Meisterstücke – Vom historisch entstandenen Handwerk der Maler bis zur Entwicklung „der“ freien Künste

Maarten van Heemskerck (1498 - 1574) Der heilige Lukas malt die Madonna, 1532.  ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Maarten van Heemskerck (1498 – 1574) Der heilige Lukas malt die Madonna, 1532. © Foto: Diether v Goddenthow

„Tolle Ausstellung! Endlich sieht man doch mal, dass Malen ein Handwerk ist!“, schreibt ein begeisterter Besucher am 8.Oktober den Ausstellungsmachern ins Gästebuch. Mehr noch: Das Historische Museum Frankfurt, dem mit „Meisterstücke“ eine einzigartige und didaktisch hervorragend konzipierte Sonderausstellung vom 11.09. bis 19.01.2019 im Historischen Museum Frankfurt gelungen ist, zeigt nicht nur, dass perfektes „Handwerk und gute Kunst“ viel Talent, gewissenhafter Ausbildung  und guter Übung bedürfen. Sie zeichnet auch den Entwicklungsweg „der“ Maler bis hin zur Etablierung von freier bildender Kunst nach.

Zur Einführung

Wenn von „Meisterwerk“ die Rede ist, glauben die meisten kulturell Interessierten, zu wissen, was darunter zu verstehen ist. Wir danken dabei an Dürer, Rembrandt und Velázquez. Aber was ist ein Meisterstück? In Vergessenheit geraten ist, dass auch Maler einmal in Zünften organisiert waren und wie andere Handwerker zum Abschluss ihrer langen Ausbildung ihr Können mit einem Meisterstück beweisen mussten. Erst dann durften sie ihre Gemälde signieren, eine eigene Werkstatt führen und selbst ausbilden. Die Ausstellung des Historischen Museums widmet sich erstmals diesem vergessenen Thema der Künstlersozialgeschichte.

Die Schau vermittelt eine Vorstellung von der langen Ausbildung des Malers als zünftiger Handwerker bis ins 19. Jahrhundert. Als Lehrling und Geselle lernte er durch Nachahmung und ständige Wiederholung die Farben zu reiben, Leinwände zu spannen und zu grundieren und einfache malerische Aufgaben auszuführen. Erfahrungen sammelten die Gesellen außerdem auf der Wanderschaft, die sie durch Deutschland oder ins Ausland führte. Um selbst Meister zu werden, schrieb die Zunftordnung dem Maler viele Bedingungen vor, darunter die Heirat, den Erwerb des Bürgerrechts, Geldzahlungen und oft auch die Anfertigung eines Meisterstücks.

Ausstellungsimpression der Sonderausstellung Meisterstücke, hier: Bereich Zunftwesen. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Ausstellungsimpression der Sonderausstellung Meisterstücke, hier: Bereich Zunftwesen. © Foto: Diether v Goddenthow

Das Historische Museum Frankfurt besitzt eine für die Erforschung der Künstlersozialgeschichte in Deutschland einzigartige Sammlung von über 45 Meister- oder Probestücken aus der Zeit von 1631 bis 1858. Die Stadt Frankfurt verlangte von den Malern die Einlieferung des vorgeschriebenen Meister- oder Probestücks für die Ausstattung des Rathauses, des Römers. Diese Frankfurter Gemälde werden anderen Malermeisterstücken aus Nürnberg, Hamburg, Lübeck und Burghausen sowie Meisterstücken anderer Handwerke bis in die Gegenwart gegenübergestellt.

Johann Heiss (1640 - 1704) Aktsaal mit fünf  weiblichen Modellen, 1687 ©  Foto: Diether  v Goddenthow.
Johann Heiss (1640 – 1704) Aktsaal mit fünf weiblichen Modellen, 1687 © Foto: Diether v Goddenthow.

In den europaweit gegründeten offiziellen Kunst- und Zeichenakademien wurde besonderes Gewicht auf die theoretische Ausbildung der Künstler gelegt. Die Lehre basierte auf dem Zeichnen nach dem Schönheitskanon (Antike) und nach dem Akt sowie nach den Prinzipien der Wissenschaft (Perspektive, Geometrie und Anatomie). Doch auch an der Akademie herrschten strenge Regeln: Hier ersetzte das Aufnahmestück das frühere Meisterstück der Zunft. Die Ausstellung im Historischen Museum zeichnet ein Bild dieser Entwicklung mit Thesenbildern, Gründungsallegorien, Akademieszenen und Aufnahmestücken. Lehrmaterial, das an den Akademien eingesetzt wurde, vervollständigt das Bild.

