„Ein Glas Wasser, bitte“ Katharina Grosses raumgreifende Glasarbeit für das Museum Reinhard Ernst (mre) wurde eingebaut

Das Museum Reinhard Ernst (mre), von außen beinahe fertig,  wird im ersten Halbjahr 2024 eröffnet. Hinter den Kulissen wird dafür jetzt schon unter Hochdruck gearbeitet. So wurde in den letzten Wochen Katharina Grosses erste Glasarbeit mit einer Gesamtgröße von insgesamt 64 Quadratmetern ins Foyer des Museums eingebracht. © Foto Diether von Goddenthow
Das Museum Reinhard Ernst (mre), von außen beinahe fertig, wird im ersten Halbjahr 2024 eröffnet. Hinter den Kulissen wird dafür jetzt schon unter Hochdruck gearbeitet. So wurde in den letzten Wochen Katharina Grosses erste Glasarbeit mit einer Gesamtgröße von insgesamt 64 Quadratmetern ins Foyer des Museums eingebracht. © Foto Diether von Goddenthow

Wiesbaden, 4. Oktober 2023 – Was geschieht, wenn zwei Farben aufeinandertreffen? Dieser grundsätzlichen künstlerischen Frage geht Katharina Grosse in ihrer Arbeit „Ein Glas Wasser, bitte“ nach. Für dieses eigens für das Museum Reinhard Ernst entstandene Kunstwerk hat die Künstlerin das Medium gewechselt: Arbeitet sie sonst auf Leinwand oder mit einem aufwändigen Sprühtechnikverfahren, so hat sie für das neue Wiesbadener Kunstmuseum ein tonnenschweres Glaskunstwerk geschaffen.

Das reliefartige und im wahrsten Sinne vielschichtige Werk wurde im Sommer ins Foyer des Museums Reinhard Ernst eingebracht.

Hinter der Glasarbeit wird das Herzstück der Kunstvermittlung eingerichtet – das Farblabor. Wenn das Museum Reinhard Ernst eröffnet ist, dürfen hier große und kleine Forscher:innen an digitalen Versuchsstationen mit den schier unerschöpflichen Erscheinungsformen der Malerei experimentieren.

Foto: Anika Dekubanowski (mre)
Foto: Anika Dekubanowski (mre)

Verantwortlich für die Einbauarbeiten von Katharina Grosses großformatigem Werk war das Montageteam der Derix Glasstudios in Taunusstein. Der Meisterbetrieb mit einer jahrhundertealten Tradition hat diese Arbeit auch glaskünstlerisch kongenial umgesetzt. Aufgrund der Dimension des Kunstwerks – es misst ca. 839 cm in der Breite und ca. 400 cm in der Höhe – waren die Einbauarbeiten sehr aufwändig. Die Arbeit ist in acht Paneele unterteilt. Eine besondere Herausforderung war das Handling der einzelnen Elemente, von denen jedes ca. 330 Kilogramm wiegt. Jede Glasbahn wurde mittels eines Glasmontage-Roboters vom LKW zum endgültigen Standort transportiert. An Ort und Stelle wurden die einzelnen Teile millimetergenau in die dafür vorgesehenen Halterungen eingeführt. Die Rahmen wurden von der Firma Huhle Metallbau aus Wiesbaden gefertigt.

Museumsgründer Reinhard Ernst hat die Einbauarbeiten vor Ort mitverfolgt: „Zu sehen, wie Katharina Grosses Arbeit ins Museumsfoyer eingebaut wurde, war für mich ein besonderes Erlebnis. Die Entstehung dieser Arbeit vom ersten Entwurf bis zum fertigen Kunstwerk hat sich über zwei Jahre erstreckt. Ein hochkomplexer Vorgang, den ich mit großem Interesse begleitet habe. Die Einbringung des Werks ins Foyer markiert einen wichtigen Meilenstein in der Fertigstellung des Museums.“

Malerei immer wieder neu erfahrbar zu machen

Im Zentrum des Kunstwerkes stehen die Komplementärfarben Blau und Orange und „wie sich diese Farben in einem wässrigen Zustand mischen, durchkreuzen, abstoßen, stören und bereichern“, so die Künstlerin über ihren Entwurf. „Es geht um die Energie, die dabei entsteht. Diese Energie hat eine transformatorische Kraft, die alle, die vor oder hinter der Glaswand sind und schauen, inspirieren und begeistern kann. Sie zeigt, dass die Welt im Fluss ist.“

Gründungsdirektor Dr. Oliver Kornhoff: „Katharina Grosse arbeitet unermüdlich daran, Malerei immer wieder neu erfahrbar zu machen. Dafür bricht sie gern mit den Selbstverständlichkeiten der traditionsreichen Gattung und fragt sich und uns: Was kann Malerei alles sein? In unserem Museum arbeitet sie erstmals mit Glas. Auf insgesamt über 60 m² zeigt sie vom Boden bis zur Decke die unbändige Vielfalt der Farbe. Sie lässt sie perlen und schlieren, strömen und kriechen, tropfen und strudeln, kristallisieren und ausschweifen. Sie darf sich vermischen oder sich als Fläche behaupten. Besonders bei Sonnenschein wird die Wirkung atemberaubend sein und das überbordende Potenzial der Kunst feiern – und wir stehen mittendrin.“

Fusing und Airbrush, Ätzen und Malen, thermische Verformungen – bei diesem Kunstwerk von Katharina Grosse kam in monatelanger Detailarbeit eine Kombination unterschiedlicher Glasarten und Glasbearbeitungstechniken zum Einsatz. Ein Team von acht Mitarbeiter:innen war mit der Ausführung beschäftigt.

