
Eigentlich müsste es ja Holz- oder Leder-Zeit heißen, aber es gäbe ja keine derartigen Funde, die dies unbeschadet 45 000 Jahre überdauert hätten, weswegen man eben von der Steinzeit, der Früh- und Spätsteinzeit, spräche, so Museumspädagogin Nicole Weidel M.A., beim Rundgang durch die neue Ausstellung „Urformen – Figürliche Eiszeitkunst Europas“. Diese wurde gestern Abend im Stadtmuseum Wiesbaden am Markt (SAM) von Sabine Philipp M.A., Direktorin des Stadtmuseums, eröffnet. Angereist aus Michelstadt und Eberstadt im Odenwald war das Elfenbein-Schnitzerteam um Designer- und Schnitzermeister Bernhard Röck aus Europas letzter Elfenbein-Schnitzschule, die übrigens junge begabte Leute einlädt, bei ihnen das krisensichere Holz- und Elfenbein-Schnitzerhandwerk zu erlernen.

Die Elfenbeinschnitzer haben einen Großteil der präsentierten Figuren der „Eiszeitkunst“ in ihren Originalmaterialien nachgeschnitzt und somit originalgetreue Replikate geschaffen. Diese vermitteln einen authentischen Eindruck von den ursprünglichen Formen der Figuren, welche die Menschen in ihrem Alltag einst umgaben. Die originalgetreuen Nachbildungen dürfen zudem angefasst werden, so dass ihr Aussehen und ihre vollendeten Formen auch taktil erlebbar werden. Das kommt insbesondere auch Menschen mit Sehbehinderungen und Kindern sehr entgegen.
Nachdem im vergangenen Jahr vier eigens im SAM kuratierte Ausstellungen gezeigt werden konnten, handelte es sich bei dieser Ausstellung „Urformen – Figürliche Eiszeitkunst Europas“ um eine Wanderausstellung der Arbeitsgemeinschaft Weltkultursprung aus Ulm. Die Ausstellung geht vom 1. März bis 11. Juni 2023 und präsentiert 23 ausgewählte Kunstwerke der jüngeren Altsteinzeit (42.000 bis 11.700 vor heute). Die Originale stammen aus den berühmtesten Fundstellen in Deutschland, Frankreich, Tschechien, der Slowakei und Russland und sind zwischen 42.000 und 11.700 Jahre alt. Sie zeigen die Bedeutung des Kunstschaffens in der Steinzeit und geben Einblick in die Lebenswelt der damaligen Menschen. Sie sind die ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheit überhaupt, und zeichnen sich durch ihre künstlerische Einzigartigkeit und zugleich überraschend modern anmutende Ästhetik aus.

Absolute Highlights sind unter anderem die gut 40 000 Jahre alten Schwanenflügelknochenflöte und Mammutelfenbeinflöte, Replikats-Leihgaben aus dem Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren, sowie der „Löwenmensch“ , ein Höhlenfund vom Hohlenstein-Stadel im Lonetal (Schwäbische Alb). Beim „Löwenmensch“ handelt es sich um eine 31,1 cm große und zirka 35.000 bis 41.000 Jahre alte Skulptur aus Mammut-Elfenbein. Sie stellt einen Menschen mit dem Kopf und den Gliedmaßen eines Höhlenlöwen dar und gibt der Wissenschaften weiterhin viele Rätsel auf.
Ergänzung durch die ältesten „Kunstwerke“ Hessens

Thematisch ergänzt wird die Ausstellung mit ausgewählten Originalfunden aus den eiszeitlichen Höhlen bei Runkel-Steeden (Kreis Limburg-Weilburg), die sich in der Sammlung Nassauischer Altertümer (SNA) der Stiftung Stadtmuseum Wiesbaden befinden. Sie gehören zu den ältesten menschlichen Artefakten in der SNA sowie zu den ältesten „Kunstwerken“ Hessens. Für die Archäologie der Altsteinzeit stellt der Fundplatz von Steeden darüber hinaus eine wichtige Referenz zur Schwäbischen Alb dar. Zusätzlich lieferten die aus Wiesbaden geleiteten Ausgrabungen im 19. Jahrhundert wichtige Impulse für die Erforschung des urgeschichtlichen Menschen.
Die Wanderausstellung ist eine Produktion der Arbeitsgemeinschaft Weltkultursprung, gefördert von der Stiftung Baden-Württemberg.
Begleitbroschüre
Zur Ausstellung ist eine kostenlose Begleitbroschüre im sam – Stadtmuseum am Markt erhältlich. Die Sonderausstellung und die Begleitbroschüre sind in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch zugänglich.
Weitere Informationen, insbesondere auch über Führungen und Rahmenprogramm!