Das letzte Kapitel der Ausstellung widmet sich den Versuchen einer Akademiegründung in Frankfurt und der Städelschule als bürgerlicher Kunstakademie, die in den ersten Jahrzehnten unter dem Einfluss der nazarenischen Kunstideale stand. Hier schließt sich ein Kreis: Die ersten Zunftmaler lieferten in den 1630er Jahren die Ausstattung der Wahlstube im Römer, die Maler der Städelschule und ihre Künstlerfreunde statteten in den 1840er und 1850er Jahren den Kaisersaal des Römers mit 52 Kaiserporträts aus.

Tour durch die Kapitel der Ausstellung
I. Der Maler als Handwerker
Die Zünfte bestimmten vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert die Ausbildung der Handwerker. In den Zunftordnungen war der Weg vom Lehrling bis zum Meister geregelt. Auch die Maler waren in dieser Zeit in Zünften organisiert.

1. Was ist ein Meisterstück?

Meisterstücke. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Meisterstücke. © Foto: Diether v Goddenthow

Handwerker*innen fertigen bis heute am Ende ihrer Ausbildung ein Meisterstück an, um ihr Können unter Beweis zu stellen. Der Meistertitel berechtigt auch dazu, im eigenen Betrieb Lehrlinge und Gesellen auszubilden. Vom Mittelalter bis zur Aufhebung der Zünfte im 19. Jahrhundert regelten städtische Zunftordnungen die Ausbildung der Handwerker. Das Bürger und Meisterrecht konnte nur erwerben, wer ehelich geboren, unbescholten und verheiratet war, dem „richtigen“ Glaubensbekenntnis angehörte und ein Meisterstück herstellte. Diese Bestimmungen galten auch für Maler und andere Künstler, die in Zünften organisiert waren.

In Frankfurt bestand seit 1630 die Malergesellschaft mit einer eigenen Ordnung. Diese verpflichtete alle Mitglieder zur Abgabe eines Kunststücks an das Rathaus. Diese Regeln galten auch für auswärtige Handwerker und Maler, die sich (zeitweise) in Frankfurt niederlassen wollten und oft nur eingeschränkte Bürgerrechte erhielten.

2. „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!“ – Die Malerwerkstatt als Ausbildungsort

Ein Maler musste eine Ausbildung nach der Zunftordnung – in der Regel vom Lehrling über den Gesellen zum Meister – durchlaufen, um eine eigene Werkstatt führen und selbst ausbilden zu dürfen. Zu den Aufgaben des Lehrlings gehörte die Pflege von Werkzeugen und Werkstatt, das Reiben der Farben, das Vorbereiten des Malgrunds sowie alltägliche Haushaltsarbeiten. Lehrlinge erhielten Zeichenunterricht und lernten vornehmlich über das Beobachten und Nachahmen von Gesellen und Meistern. Auch die Gesellenwanderung wurde oft gefordert. Dadurch dauerte die Ausbildung bis zum Erwerb des Meisterrechts häufig zehn Jahre und länger. Gesellen bildeten sich auch an den Vorlagensammlungen (Zeichnungen, Kupferstichen, Gipsen) ihrer Meister fort.

3. „Von der Wiege bis zur Bahre“: Handwerkszünfte im Alten Reich
Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren Handwerker in der Regel in Zünften organisiert. Diese Berufsvereinigungen hatten je nach Handwerk einen sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Stand. Handwerkszünfte und zünftige Bruderschaften übernahmen für ihre Mitglieder gewerbliche, administrative, soziale, militärische oder religiöse Aufgaben. Die Zunftstuben dienten als Versammlungsort. In ihnen wurden auch die Zunftsymbole und Zunftaltertümer wie Meister- und Gesellenbücher, Truhen, Pokale und Fahnen aufbewahrt. Seit dem 17. Jahrhundert standen die Zünfte in vielen Städten – auch in Frankfurt – unter der Aufsicht eines Ratsmitglieds. Die von der Stadt für die jeweiligen Zünfte erlassenen Ordnungen regelten die Ausbildung, die Rechte und Pflichten der Mitglieder und auch die Abgabe des Meisterstücks.

