„The Change“ – IHK Wiesbaden plädiert auf Neujahrempfang für eine große Transformation zur Krisenbewältigung

Da im Erbprinzenpalais noch die Brandschutzsanierung in vollem Gange ist, fand der Neujahrsempfang der IHK Wiesbaden in den   die stilvollen Räumen der Wiesbadener Casino-Gesellschaft statt, nach zwei Corona-Jahren erstmals wieder in Präsenz.  © Foto Diether von Goddenthow
Da im Erbprinzenpalais noch die Brandschutzsanierung in vollem Gange ist, fand der Neujahrsempfang der IHK Wiesbaden in den die stilvollen Räumen der Wiesbadener Casino-Gesellschaft statt, nach zwei Corona-Jahren erstmals wieder in Präsenz. © Foto Diether von Goddenthow

Nach zwei Corona-Jahren fand am 18. Januar 2023 erstmals wieder der Neujahrsempfang der IHK Wiesbaden in Präsenz stand, und zwar in den Räumen der Casino-Gesellschaft wegen Brandschutzarbeiten am Hauptsitz im Erbprinzenpalais.

In diesen wechselvollen Zeiten stehen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vor sehr großen Herausforderungen, die nur durch gekonnte zügige Anpassungsleistungen an die neuen veränderten Verhältnisse bewältigt werden können. Aus diesem Grund hat die IHK-Wiesbaden ihren Neujahrsempfang dieses Mal unter das Motto „The Change“ (der Wechsel) gestellt. Mehr denn je seien in diesen Zeiten der Wille und die Bereitschaft zu Veränderung, Wandel und Erneuerung gefordert, so die Veranstalter.

Anstelle eines Grußwortes  präsentierten  die Fachleute des Wiesbadener IHK-Neujahrsempfangs  am 18. Januar 2018 erstmals ihre Statements in einer Talkrunde. Durch die Talks und den Abend führte IHK-Pressechef Roland Boros, links im Bild, es folgen: Ministerpräsident Boris Rhein, IHK-Präsident Dr. Christian Gastl und Keynote-Speaker  Prof. Dr. Marcel Fratzscher,  Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow
Anstelle eines Grußwortes präsentierten die Fachleute des Wiesbadener IHK-Neujahrsempfangs am 18. Januar 2018 erstmals ihre Statements in einer Talkrunde. Durch die Gespräche und den Abend führte IHK-Pressechef Roland Boros, links im Bild, es folgen: Ministerpräsident Boris Rhein, IHK-Präsident Dr. Christian Gastl und Keynote-Speaker Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow

Ein Hauch des neuen Geistes der Veränderung wehte symbolisch bereits durch die Veranstaltung, indem die IHK Wiesbaden erstmals vom traditionellen Konzept nacheinander referierter Grußworte abrückte. Stattdessen erlebten die gut 300  Gäste aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in wechselnden Talkrunden die Forderungen und Thesen der Fachleute zum Wechsel in der Energiepolitik, der Infrastruktur, der Fachkräftegewinnung und der Bildung. „Die Zeit drängt! Multiple Krisen stellen unsere Gesellschaft und Wirtschaft auf eine harte Probe. Nur gemeinsam, entschlossen und mit Mut können wir unsere Region jetzt nach vorne bringen“, so IHK-Präsident Dr. Christian Gastl.

IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder  © Foto Diether von Goddenthow
IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder © Foto Diether von Goddenthow

Dringenden Handlungsbedarf auch im Bereich der Mobilität sieht Gastl gegeben, der bislang das Fehlen einer deutlichen Zukunftsperspektive beklagt. Die Mobilität und damit auch die Attraktivität einer Region sei ein wesentlicher Faktor bei der Gewinnung von Fachkräften, die, wie IHK-Hauptgeschäftsführerin Sabine Meder einräumt, auch die Kammer vor Herausforderungen stelle. Gleich zu Beginn des rund zweistündigen Talks, an dem auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) teilnahm, blickte sie unter anderem auf die Vollversammlungswahl, die 2024 erstmals rein digital durchgeführt wird. Dabei gab es auch einen besonderen Appell an die Unternehmerinnen im Kammerbezirk, sich zu engagieren. „Ehrenamtliches Engagement in der IHK bringt allen Seiten etwas und je vielfältiger unsere Vollversammlung ist, desto stärker ist die Stimme der Wirtschaft“, ermutigte Meder mit zugleich einem dringenden Appell an die noch etwas unterrepräsentierten Damen, an die Unternehmerinnen: „Bitte helfen Sie mit, die Frauenquote in unserer Vollversammlung etwas zu erhöhen. Ich glaube, da geht noch etwas! Je vielfältiger wir sind, umso stärker ist unsere Stimme in der Wirtschaft. In diesem Sinne: Bitte beteiligen Sie sich!“

Professor Marcel Fratzscher „Wie kann die wirtschaftliche Transformation nach der Krise gelingen?“

