Der schleichenden Wirtschaftsfeindlichkeit entgegentreten! – Deutliche Worte auf Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Wirtschaft 2018

Der größte Neujahrsempfang der regionalen Wirtschaft in Deutschland in der Rheingoldhalle in Mainz am 7. Februar 2018.  Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de
Der größte Neujahrsempfang der regionalen Wirtschaft in Deutschland in der Rheingoldhalle in Mainz am 7. Februar 2018. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de

Deutlich mahnende Worte vor einer besorgniserregenden Überbürokratisierung, zuletzt durch die ab 25. Mai 2018 geltende EU-Datenschutz-Verordnung, sowie gegen einen schleichenden wirtschaftsfeindlichen Zeitgeist fanden die Vertreter der gastgebenden IHK, HWK und der Kammern der Freien Berufe auf dem Jahresempfang der Rheinlandpfälzischen Wirtschaft 2018 am 7.Februar in der Rheingoldhalle zu Mainz. Festredner war Professor Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident a.D., mit einem engagierten Plädoyer für den Zusammenhalt Europas.

Bessere Verhältnisse gab es in Europa noch nie!

Festredner Prof. Dr. Norbert Lammert Bundestagspräsident a.D. beim Jahresempfang der Rheinland-Pfälzischen Wirtschaft 2018 in der Rheingoldhalle Mainz. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de
Festredner Prof. Dr. Norbert Lammert
Bundestagspräsident a.D. beim Jahresempfang der Rheinland-Pfälzischen Wirtschaft 2018 in der Rheingoldhalle Mainz. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de

Lammert, seit Januar  Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, nannte den europäischen Integrationsprozess, der mit den Römischen Verträgen vor 60 Jahren seinen Anfang nahm, die „wichtigste einzelne Innovation des 20. Jahrhunderts“. Zum ersten Mal in einer zweieinhalbtausend-jährigen gemeinsamen Geschichte sei das Risiko so gut wie beseitigt, „dass Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte, die es zwischen diesen Staaten nach wie vor gibt, unter Einsatz von Gewalt mit militärischen Mitteln ausgetragen werden können“, so Lammert. „Bessere Verhältnisse als die, die wir gegenwärtig in Europa haben, gab es auf diesem Kontinent nie!“ Noch nie habe es auf diesem Kontinent den Zustand gegeben, dass „in ausnahmslos allen europäischen Staaten, demokratisch gewählte Parlamente, und von diesen bestellte oder kontrollierte Regierungen im Amt sind“. Diese Errungenschaft sei ihm noch wichtiger, so Lammert, als seine „zugegebenermaßen gebremste Begeisterung gegenüber dieser oder jener konkreten Regierung, die ich da in diesem oder jenen Land im Amt sehe“. Die komplette Rede kann folgend über Youtube abgerufen werden:

Dr. Engelbert J. Günster „Kernthemen couragiert anpacken“

Dr. Engelbert J. Günster, Präsident der Industrie und Handelskammer für Rheinhessen, hatte zuvor seine Begrüßungsrede vor den gut 1600 Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur unter das Motto „Kernthemen couragiert anpacken“ gestellt. Obwohl die Unternehmen auch am Standort Rheinhessen derzeit Rekorde verbuchten und ein Drittel von ihnen in den nächsten zwölf Monaten die Investitionen und die Beschäftigtenzahlen erhöhen wollten, läge, so der IHK-Präsident, statt Aufbruchsstimmung „eine bleierne Schwere über unserem Land.“ In Berlin „scheinen die parteitaktischen Grundsatzstreitereien wichtiger zu sein, als die Interessen unseres Landes und seiner Bürger“, so Günster. Und während ein dringender Handlungsbedarf bei Kernthemen zur Modernisierung Deutschlands und ein Zukunftsprogramm im europäischen Kontext bestünde, zermürbe man sich bei Prinzipienreiterei und Spitzfindigkeit, „so zum Beispiel, ob der Mittelwert zwischen 180.000 und 220.000 nun bei 200.000 liegt oder nicht; und ob der Begriff „Obergrenze“ eine normative Begrenzung ist, oder nur deskriptiver Natur.“

Dr. Engelbert J. Günster, Präsident der IHK für Rheinhessen:  „Der Industriestandort Deutschland braucht eine Frischzellenkur - und zwar vor allem bei den Rahmenbedingungen,  die die Politik zu verantworten hat.“ Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de
Dr. Engelbert J. Günster, Präsident der IHK für Rheinhessen:
„Der Industriestandort
Deutschland braucht eine Frischzellenkur – und zwar vor allem bei den Rahmenbedingungen,
die die Politik zu verantworten hat.“ Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de

