Filmreihe im Oktober und November 2016 des Deutschen Filmmuseums Frankfurt

Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1963

Die vom Deutschen Filminstitut mitveranstaltete Erfolgs-Retrospektive aus Locarno jetzt auch in Frankfurt / Raritäten und große Entdeckungen Direktorin Claudia Dillmann: „Größte und wichtigste Filmreihe der vergangenen Jahre“

Als „größte und wichtigste Filmreihe der vergangenen Jahre“ bezeichnet Direktorin Claudia Dillmann die Retrospektive zum bundesdeutschen Nachkriegskino, die im Oktober und November im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt zu sehen sein wird. Schon bei ihrer Premiere vor einigen Wochen während des renommierten Festival del film Locarno hatte die vom Deutschen Filminstitut mitveranstaltete Retrospektive für große Aufmerksamkeit gesorgt: Fachpublikum und Festivalbesucher waren überrascht und begeistert von der Auswahl und den vielen „sensationelle[n] Wiederentdeckungen“ (Kirsten Liese, ray Filmmagazin), die das Programm bereithielt. „Großartig und irritierend“, resümierte der Tagesspiegel.

Nun kommt die Retrospektive nach Frankfurt. Weitere Stationen sind die Schweiz, Italien, Portugal und Finnland sowie zum Abchluss der Tour 2017 Washington sowie das Lincoln Center in New York. Neben den wichtigsten in Locarno gezeigten Werken enthält die Auswahl im Kino des Deutschen Filmmuseums eine große Zahl weiterer entdeckungswürdiger Filme. Das Team des Filmmuseums hat mit großem Aufwand seltene 35mm-Kopien aus zwölf Archiven zusammengetragen. Insgesamt besteht das Programm aus rund 30 Lang- und zehn Kurzfilmen, die als thematisch, stilistisch oder atmosphärisch passende Vorfilme viele Hauptfilme kommentieren. Zu allen Filmen wird es Einführungen von Mitarbeitern des Filmmuseums und von Gästen geben, darunter etliche Autorinnen und Autoren des schon als „Standardwerk“ (FAZ) bezeichneten Begleitbuchs. So werden unter anderen im Oktober der Filmemacher Rainer Knepperges und der Soziologe und Tongestalter Fabian Schmidt (etwa von TONI ERDMANN, DE/AT 2016, R: Maren Ade) zu Einführungen nach Frankfurt kommen.

„Das Publikum der Retrospektive erwarten Raritäten, die sonst weder im Kino noch auf DVD zu sehen sind eine einmalige Gelegenheit“, betont Claudia Dillmann. Anliegen der Schau ist es zu zeigen, dass das Kino der Adenauer-Ära sich bei genauem Hinsehen als vielgestaltiger, ambivalenter und brüchiger erweist als gängige filmhistorische Erzählungen glauben machen; dass es politischer und poetischer, ästhetisch ambitionierter und abgründiger, wilder, bizarrer und sinnlicher war als sein Ruf. Schon 1989 hat das Deutsche Filmmuseum mit „Zwischen Gestern und Morgen. Der Westdeutsche Nachkriegsfilm 1946 bis 1962″ eine einflussreiche Ausstellung und Filmreihe präsentiert, die erstmals wieder die Aufmerksamkeit auf das Kino der Adenauer-Zeit lenkte. Damit nahm es eine Kino-Ära in den Blick, die in ihrer Zeit, den 1950er und 1960er Jahren, immens populär war, mit dem Verdikt der Oberhausener im Jahr 1962 („Papas Kino ist tot) aber geschmäht wurde. „Nie wieder war der westdeutsche Film so vielseitig, schrieb Rüdiger Suchsland jetzt anlässlich der Retro über dieses Kino, in dem Kunst und Kommerz neben- und miteinander existierten. „“ie vergessene Geschichte dieses Kinos hat es verdient, erzählt zu werden.“