4. Wie die Handwerker, so die Maler: zünftig!

Ausstellungs-Impression Malerzünfte. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Ausstellungs-Impression Malerzünfte. © Foto: Diether v Goddenthow

Ebenso wie Schreiner, Metzger oder Schmiede waren auch Maler meistens in einer Zunft oder Gilde organisiert. Aufgaben, Funktionen und Geselligkeitsformen dieser Zusammenschlüsse unterschieden sich nicht von denen anderer Zünfte. Das soziale Leben der Malerzunft spielte sich in der Zunftstube ab. Hier wurden neue Mitglieder in die Zunftbücher eingeschrieben, die Rechnungsbücher geführt und Festmahlzeiten gehalten. Ihre Zunftobjekte sind durch das Malerwappen gekennzeichnet: drei weiße Schilde auf rotem oder blauem Grund.
Malerbruderschaften kümmerten sich um religiöse und soziale Belange wie das Seelenheil und die Kranken- und Armenfürsorge. Die Malerzünfte besaßen häufig einen eigenen Altar, der ihren Schutzpatron, den heiligen Lukas, zeigte, wie er gerade die Maria mit dem Christuskind malte. In Hamburg erfolgt noch heute jedes Jahr ein Umzug der neuen Meister vor den mittelalterlichen Lukasaltar, wo sie gesegnet werden.

II. Meisterstücke = Meisterwerke?
Die Zunftordnungen schrieben in vielen Städten auch für die Maler die Abgabe eines Meisterstücks vor. Es diente als Nachweis des technischen, nicht des künstlerischen Könnens: Meisterstücke sind selten Meisterwerke.

Galerie der Meisterwerke.©  Foto: Diether  v Goddenthow
Galerie der Meisterwerke.© Foto: Diether v Goddenthow

5. „Sonderbare Kunststücke“ – Die Gründung der Frankfurter Malergesellschaft und die Ausstattung derWahlstube im Römer (1630–1645) Der Rat der Stadt gab den Frankfurter Malern 1630 die von ihnen erbetene Malerordnung. Artikel 6 der Ordnung sah die Lieferung eines „sonderbahr kunststück(s)“ an den Frankfurter Römer vor: das Meisterstück. Thema und Größe des Gemäldes legten die Stadtväter fest. Im Gründungsjahr mussten nicht nur die neuen Meisterkandidaten, sondern auch die bereits vorher in der Stadt eingebürgerten Maler ein Gemälde abliefern. Mit diesen wurde die Wahlstube im Römer ausgestattet, die für festliche Anlässe und für die Verhandlungen bei den Kaiserwahlen genutzt wurde.

Ab 1631 erhielt die Wahlstube einen Fries von elf Gemälden mit Gerechtigkeitsszenen aus dem Alten Testament und aus der antiken Geschichte. Das für Rathäuser typische Bildprogramm mahnte Kaiser und Kurfürsten zu tugendhaftem Handeln. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden einige dieser Gemälde durch neue Meisterstücke ersetzt. Zwei dieser neuen Gemälde mit biblischen und mythologischen Szenen lösten wegen ihrer erotischen Darstellungen einen Wortwechsel zwischen den Kurfürsten von Köln und Sachsen aus.

6. Geprüft und für gut befunden: Malermeisterstücke aus deutschen Städten Nicht nur in Frankfurt, sondern in fast achtzig Städten des deutschsprachigen Alten Reichs schrieben die Malerordnungen zu unterschiedlichen Zeiten die Abgabe eines Meisterstücks vor. Die Anforderungen daran waren allerdings von Stadt zu Stadt verschieden. Die Malerordnung verlangte in manchen Städten mehrere Probearbeiten mit unterschiedlichen Techniken und Themen und legte Thema und Größe fest. Kopien nach Vorlagen (zum Beispiel Druckgrafiken) waren meist nicht zugelassen. Gelegentlich fand die Anfertigung der Arbeit unter Aufsicht statt. Bei technischen Mängeln in der Ausführung musste der Kandidat eine Strafe zahlen, künstlerische Fehler wurden nicht geahndet. Die künstlerische Qualität der Gemälde war deshalb häufig nur mittelmäßig. Das Meisterstück blieb vielfach Eigentum der Stadt, manchmal auch der Zunft oder des Malers. Oft wurden damit Rathausräume und andere öffentliche Gebäude ausgestattet. Viele Rathaussammlungen wurden im 19. Jahrhundert aufgelöst. Nur in seltenen Fällen, wie in Nürnberg, Lübeck, Hamburg, Burghausen und in Frankfurt, gelangten einzelne Gemälde oder ganze Sammlungen in die damals neu gegründeten städtischen Museen.

