„Den Wahnsinn der Menschheit heilen helfen“ – Dada lebt, zumindest im Arp-Museum Rolandseck mit „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ vom 7.07.24 – 12.01.2025

Auch beeinflusst von der Lebensreformbewegung und Freud'schen Psychoanalyse formierte sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs unter in die Schweiz geflüchteten Künstlern 1916 die Dada-Bewegung als Protestplattform gegen Krieg und Enge bürgerlicher Konventionen und Geschlechterrollen. Dadaist zu sein konnte "alles"  sein, und bedeutet hinsichtlich darstellender Aktionen auch, ein wenig extravagant und mutig und manchmal wohl auch ein wenig exhibitionistisch zu sein. Farbfotografie, Abzug von Autochromplatte, Modern Print Kunsthaus Zürich, Bibliothek: Johann Adam Maisenbach, Suzanne Perrottet, Rudolf von Lalbahn und Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona, 1914. © Foto Heike von Goddenthow
Auch beeinflusst von der Lebensreformbewegung und Freud’schen Psychoanalyse formierte sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs unter in die Schweiz geflüchteten Künstlern 1916 die Dada-Bewegung als Protestplattform gegen Krieg und Enge bürgerlicher Konventionen und Geschlechterrollen. Dadaist zu sein, konnte „alles“ sein, und bedeutet hinsichtlich darstellender Aktionen auch, ein wenig extravagant und mutig und manchmal wohl auch ein wenig exhibitionistisch zu sein. Farbfotografie, Abzug von Autochromplatte, Modern Print Kunsthaus Zürich, Bibliothek: Johann Adam Maisenbach, Suzanne Perrottet, Rudolf von Lalbahn und Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona, 1914. © Foto Heike von Goddenthow

In der fulminanten Überblicksschau „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ vom 7. Juli 2024 bis zum 12. Januar 2025 im arp Museum Rolandseck wird erstmals die unterschätzte Bedeutung von Künstlerinnen im Dadaismus untersucht.

Kaum eine andere Kunstbewegung hat  im 20. Jahrhundert die Kunstszene in Malerei, Mode, Tanz, Literatur und Musik sowie die Gesellschaft so verändert und geprägt wie DADA. Dass insbesondere auch viele Künstlerinnen einen entscheidenden Anteil am Entstehen und Erfolg des Dadaismus hatten, ist zumeist weniger bekannt. Aufbauend auf der 2016 in Zürich anlässlich 100 Jahre DADA gezeigten Schau „Die Dada. Wie Frauen Dada prägten“ von Ina Boesch, möchte „der die DADA“ dies nun ändern. So haben die Kuratorinnen Dr. Julia Wallner ( Direktorin des arp Museums), Helene von Saldern und Joëlle Warmbrunn rund 200 Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien und Filme sowie Archivmaterial aufwändig recherchiert und zu dieser Schau zusammengetragen, die in der Tat einen ganz neuen Blick auf die Entstehung des Dadaismus erlaubt. Neben Werken von berühmten Künstlerinnen wie Hannah Höch, Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp werden insbesondere auch Arbeiten von Künstlerinnen gezeigt, die in der Kunstgeschichtsschreibung über viele Jahrzehnte hinweg wenig bis keine Erwähnung fanden. Dazu gehören zum Beispiel Elsa von Freytag-Loringhoven, Angelika Hoerle oder Suzanne Duchamp und zahlreiche weitere DADA-Frauen, die gleichwertig neben ihren männlichen Kollegen präsentiert werden.

