Open Books: „Uns geht es um Frankfurt als Buch- und Literaturstadt“ Sonja Vandenrath, die Leiterin des städtischen Literaturreferates, im Interview

Literatur im Römer, etwa 1985, © Institut für Stadtgeschichte, Bestand S7FR Nr. 3602, Foto: Georg Kumpfmüller
Literatur im Römer, etwa 1985, © Institut für Stadtgeschichte, Bestand S7FR Nr. 3602, Foto: Georg Kumpfmüller

ffm. Sonja Vandenrath arbeitet seit 2006 im Frankfurter Kulturamt und leitet dort seit 2013 das Literaturreferat. In dieser Eigenschaft organisiert sie mit einem vierköpfigen Team „Open Books“, das Lesefest zur Frankfurter Buchmesse, die dieses Jahr ihren 75. Geburtstag begeht. Im Gespräch mit Ulf Baier schildert sie Hintergründe und Entwicklungsgeschichte dieses großen Festivals.

Frau Dr. Vandenrath, lassen Sie uns im Jubiläumsjahr der Buchmesse kurz zurückblicken. Wie ist es dazu gekommen, dass die Stadt einen eigenen Beitrag leistet?

SONJA VANDENRATH: Das begann Mitte der 70er Jahre. Die Idee war so einfach wie schlüssig: Die großartigen Autorinnen und Autoren, die aus der ganzen Welt nach Frankfurt zur Buchmesse kommen, abends in der Stadt lesen zu lassen. Schon damals ging es darum, die eher spröde Wasserglas-Lesung in ein mehrdimensionales Erlebnis zu verwandeln, das Event avant la lettre sozusagen. Bestes Beispiel ist unter der Ägide von Hilmar Hoffmann entstandene Idee eines „Literatur-Circus“, der in den Römerhallen stattfand. Aus diesem Format wurde dann „Literatur im Römer“, die Keimzelle von OPEN BOOKS.

Aber „Literatur im Römer“ gibt es doch weiterhin. Das müssen Sie uns kurz erklären.

VANDENRATH: Richtig. „Literatur im Römer“ ist die erste literarische Großveranstaltung Deutschlands. Kult beim Publikum und bei den Autorinnen und Autoren sowieso. Die Leute sitzen zwei Stunden bester Laune auf harten Apfelweinbänken, um an einem Abend acht neue Romane vorgestellt zu bekommen. Ich kann nur sagen: Chapeau! In diesem Jahr findet erstmalig „Debüts im Römer“ im gleichen Format statt, kurze Auftritte auf großer Bühne in der Römerhalle. Eines der acht Erstlingswerke, die wir an dem Abend vorstellen, nämlich „Vatermal“ von Necati Öziri, steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Wie kam es dann zu OPEN BOOKS?

Portraitfoto von Sonja Vandenrath, © Foto: Alexander Paul Englert
Portraitfoto von Sonja Vandenrath, © Foto: Alexander Paul Englert

VANDENRATH: OPEN BOOKS haben wir gestartet als der Suhrkamp Verlag erklärte, nach Berlin zu ziehen. Die hiesigen Verlage waren schon vor 2009 mit dem Wunsch an die Stadt herangetreten, so etwas wie „Leipzig liest“, das parallel zur Leipziger Buchmesse stattfindet, auch in Frankfurt zu veranstalten. Nach der Suhrkamp-Causa habe ich mich dann hingesetzt und mir ein Lesefest zur Buchmesse rund um den Römer ausgedacht. Eine DIN-A4-Seite, das war‘s. Es sollte viel Frankfurt drin sein, Bücher aller Sparten umfassen und hochprofessionell in Planung und Durchführung. Ein Lesefest der kurze Wege, in dem sich jede und jeder ganz nach Gusto sein eigenes Programm zusammenstellen kann. Unsere Aufgabe als Orga-Team ist bis heute, die Qualität jeder Veranstaltung zu garantieren. Daran hängt die Bereitschaft der Verlage, ihre Autorinnen und Autoren bei uns zu präsentieren.

Was ist das Besondere an OPEN BOOKS?

VANDENRATH: 115 Lesungen aus neuen Büchern an vier Tagen und das bei freiem Eintritt. Ein Programm, das einen Überblick über die neuen Titel des Herbstes bietet und zwar quer durch alle Sparten. Das reicht vom Roman des Jahres über das aktuelle Sachbuch bis zur Graphic Novel und dem Kinderbuch bei OPEN BOOKS Kids. Um etwas Struktur zu schaffen, haben wir die Sparten auf die Veranstaltungsorte aufgeteilt. So hat etwa das Sachbuch im Haus am Dom seinen festen Platz. Wir sind also ein Buchfest und kein Literaturfestival. Die Signiergelegenheit im Anschluss an die Lesung ermöglicht ein kurzes persönliches Gespräch mit den Autorinnen und Autoren, in diesem Jahr rund 150. Von den vielen Bücherverkäufen bei unseren Lesungen profitiert wiederum der unabhängige Buchhandel in Frankfurt, der die Büchertische stellt. Viel Win-win also.