Unterschiedliche Glasarten machen den Charakter dieses Werkes aus

Dr. Oliver Kornhoff im Gespräch mit Katharina Grosse / Foto: Catherine Dallmer (mre)
Dr. Oliver Kornhoff im Gespräch mit Katharina Grosse / Foto: Catherine Dallmer (mre)

Am Anfang stand der von Katharina Grosse angefertigte Entwurf. Dieser wurde digitalisiert und diente als Grundlage für Zeichnungen, Pläne und Schablonen. Anschließend wurde der Glaszuschnitt vorgenommen. Unterschiedliche Glasarten machen den Charakter dieses Werkes aus: Als Trägerscheiben wurden Verbundsicherheitsgläser genutzt, diese werden von beiden Seiten mit künstlerisch veredelten mundgeblasenen Echt-Antikgläsern und gefusten Glaselementen beklebt.

Mundgeblasene Gläser sind besonders farbintensiv und verfügen über eine individuelle und einzigartige Oberflächenstruktur. In Handarbeit behandelten die Mitarbeiter:innen der Derix Glasstudios die Oberfläche mit Säure, um zusätzliche Strukturen und Farbschattierungen zu erzeugen. Auch Glasschmelzfarben kamen zum Einsatz, die nach dem Auftrag von Hand und mit der Airbrushpistole in die Gläser eingebrannt und so haltbar gemacht wurden. Des Weiteren wurden sogenannte Fusinggläser genutzt, die als Glaspulver im Ofen ausgelegt und dann in einem Hochtemperaturbrand zu organischen Formen zusammengeschmolzen wurden. Durch das Zusammenspiel der Fusing- und Echt-Antikgläser mit dem Licht entstehen einzigartige Farbkombinationen und -spiele.

Im Museum Reinhard Ernst sind neben Katharina Grosse weitere Künstler:innen mit Glasarbeiten vertreten, darunter MadC und Karl-Martin Hartmann. Die aufwendigen Kunstwerke wurden in diesem Sommer eingebrachte und können nach Eröffnung des Museums besichtigt werden.

Kurzbiografie Katharina Grosse
Geboren 1961 in Freiburg im Breisgau, hatte Katharina Grosse Professuren an der Weißensee Kunsthochschule Berlin (2000–2009) sowie an der Kunstakademie Düsseldorf (2010–2018) inne. Grosse lebt und arbeitet in Berlin und Neuseeland.

Zu ihren letzten institutionellen Ausstellungen und ortsbezogenen Malereien zählen unter anderem psychylustro im Rahmen des Philadelphia Mural Arts Programme (2014); yes no why later im Garage Museum of Contemporary Art, Moskau (2015); Seven Hours, Eight Rooms, Three Trees im Museum Wiesbaden (2015); Untitled (Trumpet) für die 56. Biennale di Venezia (2015); Katharina Grosse im Museum Frieder Burda, Baden-Baden (2016); Rockaway für das MoMA PS1-Programm Rockaway! In Fort Tilden, New York (2016); Asphalt Air and Hair auf der ARoS Triennale, Aarhus (2017); This Drove My Mother up the Wall in der South London Gallery (2017); The Horse Trotted Another Couple of Metres, Then It Stopped im Carriageworks, Sydney (2018); Wunderbild in der Nationalgalerie in Prag (2018/2019); Mumbling Mud im chi K11 art museum in Shanghai (2018/2019) sowie im chi K11 art space in Guangzhou (2019); die Doppelausstellung Mural: Jackson Pollock I Katharina Grosse im Museum of Fine Arts, Boston (2019); Is It You? im Baltimore Museum of Art (2020/2021), It Wasn’t Us im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin (2020/2021), Shutter Splinter für die Helsinki Biennale (2021), Chill Seeping from the Walls Gets Between Us im HAM – Helsinki Art Museum (2021/2022), Chill Seeping im SCAD – Museum of Art, Savannah (2022), Apollo, Apollo im Rahmen des Begleitprogramms zur 59. Biennale di Venezia im Espace Louis Vuitton, Venedig (2022), Destroy Me Once, Destroy Me Twice auf dem Gelände des Roskilde Festivals (2022), Studio Paintings, 1988–2022: Returns, Revisions, Inventions im Mildred Lane Kemper Art Museum, St. Louis (2022), sowie Splinter in der Pariser Fondation Louis Vuitton (2022), wo im Herbst letzten Jahres auch ihre im Dialog mit der Architektur von Frank Gehry stehende permanente Arbeit Canyon enthüllt wurde.

(Kathrin Grün /Museum Reinhard Ernst Pressesprecherin)

Museum Reinhard Ernst (mre)