„Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?“ Sebastião Salgado mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019 in der Paulskirche ausgezeichnet

(v.li.) Heinrich Riethmüller vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Peter Feldmann, Sebastião Salgado, Ehefrau Lélia Wanick Salgado. Ohne Lélia gäbe es seine Projekte gar nicht. Lélia habe ihn, so  Salgado, aus seiner Depression als Folge jahrelanger Krisen- und Kriegs-Bildberichterstattung herausgeholt. Sie habe die neuen Projekte angestoßen, die Gründung seiner Fotoagentur und die Pflanzaktion. Sie habe mindestens genauso den Friedenspreis verdient. © Foto Stadt Frankfurt
(v.li.) Heinrich Riethmüller vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Peter Feldmann, Sebastião Salgado, Ehefrau Lélia Wanick Salgado. Ohne Lélia gäbe es seine Projekte gar nicht. Lélia habe ihn, so Salgado, aus seiner Depression als Folge jahrelanger Krisen- und Kriegs-Bildberichterstattung herausgeholt. Sie habe die neuen Projekte angestoßen, die Gründung seiner Fotoagentur und die Pflanzaktion. Sie habe mindestens genauso den Friedenspreis verdient. © Foto Stadt Frankfurt

Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado ist am 20. Oktober 2019, traditionall zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse, während eines Festaktes in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Unter den 700 geladenen Gästen aus Kultur, Politik und Wirtschaft befanden  sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die hessische Kunstministerin Angela Dorn und der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalens Armin Laschet. Die Laudatio hielt der deutsche Filmregisseur und Fotograf Wim Wenders.

„Wir dürfen den Blick nicht abwenden“ – Salgados Dankesrede 

In seiner Dankesrede sprach Sebastião Salgado von sich selbst als einem „Fotografen, der einen großen Teil seines Lebens dafür eingesetzt hat, Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben; einem Fotografen, der diese Menschen ins Zentrum eines großen fotografischen Essays stellt, den er vor fünfzig Jahren begonnen hat und bis heute weiterschreibt.“ Er sagte: „Meine Sprache ist das Licht. Denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt.“

Salgado stellte in seiner Rede die Menschen in den Vordergrund, deren Schicksal er während seines über fünfzigjährigen Schaffens dokumentiert hat: „Diese Männer, Frauen und Kinder gehören zu den Ärmsten der Menschheit. Sie bilden eine riesige Armee von Migranten und Verbannten, von ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern, von Opfern von Krieg und Genozid. Es sind die Betroffenen von Hungersnöten, Dürrezeiten, Klimawandel und Abholzung; es sind die, die durch die Gier mächtiger, habsüchtiger Männer von ihrem Land vertrieben wurden, die der Mechanisierung der Landwirtschaft weichen mussten, die durch die Konzentration von Grundbesitz, durch ungeplanten Städtewachstum und brutale Wirtschaftssysteme, die von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert werden, ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Mit ihnen möchte ich diesen Preis heute teilen. Ich nehme ihn nicht für mich an; ich nehme ihn für sie an; ich nehme ihn mit ihnen an.“

Der Blick auf Schrecken und Leid solle die Menschen aufrütteln, an einer besseren Zukunft zu arbeiten: „Meine einzige Hoffnung ist, dass wir, als Individuen und als Staaten, in der Lage sind, über den derzeitigen Stand der Menschheit zu reflektieren und zu verstehen, dass wir ein tieferes Gefühl für Verantwortung brauchen, eine neue Ordnung, ein gutes Gewissen. Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden. (…) Wir dürfen nicht verleugnen, was wir einander anzutun fähig sind, weil der Mensch immer des Menschen Wolf ist. Aber die Zukunft der Menschheit liegt in unseren eigenen Händen. Um eine andere Zukunft zu errichten, müssen wir die Gegenwart verstehen. Meine Fotos zeigen diese Gegenwart, und so schmerzhaft der Anblick ist, wir dürfen den Blick nicht abwenden.“ (Die Rede von Sebastião Salgado)

Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?

Wim Wenders begann seine Laudatio für Sebastião Salgado mit der provokanten Frage: „Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein? Kann die Photographie friedensfördernd sein?“, um zugleich Kritiker zu widerlegen. Suan Sonntag hatte beispielsweise Salgado 2014 vorgeworfen, dass er das aufgenommene Elend durch sein kunstvolles Schwarz-Weiß und seine Rahmensetzung stilisiere und so „konsumierbar“ mache. Regisseur Wenders, der mit Salgados Sohns 2014 in „Das Salz der Erde“ das Lebenswerk des zivilisationskritschen Fotografen Sebastião Salgado dokumentierte, unterstrich: „Sebastião Salgado schießt nicht, er stiehlt nicht, er stellt keine Fallen, im Gegenteil: seine Bilder entwaffnen, sie stiften Verbindung, Nähe und Empathie!“ (…)

