Gruseln hat Tradition. Die Faszination des Horrors ist Teil der Kulturgeschichte des Menschen von Anfang an und war immer auch schon Thema künstlerischer Auseinandersetzung, sagt Dr. Martin Faass, Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, welches sich vom 1. März bis 2. Juni 2024 in der neuen Ausstellung „Tod und Teufel. Die Faszination des Horrors“ der Geschichte des Schreckens widmet. Auf 480 qm zeigen über 100 Meisterwerke vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert den Ursprung der Darstellung des Grauens in Kunst und Kulturgeschichte bis zur heutigen Goth- Szene. Die Schau entstand in Kooperation mit dem Museum Kunstpalast Düsseldorf.
Ob die Gorgonen in der griechischen Mythologie, die apokalyptischen Reiter im Neuen Testament, die Totentänze der Knochenmänner des Mittelalters oder die Todessehnsüchte in der schwarzen Romantik – all diese Epochen erzählen von Endzeitangst und Grusellust. Insbesondere in Zeiten von Kriegen, Hungersnöten oder Epidemien wie der Pest und Cholera war der Tod realer täglicher Begleiter: „Memento mori“, „Sei dir stets deiner Sterblichkeit bewusst!“ Bilder vom bevorstehenden Weltuntergang und drohender ewiger Verdamnis mahnten insbesondere das Christenvolk zu einem gottesfürchtigeren Leben.
Mit der Aufklärung und der sich im 18. Jahrhundert anschließenden Romantik als Gegenbewegung zur säkularen Welt der reinen Vernunft, veränderten sich die vor allem christlich-mittelalterlich geprägten Schreckens-Vorstellungen von Tod und Teufel. In der säkularisierten gottesferneren Welt hatten unerklärliche Erscheinungen, Aberglauben, Naturphänomene, spiritistische Sitzungen, Satanismus, Geister- und Monstergeschichten, sowie sentimentale, melancholische Gemütszustände, Grenzerfahrungen und Todessehnsüchte wachsende Konjunktur. Infolge dieser schwarzen Romantik in Literatur und Kunst entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts regelrechte Gruselkabinette bis hin zu blutrünstigen Shows in Gruseltheatern wie dem Grand Guignol in Paris. Diese befeuerten und stillten zugleich die wachsende Lust am Schaudern. Heutige Geisterbahnen sind noch Relikte aus jener Zeit. Mit der Erfindung des Films entwickelten erste Horrorfilme die bizarren Hauptfiguren und düsteren Handlungsstränge spannungsgeladener und schauriger visualisierter Erzählkunst.
Horror – ungewöhnliches für eine Museum?
Für eine Kulturinstitution wie ein Museum sei es ein ungewöhnliches Thema. Doch „es war mir wichtig, eben dieses Vorurteil, Horror sei oberflächlich und abgedroschen, aufzubrechen, um die Wertigkeit, die wirkliche Tiefe und Vielfalt sowie die Allgegenwärtigkeit des Horrors in unserer Kultur zu zeigen“, erläutert die in USA geborene Kunsthistorikerin und Kuratorin Westrey Page vom Kunstpalast ihre Intention zu dieser „Horror-Show“. Gemeinsam mit Co-Kurator Dr. Oliver Sandrock vom Landesmuseum Darmstadt hat Page eine kompakte Darmstädter Version mit den BestOff- Stücken der zuvor in Düsseldorf gezeigten Ausstellung entwickelt. Es sei „ein Potpourri mit vielen Impressionen von Malerei, Skulpturen, Fotografie, Werbung bis hin zu Installationen, also für jeden Geschmack etwas dabei. Das mache diese Ausstellung so charmant“, freut sich Dr. Oliver Sandrock. „Wir definieren Horror“, denn es „waren Menschen, die dem Teufel eine Gestalt gegeben haben.“, Man glaube heutzutage nicht mehr an den Teufel, weil man wisse: „Das wahre Böse sind wir!“
Ausstellungs-Schwerpunkt Goth- u. Popkultur
Der Schwerpunkt der Ausstellung, so Page, liege auf den aktuellen Motiven unserer Zeit mit Arbeiten der letzten zwanzig Jahre von Künstlern wie Alexander McQueen, den Chapman Brothers, Billie Eilish, Lars von Trier, Berlinde de Bruyckere, Mary Sibande und vielen anderen. Death Metal und die blutgefüllten Turnschuhe von MSCHF treffen auf Beiträge von Andres Serrano und Eliza Douglas. Sie alle rufen mit ihren Werken ambivalente Gefühle von Angst, Unbehagen, aber auch stimulierende Begeisterung mit kommerziellem sowie identitätsstiftendem Potential hervor, wie die rasante Entwicklung der monsteraffizierten Goth-Bewegung zeigt.
