Die politischste aber auch sicherste Frankfurter Buchmesse ist erfolgreich zu ende gegangen

Die 74. Frankfurter Buchmesse war ein großartiger Erfolg. © Foto: Diether von Goddenthow
Die 74. Frankfurter Buchmesse war ein großartiger Erfolg. © Foto: Diether von Goddenthow

Die Bilanz der 74. Frankfurter Buchmesse vom 19.-23. Oktober 2022 kann sich sehen lassen. Mit 93.000 Fachbesuchern gegenüber 36.000 im Corona-Jahr 2021 und 87.000 Privatbesuchern (37.500 Privatbesuchern) war sie wieder internationaler weltweit größter Treffpunkt der Buch- und Medienbranche. Über 4.000 Aussteller aus 95 Ländern präsentierten sich in den Hallen, im Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) und an den neuen Workstations. Rund 6.400 Medienvertreter berichteten über die Veranstaltung. Das Literary Agents & Scouts Centre (LitAg), wo der Handel mit Rechten und Lizenzen stattfindet, war das Herz der Fachmesse. Mit mehr als 450 Arbeitsplätzen und rund 300 Agenturen war die LitAg überbucht.

Relaxen und Lesen im Forum der Halle 1. © Foto: Diether von Goddenthow
Relaxen und Lesen im Forum der Halle 1. © Foto: Diether von Goddenthow

Und es war eine der politischsten, aber auch sichersten Buchmessen trotz brisanter Themen. Selbst das eigens zum Aufspüren von Diskriminierungen sehr engagierte Awareness-Team konnte keinerlei konkrete Fälle von Diskriminierung benennen. Unbehelligt von irgendwelchen Störungen diskutierten im Frankfurt Pavilion Politiker, Kulturschaffende, Autoren und Übersetzer engagiert über die Protestbewegung im Iran, über die Situation der Menschen in der Ukraine, über Spaltungstendenzen in der Gesellschaft und über russische Opposition. Lesungen und Autorengespräche unter anderem mit Buchpreisträger*in Kim de l’Horizon, mit Ian Kershaw, Vanessa Mai, Judith Holofernes oder Karen Duve standen im Zentrum des Geschehen.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer. © Foto: Diether von Goddenthow
Klimaaktivistin Luisa Neubauer. © Foto: Diether von Goddenthow

Klima-Aktivistin Luisa Neubauer präsentierte ihr neues Buch, das sie mit ihrer Großmutter geschrieben hat. Und der diesjährige Friedenspreisträger Serhij Zhadan absolvierte einen Termin nach dem anderen.
Mit dem Motto „Translate. Transfer. Transform.“ stellte die diesjährige Buchmesse die Arbeit von Übersetzern in den Mittelpunkt. Rund 1.500 Besucher kamen zum Bühnenprogramm des Internationalen Zentrums für Übersetzung, um dort an einer der fast 30 Veranstaltungen teilzunehmen.

Das umstrittene Buch "Die vierte Gewalt - Medien auf dem Prüfstand" von Richard David Precht und Harald Welzer steht seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch. Auf der ARD-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse wurde am Freitag erneut darüber diskutiert, diesmal mit Medienjournalist Stefan Niggemeier. Es moderierte: Daniel Bouhs (r), Soziologe-Harald-Welzer, Philosoph Richard-David-Precht- und Medienjournalist  Stefan-Niggemeier. © Foto: Diether von Goddenthow
Das umstrittene Buch „Die vierte Gewalt – Medien auf dem Prüfstand“ von Richard David Precht und Harald Welzer steht seit Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch. Auf der ARD-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse wurde am Freitag erneut darüber diskutiert, diesmal mit Medienjournalist Stefan Niggemeier. Es moderierte: Daniel Bouhs (r), Soziologe-Harald-Welzer, Philosoph Richard-David-Precht- und Medienjournalist Stefan-Niggemeier. © Foto: Diether von Goddenthow

Publikumsmagnete waren wieder die ARD-Bühne und das blaue sofa ZDF, die ab Freitag auch allen privaten Bücherfans offenstanden. Einer der zahlreichen Diskussionshighlights war der Streit zwischen dem Medienjournalist Stefan Niggemeier und  dem Philosoph Richard David Precht und dem Soziologen Harald Welzer über deren Thesen im umstrittenen Buch „Die vierte Gewalt – Medien auf dem Prüfstand“, welches seit Wochen die Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch anführt. Welzer prangert  den sich in Zeiten von Krisen ausbreitenden „Cursor-Journalismus“ an, den „Curser des gefühlten Anstands“, wodurch bei gewissen Themen rasch  eine gewisse Übermoralisierung eintrete. Auch Precht hat erlebt und beobachtet, dass „wer deutlich von der Position abweicht“,  sie dann nicht mehr alle habe. Es gehe dann nur noch „um Schwarz und Weiß“. Aber gerade Precht spitze doch gerne Themen auf Schwarz Weiß zu, erwiderte Niggemaier, was die Sache so ironisch  mache. Er habe das Gefühl, „dass Sie die Mechanismen, die Sie beschreiben, selbst anwenden“,  so der Gründer des Onlinemagazins „Übermedien“.

