Man muss schon sehr genau schauen können, und etwas üben, bis einem die leichte farbliche Verwandlung bei der Veränderung der Betrachtungsperspektive auffällt. Aber vielleicht waren gestern Abend bei der Vernissage die Lichtverhältnisse zur vollen Wahrnehmung des Interferenzfarben-Effekts nicht mehr ganz optimal. Denn Polarisationsfarben, wie Interferenz-Farben auch genannt werden, entstehen erst bei der Einwirkung von ausreichendem Tages- oder polychromatischem Glühlicht. Es ist eine komplizierte Materie, wobei das Licht ein wesentlicher Faktor für die Leuchtkraft des Bildes ist. Je nach Lichtquelle, Lichtstärke, Lichtwinkel und Tageszeit und Blickwinkel wirken Bilder anders, vergleichbar mit der laufenden regenbogenhaften Farbveränderung einer sich im Sonnenlichte drehenden Seifenblase. 30 Jahre beschäftigt sich Anton Kokl, nun schon mit den künstlerischen Eigenschaften der Interferenzfarbe.
Das Museum Wiesbaden widmet dem Mainzer Künstler vom 16. Juni bis zum 24. September 2023 eine Sonderausstellung in zwei Räumen und zeigt eine Werkauswahl aus den letzten 15 Jahren. Ob großformatige Malereien oder Gummidrucke auf Papier – immer spielen in den rund 20 Werken der Ausstellung Interferenzpigmente eine entscheidende Rolle. Kokls Kunst lädt die Besucher ein, sich vor den Arbeiten zu bewegen und in die Farberfahrung einzutauchen.
„Ich stieß in dem Moment auf die Interferenzfarbe (1993), als ich mich in der Ölmalerei mit ‚monochromischen‘ Farbflächen und Farbverläufen beschäftigte. Ich merkte sofort, dass das mit dem Interferenz-Bild in einem direkten Verhältnis abhängig vom Standortlicht und der Bewegung des Betrachters geschah.“ Anton Kokl
Anton Kokl wurde 1949 als Deutscher im ehemaligen Jugoslawien geboren. Im Alter von sieben Jahren siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland über, wo er nach seinem Abitur in Speyer ab 1971 Bildende Kunst in Mainz studierte. Seit 1982 ist Kokl freischaffend in Mainz tätig, zudem nahm er Arbeits-aufenthalte in Paris und Rom wahr. Bei seiner Lehrtätigkeit als Leiter der Druckwerkstätten der Kunsthochschule Mainz konnte er sein fundiertes Wissen im Bereich des Hoch-, Tief-, Flach- und Durchdrucks an die Studierenden weitergeben. Dieses Wissen stand ihm auch bei der Weiterentwicklung seiner Malerei zur Verfügung und so ist der Einfluss des Druckgrafischen und eine gegenseitige Abhängigkeit von Malerei und Grafik in seinen Werken stets zu erkennen – mal subtil, mal offensichtlich.
„IF/Fliegendes Weiß“ ist eine Serie, die diese Verschränkung der Techniken verdeutlicht. Mit vollem Körpereinsatz trägt der Künstler weiße Tusche auf die schwarz grundierte Leinwand auf. Bis zu drei Meter hoch kann das Gewebe sein, das zunächst noch unaufgespannt an die Wand genagelt wird. Die Setzung der gestischen Pinselspuren erfolgt ohne Augenkontrolle – „vorbewusste Malbewegung“ nennt Kokl diese Art des künstlerischen Prozesses. Das für ihn Interessante sind dabei die sich ergebenden Formen bzw. Formreste, bestehend aus fließender Farbe und den sich allmählich entleerenden Pinselstrichen.
Als dritte Komponente, die die weißen Formen optisch fliegen lässt, kommt die Interferenzfarbe hinzu. Die schimmernden Farbpigmente werden im Siebdruckverfahren auf die Leinwand gebracht und scheinen sich zwischen die weiße Geste und den schwarzen Grund zu legen. Es entsteht eine „gläserne Atmosphäre“, die den Bildraum in die Tiefe hinein eröffnet. Je nach Standpunkt der Betrachtenden und Einfallswinkel sowie Intensität des Lichts verändert sich die Farbwahrnehmung jedes einzelnen Bildes.
Aus der Sphäre der Autolacke, Kunststoffe und Kosmetika hat Anton Kokl die Interferenzpigmente in die Kunstwelt überführt, um sie in unterschiedlichsten Verfahren für seine Kunst nutzbar zu machen. Er agiert hierbei nicht nur als Künstler, sondern auch als Forscher. Die kleinformatigeren Papierarbeiten der „Gum Print“-Serie entstehen in einem fototechnischen Verfahren und schaffen durch die besondere Verzahnung von Figur und Grund, Positiv und Negativ ein komplexes Wahrnehmungsangebot.
„Wenn man hauptsächlich autodidaktisch aufwächst und in die Materie des Bildermachens auf natürliche Weise hineingerät, spürt man keinen Unterschied zwischen Experiment und etwas anderem, alles ist eins. Noch heute wundere ich mich, wenn ehemalige Studienkollegen sagen, ich hätte ständig experimentiert. […] Für mich war ‚experimentieren‘ nicht eigentlich zielgerichtet, es war ein Spielen. Dieses Spielen bedeutet nichts anderes als ein kontinuierliches, geschmeidiges sich Erneuern, ein lebendig bleiben.“ Anton Kokl
Weiterführende Inhalte bietet der gleichnamige Ausstellungskatalog mit Texten von Prof. Dr. Gregor Wedekind, Lea Schäfer, Valerie Ucke und Dr. Andreas Henning (HG: Museum Wiesbaden, 2023, ISBN 978-3-89258-143-7, Preis: 22 Euro, Erscheinungsdatum: Juli 2023).
Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2,
65185 Wiesbaden
https://museum-wiesbaden.de/
Begleitprogramm (Auswahl)
Künstlergespräch
Sa 1 Jul 23, 14:00 Uhr
Künstler im Gespräch
Lea Schäfer (Kuratorin des Museums Reinhard Ernst) spricht mit dem Künstler über seine Werke
Dialogführung
Do 24 Aug 2023, 17:30 Uhr
Kunst trifft Natur
Dialogführung zu den Interferenzfarben der Natur und im Werk des Künstlers Anton Kokl
Mit: Susanne Kridlo (Kuratorin Naturhistorische Abteilung), Valerie Ucke (Kuratorin Ausstellung) und Anton Kokl
Hr2 ist Kulturpartner der Ausstellung.
https://museum-wiesbaden.de/anton-kokl
Eintritt
Ticketerwerb an der Tageskasse oder Buchung online:
https://tickets.museum-wiesbaden.de/
Dauerausstellung* 6,— Euro (4,— Euro ermäßigt) Eintritt frei für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.