Prolog – Horror und Schaudern in der Kunstgeschichte
Der Prolog, der erste Teil der Ausstellung, mit dem Titel „Die Schönheit der Finsternis“, sei ihr sehr wichtig, so Page, um die Wurzeln der künstlerischen Auseinandersetzung mit Horror und Schaudern in der älteren Kunstgeschichte zu zeigen. Gemälde und Stiche von Albrecht Dürer, Wilhelm von Schadow, Johann Heinrich Füssli, Max Klinger, Arnold Böcklin, Baldung Griens und anderen bekannten Künstlern sowie ein reichlich verzierter historischer Sarg, eine Totenmaske, Totentanz-Figuren sowie die auf ihre Opfer lauernden expressiven Gestalten der ersten Horrorfilme zu Beginn des 20. Jahrhunderts führen die Besucher ins Thema ein und zeigen die künstlerischer Herkunft vieler Horror- und Gruselmotive moderner Goth- und Metal-Kultur.
Empfangen werden die Besucher vom Teufel in Friedrich Wilhelm von Schadows Werk „Hölle“. Es handelt sich hierbei um eine der monumentalen Tafeln seines letztem Hauptwerkes „Purgatorium – Paradies – Hölle“ (1848 – 1852), das er – im gerade von den Preußen annektiertem Rheinland – für den Neubau des Landgerichts Düsseldorf anfertigen sollte. Da seine Kräfte nachließen, vollendeten das Bild seine Schüler. Von Schadows Höllenfürst erscheint hier nicht wie in den gängigen Satansdarstellungen seiner Zeit als verschlagener vollhaariger Dämon mit Hufen. Sein Höllenfürst schaut erhaben, beinahe heroisch, an Helden erinnernd. Er ist so ganz anders als in Dantes Alighieris Göttlicher Komödie, von Schadows literarischer Vorlage zu diesem Werk.
Gleich zu Beginn, linkerhand in einer kleinen länglichen Wandvitrine zu sehen, wartet die Ausstellung mit einem besonderen Highlight spätmittelalterlicher Todesvorstellungen auf, mit Anton Sohns farbigen „Terrakotta-Figurenfolge „Zizenhausener Totentanz – Kaiserin, Narr, Papst und Dame“. Die um 1822 entstandenen vier Figurenpaare gehen zurück auf eine 60 Meter lange – auch als „Danse Macabre“ bekannte – Bemalung einer Baseler Friedhofsmauer von 1440. Sie zählt zu einer den einflussreichsten Darstellungen des Totentanzes. Matthäus Merian d.Ä. hatte dieses allmählich bröckelnde Friedhofsgemälde in einem Kupferstich gesichert. Nach dieser Vorlage hat Anton Sohn vor gut 200 Jahren diese Figuren modellierte. Sie symbolisieren den Tod als großen gesellschaftlichen „Gleichmacher“, der – ohne Ansehen auf Rang und Titel – jeden früher oder später umarmt. Hier tanzt der Knochenmann mit Kaiserin, Narr, Papst und Dame.
Eine Fülle makabrer Darstellungen früherer Zeiten finden Besucher auch auf den zahlreichen historischen Stichen, beispielsweis bei Albrecht Dürer, in seinen apokalyptischen Darstellungen von 1498: „Michaels Kampf mit dem Drachen“ und „Das Sonnenweib mit dem siebenköpfigen Drachen“. Mit solcherart Motiven wurden einst die Menschen angesichts des nahenden Weltunterganges zu mehr Gottesfürchtigkeit ermahnt, um eventuell einer ewigen Verdammnis zu entgehen. Auch vertreten ist Dürers berühmter Kupferstich „Der Reiter – Tod und Teufel“ von 1513. Der Werk zeigt einen einsamen Ritter auf steinigem Weg, nur begleitet von den zwei unheimlichen Gestalten Tod und Teufel.
Hans Baldung Griens Holzschnitt greift mit „Hexensabbat“ 1510 ein allseits beliebtes Thema aus dem Spektrum der Hexenverfolgung auf. Gezeigt wird die Umkehrung einer heiligen Messe, eine Versammlung nackter Hexen, umgeben von Menschen- und Tierknochen, die den Teufel verehren. Mit derartigen Schmäh-Bildern wurde in der Bevölkerung entsprechend Stimmung gemacht.
