Boehringer-Ingelheim-Preis 2018: Wie Fluglärm krankt macht und wie sich im erwachsenen Gehirn neue Nervenzellen bilden

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(Mainz, 14. Juni 2018, rdr) Die Boehringer Ingelheim Stiftung zeichnete im Rahmen einer feierlichen Preisverleihung die beiden Biologen Dr. Frank Bicker und Dr. Swenja Kröller-Schön mit dem diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis aus. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Preis geht zu gleichen Teilen an die beiden erfolgreichen Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz. Dr. Swenja Kröller-Schön konnte erstmals den molekularen Mechanismus entschlüsseln, über den Fluglärm die Blutgefäße schädigen und damit schließlich zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann. Dr. Frank Bicker hat die bedeutende Rolle des Proteins EGFL7 bei der Bildung neuer Nervenzellen aus Stammzellen im erwachsenen Gehirn nachgewiesen. Diese Erkenntnisse haben direkte Implikationen für das lebenslange Lernen, aber auch für mögliche Therapieansätze im Rahmen der regenerativen Medizin.

„Die Neurowissenschaften und die Gefäßmedizin zählen zu unseren Forschungsschwerpunkten – gleichzeitig sind die Themen alternde Gesellschaft und Lärm in unserem täglichen Leben von großer Relevanz“, betont Univ.-Prof. Dr. Ulrich Förstermann, Wissenschaftlicher Vorstand und Dekan der Universitätsmedizin Mainz. „Es freut mich sehr, dass wir heute diese beiden Wissenschaftler auszeichnen dürfen, die sich solch wichtigen Forschungsthemen widmen und diese mit großem Enthusiasmus und Professionalität vorantreiben.“

Dr. Claudia Walther, Geschäftsführerin der Boehringer Ingelheim Stiftung, unterstreicht: „Es ist immer wieder eine Freude, beispielhafte Leistungen wie die der diesjährigen Preisträger mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis auszuzeichnen. Mehr als 100 fortgeschrittene Nachwuchsforscher und -forscherinnen haben ihn bisher erhalten. Damit steht der Preis auch für das langfristige Engagement der Stiftung für exzellente Wissenschaft in Mainz.“

 Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Huber über „Moderne Immuntherapien für Krebserkrankungen“ Foto: Heike v. Goddenthow
Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Huber über „Moderne Immuntherapien für Krebserkrankungen“ Foto: Heike v. Goddenthow

Im Anschluss an die Verleihung der Urkunden präsentierten die beiden Preisträger ihre Forschungsarbeiten in allgemeinverständlichen Vorträgen. Der ehemalige Direktor der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik und Präsident der Association for Cancer Immunotherapy (CIMT), Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph Huber, stellte in seinem Festvortrag „Moderne Immuntherapien für Krebserkrankungen“ vor.

Mit dem Boehringer-Ingelheim-Preis zeichnet die Boehringer Ingelheim Stiftung Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz für exzellente wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der theoretischen und klinischen Medizin aus. Der Preis ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert und wird seit 1969 jährlich vergeben.

Einzelheiten zur Arbeit von Dr. Frank Bicker (Jahrgang 1978)

Frank Bicker. © Unimedizin Mainz
Frank Bicker. © Unimedizin Mainz

Dr. Frank Bicker hat die bedeutende Rolle des Proteins EGFL7 bei der Bildung neuer Nervenzellen aus Stammzellen im erwachsenen Gehirn und dessen Wirkungsweise nachgewiesen. Diese Erkenntnisse haben direkte Implikationen für das lebenslange Lernen, aber auch für mögliche Therapieansätze im Rahmen der regenerativen Medizin.

Bei gesunden Erwachsenen herrscht im Gehirn ein Gleichgewicht zwischen Abbau und Neubildung neuer Nervenzellen, da alte, abgestorbene Zellen durch neue ersetzt werden. Die neuen Nervenzellen entwickeln sich dabei aus sogenannten Stammzellen. Sie können sich im Gegensatz zu ausgereiften Nervenzellen noch teilen und so Zellen produzieren, die zu Nervenzellen heranreifen können. Sterben durch Verletzungen oder Krankheit des Gehirns mehr Nervenzellen, wird dieser Prozess angekurbelt. Eines von zwei Reservoirs für Stammzellen ist die Subventrikuläre Zone. Diese Zone versorgt unter anderem den Riechkolben – den Teil des Gehirns, der direkt über der Riechschleimhaut der Nase liegt – mit ausgereiften Nervenzellen. Jedoch reift nur ein sehr geringer Teil aller Stammzellen im Gehirn tatsächlich zu funktionierenden Nervenzellen aus. „Dies lässt uns vermuten, dass die Reifung von Nervenzellen und deren Einbau in das Gehirn ein kritischer Schritt ist“, erläutert Frank Bicker. „Der chronische Verlauf bestimmter neurodegenerativer Erkrankungen wie Demenz oder Morbus Parkinson spricht beispielswiese dafür, dass das Gehirn aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, den Verlust von Nervenzellen vollständig auszugleichen, obwohl es durchaus das Potential hat, sich selbst ‚auszubessern‘.“

Deshalb haben die Wissenschaftler sich auf die Suche nach Faktoren gemacht, die die Bildung neuer Nervenzellen stimulieren können – und haben mit dem Protein EGFL7 ein in dieser Hinsicht vielversprechendes Molekül identifiziert und unter die Lupe genommen. EGFL7 wird unter anderem von Zellen in der Wand der Blutgefäße, Nervenzellen und Stammzellen im Gehirn gebildet. „Wir konnten im Tiermodell zeigen, dass EGFL7 zum einen die Bildung von Vorläuferzellen fördert, und zum anderen dafür sorgt, dass diese auch tatsächlich zu reifen Nervenzellen werden und als solche in das existierende Netzwerk aus Nervenzellen im Gehirn eingebaut werden können“, so Frank Bicker. Normalerweise werden die Zellen des Riechkolbens bei Mäusen ständig erneuert. Schalteten die Forscher die EGFL7-Produktion ab, konnten die untersuchten Mäuse schlechter riechen, da weniger Nervenzellen heranreiften.

Zusammenfassend ist nun klar, dass EGFL7 den natürlichen Prozess fördert, bei dem fortwährend neue Nervenzellen entstehen. „Weitere Studien müssen jetzt zeigen, inwieweit wir dieses Protein therapeutisch nutzen können“, resümiert Frank Bicker. „Etwa bei der Behandlung von Demenz und Morbus Parkinson oder sogar bei akuten Verletzungen, wie dem Schlaganfall. Der Schutz des alternden Gehirns zur Prävention von Erkrankungen wird ebenfalls im Fokus weiterer Studien stehen.“

Originalpublikation:

Neurovascular EGFL7 regulates adult neurogenesis in the subventricular zone and thereby affects olfactory perception

Frank Bicker, Verica Vasic, Guilherme Horta, Felipe Ortega, Hendrik Nolte, Atria Kavyanifar, Stefanie Keller, Nevenka Dudvarski Stankovic, Patrick N. Harter, Rui Benedito, Beat Lutz, Tobias Bäuerle, Jens Hartwig, Jan Baumgart, Marcus Krüger, Konstantin Radyushkin, Lavinia Alberi, Benedikt Berninger & Mirko H.H. Schmidt

Nature Communications, 8:15922, DOI: 10.1038/ncomms15922

Einzelheiten zur Arbeit von Dr. Swenja Kröller-Schön (Jahrgang 1979):

Swenja Kröller Schön © Unimedizin Mainz
Swenja Kröller Schön © Unimedizin Mainz

Swenja Kröller-Schön untersuchte in der ausgezeichneten Arbeit den Einfluss von Fluglärm auf die Gesundheit, insbesondere mit Blick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie hat vor allem die molekularen Prozesse untersucht, über die Fluglärm Schäden an den Blutgefäßen verursachen kann. Sie konnte zeigen, dass Fluglärm über den gleichen Mechanismus zu Gefäßfunktionsstörungen führt wie traditionelle Risikofaktoren – ein echter Durchbruch bei der Lärmforschung.

„Aus früheren Studien an gesunden Probanden und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wussten wir, dass Fluglärm insbesondere die Gefäße schädigt“, erläutert Swenja Kröller-Schön. „Die molekularen Mechanismen dieser Gefäßschädigung waren bis dato jedoch unbekannt. Es gab bisher so gut wie keine Studien, die uns erklären konnten, warum und wie Lärm krank macht.“

In einem neu entwickelten Tiermodell konnte die Biologin nun feststellen, dass Fluglärm zu deutlich mehr Stresshormonen und mehr oxidativem Stress führt. Dies stört die Funktion der Gefäße und erhöht den Blutdruck. Sie konnte auch zeigen, dass in den Zellen der Gefäßwände andere Gene aktiv waren. Darüber hinaus entschlüsselte die Biologin gemeinsam mit ihren Forscherkollegen Enzyme, die für den nachhaltigen Gefäßschaden verantwortlich sind. „Basierend auf diesen Daten konnten wir erstmals ein Modell für eine Lärm-induzierte Krankheitsentstehung postulieren“, so Swenja Kröller-Schön. „Die Ergebnisse dieser Studie ermöglichen es somit erstmalig, spezifische Strategien zu entwickeln, die die durch Lärm ausgelösten negativen Konsequenzen für Gefäße abschwächen und so Menschen vor den Folgen des Fluglärms schützen.“