March for Science Professor Dr. Dittmar Graf Evolutionsunterricht gehört schon in Grundschulen

Professor Dr. Dittmar Graf: Wer Wissenschaft ablehnt, lehnt häufig auch die Evolution ab!

Professor Dr. Dittmar Graf, den Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Biologiedidaktik der Universität Gießen: "Über 40 Prozent lehnen in den USA  die Evolution ab".   Foto: Diether v. Goddenthow
Professor Dr. Dittmar Graf, den Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Biologiedidaktik der Universität Gießen: „Über 40 Prozent lehnen in den USA die Evolution ab“. Foto: Diether v. Goddenthow

Nonstop folgt der nächste hochkarätige Gast in der Talkrunde: Olli begrüßt Professor Dr. Dittmar Graf, den Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Biologiedidaktik der Universität Gießen. Professor Graf ist ein international bekannter und renommierter Didaktiker, der sich mit Lehren und Lernen in Hochschulen, Schulen und der Bildung  beschäftigt. Olli befragt ihn über die Einstellung zur Evolution in den USA und in Deutschland, und da sprudelt es nur so aus dem Didaktik-Professor heraus, als habe er eine wunden Pickel erwischt:  Es wäre tatsächlich so erschreckend wie  Umfragen immer wieder zeigten, „dass in den USA über 40 Prozent der Menschen, die befragt werden, Evolution als Tatsache ablehnen!“. Professor Dittmar Graf ist so erschüttert darüber, dass er es nochmals wiederholt: „Über 40 Prozent lehnen in den USA also die Evolution ab. Eine wissenschaftliche Tatsache wird einfach so schlichtweg abgelehnt.“ Er und Kollegen versuchten nun bei diesen Dingen die Ursachen zu erforschen. „Wieso lehnen die das ab?“

Nicht bloß „Fromme“ sind gegen die Evolution

Was vielleicht das Naheliegendste dabei immer sei, zu denken, bloß jemand, der sehr stark gläubig wäre, der sich sehr stark an der Bibel orientiere, lehne  Evolution ab. Das stimme zwar auch, so der Biologiedidaktiker. Aber es gäbe noch einen zweiten Faktor, der eigentlich noch  stärker durchschlage, was vielleicht ein bisschen überraschend wäre: „Das ist tatsächlich das Verständnis von Wissenschaft, Verständnis und Akzeptanz von Wissenschaft. Wer Wissenschaften nicht versteht, und Wissenschaft ablehnt, der lehnt in vielen Fällen auch die Evolution ab,“ hat Professor Dittmar Graf erhausgefunden. Und es sei für ihn als Didaktiker eine zentrale Aufgabe, „dafür zu sorgen, dass in der Schule, das was Wissenschaft ist, das was Wissenschaft ausmacht, das was Wissenschaft will, wie Wissenschaft funktioniert, in einer viel breiter gehenden Art und Weise zu vermitteln als das bis jetzt gemacht wird.“, erläutert Professor Dittmar Graf.

Demo-Impressionen des March for Science Frankfurt. Foto: Diether v. Goddenthow
Demo-Impressionen des March for Science Frankfurt. Foto: Diether v. Goddenthow

Kochrezept-Wissenschaft statt Forschungsdrang zu wecken

Was Professor Dittmar Graf zurzeit auch ein wenig wurme, wäre, dass Wissenschaft, wissenschaftliche Experimente, häufig  in Schulen wie Kochrezepte durchgeführt würden. Als wäre Wissenschaft so eine Art Kuchenbacken nach Rezept, dabei bliebe jedoch der Forschergeist, die Suche nach der Wahrheit und die Neugierde Neues selbst zu entdecken häufig auf der Strecke.

Religion ist im Unterricht der USA verboten

Und wie es um den Schulunterricht in Bezug auf Wissenschaft in den USA bestellt sei, fragt Olli von Schlaulicht nach:

In den Vereinigten Staaten werde ja schon, solange es Evolution regelmäßig im Unterricht gäbe, also seit den 60er Jahren, versucht, „das entweder wieder herauszunehmen, oder eine Schöpfungslehre oder schöpfungslehrenartige Inhalte zur Seite zu stellen“, erläutert Professor Dittmar Graf. „Das endet regelmäßig in den Vereinigten Staaten vor Gericht. Das heißt also: Richter entscheiden darüber, ob das Wissenschaft ist. Creation Science gab’s mal, Kreationswissenschaft wurde das genannt, war aber keine Wissenschaft. Das einzige, was die gemacht haben, ist, in die Türkei zu fahren zum Berg Ararat, (http://www.sueddeutsche.de/wissen/vermeintlicher-arche-noah-fund-steinige-enttaeuschung-1.911085 ) um dort nach Überbleibseln der Arche Noah zu suchen. Das war dann die Wissenschaft.“, erläutert Professor Dittmar Graf kopfschüttelnd den  Aktionismus. Damals  haben die Richter vor Gericht entschieden, dass Kreationswissenschaft  reine Religion sei.

Auf den Kreationismus folgte Intelligent-Design

„Dann kam ein paar Jahre später ein neuer Versuch“, so der Biodidaktiker fortfahrend. Es wurde nicht mehr von einem Gott gesprochen, der „alles gemacht hat, sondern von einem intelligenten  Designer. Intelligent Design (https://de.wikipedia.org/wiki/Intelligent_Design  hieß diese Bewegung dann. Der intelligente Designer wurde nicht näher benannt, jeder wusste, dass Gott gemeint ist, es könnte natürlich auch ein Außerirdischer sein. Auch das endete wieder vor Gericht: Und wurde wieder als Religion abgelehnt.“, so Professor Dittmar Graf.