Ganz im Stile der Schwarzen Romantik lässt Max Klingers Stich „Der Tod als Pflasterer“ (1889) breitbeinig ein Skelett über den Köpfen der Menschen stehen und erbarmungslos eine Ramme auf ihre Schädel niedersausen. Haut und Haare sind verzerrt. Und aus den zermatschten Menschenhirnen steigt Rauch (ihre Seelen) gen Himmel. In „Die Cholera“ von Arnold Böcklins um 1876, metzelt der auf einem ungeheuerlichen Drachenwesen reitende Tod die Menschen mit einer Sense nieder.
In dieser Zeit hatte auch der schweizerisch-englische Maler Johann Heinrich Füssli, Meister der Darstellung psychischer Abgründe, Hochkonjunktur. Er ist in der Ausstellung vertreten mit dem bösartig-voyeuristischem Grusel-Gemälde „Wolfram beobachtet seine Gemahlin in der Kerkerzelle“ (1812/20). Die Szene handelt von Wolframs bestialischer Rache an seiner Ehefrau für ihren Seitensprung. Der zutiefst gekränkte Wolfram ermordete zunächst ihren Geliebten und anschließend sperrte er seine treulose Frau mit der Leiche ihres Liebhabers ein, dargestellt, wie sie sein Skelett umarmt.
Anfänge des Horrorfilms
Einen Übergang zu den neuzeitlichen Ausstellungsabschnitten bildet der Videoinstallationsbereich über die Entstehung des Horrorfilms. Zu Beginn des Mediums drehte der Franzose George Méliès 1896 den ersten Horrorfilm „Das Schloss des Teufels“. Entscheidend für die Entwicklung des Horrors im Kino waren aber die 1920er Jahre, etwa mit dem Film „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1920). In diesem meisterhaften ersten Psychothriller überhaupt, geht es um Wahrnehmungstäuschungen, kognitive Verzerrungen, Traumwelten und krankhafte Geisteszustände, wobei nicht aufgelöst wird, wer nun irre und wer „normal“ ist. Als weiterer Meilenstein des Horror-Genres gilt „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau. Es ist der erste Draculafilm, basierend Bram Stokers Roman. Dieser Film war vor allem durch seine äußerst gespenstische Hauptfigur bahnbrechend für die weitere Entwicklung dieses Genre.
Aus Monstern wurden Sympathieträger des modernen Horrors
Westrey Page sieht zwischen den „Bildern“ des Horrors der Vergangenheit und Gegenwart einen gravierenden Unterschied: Während die Teufel und Dämonen von einst überwiegend fiese und wenig sympathische Figuren waren, wäre es heutzutage genau umgekehrt: „In unserer Zeit sind es genau diese Outsider, die Monster, die Sympathieträger sind, weil sie eben diese besondere Individualität des selbst-ermächtigten Andersseins ausstrahlten.“ Rick Genest, auch „Zombie Boy“ genannt, gehört wohl zur Gruppe der sympathischen Antihelden, beziehungsweise zu den „Außenseitern“, die Standpunkte außerhalb der Norm verkörpern, was sie attraktiv erscheinen lässt. Raumhoch erschaudert Ricks furchteinflößende Erscheinung „Normalos“ im Raum der Moderne des Horrors mit dem Titel „Widerstand und Identität“. Rick war ein kanadischer Performer und Künstler, auf dessen gesamten Körper ein Skelett tätowiert war.
Diese „Ganzkörpertätowierung“, so die Kuratorin, „verkörpere die Ästhetik einer verwesenden Leiche“. 2011 entdeckte Lady Gaga Rick als „Zombie Boy“für ihr Musikvideo Bron This Way. Im selben Jahr machte das Modelabel Mugler „Zombie Boy“ zum Gesicht der Werbekampagne, was einmal mehr zeigt das große Interesse der Mainstream-Kultur an einer dunklen, alternativen Ästhetik, aber auch an der Inspiration, die viele aus Zombie-Boys Überzeugung zogen: „Normalität ist eine Illusion“.
Drei weitere Portäts von Outside- Sympathieträgern der Goth-Kultur, aufgenommen beim Goth-Treffen in Leipzig, strahlen links von Rick Besuchern entgegen.
