Frankfurter Buchmesse 2017 war politisch wie nie – Ehrengast Frankreich und europäische Verständigung im Zentrum

Frankfurter Buchmesse 2017  mit Besucherrekord. Foto: Diether v. Goddenthow
Frankfurter Buchmesse 2017 mit Besucherrekord. Foto: Diether v. Goddenthow

Mit einem Besucherplus von 6,5 Prozent am Messewochenende und einem leichten Rückgang von 0,2 Prozent an den Fachbesuchertagen ist die Frankfurter Buchmesse 2017 am heutigen Sonntag zu Ende gegangen. 286.425 Besucherinnen und Besucher kamen zur Frankfurter Buchmesse, das entspricht einem Zuwachs von 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 7.300 Aussteller aus 102 Ländern nahmen in diesem Jahr teil. Insgesamt fanden in der Messewoche rund 4.000 Veranstaltungen statt. Das Literary Agents & Scouts Centre war mit 500 gebuchten Tischen, 788 Agenten und 321 Agenturen (davon 29 Neuaussteller) aus 30 Ländern erneut ausgebucht.

Angela Merkel. Foto: Diether v. Goddenthow
Angela Merkel. Foto: Diether v. Goddenthow

Bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron wurde ein starkes Zeichen für ein Europa der Kultur gesetzt. Zahlreiche Politiker, darunter die französische Kulturministerin Françoise Nyssen, die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters, die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles, der SPD-Vorsitzende Martin Schulz und der Präsident der Europäischen Linken Gregor Gysi, besuchten die Frankfurter Buchmesse. Überschattet wurde die Buchmesse durch Konfrontationen zwischen rechten und linken Gruppierungen.

Von Fans umringt: Udo Lindenberg am teNeues-Stand. Foto: Diether v. Goddenthow
Von Fans umringt: Udo Lindenberg am teNeues-Stand. Foto: Diether v. Goddenthow

„Auf der Frankfurter Buchmesse kommen an fünf Tagen mehr als 280.000 Besucherinnen und Besucher aus über 150 Ländern zusammen. Sie ist ein Ort, der von einer enormen Vielfalt an Meinungen lebt. Wir lehnen die politische Haltung und verlegerischen Aktivitäten der Neuen Rechten entschieden ab. Dennoch sind wir als Veranstalter der größten internationalen Messe für Bücher und Medien dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verpflichtet. Konflikte bleiben hier nicht aus. In diesem Jahr wurden wir Zeugen von Handgreiflichkeiten, die von der Polizei aufgelöst wurden. Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung verurteilen wir aufs Schärfste“, sagte Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse.

Grenzen der Toleranz - Wie viel Meinungsfreiheit halten wir aus?, hieß eine Talkrunde am Stand der Süddeutschen Zeitung mit (v.r.n.li.) Wolfgang Ferchl,Random House, Aleander Skipis, Hauptgeschäftsführer Börsenverein des deutschen Buchhandels, Boris Palmer, Tübinger Bürgermeister, Mitglied der Grünen, Autor von "Wir können nicht allen helfen",  und Moderatorin Franziska Augstein.  Foto: Diether v. Goddenthow
Grenzen der Toleranz – Wie viel Meinungsfreiheit halten wir aus?, hieß eine Talkrunde am Stand der Süddeutschen Zeitung mit (v.r.n.li.) Wolfgang Ferchl,Random House, Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer Börsenverein des deutschen Buchhandels, Boris Palmer, Tübinger Bürgermeister, Mitglied der Grünen, Autor von „Wir können nicht allen helfen“, und Moderatorin Franziska Augstein. Foto: Diether v. Goddenthow

„Unsere Gesellschaft steht vor großen Fragen und Herausforderungen – das war auch auf der diesjährigen Buchmesse spürbar. Gerade jetzt sind Verlage und Buchhandlungen gefragt, um Debatten anzuregen, den Dialog und die politische Auseinandersetzung zu fördern.

Der türkische Investigativjournalist Ahmet Sik erhielt den Raif Badawi Award. Er soll an den saudischen Blogger Raif Badawi erinnern, der wegen seiner islamkritischen Texte zu 1000 Peitschenhieben und 10 Jahren Haft verurteilt wurde. v.li.: Şiks Anwalt Can Atalay, Raif Badawis Ehefrau Ensaf und HaidarBundesinnenminister Gerhard Baum. Die Auszeichnung wird von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit verliehen. Foto: Diether v. Goddenthow
Der türkische Investigativjournalist Ahmet Sik erhielt den Raif Badawi Award. Er soll an den saudischen Blogger Raif Badawi erinnern, der wegen seiner islamkritischen Texte zu 1000 Peitschenhieben und 10 Jahren Haft verurteilt wurde. v.li.: Şiks Anwalt Can Atalay, Raif Badawis Ehefrau Ensaf Haidar und Bundesinnenminister a.D. Gerhard Baum. Die Auszeichnung wird von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit verliehen. Foto: Diether v. Goddenthow