Eröffnet wird die Retrospektive mit zwei Meisterwerken: Helmut Käutners SCHWARZER KIES, für den er 1962 kurioserweise den „Preis der Jungen Filmkritik für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs“ erhielt, und Harald Brauns DER GLÄSERNE TURM. Die Frankfurter Auswahl enthält jene Filme, die in Locarno am meisten für Furore sorgten, darunter Hans H. Königs ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB und Wolfgang Staudtes KIRMES. Kurator Olaf Möller hat für die Filmauswahl im Deutschen Filmmuseum außerdem einen starken Akzent auf den Heimatfilm gelegt: ein genuin bundesrepublikanisches Phänomen, das bislang in seiner Komplexität und Bedeutung kaum gewürdigt wurde. So unterschiedliche Werke wie Richard Häußlers DAS DORF UNTERM HIMMEL, Wolfgang Liebeneiners WALDWINTER GLOCKEN DER HEIMAT oder Staudtes ROSE BERND demonstrieren nachhaltig, dass in dieser oft als bloß idyllisch und versöhnlerisch verschrienen Bilder- und Ideenwelt tatsächlich die großen gesellschaftlichen Kampfzonen der Nachkriegszeit mit einer immer wieder erstaunlichen Energie und Exaktheit vermessen wurden: Geschlechter- und Besitzverhältnisse, Flucht und Verfolgung, Fremdenfeindlichkeit, aber auch die ganz grundsätzliche Frage danach, was Heimat ausmacht.

Die Auswahl ist heiter gestimmt, mit einem Zug zur Frivolität. Das zeigen so unterschiedliche Titel wie Paul Martins DIE FRAUEN DES HERRN S., Kurt Hoffmanns KLETTERMAXE, Paul Mays DIE LANDÄRZTIN oder Hans Schott-Schöbingers NACKT, WIE GOTT SIE SCHUF. Wer sich die Zeit nimmt, die Reihe möglichst umfassend in Augenschein zu nehmen, dem helfen diese Filme vielleicht, das Idiosynkratische, Unerwartete, Legere, Verwegene in strenger wirkenden Werken wie Harald Brauns NACHTWACHE oder Rolf Hansens AUFERSTEHUNG zu erkennen. Es ist ein lebendiges, vielschichtiges, reiches Kino, das in einem so intensiven Dialog mit seinem Publikum stand, wie man es seither nicht mehr gesehen hat.
Die Reihe wird im November mit Filmen wie DIE ROTE (BRD 1962) und VIELE KAMEN VORBEI (BRD 1956) sowie weiteren Gästen im Kino des Deutschen Filmmuseums und auch in der Caligari FilmBühne, Wiesbaden, fortgesetzt.

Programm der Retrospektive (Oktober) im Detail:

Sonntag, 09.10.2016, 17:30 Uhr
DER GLÄSERNE TURM
BRD 1957. R: Harald Braun
D: Lilli Palmer, O. E. Hasse, Peter van Eyck. 105 Min. 35mm
Die Frau eines Magnaten will nicht mehr bloße Dekoration für das Leben ihres erfolgreichen und mächtigen Gatten sein und versucht, sich an ihre Vergangenheit als Schauspielerin anknüpfend, aus dem „gläsernen Turm“ ihrer Ehe auszubrechen … Eines der signifikantesten Werke jener Epoche: Ein Melodram mit Gerichtsfilm-Haarnadelkurven über Ehe- und Besitzverhältnisse und dabei auch ein Versuch einer Abrechnung mit der Gesellschaft der Adenauer-Ära als giftiges und verlogenes Biedermeier der Moderne und dessen Vorstellung von Schönheit und Harmonie.
Begrüßung: Claudia Dillmann
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Sonntag, 09.10.2016, 20:15Uhr
SCHWARZER KIES
BRD 1961. R: Helmut Käutner
D: Helmut Wildt, Ingmar Zeisberg, Hans Cossy. 111 Min. 35mm
Heimat, deine Düsternis. Oder auch: Zwei Streitfälle, zwei Filme, die aus diversen Gründen, die man mit dem Wort Zensur bezeichnen müsste, rabiat nachgekürzt wurden. NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL zeigt das BRD-Hinterland von seiner unromantisch-verbohrten, aber auch zurückgeblieben-ärmlichen Seite. SCHWARZER KIES dramatisiert in knalligen Noir-Halbtönen die Auswirkungen der Besatzung auf die Bevölkerung des Hunsrückkaffs Sohnen gemeint war damit Lautzen- hausen, nahe der US-amerikanischen Hahn Air Base. Eine hellsichtig-zynische Generalabrechnung mit der BRD.
Vorfilm: NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL BRD 1961. Hans Rolf Strobel & Heinrich Tichawsky. 18 Min. 35mm
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Montag, 10.10.2016, 19:00 Uhr
DAS DORF UNTERM HIMMEL
BRD 1953. R: Richard Häussler. D: Hedwig Wangel, Sepp Rist,
Peter Mosbacher. 97 Min. 35mm
Zuerst ein visuell beeindruckendes Stück Tourismuswerbung im straff-ornamentalen Ufa-Kulturfilmstil. Dann ein grimmiger Heimatkrimi um Nymphomanie, Schmuggler, Totgeburten, Blutnächte und Gewalt in der Ehe, wo der Narr (gegeben von Lederhosenerotikaxiom Franz Muxeneder) sich als einziger Weiser erweist. Dem breit angelegten Figurenarsenal und einigen halsbrecherischen Wendungen merkt man an, dass der Film auf einem Stoff des großen Exploitation-Melodramatikers Rolf Olsen fußt.
Vorfilm WEINLESE IN DER WACHAU BRD 1954. R: Clarisse Dreyer-Patrix. 15 Min. 35mm (Kopie des Österreichischen Filmmuseums)
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Montag, 10.10.2016, 21:15 Uhr
DAS LIED VON KAPRUN
BRD/Österreich 1955. R: Anton Kutter. D: Waltraut Haas,
Albert Lieven, Eduard Köck. 108 Min. 35mm
Begonnen in den späten 1920ern, doch rasch begraben von der Weltwirtschaftskrise, aufgegriffen von den Nazis, doch an der Materiallage (sowie wohl letztlich dem fehlenden Interesse der Entscheidungsträger) gescheitert, entwickelte sich der Bau des Kraftwerks Kaprun im Salzburger Land zu einem der Vorzeige- wie Identitätsstiftungsprojekte der Zweiten Republik: Es ging um Gemeinschaft und Fortschritt, aber auch Kampfeswillen und Opfergeist. In DAS LIED VON KAPRUN wurde ein guter Kampf durch ein neues Österreich gewonnen … Luis Trenker berichtet davon mit den Augen des Architekten, Anton Kutter mit denen des Astronomieautodidakten.
Vorfilm KAPRUN STROM FÜR EUROPA BRD 1956. R: Luis Trenker. 10 Min. 35mm
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Dienstag, 11.10.2016, 17:00 Uhr
EINE FRAU FÜRS LEBEN
Deutschland 1938/50. R: Rolf Hansen
D: Rudi Godden, Ilse Werner, Gustav Waldau. 82 Min. 35mm
Im Überläufer-Korpus finden sich vereinzelte Werke, die von den Nazis nicht zur Aufführung zugelassen worden waren und deshalb ihre Premiere zum Teil erst eine Dekade und mehr nach ihrer Fertigstellung feierten. Meister Rolf Hansens DAS LEBEN KANN SO SCHÖN SEIN zeichnet ein recht finsteres Bild vom Alltag in den späten reichsdeutschen 1930ern, inklusive Wohnungsnot und sexueller Nötigung am Arbeitsplatz. Als der Film schließlich 1950 unter dem Titel EINE FRAU FÜRS LEBEN startete, herrschte immer noch Wohnungsnot, und auch an den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern hatte sich wenig verändert. So viel Kontinuität war selten.
Einführung
Olaf Möller (Kurator)

Dienstag, 11.10.2016, 19:00 Uhr
AUGEN DER LIEBE
Deutschland 1944/51. R: Alfred Braun
D: Käthe Gold, René Deltgen, Paul Wegener. 80 Min. 35mm
In den letzten Monaten des Nazi-regierten deutschen Reichs entstand eine erstaunliche Anzahl von Filmen, die sich um Akte der Verstellung drehen, um Schauspielerei und Schwindel, um echte Gefühle und falsche Identitäten, moralische Grauzonen, Wahrheits- und Sinnsuche Filme für später, von denen viele als Überläufer dann auch erst nach dem Sieg der Alliierten in die Kinos kamen. Einer der faszinierendsten stammt aus der Werkstatt Veit Harlans: In AUGEN DER LIEBE kann ein blinder Künstler nach einer Operation wieder sehen verheimlicht dies aber seiner Gattin
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Dienstag, 11.10.2016, 21:00 Uhr
SCHWEDENMÄDEL
BRD/Schweden 1955. R: Thomas Engel & Håkan Bergström
D: Karlheinz Böhm, Maj-Britt Nilsson, Walter Giller. 95 Min. 35mm
Neben Italien und Russland ist Fennoskandinavien und die melancholische Johannisnachtsleichtigkeit der dritte große deutsche Sehnsuchtsraum der Traum von einer problemlos(scheinend)en, weil naturverbundenen Sexualität. SCHWEDENMÄDEL, coinszeniert von dem immer wieder durch Eigensinnigkeiten und Verrücktheiten auffallenden Thomas Engel, entwickelt sich von einem quasi deplatzierten Heimat-Schlagerfilm zu einem strahlenden Stück Schärenschönheit leger erst, leichtfüßig, schließlich traurig, dabei stets auf fast philosophische Weise heiter.
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Mittwoch, 12.10.2016, 18:00 Uhr
NACHTWACHE
BRD 1949. R: Harald Braun
D: Luise Ullrich, Hans Nielsen, Dieter Borsche. 110 Min. 35mm
Die Bundesrepublik der ersten Jahre war geprägt von einer geradezu rabiaten Frömmigkeit, inklusive obskurantistischer Umtriebe aller Art, Scharlatanerie und Wunder(heilungs)gläubigkeit man kann sich denken, warum … NACHTWACHE wurde zum an der Kasse wie bei der Kritik äußerst erfolgreichen Schlüsselfilm jener Periode. Auch, weil man die Geschichte über die weltlichen Probleme von zwei Geistlichen unterschiedlicher Konfessionen wie ein Passionsspiel schaute und als Parabel über die erlösende Macht des christlichen Glaubens (miss)verstand. Wenig lag Harald Braun in seiner existentialistischsten Stunde ferner.
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Mittwoch, 12.10.2016, 20:30 Uhr
AUFERSTEHUNG
BRD/Italien/Frankreich 1958. R: Rolf Hansen
D: Horst Buchholz, Myriam Bru, Edith Mill. 106 Min. 35mm
Große Adaptionen russischer Klassiker waren in der zweiten Hälfte der 1950er international angesagt, auch wegen ihres finanziellen Erfolgs; und so entstanden auch in der BRD als internationale Gemeinschaftsproduktionen parallel zwei (produktionslogistisch einander wiederholt in die Quere kommende) Tolstoi-Adaptionen: Carmine Gallones lebenslustig-saftiger POLIKUSCHKA (1958) und Rolf Hansens bei allem Aufwand asketisch-verinnerlichter, einem unnachgiebigen christlichen Proto-Existentialismus huldigender AUFERSTEHUNG. Deutsche Russiana vom Mächtigsten!
Einführung: Olaf Möller (Kurator)

Freitag, 14.10.2016, 18:00 Uhr
ROSEN BLÜHEN AUF DEM HEIDEGRAB
BRD 1952. R: Hans H. König. D: Ruth Niehaus,
Hermann Schomberg, Armin Dahlen. 82 Min. 35mm. OmeU
Die junge BRD mit all ihren Neurosen und Alltagssorgen findet sich hier verdichtet in einer Erzählung von Rückkehrern und Wiedergängern, von Verdammnis und Gnade. Ein Heide-Heimatfilm, so düster, dass er zum Ende hin die Schwelle überschreitet ins Reich des Schauerkinos unwiederbringlich. Ein immer wieder neu zu entdeckendes Meisterwerk, das in seiner Schwere wie Nähe zum Horrorfilm typischer für die Epoche ist, als einen die Klischees glauben machen wollen: Angst und Paranoia sind der Schlüssel für die ambitionierte Genrekonfektion jener Jahre.
Einführung: Christoph Huber (Österreichisches Filmmuseum)

Samstag, 15.10.2016, 15:30 Uhr
DIE FRAUEN DES HERRN S.
BRD 1951. R: Paul Martin
D: Sonja Ziemann, Paul Hörbiger, Oskar Sima. 95 Min. 35mm
Die Bundesbürger der frühen 1950er standen den Okkupationsmächten mit vorsichtiger Skepsis, wenn nicht purer Feindseligkeit gegenüber. DIE FRAUEN DES HERRN S. ist eine Satire auf die Besatzung im altgriechischen Gewand, in dem Deutschland Athen gibt, die UdSSR das Perserreich, die USA Makedonien, Frankreich Korinth und Großbritannien Kreta. In dieser Welt der vielen Stimmen versucht Sokrates, die Polygamie einzuführen offiziell zur Versorgung der Kriegswitwen und -waisen. Paul Martins Kabarett-Kabinettstück gehört zu den ersten BRD-Fällen, in denen ein Film aus höheren Erwägungen heraus umgearbeitet werden musste.
Vorfilm DER UNSICHTBARE STACHELDRAHT BRD 1951. R: Eva Kroll. 13 Min. 16mm
Einführung: Rainer Knepperges (Autor und Filmemacher)