Begrüßt werden die Besucher von der  gebürtigen deutschen Eisa von Freytag-Loringhoven - be­ kannt als „die Baroness". Sie verkörperte Dada als wandeln­des performatives Kunstwerk mit Haut und Haar. Unge­achtet der gesellschaftlichen Erwartungen schockierte sie mal mit kahl rasiertem Kopf, mal nackt oder mit exzentri­scher Kleidung und geräuschvollen Accessoires aus Löffeln oder Tomatendosen die l'vienschen auf den Straßen New Yorks. In ihren experimentellen und ekstatischen Texten thematisierte sie provokativ und detailreich das weibliche Verlangen und damit auch die normativen Geschlechter­ rollen. In ihrem neuen Roman „Nackt war ich am schönsten" lässt Veronika Peters die schillernde Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven wieder auferstehen und von ihrem ereignisreichen Leben erzählen. © Foto Diether von Goddenthow
Begrüßt werden die Besucher von der gebürtigen deutschen Elsa von Freytag-Loringhoven – be­kannt als „die Baroness“. Sie verkörperte Dada als wandeln­des performatives Kunstwerk mit Haut und Haar. Unge­achtet der gesellschaftlichen Erwartungen schockierte sie mal mit kahl rasiertem Kopf, mal nackt oder mit exzentri­scher Kleidung und geräuschvollen Accessoires aus Löffeln oder Tomatendosen die l’vienschen auf den Straßen New Yorks. In ihren experimentellen und ekstatischen Texten thematisierte sie provokativ und detailreich das weibliche Verlangen und damit auch die normativen Geschlechter­ rollen. In ihrem neuen Roman „Nackt war ich am schönsten“ lässt Veronika Peters die schillernde Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven wieder auferstehen und von ihrem ereignisreichen Leben erzählen. © Foto Diether von Goddenthow

1916 vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs in der von Emmy Hennings und Hugo Ball geführten Künstlerkneipe Cabaret Voltaire in Zürich von Exilanten wie Hans Arp, Marcel Janco und Richard Huelsenbeck als kreative Protestform gegründet, entwickelte sich dada rasch zu einer internationalen und grenzüberschreitenden Bewegung gegen Krieg und Militarismus, Rationalisierung der Kunst und Mechanisierung der Welt. Dieser Bewegung fühlten sich alsbald auch Kollektive und zahlreiche nach USA emigrierte Einzelkünstler in New York, in Paris, Berlin, Hannover und Köln zugehörig. „Die Beteiligten zielten auf die Durchdringung von Kunst und Leben“, so Dr. Julia Wallner. Dabei bildeten Sprache, Tanz, Musik und grafisch-visuelle Ausdrucksmittel das Grundvokabular, mit dem eine den Menschen befreiende Existenzform entwickelt werden sollte. Auch Aktionen, performative Inszenierungen, Soireen und Happenings auf Bühnen oder der Straße waren dafür essenziell.

Den menschlichen Wahnsinn künstlerisch heilen?

Ausstellungs-Impression "der die DADA. Unordnung der Geschlechter“, vom 7.07.24 – 12.01.2025 © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“, vom 7.07.24 – 12.01.2025 © Foto Diether von Goddenthow

Dass die relativ kurze, sehr lebendige Kunstbewegung einen so langen Nachhall entwickelte, der in den Kunstentwicklungen des 20 Jahrhunderts derart breite Nachwirkungen hatte, hing, so Dr. Wallner, sicher auch mit der Gründungshistorie zusammen: „Es war zunächst eine Bewegung von Exilanten, die sich natürlich nicht zufällig in Zürich, sondern eben in der neutralen Schweiz zusammengefunden hatten, um dem Kriegsgeschehen zu entkommen“. Darunter war beispielsweise auch der aus dem Elsass stammende deutsch-französische Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker Hans Arp, der in der Schweiz auf emigrierte gleichgesinnte Künstler vieler Länder traf, was Dada von vornherein zu einer internationalen Bewegung machte. Gleichermaßen verband die bunt zusammengewürfelten Künstler eine zentrale Frage: „Wie können wir der Absurdität unserer Zeit trotzen, ihre Ambivalenzen aushalten, und etwas mit der Kunst entgegensetzen? Wie können wir aus Unsinn Sinn erschaffen und den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen“, erklärt Dr. Wallner den explosiven Gründungsmoment der ersten, sich immer wieder unter anderen Vorzeichen neu formierenden Dadaisten. „Anstelle der Produktion immer neuer „Ismen“ rief Dada vehement und spielerisch zur Zerstörung der alten Ordnung auf. Für Hans Arp bestand das Ziel in der Aufhebung der Grenze von Kunst und Leben: ‘Während in der Ferne der Donner der Geschütze grollte, sangen, malten, klebten, dichteten wir aus Leibeskräften. Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen, und eine neue Ordnung, die das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle herstellen sollte.‘“ 1)