Die morbide Mode der Gothic-Szene
In einer Langvitrine verbreitet eine Goth-Kleiderkollektion den düster-schwarzen Dresscode-Charme einer ganzen Szene. Gerade in Gesellschaften, die Vernunft, Zurückhaltung und lebensbejahende Einstellungen fördern, gelten theatralische, übermäßige und makabre Kleidungselemente als rebellisch und identitätsstiftend. Die aus dem konservativen England 1980 hervorgehende Goth-Szene legte den Grundstein für eine Ästhetik des Grauens. Diese Subkultur, so Page, hat eben den gängigen Schönheitswahn abgelehnt, um eine Ästhetik zu behaupten, die eben exzessiv, künstlich und morbide war. Diese war beeinflusst von der gotischen Literatur und der viktorianischen Trauerkultur. Schwarze Kleidung, blasses Make-up sowie morbide Themen sind bis heute ihr Markenzeichen, erläutert die Kuratorin am Beispiel von Commes des Garcons Hexen-Look 14, aus der Frühjahrskollektion 2016. In Blau- und Grautönen habe sich die japanische Designerin des Hexenthemas angenommen. Hexe seien für des Garcons Frauen mit Macht, die aufgrund ihres Andersseins – vor allem in der Neuzeit – missverstanden und verfolgt wurden. Sie habe sich den Monsterfiguren Hexe angenommen, weil diese ähnlich wie Zombies und Vampire, die ihr Anderssein lebten, eigentlich Empowering- Figuren seien, erläutert die Kuratorin.
Schwarze Kleidung und blasses Make-up, Markenzeichen der Goth-Ikonen, werden erweitert um Elemente aus Fantasy, Pop und Sportswear. Im Gegenzug halten Anregungen aus der Goth-Subkultur in die High Fashion Einzug: Alexander McQueen hat seine Kollektionen mit Narrativen von Trauma und Mysterium angereichert, Rick Owens und Rei Kawakubo haben die klassische Silhouette mit fremden, fast monströsen Anhängseln versehen und John Galliano sowie Jean Paul Gaultier haben den dunklen Glamour historischer Designs zum Vorschein gebracht. Junge (Mode-)Designer wie MSCHF, Fantich & Young und Thom Browne finden in der Auseinandersetzung mit der Bildwelt des Horrors neue Wege, um zu rebellieren. Die Ablehnung von gängigen ästhetischen Normen ist zum Mainstream geworden.
Gegenüber der Grufti-Bekleidungs-Vitrine sind die Accessoires einiger der genannten Designer zu besichtigen. Besonders hervorhebenswert sind vielleicht zwei bizarre Schmuckstücke von McQueen, der den stilisierten Totenkopf zu seinem Markenzeichen erkor.
McQueen habe wohl mal gesagt, so Page, dass er mit seiner Totenkopf-Halskette für Frauen wollte, „dass Menschen Angst vor den Frauen haben, die er kleidet“. Und eine Person, die Angst verursachen kann, habe Macht. Dieser Aspekt gehört zur Monsterdynamik, dass sich Menschen durch Anlegen von Monster-Accessoirs sichtbarer machen und zum Anderssein selbst ermächtigen können. McQueen hilft ihnen mit seinen speziellen Asseccoires, sich als Outsider von der normativen Gesellschaft besser abgrenzen und hieraus identitätsstiftende Kraft schöpfen zu können.
Einmal vom jährlichen Halloween-Trubel abgesehen, reicht die Angebotspalette alltäglichen „Monster-“ und „Grusel-Designs“ bis hin zum Spielzeug für den Monster-Nachwuchs. Die Kleinen können mit Barbie-ähnlichen Puppen wie „Draculara“ oder „Frankie Stein“ aus der Monster-High-Serie von Mattel spielen. Diese Figruen verkörpern Nachkommen von bekannten Ungeheuern wie Dracula und Frankenstein oder von Mumien und Werwölfen. Als Inspirationen dienten den Spielzeugherstellern vor allem Horrorfilme und Gruselliteratur. Diese Spielzeugkollektionen mit Gruseleffekt wurden zu Verkaufshits, getreu dem Motto: „Sei du selbst, sei einzigartig, werde ein Monster und fange so früh, wie möglich damit an!“.