Samstag, 15.10.2016, 20:15 Uhr
ALRAUNE
BRD 1952. R: Arthur Maria Rabenalt
D: Hildegard Knef, Erich von Stroheim, Karlheinz Böhm. 92 Min. 35mm
TRAUM IN TUSCHE ist eine animierte Phantasie mit schwer albtraumhaften Aspekten (inklusive nicht allzu symbolisch verbrämter Verweise auf die jüngere Vergangenheit). Mit ALRAUNE geht es traumgleich weiter, wenn auch in einem teilweise delirierenden Register Hildegard Knef weiß sich lasziv zu räkeln, während ihr Schöpfer, Erich von Stroheim, wie ein jovialer Sadist wirkt, stets lässig auf der Lauer nach seinem nächsten Opfer spähend. Eine Abweichung sui generis in dem an Abweichungen wahrlich nicht armen Kino der 1950er.
Vorfilm TRAUM IN TUSCHE BRD 1952. R: Rolf Engler. 9 Min. 35mm
Einführung: Rainer Knepperges (Autor und Filmemacher)

Sonntag, 16.10.2016, 13:00 Uhr
Freitag, 21.10.2016, 20:30 Uhr
ROSE BERND
BRD 1957. R: Wolfgang Staudte
D: Maria Schell, Raf Vallone, Käthe Gold. 98 Min. 35mm
Nach dem Erfolg von Robert Siodmaks DIE RATTEN (1955) entstanden innerhalb weniger Jahre weitere (oft die Flüchtlingsproblematik tangierende) Gerhart-Hauptmann-Modernisierungen der künstlerisch vielleicht aufregendste Zyklus im gehobenen BRD-Kino der Ära. Ästhetisch am weitesten ging dabei Wolfgang Staudte: Er gestaltete seine ROSE BERND als sardonische Heimatfilmvariation mit einer bestechend strengen, an Brecht geschulten Regie, zu deren gewagtesten Elementen der eigenartig zwischen Süddeutschland und Ostpreußen changierende Kunstdialekt Maria Schells sowie Raf Vallone als wandelnder V-Effekt gehören.
Einführung (Sonntag, 16.10.2016): Christoph Huber (Österreichisches Filmmuseum)

Sonntag, 16.10.2016, 17:00 Uhr
KLETTERMAXE
BRD 1952. R: Kurt Hoffmann
D: Liselotte Pulver, Albert Lieven, Charlott Daudert. 86 Min. 35mm
Wer ist Klettermaxe? Wer krabbelt Häuserfronten hinauf und hinab, um Gaunern, Ganoven und Gangstern ihre Beute zu entwenden und an Bedürftige zu verteilen? Die kubanische Schöne Corry Bell, zu Gast bei ihrem Cousin, dem Krimiautor Max Malien, ist ganz baff, als sie die Identität des Vigilanten herausfindet … Eine quirlig-fetzige Mischung aus aktualisierter Populärliteratur-Neuverfilmung, Screwball-Komödie und Sensationsfilm, dessen wahrer Star am Ende das Stuntdouble Arnim Dahl war. In dieser Welt der Masken und Janusköpfe passt es dann auch perfekt, dass Dahl sich in einer Szene quasi selbst jagt als Polizist, der Klettermaxe verfolgt!
Einführung: Christoph Huber (Österreichisches Filmmuseum)