Nach relativ kurzer Zeit endet die Dada-Geschichte in Zürich im Streit, und viele ihrer Mitglieder zogen nach Kriegsende weiter. „Mancher Gedanke entwickelte sich zum Surrealismus und einer stärkeren Innerlichkeit. Dada als Idee jedoch verselbstständigte sich und fand in vielen Städten eigene, teils unabhängige Formen – in Paris, Berlin, Hannover, Köln und New York. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Tragweite dessen klar, was die Kunstbewegung auslöste.“ führt ein Wandtext in die Ausstellung ein.

,,Nicht nur die kapitalistische Wirtschaft, sondern auch alle Wahrheit, Ordnung, Recht, Moral, auch alles Männliche und Weibliche ist in Auflösung. "1 RAOUL HAUS!v1ANN, 1918 Ausstellungsimpression. © Foto Diether von Goddenthow
,,Nicht nur die kapitalistische Wirtschaft, sondern auch alle Wahrheit, Ordnung, Recht, Moral, auch alles Männliche und Weibliche ist in Auflösung. „1 RAOUL HAUS!v1ANN, 1918 Ausstellungsimpression. © Foto Diether von Goddenthow

Dadaist konnte jeder sein
Im Kern war Dada eine revolutionäre Bewegung. Was Dada, häufig für beendet erklärt und doch immer wieder lebendig, eigentlich ist, konnte jedoch bis heute noch nicht genau definiert werden, da dada auch immer das Gegenteil von dada ist. Selbst das kollektiv unterzeichnete dadaistische Manifest von 1918 schließt mit den sich selbst ad absurdum führenden Worten: ,,Gegen dies Manifest sein, heißt Dadaist sein!“ 2) „Und Wieland Herzfelde behauptete: ‘Jedermann konnte sich Dadaist nennen, dafür, daß man ihn dafür hielt, mußte er selbst sorgen. ‘“ 3)

Wenngleich Dada eine bis an Nihilismus und Sinnlosigkeit grenzende „totale“ Offen- und Beliebigkeit in Kunst und Leben proklamierte, waren „die Themen, die Dada in Zürich, Paris, Berlin, Hannover, New York, Köln, und schließlich weltweit kreativ verhandelte, ähnlich, auch wenn Mittel, Methoden und Ansätze sich teils deutlich unterscheiden.“ 4)

Wer hat’s erfunden?
Diese Vielschichtigkeit und Diversität unterschiedlicher Blickwinkel der weltweit wichtigsten Dada-Zentren werden in der Ausstellung hervorragend aufbereitet und dargestellt. Dabei werden erstmals vor allem Aktionen, Werk und Bedeutung der Dada-Frauen ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Der Bogen ist weit gespannt , bis hin zu der – filmisch untermauerten – provokanten Frage: War Marcel Duchamp rechtmäßiger Urheber des ersten Readymades, seines berühmten Pissoirs? Oder geht die Idee zurück auf Elsa von Freytag-Loringhoven, die in New York als ein mit Haut und Haar wandelndes Dada verkörperndes performatives Kunstwerk berühmt und mit Duchamps verbunden war. „Die Baroness“, schmückt Plakat und Katalog der Ausstellung „der die DADA“.

Unordnung der Geschlechter bei Dada

Ausstellungs-Impression: Hannah Höch Dada-Puppen, Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel. © Foto Heike von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Hannah Höch Dada-Puppen, Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel. © Foto Heike von Goddenthow