Musik der Goth-Kultur
Der dritte Ausstellungsabschnitt „Subversion und Macht“ gibt anhand einer recht vollständigen Zusammenstellung von Schallplattenhüllen Einblicke darüber, wie ab dem späten 20. Jahrhundert verschiedene Musikgenres die unterschiedlichsten Motive und Aspekte des Horrors als grundlegende Stilelemente ihrer Musik verwendeten. Die wichtigsten Bands der Geschichte des Metal und der Gothic-Musik sind vertreten. Während Metal und Rock, die einst mit Tod und Goth-Kultur assoziiert wurden, Elemente aus Pop und Hip-Hop übernehmen, verleihen sich Hiphop Künstler wie Lil Nas X und Sängerin Billie Eilish durch die Verwendung einer Ästhetik des Schreckens ein neues Image. Die prägenden Cover-Darstellungen, unter anderem von Don Bräutigam (Metallica), Larry Carrel (Slayer), Derek Riggs (Iron Malden) und Michael Whelan (Sepultura), dominieren weiterhin den Bildkanon der Covergestaltung mit: mysteriösen Landschaften, Fabelwesen, dunklem Mittelalter, Blut und esoterischen Symbolen.
Gruselige Filme
Der nächste Ausstellungs-Abschnitt baut auf, an die im Prolog thematisierte cineastische Entwicklung des Horrorfilms à la „Dr. Caligari“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts. An einer an Leuchtreklame erinnernden Wand sind die Plakate legendärer Grusel- und Horrorfilme versammelt wie etwa „Tanz der Vampire“, „Rosemaries Baby„, „Der Exorzist“,. „Basic Instinct“, „The Shining“ oder „Das Schweigen der Lämmer“. Auch Zombies wie in Serien a la »The Walking Dead« haben ihren Platz gefunden. Mehr als Hintergrundfolie gedacht, wollen sie den Menschen in überhöhter Weise ein wenig augenzwinkernd den Spiegel der “ Bestie in ihnen“ vorhalten.
Im Bereich Film, so die Kuratorin, gäbe es sehr viele unterschiedliche Interpretationen von Monstern, nicht nur die schaurigen Figuren, sondern auch sexy Figuren, wie etwa aus der Twilight-Serie (Biss zum Morgengrauen). Aber es gäbe auch Francis Dracula und Vampire, die durchaus witzig sein könnten wie etwa in „What We Do in the Shadows“, eine Serie, die eine WG von Vampiren thematisiert, so Page. Man sehe, dass ein sehr vielfältiger Kanon von Horrorfiguren verwendet würden, um ganz unterschiedliche Zwecke zu bedienen. Es können Komödien sein, aber auch Filme, die auf Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft hinweisen, wie etwa Getout von Jordan Peele 2017, der den tiefverwurzelten Rassismus in den USA auf den Schirm gehoben habe, so die Kuratorin.
Der Horror in der Kunst
Im letzten Abschnitt der Ausstellung können Betrachter anhand bizarrer, mitunter witziger, aber auch abartig empfundener Positionen erleben, wie Künstler Schönheit und Ekel zusammengeführt haben. Es fängt relativ harmlos an mit den Positionen von Mary-Audres Ramirez und Eliza Douglas, die sich in ihren großflächig farbigen Arbeiten mit der Verbreitung, Kommerzialisierung und Darstellung dieses Kunst-Genres beschäftigen. Dabei spielt Eliza Douglas in ihren farbenstarken Werken mit der „Künstlichkeit im Gothic“ und „Bedeutungskonstruktion“. Ihre ausgestellten komponierten Gemälde seien entstanden, so Kuratorin Page, indem Douglas eigene T-Shirts von Metal-Bands, auf einer Tischplatte ausgebreitet, leicht in sich verdrehte und abfotografiert habe. Die Fotos ließ sie dann von einer Assistentin auf Leinwand abmalen, signierte diese mit ihren eigenen Namen.
Die luxemburgische Künstlerin Mary-Audrey Ramires ist mit zahlreichen bizarren aufblasbaren Horror-Skulpturen an Wänden und am Boden vertreten, die hummer- und skorpionähnlichen Wesen haben von Grunde her für uns Menschen wohl schon immer etwas Unheimliches und kommen, hier in überdimensionierter Größe, recht gruselig rüber. Das sollen sie auch, und uns dabei anregen, zu hinterfragen, was niedlich und skurril, Mensch- und Fremdsein oder Realität und Fiktion sei. Zugleich sollen sie demonstrieren, auf welche Art und Weise unheimliche Welten in der Popkultur verstanden und verwendet werden. Letztlich entscheidet der Betrachter, wie alles auf ihn wirkt.