Montag, 17.10.2016, 18:00 Uhr
BARBARA
BRD 1961. R: Frank Wisbar
D: Harriet Andersson, Helmut Griem, Maria Sebaldt. 96 Min. 35mm
BARBARA ist die erste Verfilmung von Jørgen-Frantz Jacobsens gleichnamigem, 1939 posthum (und letztlich als Fragment) veröffentlichten Roman über die Liebe einer Pastorenwitwe zu dem Nachfolger ihres Gatten. Frank Wisbar, zu den Frauenfiguren seines Vorkriegsschaffens ein letztes Mal zurückkehrend, hat das alles etwas weltlicher ausgelegt, aus dem Geistlichen einen Arzt gemacht und die Geschichte im 20. statt im 17. Jahrhundert angesiedelt, dabei aber den Kern Barbaras beibehalten: Sie ist treu auf ihre Weise, aber sie fällt immer. Da ist etwas Tragisches an dem hoffnungslosen Kampf zwischen der guten Barbara und der unzuverlässigen.
Einführung:
Fabian Schmidt (Soziologe und Tongestalter)

Dienstag, 18.10.2016, 20:30 Uhr
VENUSBERG
BRD 1963. R: Rolf Thiele
D: Marisa Mell, Nicole Badal, Monica Flodquist. 88 Min. 35mm
Zuerst eine faszinierende Mischung aus ultrareduzierter Bauhaus-Bühnenkunst und animierter Malerei: DEN EINSAMEN ALLEN ist die letzte vollendete Soloregiearbeit von Franz Schömbs, des großen Verkannten der 50er-Jahre-Avantgarde, dessen Schaffen ob seiner scharfkantig-dissonanten Poesie zu seiner Zeit primär auf Widerspruch stieß. Ästhetisch ähnlich steil, wenn auch in milchig weiß und schlierig schwarz ist VENUS- BERG, ein verschroben-verwegener Frauen-Film, der sich als Parabel über die vornehme Gesellschaft der letzten Adenauerjahre schauen lässt eine Art Sittengemälde der Bonner Republik aus einem unerwarteten Blickwinkel.
Vorfilm DEN EINSAMEN ALLEN BRD 1962. R: Franz Schömbs. 8 Min. 35mm
Einführung: Andreas Beilharz (Deutsches Filminstitut)

Donnerstag, 20.10.2016, 18:00 Uhr
Dienstag, 25.10.2016, 18:00 Uhr
ZWEI UNTER MILLIONEN
BRD 1961. R: Victor Vicas & Wieland Liebske
D: Hardy Krüger, Loni von Friedl, Walter Giller. 96 Min. 35mm
Noch ist die Grenze zwischen der BRD und der DDR offen, noch gibt es keinen antiimperialistischen Schutzwall, noch ist es nicht ganz so schwer, mit entsprechender Hilfe Rostock illegal in einem Lastwagen zu verlassen, Richtung Westberlin. Und nun sitzt Christine da, umgeben von Gütern, die sie sich nicht leisten kann, und versucht sich mit ihrem Fluchthelfer-Liebsten Karl über Wasser zu halten … Eine neorealistisch infizierte Straßenfilm-Preziose, in der man die wirtschaftswunderreich-korrupte BRD und Westberlin ziemlich exakt so zu sehen bekommt, wie es die DDR immer wieder gesagt hat nur poetischer und zugleich rauer.
Einführung (Donnerstag, 20.10.2016): Stefanie Plappert (Deutsches Filminstitut)

Sonntag, 23.10.2016, 18:00 Uhr
Samstag, 29.10.2016, 18:00 Uhr
KIRMES
BRD 1960. R: Wolfgang Staudte
D: Götz George, Hans Mahnke, Juliette Mayniel. 102 Min. 35mm
Als beim Aufbau eines Karussells die Leiche eines Wehrmachtssoldaten gefunden wird, bricht unter den Würdenträgern eines Eifelkaffs Panik aus: Sie alle wissen, wer dieser junge Mann war und warum er starb … Ein Bild sowohl des kollektiven Versagens im Nazi-Deutschland wie auch des kollektiven Verdrängens in der BRD. Der Film wurde zum Politikum, weil er es wagte, den Dorfpriester als feigen Kollaborateur darzustellen: In der stark klerikalospirituell geprägten BRD der 1950er gehörte der Mythos von den widerständigen Geistlichen beider Konfessionen zum Fundament des jungen Staates.
Einführung (Sonntag, 23.10.2016): Rudolf Worschech (epd Film)