Ein neuer Aspekt, den die Ausstellung „der die DADA“ neben der Herausstellung der Dada-Frauen beleuchtet, ist die Bedeutung von Geschlecht, Rollenbildern und Sexualität, die im Dadaismus oftmals fluide verstanden wurden. Dazu heißt es in einem Wandtext der Ausstellung: „Zugleich werden Werke von Männern gezeigt, die in dadaistischer Manier Geschlechtlichkeit neu denken. In Text und Bild verbinden sie die Revolution in der Kunst mit der Revolution der Geschlechter – zu einer Zeit, in der Homosexualität in fast allen Ländern der Erde unter Strafe stand und Frauen viele gesellschaftliche Zugänge verwehrt waren. Dada ist damit die erste Kunstströmung, in der Frauen wie Männer aktiv und aktionistisch an der Durchlässigkeit von Rollenbildern wirkten“. Beispiel dafür sind die berühmten Crossdressing-Fotografien von Marcel Duchamp als Rrose Sélavy des Fotografen Man Ray um 1921. Sie zeigen, dass sich nicht nur Frauen von traditionellen Rollenzuschreibungen lösten, sondern auch Männer Geschlechtlichkeit in dadaistischer Manier neu interpretierten. So zieht die Ausstellung „der die DADA“ gekonnt eine Verbindung von den gesellschaftserneuernden Positionen der Dada-Avantgarde hin zu den aktuellen heutigen Diskursen.

Zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen und DADA
Um dem zeitgebundenen Charakter der DADA-Kunst gerecht zu werden, der auf Improvisation und situativem Erleben basiert, hat das Arp Museum zeitgenössische Künstler eingeladen, diese Inhalte in die heutige Zeit zu übertragen und erfahrbar zu machen. Dazu gehören eine Klanginstallation von Susan Philipsz, ein recherchebasierter Film von Barbara Visser, eine Tanzperformance von Brygida Ochaim sowie DADA-Texte, die von Dirk von Lowtzow intoniert werden. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Begleitprogramm ergänzt.

Die Ausstellung und Dada-Bühne

Besucherin auf der dada-Bühne im Dada-Kleid, hier ein Entwurf von  Sonia Delaunay, geschneidert von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen. © Foto Diether von Goddenthow
Besucherin auf der dada-Bühne im Dada-Kleid, hier ein Entwurf von Sonia Delaunay, geschneidert von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen. © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung gliedert sich entsprechend der wichtigsten DADA-Zentren „Zürich“, „Paris“, „Berlin“, „Köln“ und „New York“ in fünf Bereiche. Zudem lädt eine der dem Züricher Cabaret Voltaire nachempfundenen Dada-Bühne die Besucher ein, auch mal in ein Dada-Kleid, und damit in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Jedes hier von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen nachempfundene Kleidungsstück wird man auch auf irgendeinem Bild in der Ausstellung „der die DADA“ entdecken können.
Die rundum gelungene Ausstellung lohnt. Man sollte sich, wenn möglich, hierfür ein paar Stunden Zeit nehmen, und sich am besten anschließend den ebenfalls didaktisch gut aufbereiteten Begleitkatalog gönnen.

Ausstellungskatalog
katalog cover der die DADA hirmer 2024 160xpZur Ausstellung ist ein wunderbarer Katalog im Hirmer Verlag (288 Seiten, 200 Abbildungen, 38,00 Euro, ISBN/GTIN978-3-7774-4443-7) erschienen, herausgegeben von Julia Wallner. Der Katalog enthält Beiträge von Astrid von Asten, Christa Baumberger, Ina Boesch, Simone Gehr, Nora Gomringer, Talia Kwartler, Agathe Mareuge, Brygida Ochaim, Helene von Saldern, Isabel Schulz, Ursula Ströbele, Julia Wallner und Joëlle Warmbrunn. Diese begleiten gekonnt die Ausstellung und vertiefen in gut verständlicher Sprache die zentralen Aspekte der neuesten Dada-Forschung insbesondere im Hinblick auf die Dada-Frauen und diskutierte Geschlechter-Fluidität.

(Diether von Goddenthow )

Flyer zur Ausstellung

Ort:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 – 53424 Remagen
Tel. +49(0) 22 28 94 25
info@arpmuseum.org
arpmuseum.org

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 -18 Uhr
Dienstags für angemeldete Gruppen ab 9 Uhr

 

Quellen:
1)Hans Arp: Unsern täglichen Traum …, Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914-1954, Zürich 1955, S.51, zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
2) Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach. Im Auftrag des Zentral­amts der deutschen Dada-Bewegung, Berlin 1920, s.36-38, , zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
3 ) Wieland Herzfelde in: Der Malik-Verlag, 1916-1947. Ausstellungskatalog, Berlin o. J., S. 24 f. zitiert n. Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23
4) Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.