Schon in der abgelaufenen Legislaturperiode habe die Große Koalition ihre Machtfülle nicht für grundlegende Reformen im Land genutzt. Auch die soeben mühsam beendeten Koalitionsverhandlungen zeugen auch diesmal nicht davon, dass die sich abzeichnende Fortsetzung der Großen Koalition an diesem Reformmangel etwas ändern wolle. Ein mutloses Wohlfühlprogramm schaffe keine neuen Jobs – und mittelfristig auch keine Aufbruchsstimmung im Land, so der IHK-Präsident. Günster mahnte an, wesentliche Kernthemen couragiert anzupacken, beispielsweise zuvorderst:
„• Investitionen in Bildung von der Kita bis zur Hochschule und die Sicherung des Fach- und Führungskräftenachwuchses,
• Ertüchtigung und Ausbau der digitalen- und der Verkehrsinfrastruktur
• Innere Sicherheit und Schutz der Außengrenzen, • Steuerentlastung von Bürgern und Unternehmen,
• Straffung des Gesundheitswesens und Entzerrung und Verbesserung von Prophylaxe, Akutbehandlung und ganz besonders der Pflege in einer alternden Bevölkerung.“

Zudem gelte es, „einer schleichenden Wirtschaftsfeindlichkeit entgegenzuwirken“, so der IHK-Präsident und zitierte, die diesbezüglichen Beobachtungen des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, aus dessen kürzlich gehaltenen Rede: „In Deutschland hat sich ein Zeitgeist breitgemacht, der Wirtschaft und Industrie pauschal hintertriebene, arrogante Profitgier unterstellt. Anstatt mit dem Wirtschafts- und Industriestandort die Grundlage des hiesigen Wohlstands zu sichern, wird nur noch über Ausstiege, Verbote und Reglementierungen geredet, statt über Innovation, Investition und Modernisierung.“ Er stimme in diesem Punkt ausdrücklich dem erfahrenen Gewerkschaftsführer zu, so Günster, und ergänzte: „Es darf nicht sein, dass ein tüchtiger und erfolgreicher Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft in Sippenhaft genommen wird für Fehlverhalten einiger weniger Großunternehmen. Ich teile gerne auch seinen Weckruf an alle handelnden politischen Akteure: „Der Industriestandort Deutschland braucht eine Frischzellenkur – und zwar vor allem bei den Rahmenbedingungen, die die Politik zu verantworten hat.“, so der IHK-Präsident (Die komplette Rede hier).

Talkrunde diskutierte- Berufsausbildung und Bürokratieabbau
Talkrunde (v.l.n.r.): Edgar Wilk, Präsident der Steuerberaterkammer Rheinland-Pfalz und Landesverband der Freien Berufe Rheinland-Pfalz e. V., Wilhelmina Katzschmann, Vizepräsidentin der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, Markus Appelmann, Moderator. Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de
Talkrunde (v.l.n.r.): Edgar Wilk, Präsident der Steuerberaterkammer Rheinland-Pfalz und Landesverband der Freien Berufe Rheinland-Pfalz e. V., Wilhelmina Katzschmann, Vizepräsidentin der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz, Markus Appelmann, Moderator. Hans-Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de

Noch deutlichere Worte gegen die wachsende Zahl unternehmensfeindlicher gesetzlicher Rahmenbedingungen fand die  Talkrunde mit  Hans Jörg Friese, Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Wilhelmina Katzschmann Vizepräsidentin der Ingenieurkammer Rheinland Pfalz sowie Edgar Wilk, Präsident der Steuerberaterkammer Rheinland Pfalz und Landesverband der Freien Berufe Rheinland Pfalz e. V.. Moderator war Markus Appelmann, SAT1, der durch den ganzen Veranstaltungsabend führte.

Zwei Themen brannten dabei besonders auf den Nägeln: Die berufliche Bildung und der Bürokratieabbau.

