Kim de l’Horizon, der heute Abend im Kaisersaals des Frankfurter Römers von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels mit dem Roman „Blutbuch“ (DuMont) mit dem Deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichnet wurde, hat aus seiner anfänglichen Not fehlender Worte einer Dankesrede eine spontane wie spektakuläre Solidaritäts-Performance für die um ihre Freiheit kämpfenden Frauen im Iran inszeniert.
Kurzerhand ließ der frisch gekürte Gewinner des Deutschen Buchpreises seine Haarpracht fallen, nicht mit einer Schere oder einem Messer, sondern mit einem Elektrobatterie-Rasierer, welchen er aus seinem grünlichglitzernden, paillettenbesetzten Handtäschchen hervorzauberte. Wortlos begann er mit der Kopfrasur und lies dann, fast schon kahlköpfig, die Worte folgen: „Dieser Preis ist nicht nur für mich. Ich denke, ihr habt diesen Text auch ausgewählt, um ein Zeichen zu setzen gegen den Hass für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden. Dieser Preis ist offensichtlich auch für die Frauen im Iran“ [unterbrochen von minutenlangen Standing Ovations] „Was ich sagen wollte, wir schauen alle nach Iran, bewundern diesen Mut, diese Kraft. Das zeigt uns wiederum, wie unser Weltbild war, dass wir dachten, Weiblichkeit ist nur im Westen emanzipiert.“ Spontane Worte, die man nun nicht auf die Goldwaage legen sollte, die aber im Rahmen der Kopfrasur-Aktion in den Medien große Aufmerksamkeit hervorriefen.
Damit dürfte auch das Ziel des Börsenvereins, wenn auch so nicht geplant, „mit dem Deutschen Buchpreis (…) die Aufmerksamkeit der Leser*innen auf die Vielschichtigkeit der deutschsprachigen Literatur zu lenken“ und „die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern“, wie kaum je bei einer früheren Buchpreisverleihung geglückt sein.
Wie auch Andreas Platthaus, FAZ-Redaktionsleiter Literatur, augenzwinkernd treffend anmerkte, war „allen Besuchern der Zeremonie im Römer spätestens um 18.58 Uhr klar, dass man etwas beigewohnt hatte, das sich nicht mehr vergessen lassen wird. Es war der stärkste Auftritt nichtbinär definierten Erzählens, der sich denken ließ. A star is born.“ (FAZ, 17.10.2022).
Auch klingen nun im Lichte von Kims Kahlkopf-Aktion die ersten Sätze in der Jury-Begründung für die Zuerkennung des Deutschen Buchpreise beinahe schon prophetisch, wenn es heißt: „Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman ‚Blutbuch‘ nach einer eigenen Sprache.“ Das war der nonbinären Person Kim de l’Horizon heute Abend wieder einmal trefflich gelungen, so wie in seinem Werk „Blutbuch“. Er versucht, Sprache mitunter neu zu erfinden, und mit seinen Sätzen Menschen magisch in seine Gedankenwelt hineinzuziehen. Wer sich auf Kim’s identitäre Welt auf der Suche nach sich selbst, aus non-binärer Perspektive einlassen möchte, sei dieser Debüt-Roman wärmstens empfohlen. 10 Jahre Arbeit hat Kim de l’Horizon, der auch als Hexer*In unterwegs sei, in sein Werk gesteckt.
Sehr empfehlenswert sind auch sämtlich nominierten Werke der nicht zum Zuge gekommenen Autoren der Shortlist wie: Fatma Aydemir: Dschinns (Carl Hanser, Februar 2022), Kristine Bilkau: Nebenan (Luchterhand, März 2022), Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter (Kiepenheuer & Witsch, August 2022), Jan Faktor: Trottel (Kiepenheuer & Witsch, September 2022), Eckhart Nickel: Spitzweg (Piper, April 2022).
Informationen und Lesungstermine zu jedem einzelnen Werk findet man unter www.deutscher-buchpreis.de.
Kim de l‘Horizon erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro. Der Gewinnertitel wurde in mehreren Auswahlstufen ermittelt. Die sieben Jurymitglieder haben seit Ausschreibungsbeginn 233 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2021 und September 2022 erschienen sind. Aus diesen Romanen wurde eine 20 Titel umfassende Longlist zusammengestellt. Daraus hat die Jury sechs Titel für die Shortlist gewählt. Die Preisverleihung fand im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt.
Mit dem Deutschen Buchpreis 2022 zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels den deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Hauptförderer des Deutschen Buchpreises ist die Deutsche Bank Stiftung, weitere Partner sind die Frankfurter Buchmesse und die Stadt Frankfurt am Main. Die Deutsche Welle unterstützt den Deutschen Buchpreis bei der Medienarbeit im In- und Ausland.
Unter dem Hashtag #buchpreisbloggen stellen 20 Literaturblogger die nominierten Titel 2022 vor. Die Rezensionen werden unter www.deutscher-buchpreis.de/news veröffentlicht und über die Social-Media-Kanäle des Deutschen Buchpreises geteilt. Auf der Webseite und den Social-Media-Kanälen des Deutschen Buchpreises vermitteln zudem Videoporträts einen Eindruck von den nominierten Werken und ihren Autoren.
(Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)