CASPAR DAVID FRIEDRICH Kunst für eine neue Zeit in Hamburger Kunsthalle vom 15. Dezember 2023 bis 1. April 2024

„Die Romantik“, so Rüdiger Safranski, „ist die Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln.“ Romantik sei ein Gegenentwurf zur entzauberten Welt der Säkularisierung, eine Hinwendung von der politischen zur ästhetischen Revolution, jener Phase, die mit Gottfried Herder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts losgetreten wurde. Wenn auch heutzutage mit Romantik eher sentimentale Gemütszustände von „zu Tode betrübt bis Himmel hoch jauchzend“ assoziiert oder atmosphärische Situationen wie Sonnenuntergänge, Mondschein oder Sehnsuchtsorte verbunden werden, erschöpft sich hierin nicht ihre Bedeutung von Romantik. Der Anspruch der Romantiker ging weit darüber hinaus: Angestrebt wurde eine komplette Transformation der – oftmals als unerträglich empfundenen – Wirklichkeit mit den Mitteln von Poesie und Kunst. Ein hochgestecktes Ziel „der“ Romantisierung der Welt war die Aufhebung von Trennung zwischen Philosophie, Literatur, Naturwissenschaft und Alltagspraxis, eine Rückkehr zur Natur, die Hinwendung zum Unbewussten und Phantastischen, die Entdeckung des Unheimlichen sowie die Hinwendung zu volkstümlichen Mythen und Sagen. Romantik war eine Gegenbewegung zur Aufklärung, nämlich eine Absage an den Primat der Vernunft und die Zurückweisung des rationalen Systemdenkens.

Impresseion der Ausstellung. Besucher betrachten Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" (um 1817) © Foto: Diether von Goddenthow
Impresseion der Ausstellung. Besucher betrachten Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1817) © Foto: Diether von Goddenthow

In der Kunst vermochte wohl kaum ein anderer Maler als Caspar David Friedrich (1774 Greifswald– 1840 Dresden) der Romantik solch eine prägnante Bildsprache verleihen und den Gegenentwurf zur entzauberten Welt der Säkularisierung visualisieren. Um es mit C.G. Jung zu sagen: Caspar David Friedrichs Werke wirken archetypisch. Seine Bildsprache, ob Blicke in die Weite, auf’s Meer, Nebelschwaden, Dunkel-Wälder, Sonnenuntergänge und ähnliche Motive berühren Menschen seit jeher gleichermaßen. Diese „Archetypen“ spiegeln gleichermaßen die zum sogenannten kollektiven Unbewussten angenommenen dynamischen Grundstrukturen menschlicher Vorstellungs- und Empfindungswelten. Diese Bildsprache verleiht seinen Werken universelle und zeitlose Attraktivität. So kommt es nicht von ungefähr, dass ausgerechnet in der gegenwärtig krisengeschüttelten Zeit, in der Menschen verstärkt Angst vor dem Verlust ihrer Geborgenheit haben, die Romantik neu entdeckt und gefeiert wird.

So präsentiert die Hamburger Kunsthalle in Zusammenarbeit mit der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und den  Staatlichen Kunstsammlungen Dresden anlässlich des 250. Geburtstags von Caspar David Friedrich vom 15. Dezember 2023 bis 1. April 2024 die große Jubiläumsausstellung „CASPAR DAVID FRIEDRICH. Kunst für eine neue Zeit“. Am 13.Dezember wurde die spektakuläre Schau des Jahres in der Galerie der Gegenwart durch ihren Schirmherrn Bundespräsident Frank Walter Steinmeier eröffnet.