Auch ein verpflichtendes Praktikum im Handwerk für alle Schultypen

Besorgniserregend sei das nachlassende Niveau der Schulabsolventen nicht nur in theoretischen Fächern, sondern auch in den praktisch-manuellen Bereichen, weswegen Handwerkspräsident Hans Jörg Friese forderte: „Was wir benötigen, sind in den Schulen handwerkliche Fähigkeiten.“ Wie solle jemand, der noch nie gehämmert habe, plötzlich am Ausbildungsplatz ein Talent für’s Hämmern entwickeln können, versuchte Friese das Problem an diesem kleinen Beispiel im Kern zu benennen. Wenn in den Schulen keine fachpraktischen Fähigkeiten vermittelt würden, könne sich das Handwerk anstrengen wie es wolle; Es gäbe dann keine Möglichkeit mehr, die Versäumnisse in der Feinmotorik nachzuholen. Deswegen forderte der Handwerkskammerpräsident  unter  viel Beifall, ab der 5. Klasse verbindlich Naturwissenschaften zu lehren. Und dass „für alle Schulformen, auch für’s Gymnasium, ein Praktikum verpflichtend ist, und mindestens ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb“, so Friese. Denn es werde nicht nur immer schwieriger, gute ausgebildete Menschen zu bekommen. Sondern mit der Digitalisierung in der Wirtschaft, auch im Handwerk, seien die Anforderungen drastisch gestiegen: „Wir haben junge Menschen, die müssen nicht nur das Fachpraktische erlernen, sondern sie müssen diesen Weg der Digitalisierung gehen.“ Da käme  zum Erlernen der nötigen handwerklichen Fertigkeiten noch der Lehrstoff aus dem „Digitalen“ hinzu. Zudem benötigte man Berufsschulen und Bildungszentren der Kammern, die gut ausgestattet seien, so der Handwerkspräsident, und forderte hierfür entsprechende Unterstützung, „um all diese Dinge auch angehen zu können“.

Von Bürokratieabbau keine Spur – Wirtschaft und Freiberufler ersticken bald an überzogenen Dokumentationspflichten 

Beim Thema Bürokratieabbau warnte Edgar Wilk vor den Folgen einer ausufernden Bürokratie für die Freien Berufe und mittelständische Unternehmen. Dabei kritisierte er unter anderem eine Reihe von aktuellen Rechtsvorschriften, die jeden noch so kleinen Arbeitsschritt bei der Berufsausübung dokumentiert sehen wollen. „Dadurch werden Unternehmen und Freiberufler unnötig behindert. Hier muss dringend auf die Bremse getreten werden. Jede neue Dokumentationspflicht lässt den Bürokratieaufwand größer werden“, erklärte Wilk und nannte die nervigsten Gesetzes-Verordnungen, wie etwa die „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff GoBD. Darin, so Wilk, werde in 184 Punkten detailliert aufgelistet, wie  die Abläufe in der Buchhaltung vonstattengehen und die Arbeitsschritte im Betrieb dokumentiert werden müssen. „Wer gedacht hat, dass die Umstellung auf elektronische Unterlagen die Arbeit vereinfacht und beschleunigt, der hat die Rechnung ohne die Bürokratie gemacht“, so Wilk

Ähnlich kritisch beurteilte der Kammerpräsident auch die Dokumentationspflichten des neuen Geldwäschegesetzes (GwG). Hier wird verlangt, erst einmal festzustellen und zu dokumentieren, ob man selbst „geldwäschegefärdet“ sei.  Besonders betroffen sind hierbei Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer. Sie müssen umfangreich analysieren, ob in ihren Kanzleitätigkeiten Risiken im Hinblick auf Geldwäsche vorhanden sind und diesen Vorgang genau dokumentieren. „Neben dem großen bürokratischen Aufwand droht den Betroffenen bei Nicht-Befolgen der Richtlinien eine unverhältnismäßige Strafe. Hier schießt der Gesetzgeber über das Ziel hinaus.“

Besonders ärgerlich sei auch die ab 25. Mai 2018 verpflichtend anzuwendende europäische Datenschutz Grundverordnung (EU-DS-GVO). Sie bringe zusätzliche, ganz erhebliche Dokumentationspflichten und einen damit verbundenen Bürokratieaufwand mit sich. Danach sind Unternehmen und Freiberufler angehalten, ihre Arbeitsabläufe und Prozesse so einzurichten und zu dokumentieren, dass die Verarbeitungsweise von Personendaten sowie die Erfüllung der umfangreichen Informationspflichten jederzeit gegenüber den Aufsichtsbehörden nachgewiesen werden können. Die meisten Freiberufler sind als Berufsgeheimnisträger aber ohnehin schon durch ihren Beruf dazu verpflichtet, ihre Mandanten-, Klienten- und Patienten-Daten vertraulich zu behandeln; einer zusätzlichen Regelung hätte es da nicht bedurft. „Die neuen Pflichten nach der DS-GVO bei der Bearbeitung persönlicher Daten führen lediglich zu mehr Arbeitsaufwand und Verunsicherung der Mandanten“, kritisiert Wilk. „Diese Regelung trifft genau die Falschen, hier wäre eine Ausnahme sinnvoll gewesen.“ Auch hier drohen Betroffenen bei nicht Befolgung drastisch überzogene Strafen bis zu 20 Mio. Euro.

Netzwerken bei Wein und Bretzel auf dem Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Wirtschaft 2018. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de
Netzwerken bei Wein und Bretzel auf dem Jahresempfang der rheinland-pfälzischen Wirtschaft 2018. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow.de

(Dokumentation Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

 

Die Statements der Verbandsvertreter können folgend angeklickt werden: