Ganz im Zeichen französischer Komponisten startete gestern Abend unter dem Motto „Vive la France“ in Kloster Eberbach das Rheingau Musik Festival 2023, welches vom 24.Juni bis zum 2.September zu 164 Konzerten (Klassik, Jazz, Kabarett, Weltmusik) an 28 zumeist kulturhistorisch spektakulären Spielorten im Rhein-Main-Gebiet und im Mittelrheintal einlädt. In der bis auf den letzten Platz gefüllten Basilika feierte das Publikum das hr2-Sinfonie-Orchester und den MDR-Rundfunkchor unter Leitung von Alain Altinoglu. Zum Eröffnungskonzert wurde die „Ouvertüre „Le carnaval romain“ von Berlioz, die „Symphonie espagnole op. 21“ von Lalo und ein grandioses Stabat Mater von Poulenc inszeniert. Der südamerikanische junge Stargeiger Guido Sant’Anna und die französische Ausnahme-Sopranistin Vannina Santoni wurden unter frenetischem Applaus mit Standing Ovations gefeiert.
Der Gründungs-Intendant Michael Herrmann stellte bei seiner Begrüßung Musiker und Ehrengäste vor, darunter Altbundespräsident Joachim Gauck, den Festredner des Premierenabends, und den Schirmherrn Boris Rhein, der anschließend das Rheingau Musik Festival 2023 offiziell eröffnete: 21 Jahren sei er, so Rhein, mit seiner Frau begeisterter Festival-Besucher. Dass er selbst einmal dieses geliebte Rheingau Musik Festival nun als dessen Schirmherr eröffnen dürfe, ehre und rühre ihn schon sehr. Der hessische Ministerpräsident dankte dem Festivalbegründer Michael Herrmann und seinen Mitstreitern, zudem auch den Förderern, für ihr jahrelanges Engagement, insbesondere auch während der Corona-Zeit, wodurch dieses Festival überleben konnte. Das sei ein Segen: Nirgendwo anders gäbe es eine solch großartige Komposition von Landschaft, Kulinarik, großartiger Kunst und Kultur wie hier im Rheingau, so Rhein.
Besonders passend sei das diesjährige Festival-Motto „Vive la France“, unterstrich der hessische Ministerpräsident. Denn dies zeige unsere tiefe Verbundenheit mit Frankreich, aber vor allem auch die Wichtigkeit, dass wir in Europa zusammenstehen müssen. Denn insbesondere seit dem 24. Februar 2022, seit Putins barbarischen Einmarsch in die Ukraine, „haben wir gesehen, wie zerbrechlich die Freiheit sein kann, und wie wichtig es ist, dass wir in Europa zusammenstehen, damit in der Welt und insbesondere in Europa niemals das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechtes regieren muss“, so der Hessische Ministerpräsident, der sich sehr mit dem Engagement für die Freiheit des Altbundespräsidenten Joachim Jauch verbunden fühlt.
Festrede von Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.
Altbundespräsident Joachim Gauck ging in seiner Festrede unter anderem der Frage nach, ob es richtig sei, Kultur-Feste wie das Rheingau Musik Festival zu begehen, „wenn anderswo Krieg, Hass und Vernichtung auf der Tagesordnung steht“, und er bejahte das. Es sei richtig, dennoch zu feiern, da Kunst, insbesondere Musik, „eine Lebensfreude in uns setzt, die nicht nur vorübergehend aufmuntert, sondern zu einem tatsächlichem ‚Ja zum Leben‘ ermächtigt. Und genau dies brauchen wir: Wir brauchen es gerade in dieser Zeit, die in schrecklicher Weise wieder Krieg auf die Tagesordnung Europas geführt hat“, sagte Gauck.
Und nicht ohne Grund fühlten sich „ja nicht nur jene Angegriffenen in der Ukraine bedroht, und müde vom Kämpfen, sondern: unsere Menschen bei uns in Europa, die sorgen sich und sie spüren die tiefe Feindschaft von Putins Russland gegenüber der Freiheit und dem Recht.“ Putins Regime bedrohe auch uns, so Gauck. „Und deshalb verstehen wir, dass die Menschen in der Ukraine, die so todesmutig und freiheitsliebend ihr Land verteidigen, auch einen Kampf für uns alle führen. Wir haben ihnen ja viel zu danken.“ Die Ukrainer wollten freie Menschen sein, jederzeit. „Und sie wollen keinen Staat, der ihnen das Recht nimmt“, sie wollen einen Raum, in dem Recht und Freiheit, in dem Unabhängigkeit herrscht und in dem „an die Herrschaft des Rechtes geglaubt wird“.
Und wenn uns Musik in ihrer Kraft und ihrer Schönheit begegnet, so soll das für niemanden von uns ein Akt der Weltflucht werden, sondern innerer Stärkung dienen, indem die magischen Momente von Musik, ob wir sie hören oder selber machen, uns neue Räume, „Räume neben einem Platz der Not und der Gewalt“, eröffnen.