„Humorvoll sterben“, könnte das Motto der Selbsttötungsmaschine von Via Lewandowskys lauten , die er aus Haushaltsgegenständen gefertigt hatte. Sie macht den potenziellen, überall lauernden Tod auf absurde Weise „greifbar“. Ihre Funktion wurde noch nicht getestet, aber die Vorstellung ist wohl viel spannender, vor allem da wiederholbar. Mit solcher Art Nonsens-Installation wird dem in westlichen Gesellschaften als Tabuthema geltenden Tod erfolgreich die Leichtigkeit der Komik entgegengesetzt.
Realer Horror und Abjektionen
Mit morbider Heiterkeit ist spätestens Schluss bei einigen Positionen gegen Ende der Ausstellung, in der wahrer Horror als politische Anklage gezeigt wird. Wahrer Horror fasziniert nicht. Er ist abstoßend. Anders als die bisherigen Darstellungen fiktionalen Grauens in Meisterwerken der Kunstgeschichte und der Goth- und Popkultur, beruhen die politisch deklarierten Positionen der Ausstellung auf realem Grauen echter Menschen. Etwa prangerte der britische Künstler Mat Collishawse in der 2010 entstandenen Fotoserie „Letzte Mahlzeit im Todestrakt“ mit ähnlich sorgfältig komponierten Stillleben wie man sie aus dem 17. Jahrhundert kennt, die Todesstrafe in den USA an.
An anderer Stelle erinnern Original-Blutspuren auf schmutzigen Fliesen-Boden aus Mexiko, auf dem die Leiche des bei einem Raubüberfall ermordeten Künstlers Luis Miguel Suro fiel, an das sinnlose Morden dieser Region. Mit ihrer Position „32 Jahre“ von 2006 klagt die Freundin des Ermordeten Teres Margolles die ungezügelte Gewalt-Kriminalität in Mexiko an.
Nicht mehr lustig ist auch die Position „Alles hat seine Zeit“: Auf zwei wandhohen identisch erscheinenden Fotos sitzen vor einer Art gotischem Buntglasfenster je eine weiß gekleidete und mit roten Eingeweiden übergossene Frau mit Strick um den Hals. Damit will die Künstlerin Mary Sibandes unter anderem auf die generationsübergreifenden Traumata und gespaltenen Identitäten infolge fortbestehender wachsender Ungleichheit nach der Apartheid Südafrikas.
King Cobra – Rotes Gestell der Geschändeten und Unwilligen“
Wohl am schockierendsten ist Doreen Garners 2018 entstandene Kunstinstallation „King Cobra – Rotes Gestell der Geschändeten und Unwilligen“. Doreen Garner ist eine amerikanische Künstlerin, die sich mit Medizingeschichte auseinandersetzt, und in diesem Fall vor allem mit der Geschichte von dem berühmt-berüchtigten US-Arzt James Marion Sims. Dieser hatte, so Kuratorin Page, „im 19. Jahrhundert brutalste gynäkologische Experimente an schwarzen versklavten Frauen ausgeübt, und zwar ohne Betäubung, weil er der Meinung war, dass schwarze Frauen kein Schmerz empfinden könnten“. Dieser Arzt sei teilweise heute noch anerkannt als der Vater der modernen Gynäkologie. Doreen Garner hat diese Arbeit „King Cobra“ geschaffen, um auf diese grausamen, perversen Experimente aufmerksam zu machen und den Arzt James Marion Sims posthum vom Sockel zu stoßen. In ihrem Kunstwerk „King Cobra“ spiegeln sich die an den Frauen begangenen bestialischen Grausamkeiten in künstlerisch nachempfundenen zusammengenähten „Fleischpaketen“ wider. Immer wieder sieht man Teil von Rippen, Brüsten usw, die mit Fleischerhaken wie in einer Metzgerei aufgehängt sind und von Neoröhren angestrahlt werden. Die Oberfläche der Körperteile hat Doreen Garner mit Perlen geschmückt und mit Nadeln gespickt, vielleicht als eine Geste rückwirkender Wertschätzung, spekuliert die Kuratorin.
Man könne an „King Cobra“ nicht vorbeischauen, so Page. Und was vielleicht, wer es weiß, noch schockierender ist: Der private Leihgeber hatte dieses Kunstwerk in seinem Esszimmer aufgestellt, worin er und seine beiden Kinder, drei und fünf Jahre alt, täglich verkehrten. Laut Auskunft des Leihgebers hätten die vermeintlichen Körperteilen seine Kinder gar nicht interessiert. In ihrem Fokus lagen allein die glitzernden Perlen.
Man sieht also wohl nur, was man weiß. So betrachtet, liegt der größte Schrecken wohl letztlich im Auge des Betrachters.
(Dokumentation: Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
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