Keynote-Speaker  Prof. Dr. Marcel Fratzscher,  Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow
Keynote-Speaker Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin, konnte für die Keynote gewonnen werden. Darin ging er der Frage nach, wie nach der Krise die wirtschaftliche Transformation gelingen könne, die der Lieferketten, die ökologische, die digitale und die administrative! Obgleich sich die Unternehmen in den bisherigen Krisen rasch angepasst hätten, gäbe es perspektivisch einige Probleme, so Fratzscher. Dabei sorge ihn weniger die Energiefrage. Seine größere Sorge sei, dass „wir wie in der Vergangenheit bereits die Veränderungen zu langsam, zu schleppend machen“. Die vergangenen 10 Jahre wären wirtschaftlich extrem erfolgreich verlaufen, was uns, glaube er, „ ein bisschen faul und vielleicht auch ein wenig zu unflexibel gemacht habe“, so der Berliner Makroöknomie-Professor, der zudem deutlich beschleunigte Genehmigungsverfahren forderte: Momentan dauere es beispielsweise durchschnittlich etwa sieben Jahre von der Antragstellung bis zur Genehmigung und Errichtung eines Windrades, obgleich, so Fratzscher, „die Energie für die Transformation extrem wichtig“ sei.

„Wir müssen schneller werden“, räumt Ministerpräsident Rhein ein, der die zur Bewältigung der aktuellen Energiekrise greifende Strom- und Gaspreisbremse trotz schuldenfinanzierten Geldes als „riesigen Kraftakt“ würdigte. IHK-Präsident Gastl begrüßte die Preisbremsen, sieht allerdings die zahlreichen Meldepflichten für große Unternehmen kritisch.

Keynote-Speaker  Prof. Dr. Marcel Fratzscher,  Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow
Keynote-Speaker Prof. Dr. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) Berlin. © Foto Diether von Goddenthow

Ein besonderes Problem für die deutsche Wirtschaft sieht Fratzscher auch in der asymmetrischen Abhängigkeit Deutschlands von der chinesischen und amerikanischen Wirtschaft. Deutschland sei von China viel abhängiger als umgekehrt, was uns erpressbar mache. Da Deutschland in hohem Maße exportorientiert sei, gäbe es aber zur der  Globalisierung keine Alternative.  Wir brauchten sogar eher mehr Globalisierung, statt zu versuchen, nun alle Produktionen wieder zurückzuholen. Solchen Herausforderungen könne und müsse sich Deutschland mit entsprechenden zukunftsorientierten Investitionen entgegenstellen, insbesondere im Bereich der Infrastruktur mit einem Investitionsrückstau von über 159 Mrd. Euro, allein 46,6 Mrd. Euro davon im Sektor Bildung, unserer wichtigsten Ressource, und 39,3 Mrd. Euro im Sektor Straßenbau, Verkehr und Verwaltungsgebäuden.

Um die Transformation zu schaffen, müsse die Bundesrepublik Deutschland auch attraktiver für Fachkräfte werden. „Frauen“ seien eine von insgesamt drei „Stellschrauben“, an denen im Interesse einer großen Transformation der Wirtschaft gedreht werden müsse. Das Potenzial gut ausgebildeter Frauen werde zu wenig genutzt, meinte der Ökonom, der ferner für Veränderungen bei der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland plädiert, vielleicht nach einem Punktesystem, um die zu gewinnen, die wir auch brauchen könnten. Allein im IT-Bereich Automatisierung von Geschäftsprozessen fehlten bis 2030 rund 235 000 Fachkräfte, im Gesundheits- und Pflegesektor fehlten 226 000 Ärzte und 185 000 Pflegekräfte, und im Bildungssektor (Vorschulen, Grundschulen, Sekundarstufe u. Förderschulen) fehlten bis 2030 sogar 256.000 Lehrkräfte.

Boris Rhein, Hessischer Ministerpräsident. © Foto Diether von Goddenthow
Boris Rhein, Hessischer Ministerpräsident. © Foto Diether von Goddenthow

Angesichts der aktuellen Herausforderungen kündigte Ministerpräsident Boris Rhein beim Jahresempfang der IHK an, Hessen im engen Austausch mit Wirtschaft und Industrie in den nächsten Jahren klimaneutral, digitaler und ressourcenschonender zu gestalten. Im kommenden Jahr wolle Hessen 320 Mio. Euro in Straßen investieren, insgesamt „haben wir sechs Milliarden Euro für die Konjunktur, 1,8 Milliarden Euro für den Klimaschutz, zehn Milliarden Euro für die Bildung und 600 Millionen Euro für die Digitalisierung unseres Landes eingestellt“, so Rhein, der zudem dafür warb, dass ausländische Berufsqualifikationen und Bildungsabschlüsse leichter anerkannt werden. Vereinfachte Verfahren seien wichtig, um dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenzuwirken. „Wir sehen es, wenn wir in unsere Krankenhäuser, Pflegeheime oder Arztpraxen auf dem Land schauen: An etlichen Orten fehlen Ärzte und Pflegekräfte. Wenn Menschen aus anderen Ländern mit viel Berufserfahrung bei uns arbeiten wollen und dafür sorgen, dass beispielsweise unser Gesundheitssystem besser aufgestellt ist, sollten wir diese Chance nutzen“, sagte Ministerpräsident Boris Rhein am Mittwoch in Wiesbaden. Dort sprach er beim Jahresempfang der Industrie-und Handelskammer. Mit Blick auf die Zuwanderung aus Drittstaaten, der Erweiterung des Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt für Staatsangehörige der Westbalkanstaaten und aus ausgewählten Drittstaaten sagte Rhein: „Natürlich dürfen wir nicht wahllos Fachkräfte anwerben. Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter – diese Faktoren spielen eine entscheidende Rolle. Aber eines muss klar sein: Wir brauchen gezielte und gesteuerte Einwanderung mit Blick auf den Arbeitsmarkt, aber keine direkte Zuwanderung in die Sozialsysteme“,