Montag, 26.10.2016, 20:30 Uhr
Sonntag, 30.10.2016, 18:00 Uhr
JONAS
BRD 1957. R: Ottomar Domnick
D: Robert Graf, Elisabeth Bohaty, Dieter Eppler. 87 Min. 35mm
Zuerst ein Imagefilm für die Deutsche Bundespost in Gestalt eines visuell so furiosen wie an gestalterischen Facetten reichen Experimentalfilms, dessen Audiolandschaften der vor kurzem verschiedene Josef Anton Riedl mit dem Münchner Studio für elektronische Musik Fa. Siemens erarbeitete. Dann: Kafka im Nachkriegsbrutalismus-Wirtschaftswunderland, mit dem Nervenschauspieler-Kriegsversehrten Robert Graf als fleischgewordenem Zeit-Symptom: als Durchschnittsbürger, der durch eine Normentgleitung in eine existentielle Krise gerät, Verfolgungswahn inklusive.
Vorfilm KOMMUNIKATION TECHNIK DER VERSTÄNDIGUNG BRD 1962. R: Edgar Reitz. 11 Min. 35mm
Einführung (Sonntag, 30.10.2016): Winfried Günther (Deutsches Filminstitut)

Freitag, 28.10.2016, 20:30 Uhr
DER ROTE RAUSCH
BRD 1962. R: Wolfgang Schleif
D: Klaus Kinski, Brigitte Grothum, Sieghardt Rupp. 87 Min. 35mm
Ein Programm wie ein äußerst verwirrender Albtraum: DIE PURPURLINIE ist buntes, frappierend poppiges Allegorienkino. Anschließend verknüpft Wolfgang Schleifs DER ROTE RAUSCH lässig Serienmörder-Schrecken mit Polit-Paranoia. Ein geisteskranker Frauenmörder gibt sich als Grenzflüchtling aus und versteckt sich bei einer ahnungslosen Bauernfamilie nahe der österreichisch-ungarischen Grenze. Die karge Landschaft um den Neusiedler See ist bewusst eingesetzt, tauchten hier doch nach der Ungarnkrise 1956 immer wieder Menschen, die über die Grenze geflohen waren, wie aus dem Nichts auf.
Vorfilm DIE PURPURLINIE BRD 1959. R: Flo Nordhoff. 14 Min. 35mm
Einführung: Torgil Trumpler (Junger Filmclub Treppe 41)

Die folgenden Filme werden im November gezeigt, Termine folgen:

WALDWINTER GLOCKEN DER HEIMAT
BRD 1956. R: Wolfgang Liebeneiner. 97 Min

DIE LANDÄRZTIN
BRD 1958. R: Paul May. 92 Min

NACKT, WIE GOTT SIE SCHUF
BRD/Österreich/Italien 1958. R: Hans Schott-Schöbinger. 94 Min

VIELE KAMEN VORBEI
BRD 1956. R: Peter Pewas. 80 Min

DIE ROTE
BRD/Italien 1962. R: Helmut Käutner. 100 Min

MAYA. DER FILM VOM DEUTSCHEN FILMNACHWUCHS
BRD 1957. R: Hans Carl Opfermann. 104 Min

Pressestimmen:

„Großartig und irritierend […] Man darf sagen: Die Retrospektive von Locarno rettet dem frühen bundesrepublika-nischen Kino ein Stück Ehre und Würde.
Der Tagesspiegel

„Das deutsche Kino der Nachkriegszeit war besser, bunter, ernster, lustiger, problembewusster, kurz: vielfältiger als sein Ruf.
FAZ

„Man kommt kaum heraus aus dem Kino, um ja nichts zu verpassen.
Frankfurter Rundschau

„Die Retrospektive zeigt aber auch, dass selbst im Unterhaltungskino jener Jahre eine erstaunliche Vielfalt an Schattierungen, und Untertönen hervorstechen, die man aus der historischen Distanz umso lustvoller entdecken kann.
Berliner Morgenpost

Katalog:
Das Begleitbuch zur Retrospektive, aufgrund der großen Nachfrage schon in zweiter Auflage erschienen, ergänzt die Filmschau mit 33 Essays und einer Vielzahl teils bisher unveröffentlichter Bilder.
Herausgegeben von Claudia Dillmann und Olaf Möller
416 Seiten, 270 Abbildungen, 24,80 €
Der Katalog wurde ermöglicht durch die Förderung der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung, des Förderkreises des Deutschen Filminstituts und von German Films.

Deutsches Filminstitut – DIF e.V.
Deutsches Filmmuseum
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt am Main
www.deutsches-filminstitut.de | www.deutsches-filmmuseum.de
www.filmportal.de | www.europeanfilmgateway.eu