Man müsse dazu sagen, um das zu verstehen, dass in den USA  die Trennung zwischen Staat und Kirche viel ausgeprägter als hier in Deutschland. Man solle es nicht glauben, so Professor Dittmar Graf, aber es dürfe im Unterricht keine religiöse Unterweisung gegeben werden. Alles Religiöse müsse komplett raus. Deswegen versuchten die Anhänger eben auch,  Religiöses als Wissenschaft zu verkaufen.

Neueste Entwicklung: Religion über die Hintertür gegen Evolution und Klimawandel

Anette Thumser von den Humanisten mit dem Brechtzitat: "Wissenschaft: Es ist nicht ihr Ziel, der unendlichen Weisheit eine Tür zu öffnen, sondern eine Grenze zu setzen dem unendlichem Irrtum".Foto: Diether v. Goddenthow
Anette Thumser von den Humanisten mit dem Brechtzitat: „Wissenschaft: Es ist nicht ihr Ziel, der unendlichen Weisheit eine Tür zu öffnen, sondern eine Grenze zu setzen dem unendlichem Irrtum“.Foto: Diether v. Goddenthow

Der neueste Schlenker wäre, so Professor  Dittmar Graf, nun,  nachdem  2005 Intelligent Design ebenfalls von Richtern als Religion entlarvt und als Schulstoff gerichtlich untersagt wurde, den Blick zu erweitern! „Nicht nur die Evolutionsbiologie, oder den Kreationismus nimmt man in den Focus, sondern nimmt den – ebenfalls von vielen bestrittenen – Klimawandel und auch ethische Problemstellungen dazu, etwa mit Fragestellungen: Darf Gentechnik alles Mögliche tun“, so Professor Dittmar Graf. Und dann behaupte man:  Das seien alles gesellschaftliche Probleme, die stark und intensiv diskutiert werden müssten. „Als Schüler kannst Du da nur mitreden, wenn du beide Seiten kennst. Und so solle halt wieder der Kreationismus, die Kreationismuslehre, und eben auch das Leugnen des Klimawandels in den Unterricht hineinkommen.“, zeigt Professor Dittmar Graf die gegenwärtige Entwicklung in diversen US-Bundesstaaten auf. „Das ist ein offenes Rennen. Bis jetzt ist da noch nichts von irgendwelchen Gerichten zu hören. Das wird man sehen, wie sich das in den nächsten zwei, drei Jahren entwickelt.“, so Graf.

Forderung nach Evolution als Unterrichtsfach von der Grundschule an

Selbst in Deutschland, wenn man Befragungsergebnisse anschaue, lehnten immerhin ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung die Evolution ab. Die seien natürlich nicht alle Kreationisten. Vielmehr wäre es oft so ein diffuses Ablehnen, wohl eher aus Unwissenheit heraus, was, wenn man in die Schulen schaue, nicht sehr verwunderlich wäre: Klassischer weise sei „Evolution“ ein Abschluss-Thema, werde kurz vor dem Abitur behandelt oder irgendwo gegen Ende der Sekundarstufe I. Es werde auch gerne, wenn man das nicht unterrichten will, solange rumgemacht, bis das Thema gar nicht mehr drankomme, weswegen es absolut zu kurz käme, hat Professor Dittmar Graf herausgefunden.

Die Humanisten stehen für die individuelle Freiheit, eine soziale Gesellschaft und wissenschaftlichen Fortschritt statt auf religiöse Perspektiven zur Erklärung der Welt  Foto: Diether v. Goddenthow
Die Humanisten stehen für die individuelle Freiheit, eine soziale Gesellschaft und wissenschaftlichen Fortschritt statt auf religiöse Perspektiven zur Erklärung der Welt Foto: Diether v. Goddenthow

EVO-Kids – Evolutionsunterricht schon ab der Grundschule

Um endlich die wissenschaftlich fundierte Lehre von der Evolution verstärkt an junge Leute heranzubringen, wurde die Initiative EVO-Kids (https://evokids.de/) ins Leben gerufen. Zumindest sei eines der Dinge, die EVO-Kids will, „den Evolutionsunterricht deutlich nach vorne ziehen bis hin in die Grundschule. Dass Evolution stattgefunden hat, verstehen Kinder in der Grundschule auch schon. Die interessieren sich sogar wahnsinnig für Dinosaurier. Das wissen alle. Und trotzdem kommt es in den Grundschullehrplänen nicht vor. Das halten wir für einen großen Fehler, und wie gesagt: Wir stehen dafür und haben schon ganz viel Unterrichtsmaterialien für die Grundschule entwickelt“, berichtet der Institutsleiter, der zwei Tage zuvor, gemeinsam mit namhaften Kollegen und der führenden Wissenschaftsorganisation Leopoldina eine über 50seitige Stellungnahme zum Evolutionsunterricht an der Schule und auch an der Hochschule herausgegeben hat. Denn die momentane weltweite Ausbreitung des Kreationismus, auch in der muslimischen Welt, sei geradezu erschreckend.

https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2017_Stellungnahme_Evolutionsbiologie.pdf

Aus der Dokumentation March for Science in Frankfurt gegen Fake-News u. Religionsfundamentalismus für eine aufgeklärte, pluralistische Gesellschaft auf Rhein-Main.Eurokunst von Diether v. Goddenthow