 IHK-Präsident Dr. Christian Gastl © Foto Diether von Goddenthow
IHK-Präsident Dr. Christian Gastl © Foto Diether von Goddenthow

Flankiert wurde der nach zweijähriger pandemiebedingter Abstinenz erste „persönliche“ IHK-Empfang, der von IHK-Pressesprecher Roland Boros moderiert und von „Neela“ musikalisch umrahmt wurde, durch Videos. In kurzen Einspielungen schickten Günter Berz-List, Schwälbchen Molkerei (Bad Schwalbach), Sophie Egert, Weingut Egert (Hattenheim) und Dina Reit, SK Laser (Wiesbaden), Fragen zu den Themen Infrastruktur, Energiepreise und Fachkräftemangel in die Runde. Mehr Investitionen in die Infrastruktur fordert IHK-Präsident Gastl ein: „Wir haben zu lange von der Substanz gelebt. Jetzt brauchen wir endlich den Change bei der Planung, Genehmigung und dem Ausbau der Infrastruktur.“ Gastl präsentiert auch frische Berechnungen für den durch den Ausfall der Salzbachtalbrücke verursachten Schaden. „Es ist gut, dass es mit der Salzbachtalbrücke vorangeht. Trotzdem, der wirtschaftliche Schaden für unsere Region hat sich schon auf mehr als 170 Mio. Euro summiert.“

Auch mit dem Blick auf den Fachkräftemangel forderte Gastl eine Stärkung der Infrastruktur, außerdem eine Qualifizierung, die sich stärker am Bedarf orientiert und grundsätzlich höhere Investitionen in die Schulen.

(v.li.:)  Landrat- Frank Kilian, Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, Gert-Uwe Mende, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden,  Sabine-Meder IHK-Hauptgeschäftsführerin, Astrid Wallmann, Landespräsidentin, Boris Rhein, Hessischer Ministerpräsiden © Foto Diether von Goddenthow
(v.li.:) Landrat- Frank Kilian, Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, Gert-Uwe Mende, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden, Sabine-Meder IHK-Hauptgeschäftsführerin, Astrid Wallmann, Landespräsidentin, Boris Rhein, Hessischer Ministerpräsiden, Dr. Christian Gastl, IHK-Präsident © Foto Diether von Goddenthow

Um Fachkräfte buhlen derzeit auch die Stadt Wiesbaden (dies im Schulterschluss mit zahlreichen Landes- und Bundesbehörden) und der Rheingau-Taunus-Kreis. Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Frank Kilian, Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, skizzierten in ihren Statements ihre individuellen Bemühungen um die Förderung der Gründer-Szene in Stadt und Region und die Attraktivitätssteigerung und Belebung von Innenstädten. Einen positiven Schub im Bereich der kulturellen Vielfalt Wiesbadens erwartet sich Oberbürgermeister Mende vom Baustart im Walhalla, Landrat Kilian verspricht sich viel von einem „virtuellen Gründerhaus“, das Anregungen, Tipps und Unterstützungsangebote für eine Unternehmensgründung bündelt.

Impression vom Neujahrsempfang der IHK Wiesbaden im Foyer des Casino-Gesellschaft. © Foto Diether von Goddenthow
Impression vom Neujahrsempfang der IHK Wiesbaden im Foyer des Casino-Gesellschaft. © Foto Diether von Goddenthow

Um „The Change“ realisieren zu können, „muss die Akzeptanz in der Bevölkerung gestärkt werden“, ist DIW-Chef Marcel Fratzscher überzeugt. Veränderung komme für viele Menschen einer Bedrohung gleich, da sie vor unbekannte Herausforderungen gestellt würden. Ganz im Sinne des Ökonomen appelliert auch Oberbürgermeister Mende an den Zusammenhalt: „Eine solidarische Gesellschaft schafft viel mehr als eine individualisierte Gesellschaft.“ Trotz der schwierigen Ausgangslage sieht IHK-Präsident Gastl genügend Gründe für Zuversicht: „Lassen Sie uns nicht länger verharren, sondern verändern“.

(Quellen: IHK-Wiesbaden, Hessische Staatskanzlei, Doku Diether von Goddenthow)