© Foto: Diether von Goddenthow
© Foto: Diether von Goddenthow

Seit Freitag, dem 15.Dezember ist die Jubiläumsschau für alle geöffnet: Sie bietet die umfangreichste Werkschau des bedeutenden romantischen Malers seit vielen Jahren. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine thematisch ausgerichtete Retrospektive mit über 60 Gemälden – darunter zahlreiche ikonische Schlüsselwerke – und rund 100 Zeichnungen. Zentrales Thema ist das neuartige Verhältnis von Mensch und Natur in Friedrichs Landschaftsdarstellungen. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte er damit wesentliche Impulse, um die Gattung der Landschaft zur »Kunst für eine neue Zeit« zu machen. Ergänzend werden rund 20 ausgewählte Arbeiten von Künstlerfreunden wie Carl Gustav Carus, Johan Christian Dahl, August Heinrich und Georg Friedrich Kersting präsentiert. Ihre Gemälde und Studien knüpfen an Friedrichs Œuvre an, erschließen aber auch neue Blicke auf die Natur. Die anhaltend hohe Faszination, die Friedrichs Werke auslösen, und die besondere Anschlussfähigkeit für Herausforderungen der Gegenwart, zeigt ein zweiter eigenständiger Teil der Ausstellung, der Friedrichs Rezeption in der zeitgenössischen Kunst gewidmet ist. Gattungs- und medienübergreifend nehmen rund 20 Künstler*innen aus dem In- und Ausland mit ihren Arbeiten – beispielsweise in Form von Videos, Fotografien und raumgreifenden Installationen – die Romantik, ihr Naturverständnis und die Kunst Friedrichs in den Blick. Zu sehen sind Werke unter anderem von Elina Brotherus, Julian Charrière, David Claerbout, Olafur Eliasson, Alex Grein, Hiroyuki Masuyama, Mariele Neudecker, Ulrike Rosenbach, Susan Schuppli, Santeri Tuori und Kehinde Wiley.

Caspar David Friedrich (1774–1840) Mondaufgang am Meer, 1822. Öl auf Leinwand, 55 x 71 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie. © bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders
Caspar David Friedrich (1774–1840) Mondaufgang am Meer, 1822. Öl auf Leinwand, 55 x 71 cm. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie. © bpk / Nationalgalerie, SMB / Jörg P. Anders

Hochkarätige und äußerst seltene Friedrich-Leihgaben wie die Gemälde Kreidefelsen auf Rügen (um 1818–1822), Mönch am Meer (1808–1810) und Zwei Männer in Betrachtung des Mondes (1819/20) sind in der Ausstellung unter anderem neben den Bildern Wanderer über dem Nebelmeer (um 1817) und Das Eismeer (1823/24) aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle zu erleben. Diese Werke zählen zu den Ikonen der Romantik. Malerisch lotete Friedrich aus, auf welche Weise die Landschaft zu einem zeitgemäßen Thema werden kann, welches Potenzial sich an die Wiedergabe von Natur knüpft und wie sie sich den Betrachter*innen vermitteln lässt. Aber auch dem umfangreichen zeichnerischen Œuvre Friedrichs kommt in der Schau eine besondere Bedeutung zu. Der bewusste Aufenthalt in der freien Natur in künstlerischer Absicht zählt zu den besonderen Merkmalen romantischer Kunstpraxis und war für Friedrich essenziell. Die Ausstellung würdigt seine Zeichnungen in ihrer autonomen Qualität und betrachtet sie nicht nur als Studien von Naturdetails, die sich später in seinen Gemälden wiederfinden. So implizieren die sensiblen Annäherungen Friedrichs an die Natur oftmals eine Reflexion des subjektiven Standpunktes.

Die einzigartige, aus Friedrichs Werken sprechende Stimmung sowie deren einprägsame Motivik und Komposition haben eine Vielzahl von Künstler*innen animiert, mit dem Romantiker in den Dialog zu treten – gerade vor dem Hintergrund aktueller ökologischer Fragen. Das Spannungsverhältnis zwischen fortschreitender Umweltzerstörung und der Sehnsucht nach »unberührter Natur« bildet eine Kontinuität von der Romantik bis heute. Während das romantische Naturverständnis zu Lebzeiten Friedrichs jedoch national geprägt war, nähern sich Künstler*innen Natur und Klimawandel heute aus einer globalen Perspektive. Die Ausstellung zeigt in diesem Sinne auch aktuelle Arbeiten, die sich den Schattenseiten und Leerstellen der Romantik und ihrer Rezeption widmen. Der Kolonialismus und seine Auswirkungen für Mensch und Natur werden dabei ebenso in den Blick genommen wie ein westlich-hegemonialer Naturbegriff und seine Ausprägungen in der Kunst. Insgesamt präsentiert die Ausstellung ein breites Spektrum von konkreten Bildadaptionen bis hin zu deutlich abstrakteren Anknüpfungen an Friedrichs spezifische Arbeitsweise und seine Bildthemen.