Elke Heidenreich  © Foto: Diether von Goddenthow
Elke Heidenreich © Foto: Diether von Goddenthow

Originell mit schnoddriger Schnauze und bissig wie immer, zeigte sich Elke Heidenreich im Talk mit Bärbel Schäfer über ihr neues Buch „Ihr glücklichen Augen“, erschienen bei Hanser, worin die beliebte und nicht immer bequeme Autorin heitere und spannende Episoden ihrer Reisen schildert. „Man bewegt sich in Welten, Häusern, Gegenden, die anderen gehören. Man kann Gefahr, Willkür, Ablehnung begegnen. Und weil alles immerfort überall möglich ist, wird man gelassen. Ich bin auf Reisen nie aufgeregt oder ängstlich, ich bin wie in einer Art Meditation – ich nehme an, was auf mich zukommt, und das sind keine touristisch geplanten Sehenswürdigkeiten“, so Heidenreich.

 

Ahmad-Mansour Ahmad Mansour ist ein deutsch-israelischer Psychologe und Autor. Er lebt seit 2004 in Deutschland und hat seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft. Er beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung,  © Foto: Diether von Goddenthow
Ahmad-Mansour Ahmad Mansour ist ein deutsch-israelischer Psychologe und Autor. Er lebt seit 2004 in Deutschland und hat seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft. Er beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung, © Foto: Diether von Goddenthow

Am FAZ-Stand stellte Ahmad Mansour im Gespräch mit Thomas Thiel sein Buch „Operation Allah . Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will“, erschienen bei S. Fischer, vor.  Er ist einer der wenigen Kenner der Szene, der sich traut, brisante Fragen anzusprechen. Mansour warnt seit Jahren, ähnlich vergeblich wie Professorin Dr. Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) ( „Allahs Karawane“, Beck 2021), vor dem politischen Islam, der weniger auf salafistische Strömungen, sondern eher auf die Moslembruderschaft und ihren nahestehenden Organisationen á la DIDIB zurückginge. Für den Autor des Bestsellers »Generation Allah« ist der Islam in Deutschland eine Konsequenz einer vielfältigen Gesellschaft, die weder zelebriert noch verteufelt werden sollte. „Doch wir müssen genau hinsehen: Es gibt Islamisten, die etwa politische wie wissenschaftliche Institutionen unterwandern und dabei vorgeben, sich für Integration einzusetzen. Doch sie wollen unsere Gesellschaft umformen. Es sind falsche Freunde.“ Der Islamismusexperte Ahmad Mansour, dessen »Einsatz für Integration in einer freien, demokratischen und sicheren Gesellschaft« 2022 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, zeigt die Versäumnisse der Politik auf und fordert von ihr, endlich zu handeln und entschieden für die Werte unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft einzutreten: mit konkreten Maßnahmen, die vom Wohnungsbau bis hin zur Schulpolitik reichen. »Operation Allah« ist ein engagiertes und mutiges Plädoyer für eine säkulare Zukunft. »Das Schlimmste für den radikalen Islam wäre“, so Mansour, „ein europäisch geprägter liberaler Islam mit demokratischen Werten. Deshalb brauchen wir genau den.«

Professorin Dr. Maja Göpel im Gespräch mit Moderator Christian Rabhansl  © Foto: Diether von Goddenthow
Professorin Dr. Maja Göpel im Gespräch mit Moderator Christian Rabhansl © Foto: Diether von Goddenthow

Auf dem Stand von Deutschlandradio sprach Professorin Dr. Maja Göpel, die seit 25 Jahren als Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft arbeitet, über die Art, wie wir momentan noch leben und wie fundamental sich unser Leben in den nächsten Jahren verändern werde. Bisherige Selbstverständlichkeiten in Umwelt, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Technologie zerbröselten. Doch es gibt auch Wege, wie wir die neuen insgesamt komplexen Entwicklungen besser verstehen und dieses Wissen für eine bessere Welt nutzen könnten. Denn in der Geschichte habe es immer wieder Große Transformationen gegeben. Sie wurden von uns Menschen ausgelöst, so Göpel, weswegen wir sie auch gestalten werden können. Unser Fenster zur Zukunft stehe offen wie nie. Mit dieser Haltung sei Strukturwandel keine Zumutung, sondern eine Chance. Es sei Zeit, dass wir – jeder Einzelne von uns, aber auch die Gesellschaft als Ganzes – uns erlauben, neu zu denken, zu träumen und eine radikale Frage stellen: Wer wollen wir sein?

Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse © Foto: Diether von Goddenthow
Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse © Foto: Diether von Goddenthow

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, sagte: „Inmitten einer bedrückenden weltpolitischen Lage sendete diese Messe wichtige Signale: Das persönliche Gespräch ist in Zeiten aufgeheizter Debatten ein Gegenmittel zu Polarisierung. Es zeigt sich, wie wichtig die Frankfurter Buchmesse als Treffpunkt der internationalen Publishing-Community ist: Hier werden an wenigen Tagen wertvolle Beziehungen gepflegt und geknüpft. Wir ziehen eine positive Bilanz und freuen uns über fünf erfolgreiche Messetage.“

Ein großes Fest der Buchbegeisterung

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels © Foto: Diether von Goddenthow
Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels © Foto: Diether von Goddenthow

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, sagte: „Die Frankfurter Buchmesse war ein großes Fest der Buchbegeisterung und der Demokratie. In vollen Messegängen und bei lebendigen Debatten spürte man deutlich die Kraft von Büchern, die Freude des Wiedersehens und den Willen zur konstruktiven Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit. Drängende Fragen der Gegenwart standen auf der Tagesordnung – von der Situation in der Ukraine und im Iran bis hin zu Themen wie Diversität und dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Die Frankfurter Buchmesse gab so wichtige Anstöße angesichts der aktuellen Herausforderungen in Branche, Gesellschaft und Weltpolitik. Damit konnte die Frankfurter Buchmesse ihre Bedeutung als wichtigster Handelsplatz für Bücher sowie als Ort der Vielfalt und des friedlichen Austauschs unterstreichen.“

Impression Ehrengast-Pavillon Spanien. © Foto: Diether von Goddenthow
Impression Ehrengast-Pavillon Spanien. © Foto: Diether von Goddenthow

Ehrengast Spanien mit vielfältigen literarischen Stimmen
Unter dem Motto „Sprühende Kreativität“ präsentierte sich der Ehrengast Spanien mit sprachlicher und kreativer Vielfalt. Insgesamt sind seit Projektbeginn im Jahr 2019 rund 400 neue Bücher in deutscher Sprache sowie zahlreiche Titel in anderen europäischen Sprachen erschienen. Spanien hat auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit zahlreichen Veranstaltungen auf der Messe und vielen weiteren über das Messegelände hinaus gezeigt, wie greifbar die Theorie der spanischen Schriftstellerin Carmen Martín Gaite ist: Geschichten sind wie Kirschen – wenn du an einer ziehst, bekommst du eine weitere dazu. Weltstars wie Rosa Montero, Arturo Pérez-Reverte und Fernando Aramburu waren in Frankfurt zu Gast. Auch der Ehrengast Spanien zieht eine positive Bilanz: „Wir haben die große spanische Literatur geehrt und neuen vielversprechenden Stimmen eine Bühne geboten. Wir hoffen, dass die in und um Frankfurt neu geknüpften und vertieften Verbindungen zu Lesenden, Verlagen und Buchfreunden aus aller Welt noch lange Bestand haben.“, so Maria José Gálvez.

Lebhafter Rechtehandel und umfassendes Fachprogramm

Friedenspreisträger Serhij Zhadan zu Gast auf der ARD-Bühne der Frankfurter Buchmesse. Sein Buch: "Himmel über Charkiw: Nachrichten vom Überleben im Krieg" (Suhrkamp), im Gespräch mit Moderatorin Cécile schortmann. © Foto: Diether von Goddenthow
Friedenspreisträger Serhij Zhadan zu Gast auf der ARD-Bühne der Frankfurter Buchmesse. Sein Buch: „Himmel über Charkiw: Nachrichten vom Überleben im Krieg“ (Suhrkamp), im Gespräch mit Moderatorin Cécile schortmann. © Foto: Diether von Goddenthow

Die im Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) vertretene Agenturen waren mit ihren Geschäften sehr zufrieden: „Es war großartig, auf eine pulsierende Messe zurückzukommen. Das LitAg war voll, man spürte die positive Energie und es fanden zahlreiche Vertragsabschlüsse statt“, fasste Literaturagentin Maria Cardona Serra von Aevitas Creative Management (UK/USA) zusammen.
An drei Fachbesuchertagen bot die Frankfurter Buchmesse ein umfassendes Programm. Internationale Branchengrößen wie Peter Warwick, President and CEO, Scholastic; Charlie Redmayne, CEO HarperCollins UK; Markus Dohle, CEO Penguin Random House, Jesús Badenes del Río, CEO Planeta, Jonny Geller, CEO Curtis Brown, und Núria Cabutí, CEO, Penguin Random House Grupo Editorial sowie Vertreter*innen von Plattformen wie TikTok, Spotify und Wattpad Webtoon kamen zu Wort. 1.700 Teilnehmer*innen nahmen am zweitägigen Publishing Perspectives Forum teil.

Alle Videoaufzeichnungen von Veranstaltungen auf der #fbm22 sind in der Mediathek und auf dem YouTube-Kanal der Frankfurter Buchmesse abrufbar.