In den vergangenen Tagen hat sich die Buchbranche lebendig und vielfältig gezeigt und einen starken Appell für Meinungsfreiheit und Pluralismus, für eine offene und tolerante Gesellschaft von Frankfurt aus in die Welt gesendet“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Gast bei der Preisverleihung war der türkische, inzwischen in Deutschland lebende Journalist Can Dündar.Foto: Diether v. Goddenthow
Gast bei der Preisverleihung war der türkische, inzwischen in Deutschland lebende Journalist Can Dündar.Foto: Diether v. Goddenthow

Der frühere Bundesinnenminister Gerhard Baum unterstrich bei der Verleihung des Raif Badawie-Preises in seiner Laudatio auf den Preisträger Ahmet Şik  das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit: Ohne Meinungsfreiheit sei eine Demokratie zum Sterben verurteilt sei: „Wir können nicht an alle denken, die im Gefängnis sitzen, aber wir müssen exemplarisch an einige denken – und zeigen, dass uns ihr Schicksal nicht gleichgültig ist.“ Ahmet Siks Buch „Die Armee des Imam“ über die Gülen-Bewegung galt in der Türkei als „das gefährlichste Buch des Landes“.

Der lichtdurchflutete, durch Kiefnerholzregalelemente in Themengebiete untergliederte Ehrengast-Pavillon lockte mit Lesungen, Ausstellungen, Attraktionen wie eine Gutenberg-Druckpresse Tausende Besucher an. Foto: Diether v. Goddenthow
Der lichtdurchflutete, durch Kiefnerholzregalelemente in Themengebiete untergliederte Ehrengast-Pavillon lockte mit Lesungen, Ausstellungen, Attraktionen wie eine Gutenberg-Druckpresse Tausende Besucher an. Foto: Diether v. Goddenthow

Ein Höhepunkt der Frankfurter Buchmesse 2017 war der Ehrengastauftritt Frankreichs. „Francfort en Français“ war das wichtigste und größte Kulturprojekt, das Frankreich jemals mit Partnern in Deutschland umgesetzt hat.

Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron warb bei der Eröffnung der Buchmesse für seine Visionen eines erneuteren Europas. Foto: Diether v. Goddenthow
Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron warb bei der Eröffnung der Buchmesse für seine Visionen eines erneuteren Europas. Foto: Diether v. Goddenthow

Es beruhte auf der engen deutsch-französischen Freundschaft und lebte von der Vision, gemeinsam ein Europa des Geistes, der Literatur und der Kultur zu schaffen. 180 französischsprachige Autorinnen und Autoren trafen bei rund 350 Veranstaltungen auf der Frankfurter Buchmesse und in der Stadt ihre Leser. Tausende Besucherinnen und Besucher haben in den letzten Tagen den französischen Pavillon mit seiner kunstvollen Holzkonstruktion besichtigt und mit Leben gefüllt.

Autorin und PEN-Präsidiumsmitglied Tanja Kinkel (li.) diskutierte mit deutschen und französischen Schülern über die Bedeutung von Meinungsfreiheit. Zweisprachige Moderation Thomas Koch (Mitte). Foto: Diether v. Goddenthow
Autorin und PEN-Präsidiumsmitglied Tanja Kinkel (li.) diskutierte mit deutschen und französischen Schülern über die Bedeutung von Meinungsfreiheit. Zweisprachige Moderation Thomas Koch (Mitte). Foto: Diether v. Goddenthow

Ein Höhepunkt im vielfältigen Programmangebot des Azubistro war die Podiumsdiskussion „Meinungsfreiheit und Diskussionskulturbei Jugendlichen in Europa“, moderiert von Thomas Koch, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. Autorin und PEN-Präsidiumsmitglied Tanja Kinkel kam mit deutschen und französischen Jugendlichen des deutsch-französischen Jugendcamps über die Meinungsfreiheit „Du hast das Wort – Tu as la parole“ ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass weder in deutschen noch französischen Schulen die Lehrer „Meinungsfreiheit“ kaum zum Thema machten, allenfalls die Schüler untereinander die Bedeutung von Meinungsfreiheit diskutierten, etwa an der Elysées Schule Paris nach den islamistischen Anschlägen auf des Satireblatt „Charlie Hebdo“. Fazit: Meinungsfreiheit ist  nichts Selbstverständliches, sie ist heute mehr gefährdet denn je, und muss als ein Menschenrecht  verteidigt werden.