Lassen Sie uns über das Frankfurt-Spezifische sprechen. Warum leistet die Stadt Frankfurt sich diesen Aufwand?

VANDENRATH: In Frankfurt, der Goethestadt, steckt viel Buch mit der internationalen Buchmesse als Markenkern, umrahmt vom Deutschen Buchpreis und dem Friedenspreis. Das weiß niemand besser als unsere Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig, die dafür einsteht. Aber auch an den 360 restlichen Tagen ist Frankfurt Buch- und Literaturstadt. Hier sind wichtige Verlage ansässig, leben großartige Autorinnen und Autoren und experimentiert eine tolle junge Literaturszene. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, als Schaltstelle des deutschen Buchmarktes, hat seinen Hauptsitz in der Braubachstraße, der Mediacampus bildet den buchhändlerischen Nachwuchs aus, die Deutsche Nationalbibliothek hütet und bewahrt unsere Bücher, es gibt die älteste Poetikdozentur und den ersten Stadtschreiberpreis und nicht zu vergessen, das großartige Romantikmuseum neben Goethes Geburtshaus. Ich finde den Begriff des Labors etwas abgehangen, aber irgendwie trifft er auf Frankfurt dann doch zu, weil diese Stadt wie ein verdichtetes literarisches Feld so viel Instanzen des Buchbetriebs auf engem Raum verbindet.

Das klingt zuerst einmal abstrakt. Könnten Sie das konkreter fassen?

VANDENRATH: Stimmt (lacht). Lassen Sie es mal so sagen: Wir glauben an die Zukunft des Buches und der Lesekultur, die im digitalen Zeitalter mehr denn je Orte und Räume für Begegnung und Austausch braucht. Die Frankfurter Buchmesse vereint dies alles in sich und das macht sie so zukunftsweisend. Was 1949 als bescheidene Bücherschau in der unter Hochdruck wiederaufgebauten Paulskirche begann, ist bis heute eine Erfolgsgeschichte ohne gleichen. Die Handels- und Bürgerstadt Frankfurt und die Buchmesse, das ist eine Wahlverwandtschaft. Die Kulturdezernentin bekennt sich in Reden und Statements klar zur Zukunft der Buchmesse und dies wieder sehr deutlich in diesem Jahr aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums. Das Lesefest OPEN BOOKS als Bühne für das Buch ist Teil dieses Bekenntnisses.

Das klingt nach sehr viel Erfolg. Die Medienbranche ist im Umbruch und die Digitalisierung in aller Munde. Wie sehen Sie die Zukunft des von Ihnen entwickelten Veranstaltungsformates?

VANDENRATH: OPEN BOOKS bietet viel Zeitdiagnose. Die Bücher verhandeln Gegenwart, ob mit literarischen Mitteln oder als Sachbuch. Das Publikum kann bei Lesungen und Diskussionen die Themen und Stoffe entdecken, die den Buchherbst bestimmen. Was mich sehr freut, ist, dass wir vermehrt ein junges Publikum erreichen, das auch mal auf dem Boden sitzt, wenn die Räume zu voll sind.

Wie finden denn die Leute das, was sie interessiert und wer kommt so?

VANDENRATH: Wir haben ein Programmfaltblatt, das überall ausliegt, und natürlich unsere Website openbooks-frankfurt.de. Am Anfang von OPEN BOOKS haben die Leute häufig mal hier mal dort reingehört und sich überraschen lassen. Inzwischen zupfen sie sich gezielt die Titel aus dem Programm, die sie besonders interessieren. Immer mehr Leute kommen auch von außerhalb Frankfurts, natürlich aus der gesamten Rhein-Main-Region, aber auch von weiter her, um sich dann gleich einen schönen Frankfurt-Tag zu machen. Heute rief jemand sogar aus London an, was jetzt allerdings nicht so oft vorkommt (lacht). Wenn ich mir das große Publikumsinteresse an OPEN BOOKS anschaue, die vollen Säle, die Schlangen vor den Signiertischen, der Trubel zwischen den Lesungen und die vibrierende Atmosphäre insgesamt, dann ist mir um die Buchkultur nicht bange. Oder um Jochen Hörisch zu zitieren, „Die Gutenberg Galaxie hört nicht auf zu enden“.

Interview: Ulf Baier

Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen von Open Books 2023 gibt es online unter openbooks-frankfurt.de