7. „Kunst kommt von Können“: Handwerker-Meisterstücke von gestern und heute Das Meisterstück hat im Handwerk eine lange Tradition und spielt bei der Ausbildung bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle. Seit dem Mittelalter gibt es eine stetig wachsende Vielfalt von Handwerksberufen. Noch heute gibt es 41 meisterpflichtige Berufe. Ebenso vielfältig sind die eingereichten Meisterstücke, wie die ausgestellten Objekte aus dem 16. Jahrhundert bis heute zeigen. Teils wurden Vorlagen für die Anfertigung des Meisterstücks ausgegeben oder genaue Vorgaben gemacht. Teils musste der Anwärter zunächst einen Entwurf des geplanten Meisterstücks einreichen. Einige Meisterstücke entstanden sogar direkt auf oder um (Meister)Stücke anderer Handwerker: In Frankfurt sollten die Vergolder als Meisterstück einen Rahmen für ein Meisterstück der Maler fertigen. Auch vergängliche Meisterstücke gab es, beispielsweise bei den Feuerwerksmachern.

8. „Öfters über alle Erwartung schöne Gemälde“ (Hüsgen 1790): Frankfurter Malermeisterstücke von 1760 bis 1858
Im Jahr 1757 wurde die Malerordnung in Frankfurt erneuert und die Abgabe des Meisterstücks strenger kontrolliert. Unter Carl Theodor von Dalberg, 1806 bis 1813 Fürstprimas und Großherzog von Frankfurt, wurden die Zünfte für wenige Jahre aufgehoben. In der Restaurationszeit nach 1815 wurden sie von den Stadtvätern aber wieder eingeführt und bestanden bis zu ihrer erneuten Auflösung 1864. Die Mitgliedschaft in der Zunft war für die Maler jetzt nicht mehr verbindlich. Nur die zünftigen Maler, meist Maler Lackierer,schufen noch Meisterstücke. Von 1760 bis 1806 reichten 34 Maler, von 1816 bis 1858 sogar 56 Maler ihre Meisterstücke im Römer ein. Von diesen 90 Meisterstücken, die 1878 in das Historische Museum gelangten, sind heute noch 38 erhalten, ein deutschlandweit einzigartiges Gemäldekonvolut. Es wurde eigens für die Ausstellung mit Mitteln der Ernst von Siemens Kunststiftung restauriert.

9. Rosenkrieg: Die Konkurrenz zwischen Malern und Tünchern Hinter der Bezeichnung „Maler“ konnten sich in der Frühen Neuzeit ganz unterschiedliche Berufe verbergen: Kunstmaler, aber auch Fassmaler, Briefmaler oder Glasmaler. Weißbinder, Tüncher und Quadraturmaler weißten Fassaden und Innenräume und malten Tür- und Fensterumrahmungen sowie Deckenornamente. Alle diese Maler gehörten meistens einer gemeinsamen Zunft an. Die Kunstmaler fühlten sich dadurch in ihrer Berufsehre erniedrigt und gründeten später eigene Zünfte oder Malergesellschaften. Aber auch die Weißbinder fühlten sich in den Gruppenzünften nicht angemessen vertreten, solange dort die Kunstmaler das Sagen hatten. Immer wieder kam es über die Abgrenzung der Arbeitsgebiete, die in den Zunftordnungen festgelegt waren, zu Auseinandersetzungen und zu Klagen bei den Stadträten.