Femme fatale

v.r.n.li.:Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau ,Maria Furtwängler, Cécile Calla, Rüdiger Suchsland und Barbara Vinken im lustvollen Talk über eines der ältesten Themen der Welt. Foto: Diether v. Goddenthow
v.r.n.li.:Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau ,Maria Furtwängler, Cécile Calla, Rüdiger Suchsland und Barbara Vinken im lustvollen Talk über eines der ältesten Themen der Welt. Foto: Diether v. Goddenthow

Zwar ein wenig augenzwinkernd, aber immer noch ein Aufreger-Thema, diskutierten Maria Furtwängler, Rüdiger Suchsland, Cécile Calla und Barbara Vinken über die Bilder und Waffen „der“ deutschen und französischen Frau: „Femme fatale: Erotisch, lässig, selbstbestimmt – Frauenbilder in Frankreich und Deutschland. Wo sind die fröhlichen Feministinnen?“, hieß es provokativ.

Das Lesezelt bis auf den letzten Platz mit - zumeist - fröhlichen Feministinnen belegt. Foto: Diether v. Goddenthow
Das Lesezelt bis auf den letzten Platz mit – zumeist – fröhlichen Feministinnen belegt. Foto: Diether v. Goddenthow

Moderiert wurde das Gespräch von Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, und Feministin und Karl May-Liebhaberin. Maria Furtwängler brachte schließlich das Fazit auf den Punkt: „Französinnen dürfen vielleicht ein wenig sinnlicher und verwegener sein als deutsche Frauen!“.

Verleihung des Deutschen Selfpublishing-Preises

Erster Deutscher eBook-Award auf der Bühne von "Buchkunst". Foto: Diether v. Goddenthow
Erster Deutscher eBook-Award auf der Bühne von „Buchkunst“. Foto: Diether v. Goddenthow

Die MVB und der Selfpublisher-Verband verleihen erstmals den Deutschen Selfpublishing-Preis #dspp17. Zur Jury gehören unter anderem Jochen Wegner (Chefredakteur Zeit Online), Robert Duchstein (Geschäftsführer der Buchhandlung Reuffel), Nina George (Autorin) und Florian Geuppert (CEO Digital Content Group by Holtzbrinck). Zusätzlich wird der Träger des Publikumspreises bekanntgegeben. Moderatoren: Matthias Matting (Selfpublisher-Verband), Sandra Schüssel (MVB).

Robert Menasse, Deutscher Buchpreis 2017, auf dem blauen Sofa der ZDF-Bühne. Menasses ironischer Gesellschaftsroman mit Krimi-Elementen spielt in Brüssel. Er durchleuchtet die EU-Bürokratie und entwirft am Beispiel zahlreicher Figuren und Erzählstränge ein schillerndes Panorama der europäischen Eliten, wobei eine Sau, alle Figuren miteinander verknüpft und zugleich als Metapher dient. Foto: Diether v. Goddenthow
Robert Menasse, Deutscher Buchpreis 2017, auf dem blauen Sofa der ZDF-Bühne. Menasses ironischer Gesellschaftsroman mit Krimi-Elementen spielt in Brüssel. Er durchleuchtet die EU-Bürokratie und entwirft am Beispiel zahlreicher Figuren und Erzählstränge ein schillerndes Panorama der europäischen Eliten, wobei eine Sau, alle Figuren miteinander verknüpft und zugleich als Metapher dient. Foto: Diether v. Goddenthow

Dass die Frankfurter Buchmesse auch in diesem Jahr die weltweit größte Bühne für Literatur wurde, garantierten zahlreiche Veranstaltungen mit prominenten Autoren wie Margaret Atwood, Cecelia Ahern, Paula Hawkins, Nicholas Sparks, Édouard Louis, Kerstin Gier, Leïla Slimani, Daniel Kehlmann, Rafik Schami, Dr. Eckart von Hirschhausen, Bergsteiger-Held Reinhold Messner, Ilija Trojanow, Thriller-Autoren Dan Brown, Ken Follett und Sebastian Fitzek, Bestseller-Philosoph Dr. Richard David Precht sowie Teenager-Star Lukas Rieger u.v.a. Abends fanden in ausgewählten Bars und Clubs im Rahmen des BOOKFEST Slams, Lesungen, Networking-Events und Partys statt.

THE ARTS+, das Business Festival der Frankfurter Buchmesse, wurde in diesem Jahr erfolgreich weiterentwickelt. Auf 3.000 Quadratmetern zeigten 54 Aussteller und 31 weitere Partner innovative Projekte und Dienstleistungen – 120 Sprecher präsentierten ihre Vision für die Zukunft des Kreativsektors. Zu den bekanntesten Sprechern zählten der Volksbühne-Intendant Chris Dercon, der Leiter des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe Peter Weibel, Astrid Welter von der Fondazione Prada, CEO und Founder von Arago Chris Boos, Artifical-Intelligence-Experte Dr. Ahmed Elgammal sowie Googles Caroline Atkinson, Wirtschaftsexpertin und ehemalige Beraterin im Kabinett Barack Obamas (hier zum Soundfile: https://soundcloud.com/detektorfm-wort/caroline-atkinson-the-economic-impact-of-culture-and-creativity-in-the-future). Künstler wie John Craig Freeman und Jeremy Bailey und Kreative wie Diane Drubay von „We are Museums“ rundeten das Programm ab.