„Schaut, was ihr noch erhalten könnt!“ lautet Salgados Bilderbotschaft
„Nur einer, der so mit anderen gelitten hat, der zu den Machtlosen, den Unterdrückten, Hungernden und Fliehenden gegangen ist, sie begleitet hat, ihnen Zeit geschenkt hat, ihnen zugehört und ihnen so eine Stimme gegeben hat, als ihr Botschafter, der sie auch mitunter überhöht hat, nicht damit ihr Leid „schöner aussieht“, wie manchmal der absurde und unsinnige Vorwurf lautet, sondern um ihnen gerade im Leid Achtung zu zollen, Würde und Einzigartigkeit zu verleihen … nur so einer kann uns auch die Augen aufmachen und sagen: „Schaut, was es noch alles gibt, was noch so ist wie am Anfang. Schaut, was Ihr noch erhalten könnt oder müßt, und was noch nicht für immer vergangen ist.“ So einem Blick kann man trauen, weil er was er gesehen hat, als Heilung geschenkt bekommen hat, Auge in Auge mit Menschen, die noch nie eine Kamera gesehen haben, Auge in Auge mit Tieren, Bäumen, Urwäldern, Wolken und Licht, Auge in Auge mit der Schöpfung.“, so Wenders.

Wenders würdigte Sebastião Salgado als Fotografen, der die Menschen habe „teilnehmend spüren lassen, was der große Feind des Friedens in unserer Zeit ist: der brutale Niedergang des Mitgefühls, der Mitverantwortung, des Gemeinsinns, des grundsätzlichen Willens zur Gleichheit des Menschengeschlechts.“ Bezugnehmend auf seine drei Werke „Arbeiter“, „Exodus“ und „Genesis“ sagte er: „Mit diesen drei monumentalen monolithischen Arbeiten allein hat uns dieser Mann die Bedingungen von Frieden vor Augen geführt: Es kann keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit, ohne Arbeit, geben, es kann keinen Frieden ohne Anerkennung der Menschenwürde geben, und ohne die Beendigung der unnötigen Zustände von Armut und Hunger, und es kann keinen Frieden geben, ohne dass wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten.“
(Die Laudatio von Wim Wenders)

Zum ersten Mal erhält ein Fotograf den Friedenspreis – von  Heinrich Riethmüller – 
Zum ersten Mal zeichne der Börsenverein einen Fotografen mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels aus – einen Fotografen, dessen subjektive Sichtweise eher mit der eines Literaten als eines Berichterstatters vergleichbar ist, griff Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, die im Raum stehende Frage auf, weswegen kein/e Schriftsteller/in in diesem Jahr ausgezeichnet wurde. Sebastião Salgado habe ohne zu skandalisieren oder einen nur beiläufigen Blick auf die Welt zu werfen, seine Reportagen immer lang als Projekte angelegt. „Er war Zeuge entsetzlicher Verbrechen und Zerstörungen. Er dokumentierte den Völkermord in Ruanda ebenso wie das Abfackeln der Ölfelder in Kuwait, er zeigt Menschen auf der Flucht vor Hunger und Krieg, vor Ausbeutung und Naturkatastrophen. Seine Bildersammlungen erzählen von einer Menschheit, die in der Moderne angekommen ist, die die Folgen der Globalisierung mit voller Wucht zu spüren bekommt, und die kurz davorsteht, sich selbst die Lebensgrundlagen zu nehmen. Sebastião Salgados Bilder richteten einen drängenden Appell an die Gesellschaft: „Sebastião Salgado zeigt uns die ganze Welt, die von der Zivilisation beschädigte, aber auch die von ihr noch unberührte. Seine Fotografien müssen Auftrag sein, uns für den Erhalt der Schöpfung einzusetzen, aufzuwachen und unseren Lebensstil radikal zu ändern. Nur dann werden wir vielleicht eine Chance haben, der nächsten Generation einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.“
(Das Grußwort von Heinrich Riethmüller).

Kein besserer „Friedenspreis-Ort“ als die Paulskirche – Grußwort Peter Feldmann

Oberbürgermeister Feldmann würdigt Friedenspreisträger Salgado als Mittler zwischen den Völkern, und unterstrich, dass für es für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels keinen würdigeren Ort als die Paulskirche, die Schmiede der deutschen Demokratie gäbe, in Frankfurt, in einer Stadt in der 180 Nationen mit 200 Sprachen friedlich zusammenleben, in einer Stadt, in den die Ideale wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit und Demokratie Selbstverständlichkeit seien. Die Paulskirch sei zudem der Ort, wo vor 70 Jahren die erste Buchmesse nach der Nazi-Zeit eröffnet wurde. Das gibt Hoffnung für jene, die sagen, angesichts von Krieg und Umweltzerstörung dürfe es keine Hoffnung mehr geben.
Wir Menschen brauchen solche Orte der Identifikation, der Geschichte, der Zusammenkunft. Nur an solchen besonderen Orten entstehen Dialoge und Debatten. Nur durch Debatten kann Streit beigelegt, kann gesellschaftlicher Fortschritt erzielt werden, so der Feldmann.

Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren unter anderem Albert Schweitzer, Astrid Lindgren, Václav Havel, Jürgen Habermas, Susan Sontag, Liao Yiwu, Navid Kermani, Margaret Atwood und im vergangenen Jahr Aleida und Jan Assmann. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.