10. Verweigerung und Ausgrenzung: Maler und Malerinnen ohne Meisterstücke
Viele Maler versuchten, sich der Anfertigung eines Meisterstücks zu entziehen. Die Herstellung kostete Zeit und Geld. Vor allem aber fühlten sich die Maler seit der Renaissance nicht mehr als Handwerker, sondern als freie Künstler. In Frankfurt gelang es einigen herausragenden Malern, wie Jacob Marrel oder Matthäus Merian d. J., sich den Anforderungen des Frankfurter Rats zu widersetzen und die Ablieferung des Meisterstücks zu verweigern. Andererseits schlossen die Zünfte einige Maler von vornherein aus. Frauen durften lediglich als Witwe eines Meisters den Betrieb selbstständig weiterführen, bis sie wieder heirateten, konnten selbst aber keine Meisterinnen werden. Ehefrauen oder Töchter eines Meisters waren häufig an den verschiedenen Tätigkeiten in der Werkstatt und auch an der Herstellung von Kunstwerken beteiligt. Ihre Werke wurden aber meistens unter dem Namen des Mannes verkauft. Selten konnten Künstlerinnen sich so emanzipieren wie Maria Sibylla Merian. Eher lebten sie in prekären Verhältnissen wie Maria Eleonora Hochecker.

III. Akademie = Autonomie?

Adriaan de Lelie (1755 - 1820) Anatomie-Vorlesung in der Gesellschaft Felix Meritis, 1792. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Adriaan de Lelie (1755 – 1820) Anatomie-Vorlesung in der Gesellschaft Felix Meritis, 1792. © Foto: Diether v Goddenthow

Akademien und Zeichenschulen dienten der Professionalisierung der Künstlerausbildung. Im Vordergrund der Ausbildung stand das künstlerische, nicht das technische Können. Aber Aufnahmestücke waren auch nicht immer Meisterwerke.

11. Höfisch, zünftig, akademisch, freischaffend? Die Malerfamilie Morgenstern
Die Karriere von Künstlern hing auch im 17. und 18. Jahrhundert von vielen verschiedenen Faktoren ab: von künstlerischem Talent und finanziellem Vermögen, von sozialen und beruflichen Netzwerken, von gesellschaftlicher und räumlicher Beweglichkeit (Heirat oder Ortswechsel während der Lehre und bei Aufträgen). Diese Faktoren bestimmten die Wahl des Ausbildungsweges und auch die späteren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Höfische, zünftige, akademische oder freischaffende Künstler hatten jeweils unterschiedliche Verpflichtungen und Privilegien. Ein Blick auf die sehr unterschiedlichen Karrieren von fünf Malern der Familie Morgenstern in Rudolstadt und Frankfurt vermittelt eine Vorstellung von der Bandbreite dieser unterschiedlichen Künstlerexistenzen.
12. Herr oder Schmarotzer? – Auf nach Italien!

Unbekannter Künstler. Die Einführung eines neuen Miegliedes der Bentvueghels in Rom, um 1660. Ein in Rom angekommener Künstler aus dem Norden wird durch eine Zeremonie in die Künstlergesellschaft der Bentvueghels aufgenommen. ©  Foto: Diether  v Goddenthow.
Unbekannter Künstler. Die Einführung eines neuen Miegliedes der Bentvueghels in Rom, um 1660. Ein in Rom angekommener Künstler aus dem Norden wird durch eine Zeremonie in die Künstlergesellschaft der Bentvueghels aufgenommen. © Foto: Diether v Goddenthow.

Für die Künstler aus Mittel- und Nordeuropa war Italien das Land, in dem sie die vorbildhafte Kunst der Antike, der Renaissance und des Barock studieren und befreit von den Fesseln der Zunft arbeiten konnten. Schon im 16. Jahrhundert hatten sich italienische Künstler von den handwerklichen Zünften getrennt und gelehrte Kunstakademien gegründet. In Rom versammelten sich nicht nur die akademisch ausgerichteten Maler, die „pictores docti“, sondern auch die noch dem zünftigen Denken ihrer Heimat verhafteten Maler, die „pictores vulgari“. Diese aus den Niederlanden und Deutschland stammenden Künstler gründeten 1623 die Schildersbent. Mit scherzhaften Aufnahmezeremonien, die sich an Gesellenfeste der
Handwerkszünfte anlehnten, verspotteten sie unter dem Schutz des Weingottes Bacchus auch ihre akademischen Künstlerkollegen.
Nach seiner Rückkehr aus Italien gab der gebürtige Frankfurter Joachim von Sandrart den Anstoß für die Gründung der ersten deutschen Akademien in Nürnberg (um 1662) und Augsburg (um 1670/1673). Mit seiner dreibändigen „Teutschen Academie“ schuf er eine theoretische und historisch-biographische Grundlage für die Künstlerausbildung in Deutschland.