Caspar-David- Friedrich-Adaption von Wiley Kehinde The Prelude Ibrahima Ndiaye and El-Hadji Malick Gueye 2021 © Foto: Diether von Goddenthow
Caspar-David- Friedrich-Adaption von Wiley Kehinde The Prelude Ibrahima Ndiaye and El-Hadji Malick Gueye 2021 © Foto: Diether von Goddenthow

Ausgestellt werden unter anderem zwei großformatige Friedrich-Adaptionen des US-amerikanischen Künstlers Kehinde Wiley (*1977), die kritisch den westlichen weiß geprägten Kunstkanon reflektieren. Ein Farbkreis von Olafur Eliasson (*1967) zeigt exakt die Pigmente des Friedrich’schen Gemäldes Das Eismeer, allerdings in einer stark abstrahierten Komposition. Von Ann Böttcher (*1973) sind Zeichnungen zu sehen, die sich dem Motiv des Waldes und nationalistischen Projektionen widmen. Die Fotografien von Elina Brotherus, die sich unter anderem in Anlehnung an Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer selbst ins Bild setzt, eröffnen Fragen zu Gender- und Blickverhältnissen in der Kunst der Romantik. David Claerbouts (*1969) immersive Videoinstallation schließlich ermöglicht den Besucher*innen eine vollständig computergenerierte Naturerfahrung.

Die Schau wird durch ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm und zahlreiche Vermittlungsangebote begleitet. Im Vermittlungsraum KOSMOS CASPAR inmitten der Ausstellung kann man sich an einer digitalen und analogen Zeichenstation sowie an Riech- und Taststationen auf die Spuren von Friedrich als Zeichner begeben und über das eigene Verhältnis zur Natur nachdenken. In der App der Hamburger Kunsthalle stehen mehrere Audiotouren zur Verfügung: eine rund 65-minütige Tour für Erwachsene (Deutsch/ Englisch), eine Tour für Kinder ab 8 Jahren, eine Tour in Leichter Sprache (jeweils Deutsch) sowie Videos in Deutscher Gebärdensprache und Audiodeskriptionen für sehbehinderte/blinde Gäste. Ein breites Angebot an verschiedenen Führungen vor Ort wird ab Februar 2024 ergänzt um die Alternative von digitalen Führungen im 360°-Format (Deutsch/Englisch).

Der Katalog zur Ausstellung (512 Seiten, 350 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag – eine englische Ausgabe erscheint voraussichtlich Ende Februar/Anfang März 2024) bietet vielfältige Perspektiven auf Friedrichs Werke und einen spannungsreichen Dialog zwischen romantischer Natursicht und heutigen ökologischen Perspektiven. Die Publikation ist zum Preis von 49 Euro im Museumsshop oder über www.freunde-derkunsthalle.de zum Buchhandelspreis von 54 Euro erhältlich.

CASPAR DAVID FRIEDRICH. Kunst für eine neue Zeit ist das dritte bedeutende Friedrich-Projekt an der Hamburger Kunsthalle nach den legendären Ausstellungen in den Jahren 1974 und 2006.

Die Ausstellung der Hamburger Kunsthalle bildet den Auftakt zum Caspar David Friedrich-Festival. Anlässlich des Jubiläumsjahres widmen in der Folge auch die Alte Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dem Künstler eine jeweils thematisch eigenständige Schau. Die drei Häuser verfügen über die bedeutendsten Bestände an Werken Friedrichs weltweit. Mit umfangreichen gegenseitigen Leihgaben ermöglichen sie einzigartige Präsentationen zu unterschiedlichen Aspekten seines Schaffens. Die Jubiläumsausstellungen zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich stehen unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Im Kontext des Festivals entsteht – initiiert von der Hamburger Kunsthalle in Kooperation mit der Alten Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – im Rahmen des Projektes Datenraum Kultur das Webportal cdfriedrich.de mit kuratierten multimedialen Angeboten zu Friedrichs Werk. Der Datenraum Kultur soll als eines von mehreren Leuchtturmprojekten der Digitalstrategie der Bundesregierung die digitale Vernetzung von Kultureinrichtungen und den souveränen Austausch kulturbezogener Daten ermöglichen. Das Projekt wird vollständig mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert. acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT sind mit dem Aufbau betraut.

  • Die Ausstellung hat verlängerte Öffnungszeiten: Di. bis So. von 10 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr.
  • Die Ausstellung hat verlängerte Öffnungszeiten: Di. bis So. von 10 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr.
  • Für den Besuch bedarf es eines Zeitfenster-Tickets (online und an bekannten Vorverkaufsstellen).
  • Soweit verfügbar, sind die Tickets auch an der Kasse im Museumsaltbau erhältlich. Das Zeitfenster bezieht
    sich auf die Einlasszeit (die Aufenthaltsdauer ist nicht berührt) und gilt für alle anderen Bereiche des Museums
  • Unter #CDF250 wird die Ausstellung in den Sozialen Medien kommuniziert.
© Foto: Diether von Goddenthow
© Foto: Diether von Goddenthow

Hamburger Kunsthalle
Glockengießerwall 5
20095 Hamburg
www.hamburger-kunsthalle.de