Kunst könne Abgründe ebenso wenig löschen, wie den Zweifel an dem Sinn unseres menschlichen Daseins, so Gauck. „Aber Menschen lieben und brauchen sie, die Kunst.“ Denn „Kunst hat die Fähigkeit Menschen zu verwandeln, nicht nur zu beglücken, oder zu unterhalten, auch das ist schön“, aber gerade, wenn wir uns wirklich einließen auf Musik, „geschehen so oft wundersame Dinge“: Widersinnige Normalitäten verwandelten sich „in Hingabe, Begeisterung, Erschütterung, Lebensbejahung, Entschiedenheit und vielleicht in etwas wie in eine ‚Dennoch-Existenz‘“, so Gauck. Alles das könne passieren, weil unsere Seele über „zwei unterschiedliche Tore in die Wirklichkeit einzöge“, einmal über die „Öffnung, in der der Intellekt gespeist wird, in der das Argument einzieht, wo wir Wissen erwerben, wo wir einander ausforschen“, zum anderen über die Öffnung, „die der Kunst und Musik Zugang zur Seele verschafft.“ Bei der Rezeption von Kunst und Musik existiere eine wundersame Wirkmechanik, die nicht über den Intellekt, sondern über unsere Seele, über „das Gemüt“ gehe, so Gauck. „Dort durch künstlerisches Wirken geöffnet, entfalte sie eine eigene Daseins-Dimension. Würden Menschen nur ihren Intellekt leben, lebten wir in einem beständigen Defizit: unser Gemüt würde verkümmern. Wir verlernten, „was wir doch tief in uns wissen: wir sind doch viel mehr als das, was wir denken“, ist Gauck überzeugt.
Menschen wüssten eigentlich, dass sie etwas Zusätzliches brauchten, nämlich ein Angesprochensein „tief in uns“, ein „Angesprochensein unserer Sinne“, und dann vollzöge sich etwas, „was Verwandlungskraft hat“. So könne „Kunst wie die Musik zwar nicht die ganze Welt verändern, aber sehr wohl Menschen“. An einem Festival-Tag wie diesen, dürften wir uns also daran erfreuen, dass Musik, wenn auch nicht gleich die Welt, aber uns Menschen verändern und innerlich stärken kann, so der Altbundespräsident.
Wie Recht Joachim Gauck mit seiner These von der Wichtigkeit der Stärkung der Seele durch Kunst und Musik insbesondere in Krisenzeiten hat, konnten die Festivalbesucher sogleich erleben bei dem anschließenden grandiosem Eröffnungskonzert mit faszinierender Akustik in der erhabenen Basilika von Kloster Eberbach.
Hector Berlioz Ouvertüre „Le carnaval romain“
„Le carnaval romain“ komponierte der französiche Komponist Hector Berlioz 1844 als eine Ouvertüre für Orchester, basierend auf Material aus seiner Oper „Benvenuto Cellini“. Die Ouvertüre verkörpert den Geist und die Energie des Karnevals in Rom. Sie ist von einer ausgelassenen und festlichen Stimmung geprägt, beginnt mit einem lebhaften und rhythmischen Thema, das die fröhliche Atmosphäre des Karnevals einfängt. Es folgen verschiedene musikalische Abschnitte, die abwechselnd zwischen lebendigen, tänzerischen Passagen und lyrischeren Melodien wechseln. Berlioz verwendet eine Vielzahl von Instrumenten, um verschiedene Klangfarben und Effekte zu erzeugen, darunter Fanfaren, Streicher, Holzbläser und Schlaginstrumente. Das Stück endet schließlich mit einem feierlichen und triumphalen Finale, das den Glanz und die Pracht des Karnevals repräsentiert.
„Symphonie espagnole“ von Édouard Lalo
Édouard Lalo war ein französischer Komponist des 19. Jahrhunderts. Seine „Symphonie espagnole“ entstand im Jahr 1874 als eine konzertante Komposition für Violine und Orchester, und zählt zu seinen bekanntesten Werken. Obwohl der Titel „Symphonie“ suggeriert, dass es sich um eine sinfonische Komposition handelt, handelt es sich in Wirklichkeit um ein Violinkonzert in fünf Sätzen. Die „Symphonie espagnole“ ist geprägt von spanischen Einflüssen und Exotik, die den Stil und die Klangwelt der spanischen Musik einfangen. Wohl kaum ein anderer, als der junge südamerikanische Stargeiger Guido Sant’Anna hätte derart virtuos wie authentisch mitreißend Édouard Lalos musikalisches Anliegen besser interpretieren können. Das Werk beginnt mit einem feurigen und temperamentvollen ersten Satz, der von virtuosen Passagen der Violine und temperamentvollen Rhythmen geprägt ist. Es folgen weitere Sätze, die unterschiedliche Stimmungen und Charaktere aufweisen, darunter einen lebhaften Scherzo, einen zarten und lyrischen dritten Satz sowie einen mitreißenden Finale.
Die „Symphonie espagnole“ zeichnet sich durch ihre farbenreiche Orchestrierung und die melodischen Themen aus, die an die spanische Volksmusik erinnern. Lalo verwendet verschiedene rhythmische Figuren, modale Tonleitern und harmonische Wendungen, um die spanische Klangästhetik einzufangen und eine lebhafte und atmosphärische Stimmung zu erzeugen.
Francis Poulenc Stabat Mater
Francis Poulenc, ein französischer Komponist des 20. Jahrhunderts, komponierte sein Stabat Mater im Jahr 1950.Dabei handelt es sich um eine musikalische Komposition, die auf dem mittelalterlichen lateinischen Hymnus „Stabat Mater Dolorosa“ basiert und von der schmerzhaften Trauer Marias unter dem Kreuz ihres gekreuzigten Sohnes erzählt und diese Trauer der Gottesmutter während der Passion Christi aufgreift. Obwohl Poulenc ein moderner Komponist war, schuf er in diesem Werk eine Verbindung zur Tradition der geistlichen Musik, was ihm ausgesprochen genial gelingt und der MDR Rundfunkchor, unterstützt durch die grandiose Stimme der französischen Ausnahme-Soparnistin Vannina Santoni, klangvoll und mitreißend interpretierte. Die Musik wechselt zwischen intensiven und ergreifenden Passagen und ruhigen, meditativen Momenten.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Das Gesamtprogramm mit allen Details zum 36. Rheingau-Musikfestival finden Sie hier!
Rheingau Musik Festival – Eröffnungskonzert