13. Gilde und Akademie? Das Beispiel Antwerpen

Ausbildung in der  Akademie - im Vordergrund Anatomisches Modell: Borghesischer Fechter 1926 - 1930. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Ausbildung in der Akademie – im Vordergrund Anatomisches Modell: Borghesischer Fechter 1926 – 1930. © Foto: Diether v Goddenthow

Kunstakademien entstanden häufig unter Protest der örtlichen Malerzünfte wie etwa in Paris.
Antwerpen war die einzige Stadt, in der die Kunstakademie aus der Malerzunft hervorging und beide Institutionen unter einem gemeinsamen Dach fortbestanden. Schon 1663 gründeten Mitglieder der Zunft die Königliche Akademie der Schönen Künste. Ziel der neuen Künstlerorganisation war es, der mit dem wirtschaftlichen Niedergang Antwerpens im 17. Jahrhundert stagnierenden Kunstproduktion durch eine bessere Ausbildung der Künstler neue Impulse zu verleihen und an das Goldene Zeitalter von Rubens, van Dyck und Jordaens anzuknüpfen. Die Doppelinstitution zog 1664 zusammen mit der Gilde der Dichter in repräsentative Räume in der Börse. Der „Grote Schilderszaal“ und die Räume des Direktors und der Dekane wurden mit Gemälden und Skulpturen bekannter Akademiemitglieder ausgestattet. Die Gemälde waren keine Meister- oder Aufnahmestücke, sondern Geschenke der Künstler an die Akademie. Der Große Malersaal wurde so zu einer von Reisenden gerne besuchten Ruhmeshalle der flämischen Kunst 14. Endlich frei? Die Akademie als Institution Akademien sind Orte des gelehrten Gedankenaustauschs und der humanistischen Bildung. Künstler fanden sich dort seit dem 16. Jahrhundert zusammen, um über die Grundlagen der Kunst, über Literatur, Geschichte, Geometrie, Perspektive und Anatomie zu diskutieren. So untermauerten sie den Anspruch, dass Malerei, Bildhauerei und Architektur zu den freien Künsten gehörten. Zugleich sollten die Akademien auch Handwerkern grundlegende
künstlerische Fähigkeiten vermitteln, um die Wirtschaftskraft des jeweiligen Staates zu fördern. Diese Aufgabe hatten auch die vielen Zeichenschulen, die von Künstlern, Bürgern und Stadtvätern ins Leben gerufen wurden. Die Grundlage der akademischen Ausbildung bildete das Zeichnen, anfangs nach zweidimensionalen Vorlagen, später nach Gipsabgüssen und schließlich nach dem lebenden Modell. Zur Förderung der Künstler fanden Wettbewerbe und Ausstellungen statt. Begabte Schüler wurden mit Preisen und Reisestipendien ausgezeichnet.
15. Das Aufnahmestück an der Akademie: Ein neues Meisterstück?
Die Kunstakademien waren genauso streng organisiert wie die städtischen Zünfte. Die Verbindung zu den Zünften drückte sich vielleicht am deutlichsten in den Aufnahmestücken aus, die von den aufzunehmenden Mitgliedern der Akademie erwartet wurden. Man kann zwei Arten von Aufnahmestücken unterscheiden: Die ältere Tradition wie in den Akademien von Florenz, Rom und Paris sah vor, dass die Aufnahme in die Akademie auf der Grundlage eines einzureichenden Werkes geschah. Wurde dieses für gut befunden, konnte der Kandidat oder in manchen Fällen auch die Kandidatin aufgenommen werden. Die jüngere Tradition, wie etwa in der Royal Academy of Arts in London, sah vor, dass der Kandidat (oder mit Einschränkung auch die Kandidatin) auf der Grundlage des bisherigen Schaffens durch den Beschluss des Gremiums aufgenommen wurde und erst danach sein (oder ihr) Aufnahmestück der Akademie präsentierte. Dies konnte wiederum zur Folge haben, dass aufgenommene Künstler irgendein Werk (und nicht zwangsläufig das beste) der Akademie vermachten und es manchmal später gegen ein besseres Werk austauschten.

