist es, Vertreterinnen und Vertretern des Handwerks und der Politik zusammenzubringen, um sich über die aktuelle Situation des Handwerks, seine Nöte und Verbesserungsvorschläge auszutauschen.

(Dokumentation: Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)