16. Akademiebestrebungen am Main

Auch in Frankfurt bemühte sich eine Gruppe von Künstlern im späten 18. Jahrhundert um die Akademisierung ihrer Ausbildung. Gegen den Widerstand der Malergesellschaft gestand der Rat 1767 den Malern die Zunftfreiheit zu. Das Bürgerrecht konnten sie aber nach wie vor nur gegen Abgabe eines Probestücks erlangen. Zur Verwirklichung der Akademie kam es jedoch nicht. Erfolgreicher und eher an der Berufspraxis orientiert war die Initiative des Malers und Kupferstechers Georg Joseph Cöntgen. Er gründete 1779 eine Zeichenakademie. Sie wurde von der Stadt und von vielen Frankfurter Bürgern unterstützt. Sie richtete sich nicht nur an Künstler, sondern auch an Handwerker und bot einen ähnlichen dreistufigen Zeichenunterricht an wie in den Kunstakademien. Mit Ausnahme des Aktzeichnens stand er auch Frauen offen. In Hanau gründete Erbprinz Wilhelm IX. von Hessen-Kassel auf Initiative von Gold- und Silberschmieden 1772 die bis heute bestehende Hanauer Zeichenakademie. Sie sollte Kunsthandwerkern eine Berufsausbildung nach modernen Standards vor Ort ermöglichen.

17. Eine bürgerliche Akademie? Die Städelschule

Anatomiestunde im Garten des Städelschen Kunstinstituts, 1876. Der akademische Anatomieunterricht war nicht auf den menschlichen Körper beschränkt, sondern beeinhaltete auch die anatomische Lehre von Tieren wie von Pferden. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Anatomiestunde im Garten des Städelschen Kunstinstituts, 1876. Der akademische Anatomieunterricht war nicht auf den menschlichen Körper beschränkt, sondern beeinhaltete auch die anatomische Lehre von Tieren wie von Pferden. © Foto: Diether v Goddenthow

Der Handelsmann und Bankier Johann Friedrich Städel vermachte 1815 sein Vermögen und seine umfangreiche Kunstsammlung testamentarisch einer Stiftung: dem Städel‘schen Kunstinstitut. Frankfurt erhielt dank Städel eine bürgerliche Kunstschule mit akademischen Ausbildungsstandards. Sie blühte erst ab 1830 unter dem Direktorat des nazarenischen Historienmalers Philipp Veit auf. Die Künstlergruppe der Nazarener hatte sich in Wien und Rom in Abgrenzung zum akademischen Lehrbetrieb gebildet und vertrat das Ideal des kollektiven Arbeitens nach dem Vorbild der mittelalterlichen zünftigen Werkstätten. In Frankfurt waren die Nazarener an zwei großen Ausstattungsprojekten beteiligt, am Freskenzyklus im Dom und den Porträts für den Kaisersaal im Römer. Der Kaisersaal bildete gleichsam das Pendant zur Wahlstube im Römer, die nach der Gründung der Frankfurter Malergesellschaft mit Gemälden geschmückt wurde.

 

Begleitpublikationen
Meisterstücke – Vom Handwerk der Maler
Für das Historische Museum Frankfurt herausgegeben von Wolfgang P. Cilleßen, Andreas Tacke (Schriften des Historischen Museums Frankfurt, Band 38), 304 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Societäts-Verlag Frankfurt am Main, 30 €

DieWahlstube im Frankfurter Römer
Für das Historische Museum Frankfurt herausgegeben von Wolfgang P. Cilleßen, Aude-Line Schamschula (Kunststücke des Historischen Museums Frankfurt, Band 6) 116 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Verlag Henrich Editionen Frankfurt am Main, 18 €

Ort

Meisterwerke 12. Sep 2019 ——
19. Jan 2020

Historisches Museum Frankfurt
Saalhof 1
60311 Frankfurt am Main

Öffnungszeiten & Eintrittspreise
Dienstag bis Freitag: 10 – 18 Uhr
Mittwoch: 10 – 21 Uhr
Samstag und Sonntag: 11 – 19 Uhr
Eintritt Wechselausstellung 10 €/ermäßigt 5 €
Eintritt Museum Vollpreis 12 €/ermäßigt 6 €